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Der Aushilfsvater

 

Der Aushilfsvater

von

Max Berner

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Margarete hieß sie. Mara ließ sie sich nennen. –

Ihre Freundin hieß Alice und wurde natürlich Ali genannt. Die beiden Vornamen sind noch in ihren Abkürzungen leidlich vernünftig gegenüber den Phantasieprodukten, die sich heutzutage mit Vorliebe Kinogrößen zulegen. Man lese nur mal die Vor- und Zunamen dieser Sterne mit kritischem Blick. Dann kann man was erleben! –

Mara und Ali saßen in dem kleinen Damensalon und unterhielten sich über das vor gestrige Wohltätigkeitsfest im Zoo. –

Sie waren sich darüber einig: Es war himmlisch schön gewesen. –

So drückte sich die rotblonde Ali aus. Mara liebte keine so backfischmäßigen Redensarten. Ali stellte den Typ der burschikos-lebensprühenden jungen Damen von Berlin W. vor. Mara dagegen den der übersättigten, stets müden und etwas melancholischen.

„Der Graf hat wieder sehr viel mit dir getanzt,“ meinte Ali und schaute die Freundin forschend an. „Wenn er nur nicht so unglaublich hochmütig wäre!“ Sie fuhr nachdenklich fort. „Schließlich gehörst du doch einer in Kaufmannskreisen sehr angesehenen Familie an. Dein Vater ist letztens sogar Konsul von – von – ach, wie heißt doch nur die kleine selbstständige Republik in Italien?“

„San Marino –“

„Richtig, – also von San Marino geworden. Kommerzienrat war er schon, und deshalb begreife ich nicht, weshalb der –“

Mara winkte ab. Die Handbewegung war müde, aber schön und eindrucksvoll. „Zerbrich dir nicht den Kopf, Ali. Du kennst Papa noch nicht genügend. Er wurde nie dulden, daß ich einen Adligen heirate. Niemals. Selbst wenn dieser Herr reich wäre. Papa hat in Konitz noch vor dreißig Jahren als Produktenhändler sich durch Hasen- und Schaffelle, durch Alteisen und Darlehensgeschäfte ernährt und sich dann durch fünf Pleiten als Inhaber des einzigen dortigen Kaufhauses hochgearbeitet. Selbst seine jüdischen Mitbürger nannten ihn schlau und unternehmungslustig. Er ist stolz auf seinen bürgerlichen Namen Meyer mit ‚ey’ und noch stolzer auf seine Laufbahn. Er ist Millionär geworden, ohne auch nur ein einziges Mal auf der Anklagebank gesessen zu haben. Das ist ihm zu Kopf gestiegen. –

Entschuldige, Ali, – ich hätte die Anklagebank nicht erwähnen sollen. Das war taktlos von mir, wo doch dein armer Vater –“

Ali lachte harmlos. „Bah – was tut’s. Er ist ja alle drei Mal glänzend freigesprochen worden. Überhaupt: die Geschichten liegen ja zwanzig Jahre zurück! Ich bitt’ dich – zwanzig Jahre! Kein Mensch denkt mehr daran. Wäre er denn sonst Generaldirektor der ‚Wampa‛ geworden?!“

Sie beugte sich in ihrem Sesselchen weit vor, denn Mara hatte jetzt auch die Beine auf den Diwan gezogen, wobei ihr grüner Kimono vorn weit auseinandergefallen war.

„Na,“ meinte Ali kichernd, „viel hast du darunter gerade nicht an! Wenn der Graf dich so sehen würde! – Ach – wir Frauen schaun doch viel, viel netter in unserer seidenen Wäsche aus als die Herren. Letztens die gestreifte seidene Unterhose vom Baffi –“

Sie schlug sich auf den Mund, daß es ordentlich knallte, rief leise: „Das war natürlich eben nur ein Scherz. Ich meine, – Baffis Unterhosen in dem neuen Filmdrama – na, den Titel habe ich wieder vergessen –“

Maras schmales, blasses Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Das Filmdrama heißt: ‚Ein Liebesstündchen mit Ali Salzmann‛, nicht wahr?“

„Du – du – beleidigst mich! – Na – jedenfalls habe ich dir so tadellos geformte Waden gar nicht zugetraut, Mara. Und auch oben – alles echt! Nur – für deine schlanke Figur bist du recht – recht voll. Da –“ –

Sie bewunderte die graziös hingestreckte Freundin weiter. „zu Fettansatz scheinst du zu neigen. Ich finde, du hast einen sehr starken –“

Mara legte schnell den Kimono anders. „Schweig’ doch! Das ist ja eine Besichtigung wie auf dem Sklavenmarkt. – Was soll nun eigentlich aus dir und Baffi Iffa werden? So kann die Geschichte doch nicht weitergehen. Ich warne dich, Ali: Kommt dein Vater dahinter, so beweist er dir noch jetzt, daß er euch Jöhren früher, als er noch Flaschenspüler bei der Weißbierbrauerei war, gehörig mit der Kloppeitsche bearbeitet hat. Ich hätte vor ihm Angst, obwohl ich doch wirklich nicht feige bin.“

Ali seufzte. „Es ist ein Elend, du, – tatsächlich ein Elend! Dein alter Herr verachtet den Adel, meiner betet ihn an und sehnt sich nach einem Schwiegersohn, der mindestens – mindestens! – Baron sein muß. Und der liebe, süße Baffi Iffa heißt doch eigentlich nur Gustav Schneider – stell’ dir vor: Gustav – Schneider! Und wird nie, nie Baron werden, obwohl er doch jetzt recht viel Geld verdient und eine eigene, entzückend eingerichtete Dreizimmerwohnung hat. Daß er noch vor vier Jahren Leutnant beim 2. Trainbataillon in Danzig war, ist ja auch leider kein Ausgleich für den fehlenden Adel, zumal er doch wegen Schulden um die Ecke ging und nur – ‚militärisch organisierter Brotfahrer‛ war, wie er selbst den Train immer nennt. –

Du, Mara, Witz hat der Baffi, Witz und eine – koddrige Schnauze, wie man zu sagen pflegt, – einfach unglaublich. Schade, daß du ihn nicht kennst und so – so gräßlich prüde bist. –

Komm’ doch mal mit zu ihm. Es ist dort immer so urgemütlich. In seinem Arbeitszimmer steht ein Spiegel, der über die halbe Wand reicht. Davor probt er immer seine Rollen. Du – das ist zum Totlachen!“

Plötzlich wurde sie ernst und nachdenklich. „Vielleicht – verkrache ich mich mit ihm auch!“ meinte sie nun weinerlich. „Er hat Geheimnisse vor mir. Und – das dulde ich nicht! Als ich ihn letztens – vor drei Tagen – nachmittags besuchte, ließ er mich nicht in seine Bibliothek. Das Zimmer war von innen verschlossen. Und in seiner Wohnung rochs nach einem Parfüm so stark, daß ich ihm mit Recht eine furchtbare Szene machte, bis er mich dadurch beruhigte, daß er mir sein Ehrenwort gab, mich weder je betrogen zu haben noch auch jetzt zu betrügen. Es handele sich um eine sehr diskrete Angelegenheit, versicherte er mir; näher dürfte er sich darüber nicht auslassen. –

Alles sehr schön! Aber würdest du nicht auch trotz des Ehrenwortes eifersüchtig sein, Mara? –

Sieh’ mal, ich liebe den Baffi wirklich von ganzem Herzen. Und ich –“

„So heirate ihn doch! Du bist ja im vorigen Monat mündig geworden,“ unterbrach Mara die Freundin gelassen.

„Heiraten – gegen den Willen der Eltern?! – Ohne Mitgift also?! – Nein, Mara, – das gäbe nur ein großes Elend ab. Baffi verdient für eine Person genug aber nicht für zwei, besonders nicht, wenn ich diese zweite bin. –

Wir sind zu verwöhnt, Mara! Sparen oder mich einschränken müssen?! – Unmöglich! Ich bin da ganz ehrlich. Nein – ich würde Baffi nur unglücklich machen. Und das will ich nicht.“

Maras dunkle Augen, die stets so etwas verschleiert waren und unergründlich schienen, schauten Ali mit einer gewissen überlegenen Ironie an.

„Du sagtest soeben: Wir sind zu verwöhnt,“ erklärte sie langsam und wie immer in leicht singendem Tonfall. „Wenn du durch dieses ‚Wir‛ andeuten wolltest, daß du auch mich mit deinem Maße mißt, so muß ich dich etwas berichtigen. –

Gewiß: auch ich bin verwöhnt! Aber – wenn ich einen Mann lieben würde, so über alles lieben würde, dann könnte ich auf all den Luxus unschwer verzichten.“

„Na – na! – Etwa Töpfe scheuern, abwaschen, Stuben ausfegen Betten machen – und so weiter?! –

Mara, daß denkst du dir alles leichter, als es ist.“

„Oh – ich kenne das alles sehr gut. Mama war früher stets kränklich. Und ich bin ja das einzige Kind. Als Papa in Konitz zum Beispiel die zweite Pleite machte, verlebten wir drei Monate in einer einzigen Stube. Ich war damals acht Jahre. Da habe ich sämtliche Hausarbeiten erledigen müssen. Papa mußte doch nach außen hin recht eindringlich beweisen, daß er nichts besaß. –

Ja – ich habe so manche Erfahrungen gesammelt. –

Wie gesagt: Wäre ich mündig und liebte ich einen Mann, von dessen Gegenliebe ich überzeugt bin, so würde es mir gar nichts ausmachen, auch – Töpfe zu scheuern. Daran ist noch niemand gestorben, wirklich nicht! Aber erstens werde ich erst Dezember zwanzig, und zweitens –“

Sie führte diesen Satz nicht zu Ende, fügte vielmehr nach kurzer Pause hinzu:

„Übrigens, Ali, – man kann sich das Adelsprädikat doch auch erkaufen, wie ich mal in einer juristischen Plauderei gelesen habe. Wie wär’s, wenn dein Baffi dies mal versuchte. Bei uns im Gartenhaus zum Beispiel wohnt ein altes italienisches Ehepaar, die Grafen Messalla-Miosino. –

Klingt tadellos, nicht wahr: Messalla-Miosino. Die Leute – sie haben eine Tochter von etlichen vierzig Jahren – sind ganz heruntergekommen, Leben nur von Unterstützung, hausen in ihren zwei Zimmern wie die – entschuldige, aber es ist so – wie die Schweine. Die alte Gräfin trägt Winter und Sommer nur Gummischuhe. Die Tochter beehrt jetzt meine in den Müllkasten geworfenen Morgenschuhe mit ihren altadeligen Füßchen. Der Graf, ein Greis mit weißem Schnurrbart und feuerroter Hakennase, ist Stammgast in der ‚Chauffeur‛–Kneipe an der Ecke und sehr oft betrunken. Haben die Leute mal Geld, so kaufen sie gleich flaschenweise Schnaps ein und kommen dann drei bis vier Tage nicht zum Vorschein. –

Ob der Baffi sich von diesen Messalla-Miosino nicht adaptieren lassen könnte?“

„Hm – die Sache wäre zu überlegen –“

Ali Salzmann drehte nachdenklich ihre Brillantringe. Dann griff sie nach Maras Hand.

