von
Bruno Urbig
Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.
Bitte sehr: so, wie Sie denken, ist diese Geschichte nicht – noch lange nicht!
Ich kann mir vorstellen, was Sie denken! –: Dreieckehe! Ah – so – mit ‛n Hausfreund! Alte Schose! Abgenutzter Stoff! Findet sich in jedem französischen Roman und Schwank!
Na – ich sage nur: Sie werden sich wundern! –
Bitte: es gibt nämlich auch durchaus anständige Dreieckehen. Tatsache! –
Gewiß – selten sind sie! Etwa so selten wie heute ein Bauer, der aus Mitgefühl ein Pfund Butter für zwei Mark abläßt! Aber – es soll solche Bauern geben, hat mir mein Freund Lehmann erzählt. Und der hat’s wieder von Schultze, dem Direktor der Kriegsgesellschaft zur Herstellung von ‚echter‛ Ochsenschwanzsuppe aus Ersatzstoffen. Und Schultze lügt nicht. Er ist sogar so ehrlich, vor dem Genuß der eigenen Ochsenschwanzsuppe zu warnen! Das nennt man geradezu Selbstverleugnung.
Also diese Dreieckehe hier ist eine Rarität, ein rarer Bissen, etwas für Feinschmecker! – Sie werden’s sehen! –
Diese Ehe begann wie alle: Mit der Verlobung.
Aber – die Verlobung kam nicht aus sich selbst heraus, das heißt, nicht lediglich mit Wissen und Willen der beiden bei jeder Verlobung beteiligten Parteien zustande, sondern wurde ‚jemennetscht‛ – zu deutsch: ‚gemanagert‛. Und Manager war Mathildchen Mama, die Frau Realschulprofessor Adelgunde Zimberling.
Zimberlings erfreuten die Kreisstadt Neu-Berlin durch ihre bereits zwanzigjährige Anwesenheit. Weshalb man dieses mitten in einer eisenbahn- und flußlosen Wüstenei gelegene Krähenwinkel ausgerechnet Neu-Berlin getauft hatte, begriff kein Mensch. Eher hätte Alt-Berlin gepaßt. Denn von modernen Einrichtungen besaß Neu-Berlin lediglich eine Trinkerheilanstalt, deren Insassen heimlich die besten Kunden der Spritfabrik von Samuel Pflaumenstock war. Im übrigen war nichts in dieser Kreisstadt modern, am allerwenigsten die Menschen. Wurde mal ein unverheirateter Beamter aus einer größeren Stadt dorthin versetzt, und war dieser Beamte nicht gerade ein Anpassungstalent allerersten Ranges, dann gab es für ihn nur drei Möglichkeiten, totaler Verblödung zu entgehen:
Erstens: Selbstmord! Das war am sichersten. –
Zweitens: Anbahnung von Verkehr auf den umliegenden Gütern. Das war schwer. Die Gutsbesitzer hießen alle ‚von‛ und waren stolzer und unzugänglicher als der Gaurisankar. –
Drittens: Schleunigste Heirat mit einer Großstädterin.
Nun – Junggesellen kamen denn auch sehr selten nach Neu-Berlin. Die meisten erfanden rechtzeitig eine List, dieser Strafe sich zu entziehen.
Nur Dr. Theobald Stramm verzichtete auf jede Einrede und Ausrede gegenüber seiner vorgesetzten Behörde, als sie ihn als Nachfolger des an Delirium tremens unselig Entschlafenen Oberlehrers Knickebein nach Neu-Berlin schickte.
Im Gegenteil – Theobald war überglücklich, daß er’s wurde. Denn er war bei den Herren Vorgesetzten nicht gut angeschrieben, da er sich nirgends Respekt zu verschaffen wußte. Und ein Oberlehrer, dem die Herren Jungen dauernd auf der Wippnase herumtanzten, ist ein Unding.
So ein Unding war der von Mutter Natur bei der Ausstattung mit körperlicher Schönheit sehr stiefmütterlich behandelte Theobald.
Zu Theobald paßte der Name Stramm genau so wenig wie zu seinem neuen Wohnort die Bezeichnung Neu-Berlin. An ihm war nichts stramm. Im Gegenteil: von oben bis unten wirkte er absolut schlapp. Das fing schon bei der blonden Künstlermähne, dem schief sitzenden Kneifer, dem dünnen, herabhängenden Schnurrbart, der Wippnase und den Riesenohren an. Das setzte sich fort bei dem dürren, vornübergebeugten Körper, der Hühnerbrust, den X-Beinen und den einwärts stehenden Füßen, Schuhgröße 52. Das wurde noch erhöht durch die schlichte, an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten Bekleidung, den Umlegkrage und die hellblauen Eisenschlipse – im Gegensatz zu Selbstbindern.
Kurz: Theobalds Reize – er besaß solche wirklich! – waren eben lediglich innerliche, das heißt, sie lagen in seinem Charakter verborgen. Der war über jedes Lob erhaben!
Sein Vater war Pfarrer und hatte das einzige Kind bis zum Abiturientenexamen daheim vorbereitet. Dann hatte Theobald während seiner Universitätszeit bei seiner Tante Auguste Stramm in Rostock wohnen müssen, und diese Tante war Vorsitzende des Vereins ‚Tugendrose‛, nebenbei alte Jungfer und achtundfünfzig Jahre alt. So kam es denn, daß aus Theobald ein Gewächs zurechterzogen wurde, das für die heutige verderbte Welt total unbrauchbar war.
Und dieses Gewächs wurde nun nach Neu-Berlin verpflanzt, fand Zimmer nebst Verpflegung bei der verwitweten Frau Veterinärrat Hengst und geriet so in dasselbe Haus, in dem im ersten Stock Zimberlings wohnten.
In Neu-Berlin gab es drei Gesellschaftskreise, die jeder für sich in einem Verein sich zusammengetan hatten und zwischen denen Spinnefeindschaft herrschte.
Zunächst die Studierten, Verein ‚Harmonie‛. –
Dann die Halbstudierten, die Subalternden, die Kaufleute und so weiter, Verein ‚Berolina‛.
Schließlich die Handwerker, die Fuhrleute und die Unterbeamten, Verein ‚In Treue fest‛.
Frau Rat Hengst gehörte zur zweiten Sorte. Denn in Neu-Berlin wurde ein Tierarzt nicht für voll angesehen. Zimberlings aber waren Mitglieder der ‚Harmonie‛. Mithin war Feindschaft gesäet zwischen Marktstraße Nr. 6 erstem und zweitem Stockwerk.
Daß in einer Stadt wie Neu-Berlin, wohin sich niemals ein Junggeselle verirrte, ein Überfluß an heiratsfähigen und heiratswütigen Jungfrauen vorhanden war, ist selbstverständlich.
Und daß das Auftauchen eines Heiratskandidaten wie Theobald, der Doktor und Oberlehrer war, geradezu eine Revolution in verschiedenen Familien hervorrufen mußte, ist noch selbstverständlicher.
Als Frau Adelgunde Zimberling mittags erfahren hatte, daß eine Stunde vorher ‚die Hengst‛ ihr Vorderzimmer an Knickebeins Nachfolger vermietet hatte, sagte sie beim Mittagessen zu Mann und Tochter:
„Wir werden uns fortan zu der Hengst anders stellen. Ihr versteht, sie könnte Mathildchens Aussichten untertreiben.“
David Zimberling nickte nur. Er hatte im Haus überhaupt nur zu nicken – zu sagen gar nichts.
Mathildchen aber war hold errötet. Sie konnte das – auf Kommando fast. Man unterschätze diese Fähigkeit nicht! Sie will gelernt sein!
Mathildchen war ein ähnliches Gewächs wie Theobald. Aber natürlich weiblichen Geschlechts. Nie hatte ihr Fuß den Heimatsboden Neu-Berlins verlassen, nie war ihre Reinheit und Keuschheit irgendwie bedroht worden. Dazu paßten ihre Eltern viel zu gut auf. Bis zum zwanzigsten Geburtstag hatte sich beinahe noch an den Storch geglaubt und sich die Ehe als ein rein platonisches Freundschaftsverhältnis vorgestellt, daher auch nicht begriffen, weshalb Eheleute durchaus in einem Zimmer von Anfang an Bett an Bett schlafen müßten, was doch schrecklich peinlich sein dürfte.
Als sie dann zufällig aus dem Bücherschrank ihres Vaters mal ein Buch mit dem Rückenaufdruck ‚Geschichte der Republik Mexiko‛ herausgenommen und gesehen hatte, daß in diesem harmlosen Einband ein Buch mit der Titelaufschrift ‚Liebesleben in Alt-Griechenland‛ sich verbarg, als sie dann dieses Liebesleben nachts im Bett bei Kerzenschein heimlich studiert hatte, da waren ihr plötzlich beide Augen aufgegangen – und wie!
Denn das harmlose Buch war eine Übersetzung aus dem französischen und ließ an Deutlichkeit der Schilderung der Beziehungen zwischen Mann und Weib nichts zu wünschen übrig.
Und als sie fünfundzwanzig alt war, da erschien in Neu-Berlin und im Haus Marktstraße Nr. 6 der Mann, den die Mutter nun für sie erkämpfen wollte. Denn ein Kampf würde es werden, das war sogar Mathildchen klar. –
Frau Adelgunde sprach jetzt weiter.
„Kind, du wirst jetzt im Hause das hellblaue, halsfreie Kleid tragen, dazu die Spangenschuhe und die dünnen Strümpfe.“
Mathildchen hauchte ein „Ja, Mama!“ und dachte: ‚Ich trage das Blaue nicht gern. Ich bin so mager und habe so tiefe ‚Salzfässer‛.‛ Worunter man bekanntlich die Hauthöhlen unter dem Schulterbein versteht.
Mathildchen hatte recht: Sie war recht mager! – Daran war sie unschuldig, denn beide Eltern waren lediglich mit Haut überzogene Knochengerüste. Wo sollte da ein rundliches Kind herkommen?!
Und wieder sprach Frau Adelgunde:
„David, du wirst deinen neuen Kollegen sofort nach dem Kaffee besuchen und dich erbieten, ihn mit den hiesigen Verhältnissen vertraut zu machen. Zum Abendbrot bringst du ihn dann mit herunter. Ich habe ihn mir durch das Fenster angesehen, als er über die Straße kam. Er sieht so aus, daß man getrost wagen kann, ihn sofort an uns zu ketten. Doch –er sollte nichts merken.“
David nickte. Damit war die Sache abgetan und wurde auch genau so erledigt. –
Nach Tisch ging Frau Adelgunde zur Hengst und borgte sich von ihr zum Schein ein Kochbuch, blieb anderthalb Stunden und legte der Veterinärrätin nahe, aus der ‚Berolina‛ auszutreten und sich in die ‚Harmonie‛ zu melden, wo ihr David mit im Vorstand sei. –
Die Hengst fühlte sich sehr geehrt und half dann aus Dankbarkeit, Theobald für Mathildchen einzufangen.
