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Auf der Fährte der Sioux

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

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Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 24

Auf der Fährte der Sioux.

 

 

Erstes Kapitel

Der tote Mustang.

Das Mondlicht lag mit bläulichem Glanz über der hügeligen, von einzelnen Buschinseln belebten Prärie. Im Norden reckten sich die Bergzüge der Black Hills zum klaren Nachthimmel wie eine am Horizont lagernde dunkle Wolke empor.

Eine Schar von Präriewölfen, die im Kreis um einen toten Mustang, einen Indianergaul, saßen und den leckeren Fraß gierig betrachteten, sorgte für ein mißtönendes nächtliches Konzert.

In einen nahen Gestrüpp regte es sich kaum merklich. Zwei Männer waren schattengleich hineingeschlüpft und musterten jetzt zwischen dem Blattgewirr hindurch den Pferdekadaver und die Coyoten, die vor Gier immer lauter heulten, ohne es jedoch zu wagen, näher an den hochwillkommenen Braten heranzurücken.

„Mein Bruder Felsenherz sieht den toten Mustang und die feigen Coyoten,“ flüsterte jetzt der eine der beiden Männer. „Felsenherz denkt genau dasselbe wie sein Bruder Chokariga. Er hat soeben leise gelacht.“

„Der schwarze Panther und Felsenherz haben stets dieselben Gedanken,“ erwiderte der berühmte Trapper noch leiser. „Chokariga hört auch das Geräusch der kreischenden Achsen der vier Auswandererwagen, die dem Mann gehören, der uns vor drei Stunden Goldstaub gegen Pulver einzutauschen sich weigerte und uns mit groben Worten wegjagte, als ob wir Buschklepper wären. Die Auswanderer werden drüben an dem Bach lagern. Drei ihrer jungen Leute sind dort bereits zu erkennen. Die Coyoten fliehen. Auch sie haben den Wagenzug gehört.“

Der Trupp der Präriewölfe verschwand nach Norden zu.

Fünf Minuten blieb es still. Nur der Lärm der nahenden schweren Wagen ward immer deutlicher, und drüben am Bachufer waren drei Reiter zu erkennen, die jetzt die Umgegend abzusuchen schienen.

Einer von ihnen trabte jetzt an dem Pferdekadaver vorüber. Es war ein ganz junger Mensch, schmal, hochaufgeschossen, vielleicht sechzehn Jahre alt. Quer über den Sattel gelegt trug er einen doppelläufigen Stutzen.

Er schien sich um den toten Mustang nicht weiter kümmern zu wollen. Dann aber machte er plötzlich kehrt und sprang aus dem Sattel, besichtigte das verendete Pferd genau und sprach dabei halblaut vor sich hin:

„Seltsam! Die Schußwunde im Kopf ist ganz frisch! – Es ist ein indianisches Packpferd gewesen, ein bereits recht altes Tier.“

Er bückte sich noch tiefer und musterte die Fährten im Gras.

„Es muß aus größerer Entfernung erschossen worden sein,“ sagte er wieder zu sich selbst. „Hier sind nur die Spuren des einen Mustangs zu bemerken. Aber wieviel Blut ist hier vom Grasboden aufgesogen worden. Merkwürdig! Das kann doch nicht alles aus der Schädelwunde geflossen sein.“

Unwillkürlich hatte er die letzten Sätze nach lauter gesprochen. Ihn beunruhigte das tote Tier. Er war nun ja bereits mit seinem Onkel Albert Glynbrac, der irgendwo ein passendes Gelände zur Gründung einer Niederlassung suchen wollte, seit zwei Monaten unterwegs. Während dieser beiden Monate hatte der aus insgesamt zwanzig Personen bestehende Auswanderertrupp schon allerlei erlebt, und gerade dieser Jüngling, Edward Glynbrac mit Namen, war einer der wenigen männlichen Teilnehmer des gefährlichen Zuges durch die Indianergebiete gewesen, der stets mit offenen Augen sich alles Neue und Ungewohnte angesehen und das meiste Geschick zu einem Fährtensucher bewiesen hatte, obwohl all seine Verwandten dies nie hatten anerkennen wollen, ihn im Gegenteil stets wegen seiner dauernden Wachsamkeit und wegen seines nie müden Mißtrauens verhöhnt hatten. –

Edwards Selbstgespräch war auch von den beiden in einem Gebüsch verborgenen berühmten Westmännern verstanden worden.

