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Die Biberjäger

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 18

Die Biberjäger.

 

 

Erstes Kapitel

Box und Old Staked.

Die weite Wasserfläche des an der Nordgrenze der berühmten Sonora, des mexikanischen Goldlandes, gelegene Charikahua-Sees gleißte im Schein der Morgensonne wie flüssiges Silber. Eine Unmenge Wasservögel wiegten sich in der Luft oder belebten die zahlreichen Buchten, von denen die östliche am weitesten und gewundensten in das Land einschnitt.

Im tiefsten Winkel dieser Bucht, wo die Vorberge des Gila-Gebirges bereits ihre kahlen Felsenhäupter in romantischer Wildheit in die Luft reckten und die durch Wasserpflanzen und Schilfrohr für jedes Boot völlig unpassierbare Wasserstraße dieses Seeteiles sich plötzlich wieder zu einem freien Becken erweitert, in das ein paar sanft murmelnden Bäche einmünden, lagen zwei in die übliche Tracht der Fallensteller gekleidete Weiße im dichten Ufergestrüpp und beobachteten die Mündungsstelle eines dieser Bäche.

Neben sich im Gras hatten sie ihre eisernen Fallen und ihre schweren doppelläufigen Vorderladerbüchsen griffbereit hingelegt. Sie wußten, daß die Gegend hier zum Jagdgebiet der Apachen gehörte. Gestern nachmittag waren sie weiter nordöstlich am Bavard-Bach einer Schar dieser Rothäute vorsichtig ausgewiesen, die offenbar mit irgend welchen Feinden in Kampf geraten war und schwere Verluste erlitten haben mußte, da der Reitertrupp einige zwanzig Verwundete mit sich führte.

Über diese Apachenschar tauschten die beiden Fallensteller, zwei der berühmtesten Biberjäger des Westens, jetzt abermals ihre Ansichten aus.

Der eine, ein baumlanger, dürrer, rotbärtiger Mann mit gutmütigem Gesicht, sagte soeben flüsternd, ohne dabei die Bachmündung aus den Augen zu lassen:

„Der Anführer der Apachen war der schnelle Büffel, den ich nur zu gut kenne. Wir haben schon dreimal Kugeln miteinander ausgetauscht, wie du dich wohl erinnerst, lieber Box. Ich möchte nur wissen, wer den verdammten Schlingeln nur das Fell so gehörig gegerbt hat. Möglich, daß eine Schar von Navajos sich soweit nach Süden gewagt hat und mit ihnen handgemein geworden ist.“

Der mit Box Angeredete war im Gegensatz zu seinem Gefährten ein dicker Zwerg mit einem mächtigen Kürbiskopf und einem Gesicht, das tatsächlich einige Ähnlichkeit mit dem eines englischen Boxers, jener Hunderasse mit ganz kurzer, stumpfer Schnauze, hatte. Er erwiderte jetzt brummig, wobei er unter dem struppigen schwarzen Bart zwei Reihen weißer Hauer entblößte:

„Old Staked1, mir sind sowohl die Apachen wie die Navajos gänzlich schnuppe sozusagen – total schnuppe! Mich interessiert nur, wo eigentlich die Biber bleiben, die hier die dünnen Stämme an der Bachmündung abbeißen und wegschleppen. Wir haben seit Sonnenaufgang dreißig der kostbaren Pelztiere beobachtet, aber noch immer nicht einen einzigen Biberbau entdeckt.“

„Hast recht Box,“ nickte Old Staked, „die Rothäute gehen uns erst etwas an, wenn sie uns in die Quere kommen. –

Ah – da taucht wieder die Nase eines Bibers auf, mein Junge! Verdammt – zu gern möchte ich dem fetten Burschen eins auf den Pelz brennen. Mich juckt förmlich der Finger nach dem Büchsenabzug! Aber –“

Im selben Moment hatte Box ein warnendes Zeichen mit der Hand gemacht.

Old Staked schwieg.

„Der Biber tauchte plötzlich,“ flüsterte Box ganz leise. „Diese Tiere sind noch schlauer als wir, Old Staked. Hier in der Nähe ist irgend etwas nicht geheuer!“

Er langte nach seiner Rifle2 und warf einen prüfenden Blick zu den Zündhütchen auf den Pistons3.

„Na, meine alte Bleispritzer ist gut in Ordnung,“ flüsterte er weiter. „Nun kann –“

Da hatte Old Staked ihm die Hand auf den Mund gedrückt und deutete mit der anderen auf die Wasserfläche des fast kreisrunden Beckens, das einen Durchmesser von etwa zweihundertfünfzig Schritt haben mochte.

Ein Baumstamm mit Krone schwamm auf dem glitzernden Wasser, ein anscheinend ganz harmloser Baumstamm.

Aber die scharfen Augen des alten Savannenläufers Old Staked hatten sofort wahrgenommen, daß der Baum nicht von selbst in solchem Tempo durch eine Strömung vorwärtsgetrieben werden konnte.

Nein – da steckten in der dicht belaubten Krone fraglos einige Rotfelle, einige Indianer.

Auch Box hatte jetzt den Baum kritisch gemustert und hauchte Old Staked ins Ohr:

„Sechs zähle ich!“

„Stimmt! Sechs!“ knurrte der Rotbart. „Es sind Apachen, und ich möchte wetten, sie gehören mit zu der Schar des schnellen Büffels und sind Versprengte. Ah – da sind noch mehr in der Krone verborgen! Die Pest – elf sind’s! Eine ganze Mütze voll!“

Sie beobachteten den treibenden Baumstamm weiter. Merkwürdigerweise lenkten die Apachen, die ihn schwimmend vorwärtsstießen, jetzt in den Bach ein.

Hier jedoch war das Wasser für die tief herabreichende Baumkrone zu flach. Die Äste gerieten auf Grund, und die Apachen sahen sich gezwungen, ihren belaubten Schlupfwinkel zu verlassen.

Sie taten es jedoch erst, nachdem jeder sich aus Schilfrohr eine Art Kappe angefertigt hatte, die den Kopf und die Brust beim Schwimmen verbarg.

