von
Alfred Kuhn
Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.
1. Kapitel
Der ‚Fidele Selbstmörder‛, die Haarspange und eine Ohrfeige
Habakuk Zwitscher verteilte die Sardellen mit der nassen Bürste kunstgerecht über den kahlen Schädel und verlieh diesem so das Aussehen einer weißen, mit dunklen Haarsträhnen beklebten Billardkugel. Für harmlose Gemüter, die mit fachtechnischen Ausdrücken der Haarbranche nicht vertraut sind, sei hier gesagt, daß man unter Sardellen die möglichst lang gelassenen kranzförmig angeordneten Reste eines einst dichten Kopfschmuckes versteht, die in feuchtem Zustand und bei Wind die Neigung haben, in Gestalt von fischähnlichen Zöpfen dem Besitzer bis in den Nacken herabzufallen, und so dessen Aussehen zum mindesten eine gewisse Eigenart verleihen.
Der Herr Gerichtsoberkanzlist Zwitscher war auch im übrigen kein schöner Mann, ganz besonders nicht wie jetzt in Unterhosen, die mit ihren vielen gestopften Stellen seinen graziös gewölbten Streichholz-O-Beinen das Aussehen von farbbeklexten krummen Eichenknütteln gaben. Auch der stark löcherige Netzhemd – Netzhemden können nämlich sehr wohl unvorschriftsmäßige Löcher haben! –, daß die Oberpartie des mageren Leibes einhüllte, war nicht dazu geeignet, den Gesamteindruck des würdigen Herrn zu heben, zumal er auf Brust- und Rückseite einen schwarzen wolligen Haarwuchs besaß, der unwillkürlich bei ihm von einer schwanzartigen, behaarten Rückgratverlängerung suchen ließ, dieweil man eben sofort an eine engere Verwandtschaft Habakuks mit unseren Affenahnen durch erwähnte Haarfülle erinnert wurde.
Schweifte der staunende Blick des Beschauers noch höher hinauf, so schloß sich an das ramponierte Netzhemd ein Schwanenhals mit faustgroßem ‚Saufknoten‛, sodann ein glattrasiertes Gesicht von puppenartiger Rundung und Ausdruckslosigkeit an. Noch weiter hinauf kamen dann die Sardellen.
„Habakuk,“ ertönte nun eine undeutliche Stimme hinter dem vor dem Türspiegel des Kleiderschrankes Stehenden, „Habakuk, du ziehst sofort dieses Netzhemd aus! Du bist so sparsam! Denke, – wenn dir etwas passiert, wenn du im Bureau ohnmächtig wirst, dann wird man das Netzhemd sehen, und dann –“
Frau Therese Zwitscher entwickelte alle erdenklichen Möglichkeiten noch etwa drei Minuten lang, ohne jedoch einen Erfolg zu erzielen.
Habakuk war nämlich zu allem anderen angeblich noch schwerhörig, und wenn Frau Therese zu ihm sprach, während ihre tadellosen Zähne noch im Glas Wasser auf dem Nachttischchen lagen, dann verstand er nie ein Wort oder wollte nichts verstehen. –
Als Frau Therese nun schwieg, sagte er liebenswürdig-zärtlich wie immer: „Sagtest du etwas, Thereschen?“ drehte sich nach ihr um, brachte aber blitzschnell den Kopf wieder in die alte Lage zurück, da seine bessere und um einhundertfünfzehn Pfund schwerere Hälfte neben ihrem Bett gerade das Nacht- gegen das Taghemd hatte auswechseln wollen und daher sich in einem adamistischen Kostüm befand, das ihre sämtlichen ungeheuerlichen Reize offen zur Schau stellte.
Es erübrigt sich, Frau Therese hier näher zu schildern. Wenn erwähnt wird, daß sie einer nahen Verwandten der ‚schwersten Dame der Welt‛ ungefähr glich, was Körperumfang und Schwammigkeit der Fleischmassen betrifft, so genügt das. –
Wir haben soeben die Eltern des Helden unserer Geschichte kennen gelernt, – des männlichen Helden! Wir müssen schon noch einige Zeit in diesem bescheiden eingerichteten Schlafgemach, in dem wir diese Bekanntschaft wehmutsvollen Blickes und mit leisem Schaudern über die Vielseitigkeit menschlicher Körperformen machen durften, verweilen, da sich sofort hier eine für die Entwicklung der Handlung äußerst wichtige Szene abspielen wird. Lesern, die eine realistische Charakterisierungskunst schlankweg als ‚Wortschmutz‛ verurteilen, rate ich dringend, die nächste Seite zu überschlagen. Ich tue es, weil ich nun bestimmt weiß, daß sie diese Seite mit ganz besonderer Gier studieren werden. Ich kenne eben meine Pappenheimer! –
Frau Therese hatte die blitzschnelle Kehrtwendung des Gatten, der ihr adamistisches Kostüm soeben rein zufällig erspäht hatte, sehr wohl bemerkt. Seit langem lebte in ihrem achtundvierzigjährigen Herzen ein geheimer Groll gegen ihren sonst so braven Habakuk. Und dieser Groll hing eng mit dieser eine gewisse Interessenlosigkeit für die Reize seines Weibes verratenden Kehrtwendung zusammen.
Mit achtundvierzig Jahren ist man doch schließlich noch nicht alt! Und man verlangt doch noch etwas an stürmischen Zärtlichkeiten, – etwas, wenn auch nicht so viel als zum Beispiel in den Flitterwochen! Man verlangt’s ganz besonders deswegen, weil Habakuk mit seinen zweiundfünfzig Lenzen und seiner Dürrheit durchaus ein lebender menschlicher Beweis für die alte Bauernredensart war: ‚Ein guter Hahn wird selten fett!’
Aber – dieser magere Hahn streikte – streikte in einer geradezu empörenden Weise! Und wenn Therese als Frau ‚im gefährlichen Alter‛ durch allerlei kleine Schliche, Listen und Scherze, die in ihm etwas wachrütteln sollten, seine Ruhe allzu empfindlich störte, dann – dann sagte dieser noch so frische und doch so faule Gemahl stets mit einem verschämt-liebenswürdigen Lächeln:
„Reselchen – aber Reselchen! Wir beide! – Wir! Wo unsere Junge schon fünfundzwanzig und unbesoldeter Referendar ist! – Reselchen – nicht doch! Ich vertrage das Kitzeln so schlecht! Ich kriege wirklich immer Kopfschmerzen danach!“
Dergestalt war für Habakuk Zwitscher sein Herr Sohn Kurt der Wall, hinter dem er sich verkroch, wenn der Feind der Lüsternheit allzu heftig seine Angriffe wiederholte. –
Thereschen fühlte sich heute mehr denn je als unverstandene Frau. Diese Kehrtwendung ihres Habakuk schlug heute sozusagen dem Faß den Boden aus. Noch nie hatte er sich so blitzschnell abgewandt wie heute. Das verriet stetig sich steigernde Streiklust! Da mußte ein Riegel vorgeschoben werden! Sofort!
„Habakuk!“ rief sie recht laut. Aber infolge der noch dem schönen Mund mangelnden tadellosen Zähne klang dieses ‚Habakuk‛ – welches Pech! – etwas anders.
„Reselchen, wozu soll ich denn Mut haben?“ fragte er vom Spiegel her, wo er sich jetzt um den Hals und über das Netzhemd den Oberhemdenersatz alias Gummistoffbrettchen befestigte.
„Was faselst du da von Mut?“ rief sie, und sie sprach jetzt die Silben wie eine Souffleuse aus.
„Aber Reselchen, du fragtest doch soeben sehr laut: ‚Hast de Mut?‛ – Und da wollte ich doch gern wissen, wozu –“
Frau Therese sah ein, daß sich eine unverstandene Frau ohne Zähne gegenüber einem schwerhörigen Gatten zu sehr im Nachteil befindet, langte in das Glas hinein und – konnte nun den Kampf mit mehr Absicht auf Erfolg fortführen.
„Habakuk,“ sagte sie, indem sie das Mieder keuchend zuhakte, „Habakuk, wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?!“
Da er im Spiegel erkannte, daß seine Jungfrau von Orleans nun den Panzer vollständig über dem edlen Leib geschlossen hatte und daß sie mithin ungefährlich war, drehte er sich jetzt gemächlich um und erwiderte mit im Nacken befindlichen Händen, wo er soeben die Schnalle seiner blaßrosa und hellgrün gestreiften Krawatte so fest zuzog, als wollte er sich erdrosseln:
„Du hast ganz recht, Reselchen: Wie lange sollen wir noch so tun, als ob wir nicht merken, daß Kurt mit der Kellnerin aus dem ‚Fidelen Selbstmörder‛ Beziehungen unterhält, die nur zu leicht Folgen haben können, die, erst im Entstehen begriffen, in neun Monaten zu einem sogenannten Säugling ausgereift sein dürften.“
Frau Therese war sprachlos, sprachloser, am sprachlosesten! Nein – diese Frechheit! Jetzt hatte ihr Habakuk ja einen neuen Trick ersonnen, derartige Aussprachen auf ein entlegeneres Gebiet hinüberzuspielen. Und – diese Schamlosigkeit, hierbei Dinge an den Haaren herbeizuziehen, die doch so gänzlich harmlos waren wie ihr Kurt überhaupt! Noch schamloser, gleich mit einem Säugling zu drohen, der doch als Voraussetzung stets ganz intime Beziehungen zwischen Kurt und ihrer Namensvetterin Resi gehabt hätte, – Beziehungen, die bei Kurts Veranlagung gänzlich unmöglich waren!
Sie war jetzt wirklich wütend.
„Habakuk, dich meine ich, nicht Kurt!“ rief sie so drohend, daß sogar ihr Gebiß mit wackelte vor Schreck.
Habakuk knickte denn auch in die Knie, richtete sich aber sofort wieder auf und schwenkte in der Linken ein Stück seines Schlipsgurtes, das er bei der jähen Schreckbewegung abgerissen hatte.
„Wie – ich soll mit der Resi ein Verhältnis haben, ich?!“ entgegnete er und reckte sich höher. „Ich, ein Mann, der dir täglich beweist, wie zurückhaltend er Frauen gegenüber sein kann! – Therese, diese Schmachvolle Verdächtigung –“
Er schwieg plötzlich, denn – der oberste Unterhosenknopf war vor Schreck gleichfalls abgeplatzt, so daß die grauen, vielfach und farbenfroh gestopften Beinhüllen allmählich eine Abwärtsbewegung angetreten hatten, die Habakuk aber erst wahrnahm, als er bis zu den Knien entblößt dastand, wobei nun zweifelhaft Netzhemdunterkante und Unterhosenoberrand ein Stück Mittelleib enthüllt worden war, das schon die altgriechischen Bildhauer in Rücksicht auf die höheren Töchterschulen stets in Gestalt eines Feigenblattes dargestellt haben.
Frau Therese hatte von alledem nichts wahrgenommen, da sie gerade in den Unterrock schlüpfte. Aber gehört hatte sie, was ihr Habakuk heute für ein herrisches Tönchen anschlug.
Und daher rief sie nun:
„Habakuk, wem willst du damit imponieren?!“
Und so viel Ironie lag in diesen Worten, daß Habakuk das Unterhöschen mit einem Riesenruck wieder hochriß, um nicht nochmals eine ähnliche höhnische Bemerkung einstecken zu müssen. Sodann zog er die hell gestreiften Sommer-Bureau Beinkleider an, setzte sich auf den Bettrand und tat dasselbe mit den altehrwürdigen Schaftstiefeln.
Hinter ihm hatte Thereschen die Hände in die Hüften gestemmt und überlegte, wie sie das Gefecht nun gegenüber dieser gegnerischen Tollkühnheit fortsetzen solle.
„Habakuk!“ sagte sie, und es klang wie ein Signal zur Attacke.
„Therese?“ Und das klang sehr kleinlaut. Denn Habakuk hatte das ironisch-verächtliche ‚Wem willst du damit imponieren?!‛ noch nicht vergessen.