„Es ist derselbe junge Bursche,“ flüsterte der blonde Trapper Felsenherz, der seinem Oheim zuredete, uns Pulver abzugeben, und der noch betonte, daß man ja genug Schwarzpulver mithätte, und das es doch Christenpflicht sei, zwei Trapper nicht mit leeren Pulverhörnern mitten im Gebiet der Sioux wieder wegzuschicken. Aber mit dem groben, finsteren Auswandererführer war ja nichts anzufangen. Der Mensch konnte uns gar nicht rasch genug wieder davonjagen.“

Chokariga, der Komanchen Häuptling fügte kalt hinzu:

„Dieses Blaßgesicht mit dem langen schwarzen Bart und den funkelnden, listigen Augen des Marders hat Chokariga einen roten Spitzbuben genannt. Chokariga wird dies nicht vergessen.“

Inzwischen hatte Edward Glynbrac seinem Ritt fortgesetzt. Er beschrieb einen großen Kreis um die Stelle am Bach, wo sein Onkel inzwischen auf einem Hügel die Wagen zum Viereck hatte auffahren lassen und auch gleich drei der Seinen als Wachen bestimmt hatte.

Der Jüngling näherte sich jetzt von Süden her abermals dem Platz, wo der tote Mustang lag. Sein reger Geist hatte sich unaufhörlich mit dem noch so frischen Tierkadaver beschäftigt. Da es sich fraglos um ein indianisches Packpferd handelte, wie ihm die kahl gescheuerten Stellen des Felles verraten hatten, mußte doch, so sagte er sich, eine größere Abteilung Rothäute in der Nähe sein, denn kleinere Trupps würden ja kaum Packpferde mit sich führen. Da er jedoch bei seinem Kreisritt soeben nichts Verdächtiges wahrgenommen hatte, wollte er jetzt der Fährte des Mustangs, der bei diesem hellen Mondlicht deutlich im hohen Präriegras zu erkennen war und die von Norden her wie ein Strich durch die Steppe lief, mindestens eine Meile weit verfolgen.

Mittlerweile hatten die beiden Westmänner, die bis vor drei Tagen von den Sioux unermüdlich gehetzt worden waren und vorher bei einem Kampf mit ihren mordgierigen Feinden den ganzen Vorrat an Pulver verbraucht hatten, ihre Pferde aus einem weiter nordwestlich liegenden Wäldchen geholt und waren gleichfalls nach Norden abgebogen, indem sie sie stets parallel der Fährte des nachher erschossenen Mustangs hielten.

Sie waren so noch keine halbe Meile geritten, als Felsenherz, der von einem Hügel aus rückwärts geblickt hatte, den jungen Edward Glynbrac bemerkte, der auf der Fährte entlangtrabte.

Auch Chokariga sah ihn jetzt und meinte in seiner knappen Ausdrucksweise:

„Das junge Blaßgesicht wird den Skalp verlieren. Die Krieger der Sioux sind listiger als die feigen Hunde der Apachen.“

„Wir werden ihn warnen,“ erklärte der blonde Trapper ebenso kurz. Dann schwenkten sie nach Westen in ein tiefes Tal ein. –

Edward Glynbrac bog gerade um eine langgestreckte Buschinseln, als er im Schatten der Sträucher die beiden Reiter erkannte. Sofort riß er den Stutzen hoch und brachte sein Pferd zum Stehen.

Doch Felsenherz rief ihm leise zu:

„Kommt nur näher, junger Freund. Felsenherz und Chokariga haben mit euch zu sprechen.“

Edward ließ die Waffe sinken und machte dann vor den beiden berühmteten Jägern halt.