„Du – sei doch mal ehrlich! Ich habe so das Gefühl, als ob du den Grafen Sillingen liebst. Ich habe dich vorgestern beim Tanzen beobachtet. Wenn Mara Meyer sich so – so an einen Mann anschmiegt, dann –“

Es war in dem kleinen Salon bereits dämmrig geworden. So entging es Ali, daß Mara ein wenig errötete und ihre Augen einen Moment aufleuchteten.

Jetzt erwiderte sie: „Lieben? – Aber ich bitte dich! Ich bin mit ihm bisher vier mal auf öffentlichen Bällen in den letzten fünf Wochen zusammen gewesen. Das ist alles. Zum Verlieben eigne ich mich überhaupt nicht. Ich kann nur – lieben – wirklich lieben mit Leidenschaft und ohne Bedenken! Zum Tändeln fehlt mir – die Oberflächlichkeit.“

„Da gebe ich dir recht. Du – du gleichst in dieser Beziehung so etwas mir, nur daß ich wohl – das heißere und unvernünftigere Blut von uns beiden habe und du die seelisch tiefer Veranlagte bist –“

Mara lachte leise. „Romanphrasen, Ali! – Wir beide können eben nicht verleugnen, daß unsere Mütter einst bescheidene, aber sehr gesund empfindende Frauen waren, besonders in Liebesdingen. Daß sie jetzt jene Zeiten vergessen haben oder besser zu vergessen suchen, weil bei ihnen nun unsere Interessen, ein anderes Milieu, den Ton angeben, – wer kann’s ihnen verargen?! Sie haben sich eben auch gesellschaftlich hochgearbeitet. Und die ‚Gesellschaft‛ hat andere Ansichten über alles als die Produktenhändler in Konitz und die Flaschenspüler einer Brauerei.“

Ali hörte nebenan in Maras Schlafzimmer eine Sturzuhr mit hellem, silbernem Klang vier schlagen.

Sie erhob sich. „Ich muß heim. Wir essen heute bereits um halb fünf. Die Eltern sind abends zur Exzellenz Bandemin eingeladen. –

Auf Wiedersehen, Mara. –

Hm – du solltest dir wirklich ein Korsett anschaffen, das den Leib mehr zurückdrückt, – tatsächlich, du siehst wie –“

Sie kicherte und küßte die Freundin, eilte hinaus, rief aber nochmals ganz leise von der Tür her:

„Du – siehst so – verheiratet aus.“

Mara hörte dann auch die Flurtür einschnappen. Sie war allein. Sie ging nun ans Fenster, schlug die Tüllvorhänge zurück und schaute hinaus.

Dem Mietspalast gegenüber, in dem der Konsul Max Meyer die erste Etage bewohnte, lag in einem weiten parkähnlichen Garten eine alte Villa, die noch aus der friederizianischen Zeit stammte und einst ein Gutshaus gewesen war. Dieser Park war die Stätte, wohin Mara so oft ihre träumerischen Gedanken schweifen ließ. Jetzt im Halbdunkel des anbrechenden Novemberabends hatte der Garten mit seinen hohen Hecken und uralten Bäumen etwas besonders Geheimnisvolles für Mara an sich. Sie wußte, daß dort eine sehr alte, sehr vornehme Dame mit einer ebenso alten Dienerschaft wohnte. Selten nur erblickte man jemand von diesen Leuten, die ganz für sich lebten, wie eingesponnen in Erinnerungen an längst vergangene Tage.

Allerlei Gerüchte schwirrten hier in der Brienzer Straße über das adelige Fräulein, die Besitzerin der Villa umher. Dieser erzählte, sie sei einst die Geliebte eines Königs gewesen; ein anderer wollte wissen, sie habe deswegen nicht geheiratet, weil sie den Mann nicht wählen durfte, den sie liebte.

Für Mara war dieses Fräulein Adelina von Menking geradezu eine Märchenprinzessin. Sie umgab die alte Dame mit allerlei phantastischen, romanhaften Liebesgeschichten, und wenn sie ihr gelegentlich auf der Straße begegnete, dann grüßte sie sie tief und mit gewisser Ehrfurcht und war glücklich über das freundliche Kopfnicken der Matrone, die doch nicht einmal wissen konnte, wer dieses höfliche elegante junge Mädchen war.

Mara erkannte jetzt Fräulein von Menking trotz der ungewissen Beleuchtung auf der Terrasse vor der Villa. Der weiße Scheitel des kleinen, mageren Fräuleins schimmerte unter dem schwarzen Spitzenhäubchen, und nicht minder geisterhaft wirkte das blasse, blutleere Gesicht.

Seltsam: In diesem Augenblick wurde es Mara klar, daß sie die Matrone nicht nur verehrte, ohne je mit ihr ein Wort gewechselt zu haben, sondern auch liebte – wie eine liebe, gültige Tante etwa, die gern die Vertraute junger Mädchen ist.

Mara unterdrückte einen Seufzer. Sie hätte Fräulein von Menking ja so viel anvertrauen können! Aber – die Matrone würde dazu wohl nur entsetzt den Kopf geschüttelt haben.

 

 

2. Kapitel

Tassilo von Sillingen hatte am Vormittag desselben Tages Fräulein Sauerbier in sein Wohnzimmer gerufen.

Die Sauerbier vermietete ‚elegant möblierte Zimmer‛. Und sie ernährte sich gut dabei. Sie war für eine alte Jungfer sogar recht rundlich.

„Bitte nehmen Sie Platz, Fräulein Sauerbier,“ hatte der lange Tassilo gesagt und dabei ein sehr ernstes Gesicht gemacht. „Ich muß Ihnen einen längeren Vortrag halten, dessen Inhalt Sie vielleicht aus dem körperlichen Gleichgewicht bringen könnte. –

Sie scheinen schon zu ahnen, worum es sich handelt. Und – Sie ahnen das richtige. Ich schulde Ihnen für vierzehn Tage jetzt die Miete sowie die Bezahlung für Morgenkaffee und diverse andere Mahlzeiten. Und – ich kann diese insgesamt dreihundertachtzehn Mark und dreißig Pfennig weder jetzt noch demnächst bezahlen. –

So, nun ist es heraus.“

Amalie Sauerbiers feistes Gesicht blieb jedoch gleichgültig. Mehr noch, sie lächelte. Und dann meinte sie:

„Ich dränge Sie ja nicht, Herr Graf. Im Gegenteil – ich räume Ihnen Kredit bis dreitausend Mark ein.“

„Sehr liebenswürdig und – außerordentlich leichtsinnig von Ihnen. Sie wissen ja: Ich war Offizier. Erst Garde, dann Schulden und – Train; dann wieder Schulden und – tritt vor den Hinterschenkel – alias Abschied. Sie wissen ferner: Ich bin Waise; mein Vermögen habe ich verjuxt. Reiche Verwandte fehlen. Meine Versuche hier in Berlin, irgendwo eine Stellung zu finden, scheiterte stets an meinem Äußeren. Überall sagte man mir: ‚Tut mir leid. Sie sehen aber zu sehr nach einem Jardisten in Zivil aus. Und – es ist unbequem, einen Schreiber, Klavierspieler oder dergleichen zu haben, der – Graf ist. Man kann da nicht so ohne weiteres gleich grob werden.‛ –

Also: Mit einer Stellung war’s Essigextrakt.“

Die Sauerbier zuckte die Achseln.

„Wie konnten Sie auch nur, Herr Graf! Das alles war doch nichts für Sie! Sie hätten sich um eine reiche Partie bemühen sollen. Ein Mann wie Sie, der geradezu wie ‛n Leutnant oder Fürst aus einem Birch-Pfeiffer–Roman aussieht braucht doch nur –“

„Einen Moment, Fräulein Sauerbier. Lassen Sie mich erst bitte aussprechen. – Eines Tages vor etwa sechs Wochen, als ich noch möbliert in der Invalidenstraße für fünfzehn Mark monatlich unter Gratiszugabe von durchschnittlich einhundert Wanzen pro Nacht wohnte, erschien bei mir eine ältere Dame, die irgend wie auf mich aufmerksam geworden war und die mir die nötigen Moneten zu standesgemäßem Auftreten so lange vorschießen wollte, bis sie mich – an die reiche Frau gebracht hatte. Es war also eine Heiratsvermittlerin. Und da ich gerade seit drei Tagen nur von trockenem Brot und Harzer Käse gelegt hatte, gelang es der Versucherin, mich meinen Grundsätzen untreu zu machen.

