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Der Indianerhändler

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 21

Der Indianerhändler.

 

 

Erstes Kapitel

Die beiden Trapper.

Der Sturm durchheulte mit wütenden Stößen den hochragenden Urwald, der sich vom Ufer des San Juan-Flusses die schräge Berglehne hin anzog.

Das Krachen brechender Äste und das weithin tönende donnerähnliche Geräusch einer umstürzenden Riesenfichte wurden jedoch plötzlich von einem anderen Geräusch abgelöst; dem Knall mehrerer Schüsse, denen ein schrilles Geheul, das Angriffsgeschrei der Apachen folgte.

In dieser pechfinsteren Sommernacht, bei diesem durch jagende schwarze Wolken völlig verschleierten Himmel konnte der einsame Reiter, der soeben aus einem lang gestreckten Tal von Osten her den schäumenden, hier etwa neunzig Meter breiten Fluß erreicht hatte, drüben am Westufer lediglich das Aufblitzen der Schüsse erkennen.

Das Geheul verstummte jetzt wieder. Der Reiter, der noch ein zweites, hoch beladenes Pferd bei sich hatte, murmelte kopfschüttelnd vor sich hin: „Was tun die Pimos (Schimpfname für die Apachen) hier im Felsengebirge? Dazu noch so mitten im Jagdgebiet der Navajos, die doch wahrlich ihre Freunde nicht sind! Die rote Brut ist mir unangenehm! Ich habe hier etwas zu erledigen, wobei mir ihre Gegenwart nur lästig ist. Sehen wir erst einmal zu, was die kupferfarbene Bande dort drüben angestellt hat.“

Er stieg aus dem Sattel, nahm beide Pferde bei den Zügeln und brachte sie in eine nahe Schlucht, band sie hier an einer Kiefer hinter einer hohen natürlichen Hecke von Dornen und wildem Hopfen fest und kehrte an das Flußufer zurück.

Nachdem er zwei angeschwemmte Baumstämme rasch durch ein paar Weidenruten aneinandergebunden hatte, ergriff er einen langen Ast und schob dieses primitive Floß in die Strömung hinaus.

Nur ein Mann von außerordentlicher Körperkraft und Geschicklichkeit durfte es wagen, sich auf einem so wenig sicheren Fahrzeug den reißenden Fluten des San Juan anzuvertrauen.

Aber Tom Harpley war ein solcher Mann. Seit acht Jahren hielt er sich dauernd in den Indianergebieten auf und verließ sie nur, um seine Warenvorräte in einem der fernen Grenzforts zu erneuern.

Harpley war Indianerhändler. Seine Ehrlichkeit, seine strenge Unparteilichkeit bei allen Gelegenheiten, wo er durch einen Zufall den Kämpfen der Rothäute untereinander oder mit den ständig weiter vordringenden Ansiedlern beiwohnte, hatte ihn zum Freund aller Stämme westlich des Arkansas gemacht. Sie waren ja auch auf ihn angewiesen, handelten von ihm außer Pulver, Blei und Zündhütchen auch Gewehre, Messerklingen, bunte Leinenstoffe und Glasperlen ein und wußten genau, daß sie von dem schweigsamen Harpley nie übervorteilt wurden, der stets unbewaffnet mit seinen beiden Pferden von Dorf zu Dorf zog und den Rothäuten in vieler Beziehung unheimlich und rätselhaft war.

Das Floß landete am Westufer etwa zweihundert Meter südlich jener Stelle, wo vor kaum zehn Minuten die Schüsse aufgeblitzt waren.

Harpley sprang an das Ufer und stieß das plumpe Fahrzeug in die Strömung zurück.

Auch jetzt hatte er den knorrigen, etwa anderthalb Meter langen dicken Stab bei sich, ohne den man ihn niemals sah. Es war dies ein fast armdicker Buchenast, reich geschnitzt und oben leicht gekrümmt. Die Indianer erzählten sich, daß der rote Tom, wie er im Wilden Westen allgemein genannt wurde, mit diesem Knüttel schon manchem Grisly (grauer Bär) den Schädel eingeschlagen hätte.

Tom schlich tief gebückt am Rande des Urwaldes hin.

Auf seine Augen und Ohren konnte er sich in dieser stürmischen, dunklen Nacht nicht verlassen. Aber etwas anderes wurde ihm dann Wegweiser und Warner: der Geruch von brennendem Holz, von Lagerfeuern!

Er folgte den dünnen, durch die Bäume ziehenden Qualmschwaden die Berglehne hinauf und gelangte so an den Rand einer Schlucht, in der soeben acht Feuer angezündet worden waren.

Mit einem Blick überflog er die tiefe, kahle Senke, erkannte etwa sechzig Apachen, deren Pferde in einem Winkel der Schlucht standen, und bemerkte dann auch zwei Weiße, die gefesselt am Boden lagen. Etwas abseits waren drei tote Apachen niedergelegt worden, die als offenbar beim Kampf vorhin gefallen waren.

Jetzt schleppten einige der Roten zwei ihrer Äste beraubte Fichten herbei, bohrten sie in Spalten des rissigen Felsbodens ein und banden dann die Gefangenen aufrecht an diese Pfähle, während sich die übrigen Rothäute im Kreis um sie scharten.

Tom merkte, daß die beiden Weißen hier fraglos sofort zu Tode gemartert werden sollten.

Der flackernde Feuerschein beleuchtete die Gesichter dieser Männer, die, der Kleidung nach Trapper, halb bewußtlos vor Angst in den um ihre Glieder geschlungenen Lassos hingen.

Da brüllte der eine mit überlauter heiserer Stimme: „Ikawiru, der Oberhäuptling der Apachen, mag uns das Leben schenken. Wir werden ihm ein großes Geheimnis verraten. Ikawiru weiß, daß die Bleichgesichter das Gold über alles lieben. Wenn wir dem Oberhäuptling nun einen Ort zeigen, wo dieses Gold im Kieseln zu finden ist, kann er alle seine Krieger mit den neuen Büchsen, die zwei Läufe und statt des Feuersteins und der Zündpfanne Zündhütchen haben. Dann werden die Apachen mächtiger als alle anderen Stämme sein, und der Ruhm Ikawirus wird vom Arkansas bis hinauf zum Großen Salzsee und hinab zum Rio Grande, bis Mexiko reichen.“

Aus dem Kreis der Rothäute löste sich jetzt die breitschultrige, herkulische Gestalt des Oberhäuptlings aller Apachenstämme.