„Ich möchte dich doch sehr dringend ersuchen, unseren Kurt hier aus dem Spiel zu lassen!“ fuhr Thereschen fort. „Sehr dringend! Unseren Jungen in einem Atem mit einer Kellnerin zu nennen, die dafür bekannt ist, daß sie bereits drei Liebespfänder – lebende Liebespfänder besitzt und daß ihre Liebe nach einer Zeche von dreihundert Mark aufwärts unschwer zu erringen ist, – das, das es eine unväterliche Gefühlsrohheit, das ist eine so häßliche –“
„Verdammte Schweinerei!“ hatte da der arme Habakuk ausgerufen, der beim Hineinfahren in den linken Stiefel mit der großen Zehe gegen einen harten Fremdkörper gestoßen war. –
„Au – was ist denn in dem Stiebel drin?! Das – das –“
Er riß das Fußfutteral wieder herunter, stülpte es um, schüttelte es wütend hin und her und förderte so eine Haarspange von der Größe einer halben Hand zu Tage, – eine Haarspange, imitiert Schildpatt von recht gefälliger Form, die – das sah Habakuk mit einem Blick – seiner Therese nicht gehörte.
Frau Zwitscher, geborene Lehmpfuhl – aus Hinterpommern, Dorf Ziegenhals – kam neugierig um die Betten herum.
Habakuk hielt das ungewöhnliche Stiefel-Füllmaterial hoch und schlackerte mit dem Kopf.
„Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’ –
wessen Eigentum dies mal gewesen ist!“, deklamierte er in Anlehnung an Gretchen aus dem Faust. Er hoffte sein Thereschen daraus in versöhnlichere Stimmung zu bringen.
Frau Therese besichtigte das Hindernis, warf ihrem Habakuk dann einen durchdringenden Blick zu und fragte in unheilverkündendem Ton:
„Habakuk, wo – wo warst du gestern noch nach dem Kegelabend?! Wo?! Du kamst erst um ein Uhr heim! – Habakuk, dürfte diese Spange nicht vielleicht in deiner Westentasche gesteckt haben und dann in den Stiefel hineingefallen sein?!“
Armer, armer Zwitscher! Wenn du ein Josef Kainz, ein Ludwig Barnay, ein Albert Bassermann oder sonst ein berühmter Charakterspieler gewesen wärest, dann – dann hättest du es fraglos fertiggebracht, jetzt das weiße Unschuldslämmlein zu spielen! Aber so – so?!
So wurde Habakuk Zwitscher eben flammend rot, senkte verlegen den Kopf so tief, daß ein paar Sardellen sich lösten und langsam an den Schläfen über die Ohren herabglitten, wo sie nun wie die bekannten ‚Peies‛, die Locken der polnischen Kaftanträger, hingen und sacht hin und her pendelten.
Frau Therese nahm all das als ein Geständnis hin – als Eingeständnis intimerer Beziehung zu einem weiblichen Wesen, das ihrem – ihrem Ehemann zum Andenken an zärtliche, ehebrecherische zehn oder fünfzehn Minuten die Spange geschenkt hatte.
Ah – nun hatte sie ja endlich die Erklärung für die Streiklust dieses – dieses Wüstlings, der außerhalb des gemeinsamen Schlafgemachs das suchte, was sie die bedauernswerte, unverstandene Frau, dann entbehren mußte!
Sie war blaß geworden. Sie zitterte vor Wut, Neid und Eifersucht! Sie wollte sprechen. Es ging nicht. Ihre Kehle war wie mit Streusand eingerieben. Und – da sie nicht sprechen konnte, tat sie das, was alle Frauen tun, wenn irgend etwas ihnen Schweigen gebietet: Sie weinte, sie schluchzte, sie heulte zum Erbarmen!
Der regte sich sofort bei Habakuk Zwitscher das weiche Herz. Er richtete sich auf, legte den Arm um seine Schwergewichtswalküre und sagte ebenfalls ganz weinerlich:
„Thereschen, ich schwör’s dir bei der Liebe, der wir unsern Kurt zu verdanken haben: Mir hat niemand die Haarspange in die Weste gesteckt! Ich sehe die Spange zum ersten Mal! Und – gestern abend war ich noch mit den Kollegen Dickbier und Lämmerschweif nur auf einen einzigen Schoppen unten im ‚Fidelen Selbstmörder‛.
Armor, armer Zwitscher! Wie durftest du patentierter Esel in diesem Augenblick zugeben, gerade das Lokal besucht zu haben, in dem die Resi mit den drei lebenden Liebespfändern die Gäste bedient und – wie bedient! – wie! Eben mit allem, was die haben wollen.
Frau Therese hörte plötzlich zu weinen auf. Und Habakuk flog nun, getroffen von einer Ohrfeige, die jedoch nur gegen seine Schulter klatschte, wie ein Tennisball auf sein Bett, überschlug sich hier und blieb dann geradezu gelähmt vor Entsetzen ganz still liegen.
Seine Therese hatte ihn geschlagen! Geschlagen! Zum ersten Mal in sechsunddreißigjähriger Ehe! –
Er war seelisch gebrochen; er war eine Seelenleiche; er war ein mit einem einzigen Schlag gefällter Ochse.
Frau Zwitscher, geborene Lehmpfuhl, kriegte es sehr bald mit der Angst! Ihr schoß jäh durch den Kopf, daß Leute schon an Ohrfeigen gestorben sein sollten. Und – ihr Habakuk lag da wie ein Toter, – auf dem Bauch; das Ersatzoberhemd alias Gummistoffbrettchen war ihm ins Genick gerutscht und stand dort nun aufrecht wie eine Grabtafel; beide Hosenpaare waren bei dem Purzelbaum in inniger Gemeinschaft abwärts gerutscht und gaben nun die volle Aussicht auf die natürlichen Sitzpolster frei, so daß jeder sich überzeugen konnte wie plattgedrückt diese Kanzlisten-Sitzpolster waren.
Kurz – der Gesamteindruck war erschütternd.
Thereschen bibberte denn nun auch das Herz vor Reue über die handgreifliche Quittung für den Besuch bei der Resi mit den drei Liebespfändern.
Sie beugte sich über ihren Habakuk.
Da – er glaubte, sie wollte diese ‚manuelle‛ Bekanntschaft fortsetzen – da schnellte er hoch, um sich in Sicherheit zu bringen und fuhr ihr unbeabsichtigt mit der Kehrseite der Medaille gegen das verängstigte Gesicht.
Und die Folge war, daß Therese Reue und Angst vergaß, daß sie im Glauben, hier liege eine schlau berechnete Entweihung ihres holden Antlitzes durch diese Berührung mit der unfeinen, rundlichen Rückgratverlängerung vor, einen empörten Schrei ausstieß und sofort hinzufügte:
„Ich – ich lasse mich scheiden! Das – das braucht sich keine Frau gefallen zu lassen, so einen heimtückischen Angriff mit einer Waffe, die man in anständiger Gesellschaft nie in den Mund nimmt! Nein – das enthüllt mir deinen wahren Charakter!“
Habakuk hockte nun im Bett seiner teuren Gattin wie ein sprungbereiter Frosch. Auch ihm riß jetzt aber das, was man in dieser sechsundzwanzigjährigen Ehe sich allmählich zugelegt hatte: der taudicke Geduldsfaden! –
Therese wollte ihn nicht verstehen; Therese verdächtigte ihn in unerhörter Weise; Therese hatte ihm ‚eine gelangt‛ –: Therese traute ihm zu, er hätte ihr absichtlich mit dem Sitzpolstern ins Gesicht springen wollen!
„Gut, lassen wir uns scheiden!“ sagte er eisig kalt. „Du wirst als schuldiger Teil erklärt werden, denn du hast mich körperlich mißhandelt, hast mich, deinen Eheherrn geschlagen!“
Er stieg würdevoll von dem Bett herab und begann seine Toilette zu beenden.
Frau Therese tat dasselbe.
Sie waren total Luft für einander.
Nur als Habakuk dann ins Eßzimmer an den Kaffeetisch gehen wollte, sagte er kühl:
„Wir wollen wenigstens unserem Kurt nicht zeigen, wie es um unsere Ehe steht. Tun wir vor ihm vorläufig, als sein alles beim alten.“
„Ja – ja!“ erwiderte sie weinerlich, denn ihr war der ganze Streit schon sehr leid.
„Habakuk, ich denke, wir –“
Da warf er die Tür jedoch schnell hinter sich zu.
2. Kapitel
Der Schrank, der Sohn und die Resi
Zwitschers ging es nicht schlecht, obwohl er nur Gerichtsoberkanzlist war. Frau Therese hatte sehr bald ihre Eltern beerbt, die einen Bauernhof besessen hatten. Außerdem war Habakuk auch ein Fiffikus, der wie der Volksmund das ausdrückt, aus Dreck Zwerge zu machen verstand. Er spielte nebenbei den Winkelkonsulenten, wußte in Steuerangelegenheiten zum Nachteil des Fiskus und zum Vorteil vieler Steuerdrückeberger unzählige Hintertürchen, durch die Vermögenswerte spur- und steuerlos verschwanden.
Trotzdem hatte es Zwitschers viele Entbehrungen gekostet, ihren Einzigen studieren zu lassen, zumal sie ihn nicht von der Gnade von Stipendienverteilern abhängig machen wollten. –
Nein – schlecht ging es ihnen nicht, aber sie waren ja auch beide so anspruchslos! Sie sparten und darbten nur für ihren Kurt. Nur seinetwegen mieteten sie eine Dreizimmerwohnung, von der das eine Zimmer einen besonderen Eingang vom Flur hatte. Und dort wohnte er nun, der Herr Referendar Dr. jur Kurt Zwitscher, der männliche Held unserer Tragödie. Denn daß es sich hier um eine Tragödie handelt, wird der Leser schon am Kapitel eins gemerkt haben, in dem genug Konfliktstoff für mehrere Sittendramen angehäuft ist, – so zum Beispiel die Haarspange, das ‚gefährliche Alter‛ Frau Theresens und – der ‚Fidele Selbstmörder‛ nebst Zubehör! –
Unsere Tragödie spielt in einer großen Seestadt.
Das Haus, in dessen erstem Stockwerk Zwitschers wohnten, lag in einem älteren Stadtteil. Gegenüber befand sich ein zum Park umgewandelter Friedhof. Im Erdgeschoß rechts hauste der ‚Fidele Selbstmörder‛ dessen Inhaberin Amalie Meier hieß, stets nur Tante Meier genannt; links aber gab es etwas Poetischeres – ein Blumengeschäft, Besitzerin Frau Anna Randow. –
Zwitschers Flurnachbarn waren zwei ältere Schwestern namens Isabella und Genoveva von Mißdubski, – uralter polnischer Adel, – nach Angabe der Schwestern.
Dies genügt über Örtlichkeit und Umgebung. Der Leser mag sich die Namen merken. Sie alle haben ihre Bedeutung für unsere Tragödie.
Und somit beginnt der zweite Akt.
*
Habakuk hatte nicht nur berufliche, sondern auch häusliche Pflichten. Daß er sich Letzteren teilweise entzog, haben wir bereits miterlebt. Alles andere aber erledigte er gern und gewissenhaft, so daß auch jetzt das zubereiten des Ersatz-Morgenkaffees, das Decken des Kaffeetisches und das Wecken seines Herrn Sohnes.
Zu diesem Zweck öffnete er im Eßzimmer, das zugleich Salon, Herren- und Wohnzimmer war, den vor die Verbindungstür nach Kurts Zimmer gestellten Schrank, ein uraltes, riesiges Möbel, schob die darin hängenden Kleider und auch ein loses Brett der Rückwand beiseite, langte mit der Hand hindurch und wollte nun recht kräftig gegen die Türfüllung pochen, als er etwas hörte, das ihn leicht zusammenfahren ließ.
