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Die Büffeljäger

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

16. Band:

Die Büffeljäger.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 26, Elisabeth-Ufer 44.

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1922.

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

1. Kapitel

Wapima, der Siouxknabe.

Im Herbst, wenn das Gras auf den nördlichen Prärien Dakotas und Nebraskas, der beiden nordwestlichen Savannenstaaten der Union, zu welken begann, setzte die große Büffelwanderung ein. Ungeheure Herden von Büffeln zogen dann regelmäßig nach dem wärmeren Süden, um der Kälte und den Schneestürmen ihrer Sommerheimat zu entgehen.

Diese Büffelwanderung war auch die Zeit der Fleischversorgung für die westlichen Indianerstämme, besonders die Sioux, Pawnees, Komanchen und Apachen, die vier bedeutendsten Reiternationen der Rothäute.

An einem heißen Frühherbsttag hatte eine solche Büffelherde, etwa dreihundert Tiere zählend, am Nordufer eines linken Nebenflüßchens des Kanadian nordwestlich der Wichita-Berge halt gemacht.

Die Leittiere, alte erfahrene Burschen, standen wie immer an der dem Wind zugekehrten Seite der teils weidenden, teils ruhenden Herde und bewachten die anderen Büffel, die sich im Gefühl völliger Sicherheit über das ganze langgestreckte grüne Tal zerstreut hatten, an dessen Rändern einzelne Gebüschgruppen und Bäume wuchsen.

Der Wind kam von Osten. Die Leittiere hielten sich also an der östlichen Talseite auf, schritten mit tief gesenkten Köpfen hin und her, rupften zuweilen ein paar Grasbüschel ab und hoben mitunter auch die dicken Schädel mit den türkischen, kleinen Augen, zogen witternd die Luft ein und stießen sie schnaubend wieder aus.

An der Westseite grasten die Büffelkühe, die im Frühjahr der Herde neuen Nachwuchs geschenkt hatten, mit ihren Kälbern. Auch sie waren nicht minder vorsichtig und argwöhnisch als die Leittiere. Wagte sich einmal ein frecher Präriefuchs allzu nahe an die Jungtiere heran, so mußte er stets sehr bald wieder Fersengeld geben, denn mit hocherhobenen Schwänzen stürmten sofort mehrere Büffelkühe auf ihn ein.

Soeben hatte wieder ein Präriefuchs schleunigst den Rückzug antreten müssen und setzte in hohen Sprüngen die flache Böschung aufwärts, um in den schützenden Sträuchern verschwinden zu können.

Doch – kaum vier Schritt vor dem nächsten Busch schwenkte er plötzlich nach links ab und beschleunigte noch sein Tempo, gerade als ob an jener Stelle in dem grünen Blättervorhang ein noch schlimmerer Feind gelauert hätte.

Den drei Büffelkühen, die diesen vorwitzigen Fuchs vertrieben hatten und nun wieder umkehrten, war ein kräftiges Büffelkalb gefolgt, das in jugendlichem Übermut nun ebenfalls die Böschung hinauflief und sich dabei den Sträuchern bis auf zehn Schritt näherte.

Bevor das Muttertier das Kalb noch zur Herde zurücktreiben konnte, erschien plötzlich vor den Büschen ein kleiner, dicker, ganz in Leder gekleideter Mann, der mit erstaunlicher Gewandtheit dem Jungtier auf dem Rücken sprang und ihm sein langes Jagdmesser dort in das Rückgrat stieß, wo der erste Halswirbel zu suchen ist.

Wie vom Blitz getroffen brach das Büffelkalb zusammen.

Aber ebenso schnell war auch schon der bärtige, pausbackige Trapper wieder in den Sträuchern untergetaucht, wo er bis zu einer einzelnen Buche hinlief, deren riesige Krone überall die nestartigen, hellgrünem Blätterballen einer Schmarotzerpflanze in ihren Zweigen zeigte.

Es war ein sehr alter Baum von fast zwei Meter Durchmesser. Ein Lasso hing von einem der unteren Äste bis in die Hopfenstauden herab, die am Fuß der Buche wucherten.

Der kleine Dicke hatte schon den Lasso ergriffen und kletterte daran empor.

Dann kam auch schon die ganze Herde, die Muttertiere voran, die Talböschung hinaufgerast.

Es war ein prächtiger Anblick, all diese kolossalen Büffel, die scheinbar so schwerfällig waren, jetzt mit solcher Schnelligkeit schnaubend und prustend im Galopp durch das Buschwerk brechen zu sehen.

Wie ein Wall von Tierleibern schob es sich durch die Sträucher – wie eine lebende Walze, die alles unter sich zerstampfte.

Dem kleinen Trapper wäre es schlecht ergangen, wenn er nicht noch rechtzeitig die Buche erreicht hätte.

So aber konnte er von oben in voller Sicherheit beobachten, wie die Herde nunmehr unter Führung der Leittiere immer weiter nach Westen sich entfernte und dann dort hinter einer Hügelreihe verschwand.

Nicht er allein beobachtete diese panikartige Flucht der Büffel. Nein – in der Krone der Buche konnte man noch zwei andere Männergestalten erkennen, die sich im Reitsitz auf starken Ästen niedergelassen hatten.

„Abraham, das habt ihr gut gemacht!“ sagte ein blonder, stattlicher Trapper jetzt zu dem Kleinen mit gedämpfter Stimme. „Jetzt haben wir genügend Fleisch und brauchen uns nicht durch den Knall eines Schusses die Sioux auf den Hals zu locken.“

Der kleine Dicke, im wilden Westen als ‚der dicke Abraham‛ überall bekannt, schwang sich neben den blondbärtigen Gefährten, schmunzelte vergnügt und meinte:

„Seht ihr, Felsenherz, so ungeschickt, wie ihr glaubtet, ist der Abraham denn doch nicht! Gewiß – ich schleppe da allzu viel Fett auf meinen werten Knochen mit mir herum! Trotzdem bin ich ein fixer Kerl, und –“

Da unterbrach ihn der dritte der hier in der Buche versteckten Männer durch ein warnendes Zeichen und fügte flüsternd hinzu:

„Chokariga fürchtet, daß das Büffelkalb für uns verloren ist. Wenn meine weißen Brüder den Ostrand des Tales ins Auge fassen, so werden sie dort neben dem Dornbusch, der vor den beiden jungen Eichen steht, den Kopfschmuck eines Sioux erblicken. Die Sioux scheinen unsere Fährte doch wiedergefunden zu haben, nachdem sie uns heute früh drei Stunden lang durch die Savanne hetzten. Chokariga wünschte, wir hätten unsere Pferde bei der Hand, die jetzt dort drüben am Fluß in dem Dickicht stehen.“

„Meines roten Bruders Augen sind schärfer als die des Falken,“ sagte der Trapper Felsenherz nach einer kurzen Pause. „Auch ich habe den Sioux jetzt bemerkt. Ich werde zum Fluß schleichen und unsere Pferde holen. Wenn wir der Büffelherde nachreiten, kann niemand unsere Spuren in dem zerstampften Gras herausfinden. Der Sioux dort drüben wird nur ein einzelner Späher sein. –

Ich werde ihn vorher stumm machen!“

Der Indianer, kein anderer als der berühmte Komanchenhäuptling Chokariga, der schwarze Panther, schüttelte schon den Kopf.

„Mein Bruder Harry soll nicht unnötig sein Leben aufs Spiel setzen,“ meinte er. „Es können auch eine ganze Anzahl Sioux dort drüben in den Büschen stecken, und wir drei mit unseren ermüdeten Tieren würden –“

Abraham fiel ihm hastig ins Wort.

„Da – der Siouxspäher kommt in das Tal herab. – Es ist nur ein ganz junger Bursche, fast noch ein Knabe. Und er scheint allein zu sein. Ihn lockte das Büffelkalb herbei. Ob er etwas vorhin meinen Genicksstoß mit angesehen hat?!“

Der Dicke wollte weitersprechen, aber Felsenherz hatte sich mit einem Mal an ihm vorübergedrängt und stieg nun rasch bis zu jenem Ast abwärts, an dem der Lasso festgebunden war, glitt an demselben hinab und schob sich schon durch das halb niedergestampfte Gestrüpp der Büsche.

Inzwischen hatte der schlanke Indianerknabe, der vielleicht fünfzehn Jahre alt sein mochte, das getötete Büffelkalb erreicht und beschaute sorgfältig die Wunde, an der das Tier verendet war.

Der Knabe trug einen hirschledernen Jagdanzug, der reich mit Perlen und kleinen Muscheln verziert war.

Seine Füße steckten in ebenso sauber gearbeiteten Mokassins, jenen hackenlosen, leichten Schuhen, die fast alle amerikanischen Rothäute benutzen. In dem breiten Ledergürtel waren ein Tomahawk und ein Jagdmesser untergebracht. Auf dem Rücken aber hing dem schlanken Burschen ein Köcher, der mit Pfeilen gefüllt war. Den dazu gehörigen Bogen und einen Pfeil trug er in der linken Hand.

Besonders jedoch fiel an dem Knaben das lange, nur in der Mitte des Kopfes hochgebundene Haar auf, das einen helleren Ton hatte, als man ihn bei den Indianern findet. Es schimmerte bräunlich, und in den Haarschopf waren acht Federn des großen Hähers eingeflochten, deren blauweiße Färbung sich scharf gegen das Kopfhaar abhob.–

Felsenherz hatte jetzt seinen Lasso wurfbereit in die Hand genommen, schob sich lautlos weiter vor.

Der Siouxknabe richtete sich jedoch hastig auf, ehe der Trapper noch nahe genug gekommen war, um den langen Lederriemen schleudern zu können.

Der junge Indianer hatte nämlich mit erfahrenem Blick festgestellt, daß der Stich in der Wirbelsäule des Büffelkalbes noch ganz frisch war, und daß der, von dessen Hand dieser Messerstich herrührte, sich kaum schon sehr weit entfernt haben konnte.

Mit der ihm von Kindheit anerzogenen mißtrauischen Vorsicht ließ er sofort seine Blicke in die Runde gleiten. So konnte ihm auch der blonde Trapper nicht entgehen, der in dem niedergetretenen Präriegras keine Deckung fand.

Der Siouxknabe hatte sich blitzschnell hinter dem Büffelkalb zu Boden geworfen und ebenso schnell seinen Bogen gespannt.

Felsenherz befand sich in einer recht kritischen Lage. Töten wollte er den jungen Burschen nicht. Er vernichtete ja niemals unnötig ein Menschenleben. Selbst wenn die Umstände es unbedingt erforderten, suchte er den Gegner erst einmal unschädlich zu machen.

Hier, wo er sogar noch ein halbes Kind als Gegner vor sich hatte, wo er außerdem von seiner Büchse der Nähe der anderen Feinde wegen keinen Gebrauch machen konnte, durfte er sich lediglich auf seine Gewandtheit verlassen.

Indem er sich nun etwas aufrichtete, behielt er den Knaben, der nur eben über den Rücken des toten Tieres hinüberlugte, scharf im Auge.

Er mußte eben genau den Moment abpassen, wo der Sioux die Sehne des Bogens aus den Fingerspitzen gleiten lassen würde und wo der mit einer Eisenspitze versehene, gefiederte Pfeil seinen Flug begann.

Seine Blicke ruhten jetzt lediglich auf des Knaben rechter Hand, die die Sehne spannte. Sobald er sah, daß die Finger dieser die Bogensehne haltenden Hand sich lockerten, würde er sich zur Seite und gleichzeitig vorwärts schnellen.

Da – jetzt hatte sich die Hand etwas bewegt.

Jetzt warf der Trapper sich nach rechts.

Ganz dicht an seiner linken Schulter sauste der Pfeil vorbei.

Er war schon wieder auf den Beinen, sprang schon mit langen Sätzen auf den Knaben zu.

Auch dieser stand jetzt aufrecht.

Seine Rechte schwang den Tomahawk; die Linke hielt das lange Jagdmesser umklammert.

Felsenherz machte plötzlich halt. Er konnte dem Wurfbeil besser entgehen, wenn er den kleinen Sioux ein ruhendes Ziel bot.

Der Knabe und sein berühmter Gegner standen sich so sekundenlang auf etwa sechs Meter Entfernung gegenüber.

Der Trapper wartete und musterte dabei mit einer gewissen Teilnahme das braunrote, hübsche Gesicht seines jungen Feindes. Der kleine Bursche tat ihm leid, denn nach den grausamen Sitten des Siouxstammes würde dieses halbe Kind getötet werden, wenn es auf einem Kriegszug in die Hände der Bleichgesichter geriet und wieder freigelassen wurde.