„Junger Mann,“ sagte der blonde Trapper nun eindringlichen Tones, „reitet zurück und nehmt euren groben Oheim mit zu dem toten Mustang. Dann wird der wohl glauben, was ich ihm schon heute nachmittag erklärte: daß die Sioux euren Wagenzug dauernd beobachten und nur auf eine Gelegenheit warten, euch anzugreifen.“

„Oh, ich danke euch herzlich für eure Warnung, Master,“ erwiderte der Jüngling, der noch nicht wußte, wen er vor sich hatte, höflich. Er hielt Chokariga und Felsenherz für zwei gewöhnliche Savanneläufer. Gewiß, er hatte von ihnen schon sehr viel gehört, denn der Ruhm dieses seltenen Freundespaares reichte bis weit in die Ansiedlungen des Ostens hinein. Daß es aber der schwarze Panther und sein weißer Bruder gewesen, die nachmittags umsonst um Pulver gebeten, ahnte er nicht.

„Ich selbst habe mir bereits gedacht, daß der Mustang vielleicht ein Packpferd der Sioux gewesen ist,“ fügte er hinzu. „Freilich – zu welchem Zweck das Tier erschossen wurde, habe ich noch nicht ergründen können.“

„Dann mag euer Oheim nur die leere Bauchhöhle des Mustangs untersuchen,“ meinte der blonde Trapper mit feinem Lächeln. „Die Eingeweide und alles andere hat der Reiter des Mustangs nebenbei im Gebüsch vergraben. –

So, junger Freund, nun macht, daß ihr wieder zu euren Verwandten kommt. Haltet die Augen gut offen, rate ich euch nochmals. Wenn euer Oheim uns nicht so unfreundlich behandelt hätte, würden wir mit euch reiten. So aber verbietet uns unser Stolz, uns in eure Angelegenheiten zu mischen. –

Lebt wohl! Vielleicht sehen wir uns wieder!“

Edward wollte jetzt gutmachen, was Albert Glynbrac den beiden Jägern durch seine schroffe Art angetan hatte.

„Master,“ sagte er, „ihr sollt von mir Pulver haben! Mein Horn ist frisch gefüllt. Der Inhalt reicht für vierzig Schuß. Nehmt dieses Geschenk nur an. Ohne Pulver sind eure Büchsen nichts wert.“

Felsenherz gab ihm die Hand.

„Ihr seid ein braver Bursche. Gut, wir nehmen das Pulver. Doch der halbe Inhalt eures Horns genügt uns.“

Gleich darauf trabte Edward wieder von dannen.

Felsenherz und Chokariga aber luden ihre Doppelbüchse und ritten dann abermals im Bogen nach Süden zu.

 

 

2. Kapitel

Okipatu, der Sohn des Häuptlings.

In der Wagenburg der Auswanderer empfingen die männlichen Mitglieder den jungen Edward mit den üblichen höhnischen Redensarten.

Edward blieb ganz ruhig und erklärte nur:

„Ich traf die beiden Jäger, den Weißen und die Rothaut, vorhin dort im Norden. Sie haben mich nochmals vor den Sioux gewarnt und mir geraten, den toten Mustang dort drüben genauer mir anzusehen. Ich möchte dich daher bitten, Oheim Albert, mich dorthin zu begleiten.“

Der finster blickende Albert Glynbrac lachte ärgerlich auf.

„Du bist ein Narr, mein Junge! Was ist wohl an einem toten Gaul zu sehen?!“

Da trat Edwards Schwester Lizzie neben den Bruder und meinte energisch:

„Ihr vergeßt, daß Edward euch bereits im Jagdgebiet der Cheyenne-Indianer dreimal vor einem Überfall bewahrt hat!“ –

Lizzie und Edward waren Waisen. Sie hatten ihre Jugendjahre im Hause ihres Oheims in dem Städtchen Springfield verlebt und stets böse Tage unter der strengen Zucht des unfreundlichen Verwandten gehabt. Lizzie, jetzt zwanzig Jahre alt, war ein hübsches frisches Mädchen, die den Bruder stets vor den rohen Männern in Schutz nahm. Sie hatte einen großen Einfluß auf ihren Onkel, der ihr gegenüber in letzter Zeit immer sehr vorsichtig in seinen Reden gewesen war. Edward hatte daher auch längst den Eindruck gewonnen, daß Lizzie irgend etwas über Albert Glynbrac wissen müsse, das ihr solche Macht über den rüden, gewalttätigen Mann gab.