Er wußte ja, auf der andern Seite der Tür stand Kurts Waschtisch, und wenn jemand sich davor ‚bereinigte‛ und dabei so sündhaft frech lachte, wie’s eben wirklich jemand getan hatte, dann hörte man’s hier ganz genau!
Habakuk senkte jetzt den Kopf vorsichtig recht tief in den Schrank hinein, um besser lauschen zu können. Denn das, was dort drüben vorging, erschien ihm höchst verdächtig! Mehr noch – man konnte kaum noch von Verdacht sprechen! Es war bereits ein vollgültiger Beweis für die Richtigkeit seiner Befürchtungen, dieses unheilvolle, aufreizende Dirnenkichern, – ein Beweis für die allerengsten Beziehungen zwischen seinem Filius und der Resi mit den drei lebenden Liebespfändern.
Gestern nacht hatte Habakuk ja dieses Lachen vielfach gehört, als er mit Dickbier und Lämmerschweif im ‚Fidelen Selbstmörder‛ leichtsinnigerweise eine durch Resis Paprikawitze stark gewürzte Stunde verbracht hatte.
Er irrte sich nicht: Das war dasselbe Lachen, ohne Zweifel! Und weil es dicht vor dem Waschtisch ertönte, mußte man notwendig zu der Annahme gelangen, daß die Resi eben sich in den Zimmertüren geirrt und nach Schluß des ‚Fidelen Selbstmörder‛-Betriebes nicht drei, sondern nur eine Treppe hochgestiegen war.
Habakuk war kein Tugendbold und kein Pharisäer. Er hatte, als er noch Sergeant beim Train war, als Junggeselle auch so manches berissen und deshalb Verständnis dafür, daß ein großer, strammer Junge seine Jugend genießen wollte.
Nur – nur daß der Kurt ausgerechnet so oft im ‚Fidelen Selbstmörder‛ einen Stehschoppen trank, daß dies bereits im Hause bekannt geworden war und letztens auch schon die adligen Fräuleins von nebenan hierüber Bemerkungen gemacht hatten, als sie sich von Frau Therese wieder einmal ein paar Mark borgten, – das ferner diese Stehschoppen nun dazu geführt hatten, wozu häufigerer Besuch von Kellnerinnenlokalen oft führt, nämlich zur Anbändelung mit den mehr oder weniger holden Jungfrauen dieser bescheidenen Klasse, – daß schließlich sein Einziger jetzt ausgerechnet auf diese überreife Schönheit hineingefallen war und sie sogar aus angeborener Ritterlichkeit eine Nacht bei sich beherbergt hatte, – das – das alles war Habakuk Zwitscher durchaus nicht recht. Nein – da gab es doch schließlich noch jüngere, frischere Mädels für die ersten Liebesversuche, zum Beispiel so eine wie die blonde Hildegard Randow, die Tochter ‚des Blumengeschäfts‛, – aber nur ‚zum Beispiel‛, denn Hildchen war ja ein Mädchen, das für eine derartige Liebelei nie zu haben war und das selbst der gewissenloseste Schürzenjäger geschont hätte, so hold und rein schaute sie aus und so harmlos zutraulich war ihr Wesen.
Dies fuhr Vater Habakuk so durch den Kopf, als er nun auch den Kopf durch das Loch in der Rückwand des Schrankes steckte, damit ihm ja kein Wort von dem Gespräch da drüben entging.
Zunächst nochmals das Dirnen-Kichern.
Dann eine Frauenstimme, tief voll, wie das Organ einer Heldenmutter, die Kognak und sonstige ‚Fuselkalien‛ nicht verschmäht –
„Kurtchen, du bist a rechter Depp!“
Depp?! – Habakuk suchte in seinen Gedächtniskammern.
Depp?! Was bedeutete das doch? –
Ah – richtig, – die Resi liebte es ja, sich als echte Münchnerin aufzuspielen und so a wenig zu ‚bayern‛. Und Depp, – das war für die Bayern so ein Mensch, der schüchtern – töricht – minderbegabt ist!
Eine Frechheit! Seinen Kurt, der alle Examina glänzend bestanden hatte, Depp zu titulieren.
Ah – da kam ja auch die Erklärung für diese halbe Beleidigung. Die Heldenmutter drüben trompetete weiter:
„Mir is ja schon so allerlei passiert, du! Aber sowas wie in dieser Nacht, no, das hab i wahrraftig für nit meglich g’halten! Ischt’s zu glauben: A fescher Bursch hat a fesches Madel stundenlang bei die Nacht auf sein Zimmer, und was geschicht – was? Gar nix – gar nix! – Kurtel, du bist eben a’ geselchter Depp!“
„In deinen Augen bin ich’s, Resi. In den Augen eines so unersättlichen ‚Mädels‛ wie du es vorstellst! In meinen Augen aber bin ich der geblieben, der ich bisher war, – ein Mensch, der für so stark durch Alkohol angeheizte Liebe wie deine kein Verständnis hat!“
„A Unverschämtheit!“ schrie das freche Dirndl alias Heldenmutter dreier Anhängsel jetzt erbost. „A Injurie ist diese Bemörkung von dir! Durch Alkohol angeheizten –! Und das sagt mir so a grünes Bürschchen wie du, – mir, die ich die Tochter eines Fürsten, wenn auch die uneheliche, bin und ihn mit Stolz sich eine geborene Balienerin nennt! Det is doch nich zu jlauben, son halber Säugling red mir von – von – angeheizte Liebe!“ Sie wurde offenbar immer weniger Münchnerin und immer mehr Balienerin. „Ich denk’ wunder, was ich tu, als ich noch bei dir anklopft und dann bei dir bleib! Und dieser prüde Aff macht mir ‛n Lager auf die Schesselongü zurecht, haut sich wieder in seine Falle und sagt kalt wie ‛ne Hundeschnauze: ‚Bitte – schlaf’ dir nur deinen Rausch aus. Morgen früh wirst du ja für meine Gründe, die nicht zu größter Zurückhaltung dir gegenüber bewegen, einen klareren Kopf haben!“ –
Na, von mir aus kannst mir jetzt mit Filzpantinen den Buckel blank scheuern, du! Zwischen uns is allens aus.“
„Gestattet – ‚aus‛ kann nur etwas sein, das angefangen hat, und ich besinne mich nicht, daß zwischen uns irgendwie von einem ‚Anfang‛ die Rede sein kann. Wenn ich unten in eure Neppbude mich öfters hineinverirrte, so hatte ich eben Durst. Aber nur Durst auf einen Stehschoppen, nicht auf Mikoschwitze und Pfänderspiele, wie du eine gewisse Art unterer Handgreiflichkeiten nennst.“
Ein Lachen jetzt drüben, – ein Lachen, so höhnisch, so drohend, so frech, daß dem guten Habakuk vor Grauen die Sardellen sich abermals lösten, wobei allerdings die Berührung seiner überklebten Billardkugel mit den Kleidern im Schrank auch das ihrige getan hatte.
Das greuliche Lachen verstummte jäh.
„Du – du grasgrüner Schnullerlutscher, du schlägst jetzt so ‛n Tönchen an –!“ fauchte der Heldenmutter Sopran nun. „Na warte, du! Ich werd’s dir stecken. Ich wird’ zu deiner Ollen jehn –“
Drüben ein Aufschrei.
„Ich verbitte mir, daß du so von meiner Mutter sprichst! Noch eine solche rüde Redensart, und – ich vergesse mich und schlage zu! Raus mit dir – sofort!“
Resi schien sich schnell von dem Schreck erholt zu haben.
„Schau, – beißen kann der Kleene ooch schon!“ meinte sie höhnisch. „Na – beiß dann man schleunigst uff die Angel an, die die Randowsche for dir auswirft, damit det ihre blonde, süße Vanillecreme-Tochter doch man ja ‛n Referendar zum Bräutigam kriegt! Aber – die süße Hilde wird jetzt nich mehr wollen, fürcht ich! Na – schlecht behandelt hat sie dich schon ‛ne ganze Weile! Und daß die Behandlung nich besser wird, dafür sorje ich!“
Drüben das Zuknallen einer Tür.
Dann Kurts Stimme: „Ekelhaft! – Wie konnte ich aber auch nur so dumm sein und diesem Weibsbild glauben, daß sie ihren Stubenschlüssel verlegt hätte! Die Sache kann für mich –“
Mehr konnte Habakuk nicht verstehen.
Aus einem sehr einfachen Grunde: Jemand hatte ihn an den Frackschößen aus dem Schrank herausgezerrt. Und dieser Jemand war Habakuks Schwergewichtswalküre, die ihn nun angstvoll fragte:
„Was – was geht dort vor?! Wenn du nicht mal deine Frisur schonst, dann muß doch –“
Habakuk hatte die ‚Peies‛ hastig wieder hochgelegt. Er merkte: Thereschens Mutterherz bangte um den Sohn! –
Und daher erwiderte er schnell:
„Wir haben Kurt unrecht getan. Wir brauchen die Resi nicht zu fürchten. Er hat in dieser Nacht die Tugendprobe bestanden.“
Frau Therese wurde blaß vor Schreck. Sie ahnte so ungefähr das richtige. –
Tugendprobe! Dabei konnte es sich nur um eine weibliche Person, eben um die Resi handeln! Und weiter nur um Dinge, die sich in Kurts Zimmer abgespielt hatten.
Sie ließ sich in den nächsten Stuhl fallen, der unter dieser unerwarteten Belastung angstvoll ächzte.
Habakuk berichtete, was er erlauscht hatte. Alles berichtete er. Er war jetzt etwas versöhnlicher gegen seine schlagfertige Gattin gestimmt, da er sich geradezu namenlos freute, daß sein Sohn dieser etwas abgenutzten Schönheit nicht ins Netz gegangen war.
Als er nun auch die haßerfüllte Bemerkung der Resi über die Randows, Mutter und Tochter, erwähnte, da verfinsterte sich Thereschens Antlitz jäh, und ihrem zahnbewaffneten Mund entschlüpfte das vielsagende Zitat:
Wer einen Doktor will frein,
Muß ein Goldfischlein sein!
– Das war aus der Operette ‚Geisha‛ von Sydney Jones.
Therese liebte die ‚Geisha‛, weil sie sich bei den Klängen des Geisha-Walzers mit ihrem Habakuk oben auf der Galerie verlobt hatte.
Habakuk verstand, was das Zitat sollte. Therese wollte hoch hinaus mit ihrem Jungen! Es war fast eine fixe Idee von ihr, daß er nur eine Millionärstochter heiraten dürfe. –
Deshalb ließ sie auch an den Randows kein gutes Haar; deshalb paßte sie argwöhnisch auf, daß Kurt sich ja nicht an die blonde Hilde ‚verplemperte‛!
Habakuk verstand, fühlte gelinden Ärger in sich aufsteigen, holte die Kaffeekanne und pochte nun wirklich bei Kurt kräftig an, der denn auch sofort rief:
„Ich komme!“
Und er kam, küßte die Eltern, war nicht im geringsten verlegen, obwohl doch eigentlich so ein wenig sein Gewissen hätte belastet sein müssen, plauderte von diesem und jenem, aß mit bestem Appetit und wurde erst stiller und nachdenklicher, als er merkte, daß zwischen den Eltern heute nicht alles so war wie sonst.
Er liebte sie ja. Er war dankbar, weil sie unter Entbehrungen ihn so weit gefördert hatten. Niemals hatte er sich ihrer auch nur im geringsten geschämt. Er war eben ein Mensch von Charakter, wenn auch kein Duckmäuser. Nein – er kannte das Leben sehr gut. Gerade weil er den Kampf ums Dasein, Sparen und Haushalten frühzeitig kennen gelernt, weil er auch schon als Sekundaner durch Stundengeben mitverdient hatte, war sein Blick für die Umwelt rasch geschärft worden.