Abends saß dann Theobald bei Zimberlings und bekam Kalbsbraten und Tilsiter Käse und helles Bier sowie unzählige freundliche Worte vorgesetzt. Mathildchen benahm sich derart züchtig, daß er sofort in ihr eine Seelenverwandte sah und sich von ihr nach dem Abendessen im Salon ‚Das Gebet einer Jungfrau‛, ‚Die Donauwellen‛ und den ‚Hochzeitsmarsch aus dem Propheten‛ vorspielen ließ, dann mit ihr verhältnismäßig zwanglos über Literatur plauderte, wobei Thildchen verriet, daß sie moderne Romane nicht lesen dürfe und auch nicht lesen wolle.
„Ich lese am liebsten die Sachen der Marlitt,“ gestand sie. „Darin sind die Menschen ganz so geschildert, wie ich sie bisher hier in Neu-Berlin kennen gelernt habe.“
Theobald pflichtete ihr bei. „Moderne Romane sind sämtlich Schmutz, sagt mein hochverehrter Vater. Er warnte mich ganz besonders vor dem Tagebuch einer Verlorenen. Ich weiß nicht, was drin steht. Es muß aber sehr häßlich sein.“
„Ich führe auch ein Tagebuch,“ lispelte Thildchen. „Das kann jeder lesen.“
Dieses Geständnis hatte Frau Adelgunde ihr nahegelegt. –
‚Er wird dann sehen, wie tief und ernst veranlagt du bist,‛ hatte sie gesagt.
Theobald biß auch wirklich an, bat um das Tagebuch, las und dachte: ‚Welch reine Seele!‛ –
Kurz – die Aktien standen für Zimberlings vorzüglich. Und die nächsten acht Tage bis Schluß der Osterferien wurde Theobald dann derart mit Beschlag belegt, daß er außer dem Direktor der Realschule weiter keinen Neu-Berliner näher kennen lernte.
Nur eine Neu-Berlinerin. Und – die rechnete für Frau Adelgunde nicht mit. Denn es war die Tochter der Frau Siebert, der Besitzerin eines Weißwarenladens. –
Toni Siebert hatte Theobald eine neue Krawatte verkauft, hatte ihm auch bei der Auswahl mit ihrem Rat geholfen und mit ihm so nett und heiter geplaudert, daß er die vergnügten Augen Tonis nicht leicht vergaß.
Doch – was wollte das gegenüber der Einkaufspolitik Adelgundes bedeuten?! –
Toni wurde als ein ‚ziemlich flatterhaftes Wesen‛ bezeichnet, als Theobald bei Zimberlings von ihr beiläufig sprach. –
Und am Tage vor Schulanfang klappte dann die Falle zu.
Thildchen war für diesen Endkampf von der Mama sehr genau unterrichtet worden. –
Am Nachmittag gingen Zimberlings spazieren. Thildchen blieb daheim. Und um fünf kam dann Theobald. Das Paar setzte sich auf den Balkon. Sofort richteten sich hinter den Gardinen der Nachbarhäuser fünf Ferngläser auf die beiden. –
Um sechs Uhr kehrten Zimberlings zurück. Und Frau Adelgunde trat nun in Aktion, stürmte auf den Balkon, rief mit überschlagender Stimme empört:
„Aber Herr Doktor!“
Worüber Theobald ganz entsetzt war und stotterte:
„Ja – was, was habe ich denn –“
„Was Sie getan haben?! – Das sage ich Ihnen im Salon. – Bitte – kommen Sie!“
Und im Salon gab’s die Katastrophe.
„Herr Doktor – was denken Sie eigentlich! Wir, mein Mann und ich, sind nicht zu Hause, auch unsere Minna ist ausgegangen, und Sie – Sie bleiben eine volle Stunde allein mit meinem armen Kind in der Wohnung, stellen sich noch auf den Balkon, so daß nun jeder in der Stadt weiß, der Dr. Stramm und Mathilde Zimberling waren volle sechzig Minuten ohne jede elterliche Aufsicht! –
Herr Doktor, Sie haben mein Kind in unerhörter Weise dem öffentlichen Gerede preisgegeben, Sie haben –“
Und da begann sie zu schluchzen.
Theobald war gänzlich verdattert diesen Angriffen gegenüber. Und als Frau Adelgunde nun hinzufügte:
„Herr Doktor, – ich habe nur eine Entschuldigung für Ihr Benehmen daß Sie sich eben mit ernsten Absichten tragen und wünschen, zu uns in nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu treten –“
Da griff Theobald nach diesem Versöhnungsanker und sagte schnell:
„Ganz recht, liebe Frau Professor, ganz recht!“
Worauf Frau Adelgunde verschwand und Thildchen in den Salon schickte, die sofort auf Theobald zuschritt und ihm – um den Hals fiel und flüsterte:
„Mein Geliebter, die Mama hat mir gesagt, daß du um meine Hand angehalten hast. Ach – ich bin so glücklich!“
Theobald stand starr und stumm. Ihm war das alles doch zu plötzlich gekommen.
Aber – Hilfe nahte: das Ehepaar Zimberling mit gezücktem Segen!
Frau Adelgunde rief: „So Kinder, nun gebt euch den Verlobungskuß!“ –
Und da fand Theobald den Mut dazu.
Und sechs Wochen darauf war die Hochzeit.
*
Hm – die Hochzeit!
Gewiß – es war ein. Es war aber auch keine. Denn zu jeder Hochzeit gehört doch eine Nacht, in der die platonische Liebe in die eheliche verwandelt wird.
Doch – alles der Reihe nach. –
Geladen waren nur die allernächsten Verwandten, drei ‚Freundinnen‛ Thildchens, die aber aus wütender Enttäuschung, weil Theobald ihnen entgangen, absagten, und Theobalds einziger Freund, Schul- und Studienkamerad, der Schriftsteller Amadeus Trollke, der aber nur unter dem Pseudonym ‚Hilmar Schenker‛ schrie schrieb, und zwar Sachen, die Theobald nie las, weil sie ihm zu frei waren. Trotzdem blieben sie dicke Freunde. Auch trotz des Abscheues, den das Elternpaar Stramm vor dem verbummelten, im unmoralischen Schmutz wühlenden Amadeus dauernd bekundete.
Auch Trollke/Schenker meldete sich. ‚Du weißt,‛ schrieb er aus dem echten Berlin nach Neu-Berlin an Theobald, daß ich aus Prinzip nie einen Frack anziehe, ebenso wenig eine Angströhre aus Seidenfilz aufsetze. Mithin bin ich unfähig, dir in deiner schwersten Stunde beizustehen. Ich komme aber gleich nach der Hochzeit nach eurem Lausenest, um dort Stoff für einen Roman zu sammeln und mir von dir erzählen zu lassen, wie du Unglückswurm es angestellt hast, nun Ehemann spielen zu müssen. Daß du mir deine Verlobung nur so überaus flüchtig geschildert hast, hat in mir den Verdacht geboren, daß dabei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und daß du in vier Briefen regelmäßig eine gewisse Toni Siebert erwähnst, bei der du dir die Braut-, pardon, Nachthemden bestellt hast. – Mensch, sind denn die bisherigen Jägerhemden für deine Mathilde nicht fein genug?! –, läßt mich ahnen, daß mein Bruder Theobald, fürchte ich, sich eine riesengroße Ähnlichkeit mit der Auswahl gerade dieser Lebensgefährtin geleistet hat. –
Theobald, Theobald, – hast du dir auch schon überlegt, was es heißt, eine Professorentochter aus Neu-Berlin zu ehelichen, die doch offenbar im Punkte Liebe genau so keusch, rein und dumm ist wie du?! Hast du dir klargemacht, daß die Ehe dir die Pflicht auferlegt, zu versuchen, das Geburtsregister eures Städtchens mit einer weiteren Nummer zu füllen?! –
Zunächst einer. Das ist die schwerste, die erste Nummer! Nachher folgen die anderen schon von selbst! Aber gerade der Anfang, Theobald, – Mensch, Freund, Intimus, – wie wirst du – du der schaffen?!‛
Dann folgten noch ein paar Sätze, die hier aber nicht wiedergegeben zu werden brauchen.
Dieser Brief traf acht Tage vor der Hochzeit ein.
Und dieser Brief wurde von Frau Amalie Hengst, jetzt der besten Freundin Adelgundens, ‚zufällig‛ gefunden und natürlich dem Ehepaar Zimberling zur Begutachtung vorgelegt.
Zimberlings bekamen beinahe Krämpfe über den – den Inhalt!
„Das ist dir ein Wüstling, ein moralisch ganz tief stehender Mensch, dieser Amadeus Trollke!“ säuselte Adelgunde.
Aber der nur nickende David nickte wieder.
Und die Hengst sagte im Ton der Überzeugung:
„Ein Schwein ist’s!“
„Na – der Freundschaft werde ich ein Ende bereiten!“ erklärte die Frau Professor drohend.
Drei Tage vor der Hochzeit trafen die auswärtigen Gäste ein. Darunter auch das Ehepaar Stramm. –
Pfarrers hatten bis dahin ihr Schwiegertöchterchen nur von einer Photographie her gekannt, die der ‚erste‛ Photograph von Neu-Berlin – es gab nur zwei – angefertigt hatte und auf der Thildchen für auch nur ein wenig kunstverständige Gemüter wie eine Mulattin mit Bauchgrimmen aussah. Stramms hätten beim ersten persönlichen Anblick doch nun eigentlich angenehm enttäuscht sein müssen! Denn direkt häßlich war Thildchen ja nicht. – Aber – sie fanden sie recht reizlos, auch in Natur, und dies mit deswegen, weil ‚so gar nichts dahinter war‛. –
Nicht etwa hinter der Vorderseite der Bluse! Nein – das meinten sie nicht! Sondern: Geld! Mitgift, – das war der springende Punkt!
Denn daß Thildchen nur gerade die notwendige Aussteuer mitbekam, stellte sich jetzt erst heraus. Theobald hatte danach nie zu fragen gewagt.
Und dieser Mangel brachte die erste Verstimmung in den Hochzeitskreis. Mama Stramm erklärte ihrem Sohn Theobald unter vier Augen, er sei hier offenbar sehr schlau ‚geschlangt‛ worden. Wenn er ein armes Mädchen hätte heiraten wollen, hätte er sich wirklich eine hübschere und frischere auswählen können, denn Thildchen sei doch schon recht säuerlich-altjüngferlich.