Das mit den Kriegsfarben grell bemalte Gesicht Ikawirus, die listigen, grausamen Augen und die leicht vorn übergebeugte Haltung wirkten wie eine gefährliche Drohung. Der Oberhäuptling glich einem Tiger, der zwei wehrlose Opfer anschleicht und jeden Moment zuspringen kann.

Vor den beiden Pfählen, die nur durch einen Meter Zwischenraum getrennt waren, machte er halt.

Mit tiefer Stimme sagte er in dem aus englischen und spanischen Brocken zusammengesetzten Kauderwelsch: „Die Bleichgesichter haben drei meiner Krieger getötet und zwei verwundet. Sie müßten schon sehr viel Gold den tapferen Apachen zeigen, um dem Martertod zu entgehen.“

Robbin (so hieß der Weiße, der dem Häuptling die Goldschätze versprochen hatte) rief sofort: „Ikawiru wird vier Pferde mit den Goldkieseln beladen können. Keine Bonanza (Goldfundstelle) kommt der gleich, die mein Freund Stury und ich kennen.“

„Wo liegt die Bonanza?“, fragte der Oberhäuptling. „Und — weshalb habt ihr sie noch nicht geplündert?“

„Wir waren jetzt gerade auf dem Weg dorthin“, erklärte Robbin in einem Ton, der durchaus aufrichtig klang. „Wo die Bonanza zu suchen ist, läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Aber ich finde den Weg dorthin.“

Ikawiru machte eine für verächtliche Handbewegung. „Das Blaßgesicht lügt. Er hofft uns entfliehen zu können, wenn wir auf seinen Vorschlag eingehen.“

„Ich lüge nicht! Schon dreimal war ich ja mit Stury dort. Es fehlte uns jedoch stets an dem nötigen Pulver, um den Felsblock wegzusprengen, der den Zugang zu dem Felsloch versperrt. Ikawiru mag die Satteltaschen unserer Pferde besichtigen. Dort sind dreißig Pfund bestes Schießpulver verwahrt.“

Der Oberhäuptling, der bisher noch an Robbins Worten gezweifelt hatte, wurde jetzt anderer Meinung. Er sagte sich selbst, daß niemand dreißig Pfund Pulver ohne bestimmte Absicht in die Wildnis mitnehmen wird.

Nachdem er sich mit den sechs ältesten Kriegern noch kurz beraten hatte, kehrte er zu den Gefangenen zurück.

„Die tapferen Krieger der Apachen werden den Blaßgesichtern das Leben schenken, wenn sie uns zu der Bonanza führen“, sagte er kurz.

„Ikawiru wird diesen Entschluß nicht bereuen!“, rief Robbin da vor Freude so laut, daß der Indianerhändler auch jetzt jedes Wort verstand.

Über des Oberhäuptlings Gesicht glitt blitzschnell ein höhnisches Lächeln. Er und seine Krieger würden sich ja niemals an diese Zusage halten, die beiden Weißen wirklich freizugeben. Nein — mit der ganzen Hinterlist, die dem Reitervolk der Apachen von jeher eigen ist, wollten sie Robbin und Stury lediglich das Geheimnis der Bonanza entlocken und sie dann auf eine Weise beseitigen, daß sie scheinbar die Vereinbarung nicht brachen.

Aber Robbin, seit Jahren mit der Heimtücke der Rothäute vertraut, bestand jetzt darauf, daß der Vertrag feierlich nach Indianersitte am Lagerfeuer durch das Rauchen des Kalumets, der Friedenspfeife, besiegelt würde.

Ikawiru nickte nur. Auf seinen Wink band man die Gefangenen los.

Robbin und Stury, deren Gesichter alles andere als vertrauenerweckend aussahen, reckten die steif gewordenen Glieder und rieben sich die durch den Druck der Riemen wie abgestorbenen Handgelenke.

Da — plötzlich zwei Schüsse kurz hintereinander.

Robbin warf die Arme hoch und stützte vornüber auf den harten Felsboden. Eine Kugel war ihm durch die Stirn gegangen.

Auch Stury taumelte und sank langsam um. Er war von dem ihm zugedachten Geschoß jedoch nur an der linken Schläfe gestreift worden.

Kaum war der Knall der Schüsse mit vielfachem Echo in den Schluchten verhallt, als die Apachen auch schon blitzschnell verschwanden. Jeder der Roten suchte hinter den herumliegenden Felsblöcken Deckung, und nur die Mustangs und die flackernden Feuer verrieten jetzt noch, daß hier soeben noch Rothäute gelagert hatten.

Auch die rings um die Schlucht aufgestellten Wachen, im ganzen acht Krieger, hatten die beiden Schüsse vernommen, die vom Westrand der Senkung abgegeben worden waren, wie die hier stehenden drei Apachen deutlich dem Schall nach gehört hatte. Diese drei Wachen schlichen jetzt schlangengleich auf die Stelle zu, wo sich der oder die Feinde befinden mußten, deren Büchsen soeben das Lager in so wilde Aufregung versetzt hatten.

Den drei gesellte sich Ikawiru mit vier seiner besten Krieger zu. Aber alles Suchen war umsonst. Man fand hier niemand mehr vor, nur eine schwer lesbare Fährte wurde beim Schein einiger brennender harziger Äste entdeckt, über deren Bedeutung die Apachen jedoch insofern im Unklaren blieben, da sie nicht wußten, ob es sich um einen oder mehrere Weiße handelte, die hier das dürre Gras und die Ranken eines Dickichts niedergedrückt hatten. Nur daß es ein Weißer gewesen war, der an zwei Stellen den Abdruck eines Absatzes eines Stiefels auf einem großen Blatt eines Seifenstrauches zurückgelassen hatte, war als sicher anzunehmen.

Da auch in der weiteren Umgebung der Schlucht nichts Verdächtiges gefunden wurde, ließ Ikawiru nun die undeutliche Spur durch einige seiner besten Fährtensucher verfolgen, während er selbst mit den anderen Apachen die Schlucht verließ und ein neues Lager auf einer mit Gestrüpp bewachsenen Halbinsel bezog, die sich in den schäumenden und gurgelnden San Juan-Fluß hinein erstreckte.

