Verlag moderner Lektüre, G. m. b. H., Berlin G. 14 - Dresdnerstraße 88-89.
Endlich hatten wir in dem Häusermeer der Großstadt eine neue Wohnung gefunden, deren Mietspreis unserem mageren Geldsäckel entsprach. Daß die zwei kleinen Zimmer und die noch winzigere Küche über einem hochherrschaftlichen Pferdestall lagen, und eigentlich für einen verheirateten Kutscher bestimmt waren, verletzte unser bescheidenes Selbstbewußtsein in keiner Weise. Bedeutete diese „Zwei-Zimmer-Etage“ für uns doch immerhin einen Fortschritt gegen die eine große Stube, die unser junges Eheglück zuerst beherbergt hatte. ‒ Eine Woche später zogen wir um, und als Alice, eine wahre Ausstattungskünstlerin im kleinen, dann in die beiden Räume nach ihrem Geschmack unsere auf Abzahlung genommenen, aber recht soliden und hübschen Möbel eingeräumt und die Wände mit Bildern, Photographien und den aus meiner Junggesellenzeit stammenden alten Waffen dekoriert hatte, sah es bei uns so behaglich und nett aus, daß ich meinem Frauchen dankbar einen langen Kuß auf die frischen Lippen drückte und feierlich erklärte, ich käme mir jetzt wie ein Krösus in seinem Palast vor.
Alix lächelte zu dieser Überschwenglichkeit nur ihr liebes, zärtliches Lächeln. Und dann meinte sie: „Wenn doch nur meine Eltern wüßten, wie glücklich wir sind. Dann würden sie es uns sicher verzeihen, daß ich ohne ihre Einwilligung die Deine geworden bin.“
Was sollte ich darauf erwidern? Ich kannte meine reichen Schwiegereltern viel zu gut, um meines Weibes Optimismus teilen zu können. Sie hätten ihrer Tochter vielleicht vergeben, wenn ich durch irgend ein aufsehenerregendes Werk meinem bisher völlig unbekannten Schriftstellernamen zu schneller Berühmtheit verholfen haben würde ‒ wenn! Aber damit hatte es gute Wege. An eine größere Arbeit wagte ich mich gar nicht mehr heran. Ich schrieb zumeist populärwissenschaftliche Artikel, die mir wenigstens sofort honoriert wurden, was für uns ja die Hauptsache blieb.
So vergingen einige Wochen. Unsere neue Wohnung hatte doch ihre großen Mängel, wie sich mit der Zeit herausstellte. So gab es bei uns eine Unmenge Fliegen, die durch keinerlei Mittel auszurotten waren. Eines Tages drängte sich mir dann förmlich der Stoff zu einem großen Roman auf. Es war wie eine Eingebung über mich gekommen, und sofort machte ich mich auch ans Werk. Vor- und nachmittags schrieb ich an meinen Artikeln wie bisher weiter, da ich diese Einnahmen nicht entbehren konnte. Der Abend und stets auch der größte Teil der Nacht, wurde dem Roman gewidmet. Wie sehr mich bei meiner Arbeit gerade in den stillen Nachtstunden, das Stampfen und Schnauben der unter mir in dem Stalle befindlichen Pferde störte, vermag ich kaum zu sagen. Oft war ich völlig in Verzweiflung. Schließlich brachte Alix mich auf den Gedanken, mir die Ohren durch Wachsküglein zu verschließen. Das half. Nach Verlauf von drei Monaten war der Roman beendet. Ich las ihn Alix vor. Sie war begeistert. Mir selbst gefiel mein Machwerk jedoch immer weniger, je mehr ich daran herumfeilte. Die anfängliche Begeisterung verflog sehr schnell, und in meinem Kleinmut wagte ich es nicht, die Arbeit einer Redaktion einzureichen. Dies erklärte ich auch ganz ehrlich Alix gegenüber. Sie, dieser Engel von einer Frau, verstand mich vollständig und redete mir zu, das Manuskript vorläufig ganz beiseite zu tun. Ich packte es also sauber in einen Bogen, verschnürte und versiegelte das Paket und legte es zu oberst in meine Schreibtischschublade. Mit Eifer warf ich mich dann wieder auf meine Artikel.
Nach einer Woche hatte ich in der inneren Stadt eine Besorgung. Als ich von meinem Ausgange heimkehrte, kam mir Alix mit verstörtem Gesicht entgegen. Stockend erzählte sie mir, daß sie während meiner Abwesenheit in der Nähe Einkäufe gemacht, beim Verlassen der Wohnung aber die Korridortür wohl nicht gut eingeklinkt haben müsse. Inzwischen sei ein Dieb in unseren Zimmern gewesen. Dabei wies sie auf die offene Türen der Schränke und die herausgezogenen Schubladen, deren Inhalt wild zerstreut auf dem Boden lag. Offenbar hatte der Dieb bei uns nach Geld oder Kostbarkeiten gesucht! Welch’ törichtes Bemühen!