Old Staked und Box waren neugierig, weshalb die Rothäute mit solcher Vorsicht ihren Weg im Wasser fortsetzten.

„Box,“ flüsterte der Rotbart, „ich wette drei Biberfelle, daß die Halunken verfolgt werden. Schleichen wir am Bachufer hinter ihnen drein.“

Sie ließen die Fallen liegen und glitten auf ihren indianischen Mokassins lautlos durch die Büsche.

Die Apachen hielten sich dicht am Nordufer des Baches am Rande des Schilfrohrs, wo ihre Kappen am wenigsten auffielen. Sie schwammen so langsam und so gewandt, daß schon ein sehr geübtes Auge dazu gehörte, sie zu entdecken.

Box und Old Staked, die am Südufer sich befanden, merkten dann, daß die Rothäute mit den Füßen Grund gefunden hatten und nun wateten.

Sie brauchten sich in keiner Weise zu beeilen, da die Apachen ja nur sehr bedächtig vorwärtsdrangen. So ging es wohl eine Viertelstunde bachaufwärts, immer zwischen zerklüfteten Bergen hin, immer in dichtestem Urwald, der die Sohle dieses breiten Tales bedeckte, das von dem Gewässer durchströmt wurde.

Dann vernahm Box als erster ein leises Brausen. Es klang wie das Geräusch eines Wasserfalles.

Gleich darauf machte der Bach eine scharfe Biegung und – verschwand nun in einem finsteren Felsenschlund, einem richtigen Tunnel, der hier durch die Bergwand unbekannt wohin sich forterstreckte.

„Aha!“ knurrte Old Staked, „die Rotfelle kennen diesen unterirdischen Bach und wollen ihn dazu benutzen ohne Zurücklassung einer Spur weiter zu flüchten. Siehst du, Box, da verschwinden sie schon in dem Tunnel! Hm, ob es wohl lohnt, ihnen zu folgen?“

„Es lohnt. Old Staked, es lohnt!“ erklärte der dicke Zwerg eifrig. „Jetzt wette ich nämlich drei Biberfelle, daß die heißbegehrten Pelztiere, denen wir nachstellen, ebenfalls diesen Tunnel passieren, um zu ihren Bauten zu gelangen.“

Die beiden Trapper ließen also erst den Apachen einigen Vorsprung und schwammen und wateten dann in den Schlund hinein.

Nach vielleicht zehn Minuten, die sie Schritt für Schritt in tiefster Finsternis zurücklegen mußten, kamen sie in einen von steilen Felswänden eingeschlossenen flachem See, der einige kleine Inseln mit spärlichem Baumwuchs besaß. Und hier – hier hatten sie nun die Biberkolonie gefunden; hier ragten überall aus dem Wasser die Strauchkuppeln der Biberbauten hervor. –

„Dort – dort!“ flüsterte Box.

Und auch Old Staked sah nun drüben in der anderen Steilwand einen ähnlichen Tunnel, in dem gerade der letzte der Apachen verschwand.

Rasch durchwateten die beiden Gefährten den See, rasch drangen sie in den Tunnel ein, denn jetzt lag ihnen sehr viel daran festzustellen, ob die Rothäute diese Gegend wirklich verlassen würden. Denn erst dann durften sie es wagen, hier ihre Fallen aufzustellen und sich mit vollem Eifer der Biberjagd hinzugeben.

Der unterirdische Bach nahm hier fast eine halbe Meile weit seinen Weg in nordwestlicher Richtung.

Box fluchte wütend. Dieses Herumplatschen im Wasser machte ihm kein Vergnügen mehr.

Dann bemerkten die langjährigen, unzertrennlichen Gefährten vor sich einen schwachen Schimmer von Tageslicht.

„Endlich der Ausgang!“ brummte der Dicke.

Da – der in dem Tunnel hundertfach verstärkt widerhallende Knall eines Büchsenschusses umtobte mit dröhnenden Schallwellen ihre Ohren, drohte ihnen das Trommelfell zu zersprengen.

Dann ein wilder Schrei – der Schrei einer Frauenstimme:

„Hilfe – Hilfe!“

 

 

2. Kapitel

Der Kampf im Tunnel.

Box und Old Staked stutzten nur einen Augenblick, eilten dann vorwärts, so schnell sie irgend konnten. Sie wußten jetzt ja, daß dort vor ihnen ein Weib sich in Gefahr befand, eine Weiße, der sie schleunigst beispringen mußten.

Sehr bald erkannten sie, daß die Helle von oben her in den Kanal fiel und daß dieser noch nicht ins Freie mündete.

Jetzt standen sie gerade unter dem weiten Loch der Tunneldecke, durch welches das Tageslicht herabdrang.

Zwei Lassos hingen aus dem Loch bis zum Wasser herunter, indianische Lassos, an denen die Apachen ohne Zweifel soeben emporgeklettert waren.

Old Staked reichte Box seine Büchse.

„Ich turne mal erst allein nach oben,“ flüsterte er, nahm das Jagdmesser zwischen die Zähne und kletterte rasch empor.

Nach fünf langen Kletterschlüssel war der junge Trapper bereits oben in einer Höhle, die nach Süden zu einen Ausgang auf die flache Spitze eines Felsenhügels hatte.

Auf dieser Hügelspitze draußen gewahrte er fünf Apachen, die gerade eine jüngere Weiße, der Tracht nach die Frau eines Ansiedlers, fesselten.

Old Stakeds Aufmerksamkeit war durch diese Vorgänge so in Anspruch genommen, daß er gar nicht auf die nächste Umgebung achtete.

Aus dem tiefsten Winkel der Höhle hinter ihm glitten jetzt sechs schattenhafte Gestalten herbei.

Der Trapper fühlte sich plötzlich gepackt, fühlte einen flachen Tomahawkhieb durch das Fell seiner Bibermütze, taumelte, wurde zu Boden gerissen, gewürgt und im Umsehen geknebelt und gebunden. –

Der dicke Box unten im Bachkanal wurde schließlich ungeduldig, als sein langer Freund noch immer nicht zurückkehrte.