In der ganzen Haltung und dem Gesichtsausdruck des Knaben zeigten sich eine solche Ruhe und Entschlossenheit, daß des blonden Trappers Mitgefühl für den kleinen, tapferen Burschen sich noch steigerte. Wenn die Umstände es erlaubt hätten, würde er ihn gern geschont und ihm eine ehrenvolle Flucht ermöglicht haben. So aber, wie die Verhältnisse jetzt lagen und man damit rechnen mußte, daß die etwa hundertfünfzig Mann starke Siouxabteilung, von der die drei Westmänner schon vormittags verfolgt worden waren, sich in unmittelbarer Nähe befände, war es dem Trapper unmöglich, den Knaben entfliehen zu lassen. –

Noch immer stand der junge Sioux mit zum Wurf geschwungenem Tomahawk da. Felsenherz merkte, daß sein kleiner Gegner nicht abermals wie soeben bei dem Pfeilschuß überlistet werden und daß er mit dem blinkenden Kriegsbeil den Feind auf jeden Fall niederstrecken wollte.

Der Trapper nahm jetzt absichtlich eine ganz zwanglose Haltung an und lehnte sich mit dem linken Ellenbogen leicht auf seine lange Büchse, die unter dem Namen Jaguar-Büchse im ganzen wilden Westen bekannt war.

Dabei drehte er die Waffe so, daß die eine Seite des Kolbens dem Siouxknaben zugekehrt war.

Und – was er erwartet hatte, trat auch ein: die Augen des kleinen, schlanken Burschen waren wie prüfend über die Büchse hingeglitten und dann auf der Verzierung des Kolbens haften geblieben.

Beiderseits des Kolbens war nämlich in Goldplättchen das Bild eines springenden Jaguars als Schmuck angebracht worden. Und dieses Bild zog jetzt die Augen des Knaben wie magnetisch an.

Dann schaute er wieder auf, schaute dem Trapper mit schlecht verhehltem Staunen in das blondbärtige Gesicht und stieß ein halblautes „Uff!“ aus, jenes kurze Wort, das sich etwa mit unserem deutschen, Überraschung ausdrücken den ‚Ah!‛ vergleichen läßt.

Abermals verstrichen nun einige Sekunden. Der Siouxknabe schien unschlüssig geworden zu sein, ob er den Tomahawk wirklich schleudern solle. Die Anspannung der Muskeln seines hochgereckten Körpers hatte sichtlich nachgelassen.

Felsenherz wußte jetzt, daß der Sioux ihn erkannt hatte.

Denn – des Trappers ganze Erscheinung, die hohe Gestalt, der blonde Bart, das um den Hals geschlungene rote Seidentuch waren ja in den Prärien an jedem Lagerfeuer bei Weißen und Rothäuten immer wieder ein unerschöpflicher Gesprächsstoff.

„Der kleine Krieger der Sioux mag sich Felsenherz gefangen geben!“ sagte der berühmte Westmann jetzt in freundlich überredendem Ton. „Es ist für ihn keine Schande von Felsenherz überwältigt worden zu sein. Felsenherz würde ihn entfliehen lassen, wenn nicht hundertfünfzig Sioux seinen und seiner Gefährten Skalpe rauben wollten. Der kleine Krieger ist ein Späher und würde den Seinen melden, wo er Felsenherz getroffen hat.“

Der Knabe blieb eine Weile stumm. Sein erhobener rechter Arm senkte sich etwas nach vorn, gerade als ob er jetzt jede Angriffsabsicht vorläufig aufgegeben hätte.

Aber der Trapper, der mit indianischer List wohlvertraut war, sah gleichzeitig, wie das Gesicht des Knaben sich veränderte, wie die Backenknochen stärker hervortraten und die Lippen sich fester zusammengepreßten.

Felsenherz kannte diese Zeichen eines schnellen Entschlusses, denen die Tat sofort folgen sollte.

Dann trat auch schon ein, worauf er nun vorbereitet war.

Der Knabe schnellte sich mit dem: „Wapima fürchtet den blonden Jäger nicht!“ über das Büffelkalb hinüber und schleuderte im Sprung den Tomahawk, ließ sofort auch das mit aller Kraft geworfene Jagdmesser der linken Hand entgleiten.

Doch auch dieser doppelte Wurf sollte erfolglos bleiben.

Der Trapper hatte sich nach vorn zu Boden geworfen und sogleich wieder erhoben.

Tomahawk und Messer waren über ihn hinweggesaust.

Ein einziger Sprung – ein Hieb mit der rechten Faust – und der tapfere kleine Bursche sank halb betäubt zur Seite.

Felsenherz fing ihn auf und trug ihn schnell in die Büsche, von Chokariga und der dicke Abraham diesen ungleichen Kampf gespannt beobachtet hatten.

 

 

2. Kapitel

Jonny und Tommy.

„Wir werden ihn fesseln und knebeln müssen,“ sagte der blonde Trapper kurz. „Er ist nicht ungefährlich. Der doppelte Wurf mit Tomahawk und Messer war in seiner Art ein Meisterstück.“

„Das stimmt wie ‛ne Stimmgabel – denn die hat auch zwei Zinken!“ grinste der pausbackige Abraham. „Wenn ich an eurer Stelle dort gestanden hätte, Felsenherz, dürfte mein werter Kadaver jetzt nicht ganz heil sein! Nee – ich dachte wahrhaftig, der kleine rote Bengel wollte sich hübsch artig gefangen nehmen lassen, als er die rechte Pfote senkte!“

Der Komanchen hatte schon mit ein paar Riemen den Knaben gefesselt und schob ihm nun auch einen Zeugfetzen in den Mund.

„Mein Bruder Harry hat einen wichtigen Fang gemacht,“ meinte er jetzt. „Wapima, der schnelle Pfeil, ist der Sohn des Siouxhäuptlings Ozalea, des roten Luchses. Wir brauchen die Sioux jetzt nicht mehr zu fürchten. Wir werden Wapima als Geisel bei uns behalten, bis wir in Sicherheit sind.“

Felsenherz nickte nur und erklärte dann:

„Wartet hier. Ich hole die Pferde –“

Lautlos glitt er durch die Büsche den etwa zweihundert Meter entfernten Fluß zu, erreichte auch ohne Zwischenfall jenes Dickicht, in dem die drei Westmänner ihre Pferde versteckt hatten, bevor sie die Büffelherde beschlichen, um sich mit Fleisch zu versehen.

Er nahm die Tiere am Zügel und führte sie rasch die Uferböschung hinan. Als er diese vollends erstiegen hatte und von dem erhöhten Punkt aus einem Blick nach Südosten warf, bemerkte er in der Ferne eine lange Kette berittener Rothäute, die gerade eine Bodenwelle überquerten.

Es waren die Sioux, und sie kamen jetzt tatsächlich auf der Fährte der drei Westmänner entlang.

Felsenherz beeilte sich, die Gefährten wieder zu erreichen. Inzwischen hatte Abraham aus den Lenden des Büffelkalbes bereits einige große Stücke herausgelöst. Man konnte also ohne Zögern aufbrechen. Felsenherz legte den Gefangenen, der schon wieder bei Bewußtsein war, vor sich über den Sattel, da sein Brauner als das kräftigste und ausdauerndste der drei Pferde durch die Hetze am wenigsten gelitten hatte.

Dann ritt man im Trab der Büffelherde über die zerstampfte Prärie nach. Der Vorsprung vor den Sioux betrug vielleicht zweitausend Meter. Außerdem hatten die drei Westmänner aber noch den weit wichtigeren Vorteil für sich, daß die buschreichen, hohen Ränder des Flußtales sie den Blicken der Rothäute entzogen. –

Die Büffelherde war weiter nordwestlich in ein flaches Tal eingebogen und weidete hier zusammengedrängten, da die Leitstiere und die Büffelkühe noch immer einen neuen Überfall durch einen zweibeinigen Feind befürchteten.

Chokariga, der sich von Felsenherz und Abraham bald getrennt hatte und vorausgeritten war, hielt jetzt auf seinem prächtigen Rappen unter ein paar kleineren Buchen am Südrand des Tales, wo die Herde Büffel graste.

Das Tal zog sich, immer flacher werdend, weit nach Norden hin und war dort mit einzelnen Buschinseln bedeckt.

Des Komanchen Aufmerksamkeit galt jetzt einem Dutzend Büffel, die soeben hinter der südlichsten und größten dieser Buschinseln hervorgekommen waren.

In dem hohen Präriegras konnte man nur die Köpfe und die Rücken der Tiere erkennen. Sie schritten langsam auf die Herde zu, die zunächst etwas argwöhnisch geworden war, sich jedoch bald wieder beruhigte, da die Leitstiere die Nahenden als harmlose Artgenossen erkannt hatten.

Um des schwarzen Panthers Lippen spielte jetzt ein flüchtiges, geringschätziges Lächeln. Er drängte seinen Rappen tiefer unter die Bäume zurück und sagte leise zu Felsenherz und den dicken Abraham, die in soeben eingeholt hatten:

„Die Sioux sind diesmal in großer Zahl weit nach Süden in das Jagdgebiet der Komanchen eingedrungen. Meine weißen Brüder sehen dort drüben zwölf Büffel, die keine Büffel sind! Nur die Sioux verkriechen sich zu zweien unter Büffelfelle, schleichen sich an eine Herde heran und erlegen die Tiere durch Pfeilschüsse, bis die Herde scheu wird und flüchtet.“

Der dicke Abraham lugte zwischen den Zweigen der tief herabhängenden Baumäste hindurch und meinte dann:

„Chokariga hat recht. Es sind Büffeljäger. Mithin muß sich dort im Norden noch eine Siouxabteilung befinden, zu der jene vierundzwanzig Rothäute, die da unter den Büffelfellen stecken, gehören. Wir tun gut, nach Süden auszubiegen. Sonst kommen wir aus dem Regen in die Traufe, wie man zu sagen pflegt.“

„Besser: Wir kommen in die Zwickmühle!“ nickte Felsenherz. „Also dann schnell nach Süden wieder bis an den Fluß.“

Der Komanche galoppierte schon davon.

Als er, stets in Bodensenkungen sich haltend, dem Nebenfluß des Kanadian bis auf hundert Meter sich genähert hatte, zügelte er plötzlich seinen Rappen und spannte beide Hähne seiner Doppelbüchse, glitt aus dem Sattel, rief dem Rappen leise einen Befehl zu und schlich durch das hier am Wasser besonders üppige Gras auf allen Vieren weiter.

Sein Reittier hatte sich gehorsam niedergetan und lag nun regungslos am Boden.

Felsenherz und Abraham hatten kaum gesehen, daß der Häuptling unter so auffälligen Vorsichtsmaßregeln dem Fluß zukroch, als sie auch schon gleichfalls absprangen und ihre Pferde schnell in ein paar Erlenbüsche verbargen.

Der dicke Trapper mußte dann bei den Tieren zurückbleiben und den gefangenen Knaben bewachen, während Felsenherz nun ebenfalls dem Fluß ganz tief gebückt zueilte.

Inzwischen hatte er bereits bemerkt, was des schwarzen Panthers Argwohn erregt hatte.

Aus den dichten Randbüschen des Flusses stieg nämlich eine schwache, nur schwer erkennbare Rauchsäule auf, die von dem frischen Ostwind rasch verweht wurde.

Ohne Zweifel lagerten dort Leute, die jetzt um die fünfte Nachmittagsstunde ihre Mahlzeit zubereiteten. Denn ohne Zweck zündet niemand in der Prairie am Tage ein Feuer an, dessen Rauch und Geruch ihn nur verraten kann.

Felsenherz schob sich jetzt an derselben Stelle in die Sträucher hinein, an der soeben der Komanchen verschwunden war.

Bald hörte er auch Stimmen, drängte sich neben den Häuptling und konnte nun auf einer kleinen Lichtung eine Szene beobachten, die unter anderen Umständen selbst den ernstesten Mann zum Lachen gereizt hätte. Hier allerdings hütete der blonde Trapper sich, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, denn die Nähe der beiden Siouxabteilungen war schwerwiegend genug, keinerlei Heiterkeit aufkommen zu lassen.

Dort inmitten der Lichtung saßen zwei Männer an einem durch trockenes Reisig genährten Feuer – zwei Männer, die hier in den wilden Westen mit ihren neuen, graugrünen Jagdanzügen, den weißen Leinenkragen und den hellgelben Schnürschuhen sowie den blendend zarten, breitbandigen Strohhüten ebenso wenig hineinpaßten, wie etwa der dicke Abraham in seinem schäbigen Lederrock in einen Neuyorker Millionärssalon als Gast gehörte.

Die beiden dort am Fenster waren ungefähr gleich groß, hatten auch, was die Gesichter betraf, einige Ähnlichkeit miteinander, nur daß der eine einen blonden, der andere einen fast schwarzen langgezogenen Schnurrbart besaß. Alles in allem wirkten sie etwa infolge des Waffenarsenals, das sie im Ledergürtel mit sich herumschleppten, wie zwei Karikaturen von Maskenball-Banditen, Marke ‚Gentleman–Strauchdieb‛.

Entsprachen schon ihre Kostüme in keiner Weise den Anforderungen eines praktischen Prärieanzuges, so war ihre augenblickliche Beschäftigung erst recht nicht dazu angetan, sie als erfahrene Prärieläufer hinzustellen

Der Blonde hatte nämlich gerade sein Gesicht völlig eingeseift und schabte sich mit einem Rasiermesser die Bartstoppeln ab.