Sie half mir mit tausend Mark aus, wogegen ich einen Schein unterschreiben mußte, daß sie fünf Prozent von der Mitgift erhalten solle, die sie mir verschaffen würde – natürlich mit dem Anhängsel der dazu gehörigen jungen Dame. Mit Hilfe dieser tausend Mark kam ich zu Ihnen. Jene Ehekupplerin aber bemühte sich seitdem krampfhaft, mir diese oder jene Nummer aus ihrer Liste, ich meine eine oder die andere ihrer Klientinnen, aufzuschwatzen. –

Eine war darunter mit eineinhalb Millionen, aber bereits vierundvierzig Jahre alt. Eine zweite mit einer Dreiviertelmillion war das ‚abgelegte‛ Verhältnis eines Herzogs mit drei Kindern und einer Villa in Lichterfelde. Eine dritte, taubstumm, noch die netteste, hatte eine halbe Million, – und so fort. –

Wenn ich nun wirklich so gewesen wäre – innerlich, wie die edle Gehilfin Gott Armors mich eingeschätzt hatte, so würde ich längst Ehemann sein. Aber – sehen Sie, Fräulein Sauerbier, wenn ich auch ein verflucht leichtsinniger Bursche war, was ich ohne weiteres zugebe, – in einer Beziehung bin ich stets recht altmodisch geblieben: Ich – kann mich nicht verkaufen! Ich kriege es einfach nicht fertig, auch nur leidlich liebenswürdig zu einer der Nummern jener Dame zu sein. –

Na – ich will das nicht weiter ausführen. Jedenfalls blieb ich für alle Pläne jener gewerbstüchtigen Frau ein untaugliches Objekt. Und – gestern abend habe ich ihr nun rundheraus erklärt, sie solle sich keine Mühe weiter geben. Ich würde nicht mehr mitmachen. –

Sie geriet drob in einen Zustand, der ganz der Summe entsprach, die ich ihr schuldete. Es waren mittlerweile zweitausendfünfhundert Mark geworden. Zum Glück hatte ein guter Freund mir diese Summe vorgeschossen, so daß der Abschied von meiner Gönnerin sich einigermaßen unter Wahrung äußerlicher Höflichkeitsformen vollzog. –

So, nun wissen Sie alles, Fräulein Sauerbier. Mein Freund hätte mir ja noch weiteres Geld vorgestreckt, aber – ich lehnte energisch ab. Ich bin ihm schon dankbar genug, daß er mich dort bei der –“

„Ich kenne sie: – bei der Frau von Ragowski –“

„Ah! – nun gut. Also bei der Ragowski losgekauft hat. – Ich ziehe also noch heute aus, Fräulein Sauerbier. Ich habe jetzt nämlich eine Anstellung gefunden: Filmschauspieler, Dienerrollen und dergleichen – also Statist. – Schadet nichts. Ich bekomme zweihundertfünfzig Mark Gehalt, muß dafür aber noch Sekretär für den Direktor spielen. –Ich habe Ihnen hier einen Schuldschein ausgestellt. Bitte, da ist er. Ich werde Ihnen monatlich mindestens dreißig Mark abzahlen. Ich bitte Sie, sich damit einverstanden zu erklären.“

Die Sauerbier lächelte wieder und nickte. „Sehr gern. – Herr Graf, – hm, ich hätte eine Partie für Sie. – Oh – machen Sie nicht gleich ein so ablehnendes Gesicht. Es handelt sich um ein sehr hübsches und sehr kluges –“

Tassilo streckte abwehrend die Arme aus. „Liebstes Fräulein Sauerbier,“ unterbrach er sie hastig, „Geben Sie sich keine Mühe. Ich –“

Da hielt sie ihm schon eine Photographie hin. Er war so höflich, sie zu besichtigen, – lachte nun plötzlich schallend los und meinte:

„In der Tat, ein reizendes Mädel! Nur – nur, – die heiratet mich bestimmt nicht. Auf keinen Fall!“

Die Sauerbier machte ein mehr als erstauntes Gesicht.

„Weswegen – weswegen lachen Sie denn so – so vergnügt, Herr Graf. – Bitte – es ist die Tochter eines Generaldirektors, Alice Salzmann heißt sie, und sie bekommt eine halbe Million mit. Ihr Vater ist auf einen altadeligen Schwiegersohn geradezu versessen, so daß –“

Tassilo Sillingen stopfte sich die Finger in die Ohren, rief dazwischen:

„Herr Gott, – die heiratet mich nie – nie! Ich gebe Ihnen mein kleines Ehrenwort darauf.“

Amalie Sauerbier seufzte. „Schade, es wär’ so schön gewesen, wenn –“

„– es hat nicht sollen sein!“ ergänzte er. Und dann schob er, abermals lachend, das dicke Fräulein zur Tür hinaus.

 

 

3. Kapitel

Konsul Meyers erhoben sich vom Tisch. Mara war wieder sehr still und verträumt gewesen, so daß Frau Auguste gefragt hatte:

„Kind – was fehlt dir nur? In letzter Zeit bist du so vollständig verändert, daß man sich wirklich schon Sorgen macht.“

Jetzt küßte Max Meyer seine Einzige auf die Stirn.

„Mädel, wir müssen uns nach einer passenden Partie für dich umsehen,“ meinte er. „Du hast nichts zu tun, und das verträgt eine Zwanzigjährige nicht lange. Da stellen sich so allerhand Gedanken ein. Na – kurz und gut: Heiraten müßtest du! Natürlich keinen von den adligen Windhunden, die sich überall an deine goldene Außenseite herandrängen! Ich danke für die Sippe! Daß nachher so ‛n Herr Schwiegersohn ‚von so und so‛ mich über die Achsel ansieht! Nee – die Gesellschaft kenn ich: hochnäsig, faul, untüchtig – und so weiter.“

Er schaute Mara jetzt ganz stolz an. „Und noch so ‛n Mädel wie du! Viel zu schade für diese Stützen von Thron und Altar! – Nee, Kind, – ein Bürgerlicher mit hellen Kopf, strebsam, fleißig, – das ist der richtige für dich!“

Mit einem Mal wurde sein Gesicht ernst, und seine Augen überflogen mehrmals ihre Gestalt.

„Kind,“ sagte er unsicher, „du – du mußt mehr Sport treiben. Die liebe Mama litt zwar erst mit fünfundzwanzig Jahren an einem Fettbäuchlein, aber – hm – bei dir scheint dieses Erbübel sich schon früher einzustellen.“

Dann verabschiedete er sich. Er mußte noch in eine Aufsichtsratssitzung.

Frau Auguste hatte das goldene Lorgnon gleichfalls an die Augen geführt, als der Konsul sein Kind so eingehend musterte, und hatte die Profillinie ihrer Tochter so seltsam gefunden, daß unwillkürlich ein heißer Schreck sie durchzuckte, zumal ja Mara in ihrem ganzen Wesen schon seit vielen Wochen eine so seltsame Veränderung verriet.

Frau Auguste war das Herz fast stehen geblieben. Mein Gott – sollte etwa –?!

Jetzt, als der Konsul gegangen, wandte Mara sich der Mutter zu und sagte leise:

„Mama, ich – ich möchte dich mal – in einer sehr ernsten Angelegenheit sprechen. Komm’ bitte mit in meinen Salon –“

Frau Auguste erblaßte.

‚Meine Ahnung – meine Ahnung!‛ dachte sie entsetzt. ‚Himmel – wie ist so etwas nur möglich! Mara – gerade Mara –‛

Die beiden Damen schlossen sich ein. Frau Auguste setzte sich auf den Diwan. Und Mara kauerte sich zu ihren Füßen auf das Bärenfell, legte die Arme auf der Mutter Knie und hielt den Kopf tief gesenkt.

„Kind – was – was?“ begann die Frau Konsul ganz heiser vor Erregung. „Ein furchtbarer Verdacht ist vorhin im mir aufgestiegen. Solltest du dich wirklich so weit vergessen haben und –“

Mara schluchzte auf. „Oh keine Vorwürfe, sonst – sonst seht ihr mich nie wieder –“

Frau Auguste fuhr sich über die Stirn hin. Ihr war ganz wirr. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. –

Mara – Mara, ihr einziges Kind! Und bereits – so weit, daß – daß es auffiel!

„Also ist es wirklich so, – wirklich? Du – du bist?“

Frau Auguste wollte das verhängnisvolle Wort nicht über die Zunge.

Wieder nickte Mara. Und dann beichtete sie schluchzend:

„Damals – auf dem Sommermaskenfest bei Schröders auf dem Gut, – du weißt, Juli war’s – da – da hatte ich sehr viel Sekt getrunken – sehr viel. Und – da – nahm mich ein Herr im schwarzen Domino – mit in den Park. Und – und ich weiß gar nicht, wer – wer dieser Herr gewesen ist. Wir – haben beide die Masken aufbehalten. Außerdem – es war auch – stockfinster unter den alten Eichen –“

Die Frau Konsul war alles in allem eine recht verständige Dame. Gewiß: ihr Herz krampfte sich vor Weh förmlich zusammen, und der Schreck benahm ihr jetzt noch mehr den Atem. Aber sie sah auch sofort ein, daß gerade sie als Mutter hier helfend eingreifen mußte, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. –

Als sie nach zehn Minuten die weinende Mara allein ließ, küßte sie sie noch auf den Mund und flüsterte: „Ich werde mit dem Papa schon alles ins reine bringen, Kind. – Kopf hoch jetzt! Die Hauptsache ist: Niemand darf etwas merken –“

Mara riegelte die Tür hinter der Mutter wieder ab, lehnte sich erschöpft gegen die Wand und – lächelte trotzdem so eigen.

‚Das waren schwere Minuten,‛ dachte sie. ‚Sehr schwere. Und – das Schlimmste kommt ja noch. Aber – auch das werde ich überstehen.‛

 

 

4. Kapitel

Als der Konsul um elf Uhr von der Sitzung heimkehrte, fand er seine Frau noch in dem Arbeitszimmer vor.

„Na nu?“ meinte er. „Altchen, du willst wohl eine Entfettungskur anfangen?! Du noch munter? Sonst kriechst du doch schon um –“

Er schwieg.

„Himmel – was ist denn los, Auguste?“ fragte er kopfschüttelnd. „Dies Gesicht?! Da – da kann einem ja ganz schwa…“

„Halt!“ rief sie händeringend. „Sprich das fürchterliche Wort nicht aus!“

Sie begann zu weinen.

„Donner noch eins, – sag’ mal, Alte, – bist du denn plötzlich so ganz, ganz leicht übergeschnappt? –

Fürchterliches Wort?! Seit wann ist denn schwa…“

„Oh mein Gott!“ unterbrach sie ihn. „So begreif doch endlich. Mara – ist was passiert. Sie ist –“

„Na – sie ist?! – Was denn, zum Teufel?“

„Nein – ist der Mann nur schwerfällig! – Max – sie ist das, was – ich dich nicht aussprechen ließ.“

„Ah – also – schwach, krank – nicht wahr?“

„Schwach? Wolltest du das sagen? –

Nun – auch das stimmt ja. Sie ist eben schwach gewesen und jetzt ist sie schwa…“

Der Konsul fiel in den nächsten Stuhl, schnappte förmlich nach Luft.