Er hing sich seine und Old Stakeds Büchse über den Rücken und wollte gerade an dem Lasso emporklimmen, als er oben in dem Felsloch die Umrisse eines Indianers erkannte, der weit vorgebeugt in den Tunnel hinabspähte.

Box ahnte sofort, daß sein Gefährte den Rothäuten in die Hände gefallen war.

Er duckte sich tiefer und watete noch ein Stück weiter in den Kanal hinein, blieb dann stehen und beobachtete die Lassos, die in dem einfallenden Tageslicht wie dünne Fäden aussahen.

Jetzt bewegten sie sich.

Jetzt glitten an jedem blitzschnell zwei Apachen abwärts, verschwanden im Wasser. –

Box wunderte sich, wo die vier roten Halunken geblieben sein könnten.

Da – er fühlte sich plötzlich bei den Beinen gepackt, wurde umgerissen, kam mit dem Kopf unter Wasser.

Aber er hatte sein Messer stoßbereit in der Hand. So leicht ließ er sich nicht gefangen nehmen.

Er stieß zu – stieß nochmals zu.

Die Hände, die seine Waden umklammerten, lockerten sich. Die Messerstiche hatten gesessen.

Doch – er hatte es hier mit vier Gegnern zu tun; ihm wurde jetzt, noch immer unter Wasser, die Kehle zugedrückt. Gleichzeitig erhielt er einen Stoß vor den Leib, der ihn vor Schmerz für Sekunden völlig kraftlos machte.

Inzwischen waren noch drei weitere Apachen aus der Höhe in den Tunnel hinabgeglitten. Auch sie warfen sich jetzt auf den kleinen Trapper, zerrten ihn hoch, hingen an ihm wie einen Meute Hunde an einem Keiler.

Der tapfere Dicke schien verloren. Schon hatte einer der Rothäute im Dämmerlicht des Kanals den Tomahawk zum tödlichen Hieb erhoben, da erschien ein neuer Kämpfer, der ebenfalls vom Bibersee her den Kanal durchwatet hatte, auf dem Schauplatz.

Es war ein schlanker, kräftiger, blondbärtiger Jäger mit kühnem, offenem Gesicht. Er war nur mit Messer und Tomahawk bewaffnet. Doch beide Waffen steckten im Gürtel. Er ließ sich nicht die Zeit, danach zu greifen.

Wie ein riesiger Schatten tauchte er neben der Gruppe der Rothäute auf, die den dicken Box hier für alle Zeit stumm machen wollten. Seine geballte rechte Faust traf das Genick des Apachen, der mit dem Schlachtbeil gerade zuschlagen wollte.

Der Indianer flog nach vorn, sank unter.

Die eiserne Faust des blonden Jägers fuhr dem zweiten Angreifer unter das Kinn.

Da hatte auch Box die Besinnung wiedererlangt.

Sein Messer fuhr in die rotbraune Brust eines dritten Feindes.

Die beiden anderen suchten jetzt zu entfliehen, tauchten und wollten so dem Unheil entrinnen.

Doch Box erwischte noch den Fuß des einen, holte wieder zum tödlichen Messerstich aus.

Da wurde seine Hand zurückgerissen.

„Es ist genug Blut geflossen,“ sagte der blonde Jäger ernst. „Felsenherz tötet nie einen Menschen ohne Grund.“

In selben Moment wurde es im Tunnel völlig finster.

Die Apachen oben auf der Hügelspitze hatten gemerkt, daß zwei Weiße sich jetzt unten im Kanal befanden und die große Steinplatte vor den Grotteneingang gewälzt, hatten so das Tageslicht abgesperrt, nachdem sie die Lassos eingezogen hatten.

Box mußte sich erst von seinem Staunen etwas erholen, bevor er nun in tiefster Dunkelheit dem weit berühmteren Kollegen zurufen konnte:

„Wie?! Seid ihr’s wirklich, Mr. Felsenherz?! Das nenne ich fürwahr einen glücklichen Zufall! Ohne euch würde ich jetzt als tote skalpierte Leiche durch den Tunnel dem Bibersee zuschwimmen, was mir höchst unangenehm gewesen wäre.“

Felsenherz setzte schon sein Präriefeuerzeug in Brand, holte unter dem breitbandigen Filzhut ein paar harzige Aststücke hervor, deren Lichtschein dann genügte, sich hier zurechtfinden zu können.

„Kein Zufall!“ sagte er nun zu Box. „Mein roter Bruder Chokariga, der Häuptling der Komanchen, und ich verfolgen diese versprengten Apachen heute seit Sonnenaufgang. Der schnelle Büffel, der Oberhäuptling aller Apachenstämme, hatte eine Ansiedlung am Charikahua-See angegriffen, ist aber blutig abgeschlagen worden, wobei wir den Ansiedlern halfen.“

Er hielt den brennenden Ast höher und fragte dann:

„Wurde dort oben eine Weiße von den Apachen überwältigt?“

„Ja, so ist’s. Wir, Old Staked und ich, John Box, wollten ihr zu Hilfe eilen. Leider scheinen die roten Hunde jetzt dort oben meinem Freund das Lebenslicht ausgeblasen zu haben.“

Felsenherz begann schon an den Vorsprüngen der Tunnelwand emporzuklimmen.

Box folgte ihm. Glücklich kamen sie oben an, schoben die Steinplatte beiseite und traten auf die Hügelspitze hinaus, von der sie eine weite Fernsicht über ein breites, endlos langes Tal hatten.

Von den Apachen war nichts mehr zu bemerken.

Als Box nun traurig sagte: „Die Schufte haben die Frau und meinem Freund Old Staked mitgeschleppt,“ tauchte aus dem Grotteneingang die stolze Gestalt des berühmtesten Indianerhäuptlings des Westens auf.

Es war dies Felsenherz’ Freund und leiblicher Halbbruder Chokariga, der schwarze Panther der Komanchen.

 

 

3. Kapitel

Die Grislyhöhle.