Die Brautelternpaare blieben zueinander daher auch recht kühl, nachdem die Frau Pastor Frau Adelgunde sofort einige feine Stiche – durch zarte Anspielungen auf die gute Partie, die Thildchen sich erobert habe – versetzt hatte.
Zu allem Unheil war auch Tante Auguste, die Tugendrose aus Rostock, erschienen, die sich so etwas als Theobalds Ersatzmama aufspielte und noch ärgerlicher über die fehlende Mitgift war, was sie durch eisige Kühler Zimberlings gegenüber zum Ausdruck brachte.
Kurz: Sowohl der zum Sterben langweilige Polterabend mit seinen albernen Folterscherzen als auch das Hochzeitsmahl verliefen in einer förmlichen Gewitterstimmung, die natürlich durch die schlechten Weine und das mäßige Essen nicht besser wurde.
Es war eine Hochzeit, wie sie stimmungsloser kaum je stattgefunden haben dürfte. Selbst die Tischreden waren durchweht von Kühle und durchsichtiger Unaufrichtigkeit.
Und das Brautpaar? –
Nun – Theobald in seinem alten Examensfrack, den engen Sprunghosen mit ausgebeulten Knien und dem heute zum ersten Mal benutzten Stehkragen – sechs Zentimeter Höhe – machte gerade keine brillante Figur. Im Vergleich zu ihm sah Thildchen beinahe lieblich aus, zumal die Erregung ihr Antlitz hold gerötet hatte. –
Die Feier fand im Hotel ‚Imperial‛ statt, im sogenannten kleinen Saal. Die Wohnung des jungen Paares, vier Zimmer nebst Zubehör, lag dem Hotel schräg gegenüber.
Als es elf Uhr geworden war, nahm Frau Adelgunde den Schwiegersohn beiseite und sagte, während ihr die Tränen in die Augen traten:
„Theo, du mußt jetzt mit Thildchen aufbrechen. Das verlangt der gute Ton. – Theo, schone mein Kind! Du verstehst wohl! Thilde ist doch gänz–lich unerfahren. Habe Geduld mit ihr. Bring ihr ganz zart und ganz allmählich bei, was – was die Ehe bedeutet.“
Theobald wurde sehr rot und so verlegen, daß er hervorstotterte:
„Keine Angst, Mama. Von mir ist Thilde sicher. Ich – ich werde – werde vorläufig im Herrenzimmer schlafen.“
„Hm!“ machte Frau Adelgunde.
Das klang sehr gedehnt. – Im Herrenzimmer! –
Das war selbst ihr zu viel zarte Rücksichtnahme.
Bevor das junge Paar verschwand, nahm auch Vater Stramm seinen Jungen noch in eine Ecke und sagte so recht liebevoll:
„Theobald, ich habe bei deiner Erziehung stets nur das Beste im Auge gehabt – selbstverständlich! Aber mir scheint, – ich hab’s zu gut gemeint! Ich habe dich zu unselbstständig gemacht. Leider! –
Ich hätte dir und deiner Jugend mehr Freiheit gönnen sollen. Du bist ins Leben getreten wie ein Blinder, wie ein Blinder mit dem Herzen eines Kindes! Und der Erfolg dieser geistigen Blindheit ist der heutige Tag. –
Mein lieber Sohn, ich wünsche dir ja von Herzen, daß du mit deiner Frau glücklich wirst. Aber – so recht glauben kann ich daran nicht. Ich kann nur hoffen! –
Ach, Theo, – wie oft denke ich jetzt an den einzigen Brief, den dein Freund Amadeus an mich geschrieben hat. Ich habe dir diesen Brief stets verschwiegen, weil ich damals vor sechs Jahren über das Schreiben sehr empört war. Nun jedoch habe ich eingesehen, daß Amadeus recht hatte, als er mir ziemlich unverblümt herbe Vorwürfe machte, weil unsere Erziehungsmethode gänzlich verfehlt sei und aus dir nur einen ‚Unglückswurm‛ zurechtkneten würde. –
Ja – der Trollke besitzt doch wohl mehr Menschen- und Weltkenntnis als ich! Theobald, ändern läßt sich an den Tatsachen jetzt nichts mehr.
Du bist verheiratet und hast so Pflichten übernommen. –
Hm – und damit komme ich zu dem Hauptpunkt meiner Predigt – wollte sagen meines väterlichen Herzensergußes. –
Pflichten hast du jetzt. In der Ehe sollen Mann und Frau sein wie ein einziger Leib, in der Ehe ist das nicht mehr sündige Sinnenlust, was ohne die Trauung als unmoralisch zu verdammen ist.
Ich weiß nun, du bist über die intimsten Beziehungen der Geschlechter zueinander so gut wie gar nicht aufgeklärt. Du gehst rein in die Ehe.
Hm – und diese Reinheit, so schätzenswert sie auch ist, kann doch sehr böse Folgen haben, wenn – wenn – so ein junger Ehemann es nicht versteht, die – die –“
Der alte Herr trocknete sich den Schweiß von der Stirn. –
Himmel – war das eine Aufgabe, den Theobald so etwas einzuweihen!
Nun – er hatte mit diesem Versagen seines Talents als Liebesaufklärer gerechnet, hatte etwas mitgebracht, das ihm einst einst ein rüder Witzbold zugeschickt hatte.
Einen hektographierten Brief von sechs Seiten, in dem angeblich eine Kontessa Adda ihrer Freundin Zilli ganz – ganz genau ihre Brautnacht schildert, – so genau, daß selbst Theobald durchaus die nötigen Belehrungen schöpfen konnte.
Papa Stramm drückte also jetzt diese Blätter Theo in die Hand und sagte: „Da – lies dies sofort, wenn du mit Thildchen daheim angelangt bist, aber nicht in ihrer Gegenwart!“ –
Und das junge Paar verschwand nun heimlich. –
Das Haus, in dessen erstem Stock die Wohnung sich befand, war alt und unmodern, aber behaglich.
Theobald schloß auf, schloß hinter ihnen ab. Und als er sich nun umdrehte, war – Thildchen bereits aus dem Wohnungsflur spurlos verschwunden. Er hatte sie ja eigentlich noch mit ein paar netten Worten auf der Schwelle des eigenen Heims begrüßen wollen. Nun – dann eben nicht! Sehr nahe ging ihm der Wegfall dieser Hochzeitsprogrammnummer nicht. Ihm war ja überhaupt in keiner Weise irgendwie hochzeitlich zu Mute. Nein – während seiner Verlobungswochen hatte er von Tag zu Tag mehr gemerkt, daß Thildchen ihm eigentlich total gleichgültig war.
Ja – wenn er jetzt hier mit der vergnügten, frischen Toni allein gewesen wäre! Dann – dann hätte er sich auf die Flitterwochen gefreut. Dann hätte er mit Toni sich noch ins Herrenzimmer, den gemütlichsten der vier Räume, gesetzt und geplaudert. Dann würde Toni ganz sicher wieder ein paar ihrer harmlos netten Scherze erzählt haben, wie sie dies stets getan hatte, wenn er in das Geschäft ihrer Mutter gekommen war – natürlich meist heimlich ohne Wissen Zimberlings! – und all auf dem Verkaufstisch gesessen hatte, während Toni oft genug wie ein reizender Kobold dann ganz oben auf der kleinen Trittleiter hockte und ihn so gar nicht als Respektperson behandelte, aber doch stets wie einen gern gesehenen Freund.
Er legte den Mantel ab, hing den Zylinder gleichfalls an den Garderobenhaken und überlegte: ‚Was tue ich nun? Thilde ist ja fraglos schon im Schlafzimmer. Ob ich noch anklopfte und ihr wenigstens gute Nacht zurufe?‛
Ja – das wollte er! Und er betrat das Eßzimmer, in dem Thilde schon das Licht angetreten hatte, denn Neu-Berlin hatte zum Teil elektrische Beleuchtung von einer nahen Überlandzentrale.
Er klopfte.
Da – sofort eine halb kreischende Stimme:
„Noch nicht – noch nicht!“
„Ich wollte dir nur angenehme Ruhe wünschen, Thildchen,“ rief er etwas verdutzt zurück. Denn dieses ‚noch nicht!‛ enthielt doch für jeden an Logik gewöhnten Verstand den Hinweis, daß ‚später‛ irgend etwas geschehen dürfe oder solle – wozu es jetzt noch zu früh war.
Hm, ob Thildchen etwa damit rechnete, daß er ebenfalls sein Bett und nicht das Sofa im Herrenzimmer benutzen würde?! –
Oh – da kannte sie ihn schlecht. Er hätte kein Auge zutun können so Bett an Bett mit jemand anders – noch dazu mit einer – seiner Frau! Nein – kein Auge! Nicht etwa aus Übermaß an Temperament! Bewahre! Nur deshalb, weil er sich geniert gefühlt hätte –
Aus dem Schlafzimmer kam aber noch eine Antwort – nach ein paar Sekunden freilich erst:
„Noch fünf Minuten, Theo, lieber Theo! Dann – dann darfst du –“ Das letzte Wort verstand er nicht –
Er gab sich auch keine Mühe, darüber nachzugrübeln. Nein – er hatte für seinen Geschmack schon viel zu viel gehört.
Noch fünf Minuten!!
Also: Sie erwartet die ihn wirklich! –
Nein – war das unangenehm! Eine scheußliche Situation. Was nur tun?!
Zunächst ging er ins Herrenzimmer, machte Licht und setzte sich in eine Ecke des Paneelsofas.
Er ließ den Kopf hängen. Er fühlte plötzlich, wie unendlich fremd ihm doch Thilde war – geblieben war, trotz der Verlobungswochen, in denen er auch nicht ein einziges Mal mit ihr allein gewesen und erst recht nicht Gelegenheit gehabt hatte, sie etwas stürmischer zu küssen!
Nein – Thildchens Küsse schmeckten dauernd gleich – waren so flau, so ohne Salz und Pfeffer, daß er nie Sehnsucht danach verspürt hatte.
Als er mit seinen Gedanken so weit gekommen, zuckte er zusammen.
Ab – er hatte ja an der Hochzeitstafel Gurkensalat gegessen. Den vertrug er nicht, daran hätte er denken sollen!
Au! Da kamen die Leibschmerzen schon wieder. Und wie – wie schnitt es ihm in den Gedärmen! Freilich, der Mosel war ja auch das reinste Essigwasser gewesen. Und dazu noch Gurkensalat!
Er krümmte sich zusammen, dachte: ‚Ein Schnaps – ein Königreich für einen Schnaps!‛
Aber – Schnaps?! Schnaps bei dem Schwiegersohn Frau Adelgundens!