Auch an meinem Schreibtisch hatte der Spitzbube sich zu schaffen gemacht. Ein Blick zeigte mir, daß sowohl das Romanmanuskript, als auch ein dicht dabeiliegender Revolver verschwunden waren. Im übrigen fehlten nur noch ein paar silberne Löffel und die silberne Uhr meiner Frau, die auf dem Nähtischchen in einer Schale gelegen hatte.
Der Verlust des Romans, in dem der dumme Dieb wohl ein Paket Wertpapiere vermutet haben mochte, schmerzte mich am meisten. Doch beruhigte ich mich darüber recht bald. War ich doch innerlich fest überzeugt, daß es sich um eine vollständig verfehlte Arbeit handelte. Wir hatten den Vorfall zwar sofort bei dem nächsten Polizeibureau angemeldet und es waren auch zwei Beamte bei uns erschienen, die sich den Tatort oberflächlich ansahen. Aber unsere Sachen erhielten wir doch nicht zurück.
Alix, die kleine Heuchlerin, schlich in den nächsten Tagen recht bedrückt umher. Als sie aber sah, daß mir der Verlust des Manuskriptes nicht allzu nahe ging, wurde sie bald wieder fröhlicher. Und doch fühlte ich, daß sie fortgesetzt von einer gewissen nervösen Unruhe geplagt wurde. Fragte ich sie besorgt, ob ihr irgend etwas fehle, so bekam sie regelmäßig einen roten Kopf. In ihrer Verwirrung sah sie noch reizender aus als sonst. Und regelmäßig bildete ein inniger Kuß den Schlußakkord dieser meiner ängstlichen Erkundigungen.
Nach weiteren vier Wochen erhielt ich eines Morgens einen Brief, der auf der Vorderseite den Stempel einer vielgelesenen Zeitung trug. Da diesem Blatt augenblicklich keine Artikel von mir zur Prüfung vorlagen, öffnete ich den Brief ohne besonderes Interesse. Alix, das möchte ich noch bemerken, war gerade ausgegangen, um Besorgungen zu machen. Das Schreiben lautete dahin, daß die Redaktion bereit sei, meinen Roman „Der Kundschafter“ zu erwerben. Zu einer Rücksprache über die Höhe des Honorars möchte ich mich baldigst auf dem Redaktionsbureau einfinden.
Ich fiel aus allen Wolken, begriff nichts, nichts! Der Roman war mir doch gestohlen worden, und nun diese Nachricht! Wie hing das alles zusammen?! Sollte etwa der Dieb in einer Anwandlung von Gewissensbissen das Manuskript der Zeitung eingeschickt haben?
Da hörte ich die Korridortür ins Schloß fallen. Alix war zurückgekehrt. Ich gebe ihr den Brief. Sie erblaßt, ihre Hände zittern. Dann fällt sie mir weinend um den Hals, verbirgt ihr Gesicht an meiner Brust ‒ und beichtet, beichtet geradezu Unglaubliches.
Den ganzen Diebstahl in unserer Wohnung hatte sie nur deswegen insceniert, um ohne mein Wissen den Roman an eine Redaktion einsenden zu können.
„Ich hielt die Arbeit für gut, so viel Du auch daran zu bemängeln hattest. Um Dir aber die Enttäuschung zu ersparen, wenn sie zurückkommen sollte, nahm ich meine Zuflucht zu diesem heimlichen Ränkespiel. Täglich habe ich den Postboten abgelauert, um alle Pakete und Briefe abzufangen, damit der vielleicht abgelehnte Roman Dir nicht in die Hände geraten sollte. Deshalb auch meine beständige Unruhe, meine Nervosität.“ ‒
Alix hat mir später noch oft erklärt, ich wäre nie mehr so vergnügt, so ausgelassen, so toll vor Freude gewesen, wie an jenem denkwürdigen Morgen. Ich glaube ihr das gern.
Gemeinsam gingen wir dann nach dem Redaktionsbureau des betreffenden Blattes, wo ich für die Abtretung all meiner Rechte an dem „Kundschafter“, 5000 Mark ausgezahlt erhielt. ‒ Für uns eine Riesensumme.
Nun hatte die Not ein Ende. Sofort setzte ich mich, angespornt durch diesen unerwarteten Erfolg, hin und schrieb einen zweiten Roman, der bereits nach zwei Monaten fix und fertig war und den mir ein Verlag glänzend honorierte. Inzwischen war auch der „Kundschafter“ in jener Zeitung erschienen und fand bei Kritik und Publikum gleich begeisterte Aufnahme. Und da, an einem Vormittag war es, betraten ganz unangemeldet meine Schwiegereltern unser bescheidenes Heim, das wir noch nicht aufgegeben hatten. Es gab eine tränenreiche Versöhnungszene. Alix’ Jubel war grenzenlos. Sie hatte stets sehr an ihren Eltern gehangen und daher das Zerwürfnis mit ihnen immer als leisen Schatten auf unserem Glück empfunden. Meines geliebten Weibes gutgemeinte List hatte uns den Segen ins Haus gebracht.
Walther Kabel.
Druck: P. Lehmann G. m. h. H., Berlin.