Mit der eine Gesichtshälfte war er bereits fertig und betrachtete sich nun kritisch in einem Handspiegel, den er neben sich auf einen Baumstumpf gestellt hatte.

Ein Mann, der sich in der Prairie rasierte – das war in der Tat ein Unikum!

Doch – nicht minder eigenartig für Wild-West-Verhältnisse war die Beschäftigung des anderen.

Dieser nämlich hatte eine kleine – Kaffeemühle zwischen den Knien und mahlte Kaffee!

Wahrscheinlich wollten die beiden das in einem blanken Kessel über dem Feuer kochende Wasser zum aufbrühen von Kaffee benutzen. –

Außer diesen Sonntagsjägern gab es aber auf der Lichtung noch mehr zu sehen: Erstens drei Pferde, von denen eines offenbar ein Packtier war; dann jedoch das Wichtigste, – einen Indianer, der etwas abseits an eine Birke aufrecht gefesselt war.

Dieser Indianer war der Kriegsbemalung des Gesichts nach ein Sioux. Ob alt, ob jung, ließ sich der dick aufgetragenen Farbstriche wegen nicht erkennen. Nur hatte die Rothaut prachtvolles, langes Haar, in das ganze Reihen bunter Federn eingeflochten waren.

Felsenherz stieß jetzt den Komanchen leise an und flüsterte ihm zu:

„Wir müssen die beiden und ihren Gefangenen mitnehmen! Hol Abraham herbei. Ich werde mich mit ihnen inzwischen schon verständigen.“

Der schwarze Panther kroch nach rückwärts davon. Der blonde Trapper aber erhob sich, bog die Zweige auseinander und trat rasch auf die Lichtung hinaus. Er hatte sich dabei nicht weiter bemüht, recht leise zu sein.

Die beiden Sonntagsjäger fuhren denn erschrocken herum und stierten Felsenherz wie einen Geist an.

„Es dürfte sich empfehlen,“ sagte der Trapper, indem er ihnen kurz zunickte, „diesem Ort schleunigst zu verlassen. Dort von Osten nahen einhundertfünfzig Sioux, und auch im Norden befindet sich eine Abteilung von ihnen. Wenn ihr nicht gerade eure Skalpe verlieren wollt, tragt eure Sachen schnell zusammen, bindet den Gefangenen auf einen Gaul und folgt mir.

Um nicht unnötig Zeit zu verlieren: Mein Name ist Felsenherz oder besser Harry Felsen. Doch meist nennt man mich Felsenherz. – Laßt jedes überflüssige Wort! Beeilt euch. Ich helfe euch gern!“

Die beiden waren gemächlich aufgestanden, und der Dunkelbärtige meinte pomadig:

„Freut uns, Master Felsenherz, euch hier zu begegnen. Ihr gestattet: mein Bruder Jonny Plarpps –“ – er deutete auf den halb eingeseiften Blonden –, „und ich selbst bin Tommy Plarpps, beide aus London – Großkaufleute von Beruf, zur Zeit zum Vergnügen nach San Franzisko unterwegs –“

Felsenherz machte eine ärgerliche Handbewegung und rief:

„Beeilt euch! Ihr seid hier nicht in London! Mit den Sioux ist nicht zu spaßen!“

„Ah bah!“ lachte Jonny Plarpps und wischte sich den Seifenschaum weg. „Wegen ein paar lumpigen Rothäuten beeilen die Gebrüder Plarpps, in Firma ‚Ephraim Plarpps Söhne‛, sich noch lange nicht!“

Er klopfte auf die Kolben der drei Revolver, die ihm im Lederfutteral am Gürtel hingen und fügte hinzu: „Master Felsenherz, diese Art Schießeisen sind jetzt die allerneueste Erfindung. Wir haben sie von Old-England mit herübergebracht. Revolver nennt man so eine Waffe. Jede schießt sechs Schuß hintereinander. Da wir, der Tommy und ich, im ganzen sechs davon besitzen, macht das sechs mal sechs gleich sechsunddreißig Kugeln! Und dabei fliegen diese gut hundert Meter und geben auf dreißig Meter einen sicheren Schuß! –

Ihr seht, wir sind nicht gerade schlecht ausgerüstet, zumal wir noch jeder eine vorzügliche Doppelbüchse haben. Also alles in Gemütlichkeit! Die Sioux können uns nicht imponieren.“

Felsenherz meinte jetzt befehlend: „Ihr seid Greenhorns, totale Greenhorns, Neulinge, denen auch sechsunddreißig Schuß das Leben nicht retten können. Wenn ihr nicht sofort etwas schleuniger den Aufbruch vorbereitet, mögt ihr euch allein mit den Sioux herumschlagen, die spätestens in zehn Minuten hier sein werden.“

Das half. Jonny und Tommy schienen zu ihrem Waffenarsenal doch nicht so unbegrenztes Vertrauen zu haben, wie sie soeben noch großmäulig angedeutet hatten.

Da Felsenherz mit zufaßte, war das Packpferde im Nu beladen, der Gefangene darauf festgebunden und die beiden anderen Tiere gesattelt.

Die Plarpps bestiegen nun ihre beiden Füchse, und Tommy nahm des Packpferdes Zügel in die Hand. Der blonde Trapper war bereits durch die Büsche zum Fluß hinabgestiegen und schwang sich hier auf seinen Braunen, mit dem der Komanchen soeben eingetroffen war.

Auch der dicke Abraham bekam die Plarpps nunmehr zu Gesicht und rief sofort mit einem vergnügten Grinsen:

„Alle Wetter – das sind ja zwei ganz feine Kollegen! Da muß sich unsereins beinahe schämen, daß er so total abgerissen wie eine elender Tramp aussieht!“

Doch auch die Plarpps hatten beim Anblick des Dicken ein Lächeln nicht unterdrücken können, was Abraham nun gewaltig ärgerte.

„Oho!“ knurrte er, „lacht ihr etwas über mich?! Das wollte ich keinem raten! Ich bin –“

„Ruhe!“ befahl Felsenherz da. „Vorwärts – folgt mir!“

Weder ihm noch dem ebenso aufmerksamen schwarzen Panther war es entgangen, mit welch freudigem Erstaunen der Siouxknabe den Gefangenen der Plarpps angeblickt hatte, während dieser wieder den kleinen Wapima durch hochziehen der Augenbrauen und ein paar Kopfbewegungen besondere Zeichen gegeben hatte.

Felsenherz’ Brauner war schon in den Fluß hineingestiegen, dessen fester sandiger Grund ein Entlangreiten im Wasser ermöglichte. So bewegte sich der Zug denn, ohne eine Fährte zu hinterlassen, dicht am Ufer, aber stets in Flußbett, nach Westen zu.

Da der Strom häufig scharfe Krümmungen machte, brauchte man nicht zu fürchten, von den Sioux bemerkt zu werden. –

Chokariga, der Komanchenhäuptling, war jetzt eine Strecke zurückgeblieben, um festzustellen, ob die eine Siouxabteilung sich mit der anderen, die auf der Büffeljagd war, vereinigte habe. Er hatte seinem Rappen die tellerförmigen, ledernen Hufschuhe noch im Wasser angeschnallt, war bis auf die nächste Anhöhe geritten und hatte von dort, durch Büsche gedeckt, Ausschau gehalten.

Doch – von den Sioux war weit und breit nichts zu bemerken.

Dies beunruhigte den Häuptling stark. Denn er als erfahrener Westmann hielt gerade dieses völlige Verschwinden der Verfolger für ein recht bedenkliches Zeichen.

Nachdem er etwa zehn Minuten auf der Anhöhe ausgeharrt hatte, ritt er wieder in den Fluß hinein, nahm dem Rappen die jede klare Fährte vermeidenden Hufschuhe ab und folgte dem Trupp, der mittlerweile einen kleinen, von Süden her in den Fluß einmündenden Bach erreicht und den Weg im Wasser dieses Flüßchens fortgesetzt hatte.

Als Chokariga der Mündungsstelle sich näherte, gewahrte er noch rechtzeitig zwei Sioux, die soeben aus den Uferbüsche hervortraten und den Wasserlauf entlangschauten.

Er konnte gerade noch mit seinem Rappen hinter einer kleinen Halbinsel verschwinden und wurde nun Zeuge, wie die beiden Späher wieder in die Büsche schlüpften, hier ihre Mustangs bestiegen und nach Norden zu davonjagten.

Der Häuptling wußte jetzt, daß die Sioux die durch den zerstampften Prärieboden schwer auffindbare Fährte der drei Flüchtlinge bisher nicht entdeckt und daher nach allen Seiten Kundschafter ausgeschickt wurden, von denen ein Zufall zwei hier an den Bach geführt hatte.

Er passierte daher schleunigst auf die andere Seite und ritt im Galopp am Ostufer des Baches hin, holte auch den Trupp sehr bald ein und rief Felsenherz zu:

„Die Sioux sind hinter uns! Zwei Späher haben meinen Bruder Harry und die anderen Blaßgesichter beobachtet!“

Dann winkte er kurz und sprengte weiter, um mehr nach Süden zu ein Gelände zu suchen, wo man die Möglichkeit hatte, die Spuren schnell auszulöschen, die eine solche Anzahl von Pferden notwendig hinterlassen mußten.

Felsenherz und die übrigen verzichteten jetzt gleichfalls darauf, in dem Bach den Weg fortzusetzen, da dies zwecklos gewesen wäre.

Ebenfalls im Galopp jagten sie auf der Fährte des Komanchen am Ufer entlang.

Nach einer halben Stunde etwa wurde die Umgegend hügeliger und steiniger. Ein dichter Wald tauchte auf, den man auf einem Wildpfad durchquerte. Hinter dem Wald zogen sich felsige Anhöhen hin, und hier traf man auch wieder mit dem schwarzen Panther zusammen, der den beiden Plarpps sogleich zurief:

„Die Blaßgesichter mögen ihre Wolldecken zerschneiden und die Hufe ihrer Pferde damit umwickeln.“

Jonny Plarpps jedoch erwiderte schlecht gelaunt und nach dem scharfen Ritt ganz außer Atem:

„Unsinn! Wo werden wir unsere schönen Wolldecken unnötig zerfetzten! Weit und breit ist nicht ein einziger Sioux zu erblicken! Ich für meine Person mache diese blödsinnige Hetzjagd nicht mehr mit! Nein – ich werde dort jenen einzeln stehenden Felskegel erklimmen und da oben das weitere abwarten!“

Auch Tommy erklärte gereizt: „Du hast ganz recht, Jonny! Wir beide reißen vor einer Hand voll Sioux noch lange nicht aus!“

Felsenherz geriet selten in Erregung. Aber diese kurzsichtige Selbstüberschätzung und Dummheit der Brüder Plarpps trieb ihm das Blut ins Gesicht.

„Greenhorns seid ihr! Ihr werdet bald bereuen, euch von uns getrennt zu haben! –

Zum letzten Mal also: Wollt ihr uns fernerhin begleiten oder auf eigene Faust hier euer Leben aufs Spiel setzen?“

Die Plarpps erwiderten bockbeinig, daß sie sich die Sioux schon vom Leibe halten würden und daß sie in der Person ihres Gefangenen außerdem ein weiteres Mittel besäßen, mit den Sioux im Guten fertig zu werden.

Inzwischen hatte der dicke Abraham seinem Pferd bereits die Hufe umwickelt und auch dem Braunen und dem Rappen die ‚Schuhe‛ angeschnallt.

Ohne Gruß ritten die drei jetzt mit dem Siouxknaben davon, während die Plarpps mit ihren Tieren am Zügel sich jenem Felskegel zuwandten, der ihnen als Lagerplatz und Zufluchtstätte durchaus geeignet schien.

 

 

3. Kapitel

Der Namenlose.

Felsenherz, der Komanche und Abraham bogen in ein steiniges Tal nach Westen ein und gelangten über ein kahles Plateau dann in ein anderes Tal, setzten so ihre Flucht durch die unwirtlichen Berge fort und erreichten bei Anbruch der Nacht das Ende des Höhenzuges, der hier wieder in die wellige Prärie überging.

In einer Schlucht hart am Rand der Prärie machten sie halt, sattelten ihre Tiere ab und trennten sich dann.

Abraham blieb in der Schlucht zurück. Er sollte den Gefangenen bewachen, ein Feuer anzünden und eines der Fleischstücke des Büffelkalbes zur Mahlzeit zubereiten.

Chokariga wieder wollte zu Fuß denselben Weg eine Strecke zurück verfolgen, um festzustellen, ob etwa die Sioux die Spuren der drei Pferde trotz der umwickelten Hufe entdeckt hätten.

Felsenherz aber beabsichtigte, die Umgebung der Schlucht abzusuchen, damit man nicht etwa von anderen Feinden überrascht würde. –

Der dicke Trapper hatte unter einer überhängenden Stelle der Schluchtwand das Feuer angefacht, saß nun dicht davor und gab auf das am Spieß leise brozzelnde Fleisch acht.