Himmel – die Gedärme hatten offenbar Neigung, sich umzukrempeln! Das – das hielt er nicht mehr lange aus! Nein – er mußte sogar schleunigst – schleunigst! – nach dem Schlüssel zu dem Zauberkabinett suchen, das in dem ‚anderen‛ Berlin stets mit dem Badezimmer vereinigt ist, das hier aber, wie er wußte, auf dem Hof lag – in einer Reihe mit drei anderen, für jede Mietpartei eben eins!
Der Schlüssel?! Nur schnell her mit dem Schlüssel, sonst gab’s ein Unglück! Oh – tiefe Abneigung über den verdammten Moselwein und den Gurkensalat!
Da – ein Hoffnungsschimmer! Im Flur hing doch ein Schlüsselbrett!
Hin also – nachsehen!
Und – er atmete auf: Da war ein Untier von Schlüssel mit einem Zettel daran: Klosett!
Streichhölzer hatte er bei sich. Er stülpte also blitzartig noch den Hochzeitszylinder auf die Dichterlocken und raste dann die Treppe hinunter, stolperte auf dem Hof über ein Stück Holz, schlug lang hin, fiel in eine Pfütze, schnellte hoch und – erreichte den Hafen mit Mühe und Not.
Ab – welche Wohltat! Er war gerettet.
Und – wie nett das Kabinett mit Bildern aus alten Zeitschriften tapeziert war. Da stand ja sogar auf einem kleinen Wandbrett ein Leuchter mit Kerze. –
So – nun brannte das Licht! Und – nun konnte er ja eigentlich mal die Bogen lesen, die ihm der Papa vorhin so hastig zugesteckt hatte.
Er las – studierte. Der Anfang war harmlos und hätte auch aus einem Backfischbuch abgeschrieben sein können.
Aber dann – dann kam’s!
Theobald wurde flammend rot. Trotzdem las er weiter, las bis zum letzten Wort.
Und – nun stierte er vor sich hin. Kein Zweifel: Der gute Papa hatte ihm diesen angeblichen Brief zur Belehrung mitgegeben!
Doch – er kannte seinen Theo schlecht! Theo war kein Mann von den Erfahrungen dieses Grafen Hektor von Forsch, der mit der Komtesse Edda Hochzeit gefeiert hatte!
Zur Belehrung?! Nein – diesen Unterrichtsbrief in Liebessachen konnte er nicht brauchen; der war nur für junge Männer geeignet, die sofort in der ersten Nacht ihren Pflichten unbedingt nachkommen wollten; der paßte nicht für jeden Fall; und sein Fall war eben ein Spezialfall!
Er schob den Brief in die Tasche zurück. Die über Moselwein und Gurkensalat so empört gewesenen Gedärme hatten sich nun auch beruhigt, murrten nur noch leise.
Er konnte also diese Sitzung beenden. Er tat’s.
Aber – was war denn da mit dem Türschloß?! Der Riegel saß ja wie angenagelt fest! Vorhin hatte er sich doch noch spielend leicht bewegt!
Theo verstand von praktischen Dingen absolut nichts, konnte keinen Nagel einklopfen, ohne sich die Finger blutig zu schlagen, konnte erst recht nicht ergründen, weshalb der Riegel sich nicht zurückziehen ließ! –
Und als der junge Tag längst heraufgedämmert war, als die Sonne bereits fröhlich schien, da – da legte sich der arme Theobald im Herrenzimmer auf das Paneelsofa und schlief auch sofort ein, schlief – schlief wie zwei Tote auf einmal!
*
Morgens um halb acht setzte der Postwagen vor dem Hotel ‚Imperial‛ in Neu-Berlin einen Fremden ab, dessen zwei Koffer vermuten ließen, daß er hier längere Zeit bleiben wolle.
Der Fremde trug einen modernen Jackenanzug, Schnitt ‚Frühlingsmode‛, sah darin wie ein Primaner aus, hatte aber ein Gesicht, das den Eindruck des knappen Anzugs schnell verwischte, – faltig, schmal, glattrasiert, Monokel vor dem rechten Auge und um den Mund so ein beständiges halbes Lächeln, als halte er die ganze Welt für minderwertig und nur sich selbst für erstklassig.
Ins Fremdenbuch trug er sich als Amadeus Trollke, Schriftsteller, Berlin ein, bedeutete dann dem Ober, daß er wohl für ein paar Wochen Neu-Berlin beglücken würde und zunächst zu wissen wünsche, wo sein Freund, der jung verheiratete Doktor Stramm, wohne.
Dann trank er Kaffee, nachdem er nur schnell ein kaltes Bad genommen, und schlenderte darauf dem Marktplatz zu, wo das Weißwarengeschäft von Frau Anna Siebert lag.
Er betrat den Laden. –
Toni war anwesend und fragte nach Trollkes Wünschen. Erst mußte sie sich aber von ihrem Erstaunen über diese für Neu-Berlin so ungewohnte Männererscheinung erholen.
Amadeus verlangte Krawatten. –
„Hm,“ meinte er, „helfen Sie mir bitte auswählen, Fräulein. Dr. Stramm lobte Ihren guten Geschmack. Ich kenne ihn oberflächlich – den Dr. Stramm.“
Toni errötete plötzlich. Und um ihre Mundwinkel zuckte es wie von aufsteigenden Tränen. Sie sah auch sehr blaß aus. Und – einen vergnügten, frischen Eindruck machte sie heute wahrhaftig nicht.
Amadeus beobachtete das alles ganz unauffällig. Er kannte das Leben, die Liebe und die Weiber. Und wie kannte er sie! Ihm imponierte keiner mehr. Nichts mehr! Höchstens eine, die so war, wie er sich ein Weib wünschte.
Aber – so eine gab es nicht!
Toni hatte wundervolle dunkle Augen unter starken, ebenso dunklen Brauen. Und dazu lange Wimpern, ein keckes Näschen, einen kleinen vollen Mund und sehr reiches, aschblondes Haar. –
Amadeus dachte: ‚Theobald hat Geschmack! Auch ich hätte hier meine Braut-Nachthemden bestellt.‛
Er begann mit Toni zu plaudern; kam auf die Hochzeit von gestern zu sprechen; sah, daß Tonis schöne Augen nun wirklich in Tränen schwammen.
‚Aha!‛ sagte er sich. ‚Er stimmt! Hier hat der gute Theobald trotz seines wenig bestechenden Äußeren Unheil in einem armen Mädchenherzen angerichtet!‛
Als er sich verabschiedete, drückte er Toni die Hand.
„Auf Wiedersehen, Fräulein Toni! – Und, damit ich nicht als Lügner von hier fortgehe. Ich bin Dr. Stramms bester Freund.“
Es war nun zehn Uhr geworden. Amadeus glaubte, jetzt bei Theobald seine Antrittsvisite machen zu dürfen. –
Als er über den Markt schritt, folgten ihm ein Dutzend mit Ferngläsern bewaffnete Augen. –
Bürgersteige gab es nicht. Dafür war das Pflaster so miserabel, daß Theo sich vornahm, hier in Zukunft nur genagelte Bergschuhe zu tragen.
In einem Blumengeschäft kaufte er noch schnell ein paar Rosen und in einem Süßigkeitsladen eine Bonbonniere in Gestalt eines vierzig Zentimeter hohen Storches, den er mit dem teuersten Konfekt füllen ließ.
Dann stand er vor Theobalds Flurtür, läutete und dachte: ‚Bin neugierig, ob ich recht behalte!‛
Das neue Hausmädchen, ein Ding von sechzehn Jahren öffnete. Sie war ganz frisch ‚vom Lande‛; schaute verlegen auf die beiden Visitenkarten, die Amadeus ihr reichte.
„Nee – so was kaufen wir nich,“ sagte sie dann.
Amadeus wiederholte: „Melden Sie mich Ihren Herrschaften. – Hier – diese Karten geben Sie dem Herrn Doktor.“
„Der schläft noch in sein Zimmer auf’s Sofa. Ich hab’ durch’s Schlüsselloch geschaut,“ griente die ländliche Unschuld, die jedoch in vielem schon recht helle war.
‚Also wirklich!‛ dachte Amadeus. Und fragte: „Und die Frau Doktor?“
„Trinkt Kaffee. Sie hat ‚ihn‛ zweimal wachkloppen wollen. Aber er rührt sich nicht.“
Thildchen saß im Eßzimmer am einsamen Kaffeetisch, hatte das neue Morgenkleid an und dazu einen feuerroten Kopf, – nein blutroten Kopf! Sie las nämlich das, was sie vorhin im Flur in Theobalds dort hängendem Frack gefunden hatte, in dem total beschmutzten Frack!
Und – es war der Brief der Komtesse Adda, den sie neben der Kaffeetasse liegen hatte, – also der – Unterrichtsbrief!
Ah – hiergegen war selbst das Buch aus Papas Schrank – das mit dem harmlosen Einband! – das reine Einsegnungsgedicht! –
Wo – wo nur konnte Theobald diesen – diesen! – Brief gestohlen haben?! Einen solchen Brief, den man doch gleich verbrennt! Gestohlen hatte er ihn sicher! Denn so vornehme Bekanntschaften hatte Theobald nicht. Nein – dessen einziger Intimus –
– Und da trat Marie, die Unschuld vom Lande, ein, legte Amadeus Trollkes Visitenkarte auf den Tisch neben die junge Gnädige und sagte: „Da draußen is einer, der sich hier melden soll. Wozu, weiß ich nich.“
Thildchen las und erblaßte schier:
Amadeus Trollke
Schriftsteller
Berlin W.
Neueste Jerusalemerstr. 13
Das – das war ja dieser Intimus! Das war ja der, von dem die Mama sie gewarnt hatte! –
Und – wie ungebildet von diesem Menschen, um ein viertel elf Visite zu machen!
„Marie, sagen Sie dem Herrn, wir seien leider noch nicht zu sprechen,“ erklärte sie würdevoll. Sie war ja nun Frau, nicht mehr Fräulein, und wollte das auch durch Ton und Haltung zum Ausdruck bringen.
Aber – eigentlich war sie doch noch Fräulein! –
Und als ihr dies jetzt durch den Kopf schoß, da warf sie einen empörten Blick auf die Tür des Herrenzimmers, hinter der dieser – dieser feige Theobald noch immer wie ein Murmeltier schlief.
Ja – feige war er! So – so ohne jede Überraschung hatte sie ihre Hochzeitsnacht doch nicht zu verleben geglaubt. Man ist doch schließlich als junge Frau neugierig trotz aller Angst, was wohl geschehen würde!
Aber nun war nichts geschehen – rein gar nichts.