Auch jetzt sagte der Anführer der Auswanderer denn auch brummig und widerstrebend, man könnte ja schließlich einmal nachschauen, was es mit dem erschossenen Mustang auf sich hätte.

So begaben sich denn Albert Glynbrac, die beiden ältesten seiner Söhne und Edward nach jener etwa tausend Meter entfernten flachen Mulde hin, in der das Pferd lag.

Inzwischen hatte sich jedoch der Himmel bewölkt. Hinter den träge ziehenden Wolken verbarg sich die Mondscheibe gerade dann aufs neue, als die vier den Kadaver erreicht hatten, so daß man nur eine dunkle Masse am Boden zu erkennen vermochte.

Edward fieberte jetzt förmlich vor Ungeduld, denn er wußte ja, daß er seinem Oheim, der ihn förmlich mit heimlichem Haß verfolgte, nunmehr beweisen könnte, wie sehr er ihm geistig überlegen war.

Als sie nun um den toten Mustang herumstanden, sagte er zu Albert Glynbrac:

„Ich habe aus den Andeutungen der beiden Jäger entnommen, daß in dem Leib des toten Mustangs ein Siouxspäher verborgen ist. Du hattest ja diesen Lagerplatz dort am Bach bereits gegen Abend aussuchen lassen, Oheim, und die Sioux, die uns beständig umlauern, werden wohl aus Verschiedenem geschlossen haben, daß unser Zug sich hierher wenden würde. Da schickten sie eben einen einzelnen Reiter auf einem wertlosen Packpferd aus und befahlen ihm, das Tier zu erschießen und sich in dessen Leib zu verbergen. Diese Art Versteck ist, wie ich in Büchern gelesen habe, durchaus nichts Ungewöhnliches. Bei Präriebränden haben Indianer und Weiße sie schon oft genug dadurch vor dem Feuer geschützt, daß sie in einen Büffelkadaver hineinkrochen.“

Albert Glynbrac machte eine verächtliche Handbewegung.

„Unsinn –! All das sind Märchen!“ meinte er höhnisch. „Du hast dir den Kopf mit Räubergeschichten vollgepfropft, die –“

In demselben Moment trat der Mond wieder hinter dem Gewölk hervor, und Edward hatte sich rasch gebückt und mit seinem Stutzenkolben die Bauchseite des Kadavers samt einem Teil der geknickten Rippen emporgehoben.

Ein Indianer schoß jetzt wie ein Pfeil aus dem Leib des Tieres hervor, wollte fliehen.

Da hatte John Glynbrac, der älteste Sohn des Auswanderers, die Büchse bereits hochgerissen. Bevor Edward den Büchsenlauf noch zur Seite schlagen konnte, knallte bereits der Schuß, und der Siouxkrieger, der kaum fünfzehn Schritt weiter hatte flüchten können, brach zusammen.

Edward eilte sofort zu ihm. Auch John Glynbrac, ein baumlanger Mensch mit rohem Gesicht, lief hinter Edward drein und brüllte:

„Ich werde dem roten Halunken den Rest geben, falls er noch nicht krepiert sein sollte!“

Der Sioux, ein schlanker, kaum achtzehnjähriger Jüngling, hatte sich stöhnend auf den linken Arm gestützt und sich halb aufgerichtet. Die Kugel war ihm in die linke Schulter gedrungen.

Edward beugte sich zu ihm hinab.