Chokariga musterte den dicken Box flüchtig und sagte dann mit kaum merklichem Lächeln:

„Das Blaßgesicht ist John Box, der Biberjäger. Der schwarze Panther hat schon viel von ihm gehört. John Box fürchtet keinen Feind. Chokariga schwammen die Leichen von drei erstochenen Apachen entgegen, als er durch den unterirdischen Bach nahte.“

Dann reichte er seinem Bruder Felsenherz die Doppelbüchse, eins der bekanntesten Gewehre der Indianergebiete. An allen Lagerfeuern sprach man nur von Felsenherz’ mit goldenen Plättchen am Kolben verzierten langer Doppelflinte. Sie und des blonden Trappers hochbeiniger Fuchs waren im Lauf der Zeit fast zu sagenhaftem Ruhm gelangt. –

Felsenherz berichtete kurz, was hier geschehen, und fügte dann für Box erklärend hinzu:

„Es ist die Frau eines Ranchobesitzers namens Pacharo, Luzie Pacharo, die dieser hier verborgen hatte, während er mit uns den Ansiedlern zu Hilfe kam. Wir müssen jetzt schleunigst unsere Pferde und Sennor Pacharo holen und dann den Apachen nachsetzen. Seid ihr beritten, John Box?“

„Nein, Felsenherz. Old Staked und ich sind stets nur auf Schusters Rappen durch die Wildnis gewandert. Aber reiten kann ich.“ –

Zwei Stunden später hielten vier Reiter, Felsenherz, Chokariga, Sennor Pacharo und John Box am Fuß des Hügels in dem breiten Tal und begannen die Verfolgung der nur noch sechs Apachen, die mit den Gefangenen, der Gattin des Ranchero und Old Staked geflüchtet waren.

Der schwarze Panther als erprobter Fährtensucher und Felsenherz schritten voran. Sehr bald hatten sie die Stelle gefunden, wo in einem Seitental etwa zwanzig Indianermustangs gestanden haben mußten, die den Spuren nach von drei Kriegern bewacht worden waren.

Man hatte es jetzt also mit neun Feinden zu tun, denen doppelt so viel Pferde es ermöglichten, mit den Tieren zu wechseln und so im schärfsten Tempo dem Trupp des Oberhäuptlings schneller Büffel nachzureiten.

Alles kam nun darauf an, diese neun Apachen einzuholen, bevor sie sich mit der Hauptschar wieder vereinigt hatten.

Ihre Fährte bog sehr bald aus den Vorbergen in die östlich gelegene Prärie ab, die sich, oft von Felspartien unterbrochen, bis zum Rio Grande del Norte hinzog.

Die Prärie stand jetzt im Juni in voller Blüte. Das Gras war so hoch, daß es den Pferden bis über die Steigbügel reichte. Weite Flächen waren nur mit gelben, hochstieligen Blumen bedeckt und boten einen seltsamen Anblick dar, wenn der Wind sie in wellenförmige Bewegung setzte.

Die Spur der zwanzig Mustangs lief durch diese Prärie wie ein schmaler, dunklerer Strich hin. Wie immer waren die Apachen einer hinter dem anderen geritten.

Die vier Verfolger jagten in gestrecktem Galopp dahin. Sobald sie eine Kuppe erreicht hatten, hielten sie Ausschau. So ging es bis gegen fünf Uhr nachmittags ununterbrochen vorwärts.

Dann tauchte steiniger Boden auf, die Prärie senkte sich abwärts zu einer Tiefebene, die mit Felsblöcken, kahlen Hügeln und riesigen Steinbarrieren besät war. Das jetzt so unübersichtliche Gelände zwang die vier Reiter zu größerer Vorsicht. Außerdem hatten die Apachen hier auf dem kahlen, harten Boden die altbewährte List angewandt, die Hufe ihrer Tiere mit Decken zu umwickeln.

Der schwarze Panther und Felsenherz mußten schließlich absteigen, um zu Fuß tief gebückt die Fortsetzung der Fährte aufzufinden. Es dauerte abermals eine Stunde, bis sie festgestellt hatten, daß die neun Rothäute mit ihren Gefangenen sich in scharfem Bogen nach Nordost wieder den Gila Bergen zugewandt hatten.

Dann erst konnte man im Galopp aufs neue die so verlorene kostbare Zeit einzuholen suchen.

Wieder ritten die beiden berühmten Westmänner einige fünfzig Meter voraus.

Chokariga sagte jetzt zu Felsenherz:

„Mein Bruder mag besser zurückbleiben. Der schwarze Panther fürchtet, daß der schnelle Büffel noch in der Nähe ist. Er hat zu viele Verwundete bei sich, um rasch vorwärtszukommen. Wir können hier zu leicht in einen Hinterhalt geraten.“

Sie sprengten gerade durch einen tiefen Kanon, dessen wohl dreißig Meter hohe Wände sich oben einander so weit näherten, daß nur wenig Tageslicht bis auf die Sohle der Schlucht hinabfiel.

Plötzlich riß der Häuptling seinen prachtvollen Rappen so kurz herum, daß das edle Tier sich fast überschlagen hätte.

Felsenherz merkte zu spät, daß an dieser Stelle in kurzen Abständen mehrere Lassos dicht über dem Boden straff gespannt festgebunden waren. Auch sein Fuchs stolperte. Er flog aus dem Sattel, krümmte sich aber im Sturz zusammen und rollte daher unverletzt zwischen ein paar hohe Felsstücke an der Seitenwand des Kanons, verlor den Halt und sauste kopfüber in eine tiefe Felsspalte hinein, die durch die Steinblöcke verdeckt worden war.

Als er wieder, arg zerschunden, sich aufraffen konnte, hörte er wie aus weiter Ferne das gellende Triumphgeheul der Apachen. Er befand sich hier in völliger Finsternis. Aber ein scharfer, widerlicher Geruch belehrte ihn schnell, daß er in die Höhle eines Bären geraten war. Es konnte sich nur um einen Grisly, einen Graubären, das gewaltigste Tier Nordamerikas, handeln. Der Geruch bewies, daß die Höhle bewohnt war.

Felsenherz stand lauschend da. Seine Hand zog langsam das lange Jagdmesser aus dem Gürtel.

Dann – dann glühten vor ihm in der Finsternis zwei grünliche Lichter auf: Raubtieraugen!