Marie verschwand –
„Wir sind noch leidend und nicht zu sprechen,“ richtete sie den Bescheid an Amadeus mit einem entzücken ländlichen Grinsen aus.
Auch Amadeus grinste. Aber – er blieb! Leise forschte er diese Perle von Hausdame danach aus, was sie darüber wüßte, weshalb der Herr Doktor denn in seinem Zimmer schliefe.
Marie grinste stärker. „Er hat bis halb sechs morgens unten auf ‛n Hof auf’s Klosett jesessen,“ sagte sie ohne Scheu. Denn sie war ja vom Lande und ohne verfeinerte Kultur. „Er hat ‛n Riegel nicht auf gejriegt nachher,“ wurde sie deutlicher. „Grad um halb eis jing er runter. Ich hörte ihm laufen. Er muß sich verkühlt jehabt hab’n.“
Amadeus nahm schnell das Monokel aus dem Auge. Denn seine Gesichtsmuskeln waren jetzt vor stillem Lachen in wildester Bewegung. –
So was konnte auch nur dem Unglückswurm, dem Theobald, passieren. Hochzeitsnacht auf einem so diskreten Ort! Das war sicherlich noch nie dagewesen!
„Und um halb sechs hat ihn dann der Hauswirt Lemke rausjelassem,“ vollendete Marie die Schilderung von Theobalds Malheur. „Nu is er eben müde und schläft wie ‛ne Ratz.“
Da – erschien die Gnädige im Flur, ahnungslos, daß dieser Amadeus noch immer vor der Tür stand.
Amadeus jubelte, schoß auf Thildchen zu, überschüttete sie mit einem Schwall von überaus liebenswürdigen Phrasen und faustdicken Schmeicheleien, küßte ihr die Hand, überreichte die Rosen und den gefüllten Storch, – schmeichelte sich dank seiner Menschenkenntnis in wenigen Minuten in Thildchen Herz ein und wurde dann in den Salon genötigt, wo der den Sturm auf dieses ‚bezaubernd‛ und Thildchens Morgenkleid ‚wie ein Gedicht‛ fand.
Mathilde Zimberling war in ihrem Leben nie mit waschechten Berliner Bohemiens zusammengetroffen. Herren vom Schlage Amadeus Trollkes waren hier absolut neu. Sie wußte nicht, daß ein Trollke genau dieselben Redensarten einem zahnlosen alten Weib gegenüber mit derselben Leichtigkeit aus dem Ärmel geschüttelt hätte.
Sie schwamm geradezu in Wonne. –
Und – schick sah dieser Trollke aus, – schick! Der trug wahrhaftig zu den gelben Halbschuhen seidene Strümpfe, hatte ein seidendes Taschentuch und duftete köstlich nach Parfüm.
Am meisten aber imponierte ihr das Monokel. Denn in den Marlitt-Romanen und so weiter war ein Monokel stets das Zeichen allerhöchster Vornehmheit.
Thildchen begann sich sehr bald auch ‚zu fühlen‛! Wenn ein so weltkundiger Mann wie Amadeus ihr sagte, ihr Gesicht gliche einem alt-venezianischen Gemmenkopf, dann mußte es wohl wahr sein. Und wenn er zart andeutete, ihre überschlanke Figur seit heute so überaus ‚mondän‛, so stimmte das wohl auch. Ebenso, wenn er behauptete, nur in kleinen Städten finde man heutzutage noch junge Damen, die alle Tugenden in sich vereinten, die der Mann vom Weib verlange, wenn er eben ein tiefgründiger Charakter war wie Theobald.
Und mit dieser Redensart leitete Amadeus die Unterhaltung auch das Unglückswurm über, von dem man bisher so gut wie gar nicht gesprochen hatte.
Thildchen wurde verlegen, als Trollke harmlos fragte, weshalb Theobald denn noch immer im Gott Morpheus Armen liege
„Ach, – er – er ist etwas angegriffen,“ stotterte sie. In demselben Moment fiel ihr ein, daß ‚angegriffen‛ gerade heute ein sehr verfänglicher Ausdruck war.
Schnell verbesserte sie sich: „Er hat noch lange gearbeitet und ist so müde.“ –
Aber – auch das gefiel ihr nicht. Sie fügte also schnell überhastet hinzu: „Daß er überhaupt schwächlich ist, werden Sie ja wissen, Herr Trollke.“
Amadeus nickte. „Ja – sein Körper ist nicht trainiert, gnädige Frau! Training ist die Hauptsache. Ich zum Beispiel trainiere mich dauernd.“
Thildchen, die ja von Marie noch nicht erfahren hatte, daß ihr Herr Gemahl notgedrungen im Zauberkabinett mit den vielen Bildern eine Dauersitzung abgehalten hatte – Marie hatte eben mit feinem weiblichem Instinkt herausgefühlt, daß sie der Gnädigen gegenüber hiervon besser schweige –, suchte dem Gespräch schleunigst eine andere Wendung zu geben.
Und – da kam ihr gerade Marie zu Hilfe, die eintrat, ihr im Auktionatorton zurief:
„Die Mutter is da!“
Hinter ihr tauchte schon Frau Adelgunde auf.
„Liebes Kind, es heißt: ‚Die Frau Professor!‛ korrigierte sie milden Tones. Der Ton wäre anders ausgefallen, wenn sie nicht eben bereits den eleganten Herrn mit dem Monokel bemerkt hätte. –
Wer mochte das sein? –
Da – ein jäher Blitz der Erinnerung an eine Photographie, die Theobald mal bei Zimberlings gezeigt hatte: Amadeus Trollke! –
Fraglos Amadeus, der Unmoralische, wenn er auch auf der Photographie kein Monokel getragen hatte.
*
Frau Adelgundes Gesicht wurde eisig und steinern.
Aber – als Thildchen sie dann mit Amadeus bekannt gemacht hatte, als dieser ihr die Hand küßte, als er nun die Schleusen seines Phrasenvorrats ganz weit öffnete, als er schnell erkannt hatte, wie diese Dame zu behandeln sei, da wurde das eisige Gesicht langsam wärmer, da dachte Frau Adelgunde bereits nach zehn Minuten: ‚Eigentlich ein reizender Mensch!‛
Und – Amadeus erzählte nun von sich und seinem Elternhaus, von seinen Einnahmen und so weiter. Erwähnte, daß er von Hause aus vermögend sei, sein Vater besäße eine Schlächterei in Frankfurt am Main; so eine wie die Chicagoer etwa, deren Besitzer man ‚Schweinekönige‛ nenne; – von seinem Roman ‚Atlanta, die Trapezkünstlerin‛, der ihm runde vierzigtausend Mark eingebracht habe, und von anderem mehr, so von seiner Freude über diese – diese prächtige Wahl Theobalds – und so weiter.
Was seine Herkunft und Vermögensverhältnisse anbetraf, log er nicht. Alles übrige war Schwindel und schlaue Berechnung. Denn ihm hatte schon diese Unterhaltung mit den beiden weiblichen Zimberlings genügt, um einen geradezu verruchten Plan zu entwerfen, seinen guten Theo, wenn’s irgend anging, wieder aus diesem zarten Rosenfesseln zu befreien, die ja bisher – dem Himmel sei Dank! – noch keine Ketten geworden waren – noch nicht!
Und mit der ganzen Raffiniertheit seiner echt Berliner ‚Ausgekochtheit‛ strebte er nun diesem Ziel zu.
Seine Schmeicheleien Thildchen gegenüber wurden feuriger; er seufzte oft verstohlen, starrte sie verzückt an. Er mimte all das mit einer Geschicklichkeit, wie’s eben nur Amadeus Trollke konnte, der das Rätsel Weib bereits bis in die feinsten Seelenfältchen studiert hatte. –
Er fragte, ob er nicht irgendwo in der Nähe von Stramms privat unterkommen könne. Und – wie hold lächelte ihm da die Vorsehung: Frau Adelgunde wußte, daß der Hauswirt Lemke ein Zimmer möbliert zu vermieten hatte.
Kurz: Amadeus sah seine kühnsten Erwartungen übertroffen; merkte, daß die Frau Mama der ‚mondänen‛ Mathilde den Angelhaken schon im holden Mund hatte, daß sie sehr nachdenklich geworden – und offenbar schon bedauerte, nicht diesen reichen Amadeus als Schwiegersohn gefischt zu haben.
Dann erschien Theobald, – Theobald in gebürstetem Frack, unrasiert, verlegen, ängstlich, schuldbewußt.
Aber Trollke brachte auch diese Neuerscheinung schnell in Stimmung: umarmte seinen Theo, redete das Blaue vom Himmel herunter, scherzte, schmeichelte, log, witzelte.
Und – die drei Opfer seiner unheimlichen Künste wurden immer vergnügter, zwangloser.
Dann verschwanden die beiden Damen. Angeblich nach der Küche. Denn Amadeus sollte zu Mittag dableiben. –
Sie gingen aber zunächst ins Herrenzimmer. Thildchen war jetzt total verdattert. Sie ahnte, was die Mutter fragen würde.
Und – schon fragte sie auch.
„Nun, Kind – und…?“ –
Das war alles. Aber es war auch genug.
Thildchen schaute zu Boden.
„Theobald war sehr – sehr rücksichtsvoll,“ hauchte sie. „Er – er hat bis jetzt in seinem Zimmer geschlafen.“
„Wa – a – as?!“ Die Frau Professor war starr. Dann aber erinnerte sie sich an das, was sie Theobald gestern nacht gesagt hatte und was er erwidert hatte. –
‚Na – auch das würde sich mit der Zeit einrenken,‛ dachte sie. Und dachte weiter: ‚Schade, daß wir diesen Amadeus jetzt erst kennen gelernt haben! Aber – nun ist’s leider zu spät!‛ –
Im Salon aber hatte derselbe Amadeus jetzt ein ganz anderes Gesicht aufgesetzt – sein wahres! – hatte seinen Theo auf das halbseidene Sofa gezogen, die Hand des Freundes in die seine genommen und geflüstert:
„Mensch, Unglücksrabe, – wie konntest du nur! Wie konntest du nur so lammfromm dich bis zum Traualtar schleppen lassen! Du hast doch fraglos gemerkt, daß diese Mathilde für dich genau so wenig paßt wie für mich! Mensch – nun beichte! Wie kam die Verlobung zustande?“
Theobald war überglücklich, daß er nun endlich einen Menschen – nein, den einzigen Menschen neben sich hatte, dem gegenüber er sich aussprechen konnte. Er tat’s, er tat’s wie einer, der jetzt bei dieser Beichte erst so recht merkte, wie’s in seinem Inneren aussah.