Da war auch schon John herangekommen, stieß Edward beiseite und holte mit dem Büchsenkolben zum tödlichen Hieb aus.

„John, das ist Mord!“ rief Edward empört und sprang gewandt den riesigen Menschen an, so daß der Hieb vorbeiging.

„Bist du verrückt!“ knirschte John in maßloser Wut. „Scher’ dich zum Teufel, du Narr! Was kommt es wohl auf ein Rotfell mehr oder weniger an!“

Auch der alte Glynbrac schrie jetzt: „Mach’ ihn kalt, John! Diese roten Banditen –“

Er verstummte.

Aus dem nahen Gebüsch waren zwei Männer hervorgetreten und kamen schnell näher.

„Ah – die beiden Präriediebe!“ lachte Albert Glynbrac. „Ihr habt hier nichts verloren, ihr beide! Mit Leuten eurer Art wollen wir –“

Felsenherz und Chokariga hatten plötzlich die Büchsen in Anschlag.

„Wer auch nur einen Finger rührt,“ drohte der blonde Trapper, „erhält eine Kugel! Kehrt in euer Lager zurück! Wir dulden keinen Mord!“

Wieder lachte der alte Glynbrac voller Hohn.

„Meint ihr, wir fürchten eure Schießprügel! –

Jungens – zeigt’s ihnen, daß wir –“

Da knallte des Komanchen Büchse.

Albert Glynbracs Flinte flog ins Gras.

Und wieder warnte der blonde Trapper:

„Leute, ihr solltet besser Frieden halten! Ihr seht, daß mit uns nicht zu spaßen ist! Verschwindet sofort!“

Die beiden Glynbracs waren durch den Meisterschuß, der des alten Büchse so sicher getroffen hatte, derart verdutzt, daß sie sich nicht mehr zu wehren wagten.

Edward stand noch immer wie schützend vor dem jungen Sioux.

Seines Oheims Wut entlud sich nun gegen ihn selbst.

„Ah – also du hast den beiden zu Pulver verholfen, du heimtückischer Lump!“ brüllte er. „Woher sollten sie sonst wohl Pulver erhalten haben?! Warte, Bursche, im Lager rede ich noch ein Wörtchen mit dir!“

Er bückte sich, hob seine Büchse auf und schritt dem Bach zu. Seine Söhne folgten ihm.

Felsenherz wandte sich jetzt an Edward.

„Ihr tätet besser, junger Freund, euch uns anzuschließen. Mir scheint, daß eure Verwandten euch nicht gerade lieben.“

Chokariga hatte still den Sioux beobachtet und kniete nun nieder, untersuchte die Schulterwunde und meinte:

„Der schwarze Panther der Komanchen sieht heute Okipatu, den Sohn des heulenden Wolfes, des Häuptlings der Sioux, zum ersten Mal. Okipatus Vater hat meinem weißen Bruder Felsenherz und mich seit Tagen gehetzt. Die Sioux hatten keinen Grund, uns als Feinde zu behandeln. Was sagt Okipatu, das schnelle Elentier, hierzu?“

Der Sioux schwieg.

Edward aber hatte mit Staunen den Namen Felsenherz vernommen und rief nun:

„Ihr seid Felsenherz und Chokariga, die beiden berühmtesten Jäger der Prärien?! Weshalb habt ihr meinem Oheim nicht schon –“

Chokariga unterbrach ihn.

„Der junge Krieger der Blaßgesichter mag sich entscheiden, ob er uns begleiten will. Wir dürfen keine Minute verlieren. Die Sioux werden sehr bald durch die Schüsse herbeigelockt, ihre Späher aussenden und das Lager noch enger umzingeln. Dann wird eine Flucht unmöglich sein. Tara Mattu, der heulenden Wolf, hat gegen vierhundert Krieger bei sich. Er wird für die Verwundung seines Sohnes blutige Rache nehmen.“

Edward erwiderte freimütig:

„Häuptling, ich will mich von meinen Verwandten nicht trennen. Meine Schwester Lizzie und ich sind im Hause meines Oheims erzogen worden. Wir schulden ihm Dank, wenn er uns auch stets herzlos behandelt hat. Ihn in der Stunde der Not zu verlassen, wäre eine Feigheit.“

Chokariga nahm Okipatu wortlos in die Arme und trug ihn nach den Büschen. Felsenherz aber drückte Edward kräftig die Hand.