Der Siouxknabe lehnte sitzend zwei Schritt weiter mit dem Rücken an der Steinwand und starrte düster in die Flammen. Er hatte bisher nicht ein einziges Wort gesprochen, hatte sich aber auch in keiner Weise widerspenstig gezeigt. Sein Gesicht behielt stets den traurig nachdenklichen Ausdruck bei, der nur vorhin beim Anblick des anderen Gefangenen für einen Moment sich verändert hatte.

Der dicke Abraham, der die Siouxsprache ebenfalls gut beherrschte, fand dieses Schweigen mit der Zeit langweilig und wandte sich daher nun mit gutmütiger Freundlichkeit an den Knaben:

„Wapima mag mir erklären, weshalb er ganz allein in jenem Tal auftauchte, wo ich das Büffelkalb niedergestochene hatte. – Besaß Wapima einen Mustang? Wo hatte er ihn verborgen?“

Der Knabe blieb stumm, tat so, als ob diese Worte ihm gar nicht gegolten hätten.

Da wurde der Dicke ärgerlich.

„Wapima sollte nicht so verstockt sein!“ sagte er heftig. „Ich bin stets ein guter Freund der Sioux gewesen. Wapimas Vater, der rote Luchs, hat mit mir vor Jahren viele Biber droben in den weißen Bergen gejagt. Ozalea, der rote Luchs wird dies nicht vergessen haben. Wenn er jetzt hier im Süden mit bei den Sioux wäre, hätte er mich, Felsenherz und den Komanchen niemals verfolgen lassen!“

Auch diese Worte machten auf den Knaben keinen Eindruck. Nur seine Lippen preßten sich fester zusammen, und in seinen dunklen Augen erschien ein Glimmen und Funkeln wie von wildem Haß.

Dem Dicken entging das nicht.

„Scheinst ja schon ein ganz arger Blaßgesichthasser zu sein?“ sagte er halb spöttisch. „Dann wird wohl auch dein Vater jetzt mit dir eines Sinne sein und von Abraham nichts mehr wissen wollen! Na – meinetwegen! Mag er tun, was er will! Ich werde meinen Skalp schon zu verteidigen wissen!“

Des Knaben Augen hatten sich plötzlich mit den Lidern bedeckt.

Soeben war aus einem Gestrüpp am Eingang der Schlucht das Zirpen einer Grille erklungen – einer der großen Präriegrillen, deren nächtliches Konzert viel zu häufig ist, als daß es jemandem auffallen könnte.

Und doch lauschte Wapima mit geschlossenen Augen auf jeden der Töne, lauschte solange, bis er nicht länger im Zweifel war, daß sich dort im Gestrüpp ein Mensch befand, der jetzt sehr bald versuchen würde, ihn zu befreien.

Der dicke Abraham jedoch hatte auch seinerseits den Knaben scharf beobachtet. Da dieser nun den Kopf unwillkürlich ein wenig gedreht hatte und da seine ganze Körperhaltung gespannteste Aufmerksamkeit ausdrückte, wurde auch der kleinen Trapper argwöhnisch und hatte schnell gemerkt, daß Wapima fraglos dem Zirpen der Grillen dort drüben lauschte.

Abraham, der nun bereits zwanzig Jahre den wilden Westen durchstreifte und mit allen Schlichen der Rothäute seit langem vertraut war, tat jedoch, als wäre ihm nicht das geringste aufgefallen, fachte das Feuer stärker an und sagte dann zu dem Knaben:

„Wenn Wapima schlafen will, mag er sich lang ausstrecken. Da – nimm meinen Sattel für deinen Kopf.“

Die Grille war jetzt verstummt.

Abraham hatte nach seiner Büchse gegriffen und mit dem Lauf den Sattel neben Wapima geschoben.

Er legte jedoch die lange Büchse nicht wieder hin, sondern behielt sie im Schoß und fügte hinzu:

„Felsenherz bleibt lange aus! Ich werde einmal bis zum Ausgang der Schlucht gehen und dort den Schrei der Nachteule ertönen lassen.“

Er erhob sich, warf die Büchse in den gekrümmten Arm und schien wirklich die Schlucht verlassen zu wollen.

Plötzlich aber sprang er hinter ein paar verkrüppelte Kiefern, spannte beide Hähne seiner Waffe und rief jetzt dem Knaben zu:

„Wapima wird den dicken Abraham niemals täuschen können! Meine Kugeln werden die Grille finden, die dort in dem kleinen Gestrüpp sich gemeldet hat!“

Kaum hatte er den Satz beendet, als der Knabe förmlich hochschnellte.

„Das Blaßgesicht wird nicht abdrücken!“ bat er überlaut und mit offenbarer Angst. „Der Knall des Schusses würde die Sioux herbeilocken, die mit dreihundert Kriegern zur Büffeljagd in das Jagdgebiet der Komanchen kamen.“

Abraham hatte leise aufgelacht.

„Aha – Wapima fürchtet, eine meiner Kugeln könnte treffen! Wenn du mir nicht –“–

Da – aus jenem etwa dreißig Meter entfernten Gestrüpp die tiefe Stimme des blonden Trappers:

„Paß lieber auf, daß das Fleisch nicht verbrennt, Abraham! Die Grille habe ich bereits am Kragen!“

Dann tauchte Felsenherz aus dem Gestrüpp auf, zerrte einen Indianer hinter sich her, hob ihn auf und trug ihn nach dem Feuer.

„Alle Wetter!“ rief der Dicke jetzt, als er sich den neuen Gefangenen genauer ansah. „Das ist ja der Sioux, den die beiden Sonntagsjäger sich gekapert hatten! Er scheint ihnen ausgerissen zu sein!“

Felsenherz nickte und begann den Sioux zu fesseln, erklärte nun:

„Ich sah den Burschen, als er in die Schlucht schlüpfte, und folgte ihm, habe ihn dann mit der Faust niedergeschlagen, nachdem er bereits Grille gespielt hatte. – So, nun werden wir ihn dort neben Wapima legen.“

In demselben Moment erschien auch der Komanchenhäuptling. Wortlos nahm er am Feuer Platz und schaute prüfend den neuen Gefangenen an, der bereits aus der Betäubung zu erwachen begann.

Jetzt richtete der Sioux sich mit einem Ruck halb auf, blickte wild um sich, sah den Knaben so dicht in der Nähe und rief in freudigem Ton, wenn auch mit noch schwacher Stimme:

„Wapima – Wapima! Der große Geist hat Wapimas Weg behütet!“

Dieser seltsame Ausruf veranlaßte Abraham zu der brummigen Bemerkung:

„Der große Geist hat uns zwei Gefangene beschert! Daß er Wapimas Weg behütet hat, dürfte nicht ganz richtig sein!“

Abermals schienen die beiden Sioux sich jetzt durch besondere Blicke zu verständigen.

Felsenherz, der neben dem Komanchen sich niedergelassen hatte, fragte dann den neuen Gefangenen in gültigem Ton:

„Der Krieger der Sioux ist den beiden Blaßgesichtern entflohen? Oder haben die Blaßgesichter ihn freigelassen, weil er ihnen unbequem war?“

Der Sioux, der eigentümlich große Augen mit einem geradezu seelenvollen Blick hatte, schaute den blonden Trapper nur flüchtig und mit einer gewissen Scheu an, als er entgegnete:

„Der berühmte Jäger hat die beiden Blaßgesichter, die mich heute am Morgen ergriffen hatten, als ich mir eine ihrer Büchsen holen wollte, genügend gewarnt gehabt. Das, was er ihnen voraussagte, trat sehr bald ein: Dreihundert unserer Krieger erschienen und wollten den Felskegel umzingelt. Beim Anblick der vielen Siouxkrieger verließ die beiden Blaßgesichter der Mut. Ich merkte es und erbot mich, die drei Westmänner zu Hilfe herbeizuholen, wenn die Plarpps mir die Freiheit schenkten und ihr Packpferde überlassen würden. Sie vertrauten mir, und so ritt ich allein davon – erst nach Süden, da unsere Krieger von Norden kamen. Ich wurde nicht bemerkt und blieb nachher auf eurer Fährte. Bevor ich euch aber alles mitteilen konnte, schlug Felsenherz mich zu Boden.“

Der dicke Abraham klatschte sich jetzt knallend auf den Schenkel und rief:

„Verdammt – wer soll den Schwindel wohl glauben?! Selbst die schlimmsten Greenhorns würden doch keinen Sioux freilassen, wenn er ihnen verspricht, Hilfe gegen seine eigenen Stammesgenossen herbeizurufen?!“

Auch Felsenherz blickte den Roten sehr zweifelnd an und meinte:

„Der Krieger der Sioux ist nicht hierhergekommen, um uns zu melden, daß die Plarpps sich in Bedrängnis befinden. Er näherte sich nicht ganz offen unserem Feuer?! Felsenherz zweifelt an seinen Worten.“

Da möchte sich Chokariga ein:

„Der schwarze Panther hat den Siouxkrieger beobachtet, als er hier nach der Schlucht ritt und sein Pferd dann drüben in dem kleinen Tal verbarg, bevor er in jenes Gestrüpp schlich, wo mein Bruder Harry ihn dann die Faust gab. Die Augen des schwarzen Panthers sehen alles und lesen auch in den Seelen der Kinder des großen Geistes. Der Sioux hatte die Hufe des Packpferdes der Plarpps mit Stücken einer Decke umwunden. Er wollte also genau wie wir keine Spuren zurücklassen. Wenn der Sioux hier jetzt mit doppelter Zunge geredet hätte, würde er dem Pferd die Hufe nicht umwickelt gehabt haben. Die Sioux sollten ihn nicht finden und ihm nicht folgen können. Er lügt nicht!

Aber er hält in seiner Brust irgend ein großes Geheimnis verschlossen.“

„Hm,“ meinte Abraham kopfschüttelnd, „das ändert die Sache allerdings! Trotzdem wird meiner Mutter Sohn daraus nicht klug!“

Der Komanche wandte sich jetzt an Felsenherz und sagte:

„Mein Bruder Harry mag noch wissen, daß ich oben am Rand der Schlucht lag, als dieser Siouxkrieger dort im Gestrüpp das Zirpen der großen Präriegrille nachahmte. Chokariga kennt alle Listen und Gebräuche der westlichen Indianerstämme. Der Sioux hat ohne Zweifel durch die Töne der Grille den Knaben Wapima eine Mitteilung gemacht. Mithin wird Wapima, der Sohn des Häuptlings Ozalea, in das Geheimnis eingeweiht sein, das der Gefangene zu bewahren hat.“

Felsenherz nickte zustimmend und fragte dann den Gefangenen:

„Wer bist du? Jeder rote Mann hat einen Namen? Dein Jagdanzug ist reich verziert und sauber gearbeitet. Du bist kein gewöhnlicher Krieger?“

Der Gefangene hielt jedoch den Kopf weiter gesenkt und schwieg.

Der blonde Trapper warf jetzt plötzlich neues Reisig in die Flammen und schien mit besonderem Interesse beim Schein des heller lodernden Feuers die Mokassins der beiden Gefangenen zu mustern.

Auch Chokariga fiel dies auf. Mit einem Mal sagte er:

„Meines Bruders Gedanken wandeln den Weg zurück, den die Beiden von den Dörfern der Sioux bis hierher zurückgelegt haben. Er sieht, daß die Mokassins der Gefangenen unten an der Sohle völlig durchlöchert sind.

Kein Sioux geht weite Strecken zu Fuß. Aber diese beiden haben keine Pferde gehabt, als sie mit den Plarpps und mit uns zusammentrafen. Mithin sind sie nicht mit ihren Stammesgenossen hier nach dem Süden gekommen.“

Felsenherz erklärte darauf: „Chokariga hat meinen Gedanken Worte verliehen. Wenn die beiden Gefangenen uns versprechen, nicht zu fliehen, werden wir ihnen die Fesseln abnehmen, denn wir sind jetzt überzeugt, daß Wapima und der namenlose Krieger heimlich die Dörfer der Sioux aus irgend einem Grund verlassen haben und sich vor ihren Stammesgenossen verbergen wollen.“

Der Knabe und der Namenlose tauschten jetzt rasch leise ein paar Bemerkungen aus.

Dann sagte der gefangene Krieger leise, aber aufrichtigen Tones:

„Die Blaßgesichter verstehen es, die Seelen des roten Mannes zu öffnen und auch der Komanchenhäuptling hat Worte gesprochen, die seine Klugheit beweisen. Wapima und ich werden nicht fliehen. Wir schwören es euch bei Manitu, dem großen Geist. Aber ihr dürft uns nicht weiter ausforschen. – Unsere Zungen sind nicht gespalten. Wir werden so lange bei euch bleiben, bis ihr uns freilaßt.“

Felsenherz nahm ihnen nun sofort die Fesseln ab.

Dann wurde das Stück Büffelfleisch verteilt. Die beiden Sioux verließen ihren Platz an der Schluchtwand nicht, sondern verzehrten dort abseits des Feuers das Fleisch und das Hirsebrot, das ihnen gereicht wurde.

Während der Mahlzeit berieten Abraham, Felsenherz und der Komanche, wie man den Brüdern Plarpps am besten Hilfe bringen könne.