Amadeus half gelegentlich nach, wenn der Redefluß seines Freundes stocken wollte. Und ebenso geschickt lenkte er dann die Beichte auf Toni über.
Da wurde Theobald noch zerknirschter, stöhnte geradezu kläglich hervor: „Sprich nicht von Toni! In den vielen Stunden, die ich in dieser Nacht in der so geschmackvoll tapezierten Zelle auf dem Deckel des Orkus –“
„Lokus, meinst du!“ fiel Trollke ein.
„Nein Orkus, zu deutsch Unterwelt, wo die Seelen der Abgeschiedenen umherschweben! – Also auf dem Deckel des Orkus zugebracht habe, bin ich mir über meine Gefühle klar geworden.“
„Kunststück – an einem so stillen Örtchen! – Theobald – Scherz beiseite! Was soll nun werden?! Du liebst Toni, und sie liebt dich wieder. Du bist aber verheiratet, – hm, – noch nicht ganz verheiratet allerdings!
Theobald richtete sich auf. „Amadeus, ich bin ein Ehrenmann. Ich muß Toni vergessen! Ich habe heilige Pflichten, die ich nie verletzen werde.“
Trollke nickte. „Nein – das darfst du nicht! Das ist richtig!“ Und fügte in Gedanken hinzu: ‚Aber – entziehen kannst du dich diesen Pflichten! Und – dabei werde ich mithelfen!‛
Da kehrten die Damen zurück. Theobald ging ins Schlafzimmer und zog sich um. Als er den Frack weghängen wollte, fiel ihm der Brief ein, der Unterrichtsbrief!
Heiliger Eustachius von Padua! Wo waren nur die Seiten hingeraten? Er krempelte den Frack förmlich um. Nichts – keine Spur von dem Brief! –
Er schlich zu Marie in die Küche.
„Marie, haben sie vielleicht im Flur etwas gefunden – ein paar beschriebene Bogen?“
„Ne, Herr Doktor, – reinweg nischt!“
Himmel – wo war das belastende Traktat?! –
Ganz verstört kehrte er ins Schlafzimmer zurück.
Inzwischen hatte Frau Adelgunde Hunger bekommen und wollte sich im Speisezimmer heimlich ein Honigbrot schmieren. Dabei ließ ein neckischer Zufall sie gewahr werden, daß unter dem Tischläufer irgend etwas liegen mußte. Der Läufer hatte eine Erhöhung.
Und – so fand sie den Brief der Kontessa Adda – und überflog ihn natürlich.
Käsebleich wurde sie. So – so etwas war ihr noch nie vor die Augen gekommen!
Das hatte eine Freundin der anderen geschrieben! Und das hatte Thildchen etwa gelesen?! Ihr Thildchen! Woher hatte diese aber die unerhörte Schilderung zärtlichster Erlebnisse?! Woher in aller Welt?!
Sie öffnete die Tür nach dem Salon. Den Brief hatte sie auf den Speisetisch gelegt
„Thilde, einen Augenblick,“ sagte sie. „Ich will mit dir des Mittags wegen noch etwas besprechen.“
Aber Amadeus hatte gerade mit Thildchen sich harmlos herumgestritten, ob dieser nicht eine hohe Frisur besser stehen würde.
„Gnädigste Frau,“ rief er, „nur ein paar Sekunden. Sie sollen entscheiden, ob –“
So kam’s, daß Marie, die den Eßtisch abräumen wollte, die beschriebenen Bogen sah, sie schleunigst ergriff und durch den Flur ins Schlafzimmer lief, wo Theobald gerade in Unterhosen stand.
Marie trat trotzdem ein. Unterhosen waren für sie nicht unmoralisch. Sie reichte Theobald, der schnell ein Jacke sich vor den Leib hielt, die bedruckten Bogen.
„Sind dies die Papierchens, wo Sie suchen, Herr Doktor?“ meinte Marie stolz, „Sie lagen ins Eßzimmer auf ‛n Tisch.“
Theo griff danach, und Marie zog sich zurück. –
Auf dem Tisch! Also ganz offen –! Was bedeutete das nun wieder?! –
Theobald grübelte zunächst umsonst hierüber nach. Dann – ein Gedanke: Marie hatte den Brief aus der Fracktasche stibitzt und markierte nun die Harmlose! –
Ja – nur so konnte es sein! –
Er atmete auf. Daß Marie den Erguß der Komtesse gelesen, war ihm zwar peinlich, aber doch nicht weiter unangenehm. –
Inzwischen hatte Frau Adelgunde entschieden: Ja – Thilde würde eine hohe Frisur besser kleiden! –
Und dann hatte sie ihr Töchterchen im Speisezimmer leise gefragt: „Sag’ mir, Kind, woher hast du – den – den Brief?“
Und sie drehte sich um und deutete auf die Stelle, wo –? –
Ja – wo der Brief gelegen hatte. Doch der war jetzt wie durch Zauberei verschwunden!
Thilde erinnerte sich jetzt erst wieder an dieses Beweisstück einer unerhört freien Korrespondenz zwischen zwei hochgestellten Freundinnen. Sie brachte nur mühsam über die Lippen: „In – Theobalds Frack fand ich ihn heute morgen!“
„In – Theobalds?“ wiederholte Frau Adelgunde entgeistert. „Thilde – ist das wahr? – Ja? – Dann – dann ist dein Mann der elendste Heuchler, den es auf dieser Erde gibt! Dann hat er gestern mir gegenüber übelste Komödie gespielt, als er –“
Sie führte den Satz nicht zu Ende, fing vielmehr einen neuen an. „Dann hat er auch in dieser Nacht nur so getan, als ob er lediglich aus Zartgefühl –“ und sie zeigte auf das Herrenzimmer. „Nun – jetzt ist er entlarvt! Vollständig! In gewisser Beziehung schadet das nichts. Er – er wird wissen, wie er –“
Sie hüstelte. Und das Hüsteln war das Ende dieser Aussprache.
Aber – die beiden Zimberlingschen Damen ließen sich natürlich Theobald gegenüber nichts anmerken. –
Nein – sie behandelten ihn heute sogar mit einem gewissen Respekt. Der Brief hatte um sein langbehaartes Haupt eine gewisse Aureole des Geheimnisvollen, Verderbten, Aufgeklärten gewoben. –
Amadeus blieb zu Tisch; blieb bis zum Nachmittagskaffee; zog dann unten im Erdgeschoß bei Lemkes ein; machte mit dem jungen Paar gegen sechs einen Ausflug über Land, der sehr anstrengend wurde, da man sich verirrte. Das heißt: Amadeus verirrte sich. Und erst um halb zwölf bei völliger Dunkelheit kehrte man wie gerädert vor Übermüdung heim.
Amadeus kam noch mit nach oben, wollte sich von Theobald ein Buch borgen. Thildchen sagte den Herren gute Nacht und verschwand, legte sich nieder. –
Und so todmüde, wie sie war, schlief sie sofort ein.
Auch Theobald passierte dasselbe: in der Sofaecke in seinem Zimmer! Er schlief wie ein Toter.
Und vor ihm stand Amadeus Trollke und hob nun wie segnend die Hände, murmelte:
„Keusch sei dein Schlaf wie in der vorigen Nacht! – Ich habe für heute gesiegt!“
Dann schlich er nach unten zu Lemkes in sein eigenes Zimmer. –
So begannen die Dreieckehe –
Es waren jetzt gerade Pfingstferien. Theobald hätte sich also seinem Thildchen den ganzen Tag widmen können; es hätten Flitterwochen sein können, wie sie im Buche stehen! Das heißt ideale Flitterwochen!
Aber – das ließ Amadeus nicht zu. Und außerdem, es fehlte dieser süßen Zeit der ersten jungen ehelichen Liebe ja auch noch zweierlei, wenigstens hier bei Stramms:
Erstens die Ehe; denn diese Ehe war bisher nur dem Buchstaben nach eine solche.
Und zweitens: Die Liebe; denn weder ‚er‛ noch ‚sie‛ waren ja aus Neigung zueinander in diese Heirat wie in einen sogenannten köstlichen Hafen hineingeschwommen. –
Also – das Hauptmanko war die eheliche Liebe. Und dazu kam noch der verruchte Amadeus mit seinem noch verruchteren Plan.
Wie eine Klette war er; er haftete an dem Pärchen, als wären diese noch verlobt und bedürften eines sogenannten Anstandswauwaus; er machte diese Pseudoflitterwochen als dritter in einer Weise mit, daß sehr bald ganz Neu-Berlin vor Staunen und Empörung Kopf stand.
Bevor aber die Stimmung der Neu-Berliner näher geschildert wird und das, was der Volksunwille über diese so schamlos offenherzige Dreieckehe zur Folge hatte, muß noch erwähnt werden, daß am zweiten Tag nach der Hochzeit, also an dem nach der so strapaziösen Fußtour, zweierlei geschah.
Frau Adelgunde fand sich vormittags ein und fragte Thilde gespannt:
„Nun, Kind?“ –
Das war wieder kurz und vielsagend.
Thildchen errötete vorschriftsmäßig. –
„Mama,“ hauchte sie, „er hat wieder in seinem Zimmer geschlafen.“ –
Und dann sofort der Nachsatz: „Ach – Amadeus ist ein so reizender Mensch. Sein Vater soll wirklich ‚Schweinekönig‛ und Millionär sein. –
Ach – – es ist so schade –“
Und dies war vielsagend genug.
Frau Adelgunde hatte zuerst über Theobalds Vorliebe für sein Zimmer mit einem ‚Unerhört!‛ quittieren wollen. Aber sie unterließ es. Sie wurde nachdenklich. Und dachte: ‚Millionär! Wenn’s doch nur ein Mittel gäbe, Thildes Heirat rückgängig zu machen.‛
Dann fragte sie: „Kind, wie benahm Amadeus sich denn auf dem Ausflug dir gegenüber?“
Thilde strahlte. „Reizend, Mama! Denk’ dir – er hat mir sogar, als ich in den neuen Schuhen nicht mehr weiter kam, das – das eine Hühnerauge beschnitten! Er zog mir den Schuh aus. Der Strumpf brauchte nicht herunter, denn er hatte gerade an der kleinen Zehe ein Loch.
Theobald drehte sich diskret um, als Amadeus mich von dem Hühnerauge erlöste. Ach – er tat es so geschickt. –
Überhaupt: Er ist ein entzückender Mensch!“
– Dies Gespräch fand vormittags halb elf statt.
Um elf erschien Amadeus, brachte Fräulein – Frau Thilde – abermals Rosen mit, außerdem eine Bonbonniere in Herzform, – der Größe nach mindestens Ochsenherz; und wieder erhielt auch die noch anwesende Schwiegermama des braven Theobald ein paar tadellose Handküsse und noch tadellosere Schmeicheleien; wieder tat Amadeus so, als ob er Thildchen heimlich anschmachte.