„Schwan – ger, schwan – ger,“ wiederholte er nochmals ganz geistesabwesend.

Dann schnellte er hoch, ballte die Fäuste, brauste auf.

„Ah – die – Dirne! Und – natürlich mit einem von der verdammten Adelssippe hat sie sich eingelassen – natürlich! Oh – ich werde – werde –“

„Nichts wirst du, Max, – nichts!“

Frau Auguste war plötzlich sehr ruhig geworden, drückte ihren Gatten in den Stuhl zurück, setzte sich neben ihn, nahm seine kalten Hände in die ihren und berichtete, wie alles gekommen – von dem Gartenmaskenfest bei Schröders, von dem unbekannten Domino, den Mara nachher nicht mehr bemerkt hatte, so daß niemand sagen konnte, wer dieser Verführer gewesen war. –

Der Konsul murmelte zuweilen: „Unglaublich – unglaublich!“ Und als Frau Auguste schwieg, da wetterte er doch wieder los: „Rausschmeißen muß man sie – raus –“

„Du – es ist deine Tochter,“ sagte die Frau Konsul mit Nachdruck. „Ganz deine Tochter –!“

„Was heißt das?! War ich etwa vor der Ehe schwan… schwach?!“

„Nein – aber wenn ich –“ und Frau Auguste schmiegte sich an ihren Mann, „wenn ich – ich nicht so standhaft geblieben wäre, als wir verlobt waren, Max – dann wäre ich bei deinem Temperament wohl schwan… schwach geworden.“

Und – da gab der Konsul ihr einen Kuß. Und lange hielten sie sich innig umschlungen, diese beiden Menschen, die Jahrzehnte Schulter an Schulter gekämpft und endlich gesiegt hatten, endlich hochgekommen waren.

Das, was sie nun berieten, geschah denn auch in ruhiger, sachlicher Weise. Der Konsul versprach, Mara gegenüber weiterhin der zärtliche Vater zu sein, der er bisher gewesen.

„Du hast recht, Gustelchen,“ meinte er. „Mara hat vieles von mir. Auch den – Eisenkopf. Die droht nicht umsonst, daß wir sie nie wiedersehen, wenn wir sie etwa jetzt anders behandeln. –

Gut gut – ich will ihr nichts nachtragen, nur – gehorchen muß sie jetzt und schnell irgend jemand heiraten, sehr schnell, – einen Aushilfsvater!“

Frau Auguste nickte. „Dasselbe habe ich dir vorschlagen wollen, Alterchen. Und – ich weiß auch schon, wo wir einen anständigen Menschen herkriegen, der auch so eine Ehe eingeht.“

„Hm – anständiger Mensch?! – Gustelchen, die, die Aushilfsväter werden, die sind alle nicht ‛n Schuß Pulver wert.“

„Abwarten, Alter, abwarten! –

Hör’ zu. Letztens hat mir Minna Salzmann erzählt, daß ihr Mann jetzt für die Alice was in Bereitschaft hätte: einen Grafen, früheren Offizier, leichtsinnig, aber ein sehr netter und hübscher Mensch.“

„Der Salzmann ist verrückt mit seinem Adelsfimmel! Er sollte unter Kuratel gestellt werden.“

„Laß doch jedem seinen Geschmack. So wie du alle Adligen über einen Kamm scherst, – das ist auch ein Fimmel. Glaub’ mir! Kennst du denn Adlige? Kaum, oder doch nur so oberflächlich, daß –“

„Hör’ auf, Gustelchen. Ich bitt’ dich, du weißt – damals in Konitz der lange Regierungsassessor von Wriegling, er hatte es auf dich abgesehen! Und – seitdem habe ich diesen Koller!“

Frau Auguste lächelte ein wenig.

„Alterchen – also deshalb! –

Doch ich will weiter von Salzmanns erzählen. Die haben wie gesagt einen Grafen in Aussicht, der bei Minna Salzmanns Jugendfreundin, der Amalie Sauerbier, wohnt. Die Sauerbier hat ihn übern grünen Klee gelobt. Und Salzmann hat ihn sich mal letztens auf dem Ball im Zoo vorgestern, genauer angesehen. Daher kenne ich ihn auch so per Distanz, diesen Tassilo Sillingen. – Er hat auch mit Mara ein paarmal getanzt. – Sieh’ mal, Alter, wenn wir nun für Mara nach einem bürgerlichen Aushielfsvater Umschau halten sollen, so kann’s Wochen dauern, bevor wir einen leidlich anständigen Menschen auftreiben, denn dieser muß doch auch etwas sein, eine Stellung haben, die zu uns paßt.

Bei einem Grafen ist das was anderes. Der braucht nicht Prokurist oder Amtsrichter oder Assessor zu sein. Da genügt eben das ‚Herr Graf‛. Und die Hauptsache: Dieser Graf Sillingen wäre sofort zu haben – sofort! Und – das ist bei Mara nötig, damit das Kind nicht allzu rasch nach der Hochzeit sich einstellt. Du mußt also schon deinen ‚Koller‛ überwinden, Alterchen, und zunächst mal den Sillingen persönlich auf den Zahn fühlen –“

Max Meyer überlegte.

„Hm,“ meinte er dann, „wir können aber doch nicht gut den Salzmanns, gerade unseren besten Freunden, diesen Zwillingen –“

„Sillingen, Alter, – Sillingen! – Rede bloß nicht noch von Zwillingen!“

„Na – also den Sillingen wegkapern, Gustelchen. Das geht mir wider den Strich.“

„Unnötige Sorge,“ beruhigte sie ihn schnell. „Ich hatte heute gleich nach der Aussprache mit Mara die Sauerbier mir telephonisch herbestellt. Sie kam sofort und erzählte recht geknickt, daß ihr lieber Graf glatt abgelehnt habe, die Ali zu heiraten und daß er auch heute zu seinem Freund, dem Filmschauspieler Baffi Iffa, übergesiedelt sei, da er selbst jetzt bei derselben Filmgesellschaft eine Anstellung gefunden hat.“

„Na – dann ist’s ja wenigstens kein gewohnheitsmäßiger und erblich belasteter Faulenzer.“

„Du – im Gegenteil!“

Und Frau Auguste kramte alles aus, was Amalie Sauerbier Lobendes über Sillingen berichtet hatte.

„Hm – der Kerl scheint ja dann besser als sein Name zu sein,“ knurrte der Konsul. „Gut, erledigt! – Ich werde ihm morgen einen Besuch machen. Gefällt er mir, so rücke ich auch gleich mit der verfluchten Maskenfestgeschichte heraus. –

Mara wollen wir aber vorläufig noch nichts von dem Grafen sagen, Gustelchen.“

„Oh – ich fürchte, sie ahnt schon, daß ich an ihn als Aushilfsvater gedacht habe, Max. Denn eigentlich hat sie mich selbst so ganz ungewollt auf den Sillingen gebracht, indem sie –“

„Gustelchen, – jetzt Schluß damit. Reden wir von was anderem,“ unterbrach er sie. „Oder noch besser: Gehen wir zu Bett und verschlafen wir unseren Kummer. Wenn ich so denke –: Mein einziges Kind, meine Mara, – und – und das – das –“

Er schluckte an ein paar Tränen. Und auch Frau Auguste weinte wieder. So saßen sie Hand in Hand und trugen auch dieses Ungemach gemeinsam.

 

 

5. Kapitel

Ali Salzmann hatte sofort an ihren Baffi einen Rohrpostbrief geschrieben:

Mein süßes Flimmermännchen! –

Als ich heute bei Mara war – vor zwei Stunden, hat sie mich auf einen geradezu erstklassigen Gedanken gebracht. Sie ist ja überhaupt so unheimlich klug, weiß jedes Komma richtig zu setzen und besitzt so gewisse medizinische – oder sagt man anatomische? – Kenntnisse, die mir noch mehr imponieren als ihr neuer Spitzenmorgenrock, den sie sich nach eigenen Angaben hat anfertigen lassen. Entzückend, himmlisch ist der. Denk’ dir:

Nun folgten fünfzehn Zeilen Morgenrockbeschreibungen, bei deren Lektüre das süße Flimmermännchen fünfzehn Mal greulich fluchte.

Nicht wahr, ein Kleidungsstück wie ein Gedicht!

Und nun zu dem eigentlichen Zweck dieses Briefes. Mara meinte nämlich, du könntest den Adelsstand dadurch erlangen, daß du dich von einem verarmten, versumpften Grafen adaptieren läßt. Adoption ist ja wohl eigentlich jene Art und Weise, wie ein Paar, das schon vor der Ehe ein Kind gehabt hat, dieses Liebespfand ohne öffentlichen Aufruhr an Kindesstatt wie ein von Fremden stammendes annehmen und so aller Welt über den vorausgegangenen Fehltritte Sand in die Augen zu streuen sucht. Wenigstens haben’s doch Westheimers, Hermanns und Guppelbergs bestimmt so gemacht, nur daß eben doch alle Welt den Schwindel merkte. – Jener versumpfte Graf wohnt, wie Mara behauptet, als Schwein im Gartenhaus bei ihnen und lebt von der Dummheit wohltätiger Menschen – und von Schnaps. Geh’ also hin, mein geliebter Kinostarmatz, und sieh zu, ob du den Grafen nicht durch gleichzeitige Überreichung eines Fäßchens Kognak dazu bewegen kannst, dich als Adoptivsprößling in den für uns so nötigen Adelstand zu erheben. –

So, das wäre das eine. –

Nun muß ich dir noch gehörig deinen allerliebsten dünnbehaarten Schädel waschen! Sag’ mal, weshalb hast du mir bisher verschwiegen, daß der Tassilo Sillingen dein Intimus ist, und daß er heute zu dir zieht? –

Du siehst: Die Sonne bringt alles an das Licht der Weltgeschichte, und diese Sonne heißt Amalie Sauerbier, die soeben bei der Mama war – sie kennen sich von früher her, als Mama noch in der Weißbierbrauerei im Kontor angestellt war – und ihr mitteilte – höre und staune! – daß – der Sillingen mich nicht heiraten wolle. Die Eltern hatten ihn nämlich für mich in Aussicht genommen. Aber dieser Mensch, der gar keinen Geschmack haben muß, ist beim Anblick meines Bildes beinahe in Lachkrämpfe gefallen.