Kein Zweifel, er hatte den Grisly im Schlaf gestört! Und – wollte er hier lebend davonkommen, mußte er den Kampf mit dem Untier im Dunkeln wagen.

Seine Büchse war ihm bei dem Sturz vorhin entfallen. Sie hätte ihm hier auch nichts genützt. Er durfte sich lediglich auf seine Stärke, seine eisernen Nerven und die Sicherheit seines Stoßes mit dem Messer verlassen.

Er bückte sich rasch, tastete den Boden ab, fand auch, was er suchte: ein vielleicht anderthalb Zentner schweres Felsstück!

Er nahm das Messer zwischen die Zähne, schwang den Stein empor.

Da – die Bestie näherte sich.

Ein typisches Schnüffeln und Brummen erklang.

Heller leuchteten die glühenden Punkte vor ihm auf.

Jetzt schlug der stinkende Atem des Grisly dem kühnen Trapper betäubend ins Gesicht.

Er regte sich nicht.

Der Bär hatte sich zum Angriff aufgerichtet. Felsenherz sah die Augen in einer Linie mit den eigenen, hörte nun das gurgelnde Atmen.

Da – schlug er zu.

Das Felsstück traf – traf jedoch nicht den Schädel, sondern nur die Schnauze.

Knoche splitterten. Der Schlag war so kräftig gewesen, daß die Bestie für einen Moment zusammenbrach.

Felsenherz befühlte den zottigen Leib mit den Fingern, fand die Stelle unter der linken Vorderpranke, wo allein der tödliche Stich anzubringen ist und stieß zu – nochmals – nochmals –

Da schnellte der Bär hoch – aber nur, um röchelnd wieder umzusinken und unter wilden Zuckungen zu verenden.

Der blonde Trapper war Sieger geblieben. Die höhere Intelligenz des Menschen hatte über die brutale, weit überlegene Kraft des Raubtieres triumphiert.

Und doch: Was nutzte Felsenherz dieser Sieg, wo er wußte, daß jeden Augenblick hier die Apachen zu vierzig, fünfzig eindringen und ihm durch ihre Übermacht schnell bewältigen konnten!

Kaum der einen Gefahr entronnen, von dem Grisly zerfleischt zu werden, sah er sich schon der nicht geringeren gegenüber, den rachgierigen, durch die Niederlage am Charikahua-See noch ergrimmteren Feinden in die Hände zu fallen.

Was sollte dann wohl aus seinen Gefährten und ihm werden, wenn er nicht in der Lage war, sie zu befreien?! Alle – alle würden sie am Marterpfahl sterben! Der schnelle Büffel würde diesmal keine Stunde zögern, seine Gefangenen hinschlachten zu lassen, schon damit er seine erlittene Schlappe in den Apachendörfern durch die Kunde vom Martertod der beiden berühmten Westmänner mehr vertuschen könnte!

Welch schrecklichem Los ging auch Frau Luzie Pacharo als Gefangene der Apachen entgegen.

Nein – er durfte von den Rothäuten nicht erwischt werden! Er mußte sich schon im Interesse seiner Gefährten um jeden Preis retten.

Aber wie nur – wie?! Er hörte draußen im Kanon ja andauern das Gebrüll der mordgierigen Bande, die sich auf der Suche nach ihm befand. Das sie ihn schließlich hier aufstöbern würden, erschien ihm gewiß. Wie die Maus in der Falle saß er in dem gräulichen Gestank der Bärenhöhle in tiefster Finsternis.

Bärenhöhle – Gestank! –

Ah, ein rettender Gedanke durchblitzte sein Hirn. Die Apachen als Naturmenschen mußten mit ihren weit feiner ausgebildeten Sinnesorgane diesen für jede Grislybehausung so bezeichnenden Geruch noch früher bemerken als er vorhin.

Und – die fürchteten den Graubär! Sie würden es nie wagen, einen Grisly in seiner Höhle anzugreifen, wo sie keine Bewegungsfreiheit hatten.

Der Gedanke wurde rasch zur Tat. Sollte die List glücken, waren einige Vorbereitungen nötig. Die nahmen nicht viel Zeit in Anspruch.

 

 

4. Kapitel

Im Tal der Eichen.

Inzwischen hatten die Apachen oben im Kanon sowohl den Komanchenhäuptling als auch John Box und den Ranchero Pacharo gefangen genommen.

Der schwarze Panther war ebenfalls, nachdem er seinen Rappen herumgerissen hatte, mit dem Pferd gegen einen der heimtückischen Lassos gerannt und zu Fall gekommen. Bevor er sich noch unter dem Rappen wieder hervorarbeiten konnte, lagen ein Dutzend Apachen über ihm. Box und Pacharo flohen dann zwar eine Strecke im Kanon zurück, sahen sich jedoch sehr bald einer anderen Schar von Feinden gegenüber, die der schnelle Büffel hier versteckt hatte, damit den vier Verfolgern jeder Ausweg versperrt würde.

Der Oberhäuptling der Apachen musterte die Gefangenen wortlos. Aber in seinen blutunterlaufenen Augen flammte eine so ungezügelte Rachgier, daß der dicke John Box, der seine beneidenswerte Gemütsruhe selbst in dieser ernsten Lage bewahrte, seinen Leidensgefährten zurief:

„Meinetwegen mag man mich Zentimeter für Zentimeter rösten! Aus John Box’ Mund wird kein Schmerzensruf kommen!“

Da lachte der schnelle Büffel grimmig auf.

„Der kleine Jäger wird das Heulen und Bullen schon lernen! Und sein Freund Old Staked ebenfalls. Bereits in dieser Nacht werdet ihr alle im Tal der alten Eichen sterben.“

Dann wandte er sich um und befahl nach Felsenherz zu suchen. Auch er selbst beteiligte sich daran. Er hatte genau gesehen, wo der berühmte weiße Jäger aus dem Sattel geflogen und wie er zwischen die Steinblöcke gefallen war.

Als der Oberhäuptling jetzt den Eingang zu der Grislyhöhle entdeckte, ließ er harzige Kiefernäste herbeibringen und stieg mit einer brennenden Fackel in der Linken als erster in den steilen Schlund hinab, der erst weiter unten sich zur eigentlichen Höhle erweiterte.