Dies war keineswegs einfach, denn ganz abgesehen von der bedeutenden Übermacht der Sioux, die jenem Felskegel jetzt belagerten, wurde es recht schwierig sein, sich mit den beiden Plarpps irgendwie zu verständigen, da die Sioux natürlich damit rechneten, daß Felsenherz und seine beiden Gefährten die Brüder nicht im Stich lassen würden, und daher mit doppelter Vorsicht jeden Annäherungsversuchen fraglos vereitelten.

Nach längerem Hin und Her schlug der blonde Trapper dann etwas vor, das von Chokariga und dem dicken Abraham ohne weiteres gebilligt wurde, da sie einsahen, daß der von Felsenherz ersonnene Rettungsplan noch den sichersten Erfolg verhieß.

Diesem Plan gemäß sollte der schwarze Panther sofort nach den nächsten am Kanadian liegenden Komanchendörfern aufbrechen, die er in zwei Tagen erreichen konnte. Er sollte von dort mit so viel Kriegern, wie er schnell zusammenbringen konnte, zurückkehren. Inzwischen würden dann Felsenherz und Abraham für sich und die Plarpps eine genügende Menge Fleisch und Trinkwasser in Schläuchen beschafft und mit ihren Pferden und dem Packpferde gewaltsam die Linien der Belagerer durchbrochen und sich mit den Brüdern auf dem Bergkegel vereinigt haben.

Hier sollten sie den Sioux so lange Widerstand leisten, bis Chokariga mit Kriegern seines Stammes zurückgekehrt war. –

Während die drei Westmänner jetzt noch Einzelheiten besprachen, wobei der blonde Trapper betonte, daß man Wapima und den Namenlosen unter diesen Umständen sofort freilassen müsse, sagte der Siouxknabe ganz unvermittelt:

„Felsenherz mag uns mit auf den Bergkegel nehmen. Wapima und der Krieger der Sioux bitten den berühmten Jäger, sie nicht freizugeben.“

„Na, dann fürchtet ihr beide eure Stammesgenossen eben!“ meinte Abraham kopfschüttelnd. „Weiß der Teufel, was das alles zu bedeuten hat! Es wäre vernünftiger von euch, uns eure Geheimnisse mitzuteilen.“

Der Knabe blickte den Dicken seltsam flehend an und erklärte:

„Unsere Zungen sind wie gelähmt, wenn sie über das reden sollen, was die Vergangenheit betrifft. Vielleicht wird später einmal alles offenbar. –

Wapima und der Siouxkrieger vertrauen auf das edle Herz des berühmten Jägers.“

„Gut – ihr beide sollt uns dann also nach dem Bergkegel begleiten,“ entschied der blonde Trapper nun. „Ich weiß, daß wir von euch keine Hinterlist zu fürchten haben und das euer Geheimnis uns nicht schaden kann!“

 

 

4. Kapitel

Ozalea, der rote Luchs.

Gleich darauf ritt der Komanchenhäuptling nach kurzem Abschied davon.

Nun galt es, noch in der Nacht womöglich ein Büffelkalb zu erlegen, damit man genügend Fleisch zum Mitnehmen hätte.

Wapima und der Siouxkrieger erboten sich, bei der Jagd zu helfen, wenn Felsenherz dem Knaben dessen Waffen wieder aushändigen und auch dem Namenlosen, der nur im Besitz eines Jagdmessers war, einen Lasso und einen Tomahawk leihen wollte.

Der blonde Jäger zauderte nicht einen Moment, hierauf einzugehen. So erhielten die beiden Sioux denn das Gewünschte und verließen die Schlucht nach Nordwesten zu gerade um dieselbe Zeit, als der Mond am nächtlichen Firmament erschien.

Auch Felsenherz und Abraham brachen dann sehr bald zu demselben Zweck nach Südwesten auf. Sie hatten mit ihren beiden roten Verbündeten vereinbart, daß man sich kurz nach Mitternacht in der Schlucht wieder treffen wolle.

Felsenherz und der Dicke ritten im Trab in die mondhelle Prärie hinaus. Sie ahnten nicht, daß alles anders kommen würde, als sie geplant hatten. – –

Schauen wir jetzt zunächst einmal, wie es den Brüdern Plarpps mittlerweile ergangen ist.

Jener Bergkegel, den sie als Zufluchtsstätte erwählt hatten, lag einsam auf einer kahlen Hochebene und war etwa dreißig Meter hoch. Seine Spitze, abgeplattet und mit Steintrümmern bedeckt, konnte man nur mit Hilfe einer Felsspalte erreichen, die an der Südseite sich wie ein steiler Engpaß durch das Gestein zog.

Glücklich hatten sie ihre drei Pferde und den Gefangenen auf die Plattform des Felskolosses gebracht, hatten dann aber auch schon von Norden her die Sioux in endlosem Zug nahen sehen und rasch erkannt, wie leichtfertig sie gehandelt hatten, als sie sich von Felsenherz und seinen Begleitern trennten. Da war ihnen denn der Vorschlag ihres Gefangenen, Hilfe herbeizuholen, sehr gelegen gekommen, denn sie selbst trauten sich von der Spitze des Kegels nicht mehr herab.

Kaum war der Namenlose verschwunden, kaum hatten Jonny und Tommy am Rande der Plattform einen Wall aus Steinblöcken aufgeschichtet, der auch ihre beiden Pferde schützte, als die Sioux wie ein Wettersturm von allen Seiten auf den Berg eindrangen, indem sie sich dabei sehr geschickt hinter ihren galoppierenden Mustangs verbargen.

Die beiden Plarpps erbleichten unwillkürlich beim Anblick dieser wilden Attacke, die von einem durchdringenden Geheul begleitet wurde.

Im ersten Schreck über diesen ungewohnten Anblick der scheinbar reiterlos daherjagenden Mustangs verloren sie so völlig die Fassung, daß sie gar nicht daran dachten, von ihren Revolvern Gebrauch zu machen.

So kam es, daß etwa fünfzig Sioux jetzt bereits zu Fuß in den Engpaß eingedrungen waren und die ersten schon die Plattform erklommen hatten, bevor Tommy Plarpps in letzter Sekunde das Entsetzen überwand und seine Revolver aus den Futteralen riß.

Einen in jeder Hand feuerte er nun blindlings in den Siouxhaufen hinein.

Bei den ersten Schüssen schüttelte auch Jonny dann die lähmende Erstarrung von sich ab und knallte gleichfalls, ohne viel zu zielen, darauf los. –

Für die Sioux waren Revolver völlig unbekannte Waffen.

Kein Wunder, daß die Angreifer stutzten, als die Kugelsaat aus den ‚kurzen Büchsen‛ scheinbar gar kein Ende nehmen wollte.

Außerdem hatten Tommy und Jonny trotz ihrer Erregung und trotz ihres überhasteten Feuerns doch manchen Treffer zu verzeichnen.

So waren denn die vier vordersten Sioux sehr bald verwundet umgesunken. Und als nun die beiden Plarpps zu ihren Doppelbüchsen griffen und jetzt ruhiger zielten, als abermals drei der Rothäute mit Kopfschüssen hintenüber stürzten, da wichen die Angreifer zurück, warfen sich auf ihre Mustangs und sprengten von dannen.

Sechs Tote und vier Verwundete ließen sie teils auf der Plattform, teils im Engpaß zurück.

Die Plarpps kamen erst jetzt, wo die erste Gefahr abgewendet war, völlig zur Besinnung.

Ihr Leben war bis dahin vollkommen friedlich und ohne aufregende Erlebnisse dahingeflossen. Jetzt nun hatten sie zum ersten Mal ihre Schußwaffen auf Menschen gerichtet, hatten Menschen getötet.

„Mein Gott!“ rief Jonny fast weinerlich, „was haben wir da angerichtet! Tommy – sechs Tote! Wer hätte uns das je vorausgesagt, daß wir Massenmörder werden würden. Hätten wir nur nie aus Abenteurerlust London und Old England verlassen! Hätten wir nie –“

Tommy unterbrach ihn.

„Die bessere Einsicht kommt zu spät! Vorwärts – laden wir unsere Revolver und unsere Büchsen. Die Sioux können jeden Augenblick von neuem angreifen!“

Dann wollten sie sich der Verwundeten annehmen und die Leichen nach unten tragen.

Inzwischen waren die vier verwundeten Sioux jedoch bereits durch den Engpaß abwärts gekrochen. Nur die Toten lagen noch mit verzerrten Gesichtern und gebrochenen, starren Augen umher.

Jonny und Tommy überzeugten sich erst, ob die anderen Rothäute sich auch wirklich sämtlich vom Fuß des Felskegels entfernt hätten.

Nicht einer war mehr zurückgeblieben. In weitem Kreis hielten die Sioux hoch zu Roß um den unzugänglichen Berg in etwa zweihundert Meter Entfernung.

Die Plarpps durften es daher wagen, die Leichen wegzuschaffen. Sie legten sie unten links vom Eingang des Engpasses auf das kahle Gestein. Die vier Verwundeten schleppten sich bereits mühsam dem Kreis der Belagerer zu.

Als Jonny und Tommy dann die Plattform wieder erstiegen hatten und abermals nach den Sioux Ausschau hielten, gewahrten sie sehr bald einen einzelnen Krieger, der von Süden her mit einem grünen Zweig in der erhobenen Rechten sich dem Bergkegel näherte.

„Du, Tommy,“ meinte der ältere Plarpps nun, „das ist ein Häuptling! Sieh mal, er trägt Adlerfedern im Haar! Er naht als Unterhändler. Ob wir ihn wirklich heranlassen sollen?“

„Weshalb nicht?! Er hat keine Waffen bei sich. Ich werde mit ihm reden, und du paßt auf, daß die Bande nicht etwa überraschend angreift!“

So wurde denn der Sioux, ein großer, breitschultriger Mann mit einem schlauen, brutalen Gesicht, von Tommy empfangen, der wieder in jeder Hand einen Revolver hielt.

„Ozalea, der rote Luchs, ist der Häuptling der großen Siouxnation,“ begann der Indianer, als er dem jüngeren Plarpps gegenüberstand. „Ozaleas Krieger sind zahlreicher als die Bienen, die in den Prärien den Honig sammeln. Wenn Ozalea befiehlt, werden sich morgen so viele Krieger versammeln, daß die steinige Ebene dort unten von ihnen dicht bedeckt wird.“

Tommy merkte, daß der Rote ihn nur einschüchtern wollte.

„Der Häuptling mag mir befehlen,“ sagte er spöttisch. „Die Siouxnation müßte gerade zwanzigtausend Krieger besitzen, wenn sie die Hochebene auch nur recht dünn füllen wollte! Unsere Kugeln würden jedenfalls dichter hageln, als die Sioux nahen könnten. Unsere kleinen Büchsen hier sind wie die Gewitterwolke, die stets neue Blitze aussenden kann. Ozalea wird uns keine Angst mehr einjagen! Wenn wir vorhin etwas kopflos waren, so ist das zu entschuldigen!

Zum zweiten Mal passiert es uns nicht. Wir sind Engländer, und wir fürchten keinen Feind!“

Jonny Plarpps riß vor Staunen über seines Bruders schwungvolle Rede den Mund sperrangelweit auf, nickte trotzdem eifrig und platzte heraus:

„Ozalea nimmt das Maul recht voll! Tommy aber kann’s noch besser!“

Des Siouxhäuptlings listige Augen glitten hierhin und dorthin. Er schien etwas zu suchen. Als er nur die Pferde entdeckte, fragte er zögernd:

„Die Blaßgesichter haben einen Gefangenen bei sich. Wo ist er?“

„Weggeflogen!“ erwiderte Tommy ganz ernst. „Wir können alles. Wenn wir es wünschen, fliegt ein Mensch wie eine Wildtaube pfeilschnell durch die Luft.“

Ozaleas Stirn runzelte sich.

„Die Blaßgesichter werden den Gefangenen sofort herausgeben!“ rief er befehlend. „Sie halten ihn versteckt. Wenn sie nicht gehorchen, werden abends ihre Skalpe an meinem Gürtel hängen!“

Auch Jonny, der mehr am Rand der Plattform stand, hatte jetzt den letzten Rest von Angst verloren und brüllte Ozalea zu:

„Der Häuptling redet wie ein unreifer Knabe! Wenn er nichts Besseres zu sagen weiß, soll er zu seinen Kriegern zurückkehren!“

Der Sioux merkte, daß der Gefangene sich tatsächlich nicht mehr hier befand, und entgegnete rasch:

„Ozalea wird mit euch die Friedenspfeife rauchen, wenn ihr ihm eine der kleinen Büchsen schenkt, die so viele Kugeln hintereinander versenden. Ozalea meint es ehrlich. Er und seine Krieger werden das Felsplateau verlassen, sobald –“

„Halt!“ brüllte Jonny da. „Dort unten nähern sich zwölf deiner Krieger dem Engpass! Ich schieße, wenn sie nicht –“ – er unterbrach sich. „Ah – sie haben aus Zweigen gefertigte Tragbahren mit! Sie wollen die Leichen holen – sechs Tragbahren! Und sie sind ohne Waffen. Dann dürfen sie heran!“

Über das heimtückische Gesicht des roten Luchses glitt ein flüchtiges Lächeln des Triumphes.