Na – kurz und gut: Er hat energisch abgewunken! –

Ich finde es von dir sehr, sehr häßlich, daß du so viel Geheimnisse vor mir hast, – wirklich! Schon damals dein verschlossenes Bibliothekszimmer – und jetzt wieder die Unterschlagung eines Freundes!

Schäme dich. Zur Strafe komme ich nie wieder zu dir und lasse mich umarmen, bist du mein standesamtlich abgestempelter Gatte bist. Bevor ich diesen Stempel nicht gesehen habe, gestatte ich dir auch nicht die geringsten Vertraulichkeiten mehr – verstanden.

Sieh also zu, daß der Stempel schleunigst in Ordnung kommt. –

Bis dahin nur ein Händedruck von deinem kleinen

– Salzfräulein. –

Nachschrift: Vielleicht besuche ich dich heute nachmittag gegen halb fünf auf eine Minute. Laß aber auch sofort die Brennschere in Ordnung bringen und – trag’ nicht wieder die Zebra-Seidenen. Darin siehst du zum Heulen komisch aus.“

Als dieser Brief abends acht Uhr eintraf, saßen Baffi und Sillingen gerade beim Abendbrot. Sie hatten zusammen allerhand leckere Dinge eingekauft, auch eine Flasche Schampus, und feierten Tassilos Einzug.

Baffi beriet mit Sillingen nun, ob es wohl lohne, mal zu dem vers…umpften Grafen Messalla-Miosino hinzugehen. Tassilo meinte, ein Versuch könne nicht schaden. Wenn der Graf noch italienischer Staatsangehöriger sei, so habe das italienische Generalkonsulat sehr wahrscheinlich die Entscheidung zu fällen. Vielleicht ließe sich der betreffende Beamte so etwas ‚schmieren‛.

Baffi war selig. „Du, Taß, wenn aus der Jeschichte was wird, dann müssen wir mit Volldampf auch für Mara und dich an die Arbeit gehen,“ erklärte er. „Es müßte doch schon geradezu des Deubels Schwiegermutter die Hand im Spiel haben, wenn es uns beiden militärisch organisierten Brotfahrern a.D. nicht gelingen sollte, diesem leicht überkandidelten Herrn Konsul den Adelsbrechreiz zu benehmen! –

Na, vorläufig ist ja die Hauptsache, daß du dich mit Mara vor zwei Wochen in der Philharmonie auf dem Ball ‚zum Zwecke der Ausstattung unehelicher Kinder mit Windeln und Schnuller‛ verlobt hast und daß ihr beide euch mindestens ebenso liebt wie Ali und ich. –

Prosit, Taß, – auf das wir glückliche Ehemänner werden!“ –

Im gräflichen Messallaschen Haushalt herrschte äußerst gedrückte Stimmung. Seit Tagen war kein Tropfen Magenstärkung über die Schwelle gekommen, dafür aber der Wirt, der inzwischen gröber wurde und mit Exmissionsklage drohte. Denn Messallas bezahlten Miete nur dann, wenn sie so ‚vollgesogen‛ waren, daß ein Schnapseinkauf für das gerade noch vorhandene Geld sich erübrigte.

Der alte Graf Emanuelo hatte soeben in der Küche aus Verzweiflung zwei lange Schlucker aus der Brennspiritusflasche genommen, die alte Gräfin nähte gerade ihren rechten Gummischuh mit Zwirn zusammen und die hochgeborene Komteß rüstete sich, des Vaters Wintermantel wieder mal aufs Leihhaus zu tragen, als es läutete.

Der Graf Emanuelo trank noch schnell den Rest Brennspiritus aus und schlich dann mutig auf seinen zerrissenen Socken nach der Tür, schaute durch das Guckloch und wunderte sich zu Tode, daß nicht der Hauswirt, sondern ein sehr eleganter junger Herr draußen im Flur stand.

Er öffnete, und gleich darauf saß Baffi Iffa, das seidene, parfümierte Taschentuch fest gegen die Nase drückend, dem Grafen in einem Zimmer gegenüber, in dem selbst der hartherzigste Gerichtsvollzieher von einer Siegelung des vorhandenen Möbelgerümpels abgesehen hätte.

Baffi fand, daß es hier schlimmer als unmittelbar neben dem Affenkäfig des Zoo stank. Mühsam seinen dreibeinigen Stuhl im Gleichgewicht haltend, dessen rundes Loch im Rohrsitz die Benutzung als Krankennachtstuhl wahrscheinlich machte, rückte er mit seinem Anliegen heraus und bot dem merkwürdig kräftig nach Brennspiritus duftenden Hausherrn dreitausend Mark als Entgelt für die Kindesannahme.

Der Graf, dessen Geist durch den denaturierten Sprit frisch belebt worden war, kippte vor freudigem Schreck mit seinem Plüschsessel, bei dem die beiden Vorderbeine durch eine darunter geschobene Kiste ersetzt waren, um, rutschte auf den fraglos seit Monaten nicht gesäuberten Fußboden und rief aus dieser Tiefenlager dem Besucher zu:

„Signore – oh, es wird fabrikato, wird gemacht. Ich habe guten Amigo, Duzfreund, auf das Konsulato, und wenn Sie haben Ihre Papiere bei sich, wir können sofort brechen auf.“

Dies war Baffi sehr erwünscht. Er merkte, noch drei Minuten in diesem Saustall, und ihm wurde übel.

Er wartete also auf dem Hof, bis Graf Emanuelo mit der Toilette fertig war. Als dieser dann erschien, war er angenehm überrascht, den edlen Italianno in einem Anzug wiederzusehen, der, wenn man Einzelheiten der Kleidung nicht zu eingehend prüfte, aus dem alten Säufer beinahe einen alten Kavalier gemacht hatte.

Emanuelo trug sogar einen Zylinder, dessen Schäden durch einen sehr breiten Trauerflor kunstvoll verdeckt waren. Das noch immer ungewaschene Gesicht konnte für leicht gebräunt gelten, und daß die Schnürstiefel nur noch Brandsohlen hatten, verbarg Messalla-Miosino geschickt durch einen schlurfenden Gang.

Man fuhr im Auto nach dem Generalkonsulat. Der Graf hatte ein dickes Bündel Papiere mit, ließ sich nun auch von Baffi dessen Personalurkunden geben und bat ihn nachher, im Wartezimmer des Konsulats auf einem der Stühle Platz zu nehmen.

Es dauerte gut eine Stunde, bevor der Graf wieder erschien. Er zog Baffi in eine Ecke und flüsterte ihm zu, der Sekretär Signore Blendino wolle die Sache sofort erledigen, nur müsse Baffi noch tausend Mark für diesen daranwenden und außerdem die Kosten im Betrag von dreihundert Mark sofort vorausbezahlen da er dem Flimmerhelden auch einen mit dem Stempel des Konsulats versehenen Bogen, der eine Erklärung Baffis über freiwillige Annahme der italienischen Staatsangehörigkeit enthielt, zur Unterschrift vorlegte, trug der adelssüchtige Kinomime keinerlei Bedenken, zunächst die dreihundert Mark zu opfern.

Abermals wartete er dann eine halbe Stunde. Da öffnete sich die Tür nach den Bureaus, und strahlend tauchte der Conte Messalla, zwei Papiere in der Hand schwenkend, auf, zog den entsetzten Baffi an seine Brust und flüsterte ihm zu:

„Alles erledigt – alles, teurer figlio, teurer Sohn. Hier die Originalurkunde, hier eine Übersetzung in deutscher Sprache, beides gestempelt und vom Generalkonsul unterschrieben.“

Baffi war doch baff! Daß die Geschichte sich so im Galopptempo würde erledigen lassen, hatte er nicht recht für möglich gehalten aber – nun hatte er alles schriftlich. Er war Italiener und Adoptivsohn eines leibhaftigen Grafen geworden, mit der Berechtigung, sich Conte Gustavio Messalla-Miosino zu nennen. –

Die pekuniäre Seite der Angelegenheit wurde auf Baffis Bank auch sofort geregelt, worauf Vater und Sohn sich mit festem Händedruck trennten.

Nachträglich stiegen Baffi aber doch allerlei Bedenken auf. Daher fuhr er zu einem bekannten Justizrat, legte diesem die Urkunden vor und fragte, ob es mit der Adoption seine Richtigkeit habe. Der Anwalt erklärte, seiner Meinung nach sei alles in Ordnung. Da kehrte der Conte Gustavio denn auch freudestrahlend zu seinem ‚Standesgenossen‛ Castillo zurück, der beinahe Tränen lachte, als Baffi ihm das ‚gräfliche Stinkmilieu‛ schilderte.

Bei Messallas aber floß der Wein in Strömen, standen Delikatessen auf dem wackeligen Tisch und veranlaßten den in diese Schlemmerei hineinplatzenden Hauswirt zu Drohungen und Beleidigungen, auf die hin der Herr Graf ihn drei Hundertmarkscheine vor die Füße warf und mit hoheitsvoller Geste nach der Tür wies.

„Wegen die Injurien kommen Sie in dem Gefängnis,“ sagte er noch drohend, worauf dem armen Wirt himmelangst wurde und er der edlen Familie einen Monat Miete erließ.

Am Nachmittag lagen die drei ‚echten‛ Messallas in malerischer Zwanglosigkeit und totaler Bewußtlosigkeit auf dem schmutzigen Fußboden. Der neue Adoptivsprößling aber öffnete um dieselbe Zeit seiner Ali die Flurtür und führte sie stumm in sein Arbeitszimmer, wo er sich kerzengerade vor ihr aufbaute und – auf den großen Spiegel deutend, der seine Gestalt voll wiedergab, sehr kühl sagte:

„Gnädiges Fräulein, zu meinem großen Bedauern muß ich jetzt diese Beziehungen zu Ihnen lösen. Ich schließe nur eine Ehe mit einer Standesgenossin!“

Ali hatte die Luft prüfend eingesogen. Es roch hier wieder so stark nach demselben Parfüm, das ihr schon damals aufgefallen war und sie hätte daher wahrscheinlich sofort eine bewegte Eifersuchtsszene ihrem Baffi vorgespiegelt, wenn eben nicht ihr Heißgeliebter jetzt seinen ersten Sätzen schnell hinzugefügt hätte:

„Bitte – schauen Sie sich diese beiden Baffis, den hier und den im Spiegel, nur recht genau an! Wir heißen nicht mehr Justav Schneider. Nee – so heißen wir –“

Er reichte ihr die Übersetzung der Adoptivurkunde.