Die Leichen der roten Krieger, die des Trappers Robbin und ebenso der verwundete Stury waren hierher mitgenommen worden. Stury wurde von dem Oberhäuptling eigenhändig verbunden, denn Ikawirus Goldgier war jetzt erwacht, und um jeden Preis wollte er den Verwundeten am Leben erhalten, ohne den er ja die Bonanza nie finden konnte.

 

 

Zweites Kapitel

In der Gewalt der Apachen.

In dieser selben Nacht waren auch von Westen her aus den wilden Wahsatsch-Bergen zwei andere Reiter dem San Juan-Flusse auf ermüdeten Pferden zugetrabt.

Es waren dies ein hochgewachsener, blondbärtiger Trapper und ein schlanker, kräftiger Indianer mit edlem, schmalem Gesicht und prachtvollem blauschwarzen Haar, daß er auf dem Scheitel schopfartig hochgebunden hatte. Mehrere in diesem Schopf befestigte Adlerfedern bewiesen, daß man hier einen Häuptling vor sich hatte.

Als die beiden Reiter jetzt ein langes Tal durchquerten und der Orkan dicht vor ihnen eine Riesenkiefer entwurzelte und mit Donnerkrachen umwarf, so daß die Pferde unwillkürlich zurückprallten, sagte der blonde, ganz in Leder gekleidete Trapper zu dem roten Häuptling: „Mein Bruder Chokariga wird einsehen, daß es besser ist, wenn wir einen Lagerplatz suchen. Die Navajos, die uns seit gestern Mittag verfolgen, werden unsere Fährte längst verloren haben.“

„Felsenherz spricht nur meine Gedanken aus“, sagte der Komanchenhäuptling Chokariga und lenkte seinen Rappen um den umgestürzten Baum herum in eine enge Seitenschlucht. Hier blieb er dann mit den beiden Pferden zurück, während Felsenherz die Umgebung durchforsten wollte, ob die Gegend auch sicher sei.

Der berühmte Trapper schritt lautlos in die finstere Nacht hinaus. Nur ein Mann wie er konnte sich in dieser Dunkelheit zurechtfinden. Vor fünf Tagen war er hier mit seinem roten Bruder, dem Schwarzen Panther, auf der Bärenjagd gewesen. Er erinnerte sich, daß der San Juan Fluß in der Nähe sein mußte, und wenn irgendwo Indianer hier lagerten, waren sie fraglos unweit des Flußes geblieben.

Eine Stunde später hatte der Sturm das schwarze Gewölk am Himmel zerstreut. Einzelne Sterne blinkten auf. Felsenherz befand sich bereits auf dem Rückweg.

Als er gerade in das bewaldete Tal gelangt war, wo die niederstürzende Riesenfichte beinahe ihn und Chokariga erschlagen hätte, tauchte hinter den jagenden Wolkenfetzen auch der Mond auf. Mit einem Mal bestrahlte so mildes Silberlicht die Felswildnis dieser zerklüfteten Berge. Der blonde Trapper bemerkte nicht, daß dicht hinter ihm jene vier Apachenspäher vorsichtig dahinschlichen, die Ikawiru ausgesandt hatte, um nach dem oder den Schützen zu suchen, die Robbin und Stury niedergestreckt hatten.

Diese vier Kriege hatten bereits in dem einsamen Mann da vor ihnen ihren alten Gegner Felsenherz erkannt, der von den Apachen schon so und so oft gefangen genommen, ihnen stets aber wieder entschlüpft war. Der Haß der Apachen, den sie seit Langem gegen Felsenherz und den tapferen Komanchenhäuptling empfanden, hatte keinerlei Berechtigung. Stets waren es die mordgierigen Rothäute gewesen, die den blonden Trapper und seinen Freund dazu gezwungen hatten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen.

Felsenherz blieb plötzlich stehen.

Er hatte in dem Waldstreifen an der rechten Talseite dicht neben sich ein verdächtiges Geräusch gehört: das Brechen eines trockenen Astes, der auf dem Boden durch den Fuß eines Menschen oder eines größeren Tieres geknickt wird.

Nur das fein ausgebildete Gehör des berühmten Westmannes konnte in der gerade herrschenden sekundenlangen Atempause des Stromes dieses Geräusch als etwas Verdächtiges erkennen. Wie ein Blitz war Felsenherz denn auch hinter eine der nächsten Buchen geschlüpft, hatte den Tomahawk gepackt und ließ seine Blicke argwöhnisch hinter dem Baum hervor das Waldesdunkel durchdringen.

Da — irgendein kleiner Gegenstand fiel dicht vor ihm nieder.

Auf dem mondhellen Fleck da vor ihm lag nun ein — halber Apachenpfeil, als solche kenntlich an der besonders gearteten Fiederung.

Felsenherz war verblüfft. Dieses Stück eines Teiles, die in die Spitze, das obere Ende fehlte, konnte ihm doch nur jemand in ganz bestimmter Absicht zugeworfen haben.

Wer aber — und zu welchem Zweck? Fraglos doch nur als Warnung — vor den Apachen!

Der blonde Trapper hob das Pfeilstück rasch auf und steckte es vorn in sein Lederwams. Dann drang er tiefer in den Wald ein, freilich mit allergrößter Behutsamkeit und auch damit rechnend, daß hier irgendeine Teufelei vorläge.

Wieder blieb er stehen.

Und hinter ihm wanden sich wie Schlangen die vier Späher heran.

Der eine, die ungeheure Körperkraft Felsenherz’ wohl kennend, hielt ein Lasso bereit. Dieser Krieger war der geschicktesten Lassowerfer des Stammes. Nie ging ihm ein Wurf fehl. Dem flüchtenden Büffel schleuderte er die Lassoschlinge so auf den Boden, daß das Tier unfehlbar im vollen Galopp mit dem Vorderfuß hineintrat, sich dann überschlug und in den meisten Fällen das Genick brach.

Auch jetzt bewies dieser Apache, daß er den Namen Paru Matscha, die Schnelle Hand, durchaus verdiente.

Die Schlinge flog Felsenherz über den Kopf, wurde mit furchtbarem Ruck zugezogen.