Er begann das Verhalten der Eltern zueinander unauffällig zu beobachten. –
Ohne Zweifel hatte es zwischen ihnen ernsthafte Meinungsverschiedenheiten gegeben. Er war ein so frostiges Benehmen an ihnen so wenig gewöhnt. Sie lebten ja trotz aller kleinen Differenzen so glücklich, diese beiden äußerlich so verschiedenen Menschen, waren im Grunde ihres Herzens die gütigstem, selbstlosester Naturen, die man sich nur vorstellen konnte.
Er begriff nicht, was zwischen ihnen vorgefallen sein, was diese erzwungen höfliche Art gegeneinander hervorgerufen haben könnte. Und er nahm sich vor, den Vater gleich nachher zu fragen – ganz offen! Er durfte das schon tun. Denn der Vater und er waren ja wie die besten Freunde.
Inzwischen war es für beide Zeit geworden, in den Dienst so gehen. Habakuks Abschied von Thereschen war theatralisch-herzlich. Kurt tat dies wieder im Herzen weh, denn er fühlte deutlich, daß die Mutter darunter litt. Unterwegs – man hatte noch ein ganzes Stück bis zur Straßenbahnhaltestelle – faßte der Sohn den Vater unter und fragte herzlich:
„Papa, was hat es denn eigentlich zwischen Mutter und dir gegeben? Habt ihr euch gezankt?“
Habakuk zögerte mit der Antwort. –
Hm – es war doch nicht so ganz einfach, dem Jungen die Eifersuchtsszene im Schlafzimmer zu schildern, besonders nicht jene Einzelheiten, die erst den gegenseitigen Groll so beträchtlich erhöht hatten, – so die Geschichte von der Backpfeife, die die Schulter traf, von dem Purzelbaum, von der bloßliegenden Kehrseite und dem größten Malheur, als diese Kehrseite und Thereschens Gesicht dann in so innige Berührung gekommen waren. Nein – das alles konnte er unmöglich Kurt so im Einzelnen auseinandersetzen. Tat er es aber nicht, so hätte der Junge nie recht begriffen, wie eine im Stiefel gefundene Haarspange als einziger Eifersuchtsgrund derartig böse Folgen hätte haben können.
Er erwiderte daher: „Später einmal, Kurtchen, – später erzähle ich dir das. Die Geschichte wird sich ja von selbst wieder einrenken.“
Da tauchte vor den beiden ein schlankes, junges Mädchen auf – Hilde Randow! Die Straße war hier ziemlich leer und so konnten Vater und Sohn den geradezu poetischen Eindruck dieses lieblichen weißgekleideten Kindes, das im linken Arm einen Riesenstrauß roten Mohn trug, schon von weitem genießen.
Die feuerroten Blüten des Mohnes hoben sich so scharf von dem duftigen, weißen Kleid ab, und schienen einen zart rosigen Schein auf des holden Mädchens Antlitz zu werfen. –
Oder – war Hilde vielleicht jäh errötet, als sie Kurt erblickt hatte?!
„Ah – wirklich reizend!“ meinte Vater Habakuk leise. „Hildchen hat den Mohn wohl vom Großhändler aus der Markthalle geholt. Ein fleißiges Mädchen überhaupt! Schade, daß sie so arm ist.“
Dann grüßten sie Hilde.
Aber – die dankte mit fast eisiger Miene.
„Na nu?!“ platzte Habakuk heraus. „Was fehlt denn der mit einem Mal?! Sie war doch bisher stets so freundlich! Sollte etwa dieses Weibsbild, die Resi, bereits ihre Drohung wahrgemacht –“
Ei verflucht! Da hatte er sich ja soeben schön verplappert. –
Er schwieg und wurde so verlegen, daß er, nur um die Sache irgendwie zu bemänteln, den Geisha-Walzer leise zu pfeifen begann.
Kurt, der den Vater um anderthalb Köpfe überragte, schaute ihn sehr – sehr überrascht an. Aber – – er war ja nicht gerade begriffsstutzig – oh nein! Er dachte sofort an die verstellte Tür, an den Schrank mit dem losen Brett in der Rückwand und die Möglichkeit, von dem Papa morgens belauscht worden zu sein.
Doch – er war zartfühlend genug, diese Frage in sehr netter Art anzuschneiden.
„Papa, du hast wohl heute im Eßzimmer mitanhören müssen, wie die Resi mit ihrer Fanfarenstimme mir Vorwürfe machte, weil – weil –“
Habakuk atmete auf und sagte schnell: „Ja, ja, – so ist’s. Ich weiß Bescheid. – Lieber Junge, du hast dich geradezu glänzend benommen! Ich möchte nicht behaupten, daß zum Beispiel ich, wenn ich in derselben Lage gewesen wäre –“
Er hüstelte, stoppte ab und dachte: ‚Da hätte ich mich beinahe nochmals schön blamiert!‛ –
Fuhr dann fort: „Wenn ich also in deiner Lage wäre, Kurt, so würde ich der Hilde nicht etwa Hoffnungen in den Kopf setzen. Du kennst ja die Mama, mein Sohn! Sie will nun mal mit dir ganz hoch hinaus! Das will jede Mutter! Und – um des lieben Friedens willen halte dich von Hilde ganz zurück. Es ist besser für alle Teile. Du hast nichts, sie hat nichts, – und in der heutigen Zeit ist mit nichts doch weit weniger anzufangen als früher. Da könnte man’s riskieren zu heiraten und Betten und Bettwäsche auf Abzahlung zu nehmen! Daß – das war einmal! Heute regiert Geld die Welt mehr denn je.“
Kurt schwieg. Und erst nach einer geraumen Weile sagte er dann sehr diplomatisch: „Papa, in Liebesangelegenheiten muß man jeden allein seinen Weg gehen lassen.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: ‚Wenn ich nur die Hilde ein einziges Mal noch ohne Zeugen sprechen könnte! Sie muß mir Rede und Antwort stehen, weshalb sie seit acht Tagen mich so miserabel behandelt!‛ –
Vater und Sohn trennten sich nachher. Habakuk war beim Amtsgericht beschäftigt, und Kurt arbeitete jetzt in der 2. Zivilkammer des Landgerichts.
3. Kapitel
Onkel Ignatz’ Erbinnen
Die Wohnung der beiden etwas angejahrten Jungfrauen Isabella und Genoveva von Mißdubski bestand nur aus zwei Zimmern nebst Zubehör. An ihrer Flurtür hing ein Pappschild:
von Mißdubski
Vornehme Damenmoden
Sie befleißigten sich also scheinbar der Schneiderei –
Scheinbar. Selbst der reinste Menschenkenner und Gelehrte hätte nie herausbekommen, welche von den Schwestern die faulere war. Verirrte sich mal eine Dame zu ihnen, so nahm sie ihnen unfehlbar nach zweimonatigem erfolglosem Warten und Mahnen die Arbeit wieder ab. –
Wovon die beiden schwarzen Jungfrauen – denn sie hatten wirklich schwarzes Haar, schwarze Augenbrauen, Wimpern und tiefdunkle, große Augen – lebten, war vielen ein Rätsel.
Nun – jedenfalls hatten jene Verleumder unrecht, die behaupteten, Isabelle und Genoveva würden von Herren ‚ausgehalten‛, wie man eine bestimmte Art von zärtlichem Verhältnis nennt. Nein – das war nicht an dem! Mochte auch in den Herzen der beiden Vierunddreißig- und Fünfunddreißigjährigen, recht üppigen Mißdubskis noch so sehr die Sehn–ucht nach Liebesglück und Liebeswonne rumoren – niemals hätten sie sich für Geld oder Naturalien oder sonst etwas weggeworfen! Dazu waren sie viel zu adelsstolz, dazu hielten sie das Andenken an ihren glorreichen Vater viel zu hoch, der zuletzt in Warschau Leichenträger gewesen und gestorben war wie er gelebt hatte: im seligen Wudki-Dusel! –
Nur zuletzt war er Leichenträger gewesen! Vordem hatte er ein höheres Amt bekleidet, jedoch einige winzige Rechenfehler in seinen Büchern gemacht und dafür mehrere Jahre bitter büßen müssen. Dann war kurz nach seinem Tod ein in Deutschland ansässiger Bruder gestorben, die Töchter hatten diesen beerbt und lebten nun von den noch vorhandenen Resten dieser Erbschaft, die jedoch nur mehr in Möbelstücken, Bildern, einer Briefmarkensammlung und ähnlichem bestand. Stück für Stück wanderte von diesen Sachen zum Händler. Und das, was noch Wert hatte, war eigentlich lediglich noch eine Rokoko-Saloneinrichtung, von der die beiden Jungfrauen sich aber nicht trennen mochten, da sonst die beiden Zimmer gänzlich möbellos gewesen wären. –
Bella, die ältere, kehrte soeben in ihrem mit Fettflecken übersäten, aber seidenen lachsfarbenen Morgenrock vom Guckloch in der Flurtür in das gemeinsame Schlafzimmer zurück, wo Genoveva noch auf dem ihr als Bett dienenden Diwan lag, dessen Fußende durch eine Holzkiste gestützt wurde, dieweil eben die Füße fehlten.
Bella warf den Morgenrock ab und enthüllte so eine Art von Unterwäsche, die, was den Grad der Reinlichkeit und der ‚Defektheit‛ anbetraf, lediglich die Bezeichnung ‚Lumpen‛ verdiente. Sie enthüllte oben noch mehr, da sie sich waschen wollte. Und – es gab da etwas zu enthüllen, – Geheimnisse von einer gewaltigen Rundung mit praller Fülle, wie man sie bei Jungfrauen, die ‚aus dem Schneider heraus‛ sind, nicht oft findet. Sie nahm den Schwamm und begann die Frühwaschung, sagte nun auch endlich zur der schon fast von Neugier platzenden Genoveva:
„Soeben ist sie aus seinem Zimmer geschlüpft! – Nein – wie kann nur ein so hübscher, forscher Mensch sich mit dieser Kellnerin einlassen!“
Genoveva hatte das Zudeck von sich geworfen und sprang auf die Füße, präsentierte sich so in einem der Nachthemden des seligen Onkels Ignatz, das ihr um drei Handbreit zu lang war. –
„Also wirklich – bis zum Morgen hat er sie bei sich behalten!“ meinte sie voller Interesse. „Und um drei Uhr klopfte sie bei ihm an. Das sind vier und eine halbe Stunde!“ Sie lächelte seltsam und fügte hinzu: „Ach – solche Kellnerinnen haben’s doch gut!“
Hella drehte sich um. „Du scheinst die Resi ja zu beneiden, du!“ sagte sie ironisch und trocknete Brüste und Hals mit einem Frottiertuch ab, das nur noch als grauschwarz der Farbe nach bezeichnet werden konnte.
„Beneidest du sie etwa nicht?!“ entgegnete die Jüngere kühl.
Bella zuckte die Achseln.
„Du bist kindisch!“
„Ja – kindisch – ehrlich! –
Weshalb wollen wir Komödie vor einander spielen? Wir rennen doch nur deshalb so oft zu Zwitschers hinüber, um mit ‚ihm‛ gelegentlich plaudern zu können.“
„Du vielleicht! Ich nicht! – Ich und ein fünfundzwanzigjähriger junger Mensch, – lächerlich!
„So – also er ist dir wirklich gleichgültig?“ fragte Genoveva schnell.
Da wurde Bella mißtrauisch. Sie schaute die Jüngere prüfend an. Und – die lächelte wieder so seltsam.
„Was soll eigentlich dieses Lachen?!“ fuhr Isabella auf. „Schäm dich! Hinter dem Lacher verbirgt sich eine ganze Unmenge unmoralischer Gedanken!“
Genoveva hatte jetzt das Nachthemd des seligen Onkels Ignatz bis zu den Hüften hinabgelassen und dort mit Hilfe der Ärmel festgebunden. Sie sah so etwa wie eine indische Tänzerin aus, zumal sie’s mit diesen orientalisch üppigen Damen, was Figur anbetraf, durchaus aufnehmen konnte.