„Junger Freund, wenn ihr euch die Sache doch anders überlegen solltet, so findet ihr uns drüben im Osten eine halbe Meile bachaufwärts in dem Wald, der in der Mitte von einem kahlen Berg überragt wird. Dieser Berg ist den Sioux heilig. Dort begraben sie stets ihre Häuptlinge. Dort sind wir sicher vor ihnen, so hoffe ich.“

Dann schritt auch er davon. –

Edward kehrte zögern in das Lager zurück. Aber der Empfang, der seiner wartete, übertraf noch seine Befürchtungen.

Albert Glynbrac hatte in der Wagenburg vier Feuer anzünden lassen. Kaum erblickte er seinen Neffen, als er schon zusprang und ihm mehrere Schläge ins Gesicht versetzte. Wäre Lizzie nicht, bleich und zitternd vor Empörung, dazwischen getreten, so hätte der rüde Alte in seiner blinden Wut wohl noch zur Waffe gegriffen.

Lizzie riß den Oheim zurück.

„Ich warne dich!“ rief sie. „Vergiß nicht, daß du uns bisher die Erbschaft meiner Eltern vorenthalten hast! Wenn ich dich nicht einen Betrüger nennen soll, so gebt uns jetzt sofort den kleinen, mehrfach versiegelten Holzkasten heraus, den mein sterbender Vater mir er damals Vierzehnjähriger, in die Hände legte.“

Die Auswanderer, sämtlich Verwandte Albert Glynbracs, hatten sich im Kreis um die drei Menschen versammelt, zwischen denen jetzt der längst heimlich glimmende Haß hoch aufloderte.

Der finstere Alte war bei der Erwähnung des Holzkasten leicht zusammengefahren, rief nun aber mit gut gespielter Entrüstung:

„Wie – und die Kosten eurer Erziehung?! Wollt ihr etwa, daß ich euch jahrelang umsonst gekleidet und ernährt habe?! Der Kasten enthielt nur eine geringe Summe Geldes, und dieses ist für euch verbraucht worden.“

Lizzie lachte jetzt schneidend auf.

„Das ist nicht wahr, Oheim! Unser Vater hat vier Jahre als Goldsucher die Berge der Black Hills durchstreift. Krank und siech durch einen Indianerpfeil, der seine Lunge durchbohrt hatte, kam er zurück. Der Kasten war schwer. Es müssen Goldkiesel darin gewesen sein. Und dann noch das, was mein Vater mir in seiner Todesstunde anvertraut hat: Die Zeichnung über einen Ort, wo ein goldhaltiger Bach dahinfließt! – Wo ist diese Zeichnung, Oheim?! Und – weshalb bist du gerade bis hierher in die Nähe der Black Hills vorgedrungen?!“

Albert Glynbrac stand zitternd vor Grimm da. Plötzlich hob er die geballte Faust und schlug Lizzie mitten vor die Stirn.

Sie taumelte, sank zur Seite. Edward fing sie auf.

Und schon brüllte der Alte wieder in seiner zügellosen Wut:

„Treibt sie zum Lager hinaus! Sofort! Mögen sie zusehen, wie weit sie ohne uns kommen!“

Nicht einer der Männer, nicht eine der fünf Frauen legte ein gutes Wort für die Geschwister ein. Sie alle wußten ja, daß man nur zum Schein als zukünftige Ansiedler in den Westen hinausgezogen war. Allen war nur zu gut bekannt, daß die Kinder des Goldsuchers Austin Glynbrac um das Geheimnis ihres Vaters betrogen werden sollten. Alle waren in den schändlichen Plan eingeweiht

Edward, dessen Gesicht durch die Schläge zu schwellen begann, führte Lizzie rasch zu den Pferden hin. Wortlos sattelte er seinen Falben und seiner Schwester kleinen Fuchs, wortlos verließen sie das Lager und trabten dann den Bach entlang nach Osten zu.