Aber Paru Matschas Armkraft hatte doch nicht genügt, den Jäger nach hinten umzureißen.

Nein, der blonde Trapper stand noch aufrecht, und blitzartig fuhr seine Klinge durch den ihn würgenden straff gespannten Riemen.

Aber schon warfen sich auch die drei anderen Roten auf ihn, hingen an seinen Armen wie Kletten.

Die Luft wurde ihm knapp. Umsonst stieß er mit den Füßen nach den Feinden, umsonst schleuderte er sich mitsamt den lebenden Kletten gegen den nächsten Baum.

Paru Matscha schlug mit dem flachen Tomahawk zu. Für einen Moment verlor Felsenherz die Besinnung. Als er wieder zu sich kam, war er so eng gefesselt und so sicher geknebelt, daß er einsah, er könnte vorläufig nichts zu seiner Befreiung tun.

Die vier Apachen trugen ihn dann eiligst davon. Sie wagten es nicht, ihm die Beine loszubinden und ihn gehen zu lassen, so sehr fürchteten sie seine Überlegenheit und seinen kecken Sinn, der stets eine List in Bereitschaft hatte, ihnen irgendwie zu entwischen.

Als sie nach etwa einer Stunde das Lager der Halbinsel erreichten, war dort kurz vorher der Indianerhändler mit seinen beiden Pferden eingetroffen und hatte soeben Ikawiru, dem Oberhäuptling, erzählt, daß die Schüsse ihn herbeigelockt hätten.

Ikawiru ließ ihn freundlich willkommen und bot ihm einen Platz an seinem Feuer an. Die Apachen umdrängten den roten Tom. Er war ihnen stets ein angenehmer Gast. Sie halfen ihm seine Pferde abzusatteln, und sie warfen ehrfurchtsvolle Blicke auf den kräftigen, rotbärtigen Weißen, der so ganz allein, nur ein Messer als Waffe im Ledergurt und den Buchenknittel in der Hand, Prärien und Berge durchwanderte.

Dann schleppte man den berühmten Trapper herbei.

Des Oberhäuptlings Gesicht strahlte in wildem Triumph auf.

Sofort sagte er mit Hohn und Verachtung zu dem blonden Jäger: „Felsenherz ist ein feiges Stinktier, das nur nachts sein Baumloch verläßt. Felsenherz war es also, der vorhin das eine Blaßgesicht erschoß und das andere verwundete. Wo ist Chokariga, der Komanche mit dem Weiberhaar?“

Der blonde Jäger würdigte den Apachen keine Antwort.

Sein Blick fiel auf den roten Tom, der gleichgültig am Feuer sitzen geblieben war.

Und — da bemerkte er, daß Tom ihm verstohlen mit den Augen ein Zeichen gab.

Felsenherz kannte den Indianerhändler nur ganz flüchtig.

Ein einziges Mal vor etwa anderthalb Jahren war er ihm weit südlich am Rand der berüchtigten Llano Estacado, der großen texanischen Sandwüste begegnet. Eine einzige Nacht hatten er und Chokariga mit Tom Harpley zusammen gelagert. Damals war Tom jedoch so schweigsam und verschlossen gewesen, daß der blonde Trapper den Eindruck gewann, Harpley müßte entweder eine schwere Gewissenslast oder ein besonderes Geheimnis mit sich herumtragen.

Der Oberhäuptling Ikawiru, der alles versuchen wollte, auch den Komanchen in seine Gewalt zu bekommen, riß jetzt sein Messer aus dem Gürtel und holte zum Stoß aus.

„Wenn Felsenherz nicht sofort sagt, wo Chokariga weilt, wird meine Klinge ihm ins Herz fahren!“, brüllte er den berühmten Jäger an.

Felsenherz tat, als ob diese Drohung ihm gar nicht gelte. Er hatte den Kopf noch mehr zur Seite gedreht, wo die toten Apachen und die Leiche Robbins nebeneinanderlagen.

Robbin war die Kugel gerade über der Nasenwurzel mitten in die Stirn gegangen. Das dunkle, leicht blutige Einschußloch zeichnete sich scharf gegen die Stirn ab.

Ikawiru, dessen Wut jetzt infolge der Nichtbeachtung seiner Drohung durch den Trapper jäh aufflammte, packte den blonden Hünen plötzlich bei der Kehle.

„Hund von einem Blaßgesicht, ich skalpiere dich bei lebendigem Leib!“, stieß er zischend hervor.

Erschien jetzt Ernst machen zu wollen. Sein Gesicht war vor Haß und Grimm verzerrt.

Der wehrlose Trapper, dem ja auch die Füße brutal festgebunden waren, blickte den Apachen nur durchdringend an. So standen die beiden, der eine den Hals des anderen umklammert haltend und in der Rechten das blinkende Skalpmesser, sich sekundenlang ohne jede Bewegung gegenüber.

Ikawirus wahnsinnige Blutgier wurde noch durch den verächtlichen Ausdruck in Felsenherz’ offenem, frischen Gesicht gesteigert.

Jede Selbstbeherrschung verließ ihn.

Er wollte jetzt zu stoßen.

Sein Arm hob sich noch etwas, begann die Abwärtsbewegung. Die Messerklinge funkelte im Schein der Feuer.

Felsenherz war verloren.

Auch Harpley sprang nun empor, rief Ikawiru zu: „Häuptling, du solltest —“

Da — vom Fluß her, dessen schäumende Wasser man durch eine Lücke im Gebüsch sehen konnte, ein Schuß.

Ikawirus rechte Hand beschrieb einen Bogen. Das Messer war ihm durch eine Kugel aus der Hand gerissen worden, und die beiden Mittelfinger dieser Hand waren nur noch blutige Fetzen. Das Geschoß hatte sie von der Seite durchbohrt und war dann in den Messergriff gefahren.

 

 

Drittes Kapitel

Der Geist der Wahsatsch-Berge.

Dieser Meisterschuß ließ sofort die Hälfte der Apachen zum Nordufer der Halbinsel stürmen.

Dort hofften sie, den geheimnisvollen Feind zu finden, dessen Büchse nun sogar den Oberhäuptling gezeichnet hatte, nachdem bereits Robbin und Stury doch offenbar desselben Schützen glänzende Treffsicherheit gespürt hatten.