Als die Freunde dann allein waren, drückte Theobald mit der etwas geheimnisvollen Geschichte des Komtessenbriefes heraus, denn er hatte vorhin die ländliche Marie ins Gebet genommen und festgestellt, daß diese den Brief doch nicht aus Neugier stibitzt hatte.
Amadeus runzelte die schon etwas hohe Denkerstirn und erklärte dann:
„Hm – in deiner Fracktasche steckte das ominöse Schreiben der amourösen Komtesse? Und den Frack hattest du in den Flur gehängt? –
Hm – meines Erachtens gehört Frau Adelgunde zu jenen Damen, deren Neugier vor nichts halt macht, die sogar ein paar Männerunterhosen auf ihren Inhalt näher untersuchen würden, da sie eben zum bersten gefüllt sind – die Damen natürlich – mit jener Hoffnung aller Schnüfflernasen, irgendwo irgendwas zu entdecken! Und da deine Gattin – pardon, nicht Gattin! – deine Thilde das Kind dieser Mama ist, dürfte sich die Vorliebe für Forschungsreisen in die Tiefen von Männerkleidungsstücken auf sie vererbt haben.
Kurz: Es ist so klar wie Kloßbrühe, daß Thildchen das Briefchen mit ihrem Händchen aus deinem Fracktäschchen herausgemopst hat, daß dessen Inhalt ihr nun also bekannt ist und daß –“
In diesem Moment hatte sich sein Gesicht blitzschnell aufgehellt. „Du,“ fuhr er lebhafter fort, „du – mir ist da soeben eingefallen, daß Frau Adelgunde gestern Thilde ins Eßzimmer rief. Und gleichzeitig sah ich, daß vom Flur her eure unbezahlbare Perlen Marie dasselbe Zimmer betrat, etwas vom Tisch nahm und sofort wieder verschwand! –
Der Zusammenhang ist klar: Thilde hat den Brief am Kaffeetisch gelesen, dort dann irgendwie versteckt. Später findet deine Schwiegermama ihn, liest ihn auch, will von Thilde wissen: ‚Woher hast du diesen Brief?‛ –
Also, mein armes Theochen, jetzt wissen die beiden Damen, daß du Dinge in Fracktaschen mit dir herumträgst, die mit deiner Tugendhaftigkeit durchaus nicht in Einklang zu bringen sind! –
Sie werden dich nun ganz ohne Zweifel für einem verkappten Verführer, Lebegreis, Wüstling und so weiter halten. Wenn du unter diesen für dich so tieftraurigen Umständen den Ruf deiner Ehrbarkeit wiederherstellen willst, so kann dies nur dadurch geschehen, daß du –“
Kunstpause. –
Amadeus frohlockte innerlich! Diese Herzensbeichte einer sehr freidenkenden Komtesse war ihm ja wie gerufen gekommen! Nun brauchte er nicht mehr so nachdrücklich den Tugendwächter zu spielen. Nun konnte er mit mehr Ruhe dem Erfolg seiner Schachzüge entgegensehen.
„Na – wie denn? So rede doch!“ mahnte Theobald.
„Nur dadurch, daß du einen ganz untrüglichen Beweis für deine Herzensreinheit erbringst, das heißt, daß du wie jeder wirklich noch keusche Ehemann die allergrößte Rücksicht auf dein Fräulein – Frau nimmst und zwar mindestens noch zwei Wochen lang. Schlafe während dieser Zeit weiter hier im Herrenzimmer; laß dich durch nichts anderen Sinnes machen – hörst du – durch absolut nichts. –
Nur so werden die beiden Zimberlingschen Damen überzeugt werden können, wie sehr du über jeden Verdacht heimlich ein Liebeskundiger zu sein, erhaben bist.“
Theobald ließ sich auch wirklich dergestalt einwickeln. Er reichte Amadeus die Hand, erklärte:
„Ich werde deinen Rat befolgen! Thilde ist vor mir sicher – vorläufig! Und – ich tue es ja ganz gern, dieses Erbringen des Beweises!
Du – ich – ich verspüre keine Sehnsucht nach Thilde. Aber ich hoffe: Das wird noch kommen! Denn – Toni habe ich nun begraben, – bildlich gesprochen! –
Ich bin ein Ehrenmann.“
*
Wer in Neu-Berlin so weit Großberliner war, um für die Ehe der Stramms und für den allzeit ‚dabei befindlichen‛ Herrn Monokel-Amadeus die Bezeichnung ‚Dreieckehe‛ auszuknobeln, hat sich geschichtlich nicht völlig einwandfrei feststellen lassen.
Um die Dichterpalme für dieses ‚Kennwort‛ stritten sich vier Herren: der als Spötter verrufene Oberlehrer Blaukopf, der als Witzbold angestaunte Magistratssekretär Windelklein, der gefürchtete Rechtsanwalt Katzenfell und der Dauerinsasse der Trinkerheilanstalt Steuerrat a.D. Brockmann, nur ‚Grogmann‛ genannt.
Jedenfalls tauchte diese verfängliche Bezeichnung bereits am vierten Tag nach der Hochzeit auf. An demselben Tag fand bei der Frau Bürgermeister ein Damenkaffee unter Ausschluß der bis dahin stets geladen gewesenen Frau Prof. Zimberling statt, auf dem lediglich das Thema ‚Stramms‛ behandelt wurde und wohl schon Stimmen laut wurden, die das Benehmen Thildchens für ‚geradezu skandalös‛ bezeichneten.
Der Zufall hatte es nämlich gewollt, daß die an sich völlig harmlose Hühneraugenoperation während jenes Spaziergangs einen Zeugen gehabt hatte, und zwar war die ‚Operation‛ ausgerechnet von dem Rektor der Volksschule, Herr Bohrwurm, aus einem Gebüsch heraus beobachtet worden.
Was Bohrwurm wußte, wußte auch bald die ganze Stadt. Denn er hatte ein Weib und fünf unverheiratete Töchter. –
So wurde bei Bürgermeisters auch gerade diese unglaubliche Intimität der Hühneraugenbeseitigung und die Tatsache, daß Dr. Theobald Stramm nur mit der Kehrseite zugesehen hatte, als grobstes Belastungsmaterial gegen Thildchen weidlich durchgehechelt. Namen wie ‚Kokette‛, ‚raffinierte Person‛ und ähnliches schwirrten nur so durch die Luft. –
Amadeus Trollke, der Anstifter dieses Unheils, fühlte sich derweil als Dritter im Bunde sehr, sehr wohl. Die ganze Geschichte machte ihm einen Heidenspaß!
Gewissensbisse empfand er nicht. Man hatte seinen Theobald hier hinterlistig eingefangen und wie einen blinden Ziegenbock ohne Gebühr in einen Ehestall gesperrt, – und das mußte gerochen werden!
An sich wäre ihm dieses ewige Klette-Spielen bei einem so wenig interessanten Paar, wie Theo-Thilde es darstellten, bald langweilig geworden. Aber: Er hatte etwas Neues ersonnen, daß der Sache einen besonderen Reiz gab.
Nämlich: Er kultivierte das Ehepaar! Das heißt: Er brachte Theo und Thilde äußerlich und innerlich schrittweise ‚Weltstadtschick‛ bei! – Bei Theobald war das leicht; bei Thildchen etwa schwieriger.
Am sechsten Dreiecktag fuhr man für vier Tage nach der Provinzialhauptstadt. Für vier Tage. Sozusagen als Hochzeitsreise – zu dreien! Selbstredend zu dreien! –
Amadeus hatte dazu eingeladen. Im Hotel wohnte man in drei Zimmern nebeneinander, – Nr. 21, 22, 23. Amadeus hatte Nr. 22. Er dachte: ‚Sicher ist sicher!‛ –
Und daher pflanzte er sich für die Nacht zwischen dem Ehepaar als Mauer auf. –
Man kaufte ein; für Theobald Anzüge und so weiter, – alles, von Kopf bis Fuß! –
Für Thildchen ebenfalls Garderobe: Alles ‚totschick‛. Dann führte Amadeus seine beiden Schüler zu einem erstklassigen Haarkünstler. Theobalds Dichtermähne verschwand; der Trauerschnurrbart wurde englisch, also Bürste! Und Thilde ‚dichtete‛ der Friseur eine pompöse Frisur zusammen, so daß sie sich nachher kaum wiedererkannte. –
Und Amadeus schleppte seine Schüler weiter zu einer Maniküre; so wurden auch die Fingernägel ‚mondän‛.
Kurz und gut: Als das Dreieck dann wieder in Neu-Berlin auftauchte, lud die Frau Bürgermeister noch am selben Tag ihre ‚Lieben‛ zu sich ein, damit schleunigst eine neue Gerichtssitzung über ‚das ehebrecherische Treiben‛ dieses Monokel-Amadeus und Thilde Stramms abgehalten werden könnte.
Bei dieser Sitzung herrschte dann einmütig eine Ansicht: Mathilde, geb. Zimberling, gliche jetzt einer – Dirne! –
Und den armen Dr. Stramm habe dieser Trollke in einen Geck verwandelt.
Auch Frau Adelgunde hatte beim Anblick Thildchens sich auf den nächsten Stuhl setzen müssen.
„Donner noch eins!“ war es ihr entfahren. „Kind, Kind. – Du siehst aus wie ein Modenbild!“
Amadeus, der natürlich dabei war, lächelte stolz.
Und Vater David, der Nickende, nickte. –
Als Amadeus nicht dabei war, fragte Frau Adelgunde:
„Nun, Kind?
Thilde errötete jetzt nicht mehr. Sie hatte diese Frage schon zu oft gehört. –
„Alles beim alten!“ sagte sie achselzuckend. „Dafür war Amadeus noch reizender als sonst. Alles hat er bezahlt – alles! Und die Hände hat er mir geküßt! – Er ist fraglos verliebt!“
Frau Adelgunde strahlte.
„Gut – sehr gut! Dann also, Thilde, – dann wirst du jetzt sorgfältig achtgegen, daß Theobald diese Reserve dir gegenüber nicht ändert! –
Du verstehst! –
Ich war gestern bei Rechtsanwalt Katzenfell und sagte ihm, ich wolle mich im Interesse einer entfernten Nichte nach den Ehescheidungsgründen erkundigen. Er las mir aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch den § 1568 vor: ‚Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der ehelichen Pflichten –‛ – und so weiter.