„Die Toten sollen sofort nach der Sitte meine Stammes bestattet werden,“ erklärte er. „Sehen die Blaßgesichter da drüben die vier schmalen Bergspitzen? Dort ruhen bereits in Steingräbern mit ihren Waffen und Mustangs viele tapfere Siouxkrieger; dort befinden sich im Gestein große Höhlen, in denen die Geister der im Kampf Gefallenen sich zuweilen laut vernehmen lassen; dann kehren sie für kurze Zeit aus den ewigen Jagdgefilden zurück und halten Kampfspiele ab. Man hört, wie ihre Büchsen abgefeuert werden, wie die Tomahawks durch die Luft sausen und die Jagdmesser an den Donnersteinen geschärft werden –“

Jonny und Tommy waren ganz Ohr und blickten mit steigendem Interesse nach den fernen Bergspitzen hinüber, da der schlauer Ozalea noch weiter schilderte, was die Geister trieben.

Daß all dies nichts als Lüge war, daß sich hier im Jagdgebiet der Komanchen niemals eine Begräbnisstätte der Sioux befinden könnte, daran dachten die Plarpps nicht.

Jedenfalls: Ozalea hatte seinen Zweck erreicht, und die unter den Decken der Bahren versteckt gewesenen sechs Krieger hatten sich schnell in dem Engpaß verbergen können.

Des roten Luchses List war geglückt.

Während nun die zwölf Sioux, die zu je zwei eine der Bahren trugen, mit den Toten wieder davonschritten, sagte Ozalea zu den Plarpps:

„Die Blaßgesichter mögen sich mit dem Gesicht nach der aufgehenden Sonne niederlassen und mit mir das Calumet, die Pfeife des Friedens rauchen. So ist es Brauch bem Volk der Sioux.“

Er selbst setzte sich den beiden gegenüber mit dem Gesicht nach dem Engpaß hin, nahm die langstielige Pfeife aus dem Gürtel, rannte den Tabak an und – beobachtete unauffällig den Engpaß.

Da – die sechs Sioux kamen bereits lautlos um die Biegung der Felsspalte gekrochen.

Ebenso lautlos schoben sie sich hinter die beiden Plarpps.

Dann packten je drei zu, ließen die völlig Überrumpelten zu Boden gleiten und hatten sie mit Hilfe Ozaleas im Augenblick gefesselt.

Das gellende Jubelgeschrei der hier auf dem Felskegel befindlichen Sioux lockte nun auch die übrigen Stammesgenossen herbei.

Bald wimmelte die Plattform von Rothäuten, bald gingen die Revolver der Plarpps von Hand zu Hand und wurden wie Wunderdinge angestaunt.

Nachdem die Gefangenen dann auf die Hochebene und südwärts davon in ein bewaldetes Tal geschah worden waren, wo sie an Bäume gebunden wurden, begann Ozalea sie auszufragen. Er beherrschte das Englische recht gut, und bald hatte er denn auch über jenen etwas geheimnisvollen Sioux, den die Plarpps ergriffen hatten, als er ihnen eine Büchse entführen wollte, alles erfahren, was er wollte.

Bisher schien der rote Luchs von der Anwesenheit seines Sohnes Wapima in dieser Gegend und von dessen Gefangennahme durch Felsenherz nichts zu wissen. Als Jonny nun, um den Häuptling milder zu stimmen, den kleinen Wapima erwähnte, leuchtete das wilde Gesicht Ozaleas vor Freude auf. Aber – es war nicht jene Freude, die aus einem liebevollen Vaterherzen kommt! Nein – in den Augen des Häuptlings glühte es wie von schrankenloser Rachgier.

„Wißt ihr, wohin Felsenherz mit seinen Begleitern unterwegs war, als ihr sie traft?“ fragte er nun die Plarpps.

„Sie wollen nach den Komanchendörfern,“ erwiderte Jonny eifrig. „Sie waren am Morgen von einer Siouxabteilung gehetzt worden. Ihre Pferde waren ermattet. Sie hatten vor, uns mit nach den Dörfern am Kanadian nehmen.“

Ozalea versetzte Jonny einen Fußtritt.

„Hund von einem Blaßgesicht!“ rief er, „du denkst vielleicht, daß wir euch schonen werden, weil ihr mir verraten habt, was für mich wichtig ist! Ihr werdet sterben aber nicht hier! In den fernen Dörfern der Sioux wird bald das Feuer um vier Marterpfähle hochlodern, und euer Klagegeschrei wird sich mit dem zweier aus dem Siouxstamm Ausgestoßener vereinen! – Ozalea kennt die Prärien, kennt alle Schliche der Wildnis! Auch den berühmten Jäger und das feige Stinktier, den schwarzen Panther, sowie den kleinen dicken Trapper wird er jetzt zu fangen suchten! Wenn euer Gefangener die drei zu Hilfe rufen sollte, so werden sie nicht nach den Dörfern der Komanchen sich wenden, sondern hierher zurückkehren.

So wird Ozalea sie dort im Westen suchen; dort liegen die Komanchendörfer. Meine Späher werden sogleich die Berge und Täler durchschwärmen, und bevor noch der neue Tag anbricht, wird Ozalea mit seinen Gefangenen nordwärts reiten!

 

 

5. Kapitel

Okaloma, die Prärieblume.

So kam es, daß zwei Siouxspäher bereits zu derselben Zeit zufällig auch in die Nähe jener Schlucht gelangten, wo Felsenherz und die anderen lagerten, als Chokariga gerade davonritt.

Sie bemerkten den Komanchenhäuptling, bemerkten dann auch den schwachen Feuerschein, schlichen bis zum Westrand der Schlucht, wo sie in ein Dornengestrüpp krochen und beobachteten, wie der Namenlose und Wapima zur nächtlichen Jagd aufbrachen und wie dann auch Felsenherz und Abraham zu Pferd die Schlucht verließen, in der sie das Packpferde weiter im Hintergrund in den Büschen festgebunden hatten.

Die beiden Späher, die auch den größten Teil des Gesprächs der soeben in der Prairie Verschwundenen belauscht hatten, erreichten eine Stunde später jenes Tal, wo der rote Luchs jetzt lagerte. Dieses befand sich mehrere Meilen weiter westlich von dem Bergkegel. Hierhin hatte Ozalea die sämtlichen Späher beordert, falls sie etwas von den Flüchtlingen entdecken sollten.

Der Siouxhäuptling hoffte jetzt bestimmt, die vier dort in der Schlucht, wo sie wieder zusammentreffen wollten, einkreisen und gefangennehmen zu können.

Sofort brach er mit hundertzwanzig Kriegern auf und verbarg diese nachher zum Teil in der Schlucht, zum Teil auch in den Büschen am Rande der steilen Wände, so daß, falls nicht gerade ein mißgünstiger Zufall alles verdarb, der Erfolg gesichert zu sein schien.

Nicht deutete jetzt in der Nähe der Schlucht darauf hin, daß hier hundertzwanzig Sioux nur auf das vereinbarte Zeichen warteten, um die vier Jäger zu überwältigen. Die Mustangs der Rothäute waren in einer anderen Schlucht eine halbe Meile weiter östlich untergebracht, wo sechs Krieger die Tiere bewachten. –

Felsenherz und Abraham waren nach nicht allzu langem Suchen einer Büffelherde ansichtig geworden, die sich in einer flachen Mulde niedergetan hatte. Nur die Leitstiere umkreisten fortgesetzt die ruhende Herde. Es wäre ein Leichtes gewesen, bei dem hellen Mondlicht ein Büffelkalb durch eine Kugel zu erlegen. Felsenherz wollte jedoch den Knall des Schusses vermeiden, der vielleicht Siouxkundschafter herbeigelockt hätte, die ja fraglos, wie der Trapper annahm, ausgeschickt worden waren, um die Flüchtlinge irgendwo aufzustöbern.

Daher erbot sich der dicke Abraham, auch hier wieder auf seine besondere Art ein Büffelkalb niederzustechen.

Freilich – die Schwierigkeiten waren jetzt weit größer als morgens dort im Norden, wo die Herde geweidet und sich recht weit zerstreut hatte. Trotzdem ging der dicke Trapper sehr zuversichtlich an das Wagnis heran.

Felsenherz mußte ihm sein Pferd halten, und dann kroch er hinter den Büschen hervor, die ihnen Deckung gewährt hatten.

Gegen den Wind näherte er sich sehr langsam der Herde. Die Leitstiere bewegten sich in etwa dreißig Meter Abstand von der äußeren Reihe der ruhenden Büffel träge im Kreis um die Herde herum.

Abraham kam an den vierbeinigen, mißtrauischen Wächtern glücklich vorüber. Ein unlängst niedergegangener Regenguß hatte hier tiefe Furchen mit seinen abströmenden Wassermassen gerissen, und in einer dieser Furchen schob der Dicke sich jetzt vorwärts.

Das teilweise niedergetretene Präriegras hätte am Tage nicht genügt, den Heranschleichenden zu verbergen jetzt nachts bei dem unsicheren Licht, das der Mond spendete, durfte Abraham hoffen, unbemerkt bis an die Herdeheranzukommen.

Es gelang auch. Der kleine Trapper nahm nun das Jagdmesser in den Mund, schnellte empor, war mit drei, vier Sätzen zwischen den Tieren, fand schnell einen vielleicht einjährigen Büffel, saß schon auf dessen Rücken und hielt sich an der dichten Mähne fest, die im Genick hinter den kleinen Hörnern wuchs.

Die ganze Herde war sofort munter geworden. Die Leitstiere kamen herbeigaloppiert.

Doch – schon raste der Büffel mit seinem Reiter davon – raste blindlings vorwärts, stieß andere Tiere bei Seite, brüllte dumpf vor ohnmächtiger Wut und hatte im Nu die Prärie erreicht, bevor die anderen Büffel sich nun in Trab setzen und nach Süden zu dicht gedrängt entflohen.

Abraham war recht stolz, daß er sich abermals in Felsenherz’ Gegenwart so gut als Büffeljäger bewährt hatte. Als er sich nun nach ihm umblickte und sah, daß der berühmte Trapper ihm im Galopp folgte, wollte er dem Jungtier jetzt den schmerzlosem Todesstoß versetzen, ließ die Nackenmähne mit der rechten Hand los und griff nach dem Messer, das er noch zwischen den Zähnen hielt.

Im selben Moment aber tat der Büffel, dieses tückische Vieh, um den Reiter abzuwerfen, einen so plötzlich Satz zur Seite, daß der Dicke nach hinten flog und sehr weich in einer lehmigen Regenpfütze landete.

Der Fluch, den Abraham jetzt dem davonjagenden Büffel nachsandte, hätte wenig geholfen, wenn nicht Felsenherz bereits so nahe gewesen wäre, daß er schon nach kurzer Zeit den Flüchtling eingeholt hätte.

Abrahams Pferd hatte er laufen lassen. Er wußte ja, daß es auf einen Zuruf seines Herrn sich folgsam zu diesem hintrollen würde.

Inzwischen hatte er auch den Lasso zur Hand genommen, dessen Ende am Sattelknopf befestigt und warf nun die Schlinge dem Büffel um die kurzen Hörner, zog sie langsam zu und brachte den Braunen dann plötzlich zum stehen.

Mit kurzem Ruck spannte sich der Lasso straff.

Der Büffel überschlug sich und blieb regungslos mit gebrochenem Genick liegen.

Dann kam auch schon Abraham herbei, fluchte noch ärger und zeigte Felsenherz seine mit Lehm dick beklebte Rückseite.

„Wie ein Ziegelarbeiter schau’ ich aus!“ schimpfte er. „Nun kann ich mir mit dem Messer all den Lehm abzukratzen! Mein schöner Jagdrock! –

So ein erbärmliches Vieh von Büffel! Ist das eine Art und Weise, derartige Seitensprünge zu machen! Na warte, Bursche, zur Strafe schneide ich dir jetzt die besten Fleischstücke von den Knochen!“ –

Eine halbe Stunde später befanden die beiden Jäger sich bereits auf dem Rückweg nach der Schlucht.

Aber auch der namenlose Siouxkrieger und Wapima waren vom Glück begünstigt gewesen.

Der Knabe hatte mit Bogen und Pfeil ein kleineres Büffelkalb erlegt, mit dessen Fleisch sich nun auf dem Rückmarsch zur Schlucht der Namenlose beladen hatte.

Schweigend schritten die beiden Rothäute nebeneinander her. Das, was sie sich zu sagen gehabt hatten, war bereits alles zwischen ihnen besprochen worden.

Dann aber blieb Wapima mit einem Mal stehen und nahm dem Krieger den einen Packen Fleisch ab, wobei er in fast zärtlichem Ton dem andern ein paar Worte zuflüsterte.

Der Zufall wollte es, daß Felsenherz von der Spitze eines Hügels aus die beiden Sioux bemerkte und daß man so gemeinsam der noch gut eine Meile entfernten Schlucht zustreben konnte.