Indem sie nun mit dem Schwamm ihren keuschen Leib reinigte, sagte sie harmlos: „Waren deine Gedanken denn sehr moralisch, als du in der Nacht im Flur eine volle Stunde standest und an Kurt Zwitschers Tür horchtest? Wolltest du da etwa hören, wie er ihr aus der Bibel vorlas? Oder warst du nicht weit mehr darauf erpicht, Geräusche zu vernehmen, die – wie etwa Küsse – darauf hingedeutet hätten, daß –“
„Schweig!“ unterbrach Bella sie empört. „Du besitzt eine geradezu schmutzige Phantasie!“
„So?! – Nein – nur offen bin ich! – Bella, – wozu wollen wir’s abstreiten, daß wir, die wir uns trotz all unserer Schwächen und Fehler bisher in dem einen Punkt rein erhalten haben, jetzt sozusagen durch Kurt Zwitscher in – in das gefährliche Alter gekommen sind, wo in jedem Weib urplötzlich eine wahre Gier nach Liebe entweder lebendig oder wieder lebendig wird! –
Kurt Zwitscher ist unser Schicksal geworden. Acht Monate wohnen wir nun hier, und von Tag zu Tag mehren sich die Anzeichen, daß wir uns in ihn ganz ernsthaft und sehr – sehr leidenschaftlich verliebt haben, daß unsere Gedanken ihn mit Wünschen umspielen, die – er sehr gut erfüllen könnte!“
Bella puderte sich soeben das Gesicht, dem sie mit Hilfe von Schminke schon vorher einen Hauch von Jugendlichkeit verliehen hatte.
Sie rief jetzt, und ihre Stimme war schrill und unschön: „Was heißt das: Erfüllen könnte? – Willst du etwa gar dich ihm in ähnlicher Weise aufdrängen wie – wie die Resi es getan hat?!“
Genoveva von Mißdubski zog die nackten Schultern bis an die Ohren hoch.
„Vielleicht!“ meinte sie dazu sehr gedehnt.
Da war Isabella mit einem schnellen Schritt vor ihr.
„Du – untersteh’ dich!“ zischte sie. „Du – du bist die Jüngere! Du – stiehlst mir nichts! Dafür werde ich sorgen!“
Das adelige Blut wallte in den beiden Töchtern des edlen Herrn Wenzeslaus von Mißdubski hoch auf. Bisher hatten sie zumeist im Frieden miteinander gelebt. Nun aber, wo es sich um ‚den Mann‛ handelte, waren alle Bande der Blutsverwandtschaft jäh zerschnitten.
„Ich denke, er ist dir gleichgültig!“ höhnte Genoveva.
„Geht dich nichts an! Unter Kuratel1 müßte man dich stellen mit deiner Mannstollheit!“
„Und dich?! Weshalb liest du denn jetzt nur fragwürdige Sittenromane?! Weshalb hast du dir gestern deine seidenen Schlüpfer gestopft?! Weshalb hast du diesen Badeschwamm angeschafft, wo doch in unserer Familie die Wasserscheu erblich ist!“
„Du – du bist gemein – eine Dirnennatur!“
– So ging es noch eine Weile weiter. Als Genoveva plötzlich laut auflachte, die Schwester umarmte und rief: „Bella – wir sind ja beide närrisch! Mehr als das! Zanken uns wie die Fischmarktweiber – und weswegen?! Eines – Sperlings auf dem Dach wegen, den wir nie einfangen werden!“
So sagte sie. Aber in ihrer Seele, die jetzt genau so schwarz wie ihr Haar war, sah es ganz anders aus. Ihr Hirn hatte soeben einen Plan geboren, wie sie – Siegerin werden könnte, wie sie den – Sperling für sich empfangen könnte!
Bella war schnell versöhnt; die arglose, arme Bella ahnte nichts von dem, was die Intrigantennatur der Schwester vorhatte.
Dann tranken die Mißdubskis in der Küche Kaffee aus Tassen ohne Ohren und aus einer Kanne, der Alterspatina in einer Schmutzkruste bestand. Und dann ging Bella mit einer Seite aus dem Briefmarkenalbum des seligen Onkels Ignatz zu einem Herrn, der gestern in der Zeitung durch dicke Anzeige Briefmarken gesucht hatte.
Bella hatte Glück. Der Herr war einer von den ganz unmodernen, ganz ehrlichen, sagte, die Marken seien äußerst wertvoll und bezahlte dafür dreitausendachthundertfünfzig Mark.
Bella schwindelte nachher der Jüngeren vor, sie habe nur zweitausendachthundertfünfzig Mark erhalten. Und nachmittags kauften die beiden Jungfrauen, aber getrennt und eine ohne Wissen der anderen, Leibwäsche ein, – alles Batist, hauchdünn, spitzen- und schleifenbesetzt –!
Und – alles nur – des gefährlichen Alters wegen!
Aber Bella hatte doch die teuersten Sachen ausgewählt. Sie konnte es. Sie hatte ja tausend Mark mehr zur Verfügung.
Dafür hatte die Jüngere aus der Apotheke sich noch etwas anderes besorgt, – etwas, das … –!
4. Kapitel
Der Sündenfall
Nachmittags vier Uhr an demselben Tag. –
Kurt Zwitscher, der jetzt während seiner freien Zeit gegen Bezahlung bei Rechtsanwalt Florian Wentscher arbeitete, war soeben ins Bureau gekommen. Der Bureauvorsteher hatte ihm sofort mitgeteilt, daß der Herr Rechtsanwalt geschäftlich am Vormittag nach Berlin habe reisen müssen und den Herrn Referendar bitten lasse, für ihn die Sprechstunde abzuhalten.
Kurt setzte sich also in seines Brotherrn Zimmer, das sehr elegant eingerichtet war. Wentscher hatte eine ausgedehnte Praxis und außerdem eine sehr reiche Frau.
Er vereiste sehr häufig in Geschäften. Und stets fehlte dann auch im Bureau das erste Tippfräulein Mizzi Meinke. Aber das war wohl nur ein Zufall. Obwohl im Bureau niemand an diesem Zufall glaubte. Selbst der jüngste Schreiberlehrling nicht, der doch sonst ein Bürschchen von hervorragender Minderbegabtheit war und der nicht mal Briefmarken aus der Portokasse stahl, was doch geradezu eine Perversität bei Lehrlingen ist.
Kurt vertrat Wentscher nicht zum ersten Mal, seit er bei ihm arbeitete. Seine Tätigkeit hier währte nun bereits sechs Wochen. Ihm war es also durchaus etwas Altes, mit den Mandanten zu verhandeln. Neu war ihm heute lediglich das Verhalten des zweiten Tippfräuleins, die, als er mit ihr etwas zu besprechen hatte, sich ‚zufällig‛ an ihn lehnte und ihm mit den Schläfenlöckchen, sich tief über den Schreibtisch beugend, das Gesicht kitzelte.
Diese Margot Blink war nun durchaus nicht mehr jung, wenn sie sich auch sonst tadellos gehalten hatte. Sie sah nach fünfundzwanzig aus und war doch schon siebenunddreißig. –
Kurt hatte schon früher bemerkt, daß sie ihn stets so seltsam anstarrte. Als sie dies zum ersten Mal getan hatte, glaubte er, an seiner Krawatte seit etwas in Unordnung, und hatte daher gefragt: ‚Sitzt etwa mein Schlips schief?‛
Und da hatte sie übereifrig bejaht und unaufgefordert sich an der Krawatte mit bebenden Fingern zu schaffen gemacht.
Das war Kurt etwas – etwas merkwürdig vorgekommen! –
Heute aber kam ihm Margot Blink noch merkwürdiger vor. Er merkte: Sie wollte ihn reizen! Er fühlte, daß die rundliche Wölbung ihrer Brust mit sanftem Druck auf seiner rechten Schulter ruhte; er spürte ein Parfüm, das wirklich gefährlich war, – Duft eines heißen Frauenleibes und süßzartes Divinia! Er kannte diese Mischung! Er war ja kein keuscher Josef. Oder besser: Er war es nicht gewesen! Denn seit einem ganz bestimmten Nachmittag, an dem er vor etwa vier Wochen an einem warmen Apriltag mit Hilde Randow im Stadtpark zwei Stunden auf einer verschwiegenen Bank verplauderte hatte, war er ein anderer geworden.
Deshalb auch hatte die ‚Mischung‛ jetzt keinerlei Einfluß auf ihn. Im Gegenteil: Unwillkürlich dachte er an die verflossene Nacht, als die Resi so alles Mögliche versucht hatte, einen frommen Heinrich in einen August den Starken zu verwandeln, – denn König August von Sachsen soll bekanntlich für den Bevölkerungszuwachs seines Landes mehr als tausend Ehemänner insgesamt mit Leichtigkeit besorgt haben. –
Und diese Gedanken an Resis trunkene Lüsternheit verstärkten jetzt nur noch den Panzer um seine Brust.
Er schob Fräulein Margot mit einen: „Sie gestatten!“ zurück, stand auf und – und hörte nun des alternden Mädchens trostloses Schluchzen, sah, wie sie mit den Händen vor dem Gesicht ganz fassungslos weinte und fühlte plötzlich tiefes Mitleid mit ihr, redete ihr freundlich zu, sprach von überreizten Nerven, von Überarbeitung und – erlebte dann etwas, das ihn geradezu erschreckte.
Margot Blink hatte ihn ganz unerwartet umarmt, schmiegte sich an ihn, redete allerlei sinnlose Dinge, die er diesem aus guter Familie stammenden Mädchen nie zugetraut hätte. Jedenfalls ging aus den unklaren Sätzen doch eins deutlicher vor: Sie bot sich ihm an; sie wollte ihn besuchen – spät abends, – alles wollte sie ihm gewähren, alles, – nur ein wenig herzlich sollte er zu ihr sein!
Da – zum Glück schrillte das Tischtelephon.
Er machte sich los von ihr. Und – ein zweiter Zufall: Der jüngste Schreiber, der Bureautrottel, kam und meldete, daß Frau Rechtsanwalt Wentscher im Wartezimmer sei und den Herrn Referendar zu sprechen wünsche, aber erst, wenn die Mandanten erledigt seien.
Margot verschwand. Und dem Bureautrottel wurde von Kurt beiläufig mitgeteilt, sie habe so verweint ausgesehen, weil sie Zahnschmerzen habe. So daß auf diese Weise niemand merkte, was sich hier im Allerheiligsten des Chefs soeben abgespielt hatte, – eine kleine Liebestragödie, hervorgerufen durch das – gefährliche Alter! –
Die Mandanten wechselten in bunter Folge. Aber Kurt war jetzt zerstreut – sehr zerstreut. Etwas beunruhigte ihn: Frau Felizitas Wentscher, die im Wartezimmer saß!
Frau Tissi! –
Ihr Mann nannte sie nur Tissi. Aber er hätte ebenso gut Felizitas sagen können, – oder Schatz, Frauchen, Weiberl! Denn sie ließ dieser Kosename absolut kalt, und er sprach ihn mit einer Gleichgültigkeit, an der vielleicht Mizzi Meinke Schuld war. –
Diese Ehe ist durch die obigen Sätze bereits ein wenig gekennzeichnet.
Auch Kurt dachte an diese Ehe, als er sich jetzt von dem letzten Mandanten, Herrn Kommerzienrat Siegfried Pinkussohn, ganz genau schildern ließ, aus welchen Gründen die Alimentenklage, die die unverehelichte Anna Gnutzke gegen ihn angestrengt hatte, der hellste Blödsinn wäre.
„Ich soll nur den zahlen,“ grunzte Siegfried Pinkussohn. „Der wahre Vater dürfte der Preisboxer James Kumberland sein. – Bitte, sehen Sie mich an, Herr Referendar! Trauen Sie mir einen neuneinhalbpfündigen, hellblonden Jungen mit Stuppsnase zu, wo doch die Gnutzke genau so dunkel wie ich und ebenfalls bei der Nasenverteilung doppelt bedacht worden ist?!“
Kurt blickte zerstreut in das ausgemergelte Gesicht des als Lebegreis berüchtigten Kaufhausbesitzers.