Sie las – las, – ließ den Bogen fallen, flog dem Conte Gustavio um den Hals und schrie:

„Ach – du – du süßes Gräflein, mein süßes, einziges Schäflein, – – ich bin ganz weg vor Seligkeit!“

Sie küßten sich, küßten sich immer wieder. Er hatte sie auf den Schoß genommen, und sie schmiedeten entzückende, himmlische Zukunftspläne, bis, ja – bis Ali wieder zu schnüffeln begann und dann mit einem Satz an der Tür des Bibliothekszimmers war.

Sie rüttelte – rüttelte. –

Verschlossen – wieder verschlossen!

Ihre Eifersucht lohte jäh auf.

„Du – du betrügst mich! – Du hältst dort ein Weib versteckt! Aber – ich werde mich heute nicht wieder durch Redensarten betören lassen. Da kennst du mich schlecht!“

Im Nu hatte sie einen Stuhl ergriffen, wollte damit die Tür einrennen.

Baffi hielt seiner Ali jedoch schon fest.

„Sei doch vernünftig, Hexchen, – ich bitt’ dich! Dort wohnt doch jetzt mein Freund Sillingen. Und – er hat Besuch. – Auch damals hatte ich ihm die Bibliothek zu einer – Aussprache zur Verfügung gestellt.“

Ali wurde unsicher, ließ sich den Stuhl aus der Hand nehmen.

In demselben Moment öffnete sich auch schon die Tür und –

 

 

6. Kapitel

Konsul Meyer hatte das seiner Frau gegebene Versprechen gehalten. Er hatte Mara sogar sehr lieb behandelt. Und sie war ihm dafür so dankbar gewesen. Noch nie hatte sie ihn so mit Zärtlichkeiten überhäuft. Und nach dem Frühstück war sie wie einst als ganz kleines Mädel auf seinen Schoß geklettert, hatte sich an seine Brust geschmiegt und leise geschluchzt.

„Ach – ich bin so – so schlecht. – Ich verdiene eure Liebe gar nicht. Ich bin ein so – raffiniertes Geschöpf –“

„Raffiniert?! Unsinn, Mädel!“ beruhigte er sie. „Du bist nur klug, – klug wie ich und zielbewußt. –

Daß du – Pech gehabt hast, Kleines, daß ein gewissenloser Lump deinen Sektrausch ausgenutzt hat, – das werden wir schon einrenken. –

Weine nicht mehr. Geh’ spazieren nachher, und – zieh’ dir Kleider an, die recht lose und bauschig gearbeitet sind!“

Mara blieb jedoch bis vier nachmittags daheim und änderte bei verschlossener Tür ihre Röcke ein wenig. Als Frau Auguste, die sie erst nach mehrmaligem Klopfen einließ, sie dabei überraschte, meinte die Frau Konsul verwundert:

„Nein – wie geschickt du bist, Kind. Ich staune.“

„Oh – ich kann alles, Mama, – alles! Ich bin beinahe zu klug und zu zielbewußt,“ sagte Mara ernst. –

Um vier ging sie aus. Und zwar – zu Baffi Iffa, wo Tassilo Sillingen sie schon erwartete.

Der lange Taß führte sie sofort in die Bibliothek. Hier erst nahm er ihre beiden Hände in die seinen, sah sie strahlend an und flüsterte:

„Mara – ich habe mich ja so unendlich nach dir gesehen. Ich danke dir, daß du wieder einmal mir dieses Alleinsein gewährst.“

Sie legte ihm die Arme um den Hals, küßte ihn.

„Ich würde öfter kommen, Liebling,“ meinte sie, ihn sacht von sich drängen. „Aber – ich kenne mich! Jedes Alleinsein mit dir steigert meine Sehnsucht danach, ganz dir angehören zu dürfen, ins Ungemessene. Und dieses Sehnen macht mich krank.“

Sie nahm den Hut ab; er half ihr aus dem Mantel.

Sie blickte sich prüfend im Zimmer um. „Also dies ist jetzt dein Heim, Taß. Sehr hübsch und behaglich, wirklich. –

Wo schläfst du denn? – Wohl dort auf dem Diwan, wie?“

„Ja. Die Betten liegen tagsüber im Baffis Schlafzimmer.“

Er zog sie wieder an sich. Sie waren ein hübsches Paar. Und wenn sie so in inniger Umarmung sich küßten, gab es ein Bild ab, das jeden Zeichner begeisterte hätte.

Taß setzte sich in den Klubsessel am Mitteltisch und zog Mara auf seine Knie. Er erzählte ihr von Baffis Erfolg bei dem versumpften Grafen.

„Nun ist er Conte Gustavio. Das hat er dir zu verdanken. Und jetzt wird der Generaldirektor wohl seinen Segen geben. – Ach – wenn’s uns doch nur gelänge, auch ein Mittel zu finden, deinen Vater zu erweichen, Liebling.“

Mara lächelte verträumt.

„Vielleicht – finde ich eins –“

„Du – du?! – Sprich, du hast einen Plan –“

„Vielleicht!“

Und sie küßte ihn. –

Es wurde nebenan plötzlich sehr laut gesprochen. Dann rüttelte jemand an der Tür.

Taß lachte leise. „Das ist Ali – die eifersüchtige Ali! – Ob wir uns nicht besser zeigen? – Es wird eine so nette Überraschung geben.“

Mara war einverstanden. –

Die Tür öffnete sich. Ali ließ den Mund vor Staunen ganz weit auf, rief dann:

„Mara – du – du?! Ach – natürlich: es ist ja dein Parfüm!“

Sie flog der Freundin um den Hals.

„Kinder – das ist himmlisch, entzückend! Zwei liebende Paare jetzt in diesem lauschigen Nest! –

Du, Gustaviochen, Gräfchen, Schäfchen, – spendier’ Sekt heute! Dieser Tag muß doch gefeiert werden! Vergnügt wollen wir sein – so recht ausgelassen!“

Und sie lief ans Klavier, schlug den Deckel hoch, spielte und sang:

Wir – wir – wir, sind so schlau und machen alle so dumm,

Wir – wir – wir, feiern heute hier riesigen Schrumm,

Wir – wir – wir, scheinen kalt und sind doch zu heiß,

Wir – wir – wir, sind nur –

Rrrrrr – machte draußen die Flurglocke.

Ali hörte sofort auf, meinte:

„Du, Gustaviochen, Adoptivsöhnchen, – du schmeißt natürlich jeden raus, sei es, wer es sei.“

Baffi ging in den Flur, ganz leise, schaute durch das Guckloch, – prallte zurück, murmelte:

„Alle guten Geister!“ Dann schlüpfte er in das Zimmer zurück. Er war etwas bleich geworden.

„Kinder – es ist Maras Vater!“ sagte er verstört.

„Prosit Mahlzeit!“ meinte der lange Taß sehr ruhig. „Das kann gut werden.“

Er zog Mara an sich.

„Aber – keine Angst, Liebling!“

Da – schon wieder Rrrrrr.

„Verflucht – der alte Herr läutet Sturm,“ brummte Baffi. „Was tun wir?“

Taß erklärte sofort, er wurde den Konsul allein empfangen.

„Ich bin doch hundeschnäuziger als du, Baffi. Ich werde ihm sagen, du seist ausgegangen. – Mara verschwindet in der Bibliothek. Ihr beide im Schlafzimmer. Aber – daß ihr euch mäuschenstill verhaltet – besonders ihr, Ali und Baffi.“

Er schritt in den Flur hinaus; recht laut, nahm die Sperrkette weg.

Konsul Meyer zog den Zylinder.

„Herr Graf Sillingen? – Sie gestatten: Kommerzienrat Max Meyer.“

„Bitte, Herr Kommerzienrat –“

Im Flur erklärte der Konsul: „Kann ich Sie unter vier Augen sprechen, Herr Graf?“

„Gewiß, mein Freund Miosino ist nicht daheim.“

„Miosino? Ich denke –“

„Baffi Iffa besitzt jetzt den italienischen Grafentitel, heißt Messalla-Miosino.“

„Ah! – Nun gut.“ –

Die Herren betraten Baffis Arbeitszimmer.

Der Konsul schnupperte, dachte: ‚Natürlich sind noch vor kurzem Weiber hier gewesen. Das stinkt wie in einer Duftei.‛

Sie nahmen Platz. Der Konsul begann über Baffis frischen Adel zu sprechen. Er wollte diesem Grafen doch erst mal auf den Zahn fühlen.

Der lange Taß wußte nicht recht, was diese Salonunterhaltung eigentlich solle. Aber nach zehn Minuten waren sie in einem ganz zwanglosen Gespräch über Kinos und Filmkunst. Taß hatte nämlich so nebenbei erwähnt, daß er jetzt selbst Filmstatistik sei.

„Ja – man muß doch leben, Herr Konsul,“ meinte er. Und dann schilderte er, wie es ihm bei seinen Versuchen, eine Stellung zu finden, ergangen war, benutzte auch gleich die Gelegenheit, den Konsul eins auszuwischen.

„Es gibt hier leider sehr viele Leute, die in jedem Adligen nur einen Schmarotzer sehen, die glauben, unsereiner wolle nicht arbeiten. Diese Adelsfeinde kennen eben die Schwierigkeiten nicht, die gerade uns in den Weg gelegt werden, eine lohnende Beschäftigung zu erhalten –“

Und so redete er eine ganze Weile.

Der Konsul war sehr rot geworden.