Umsonst war ihr Suchen. Umsonst spähten sie über den im Mondlicht daliegenden Fluß hin.

Kein lebendes Wesen war zu bemerken, kein Nachsehen, kein Floß — nichts!

Auch die übrigen Apachen und der rote Tom — alles stand jetzt am Ufer der Halbinsel. Sogar Ikawiru hatte sich dorthin begeben.

Der Oberhäuptling, erfüllt von abergläubischer Angst, ließ sich durch den Indianerhändler die verstümmelte Hand verbinden. Dabei fragte er, was Harpley ihm hatte zurufen wollen, als der Schuß fiel.

Der rote Tom machte ein sehr ernstes Gesicht. „Hat der Oberhäuptling schon einmal vom Geist der Wahsatsch-Berge etwas gehört?“, meinte er sehr laut.

Die anderen Apachen, durch des Händlers kräftige Stimme angelockt, scharten sich um die beiden, denn alles, was mit Geistern zusammenhing, war für die Rothäute von jeher überaus interessant.

Ikawiru nickte.

„Ja, ich weiß, daß die Navajos, deren Jagdgebiete sich dicht bis zu jenen Bergen hinziehen, von einem Geist erzählen, der ohne Kopf auf kohlschwarzem Mustang durch die Bergtäler reitet. Wer ihn sieht, muß sterben. Der Geist soll der eines Fallensteller sein, den die Navajos vor vielen Jahren in der Prärie zu Tode schleiften, wobei ihm der Kopf abgerissen wurde.“

„So erzählt man es sich auch an den Lagerfeuern der Trapper“, bestätigte der Händler. „Als ich nun vorhin während des Orkan mich dem San Juan näherte, begegnete mir der unheimliche Reiter. Und bevor der Schuß gefallen war, Ikawiru, der dir zwei Finger raubte, sah ich den Geist der Wahsatsch-Berge drüben am Ufer im Mondlicht hoch zu Roß halten. Deshalb rief ich dich an. Ich wollte dich warnen, denn das Wahsatsch-Gespenst hat schon oft genug durch eine gut gezielte Kugel einen Indianer niedergestreckt, der einen Weißen heimtückisch ermorden wollte.“

Die Apachen blickten scheu über den Fluß hinweg. Aber drüben war nichts von dem gefährlichen Reiter zu entdecken.

Dann ein Schrei vom Südteil der Halbinsel her — ein Schrei, der sofort in den gellenden Ruf der dort aufgestellten Wachen überging.

„Felsenherz — der Schwarze Panther!“ Zwei Schüsse jetzt — abermals zwei Schreie.

In wilder Hast stürmten Ikawiru und seine Krieger dem Lagerplatz wieder zu.

Der Oberhäuptling war allen voran. Er ahnte, was geschehen war.

Und wirklich: Die Stelle neben dem Feuer, wo Felsenherz vorhin, als der würgende Griff Ikawirus um seinen Hals infolge des Schusses sich gelockert hatte, wie halb bewußtlos ins Gras sank und dann unbeachtet liegen blieb, war leer.

Hätte der Oberhäuptling jetzt das Gesicht des Indianerhändlers, der den Apachen langsam folgte, beobachten können, so würde ihn dessen zufriedenes Lächeln wohl stutzig gemacht haben.

So aber war es ihm ein vollkommenes Rätsel, wer Felsenherz‘ Fesseln zerschnitten haben könnte, zumal jetzt zwei der Wachen erschienen und meldeten, daß Felsenherz zwischen ihnen hindurch gewaltsam sich einen Weg gebahnt und dabei sogar das verwundete Bleichgesicht, also den Trapper Stury, auf den Schultern davongetragen hätte, während der Komanchenhäuptling ihm dann erst später zu Hilfe geeilt sei, wobei sie zwei Krieger niedergeschlagen und zwei andere durch Schüsse verwundet hätten.

Ikawiru, dem nun auch der Trapper Stury entführt worden war, von dem er sich doch zu der Bonanza hatte den Weg zeigen lassen wollen, befahl sofort, die Verfolgung der Flüchtlinge mit allem Eifer aufzunehmen.

Er hielt nur zehn Krieger bei sich. Die Übrigen hatten im Nu harzige Äste von den nächsten Tannen mit den Tomahawks abgeschlagen und stürzten sich mit diesen hell lodernden Fackeln in das Dickicht, um die Fährte der beiden berühmten Jäger zu suchen.

Ikawiru aber setzte sich mit seiner schmerzenden Hand in verbissener Wut an das Feuer und winkte den roten Tom neben sich.

Tom wurde dabei etwas unbehaglich zumute, denn er war es ja gewesen, der Felsenherz befreit und im auch zugeraunt hatte, den Trapper Stury gleichfalls zu retten. Er hatte, als die Apachen zum Nordufer der Halbinsel gestürmt waren, sich nur scheinbar entfernt, war hinter ein paar Büsche geschlüpft und hatte den blonden Trapper rasch losgeschnitten, um dann eilig sich den Apachen am Ufer wieder zuzugesellen.

Ikawirus schien in der Tat Mißtrauen gegen den roten Tom zu hegen. Er sah ihn durchdringend an und sagten nun mit heuchlerischer Gleichgültigkeit: „Das Blaßgesicht, den wir den roten Tom nennen, mag mir sein Messer reichen.“

Harpley, der sich kaltblütig seine Tabakpfeife stopfte, fragte, ohne aufzublicken: „Was will Ikawiru mit dem Messer?“

Dann zog er es aber doch aus der Lederscheide und reichte es dem Oberhäuptling, der die Klingel dicht ans Feuer hielt und die Schneide sehr sorgsam prüfte.

Harpley lächelte abermals verstohlen. Er ahnte, was Ikawiru feststellen wollte: Die Riemen, mit denen Felsenherz gebunden gewesen war, waren ganz frisch mit Bärenfett eingerieben gewesen, und der Apache wollte sich fraglos überzeugen, ob die Klingel fettig war.

Schweigend gab Ikawiru das Messer dem Indianerhändler zurück. Er hatte nichts bemerkt, was seinen Argwohn bestätigen konnte.