„Nein – neuneinhalb Pfund scheinen mehr auf den Preisboxer hinzudeuten,“ meinte er, ließ seine Gedanken aber sofort wieder ins Wartezimmer schweifen zu dem blendend schönen Weib, daß ihn stets so sehr liebenswürdig behandelte, – so mit einer ganz besonderen Liebenswürdigkeit, die einen Stich ins kokette hatte, ins Begehrliche.
Siegfried Pinkussohn brachte weitere Beweise vor, daß er nur als Zahlvater herangezogen werden solle, erwähnte dabei seinen Hausarzt, der bezeugen würde, daß – und so weiter. –
Und als er schließlich sich verabschiedete, war es bereits sieben Uhr und – Bureauschluß.
Der Bureautrottel sollte noch warten, bis die gnädige Frau mit der Rücksprache mit dem Herrn Referendar fertig sei, hatte der Vorsteher befohlen. Aber Frau Fiffi meinte, sie würde das Licht nachher schon selbst ausschalten, oder Dr. Zwitscher würde es tun. –
Kurz – die beiden blieben in den Bureauräumen allein.
Kurtchen war kein Depp, oh nein! Ihm war dieser Besuch Frau Fiffis sofort verdächtig vorgekommen. Obwohl er sich wiederum auch sagte, daß eine verheiratete Frau mit zwei Kindern, von denen das älteste bereits dreizehn war, doch kaum im Ernst daran denken würde, etwa die Abwesenheit ihres Mannes zur Anbändelung mit ihm zu benutzen. Aber – argwöhnisch war es jedenfalls, und daher beobachtete er von vornherein jede Einzelheit im Benehmen Frau Fiffis mit geschärften Blicken.
Sie hatte sich in den Klubsessel neben dem Mitteltisch im Allerheiligsten gesetzt. Und – sie sah entzückende aus in dem schicken kobaltblauen, fußfreien Kostüm mit dem dazu passenden Hut mit Reiherstutz
Sie war groß, schlank, mit üppigem Oberkörper. Das Gesicht schmal; der Mund voll und taufrisch; die grauen Augen stets halb verschleiert; die Sprache müde und etwas singend.
Sie hatte Kurt eine Weile betrachtet, sagte nun, indem sie die Handschuhe abzustreifen begann:
„Sie sollten immer Jackenanzüge tragen, Herr Doktor. – –
Wem von Ihren Eltern ähneln Sie eigentlich?“
„Hm weder Vater noch Mutter. Ich soll ganz mein Großvater mütterlicherseits sein – ganz! Er war Bauer in Pommern und hat bei den Garde du Korps gedieh.“
„Das heißt: Er muß genau so gut ausgesehen haben wie Sie!“ lächelte Frau Fiffi. „Ach – diesen Druckknopf meines Handschuhs bekomme ich nicht auf. Helfen Sie mir doch bitte.“
Sie streckte ihm die linke Hand hin. Und er mußte notwendig dicht vor sie hintreten, hatte dann aber den Druckknopf im Moment geöffnet und dachte: ‚Kurt, – halt die Ohren steif! Hier wird zur Attacke geblasen.‛
Armes Kurtchen! –
Frau Fiffi und du! Die Partie war zu ungleich! Wenn ein Weib wie Felizitas Wentscher siegen will, dann siegt sie auch, falls sie nicht gerade mit dem Obereunuchen des Beherrschers aller Gläubigen sich einläßt, – oder mit sonst einem Mann, der aus anderen Gründen unter allen Umständen ein untaugliches Objekt bleiben muß – muß! –
Kurt mußte nun zunächst den Handschuh ausziehen. –
Frau Fiffi nahm dann plötzlich seine beiden Hände in die ihren und flüsterte:
„Ich weiß, daß mein Mann mich betrügt. Unsere Ehe ist seit Jahren nur noch ein Nebeneinanderleben. Ich habe gedürstet nach Liebe, und doch bin ich stark geblieben gegen alle Versuchung. Unzählige Männer umwarben mich. Nicht einer davon war der, den ich ersehnt hatte. Bis ich – Sie dann kennenlernte, Sie –!“
Sie war aufgestanden. „Ihre natürliche Frische, Ihr harmloser Frohsinn und Ihre Dankbarkeit und Liebe für Ihre Eltern, diese Beweise eines lauteren Charakters, wirken ja so bestechend,“ fuhr sie leidenschaftlicher fort. „Alles an Ihnen ist unverfälscht, ist so ganz anders als bei den jungen Herren von heute.“
Sie lächelte ihn an. Es war kein begehrliches Dirnenlächeln, nein, eine große Sehnsucht lag darin und auch etwas verlegene Koketterie. Hätte Frau Fiffi anders gelächelt, dann würde Kurt sich abgestoßen gefühlt haben. So aber, wo sie Dame blieb auch bei dieser Szene, durch die sie ihr Frauentum selbst herabwürdigte, konnte er nicht zurückweisend sein, sagte nur leise:
„Aber – aber Frau Fiffi!“
Sie zog ihn sacht näher an sich heran.
„Nur ein einziges Mal sollst du mich küssen,“ hauchte sie, und ihre Augen schienen nun ganz hinter feuchten Schleiern zu verschwinden. „Nur ein Mal! Damit wird mein Gewissen sich abfinden! Denn – ich habe ja Kinder und nie könnte ich denen wieder offen in die reinen Augen sehen, wenn ich das Bewußtsein einer großen Schuld mit mir herumtrüge.“
Sie lehnte sich an ihn, hob den Kopf, bog ihn weit zurück.
Und er – er fühlte, wie ihr Leid bebte; fühlte, daß sein Blut sich langsam erhitzte.
Frau Fiffi! Die eleganteste, schönste Frau der Stadt!
Und gerade sie begehrte ihn – gerade sie!
Für einen Moment tauchte verschwommen vor ihm das Bild der blonden, lieblichen Hilde auf.
Da – brannten bereits siedendheiße Lippen auf den seinen; Lippen, so weich, so duftig wie köstliche Rosenblüten; Lippen, die zu küssen verstanden, die das Feuer in seinen Adern weiter schürten.
Minutenlang standen sie so Leib an Leib gepreßt. Er hatte sie umschlungen; wußte kaum was er tat.
Halbdunkel lag über dem Allerheiligsten. Und Frau Fiffi gab ihn nicht frei, zog ihn hin nach der Ottomane, setzte sich ihm auf den Schoß. –
Er gab es auf, über sich und die Umwelt nachzudenken. Er merkte nur, daß er diesem schönen Wein unterliegen würde.
Viele Wochen hatte er nun bereits der anderen wegen gefastet. Und er war so jung, so gesund, so kräftig. Er war der Enkel jenes pommerschen Bauern, vor dem selbst als verheiratetem Mann kein Mädchen sicher gewesen.
Dunkel wurde es um sie her. Frau Fiffis Hut lag längst auf dem Perser; alles andere lag daneben – was sie in wilder Hast abgeworfen. –
Ein traumhaft schöner Frauenleib, der sehnsüchtig begehrte…
Um Viertel neun war Kurt wieder allein. Soeben war sie die Treppe hinabgeeilt. –
Er war allein! Er saß vor dem Schreibtisch Florian Wentschere und – hätte nun am liebsten laut aufgeheuchelt wie ein kleiner Junge, der soeben sein schönstes Spielzeug zerstört hat. –
Er dachte jetzt nur noch an Hilde, daran, daß er sich selbst untreu geworden, daß er ihr nun nicht mehr wie bisher mit gutem Gewissen gegenübertreten könnte! Er hatte sie verloren! Jetzt würde er nicht mehr ihr offenen Blickes sagen können:
‚Ich liebe dich, und deshalb mied ich die Weiber!‛
Er saß lange und grübelte. Aber – er zürnte trotzdem Frau Fiffi nicht. Er konnte es nicht. Sie war von ihm gegangen mit den Worten: ‚Ich danke dir! Diese Erinnerung an die letzte Stunde, die nicht nur meinem Leib – nein mir – meiner Seele – wahres Liebesglück schenke – wird mir für ewig bleiben! – Leb wohl! Nun müssen wir wieder fremd tun, stets, – meiner Kinder wegen!‛
Er wollte sich ablenken. Dort links im Aktenbock lagen noch unerledigte Sachen. Den ganzen Stoß legte er bereit. Und – als er die Akten zunächst nur flüchtig durchblätterte, fand er ganz unten ein dünnes Heft, auf dessen Deckel stand:
Erbschaft Winkler/Timm – Randow
Randow! – Randow? –
Acht, es gab ja viele dieses Namens! –
Trotzdem schaute er in das Aktenstück hinein. Ganz vorn ein englisches Schreiben.
Generalkonsulat der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Berlin
als Absender.
Dann viele, viele Zeitungsausschnitte, – alles Anzeigen mit der Überschrift: ‚Erben gesucht!‛
Er las nun, las sehr genau.
Da stand an einer Stelle:
… Sollten Nachkommen von des Erblassers Winkler Ehefrau, geb. Timm, nicht mehr vorhanden sein, so kämen als Erben die Nachkommen des am 14. April 1826 zu Berlin geborenen Archivssekretärs Wilhelm Randow in Betracht –
Kurt Zwitschers Gedanken war nun auf etwas anderes gelenkt. Vielleicht – vielleicht hatte hier ein Zufall ihm Kenntnis gegeben von einer Erbschaftangelegenheit, die der Rechtsanwalt vorläufig nicht erledigen konnte, weil sich auf die Aufrufe hin niemand gemeldet hatte. Und vielleicht gehörte Frau Anna Randow mit zu denen, die Anspruch auf das Erbe des nach Amerika ausgewanderten Winkler hatten, – vielleicht!
Da – ein neuer Gedanke: Jetzt hatte er ja einen Grund, Randows zu besuchen! Jetzt würde ihn Frau Randow nicht so eisig kühl empfangen wie bisher, jetzt würde sie nicht zu ihm sagen wie letztens: ‚Ich muß Sie bitten, Ihre Besucher einzustellen, Herr Doktor, – Hildes wegen! Ein Mädchen ist leicht ins Gerede gebracht, und – was soll’s wohl überhaupt für einen Zweck haben, daß Sie mein Kind durch Ihre Huldigungen auszeichnen?! Ihre Mutter grüßt mich kaum mehr. Ich weiß, was für eine Schwiegertochter sie sich wünscht.‛ –
Das war vor acht Tagen gewesen. Und seitdem hatte er Hilde nicht mehr gesprochen; seitdem war ihr Gruß fremd und kalt gewesen. Ob etwa ihre Mutter, um das Aufkeimen einer Liebe schnell zu vereiteln, ihr mitgeteilt hatte, daß er so oft im ‚Fidelen Selbstmörder‛ bei der Resi weile?! –
Nun – heute lagen die Dinge anders! Heute ging er zu ihnen als Vertreter des Rechtsanwalts Wentscher.
Er stand lebhaft auf, machte sich fertig und verließ das Bureau. –
Als er vor dem elterlichen Haus anlangte, war es kurz vor halb zehn.
5. Kapitel
Nur der Sekt macht heiß…
Kurt fand die Eltern daheim, aß schnell zu Abend und sagte dann, er wolle noch seinen Freund Kolding besuchen; vielleicht würden sie den schönen Abend zu einer Segelpartie benutzen; man habe ja Vollmond zu erwarten, und dann sei’s auf dem Wasser am schönsten; jedenfalls würde es späht werden, und morgen sollte man ihn nur ruhig schlafen lassen; er habe erst übermorgen wieder Sitzung in der Zivilkammer.