„Das einzige Mittel ist eben,“ fuhr Taß fort, „den Adel zu verschweigen. Auch ich nenne mich jetzt Tassilo Sillingen. Den Grafen habe ich in die alte Erinnerungskiste verpackt.“

‚Hm,‛ dachte Max Meier, ‚das ist ja ein Mensch mit durchaus normalen Ansichten. Wer hätte das geahnt! Freilich – die Sauerbier ist ja auch rein verliebt in ihn‛ –

Er hielt es nunmehr für angebracht, mit seinen Vorschlägen herauszurücken.

„Herr Graf –“

„Bitte – Herr Sillingen –“

„Also – Herr Sillingen, mich führt eine äußerst delikate Angelegenheit zu Ihnen! – Ich bitte um Ihr Wort, daß Sie hierüber –“

Taß verbeugte sich schon.

„Mein Wort! Diskretion Ehrensache!“

Der Konsul sprach jetzt ganz leise. „Würden Sie geneigt sein, ein junges Mädchen aus guter, sehr wohlhabender Familie zu ehelichen und zwar sofort, – ein Mädchen, das hübsch, klug und von gutem Charakter ist, aber das Unglück gehabt hat, eine kurze Liebelei mit – sehr peinlichen Folgen zu büßen. – Die junge Dame erhält sofort eine Mitgift von einer halben Million. Sie selbst könnten dann als Teilhaber in die Firma Ihres Schwiegervaters eintreten.“

Taß wurde plötzlich der Kragen zu eng. Er atmete schwer. Ein furchtbarer Verdacht war in ihm aufgestiegen.

„Bevor ich nicht weiß, wer die Dame ist, könnte ich mich nicht entscheiden,“ meinte er gepreßt.

Der Konsul neigte sich vor.

„Es ist mein einziges Kind, Herr Graf. Sie haben ja mit ihr bereits ein paar mal getanzt. – Sie tun ein gutes Werk, wenn Sie –“

Tassilo Sillingen war wie vom Donner gerührt. Ganz entgeistert starrte er den Konsul an.

Also Tatsache, – seine – seine Mara, seine erste, große, einzige Liebe nicht mehr rein, – mehr noch, bald – Mutter eines Kindes –! –

Und er – er hatte sie stets trotz aller stürmischen Zärtlichkeiten behandelt wie eine kleine Heilige, sich nie – nie etwas herausgenommen, nie –! –

Und nun – nun!

Langsam gewann er die Fassung zurück.

„Bedaure, Herr Konsul,“ sagte er hart und richtete sich kerzengerade auf. „Bedaure – für solche Zwecke bin ich nicht käuflich. Das ist mein letztes Wort. Eine Fortsetzung dieser Unterredung wäre genau so ergebnislos.“

Er erhob sich. Und Max Meyer dachte: ‚Schade – er gefällt mir gut. Gerade diese Ablehnung zeigt, daß er kein gewissenloser Windhund ist.‛

Er verabschiedete sich. Sehr gedrückt stieg er die Treppen hinab. –

Woher nur jetzt einen anderen Aushilfsvater nehmen?! Woher nur?! Ein Jammer, daß dieser nette, lange Mensch so – so anständige Ansichten hatte –

 

 

7. Kapitel

Taß ging wie im Traum in das Zimmer zurück, sank in den Sessel. –

Seine Mara – seine Mara! Alles durchschaute er jetzt! Alles! Sie hatte ihn nie geliebt – nie! Sie waren so schlau gewesen, hatte Liebe geheuchelt, um ihn zu fangen – als Aushilfsvater! –

Pfui Teufel! So ein raffiniertes Weib!

Da – hinter ihm kreischten leise die Angeln der Bibliothekszimmertür.

Mara huschte auf ihn zu.

„Taß, was wollte mein Vater –“

Er schob sie von sich. Und eisig kühl sagte er:

„Er wollte, daß ich – ohne Liebe heirate, – ein Mädchen, das mich schamlos hintergangen hat. – Zwischen uns gibt es keine Gemeinschaft mehr, mein Fräulein. – Leben sie wohl! – Briefe würde ich ungeöffnet zurückschicken.“

Er eilte in den Flur, nahm Hut und Mantel und verließ schnell die Wohnung.

Mara stand minutenlang regungslos. Erst rollten ihr ein paar Tränen über die Wangen. Dann holte sie ihre Sachen aus der Bibliothek, setzte den Hut auf, zog den Mantel an, streifte die Handschuhe über – alles ganz mechanisch.

Sie klopfte nun an die Schlafstubentür.

„Auf Wiedersehen,“ rief sie leise. „Oder – kommst du mit, Ali?“

Baffi antwortete:

Ali ist – der Schuh aufgegangen. Wir sind noch beim zuschnüren. Auf Wiedersehen, Marachen!“

Ali meldete sich überhaupt nicht.

Mara dachte sich so manches. Als sie daheim anlangte, rief die Frau Konsul sie in des Vaters Arbeitszimmer. Hier berichtete dieser ihr dann in aller Kürze, weshalb er soeben bei dem Grafen Sillingen gewesen sei, den sie ja wohl auch oberflächlich kenne.

„Heiraten mußt du, Kind, – und zwar schleunigst,“ betonte er nochmals, unbewußt ihr direkt auf den sich wölbenden Leib starrend.. „Nun können wir zusehen, wo wir so schnell einen anderen Gatten für dich auftreiben. Es tut mir wirklich sehr leid, daß dieser Sillingen so rundweg abgelehnt hat – sehr leid. Er hat mir gefallen. Er hat so etwas Offenes, Frisches und Natürliches.“

Mara schaute vor sich hin. „Ich – ich will versuchen, ihn umzustimmen,“ meinte sie leise. „Papa, du könntest nachsehen, ob Baffi Telephon hat. Dann bestelle den Grafen her. Erkläre ihm, es handele sich nicht um die bewußte Angelegenheit; du möchtest nur von ihm als Ehrenmann erwarten, daß er sich hier einfindet. Sage ihm, du bätest heute noch gegen neun Uhr um seinen Besuch. – Ich werde ihn dann empfangen – in meinem Salon.“

Der Konsul war sprachlos.

„Aber Kind, – du – du?! Ich begreife das nicht – wirklich nicht –“

„Oh – du wirst begreifen. Ich – weiß ein Mittel, daß ihn – gefügig machen wird.“

Plötzlich ging dem Konsul ein Licht auf.

„Mara,“ rief er leise, „Mara – ist der etwa derjenige, der damals beim Gartenfest bei Schröders –“

Sie unterbrach ihn, schaute ihn ehrlich an.

„Nein, Papa, – er – kann es nicht gewesen sein, und er war es auch nicht. Ich kenne Sillingen erst sechs Wochen etwa, seit dem Ball im Opernhaus.“

Auch Frau Auguste mischte sich nun ein.

„Mara – was hast du vor?“ fragte sie ängstlich. „Kind, Kind – mach’ um Himmels Willen keine dummen Streiche. Ich –“

„Keine Sorge, Mama. – Ich bitte euch nur, mich mit Sillingen allein zu lassen. Das, was ich mit ihm zu besprechen habe, erfordert längere Zeit. Aber – der Erfolg ist ganz sicher.“ –

Der Konsul läutete Baffi an und bat dann Sillingen an den Apparat. Nach einigem Hin und Her erklärte der Graf, er würde sich bestimmt um neun Uhr einfinden.

Die Dienstboten bei Meyers wurden bis Mitternacht beurlaubt. Über den drei Menschen, die nun in der großen Wohnung allein waren, lag eine Art elektrische Spannung. Der Konsul fand nicht einmal für seine Abendzeitungen die nötige Ruhe. Frau Auguste irrte ebenso ruhelos umher. Um halb neun ging Mara in ihre beiden Zimmer gegenüber nachdem sie den Eltern vorläufig gute Nacht gesagt hatte.

„Ich komme ja sehr wahrscheinlich noch zu euch,“ meinte sie. „Und – ich werde Sillingen mitbringen. Aber – macht euch auf anderthalb Stunden Wartezeit gefaßt.“

Kurz vor neun schrillte die Flurglocke.

„Mein Gott,“ stöhnte Frau Auguste, „– was wird daraus nur werden?“

„Hoffentlich noch heute eine Verlobung,“ brummte der Konsul. „Mara ist meine Tochter! Sie wir wissen, was sie tut.“ –

*

Ali Salzmann hatte die beiden Urkunden., die aus Gustav Schneider einen Conte Gustavio Messalla-Miosino gemacht hatten, mit nach Hause genommen. Man speiste bei Salzmanns punkt sieben.

Ali sah bei Tisch noch recht erhitzt aus. Beim zweiten Gang wurde ihr ganz plötzlich so übel, daß sie schnell ins Badezimmer mußte. Sie kam aber sehr schnell zurück, trank ein Glas Rotwein und war wieder völlig gesund. Nur als es als vierten Gang ihr Leibgericht, Spargel kalt mit pikanter Tunke und Röstkastanien gab, erklärte sie, sie könne den Geruch nicht vertragen und keinen Bissen davon genießen.

Frau Generaldirektor schüttelte den Kopf.

‚Komisch!‛ dachte sie. ‚Na – es wird ein Zufall sein.‛

Doch – als Ali drei Teelöffel Speise genommen hatte, mußte sie schon wieder schleunigst verschwinden.

Robert Salzmann schaute seine Frau fragend an.

„Sie muß sich erkältet haben,“ knurrte er. „Gib ihr nachher Choleratropfen.“

Nach Tisch bat Ali, die schon wieder ganz wohl war, die Eltern allein sprechen zu dürfen.