Harpley jedoch meinte nur, indem er sich erhob: „Ich weiß, daß du mir mißtraust, Ikawiru. Es ist besser, ich verlasse euer Lager. Du kennst mich; noch nie hat der rote Tom sich eure Angelegenheiten eingemischt — noch nie!“

Der Oberhäuptling schaute ihn finster an. „Der rote Tom will Felsenherz und Chokariga folgen!“, sagte er dumpf und in verhaltener Wut.

„Ikawiru irrt; ich werde über den San Juan-Fluß setzen und mich zu den Dörfern der Mescalero begeben, wo ich seit vielen Monden nicht gewesen bin. Wenn Ikawiru wünscht, daß seine Kriege fortan nur schlechtes Pulver von anderen Händlern kaufen sollen, dann mag er die Freundschaft brechen, die bisher zwischen uns bestanden hat.“

Die Ruhe und Kühnheit Harpleys verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Oberhäuptling winkte drei seiner Krieger und befahl ihnen, dem Händler beim Bau eines Floßes behilflich zu sein. Dann wünschte er Harpley noch gutes Wetter für den Marsch zum Rio Pecos hinab, wo die Mescalero wohnten und streckte sich lang am Feuer aus.

Kaum hatte der Händler jedoch mit seinen beiden Pferden das Lager verlassen, als er zwei anderen Kriegern leise den Auftrag gab, Harpley auf den Fersen zu bleiben.

Dieser landete drüben und ritt dann nach Nordwest weiter. Er wußte, daß er beobachtet werden würde, und richtete sich danach.

Nachdem er zwei Meilen durch die Berge immer in derselben Richtung im Schritt zurückgelegt hatte, machte er hinter einer scharfen Krümmung eines Tales halt und zündete im Schutz einiger Felsblöcke ein Feuer an, tat so, als ob er hier lagern wollte.

Die beiden ihm nachgeschickten Apachenspäher, die ihm aus sicherer Entfernung im Auge behalten hatten, machten nunmehr kehrt. Sie waren überzeugt, daß Harpley den Rest der Nacht an dieser Stelle zubringen würde.

Der rote Tom jedoch blieb hier nur eine Stunde, suchte dann sorgfältig die ganze Umgebung ab und brach wieder auf, passierte den San Juan-Fluß abermals und wandte sich dorthin, wo er mit Felsenherz wieder zusammentreffen wollte, wie er ihm dies durch wenige Worte vorhin mitgeteilt hatte.

 

 

Viertes Kapitel

In der Höhle der Kolorado-Berge.

Chokariga, der tapfere Komanchenhäuptling, hatte an dem Lagerplatz, den er in jener engen Schlucht für sich und seinen weißen Bruder ausgewählt hatte, sehr bald wegen Felsenherz’ langen Ausbleibens ernstes Besorgnis empfunden und war daher gleichfalls nach Südosten bis zum San Juan-Flusse geschlichen. Hier vertraute er sich einem Baumstamm an und schwamm flußabwärts, da auch er, falls hier feindliche Indianer vorhanden waren, diese in der Nähe des San Juan vermutete.

Schon nach kurzer Zeit bemerkte er dann am Südufer der Halbinsel schwachen Feuerschein. In der Krone des Urwaldriesen war er vollständig geschützt. So trieb er den Stamm denn dicht ans Ufer der Halbinsel und kam auch gerade zur rechten Zeit. Durch eine Lücke in den Büschen sah er, wie der Apachenhäuptling Felsenherz gepackt hielt und mit dem Messer ausholte.

Chokarigas Büchse flog empor.

Nur ein Westmann wie er durfte sich ein Ziel wie dieses wählen: Ikawirus rechte Hand!

So verlor der blutgierige Apache zwei Finger.

Der Schwarze Panther aber tauchte und landete unterhalb des Lagers in einer Anschwemmung von Urwaldriesen, kroch weiter und konnte dann seinem weißen Bruder helfend beispringen, als diese, den Verwundeten über der Schulter, zu entfliehen trachtete.

Eilends kehrten die beiden Jäger mit den noch immer halb bewußtlosen Stury zu der Schlucht zurück, holten ihre Pferde, banden ihnen die aus dickem Leder bestehenden Hufschuhe unter und ritten direkt nach Süden den Kolorado-Bergen zu. Die Hufschuhe bewirkten, daß die Pferde nur sehr schwer erkennbare Spuren zurückließen. Felsenherz hatte den Trapper Stury zu sich in den Sattel genommen.

Als sie gegen Morgen aus den San-Juan-Bergen in die erste stark wellige Prärie gelangt waren, sagte der Komanche zum blonden Jäger: „Wir brauchen jetzt nur noch diese Prärie zu durchschreiten, sind wir in den Vorhügeln der Kolorado-Wildnis. Dort kenne ich ebenfalls eine Höhle, die, wie der rote Tom dir kurz beschrieb, sich meilenweit hinzieht und einen sehr versteckten Zugang hat. Es ist fraglos dieselbe Höhle, die er meint. Dort werden wir mit ihm zusammentreffen.“

Es wurde immer heller.

Plötzlich zügelte der ein Stück voranreitende Schwarze Panther seinen prachtvollen Rappen und deutete nach Norden. Dort brachen aus einem Wald gerade in langer Linie etwa zweihundert Rothäute hervor.

„Navajos!“, rief Chokariga.

Im Galopp sprengten sie weiter.

Eine wilde Hetze begann. Die Navajos rückten näher und näher. Endlich tauchten die vereinzelten Felsen auf, die sich sehr bald zu Hügeln auftürmten. Bewaldete Berge erschienen, und der Schwarze Panther bog nun mehr nach Süden von der bisherigen Richtung ab, bis man ein Tal erreicht hatte, dessen kahle westliche Wand, aus dunklem Gestein bestehend, in natürlichen Terrassen sich emporzog und oben in eine flache Kuppel auslief.

Chokariga sprang aus dem Sattel. Die Freunde führten ihre Tiere eilends von Terrasse zu Terrasse, bis sie sechs einzelne, mächtige Tannen vor sich sahen. Diese Tannen verdeckten den Eingang zu einer jener endlosen Höhlen, wie sie in den Kolorado-Bergen nicht selten sind.