Mitternacht war längst vorüber. Als die vier sich der Schlucht bis auf Büchsenschußweite genähert hatten, wollte Felsenherz zuerst allein zu Fuß die Umgebung absuchen, ob nicht inzwischen Kundschafter der Sioux den Lagerplatz entdeckt und dort einen Hinterhalt gelegt hätten. Der blonde Trapper ließ es eben nie an der nötigen Vorsicht fehlen.

Wapima bat, ihn begleiten zu dürfen.

„Von dem berühmten weißen Jäger kann Wapima lernen,“ sagte er bescheiden. „Wapima möchte einst ebenso berühmt werden wie Felsenherz.“

Der Trapper nickte. „Gut, Wapima! Dann schleiche du links um diese Schlucht herum, ich rechts! Am Eingang treffen wir uns dann wieder.“

Das Gelände stieg hier sanft an. Steinblöcke, Büsche und einzelne Bäume machten es jedoch recht unübersichtlich.

Felsenherz schlich lautlos, die gespannte Büchse im Arm, nach rechts hinüber, blieb immer wieder stehen und musterte jeden Baum, jeden Busch, jeden Strauch, bückte sich. Und prüfte auch den von Grasbüscheln streckenweise bedeckten Boden.

Das Mondlicht lag hell auf einem dieser Grasbüschel, dessen Halme in der Mitte niedergetretenen waren.

Felsenherz Augen hatten auch dies bemerkt, flogen in die Runde.

Diese Fährte hier an der Südseite der Schlucht konnte nur von einem Siouxspäher herrühren. Sie war noch ganz frisch. Und – dort nach jenem Gestrüpp zu gab es noch zwei dieser durch den Mokassin einer Rothaut niedergedrückten Grasbüschel.

Felsenherz huschte blitzschnell ein paar Schritte zurück hinter eine Eiche. Sein Mißtrauen war erwacht. Von einem einzelnen Späher konnten die drei Grasbüschel nicht niedergetretenen worden sein. Hier mußten mehrere Sioux vorübergekommen sein oder noch dort im Gestrüpp stecken.

Der Trapper fühlte förmlich, daß hier ganz in der Nähe eine Gefahr lauerte.

All seine Sinne waren jetzt aufs äußerste gespannt.

Da – von der anderen Seite der Schlucht ein gellender Schrei.

Das war Wapimas Stimme gewesen.

Und – abermals derselbe Schrei – kein Hilferuf, nein, eine Warnung nur!

Felsenherz wollte jetzt gerade hinter der Eiche hervor und in die nächsten Büsche schlüpften, als aus dem Geäst des Baumes zwei Lassoschlingen herabfielen.

Die eine legte sich um des Trappers Hals; die andere um den Lauf seiner Büchse und die rechte Hand.

Bevor er noch mit der Linken nach dem Jagdmesser greifen konnte, wurden beide Lassos kräftig angezogen.

Wehrlos hing Felsenherz halb erwürgt unter der Eiche.

Schon stürzten sich auch zehn – zwölf Sioux auf ihn, packten seine Arme, drückten sie nach hinten.

Widerstand wäre hier ganz zwecklos gewesen. Er ließ alles mit sich geschehen. Man lockerte die Schlinge, die ihm den Hals zusammengepreßte; man schleppte ihn weiter hinter eine Anhäufung von Steinblöcken.

Hier schauten sich nun Ozalea, der rote Luchs, und der berühmte weiße Jäger, dessen Kriegsname ‚Felsenherz‛ in wenigen Jahren vom großen Salzsee bis hinab nach Mexiko, vom kalifornischen Goldland bis zu den Ansiedlungen am Arkansas überall bekannt geworden, zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht.

Das Mondlicht bestrahlte Ozaleas wilde, von häßlichen Leidenschaften zerfurchten Züge, die jetzt nichts als höhnischen Triumph ausdrückten.

„Ozalea, der Häuptling der Sioux, steht einem stinkenden Kojoten gegenüber!“ sagte der Indianer mit einer verächtlichen Handbewegung. „Das Blaßgesicht, das sich Felsenherz nennt, hat das Herz des feigen Präriewolfs in der Brust, der nur nachts durch die Büsche schleicht und von Aas sich nährt.“

Diese Beschimpfung ruhig hinzunehmen, wäre bei den besonderen Ansichten der Rothäute über derartige Beleidigungen für Felsenherz eine nie wieder gutzumachende Erniedrigung gewesen.

Er erwiderte denn auch, indem er sich noch stolzer aufrichtete:

„Felsenherz hört nichts als die Stimme des Ochsenfrosches, der im Morast steckt und das Brüllen eines starken Büffels nachzuahmen sucht. Felsenherz weiß nichts von einem Siouxhäuptling Ozalea! Wenn an den Lagerfeuern von dem Häuptling der Sioux gesprochen wird, geschieht es mit derselben Verachtung, die man für einen Pferdedieb, einen Räuber und feigen Mörder fühlt!“

Ozaleas Hand fuhr nach dem Messer. Was der berühmte Trapper ihm hier vorwarf, war ja nur zu berechtigt. Der rote Luchs gehörte zu den gefürchtetsten, aber auch zu den verachtetsten Häuptlingen des wilden Westens. Treulosigkeit, Hinterlist, Habgier und Grausamkeit wurden in seinem Charakterbild nicht durch die gleichfalls bei ihm vorhandene Tollkühnheit und rücksichtslose Preisgabe des eigenen Lebens abgeschwächt.

Das lange Jagdmesser blitzte im Schein des Mondlichts, war zum Stoß erhoben.

Felsenherz hatte die Augen halb geschlossen. Nichts entging ihm – nicht die geringste Veränderung im Gesicht des Sioux – nicht die geringste Bewegung des bewaffneten Armes.

Hätte Ozalea wirklich zugestoßen, wäre die Klinge doch niemals dem blonden Jäger in die Brust gedrungen. Felsenherz’ Füße waren ja noch ungebunden; es hätte nur eines Fußtrittes bedurft, und der Häuptling würde im Bogen in die Büsche geflogen sein.

Aber – der Stoß unterblieb; der erhobene Arm senkte sich wieder, und Ozalea sagte etwas enttäuscht, weil der Trapper auch nicht das geringste Zeichen von Furcht verraten hatte:

„Der Skalp des Blaßgesichtes wird im Rauch meines Winterzeltes trocken. Felsenherz soll in den Dörfern der Sioux am Marterpfahl sterben! –

Bringt ihn nach dem Tal hinunter. Bindet ihn neben den beiden anderen Bleichgesichter fest! Bindet ihn mit doppelten Riemen. Zehn Krieger sollen ihn bewachen. Ozalea ist klüger als der große Bär, der Häuptling der Apachen, dem Felsenherz so und so oft entschlüpfte und den er schließlich tötete.“ –

Der Trapper wurde denn auch von zehn Sioux weggeführt. Etwa eine halbe Stunde dauerte der Marsch durch die meist kahlen Anhöhen. Dann war jenes Tal erreicht, wo die Mustangs der Sioux weideten und wo an zwei jungen Buchenstämmen die beiden Plarpps aufrecht gefesselt standen.

Vor ihnen brannten vier Feuer, an denen sechs Sioux saßen. Als Felsenherz jetzt mit seinen Wächtern erschien, sprangen auch die anderen Rothäute auf und musterten den gefangenen Jäger mit Blicken, die nichts als respektvolle Bewunderung verrieten.

Felsenherz wurde an eine dritte Buche dicht neben Jonny Plarpps gestellt und dann auf geradezu raffinierte Weise an den Baum gebunden, wobei die Sioux sich alle Mühe gaben, dem Westmann recht große Schmerzen zu bereiten.

Nach Ansicht der Rothäute war dies für Felsenherz nur eine Ehre.

Kaum zehn Minuten später wurden dann auch der dicke Abraham und der namenlose Sioux herbeigeschleppt. Doch nur Abraham war gefesselt.

Auch Ozalea erschien zugleich mit diesen beiden Gefangenen. Er führte Felsenherz’ Braunen am Zügel und hatte sich des Jägers Gewehr, die berühmte Jaguar-Büchse und die andere doppelläufige Flinte, umgehängt. Außerdem trug er jetzt am Gürtel noch zwei der Revolver der Plarpps.

Die vier Rothäute, die den Namenlosen gepackt hielten, blickten jetzt den Häuptling fragend an.

Ozalea winkte kurz, und sie ließen den Geheimnisvollen los. Ein enger Kreis von Kriegern hatte sich um die drei Buchen, die Feuer, den Häuptling und den Namenlosen gebildet.

Der rote Luchs zog jetzt mit einem wahrhaft satanischen Grinsen einen der Revolver aus dem Lederfutteral, spannte den Arm und sagte zu dem mit gesenktem Kopf vor ihm stehenden Krieger:

„Vor fünfzehn Jahren raubte Ozalea ein Mädchen des Komanchenstammes. Sie hieß Okaloma, die Prärieblume; sie wurde sein Weib. Die Komanchen glauben, Okaloma wäre von einem Bären gerissen, und suchten nicht nach ihr. –

Okalomas Sohn Wapima hat seinen Vater nie geliebt. Die Prärieblume lehrte ihn, Ozalea hassen. Wapima war mehr ein Komanchen denn ein Sioux. –

Vor zwei Wochen entfloh die Prärieblume dann. Sie wollte zu ihrem Stamm zurückkehren. Wapima folgte ihr am anderen Tag. Ozalea war damals mit seinen Kriegern bereits zur Büffeljagd aufgebrochen. Aber fünfzehn Krieger, die Okaloma und Wapima nachgesetzt waren, trafen eine der Abteilungen der Sioux und konnten Ozalea melden, was vorgefallen war.

Die Prärieblume hatte den Jagdanzug eines Kriegers angelegt, war jedoch ihrem Sohn Wapima noch nicht begegnet, als sie sich eine Büchse zu verschaffen suchte und dabei den beiden Blaßgesichtern dort in die Hände fiel. Auch Wapima war bereits von Felsenherz gefangen genommen worden. Jetzt ist Okaloma wieder in der Gewalt der Sioux. Nur ihr Sohn ist entkommen.

Die Prärieblume hat den Tod verdient. Sie war mein Weib; sie durfte nicht entfliehen. Sie wird sterben!“

Er hob langsam den Arm, zielte auf den Kopf des verkleideten Weibes.

„Halt!“ rief Felsenherz da überlaut. „Halt – der Häuptling der Sioux mag hören, was Felsenherz ihm zu sagen hat. Wenn Ozalea die Prärieblume tötet, wird von den dreihundert Sioux, die in das Gebiet der Komanchen eingedrungen sind, nicht einer lebend zurückkehren! Chokariga ist nach den Dörfern der Komanchen unterwegs und wird den Sioux den Rückweg verlegen; seine Boten werden in drei Tagen über sechshundert Krieger versammeln, und Ozalea mit seinen Männern wird bald umzingelt sein!

Ich warne dich, Ozalea! Die Rache der Komanchen wird euch alle auslöschen.“

Der rote Luchs hatte die Revolvermündung etwas gesenkt und erwiderte höhnisch:

„Der stinkende Coyote heult umsonst! Bevor die Komanchen versammelt sind, werden die tapferen Sioux längst den Arkansas hinter sich haben! –

Die verräterische Prärieblume wird sterben! Und auch Wapima, der nicht mehr ein Sohn ist, wird –“

 

 

6. Kapitel

Ozaleas Tod.

Da – eine helle Knabenstimme brachte den Häuptling zum Schweigen.

Von der nahen östlichen Steilwand des Tales herab erklang diese Stimme – als die eines Anklägers:

„Hier steht Wapima! Hier steht der Sohn Okalomas, die der Häuptling der Sioux schlechter als einen räudigen Hund behandelt hat! Nur ein Feigling schießt ein wehrloses Weib nieder. –

Ozalea ist nicht mehr mein Vater! Ich bin der Sohn eines Komanchen, bin ein Komanche! Mein Pfeil wird Ozalea treffen!“

Kaum war das letzte Wort verklungen, als droben aus dem Randgebüsch der Steilwand ein Pfeil herabsauste.

Der rote Luchs wollte zur Seite springen. Aber das Geschoß des Knaben, der stets Zeuge der Mißhandlungen gewesen, die Ozaleas vertierter Sinn täglich neu ersonnen hatte, – dieses Geschoß des Kindes, dem eigenen Vater zugedacht, war schneller, fuhr dem Häuptling von der Seite in den Hals.

Ozalea brüllte auf.

Ein Blutstrom erstickte die Schreie wahnsinniger Wut. Schwerfällig sank Ozalea seinen Kriegern in die Arme.

Bei der allgemeinen Verwirrung hatte keiner der Krieger auf die Prärieblume geachtet. Sie war denn auch hastig hinter dem nächsten Mustang verschwunden und längst in Sicherheit, als ihre Flucht entdeckt wurde.

Der sterbende Häuptling, der den Tod nahen fühlte, lag unweit der Gefangenen auf ein paar Wolldecken. Man hatte ihm einen Sattel unter den Kopf geschoben; hatte umsonst versucht, den Blutstrom zu stillen, der der Halswunde entströmte.