Er verabschiedete sich herzlich, flüsterte dabei dem Vater noch zu: „Versöhnt euch doch! Es ist jetzt so ungemütlich hier bei uns!“ Und der Mutter raunte er ins Ohr: „Morgen früh muß zwischen euch wieder der alte Frieden herrschen, Mama! So schlimm wird’s ja wohl nicht sein, was zwischen euch steht!“
Er ging und Frau Therese schaute ihm umflorten Blickes nach, dachte: ‚Was weißt du von den ehelichen Nöten einer Frau in meinen Jahren und von einer verräterischen Haarspange, mein Junge! Nichts – zum Glück.‛
Ja – Thereschen hatte die Spange noch lange nicht vergessen! Im Gegenteil, – so weich sie auch morgens für wenige Minuten gestimmt gewesen, ebenso hart war ihr eifersüchtiges Herz im Laufe des Tages wieder geworden. Die Haarspange war sozusagen gewachsen, war zu einem neunfüßigen – denn sie hatte neun Zinken, Ungeheuer geworden, das in der Seele des armen Weibes dauernd herumrumorte. –
Frau Therese hatte sich eben die Sache mit dieser Spange immer wieder überlegt und war so zu der Überzeugung gelangt, ihre erste Annahme müsse stimmen: Dieser Haarschmuck war ein zärtliches Andenken für ihren Habakuk, – wenn nicht von der Resi, dann von einem anderen Weibsbild, das die Keuschheit nur dem Namen nach kannte und mit der Liebe hausieren ging! –
Nun – sie würde schon die Wahrheit herauskriegen! Damit hatte sie sich etwas getröstet. Und als erstes war so zu diesem Zweck mittags je ein Rohrpostbrief an Frau Dickbier und Frau Lämmerschweif abgegangen, mit der Bitte, aus den zugehörigen Ehemännern herauszulocken, ob ihr Habakuk gestern nacht etwa sich für eine halbe Stunde ungefähr von den Kollegen getrennt hätte und ob – und so weiter. –
Habakuk hatte gleichfalls seinem Jungen nachgeschaut – voller Neid! Denn er ahnte, daß bei der herrschenden Gewitterschwüle zwischen seinem Reschen und ihm der kleinste Anlaß eine furchtbare Entladung herbeiführen könnte. Er nahm sich deshalb auch vor, sehr – sehr auf der Hut zu sein und alles zu vermeiden, was einen Blitz herbeilocken könnte!
Aber – das finstere Schicksal hatte nun einmal mit Habakuk Zwitscher für diese Nacht ganz besonders Heimtückisches vor. Und gegen die Parzen, die den Lebensfaden abhaspeln und die Knötchen und Knoten Hineinschlingen, ist beim besten Willen nicht ‚anzustinken‛, wie’s im Studentenjargon heißt. –
Nein – Habakuk hätte heute ein Engel im güldenen Hemdlein und mit goldenem Palmwedeln sein können, – alles Wedeln hätte ihn nichts genützt. Der Kladderadatsch im Schlafzimmer wäre doch gekommen, und im Anschluß daran alles andere.
Habakuk zog sich jetzt bald mit einem kühl-freundlichen „Gute Nacht, Therese“ ins Schlafzimmer zurück, entkleidete sich halb, holte sich die Fußbadewanne aus der Küche und stellte sie vor sein Bett. Seit Wochen nahm er abends ein kaltes Fußbad. Lämmerschwanz behauptete, dies sei gut für die Augen. Und Habakuks Augen war nicht mehr zubest.
Als er nun in tiefem Negligee mit weit hochgekrempelten Unterhosen, oben nur mit dem schadhaften Netzhemd und der natürlichen Wollbehaarung bekleidet, auf dem Bettrand saß und eine himmlische Ruhe aus dem kalten Wasser in seinen knochigen Leib hochsteigen fühlte, da trat Frau Therese ein. Und gerade da hatte Habakuk, der ein Seebad zu nehmen einen Augenblick geträumt hatte, so kräftig mit den Pedalen ‚Wasser getreten‛, daß ein gut Teil auf den Bettvorleger vorbeiplanschte.
Armer Wasserfex! Du mußtest doch wissen, daß die Vorleger noch fast neu waren und daß Thereschen sie ebenso zart hütete wie ihr prachtvolles Gebiß.
Therese erstarrte zur Salzsäule ob der Überschwemmung.
Aber – die Salzsäule löste sich sofort wieder in bittere, beizende Lake auf, – das heißt, Thereschen öffnete ihr Mündchen und flötete ihrem Habakuk im Ton einer vor Raserei total übergeschnappten Xanthippe wie folgt an:
„Unerhört! Wirklich kaum zu glauben! Du willst hier wohl ein Hallenbad einrichten! Letztens schon hast du den Vorleger bespritzt! Heute schwimmt er geradezu, trieft vor Nässe! Du bist eben ein – ein unsauberes Ferkel und bleibst es!
Überhaupt – diese ganze Fußbaderei. Die hat doch nur den Zweck, – das ist mir jetzt soeben eingefallen! – das bißchen Männlichkeit, das noch in dir schlummert, vor dem Zubettgehen total zu – so ersäufen! Nur dem Zweck hat’s! Und ich bedauernswertes Weib kann dann zusehen, wie ich mein noch so junges Herz gleichfalls total – einlulle! Aber – es wäre besser, du würdest nach dem Kegeln vor dem Heimweg noch ein Eisbad nehmen – ein Eisbad! Dann würden dir keine so fragwürdigen Dinge wie Haarspangen aus den Stiebeln fallen – dann würdest du nicht ‚fidele Selbstmörder‘-Gelüste kriegen!“
Habakuk wünschte Frieden und Eintracht um jeden Preis. Er schwieg, trocknete schnell die Füße ab, bückte sich und wollte die Wanne hinaustragen aber – ein Teil der Spritzer war auch auf die Dielen geraten.
Er rutschte aus, schlug lang hin und – schlug so hin, daß der gesamte Inhalt der Wanne Frau Thereschens unteren Rockteil und die Morgenschuhe traf –!
Da vergaß sie sich abermals; da hob sie das rechte Bein und versetzte der ihr vor die Füße gerollten Wanne einen solchen Stoß, daß sie Habakuk an den überklebten Schädel flog.
Ein Krach ertönte, als ob jemand mit der Faust gegen ein Kuchenblech haut. Habakuk schrie laut: „Au – mein Kopf!“, erhob sich taumelnd, warf Therese einem Blick zu, der eine ganze Bibliothek von Drohungen enthielt, begann sich wortlos wieder anzukleiden und verließ fünf Minuten später mit Hut und Stock die Wohnung, obwohl Frau Therese in jäh erwachter Angst, er könne Selbstmord begehen wollen, wie ein Schloßhund heulte und immer wieder flehte:
„Habakukchen, alles soll ja vergessen sein!“
Er ging jedoch nicht weit. Nur die Treppe hinunter bis zur Haustür; dann wieder auf Socken, die Stiefel in der Hand, nach oben – in Kurts Zimmer. Den Schlüssel hatte er vorher zu sich gesteckt. Nun dachte er: ‚So – hier werde ich auf dem Diwan in Ruhe schlafen. Therese soll Angst schwitzen, was ich vielleicht bereiße! Das wird sie kurieren.‛ –
Er zog die Vorhänge zu, ließ auch die Stabjalousien herab; rauchte sich eine von Kurts Zigarren an und fühlte sich – König! –
*
Zu derselben Zeit aßen die Schwestern Mißdubski zu Abend – in der Küche, von Geschirre, das nur noch Scherben darstellte. Genoveva hatte Kakao gekocht. Überhaupt – die Töchter des edlen Herrn Wenzeslaus schwelgten heute, schlemmten! Sie hatten für zweihundert Mark Delikatessen gekauft. Es war feststehende Regel bei ihnen, Geld nie lange im Hause zu dulden. Und es war auch eine vom seligen Papa ererbte Schwäche der schwarzen Isabella, dessen Neigung für Schnaps in verfeinerter Form zu teilen. Sie liebte Pfefferminzlikör über alles. Und hatte heute eine ganze, frische Flasche vor sich stehen!
Daß der Kakao von der verruchten Genoveva stark mit Schlafpulver ‚gesüßt‛ war, schmeckte sie infolge der steten Abwechslung von Pfefferminz- und Kakaoschlucken nicht. Und ihre schnell zunehmende Müdigkeit schrieb sie den fünfzehn Schnäpsen zu, trank noch schnell drei als Beschluß und wankte ins Schlafzimmer, wo sie nur halb noch sich ausziehen konnte, bevor sie total benebelt und wie eine Tote auf ihr jungfräuliches Lager sank.
Genoveva grinste diabolisch; zog dann die neue Batistunterwäsche an, parfümierte sich über und über, verhüllte das wenige, was sie anhatte, mit einem breiten Morgenrock und huschte in den Flur hinaus, horchte hier eine Weile und – pochte bei dem heißgeliebten Kurt an.
Sie zitterte jetzt vor Erwartung! Ach – wenn er doch nur zu Hause wäre! Dann würde ja endlich –
Ihre Gedanken stoppten ab. Kurts Tür hatte sich geöffnet. –
Im Flur war’s dunkel. Im Zimmer ebenso.
Der gute Habakuk glaubte, seine Therese sei’s, die in ihrer Angst zu dem Sohn mit ihren Sorgen sich flüchten wolle. –
Aber – er merkte sofort, wie sehr er sich irrte! Eine Wolke von Parfüm drang ihm entgegen. Dann schob jemand ihn kraftvoll von der Tür weg, dann verschloß diese jemand die Tür dann – tasteten nackte Arme nach ihm; denn fühlte er sich an einen wogenden gewaltigen Busen gewissen!
Dann fühlte er Wäsche – Wäsche! – Wie sein Thereschen sie nie besessen hatte; dann wurde ihm erst eiskalt vor Schreck und bald siedend heiß.
‚Resi!‛ dachte er. ‚Natürlich Resi! – Ach – und küssen tut diese mit Provision arbeitende Lockschwalbe des ‚Fidelen Selbstmörders‛ –! –
Aber – ich darf das doch nicht leiden, – um keinen Preis! Ich muß mich wehren, muß mich melden! Sie will ja hier offenbar mit Kurt Versöhnung feiern und nicht mit mir!“
Ob er sich meldete, wird sehr bald an den Tag kommen. Alles kommt bekanntlich an den Tag: nur zuweilen bleibt was verborgen. Zum Glück! Sonst müßten die sogenannten Ehescheidungskammern bei den Landgerichten verzehnfacht werden.
*
Kurt hatte unten bei Randows geklingel. Nach einer Weile hatte sich Hilde gemeldet. –
„Mama ist bis morgen mittag verreist, Herr Doktor. Falls Sie Mama sprechen wollen, müssen Sie sich morgen schon nochmals herbemühen.“ –
„Bedaure. Meine Sache läßt sich nicht aufschieben, Fräulein Randow,“ erwiderte er genau so förmlich. „Ich komme als Vertreter des Rechtsanwalts Wentscher zu Ihnen. Es handelt sich um eine Erbschaftsangelegenheit. Ich habe nur ein paar Fragen an Sie zu richten.“
Und er dachte dabei: ‚Warte, kleine Kratzbürste! Der Zufall ist mir hold! Wenn ich dich nur erst allein habe im verschwiegenen Zimmer, dann – dann – werde ich fragen! Aber zunächst nach anderen Dingen!‛
Erbschaftsangelegenheit?! –
Hilde zauderte, überlegte. Und ihr fiel ein, wie kläglich die Mutter und sie durch das Blumengeschäft sich ernährten, wie verbittert die Mutter war, die doch einst vom Leben als Gattin eines Arztes ganz anderes erwartet hatte, dann aber durch dessen Tod plötzlich mit dem achtjährigen Kind sich dem Nichts gegenübersah. –
Niemand hier im Haus wußte, daß Frau Randow Arztwitwe war. Sie verheimlichte es, denn sie kannte ja die schadenfrohe Gesinnung der meisten Menschen.