Sehr bald stutzte der schnelle Büffel jedoch.

Da lag ein breitrandiger, blutbefleckter Filzhut. Die Krempe war an der einen Seite aufgerissen. Und dicht daneben blinkte auf dem Gestein ein langes Jagdmesser.

Prüfend sog der Apachenhäuptling die Luft ein. Schon beim ersten Schritt abwärts hatte er den scharfen Geruch bemerkt. Jetzt war dieser so stark, daß er keinen Augenblick zweifelte, die Höhle sei noch bewohnt.

Er bückte sich. Er wollte Hut und Messer aufheben, die ihm ebenfalls bewiesen, daß hier in der Höhle ein Bär steckte, der fraglos den blonden Jäger mit den Pranken niedergeschlagen und dann tiefer in seine Behausung hineingeschleppt hatte.

Er hatte bereits die Hand nach dem Messer ausgestreckt, als ein zorniges Brummen ihn wieder hochfahren ließ.

Undeutlich erkannte er nun auch einige Schritt weiter die riesige Gestalt eines Grisly, der sich auf den Hinterbeinen aufgerichtet hatte.

Gewandt wie eine Katze kletterte der Häuptling wieder ins Freie, ließ Hut und Messer liegen, rief oben seinen Kriegern zu, mit den Gefangenen sofort nach dem Tal der Eichen aufzubrechen. Er selbst und zehn seiner kräftigsten Männer wälzten rasch ein paar Steinblöcke über den Höhleneingang. Er wollte morgen, wenn die Gefangenen den Tod am Marterpfahl gestorben waren, hierher zurückkehren, den Grisly erlegen und die Überreste des berühmten Jägers suchen. Daß dieser tot war, stand für ihn fest. Der blutige Hut und das Messer bewiesen dies zur Genüge.

Eine Viertelstunde später lag der Kanon wieder einsam und verlassen da. Die Apachen waren weitergezogen.

Felsenherz, der den Grisly abgehäutet und das mächtige Fell umgenommen gehabt hatte, durfte sich jetzt ganz sicher fühlen. Die Apachen hielten ihn für tot. Das war die Hauptsache. Er reinigte seinen Hut und seinen Jagdanzug mit Moosstücken, kletterte in dem Loch empor, fand den Ausgang durch die Steine verrammelt und mühte sich eine geraume Weile ab, bevor er sie beiseite schieben konnte.

Nun war er frei. Mit aller Vorsicht kroch er in den Kanon hinein, das Messer in der Linken, den Tomahawk in der Rechten. Es waren seine einzigen Waffen.

Der Abend war mittlerweile angebrochen. Felsenherz wollte keine Minute Zeit verlieren. Er mußte ja recht bald die Apachen einholen, bevor diese noch in ihrem Blutrausch die Gefangenen niedermetzeln konnten. Nachdem er die Gewißheit erlangt hatte, daß der Oberhäuptling hier keine Wache zurückgelassen hatte, hieb er auf einem Felsplateau von ein paar Riesentannen harzige Äste ab und benutzte sie als Fackeln, um nach den Spuren des Reitertrupps zu suchen.

Es war ein mühevolles Unterfangen, auf diese Weise bei rasch zunehmender Dunkelheit die Richtung herauszufinden, die die Apachen eingeschlagen hatten. Erst als der Mond bereits am Himmel stand, erreichte der blonde Trapper, immer nach Osten zu durch Schluchten und Täler sich fortbewegend, die offene Prärie.

Hier konnte er endlich auf das Fackellicht verzichten, hier setzte er sich nun auf der im Mondschein klar vor ihm liegenden Fährte in Trab und lief mit kurzen Unterbrechungen weiter, bis die Grassteppe wieder hügeliger wurde und dann ein dunkler Waldstreifen vor ihm auftauchte.

Nachdem er auch den Wald passiert hatte, trieb ihm der frische, von Ost herüberwehende Wind den Brandgeruch von Lagerfeuern zu.

Eine buschreiche, schmale Savanne trennte ihn nur noch von dem flachen Tal, das die Apachen wegen der darin vorkommenden uralten Eichen ‚Tal der Eichen‛ nannten.

Bald lag er hinter ein paar Ginsterbüschen am Rande der westlichen Talwand und sah schräg unter sich die Apachen lagern. Sie hatten nur wenige Wachen ausgestellt. Die Pferde weideten außerhalb des Eichenhaines, von fünf jüngeren Kriegern ständig umkreist.

In der Mitte der Lagerfeuer waren vier Holzpfähle in die Erde eingegraben. An diese hatte man die beiden Biberjäger, den Komanchen und Sennor Pacharo aufrecht stehend gefesselt.

Die Pfähle befanden sich dicht nebeneinander in einer Reihe und gerade unter dem Laubdach der mächtigsten der Eichen.

Felsenherz’ Hoffnung, daß es ihm sehr bald gelingen würde, die Gefährten zu befreien, schwand nur zu schnell.

An dem lebhaften Hin und Her der Apachen bemerkte er, daß sie nicht daran dachten, sich zum Schlaf niederzulegen, und daß der schnelle Büffel entschlossen zu sein schien, die vier Männer noch in dieser Nacht sterben zu lassen.

Der blonde Trapper prüfte immer aufs neue die Örtlichkeit und die sonstigen in Betracht kommenden Umstände, ob es kein Mittel gäbe, den Gefährten Hilfe zu bringen.

Minute um Minute verstrich so in fruchtlosem Nachsinnen. Schon begannen die Apachen sich zur Beratung in engem Kreis um das Feuer des Häuptlings niederzusetzen, um darüber abzustimmen, wer von den Gefangenen zuerst sterben solle, als endlich – endlich dem rastlosen Hirn des berühmten Trappers ein abenteuerlicher Gedanke entsprang.

Mit den gewöhnlichen Mitteln konnte er die Gefangenen nicht befreien. Nein – zunächst mußte er dafür sorgen, daß die Marterung verschoben wurde.