Ozaleas Augen ruhten mit wahnwitzigem Haß auf Felsenherz, den er für alles verantwortlich machte, dem er die Schuld beimaß, daß Wapima noch Zeit gefunden hatte, seine Mutter zu retten und den Pfeil abzuschießen.

Neben ihm im Gras lag noch der Revolver, der vorhin seiner Hand entfallen war.

Plötzlich griff er nach der kurzen Waffe – griff danach mit unsicheren Fingern.

Sie war noch gespannt.

Und – wie Ozalea sie nun mit letzter Kraft emporhob, berührte sein Finger den Abzug.

Ein Schuß knallte.

Ozalea schnellte empor, schlug nach vorn zu Boden, regte sich nicht mehr.

Die Kugel war ihm in die rechte Schläfe gegangen, hatte ihm den Tod gebracht, bevor er noch an der Halswunde verblutet war.

So starb er – starb durch eigene Hand! So war hier nicht der Sohn zum Vatermörder geworden! –

Die Sioux standen wie erstarrt da. Ozalea war bei ihnen nicht beliebt gewesen, hatte nur durch brutale Strenge sein Ansehen bewahrt. Die wenigsten von ihnen hätten den Mord an der Prärieblume gebilligt. Sie wußten ja, daß die Squaw allen Grund gehabt hatte, zu entfliehen.

Ihre abergläubischen Gemüter sahen in diesem jähen Ende ihres Häuptlings, besonders in diesem tödlichen Schuß aus eigener Hand, eine Fügung des großen Geistes.

Das, was sie dachten, war ihnen deutlich von den Gesichtern abzulesen. Stumm und scheu blickten sie auf die Leiche Ozaleas.

Da – die volle Stimme des berühmten Jägers, jetzt fast befehlend:

„Krieger der Sioux, der große Geist hat sein Antlitz von euch abgewandt! Der große Geist hat Ozalea bestraft! Er ist tot!

Aber auch ihr werdet euer Leben einbüßen, wenn ihr nicht auf mich hört! Die Komanchen werden euch einkreisen; die Komanchen sind schneller am Arkansas als ihr! Nicht einer von euch wird entkommen. Ihr wißt, daß ich ein Freund der roten Kindern Manitus bin, daß ich nie einen Feind töte, der mich nicht dazu zwingt, daß ich Frieden stiften möchte zwischen den Stämmen, die die Prärien bevölkern! –

Halte eine Beratung ab, wählt einen anderen Häuptling! Und – wenn ihr mit den Komanchen ohne Kampf euch auseinandersetzen wollt, so nehmt meine Vermittlung an. Mein Bruder Chokariga wird vergessen, daß ihr in das Gebiet der Komanchen eingedrungen seid und auch ihm den Skalp rauben wollte!“

Als der blonde Trapper nun schwieg, trat ein älterer Krieger vor und sprach:

„Ozalea war tapfer wie der Grisly, der keinen Gegner fürchtet. Aber Ozalea war auch grausam wie der Fuchs, der den Präriehasen halb tötet und ihn dann von seinen Jungen fressen läßt. Ozalea schlug sein Weib, seinen Sohn Wapima, tötete denjenigen seiner Krieger, der nicht blindlings gehorchte! Sollen wir seinetwegen von den Komanchen niedergemacht werden?!“

Dann hielt ein andere, noch bejahrtere Sioux eine ähnliche Ansprache, die in die Sätze ausklang:

„Der berühmte weiße Jäger ist kein Feigling! Er rät uns nicht deshalb zum Frieden, weil er für sein Leben fürchtet! – Laßt uns beraten!“

So kam denn wirklich eine feierliche Beratung zustande, bei der sich aufs neue zeigte, daß die überwiegende Mehrheit der Sioux Ozalea insgeheim gehaßt hatte und den Frieden wünschte.

Auch die Häuptlingswahl war bald erledigt. Derselbe Krieger, der zuerst Ozaleas schlechte Charaktereigenschaften den übrigen vorgehalten hatte, wurde des roten Luchses Nachfolger. Dieser Sioux, mit Namen Aru Matta, der schnelle Adler, ließ dann sofort Felsenherz losbinden und in den Beratungskreis führen, wo der Trapper ohne weiteres neben dem neuen Häuptling Platz nahm.

Aru Matta teilte Felsenherz in längerer, recht weitschweifiger Rede mit, daß die Sioux sofort aufbrächen und über den Arkansas zurückkehren würden; Felsenherz möge dafür sorgen, daß die Komanchen die Sioux ungehindert ziehen ließen.

Zum Schluß erklärte der schnelle Adler noch:

„Der berühmte Jäger weiß, daß unsere beiden Gefangenen dort –“ –er zeigte auf die Plarpps – „mehrere unserer Krieger getötet haben. Wir werden die beiden Blaßgesichter daher mit uns nehmen. Felsenherz wird hiermit einverstanden sein. Die Blaßgesichter müssen sterben. Sie sind unsere Feinde.“

Der Trapper war jetzt in einer schwierigen Lage. Er konnte nicht dulden, daß die beiden Sonntagsjäger von den Sioux später hingeschlachtet würden. Anderseits hatte ja auch Aru Matta von seinem Standpunkt nicht ganz unrecht: es war nun einmal Blut geflossen, und die andren Krieger hätten es ihrem neuen Häuptling geradezu als Mangel an Mut und Energie ausgelegt, wenn er nicht darauf bestanden hätte, daß die beiden Plarpps nicht mit in die Friedensverhandlungen hineinbezogen würden.

„Bindet zunächst auch meinen Freund Abraham los,“ erwiderte Felsenherz, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. „Abraham hat keines Sioux Blut vergossen. Er ist sogar des öfteren Gast deines Stammes gewesen, Aru Matta.“

Der Häuptling gab denn auch die nötigen Befehle, und gleich darauf ließ der kleine Dicke sich mit vergnügtem Schmunzeln neben Felsenherz nieder.

Von diesem war inzwischen ein Ausweg aus der Misere gefunden worden. Die Plarpps hatten ihm nämlich erzählt, daß sie außerordentlich geschickte Boxkämpfer seien, wie ja überhaupt in England der Boxkampf von jeher als Sportart in allen Volksschichten gepflegt wird.

„Aru Matta mag auf Felsenherz’ Vorschlag eingehen und die beiden Gefangenen um ihr Leben kämpfen lassen!“ sagte er nun zu dem Häuptling. „Es ist keine Ehre für die Sioux, zwei Blaßgesichter, die keinen Kriegsnamen haben, an den Marterpfahl zu stellen. Wähle zwei deiner Krieger aus, die gegen die Gefangenen nur mit der Faust kämpfen sollen. Siegen die Gefangenen, so sind sie frei; siegen deine Krieger, so sollen sie den Blaßgesichtern sofort den Skalp nehmen.“

Das laute Beifallsgemurmel der umstehenden Krieger, die diesen Kampf für die Plarpps als ganz aussichtslos hielten, veranlaßte Aru Matta, seine Einwilligung zu geben.

Felsenherz erhob sich, um den Brüdern mitzuteilen, wie er ihnen die Möglichkeit verschafft hätte, ihre Freiheit sogleich wiederzuerlangen.

Die Plarpps waren sehr einverstanden mit diesem Boxkampf, und Tommy meinte, er sei so gut ‚in Form‛, daß die Geschichte bald erledigt sein würde.

Der blonde Trapper jedoch riet ihnen nun, nicht allzu rasch ihren Gegnern einen entscheidenden Hieb beizubringen, sondern erst eine Weile den Kampf hinzunehmen, damit die Sioux nicht merkten, daß die Brüder geübte Faustkämpfer waren. –

So wurden den sofort den beiden Sioux, die der Häuptling bestimmt hatte, und den Plarpps die Fäuste mit Lederstücken umwickelt.

Als erstes Paar trat dann Jonny mit seinem Gegner an, der einer der größten und breitschultrigsten Sioux, aber offenbar ein ziemlich schwerfälliger Mensch war.

Das mit der rohen Kraft allein bei einem Boxkampf nichts auszurichten ist, bewies jetzt hier abermals dieses äußerlich so ungleiche Paar.

Jonny beschränkte sich zuerst ganz auf die Verteidigung. Der Sioux wurde immer hitziger, drang bald in blinder Wut auf den Gegner ein und wurde doch stets durch Kinnhiebe taumelnd zurückgeworfen.

Dann wollte Jonny, der zu ermüden begann und ebenfalls schon im Gesicht blutete, ein Ende machen.

Der klug berechnete Doppelhieb gegen Kinn und Herzgrube saß so gut, daß der Sioux bewußtlos zu Boden schlug.

Wie richtig des berühmten Westmannes Rat, den Kampf etwas in die Länge zu ziehen, gewesen war, zeigte sich jetzt an dem Verhalten der Sioux, die durch die aufregenden Einzelheiten von Angriff und Verteidigung jetzt so interessiert waren, daß sie dem Sieger sogar einzelne Beifallsrufe spendeten.

Auch Tommy Plarpps, der kräftigere der Brüder, wandte dann denselben Trick an, die Rothäute für sich einzunehmen. Zweimal ließ er es so weit kommen, daß sein Gegner bereits triumphieren zu können glaubte. Es machte ganz den Eindruck, als hätte Tommy alle Mühe, sich seiner Haut zu wehren. Dann jedoch machte auch er rasch mit der Komödie Schluß, brachte genau wie Jonny Kinn- und Herzhieb mit aller Kraft an und streckte seinen hühnenhaften Gegner zu Boden.

Auch jetzt ertönte leises Beifallsgeschrei, das sich noch verstärkte, als Tommy nun dem Häuptling erklärte, er und sein Bruder würden den Sioux zwei der ‚kleinen Büchsen, die die vielen Kugeln schießen‛ als Sühnegeld für die gefallenen Krieger schenken.

Jedenfalls blieb die Stimmung der Rothäute selbst nach dieser Schlappe ihrer beiden Kämpfer durchaus friedlich. Inzwischen war die Morgendämmerung angebrochen. Felsenherz, Abraham und die beiden Plarpps rüsteten sich zum Aufbruch. Da mittlerweile auch die fünfzig Sioux, die Wapima und die Prärieblume verfolgt hatten, unverrichteter Sache wieder zurückgekehrt waren, befanden sich nun die gesamten Sioux in dem langgestreckten Tal.

Der Abschied zwischen Felsenherz und Aru Matta erfolgte beiderseits mit feierlichen Ansprachen. Dann ritten die Weißen im Schritt durch das dichte Spalier der Sioux hindurch und zum Teil hinaus. Als sie hinter den nächsten Anhöhen verschwunden waren, holte der dicke Abraham tief und erleichtert Atem und meinte:

„Donnerwetter – gut, daß wir aus der Patsche heraus sind! Eine ganze Menge der roten Halunken machte recht verdächtige Gesichter! Jeden Augenblick fürchtete ich einen Tomahawk hinten in meiner Denkmaschine zu spüren.

Na – nun Galopp, Felsenherz! Sicher ist sicher! Je weiter ich von den Siouxbrüdern entfernt bin, desto behaglicher fühle ich mich!“ –

Drei Stunden später stießen die vier Weißen in der Nähe eines Baches auf die Fährte zweier Fußgänger. Der Größe der Spuren nach mußte es die Prärieblume mit ihrem Sohn Wapima sein, die nun ebenfalls den Komanchendörfern zustrebten. Schon bald hatte man die beiden eingeholt, und jetzt erklärte das arme, von dem Siouxhäuptling so schwer gepeinigte Weib dem blonden Trapper, weshalb sie sich Chokariga nicht anvertraut hätte. Sie war des Glaubens gewesen, der schwarze Panther würdet ihr zum Vorwurf machen, daß sie nicht schon längst den Sioux entflohen war, und sie nicht wieder in den Komanchenstamm aufnehmen. –

Felsenherz beruhigte sie dieserhalb und versprach ihr, seinem roten Bruder Chokariga alles, was die Prärieblume erlebt und gelitten, so darzustellen, daß die Komanchen sie und ihren Sohn freundlich willkommen heißen würden.

Gemeinsam setzten sie dann den Weg fort.

Am zweiten Abend traf man mit einer starken Komanchenabteilung zusammen, die der schwarze Panther vorausgeschickt hatte. Jede Gefahr war nun vorüber. –

Was Felsenherz dem bedauernswerten Weib zugesagt hatte, geschah dann auch: Die Prärieblume und Wapima fanden in den Komanchendörfern eine neue Heimat!

Wapima wurde später ein berühmter Krieger, der oft mit Chokariga und Felsenherz die Savannen durchstreifte. –

Die beiden Plarpps aber hatten jeder keine Sehnsucht nach aufregenden Abenteuern mehr, ließen sich von Abraham nach den nächsten Ansiedlungen begleiten und kehrten nach Old England zurück.

 

 

Nächster Band:

Rote Piraten1

 

 

Anmerkung:

1 Erschien unter dem Titel: Der kleine Kundschafter