Hilde öffnete und ließ Kurt ein, sperrte die Tür wieder ab und führte ihn ins Wohnzimmer mit der ärmlichen Ausstattung, wo sie gerade wieder einmal an ihrem Tagebuch geschrieben hatte. –
Über dem Tisch brannte die elektrische Lampe. Kurt überschaute das Tagebuch, das Tintenfaß, den Federhalter mit einem Blick.
„Ah – Sie führen ein Tagebuch, Hilde,“ sagte er leise und streckte ihr die Hand hin. „Bin ich wirklich nicht mehr einen Händedruck wert, Hilde, – liebe, kleine Hilde?“
Sie hatte das Buch schnell zugeklappt und war flammend rot geworden, gilt es nun fest an die Brust gedrückt und schaute in holder Verwirrung zu Boden.
„Hilde,“ begann er wieder, „was haben Sie denn soeben diesem Buch anvertraut? Weshalb sind Sie so verlegen geworden? Steht etwa über mich etwas darin? Vielleicht, daß Sie mich – verabscheuen?“
Ihre Augen schwammen in Tränen. –
Da kam’s über ihn, all diese Sehnsucht nach ihr, ihrer Reinheit, den ganzen Reiz ihrer süßen Unberührtheit, – kam mit solcher Macht, daß er nach ihrer Linken tastete, sie in seine Hände nahm, streichelte –
„Hilde,“ flüsterte er, „Hilde, Sie wissen ja längst, wie lieb ich Sie habe – längst! Warum behandeln Sie mich jetzt so fremd, so kalt? Glauben Sie etwa, daß ich mich von Mutter hinsichtlich meiner Herzenswahl beeinflussen lasse? Glauben Sie, daß ich so – so wenig wählerisch bin, mit einem Weib wie Resi mich näher anzufreunden? – Hat man Ihnen hinterbracht, daß dem so sei?“
Sie nickte schwach. Ihre Tränen flossen reichlicher.
„Ich schwöre Ihnen, Hilde, – nichts – nichts ist davon wahr!“ sagte er eindringlich.
„Nur – nur heute nachmittag, – da – da habe ich –“
Sie hörte nicht mehr hin, vernahm nur seine Worte. ‚Ich schwöre Ihnen, Hilde!‛ –
Und – daß er nicht log, das wußte sie! –
Alles Leid der letzten Woche versank; alles vergaß sie, was die Mutter ihr mahnend vorgehalten; sie liebte ihn ja ebenfalls, den sonnigen Kurt, den stattlichen Kurt!
Und sie lächelte jetzt unter Tränen, reichte ihm plötzlich das Tagebuch hin.
„Nur die letzten beiden Sätze!“ raunte sie ihm zu und flüchtete dann auf das Sofa in die dunkelste Ecke des Zimmers. –
Er aber las – las.
Da stand:
Nie werde ich ihn vergessen, nie einen anderen lieben! Mama möchte mich mit dem dicken Kaufmann Rosin zusammenbringen, aber –
Kurt warf das Buch auf den Tisch. Dann stand er vor dem alten Glanzledersofa; dann zog er Hilde empor an seine Brust.
„Du – du – nichts trennt uns beide mehr, nichts! Ich bin ja in drei Jahren spätestens Rechtsanwalt. Und dann, kleine Hilde, – dann wirst du mein Frauchen, mein liebes, wonniges Weib!“
Küsse folgten, Küsse, die Kurt eine große Offenbarung brachten: Daß nicht nur einer reifen Frau heiße Lippen Seligkeit schenken und Feuer in die Adern gießen können!
‚Also das ist Hilde, – das ist meine Hilde!‛ dachte er staunend. Und ein wahrer Rausch von Glück erfaßte ihn. Er wußte jetzt war: Nie, niemals würde er ihr untreu werden, selbst nicht in Gedanken. Wer so küßt als Weib trägt den besten Magnet für den Mann im sich: Natürliche Sinnlichkeit, gepaart mit dem keuschen Empfinden echter Weiblichkeit.
Das alte Glanzledersofa hätte viel erzählen können. Aber es war verschwiegen; es kicherte nur mit den leisen klirrenden Sprungfedern und knarrte und brummelte mit den schon etwas wackeligen Holzteilen: Glückliche Jugend! –
Und das klang beinahe neidisch! –
*
Frau Therese horchte und ängstigte sich! Horchte, ob denn ihr Habakuk noch immer nicht zurückkäme, und ängstigte sich, daß er womöglich eine Stelle am Flußufer erwischte, wo es wirklich zum Ertrinken tief genug war, – denn daß ihr Habakuk, sobald erst bis zum Gürtel durchnäßt war, alle Selbstmordgedanken aufgeben würde, darauf nahm sie jedes Gift, dazu kannte sie ihren Ehehelden viel zu genau! –
Aber – er kam und kam nicht! Nun war er bereits eine Stunde fort, eine geschlagene Stunde. Und mit jeder verrinnenden Minute wurde Thereschens Angst größer!
Himmel – wenn er Pech hatte, wenn er tatsächlich einen Kolk erwischte, keinen Kolkraben, sondern einen Kolk, d.h. eine besonders tiefe Stelle im Flußbett! Oder – wenn er vielleicht durch den Schlag mit der Bütte vor seinen haarlosen, so wenig geschützten Schädel einen ernsthaften Knax an seinem Verstandskasten abbekommen hätte! Wenn er nun irgendwo in den nächtlichen stillen Straßen umherirrte und den Heimweg nicht mehr fand, – wenn ihn vielleicht eine jener Damen mit dem Handtäschchen aufgriff, die darin angeblich stets Brennenscheren, Spiritusapparat und reichlich Wechselgeld mit sich herumtragen! –
Ach, der armen Therese wurde geradezu übel vor Angst! Was nur tun, was?! –
Und zu allem Unheil war ja Kurt nicht daheim! Doch – nachsehen konnte sie auf jeden Fall, ob er nicht doch vielleicht bereits zurück sei. Er konnte ja seinen Freund nicht angetroffen haben.
Sie vervollständigte ihre bereits recht mangelhafte Toilette durch einen Morgenrock von hellblauer Farbe, der ihren durch keinen Miederküraß jetzt zusammengehaltenen Formen das Aussehen eines gesteppten Kaffeewärmers gab. Dann schlich sie auf ihren Pantoffeln, zweite Garnitur, die mit ihrer Flunderfasson ganz den Namen ‚Wutscheln‛ verdiente – daher der Vers: ‚auf deinen Wutschen den Buckel runterrutschen!‛ – in den Flur hinaus und lauschte, ob sich drinnen bei Kurt etwas regte.
Aha! Da wurde ja soeben eine Flasche entkorkt! Dieses knallende Geräusch war unverkennbar. –
Und Therese atmete auf! Kurt war daheim! Er würde helfen! –
Na – Kurt war ja nun allerdings nicht daheim. Aber mit der entkorkten Flasche hatte es sein Richtigkeit. Insofern nämlich, als zwischen Genoveva von Mißdubski und dem braven Habakuk eine die Tochter des edlen Wenzeslaus total ernüchternde Erkennungsszene stattgefunden hatte, worauf das Paar das Komische dieser Situation rasch erfaßt und sich ebenso schnell angebiedert hatte, worauf Genoveva die Flasche Pfefferminzlikör, Zigaretten und Konfekt aus ihrer Wohnung geholt und dem hiervon durchaus nicht entzückten Habakuk Gesellschaft zu leisten versprochen hatte.
Die Pfefferminzbuddel war entkorkt, die Gläschen gefüllt. –
„Prosit, lieber Herr Zwitscher!“ rief Genoveva übermütig, denn sie merkte, daß Habakuk dieses Tete a Tete wie – na wie einen Igel als Sitzkissen empfand! –
„Leise – um Gottes Willen leise!“ stöhnte er. „Bedenken Sie, daß –“
Da – war das Malheur schon da!
Es klopfte! Und draußen Frau Thereses wutzitternde Stimme:
„Habakuk, Elender, – öffne!“
Habakuk zeigte sich in diesem Moment als ein Napoleon, ein Blücher, einen Wrangel, – kurz als ein Genie! Im Nu hatte er den Waschtisch abgerückt, den Vorhang vor der Verbindungstür beiseite geschlagen, die Tür geöffnet und Genoveva die nötigen Anweisungen gegeben. –
Genoveva entschwand. Der Waschtisch kam an die alte Stelle, – und Habakuk lächelte triumphierend.
Inzwischen hatte Thereschen noch dreimal geklopft, war dann aber in der Meinung, ihr Habakuk techtelmechtelt mit Resi, hinunter in den ‚Fidelen Selbstmörder‛ gestürmt, wo die dort anwesende Resi ihr jedoch hohnlachend bedeutete, sie solle lieber ihren Sohn drüben bei dem feinen Fräulein Hildchen suchen, deren Mutter verreist sei.
Therese glaubte, die Welt gehe in Trümmer! Ihr Kurt bei Hilde! –
Und sofort läutete sie dort, läutete Sturm!
Und Kurt erschien, – sehr ruhig, hatte Hilde untergefaßt und sagte herzlich:
„Mama – hier, dies ist meine kleine, liebe Braut!“
„Braut?! Braut! – Davon später! Jetzt hilf mir, deinen Vater aus den Klauen –“
Sie verschluckte das weitere, zerrte ihren Kurt mit die Treppe hoch. Und – oben stand in Kurts Zimmertür Habakuk, das Genie, lächelte harmlos, winkte die beiden ins Zimmer und schloß die Tür, damit –: Genoveva nun durch den Schrank mit dem losen Brett und über den Flur in ihre Wohnung zurück könnte. Die Pfefferminzbuddel und alles andere hatte er gut versteckt.
„Thereschen,“ begann er und hielt einen Brief hoch, „Thereschen, ich denke, wir schließen Frieden. Ich habe dich soeben hier wieder etwas ärgern wollen. – Ich merkte, daß du an der Tür horchtest, schnalzte mit der Zunge und markierte eine Damenstimme. –
Bitte Therese, – keine Zweifel äußern! Hier dieser Brief des verdammten Lämmerschweifs, den ich soeben in unserem Kasten bemerkte, beweist dir, daß mein Kollege mir gestern nacht die Haarspange seiner Frau, die er hatte reparieren lassen, wirklich in die Westentasche geschmuggelt hat. Frau Lämmerschweif hat auch noch eine Nachschrift hinzugefügt. –
Bitte – lies und dann –“
Thereschen las; begann zu schluchzen.
„Habakukchen, Männchen, – nie wieder will ich!“ –
Da hatte er sie schon umfaßt und küßte sie. –
Kurtchen aber benutzte die Gelegenheit, holte schnell Hilde nach oben und stellte sie den Eltern als seine Braut nun mit den Worten vor:
„Hier – ein Goldfischlein – eine Erbin –, aber mein Bräutchen, bevor wir die Verwandtschaft mit dem amerikanischen Erbonkel festgestellt hatten!“
Die Folge: Umarmungen, Küsse, eine Verlobungsvorfeier mit Sekt, den Kurt schnell noch einholte.
Ach – es wurde an diesem Abend urgemütlich bei Zwitschers! Vater Habakuk trank sich einen Schwipps an, Mama Therese ebenfalls. Und als sie um ein Uhr morgens sich in das Gemach ehelicher Freuden zurückzogen, da – da –:
‚Nur der Sekt macht heiß,
wer ihn zu trinken weiß!‛ –
Womit genug angedeutet ist. Und wenn Habakuk wieder mal faul und unlustig wurde und Thereschen sich als Frau im gefährlichen Alter fühlte, dann – spendierte sie eine Flasche Sekt, und – alles war im Lot!
Das reizende Thildchen brauchte als Frau Referendar Zwitscher nie Sekt zu kaufen!
Ihr Kurt streikte nie. Und – das gefährliche Alter lernten sie nie kennen.
Fußnote:
1 veraltet: unter Aufsicht, Pflegschaft