Zu der beiden Westmänner Erstaunen war der rote Tom hier bereits anwesend und trat jetzt aus dem breiten, hohen Eingang der Grotten heraus, indem er ihnen zurief:

„Die Navajo sind dicht hinter Euch! Ich werde Eure Pferde halten. Wie Ihr wißt, lasse ich mich mit den Rothäuten nie auf einen Kampf ein. Vertreibt die Navajos durch ein paar Schüsse.“

Im selben Moment hatte der Verwundete den Händler erblickt.

„Tom Harpley!“, schrie er. „Die Toten erwachen!“

Dann sank er, von neuer Ohnmacht umfangen, Felsenherz bewußtlos in die Arme.

Der rote Tom blickte auf Stury mit einem Ausdruck unversöhnlichen Hasses.

„Ich werde Euch später alles erklären“, sagte er zu Felsenherz und Chokariga. „Verteidigt den Höhleneingang gegen die Navajos. Ich werde auf diesen Elenden achtgeben, der, sobald er aus der Ohnmacht erwacht ist, versuchen wird, uns zu entfliehen. Er weiß schon, warum, der — Frauen- und Kindermörder! — Endlich — endlich ist die Zeit gekommen“, dabei streckte er die Arme wie in wilder Verzückung gen Himmel, „wo ich meinen Schwur halten kann!“

Der blonde Trapper und Chokariga ahnten hier irgendein furchtbares Geheimnis, eine jener Tragödien, wie sie im Wilden Westen zum Alltäglichen gehörten, als noch die ersten Ansiedler sich über den Arkansas wagten.

Sie ergriffen ihre fehlenden Büchsen und faßten hinter den Tannen Posto.

Aber — die Navajos waren verschwunden!

Felsenherz meinte kopfschüttelnd zum Schwarzen Panther:

„Die Navajos sind mit den Apachen zurzeit nicht gerade gut Freund! Ob sie etwa Ikawiru auskundschaftet und sich gegen diesen gewandt haben?“

Chokariga machte ein sehr ernstes Gesicht. „Mein Bruder Harry (Felsenherz hieß ja mit seinem wahren Namen Harry Felsen) mag wissen, daß dieses Höhlengebiet drei Eingänge hat. Ich glaubte bisher, nur ich hätte hiervon Kenntnis. Jetzt fürchte ich jedoch, auch die Navajos sind hiervon unterrichtet. Wir werden dabei von zwei Seiten angegriffen werden.“

Der blonde Jäger hatte den Kopf etwas weiter vorgestreckt, um in das Tal hinabspähen zu können.

Sofort blitzten aus niederem Gestrüpp und hinter Felsblöcken der tieferen Terrasse mehrere Schüsse auf. Eine Kugel traf Felsenherz’ breite Hutkrempe, eine zweite riß ihm ein Loch in den linken Ärmel seiner Wildlederjacke.

„Ah — so ist es gemeint!“, rief er trotzdem gut gelaunt. „Nun wissen wir doch, woran wir sind!“

Der edle Komanchenhäuptling fügte hinzu: „Wir wissen, daß die Navajos uns eingeschlossen haben und uns durch die Höhle in den Rücken fallen werden. Chokariga wird schleunigst einen Steinwall aufschichten. Nur so können wir uns hier verteidigen.“

Er begab sich zum Indianerhäuptling, während Felsenherz draußen Wache hielt.

Tom Harpley war sofort bereit, mitzuhelfen. Er hatte Stury inzwischen leicht gefesselt, da dieser wieder zu sich gekommen war.

Die Höhle verengte sich etwa dreißig Meter hinter dem Eingang bis auf zwei Meter Breite und der Meter Höhe. Diese Stelle wurde durch Felsblöcke und Stein verbarrikadiert. In zehn Minuten hatten die beiden kräftigen Männer dieser Arbeit erledigt, wobei der rote Tom insofern eine große Geschicklichkeit bewiesen hatte, als er zwischen den Blöcken Schießscharten freigelassen und die Blöcke so gestützt hatte, daß sie von der anderen Seite unmöglich weggeräumt werden konnten.

Voller Spannung erwarteten die drei Gefährten jetzt die weitere Entwicklung der Dinge. Da sie vorläufig keinen Angriff zu fürchten brauchten, erzählte der rote Tom den beiden Westmännern jetzt die Geschichte des ungeheuerlichen Verbrechens, das Robbin und Stury einst begangen hatten.

 

 

Fünftes Kapitel

Des roten Tom Doppelbüchse.

„Neun Jahre sind es nun her“, berichtete der rote Turm in aller Kürze, „da wohnten mein Bruder und ich mit unseren Frauen und Kindern als Ansiedler in den Pontrack-Bergen. Wir hatten uns eine Art Gebirgsfestung gebaut, lebten mit den benachbarten Sioux in Frieden und hätten es zu Wohlstand bringen können, wenn nicht mein Bruder Edward vom Goldfieber gepackt gewesen wäre. Tagelang trieb er sich in den Bergen umher, weil er bestimmt hoffte, doch einmal eine Bonanza zu finden. Dann kehrte er eines Morgens ganz erschöpft wieder von solch einem Ausflug zurück. Ich traf ihn im Wald.

Er fiel mir um den Hals und rief glückstrahlend: „Tom, Tom – eine Bonanza! Endlich – endlich!“

Aber er kam nicht mehr dazu, mir auch den Ort mitzuteilen, wo die Goldfundstelle lag. Plötzlich wurden wir beide nämlich durch Kolben niedergeschlagen. Als ich aus der tiefen Ohnmacht erwachte, war ich an einen Baum gefesselt. Etwas abseits lag Edward im Gras. Auf ihm kniete ein Weißer, der ihm das Messer auf die Kehle gesetzt hatte. Ich hörte Edward flüstern. Er verriet dem Schurken und dessen dabeistehenden Gefährten, eben jenen Stury dort, den Weg zur Bonanza —!

Ich konnte nicht alles deutlich vernehmen, was er flüsterte. Aber so viel verstand ich doch, daß man erst einen Felsen wegsprengen müßte, bevor man an das Gold heran könnte.