Im sogenannten kleinen Salon fand dann die feierliche Unterredung statt. Ali näherte sich auf Umwegen ihrem Ziel, begann zuerst von Sillingen, der doch als Freier für sie nicht mehr in Betracht käme, und sagte dann:

„Auf dem Wohltätigkeitsball im Zoo hat mir doch der Filmschauspieler Baffi Iffa recht auffallend den Hof gemacht. Ich finde ihn ganz nett, und –“

Sofort platzte der Herr Generaldirektor los:

„Du, untersteh’ dich, mir einen solchen Kerl etwa als Schwiegersohn präsentieren zu wollen. Untersteh’ dich, – und ich –“

„Aber Papa, – wo werde ich einen Menschen heiraten wollen, der ja in Wahrheit nur Gustav Schneider heißt, Baffi Iffa ist nur sein Künstlername.“

„Das soll ein Name sein,“ lachte Salzmann ironisch. „Das klingt, als ob ‛n Köter sprechen lernen will!“

„Dieser Baffi Iffa –“

„Herr Gott – nenn’ den Kerl doch Schneider, Mädel. Bei diesem Biff Baff dreht sich mir rein der Magen um.“

„Gut. – Schneider schein sich nun ernstlich in mich verliebt zu haben. Heute nachmittag sprach er mich auf der Straße an.“

„So eine Frechheit!“

„– an und erzählte mir, er sei mit den italienischen Grafen Emanuelo Messalla-Miosino so eng befreundet, daß dieser ihn heute adoptiert habe. Aus Schneider ist nun also ein Graf Gustavio Messalla-Miosino geworden.“

„Ah – das klingt! Das lob’ ich mir!“

„Der junge Conte gab mir auch die Urkunden mit, die über diese Adoption ausgestellt worden sind. Er hat sie bei Justizrat Kohn nachprüfen lassen. –

Hier sind die Dokumente. Dies hier ist die beglaubigte Übersetzung.“

Salzmann las.

„Hm – er stimmt. – Der Baffi ist doch eine recht berühmte Kinogröße. Jetzt als Graf wird er dann noch mehr verdienen. Und ein flotter, hübscher Mensch ist’s auch. – Hm – wie kam er denn eigentlich dazu, Ali, dir die Urkunden –“

„– weil er mir einen Antrag gemacht hat.“

„Wahrhaftig? Einen Antrag? – Frau, was sagst du dazu?“

„Ja – wenn Ali ihn lieben würde –“

Ali flog der Mutter schon um den Hals.

„Ich – ich liebe ihn ja ganz nett. – Ach, Papa, – telephoniere ihn doch an. Er will zu Hause bleiben. Ich habe ihm gesagt, vielleicht würdest du ihn noch heute – einladen.“

„Ho – ein guter Gedanke! – Mädel – komm’ her, kriegst ‛n Kuß! – Und wenn der Graf einverstanden ist, kann er die Bewirtschaftung unseres Gutes übernehmen, denn – einen Flimmerhelden möchte ich doch nicht gern zum Schwiegersohn haben!“

Und – Conte Gustavio kam, sah und siegte. Man trank Sekt, feierte allgemeine Verbrüderung, und – Ali mußte auch zweimal wieder verschwinden, mußte auch Choleratropfen nehmen.

Aber – die halfen nichts.

Es ging sehr vergnügt bei Salzmanns her. Man blieb bis zwei Uhr morgens beisammen. Und man bestellte auch schon die Verlobungskarten und die Anzeigen für die Tagesblätter.

 

 

8. Kapitel

Tassilo Sillingen stürmte nach der kurzen Aussprache mit Mara die Treppen hinab. Gerade in der Haustür traf er mit dem Postboten zusammen.

„Ah – Herr Graf, – einen Augenblick,“ meinte dieser. „Ich habe einen Einschreibebrief für Sie.“

Taß quittierte, sah auf dem großen Umschlag die Firma zweier Anwälte, schob den Brief in die Tasche und irrte dann eine halbe Stunde, getrieben von seinen wechselvollen Gedanken, durch die Straßen.

Er würde Mara so leicht nicht vergessen. Das wußte er. Diese Liebe ließ sich nicht aus dem Herzen wegwischen wie flüchtige Bleistiftschrift!

Endlich kehrte er dann heim, fand Baffi schon beim Abendbrot und erklärte sofort, dieser solle den Namen Mara nie mehr erwähnen. Zwischen ihm und – dieser Dame sei Schluß – für alle Zeiten. Die Gründe dürfte er nicht angeben. Baffi solle daher gar nicht danach fragen.

Sie speisten schweigen. Dann dachte Taß an den Brief, schnitt ihn auf, las – las –:

„– mitzuteilen, daß das gestern nacht verstorbene Fräulein Adelina von Menking Euer Hochgeboren zu ihrem Universalerben eingesetzt hat, da die verblichene einst Euer Hochgeboren Herrn Vater geliebt, aber besonderer Umstände wegen nicht hat heiraten dürfen, und diese Liebe nun auf Euer Hochgeboren als den Sohn mit solcher Innigkeit übertrug. – Der Wert der Erbschaft beträgt rund zwei Millionen –“

Taß flatterte der Briefbogen aus der Hand. Dann stand er auf. Sein erster Gedanke war –: Mara! –

Oh – wenn sie rein gewesen, wenn – er nun hätte vor ihrer Eltern hintreten dürfen – , – doch vorbei – vorbei!“ –

Kurz vor neun läutete er bei Meyers an der Flurtür.

Und – Mara öffnete ihm, Mara in einem sehr anliegenden Kleid, dessen vortretende Wölbung sehr deutlich erkennen ließ, wie es um sie stand.

Er machte sein eisigstes Gesicht. Sie aber nahm ihn bei der Hand, zog ihn in den Flur, flüsterte: „Ich werde dir beweisen, daß ich deiner wert bin!“ zog ihn weiter mit in ihren Salon, riegelte die Tür zu, trat unter die elektrische Krone, drehte ihm ihre Gestalt in der Profillinie zu.

Und – wie deutlich verriet diese Linie – alles!

Dann wandte sie sich ihm zu mit tief gesenktem Kopf.

„Taß, ich bitte dich,“ sagte sie schwer atmend, „dich dort in den Sessel zu setzen und kurze Zeit zu warten. Tu’s, Taß, – es wird uns Glück bringen.“

Er zuckte die Achseln. „Bitte, keine Komödie irgend welcher Art,“ meinte er. „Ich würde –“

„Taß – wenn du mich je geliebt hast,“ unterbrach sie ihn, „dann erfüll mir diese Bitte.“

Er setzte sich. Und er dachte an die Villa gegenüber.

Dort hatte die einsame Frau Liebeleer, deren Erbe er nun geworden, ihr Dasein vertrauert.

Liebeleer!

Und selbst er konnte diesem alten Fräulein, dieser Jugendliebe seines Vaters, nicht einmal mehr sagen, wie er sie verehrte, – nicht des Geldes wegen, das nun sein – nein, weil in ihrem Herzen eine so treue Anhänglichkeit an seinen Vater fortgelebt hatte.

Mara war vorhin in ihrem Schlafzimmer verschwunden. Nun hörte er diese Tür aufgehen, hörte leise Schritte, hob den Kopf.

Mit einem Satz sprang er empor, streckte die Arme abwehrend aus.

Mara stand da. –

Und – sie war nackt, völlig nackt. Nur das Gesicht hatte sie mit einem weißen Schleier halb verhüllt.

Und – noch etwas: Um die Hüften trug sie eine breite, vielfach um den Leib geschlungene, rote Flanellbinde.

Und ihre nackten Arme wickelten diese Binde jetzt schnell ab, immer schneller, diese endlos lange Binde, die etwas vorgetäuscht hatte, was nie gewesen.

Nun warf sie die Binde zu Boden, drehte sich langsam um sich selbst, zeigt die ihm besonders ihre Profillinie – nur Sekunden.

Dann griff sie blitzschnell nach dem auf dem Stuhl bereit liegenden Kimono, schlüpfte hinein, warf aber den Schleier ab.

Da – da begriff er alles. Und er war vor ihr, riß sie in die Arme.

„Du – du, – also so – so wolltest du aus uns ein Paar machen –“

Sie schaute lächelnd zu ihm auf.

„Taß – ich bin rein, ganz rein. Und nur – die Flanellbinde brauchte einen Aushilfsvater, nicht ich!“

Er küßte sie, küßte sie.“

Und nach einer Stunde standen sie aneinandergeschmiegt am Fenster und schauten hinüber nach der Villa, sahen dort nur die hohen Bogenfenster des Saales erleuchtet, ahnten, daß dort die Leiche Adelina von Menkings aufgebahrt war. –

Herr und Frau Meyer wurden immer nervöser.

Und gerade als Frau Auguste doch mal bei Mara anklopfen wollte, trat dieser hastig ein, legte ein Päckchen mit einem Zettel auf den Tisch und lief wieder hinaus.

Der Konsul griff nach dem Päckchen. Es war eine in Papier gewickelte endlos lange Leibbinde. Die Ehegatten sahen sich fraglos an. Dann nahm Frau Auguste das Blatt Papier, las laut vor:

Liebe Eltern!

Alles war nur ein ganz raffinierter Schwindel von mir. Ich wollte mir so auch vor Euren Augen meinen Tassilo erringen, mit dem ich seit zwei Wochen heimlich verlobt bin. Er sollte Aushilfsvater für ein Kind werden, das noch gar nicht unterwegs war. –

Verzeiht mir! –

Tassilo ist noch bei mir und erhofft Euren Segen zu unserer – freiwilligen Verlobung.

Der Konsul lachte ganz glücklich laut heraus.

„Na so eine kleine Kanaille! – Gustelchen, los, – gehen wir gratulieren! Ich danke ja Gott, daß die Sache – ohne Kind abgegangen ist!“

Als Conte Gustavio sechs Wochen später das Aufgebot bestellen wollte und seine Papiere vorlegte, kam – er ganze schlaue Schwindel des alten Grafen Emanuelo an den Tag. Dieser hatte die Urkunden sehr geschickt gleich damals auf dem Konsulat gefälscht.

Eine Adoption war nämlich ausgeschlossen.

Der Generaldirektor tobte. Aber – er beruhigte sich schnell, als seine Frau ihm erklärte:

„Du – davon kann keine Rede sein, daß die Verlobung gelöst wird – keine Rede! – Denn Alis häufige Übelkeit hat eine besondere Ursache. Unser erstes Enkelkind ist – schon im Anmarsch. Und um jeden öffentlichen Skandal zu vermeiden, tun wir am besten auch Ali und Gustav gegenüber, als ob wir von nichts wüßten.“

Herr Salzmann stöhnte auf. „Also doch ein Schneider – ein ganz gewöhnlicher Gustav Schneider als Schwiegersohn! Oh Tücke des Schicksals! Gerade Meyers haben den Grafen gefischt, und wir den Bürgerlichen. – Na – trösten wir uns. Der Gustav ist ein famoser Kerl, nur – mit dem Vaterwerden hätte er’s nicht so eilig haben sollen!“