Das Tal der Eichen hatte zumeist steinigen Boden. Das Gras, das in hohen Büscheln hier wuchs, war durch die Dürre der letzten Wochen völlig trocken und mußte wie Zunder brennen. Die Talmulde selbst zog sich in sanftem Bogen von Osten nach Westen hin, hatte nur im westlichen Winkel eine nach Norden gehende Ausbuchtung. In dieser lagerten die Apachen.

Felsenherz kroch hinter den Ginstersträuchern hervor und am Talrand nach Osten weiter. Als eine Reihe von Büschen ihn deckte, begann er zu laufen. Am Ostende des Tales, für die Rothäute unsichtbar, setzte er an mehreren Stellen mit Hilfe seines Präriefeuerzeuges das Gras in Brand.

Hierauf rannte er am Ostrand wieder zum Lager zurück, schlich bis an die äußerste der Eichen des weiten Haines, erkletterte sie und schwang sich voll Kraft und Gewandtheit von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, bis er jene mehr einzeln stehende geradezu ungeheure Eiche erreicht hatte, unter der die Pfähle für die Gefangenen eingegraben waren.

Wie er nun mit größter Behutsamkeit in diesem Baumriesen tiefer nach unten stieg, wurden die Apachen auf den näher rückenden Feuerschein aufmerksam.

Da der Wind jetzt gegen Mitternacht noch frischer geworden war und das brennende Gras mächtige Qualmschwaden entwickelte, die vor dem eigentlichen Feuermeer herzogen wie eine schwarze Wolke, war der Ostteil des Wäldchens in wenigen Minuten in dicksten Qualm gehüllt. Gerade dort hatten die etwa hundertzwanzig Mustangs geweidet. Die Pferdewächter verloren jede Gewalt über die durch den Rauch scheu gewordenen Tiere. Es ereignete sich jetzt das, was die Mexikaner auf den großen Viehfarmen eine Stampeda nennen: Die Tiere brachen in geschlossener Masse nach Westen zu durch, überrannten die Apachen und richteten eine heillose Verwirrung an.

Inzwischen waren die Rauchmassen noch näher gekommen. Felsenherz konnte kaum noch erkennen, wo die Gefangenen standen.

Da ließ er sich von dem untersten Ast hinter den Pfählen zu Boden fallen; und schon arbeitete sein Messer mit Windeseile, fuhr durch die fesselnden Riemen.

Und jedem der Befreiten flüsterte er zu:

„Nach Norden, dann warten!“

Sengende Hitzewellen nahten. Es war die höchste Zeit gewesen. Schon hatten sich auch die Apachen wieder gesammelt; schon hörte man des schnellen Büffels überlaute Befehle, die Gefangenen mitzunehmen.

Felsenherz rannte mit angehaltenem Atem los. Vor ihm befanden sich Chokariga und der Ranchero, neben ihm der überlange Old Staked. Der dicke Box schien eine andere Richtung eingeschlagen zu haben.

Das hüpfende Flammenmeer der brennenden Grasbüschel fand unter den Eichen weniger Nahrung, da hier die Halme noch frischer waren. Es erlosch langsam. Aber Hitze und Qualm wurden weiter getrieben, scheuchten die Apachen größtenteils vor sich her, die keine Zeit mehr gehabt hatten, sich um die Gefangenen zu kümmern. Nur Frau Luzie Pacharo, die man in einer Zweighütte untergebracht gehabt hatte, war von ein paar Apachen eilends weggeschleppt worden.

 

 

5. Kapitel

Frau Pacharos Befreiung.

Felsenherz, der schwarze Panther, Old Staked und Sennor Pacharo hatten sich gerade nur soweit vom Nordrand des Tales in die Prärie hinaus geflüchtet, als sie durch Rauch und Hitze dazu gezwungen wurden.

Der Komanchenhäuptling hatte sich dann sofort flüsternd mit seinem Freund beraten. Nun eilten die vier Männer nach Süden zu weiter, bogen dann wieder nach Westen ab und gelangten so hinter die Qualmmassen und sofort wieder in das Tal hinab, nachdem die Luft sich auch nur etwas geklärt und abgekühlt hatte. Der schwarze Panther wußte genau, wo die Waffen der Gefangenen von den Apachen niedergelegt worden waren: unweit des Lagerfeuers des Oberhäuptlings.

Mit raschen Sprüngen jagten die vier dieser Stelle zu, um noch vor Rückkehr der Rothäute wieder in den Besitz ihrer Waffen zu gelangen.

Der Hain war noch frei von Rothäuten. Nur neben dem glimmenden Feuer des schnellen Büffels hockten zwei Gestalten, ein Indianer und ein dicker, zwergenhafter Weißer.

„Uff!“ rief selbst der schwarze Panther vor Erstaunen, als er John Box und neben diesem – den gefesselten und geknebelten Oberhäuptling erblickte.

Der Dicke grinste vergnügt. „Der rote Halunke lief mir gerade in den Weg,“ meinte er mit seiner unerschütterlichen Ruhe. „Da gab ich ihm einen Klapps auf den Schädel – mit einem Stein, – na, und nun warten wir hier das weitere ab!“

Er hatte seine schwere Doppelbüchse im Schoß und deutete neben sich.

„Da – bedient euch! Es ist nichts gestohlen worden. Gewehre, Pulverhörner, Messer, Tomahawks – alles da!“

Old Staked reichte dem Kameraden fast gerührt die Hand.

„Bin deinetwegen schon etwas in Sorge gewesen, Box! Hast deine Sache gut gemacht!“ –

Felsenherz packte sich den Oberhäuptling auf die Schulter.

„Folgt mir, Freunde,“ sagte er kurz. „Dort in Ostteil des Tales gibt es einen sicheren Platz für uns.“

Man hörte schon die Stimmen der herbeigekommenen Rothäute, die einander erregt nach dem Verbleib des schnellen Büffels ausfragten.

Die fünf Gefährten war rasch hinter den rauchgeschwärzten nächsten Randbüschen verschwunden. Der blonde Trapper führte sie eilends zu einer Art Felskanzel an der nördlichen Talwand, die infolge ihrer besonderen Lage die besten Verteidigungsmöglichkeiten bot. Hier blieben dann die beiden Biberjäger und Pacharo mit dem Gefangenen Oberhäuptling zurück, während Chokariga und sein weißer Bruder den Versuch machen wollten, Frau Pacharo ebenfalls zu befreien und die Pferde herbeizuholen, die freilich recht weit in die Prärie hinausgestürmt sein konnten.