Kaum hatte Edward den Schurken alles Nötige berichtet, als der feige Mörder, Robbin hieß er, zustieß und meinen Bruder tötete. Dann feuerte jeder der Schurken mir eine Büchsenkugel in die Brust. Sie hielten mich wohl für tot, ließen mich an den Baum in meinen Fesseln hängen und begaben sich zu unserer Ansiedlung, wo sie kaltblütig auch unsere Frauen und Kinder ermordeten und die Häuser danach verbrannten. Dies erfuhr ich erst später, als zwei Siouxkrieger mich gesund gepflegt hatten. Als ich nach vier Monaten genesen war, machte ich mich sofort auf den Weg und verfolgte Robbins und Sturys Spuren, hielt überall Nachfrage, fand die beiden Elenden jedoch nicht. So wurde ich denn Indianerhändler. Ich hatte am Grab meines Weibes geschworen, ihren Tod an Robbin und Stury zu rächen, und eine innere Stimme sagte mir, daß ich die Schurken doch noch finden würde. Und – ich fand sie! Im Lager der Apachen sah ich sie in der verfloßenen Nacht, hörte, wie Robbin, um sich zu retten, den Oberhäuptling an den Ort der Bonanza zu führen versprach. Da krachten plötzlich zwei Schüsse, die Robbin und Stury niederstreckten. Alles Weitere wißt Ihr —“

Felsenherz erklärte rasch: „Ich habe diese beiden Schüsse nicht abgegeben, Tom. Wer kann es dann gewesen sein?“

„Vielleicht der Geist der Wahsatsch-Berge“, meinte Harpley achselzuckend. „Jenes Gespenst vielleicht, das sich stets in den Wahsatsch-Bergen zeigt, die den Pontrack-Bergen benachbart sind —“

Er wollte noch mehr hinzufügen, aber eine Anzahl Schüsse, die plötzlich unten im Tal krachten, ließ Felsenherz und Chokariga schnell hinter die Tannen eilen, während Harpley sich in die Höhle an die Steinbarrikade begab.

Die beiden berühmten Westmänner trauten ihren Augen nicht, als sie bemerkten, daß Ikawiru mit seinen Apachen die hier im Tal auf den Barterrassen zurückgebliebenen Navajos angegriffen und mit ihnen in einen mörderischen Kampf geraten waren. Die Navajos, obwohl in der Überzahl, waren durch die erste Salve der heranschleichenden Apachen sofort derart geschwächt worden, daß sie den weit kampfgeübteren Feinden nur noch geringen Widerstand leisteten. Bereits nach einer Viertelstunde waren Ikawirus Krieger Herren des Tales. Furchtbare Szenen hatten sich hier so in Kurzem abgespielt. Gegen dreißig Navajos lagen tot oder doch schwer verwundet, alle skalpiert, auf dem von Blutlachen bedeckten Talboden. Zwanzig waren gefangen genommen, der Rest entflohen. Die Sieger feierten jetzt ihren Triumph durch wildes Geschrei. Der Blutrausch hatte sie gepackt. Wie die Wahnsinnigen umtanzten die jüngeren Krieger, die Tomahawks schwingend, die Gefangenen.

„Ikawiru ahnt nicht, daß er hier nur die Hälfte der Navajos vor sich hat“, sagte der Komanchenhäuptling jetzt ernst zu seinem Bruder Felsenherz. „Er ahnt auch nicht, daß es hier oben eine Höhle gibt, in der wir verborgen sind, sonst hätte er bereits ein paar seiner Leute die Terrassen emporgeschickt. Ikawirus junge Krieger werden noch heute ihre Skalpe verlieren.“

Da kam schon der rote Tom herbeigeeilt und meldete, daß die Navajos in der Höhle drüben an der Barrikade angelangt seien und diese wegzuräumen versuchten.

Sofort begab sich der blonde Trapper an eine der in dem Steinwall freigelassenen Schießscharten riefen durch: „Tara Patnu, das Scharfe Messer, der Häuptling der Navajos, mag auf Felsenherz’ Worte achten. Die Apachen haben deine Krieger im Tal der Terrassen niedergemacht und zwanzig gefangen genommen. Tara Patnu weiß, daß Felsenherz nie lügt. Der Häuptling mag mit uns Frieden schließen und seine Krieger befreien.“

Gleich darauf war denn auch vereinbart worden, daß Tara Patnu nun allein durch die Barrikade kriechen und in das Tal hinabschauen dürfe.

Kaum hatte der Navajohäuptling die zahlreichen Toten dann gesehen und erkannt, daß die Apachen die Gefangenen offenbar sofort martern wollten, als er Felsenherz die Hand reichte und sagte: „Der weiße Jäger ist ehrlich und tapfer. Sein Ruhm reicht weit hinab bis an die Grenzen von Mexiko. Das Kriegsbeil sei zwischen uns begraben. Tara Patnu redet nie mit gespaltener, lügnerischer Zunge. Er wird fortan ein Freund der Bleichgesichter sein.“

So wurde denn das Kriegsbeil zwischen diesen beiden Parteien begraben. Nachdem die Barrikade weggeräumt worden war, standen Felsenherz, Chokariga, der rote Tom und der Navajohäuptling hinter den Tannen und beobachteten die Apachen, die jetzt die Beute — Gewehre, Pulverhörner und so weiter — unter sich verteilten.

Harpley hielt wie immer seinen mächtigen Buchenknüttel in der Hand. Es war ein Zufall, daß Tara Patnu nur mit dem Fuß dagegen stieß. Die lange Keule fiel zu Boden, zwei Schüsse krachten im selben Moment.

Toms Geheimnis war jetzt verraten: In dem Buchenknüttel war eine besondere Art von Doppelbüchse verborgen.

Felsenherz sagte denn auch sofort: „Harpley, Ihr wart es, der Robbin erschoß!“

„Ja“, sagte der Händler ernst. „Ich war es! Es war mein gutes Recht!“

Die Apachen unten hatten jetzt die herabstürmenden Navajos bemerkt, warfen sich auf ihre Mustangs und sprengten unter Zurücklassung der Gefangenen davon.

Stury, der andere Mörder, fand später ein grauenvolles Ende, nachdem er noch versucht hatte, das Gold der Bonanza — Doch — das alles soll im folgenden Band geschildert werden. Die Freunde Felsenherz‘, die seine Erlebnisse im wilden Westen so gerne lesen, werden in der nächsten Erzählung manche die hier handelnden Personen wiederfinden und mit dabei sein, wenn ein Geheimnis ganz besonderer Art enthüllt wird.

 

 

Nächster Band:

Der Reiter ohne Kopf.