Eine solche Verletzung liegt vor, wenn der Ehemann grundlos sich gänzlich von seiner jungen Frau fernhält. Katzenfell meinte, sofern dieses Sichfernhalten etwa drei Wochen nach der Hochzeit andauert, sei ein bombensicherer Scheidungsgrund gegeben.“
Thilde hatte gespannt zugehört. „Mama,“ sagte sie nun mit einer gewissen Feierlichkeit, „ich kenne jetzt mein Herz. Ich lieber Amadeus, liebe ihn über alles! Nie hätte ich mir eine solche Leidenschaftlichkeit der Gefühle zugetraut. Ich zittere, wenn er mir die Hand küßt. Sein Blick jagt mir heiße und kalte Schauer über den Leib. Ich träume nur noch von ihm – nur!
Und – was träume ich! –
Weil ich ihn so namenlos liebe, bin ich mit allem einverstanden! Ja – Theobald und ich müssen uns trennen. Wir würden nicht glücklich werden – alle beide nicht! Ich weiß ja jetzt erst, was Sehnsucht nach dem Mann heißt! –
Jetzt aber weiß ich auch, daß, wenn ich einmal eine Tochter haben sollte, diese Tochter von mir nie zu einer Verlobung gedrängt werden wird – nie!“
Die Schicksalswürfel rollten weiter. –
Amadeus kultivierte jetzt Thilde innerlich. Denn äußerlich war er mit ihr bereits restlos zufrieden. Mehr noch: Er hätte nie geglaubt, daß eine neue Frisur, neue Garderobe, etwas Puder und so weiter ein weibliches Wesen so sehr umgestalten könnten, daß dieses Weib ihm sogar gefiel – als Weib!! –
Und als er nun, da inzwischen die Schule wieder begonnen hatte, beinahe dauernd mit Thildchen allein war, allein mit ihr spazieren ging, mit ihr allein musizierte – und so weiter, als er dabei stets den Lehrer mit bestem Erfolg spielte – und erkannte, wie bildungsfähig seine Schülerin war, – als sie gar am achtzehnten Tag der Dreiecksehe zum ersten Mal im mit einem solchen Glutblick heimlich streifte, daß er als Kenner des Rätsels Weib merkte, wie lichterloh sie brannte, da – da – dachte er plötzlich:
‚Junge, Junge – du spielst hier mit dem Feuer! Du hast Thilde unterschätzt! – Vorsicht also, Amadeus!‛
Und am neunzehnten Tag stand Theobald vor dem Herrn Direktor in dessen Arbeitszimmer.
„Hörr Köllögö,“ begann der Schulmonarch tiefernst. „Ganz abgösöhen davon, daß Sie jötzt in ihrem Äußeren den Schülern ein röcht schlöchtes Boispiel von Beschoidenheit hinsichtlich dör Kloidung göben, auch ihre Öhö ist boroits für unsere öhrbare Stadt ein Stoin des Anstoßes gewohrdehn. Ihre Gattün zoigt sich hier lödiglich in Gösellschaft oines Hörrn, dessen Monokeel böroits zur Gehnühgee soinen Charaktöhr bewoist. –
Hörr Kollögö, wönn diese Dünge woiter oin öffentlichees Örgernis bloibehn, so muß ich –“ und so weiter.
Theobald Stramm fiel aus allen Wolken. –
Himmel – also so – so stand die Sache! Deshalb behandelten die Herren Kollegen ihn so – so wie jemanden, den man ob seiner Kurzsichtigkeit lebhaft bedauert. –
Nun – er sah ein: Grund genug zum Gerede boten sie drei, er, Thilde und Amadeus, – er als ‚mit Geweih versehener Ehemann‛ voran! –
Das mußte anders werden! Unbedingt! Zum öffentlichen Gespött wollte er nicht werden – niemals!
Also ging er aus der Schule direkt in den Salon, wo Thilde und Amadeus gerade ein Paket Bücher besichtigten, das Trollke verschrieben hatte: moderne Romane!
„Thilde, laß uns allein!“ sagte er in dem ‚neuen‛ Tonfall, den er ebenfalls von Amadeus gelernt hatte. –
Sie ging. –
„Amadeus,“ begann er dann, „so leid es mir tut: Ich muß dich rausschmeißen! Wir drei sind hier für Neu-Berlin die Dreieckehe! Das muß ein Ende haben! Reise wieder nach Hause!
Man hält dich für Thildes Liebhaber. Ist ja Blödsinn – natürlich, aber – ich kann mir diese Klatscherei nicht länger mit ansehen. –
Ich liebe Thilde jetzt weniger denn je! Aber ich weiß, daß ich mein Kreuz weiter tragen muß. –
Ich – will es nun ganz tragen! Du hast mir gezeigt, wie man energisch wird! –
In dieser Nacht schlafe ich im Schlafzimmer!“
Amadeus Trollke saß da wie ein begossener Pudel – zum ersten Mal in seinem reichbewegten Leben! –
Bevor er sich noch von seinem Schreck erholt hatte, fuhr Theo fort: „Leb wohl, Amadeus! Verabschiede dich auch sofort von Thilde! Mittags ein Uhr geht die Post ab.
Reise! Du bist doch mein bester Freund. Ich will mit Thilde sofort allein sein. Ich fühle gerade jetzt den Wagemut der beleidigten Männlichkeit. Ich werde schon nach dem Mittagessen die zärtlichere Periode meiner Ehe zu eröffnen versuchen. –
Es muß sein! Besser gleich als noch bis zum Abend warten, denn – vielleicht entfleucht mir bis dahin wieder der Tatendurst.“
Amadeus sträubten sich sämtliche Haare. Da hatte er ja mit seiner Kultivierung was Herrliches angerichtet! Theobald war energisch geworden, und Thildchen wieder hatte sich zu einem Weib herausgemausert, mit der man sich sehen lassen konnte!
Das Schlimmste aber: Jetzt fühlte er erst, jetzt in diesem Augenblick, wo Theobald wirklich Ehemann zu werden drohte, daß er – Thilde liebte, daß er zu arg mit dem Feuer gespielt hatte, daß er – auf den Freund eifersüchtig war.
Theo streckte ihm die Hand hin. „Leb wohl, Amadeus!“
Das klang wie: ‚Bitte – verschwinde! – – Gleich!‛
Und Trollke, der Verruchte, sah seinen ganzen verruchten Plan nun kläglich zusammenstürzen, sah sich selbst schon als unglücklich liebende Leiche unter den Trümmern liegen! Er, der den Freund von Thilde hatte befreien, der eine Scheidung dieser Ehe hatte herbeiführen wollen, liebte jetzt diese selbe Thilde! –
Das – das waren Verwicklungen, mit denen er ebensowenig gerechnet hatte wie mit Theobalds Energie.
„Theochen,“ sagte er nun zögernd, „hast du nie daran gedacht, daß du deine Toni doch vielleicht noch kriegen kannst? Ich meine, daß deine Ehe doch gleich wieder zu trennen ist, weil ihr ja noch gar nicht richtig verheiratet seid! –
Theobald: Deine Ehe ist unschwer zu scheiden. Ich kenne das Gesetz. Du hast jetzt genau zwanzig Tage, seit der Hochzeit eben, auf deine Gattenrechte verzichtet, und dies würde –“
„Hör auf! – Scheidung?! Ja – damit ‛s nachher heißt: ‚Ah – es stimmte: die Thilde Stramm hat mit dem Amadeus Trollke ein Verhältnis gehabt! Endlich hat dieser Ochse von Theobald was gemerkt und läßt sich scheiden!‛ Nein, Amadeus, – niemals! Obwohl ich Toni mehr denn je liebe; du sollst nicht in den Verdacht kommen, ein treuloser Freund zu sein; Thilde soll man nicht Ehebrecherin nennen; und mich nicht ‚gehörnten Hirsch!‛ – Leb wohl! – Und – kein Wort weiter!“
Amadeus raufte sich das Haar. Aber Theo schob ihn trotzdem zur Tür.
Da – flog diese auf – und die Kante Amadeus gegen den Schädel.
„Jotte doch – hat’s weh jetan?“ meinte die ländliche Marie, die derart hastig eingedrungen war. „Ich soll nämlich von die Frau Doktor an die Herrens bestellen, daß sie man für drei Minuten verschwunden is. Und die Herrens sollen hier in ‛n Salon man warten – auf jeden Fall! ‛s jibt ‛ne Jberraschung!“ –
Darauf verzog sie sich wieder.
Fünf Minuten verstrichen. Die Freunde saßen schweigend da. –
Dann – wieder flog die Tür auf. Frau Thilde trat ein.
Sie sah erhitzt aus.
„Theobald,“ begann sie, „ich habe vorhin euer Gespräch belauscht – ja, das habe ich.
Theobald, du willst dich nicht scheiden lassen?! –
Du mußt!! Wir sind uns doch gleichgültig! Ein jeder von uns liebt, liebt mit ganzer Seele – wen anders! Du die Toni Siebert: und ich – ich – Amadeus! Und kein Mensch soll etwas dabei finden, wenn wir wieder in allem Frieden auseinandergehen und gleich nachher wieder heiraten: Du die Toni, ich denn Amadeus!“
Sie öffnete schnell die Tür nach dem Speisezimmer. Und – dort stand Toni – sehr, sehr verlegen!
„Ich habe sie soeben geholt,“ erklärte Thilde lachend. „War das nicht ein Gedanke, würdig meines erhabenen, klugen Lehrers Amadeus?“
Und dann gab sie Theobald einen kräftigen Stoß, so daß er ins Eßzimmer flog; schloß die Tür und drehte sich nach Amadeus Trollke um.
Und Amadeus, der Verruchte? –
Oh – er war selig, daß die Dreieckehe nun doch einen so glücklichen Ausgang nahm und zur Doppelehe werden sollte.
Er breitete die Arme aus, rief:
„Thilde, – an mein Herz!“
Aber – sie machte ihm eine lange Nase.
„Nach der Scheidung, du! – Dann ja!“
Und er durfte ihr wirklich nur die Hand küssen.
Am selben Abend reisten die Freunde ab. Sie sahen Neu-Berlin nicht wieder. Theobald Stramm nahm seinen Abschied, wurde Bibliothekar einer großen Privatsammlung und heiratete seine Toni acht Monate später an demselben Tag, als Thilde ihrem Amadeus vor dem Standesbeamten mit Leib und Seele sich verschrieb.
Beide Hochzeiten wurden in Berlin – nicht Neu-Berlin!! – im selben Saal gefeiert; und beide Paare brachen schon um halb zehn Uhr abends auf und begaben sich in ein anderes Hotel auf die vorher bestellten Zimmer Nr. 50 und 51 zu je zwei Betten; und diesmal saß Theobald nicht auf den Deckel des Orkus, sondern lag warm, weich und selig woanders.
Und so endet die Geschichte von der Dreieckehe –