Die beiden berühmten Westmänner umgingen das Tal nach Süden in weitem Bogen und stießen sehr bald auf einzelne Indianermustangs, die hier friedlich wieder das Gras abrupften und sich ruhig einfangen ließen. Bald hatten die beiden Jäger auf diese Weise etwa vierzig der struppigen Pferdchen mit den Zügeln aneinander gebunden und für sich selbst zwei der kräftigsten Tiere als Reitpferde ausgesucht.

Der Mond versteckte sich jetzt hinter ein paar Wolkenschleiern. Die Dunkelheit konnte den Freunden nur nützlich sein. Da bemerkten sie mehrere berittene Apachen, die auf der Suche nach den anderen Mustangs waren. Sie duckten sich tief auf den Rücken ihrer Pferde und ließen die acht Indsmen ganz nahe herankommen.

Es war jüngere Krieger, die Pfeilköcher und Bogen umgehängt hatten und noch keinerlei Gefahr ahnten.

Der Mond erschien wieder. Im selben Moment richteten Felsenherz und der Komanche sich auf, legten auf die völlig Überraschten an und zwangen sie, sich gefangen zu geben. Während der blonde Trapper sie mit der Büchse weiter bedrohte, nahm der schwarze Panther ihnen die Lassos ab und band sie damit auf ihren Mustangs fest.

Nun wagten die beiden Westmänner sich näher an das Lager heran, bis sie eine Gruppe von drei Pferden bemerkten, denen man schon von weitem ansah, daß es edlere Tiere waren. Felsenherz und Chokariga brauchten dann nur den wohlbekannten Pfiff auszustoßen, und ihr Rappe und der Fuchs kamen in kurzen Galoppsprüngen von selbst auf sie zu. Auch der Braune des Ranchero folgte hinterdrein.

Die Freunde berieten, ob sie jetzt sofort sich noch nach Frau Pacharo umschauen sollten. Felsenherz schlug vor, daß der schwarze Panther die neuen Gefangenen und die Mustangs nach dem Ostwinkel des Tales bringen sollte. Er selbst wollte das Lager beschleichen und zusehen, was sich für die Gattin des Ranchobesitzers tun ließ.

So ritt denn Felsenherz allein nach Nordwest weiter. Abermals verbarg sich das Nachtgestirn hinter dichtem Gewölk. Fünfhundert Meter vor dem Tal machte Felsenherz halt, führte seinen Fuchs in ein dichtes Gebüsch und kroch dann näher an das Lager heran, wo die Apachen sowohl durch das Verschwinden ihres Oberhäuptlings als auch durch die Flucht der Gefangenen aufs höchste beunruhigt noch nichts unternommen hatten, die Flüchtlinge zu verfolgen.

Frau Pacharo saß in trostloser Stimmung inmitten der Rothäute am Fuß einer der Eichen. Das Entweichen ihres Mannes hatte ihr von Seiten der rachelüsternen Apachen die wildesten Drohungen eingebracht. Bisher war sie nicht allzu hart behandelt worden. Jetzt aber trafen sie immer wieder gehässige Blicke. Die bedauernswerte Frau war am Rand ihrer Kräfte. Zu allem Unheil kehrten jetzt noch zwei Krieger zurück, die auf der Suche nach den Mustangs das Versteck der weißen Jäger entdeckt und auch Chokariga beobachtet hatten, wie er die Pferde und die acht Gefangenen seinen Gefährten zuführte.

Auf diese Meldung hin gebärdeten die Apachen sich wie Rasende. Die Niederlage am Charikahua-See, die Flucht der verhaßten Feinde und jetzt noch das unerklärliche Verschwinden ihres Oberhäuptlings, der ja fraglos in die Gewalt der Trapper geraten war, stachelte ihren ohnmächtigen Grimm zu besinnungsloser Mordgier auf.

Der Unterhäuptling Oputa, das lange Messer, sprang auf Frau Pacharo zu, riß sie empor und schwang schon den Tomahawk zum tödlichen Hieb, als der scharfe Knall eines Büchsenschusses das Geheul der Apachen übertönte. Oputa taumelte mit durchschossenem Schädel zur Seite. Dann sprengte ein Reiter mitten in den Haufen der Rothäute hinein.

Felsenherz war’s, der nun mit Donnerstimme den roten Kriegern zurief:

„Der schnelle Büffel wird sterben, wenn sich auch nur ein Arm gegen mich erhebt!“

Dann hob er Frau Pacharo zu sich in den Sattel, und mit mächtigen Sätzen durchbrach der hochbeinige Fuchs abermals den Kreis der ob dieses kecken Streiches völlig gelähmten Indianer.

Wohlbehalten brachte der blonde Trapper die überglückliche Frau nach der Felskanzel. Sofort wurde nun aufgebrochen. Der schwarze Panther ritt voran in die Prärie hinein. Ein hohler Regenwind fuhr über die Grassteppe hin. Zehn Minuten später ging ein wahrer Wolkenbruch hernieder, dessen Wassermassen die Spuren der Flüchtling völlig verwischten.

Am nächsten Mittag wurden der schnelle Büffel und die anderen acht Apachen freigelassen. Zu Fuß mußten sie den Dörfern ihres Stammes am Rio Pecos zuwandern.

Old Staked und John Box konnten dann ungestört am Bibersee ihre Fallen aufstellen, machten reiche Beute und begleiteten später die beiden berühmten Westmänner nach dem Jagdgebiet der Komanchen.

 

 

Fußnoten:

1 alter Pfahl, also eine Anspielung auf die hagere Figur seines Freundes

2 Büchse

3 Pistons sind die kegelförmigen, durchflochten Eisenstücke am Ende der Gewehrläufe, auf die man die Zündhütchen drückt, die dann durch den Schlag des Hahnes entzündet werden und das Pulver im Lauf zur Explosion bringen