 

 

3. Kapitel

In der Gewalt der Sioux.

Inzwischen waren Felsenherz und Chokariga mit dem verwundeten Häuptlingssohn auf flinken Rossen bereits bis in die Nähe jenes Waldes gelang, der wie ein grüner Gürtel den kahlen, felsigen Lapu Sinkar, den Berg der Toten, einschloß.

Der Mond war längst wieder hinter dichtem Gewölk verschwunden. Felsenherz ritt jetzt auf seinem hochbeinigen Braunen ein Stück voraus, während der schwarze Panther mit Okipatu auf einem Inselchen des Baches, das mit Dornen dicht bewachsen war, zurückblieb.

Der Komanchenhäuptling schnitt den jungen Sioux die Kugel geschickt heraus und legte ihm einen Verband aus zerquetschten Blättern an.

Okipatu hatte bei der raschen Operation kaum etwas gestöhnt. Seine dunklen Augen hingen jetzt dankbar an dem edlen Gesicht des berühmten Häuptlings.

„Chokariga ist ein großer Krieger,“ flüsterte er leise. „Wenn die Sioux ihn fangen, wird der ohne Klagelaute am Marterpfahl sterben.“

Der Komanche erwiderte nichts, nahm seine Büchse und verließ die Lichtung des Inselchens, stellte sich am Ufer hinter einen Weidenstumpf und beobachtete die nahe Prärie.

Er hatte so kaum fünf Minuten bewegungslos verharrt, als er von Westen her beim Licht des wiedererscheinenden Nachtgestirns zwei Reiter gewahrte: Edward und Lizzie!

Schon wollte er von dem Inselchen an das Ufer hinüberwaten, um die Geschwister anzurufen, als er von Osten her eine endlose Linie von Reitern nahen sah: die Sioux.

Plötzlich kam Leben in diese Linie. Im Nu verteilten sie sich, verschwanden. –

Ahnungslos verfolgten die Geschwister weiter ihren Weg. Sie zu warnen, dazu war es zu spät. Chokariga hätte nur seine Anwesenheit verraten und sich selbst der Gefahr der Gefangennahme ausgesetzt.

So wurde er denn Zeuge, wie die Sioux die Geschwister umzingelten.

Edward Glynbrac dachte nicht an Gegenwehr. Er erkannte, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als auf eine spätere Befreiung durch Felsenherz und den schwarzen Panther zu hoffen.

Die Sioux entwaffneten und banden ihn. Um Lizzie kümmerten sie sich nicht weiter.

Dann trat ein breitschultriger älterer Krieger an Edward heran und musterte ihn finster.

„Das Blaßgesicht gehört so den Männern, die mit vier Wagen in das Jagdgebiet der Sioux eingedrungen sind,“ sagte Tara Mattu, der heulende Wolf, mit drohender Stimme. „Tara Mattus Späher hörten vorhin drüben am Lager der Blaßgesichter Schüsse. Was ist dort geschehen?“

Edward hielt es für ratsam, dem Siouxhäuptling nichts zu verheimlichen.

Als Tara Mattu so von der Verwundung des Sohnes hörte, fuhr seine Hand unwillkürlich nach dem in seinem Gürtel steckenden Tomahawk. Edward hatte aus Bescheidenheit verschwiegen, daß er es gewesen, der Okipatu vor Johns Kolbenhieb geschützt hatte.

Der Häuptling ließ die Streitaxt jedoch im Gürtel und fragte nur grimmig:

„Okipatu befindet sich also in der Gewalt Chokarigas und Felsenherz’. Wo sind die beiden geblieben?“

„Das weiß ich nicht,“ erklärte Edward jetzt, denn er wollte die berühmten Westmänner nicht verraten. „Sie ritten von dannen, und mich und meine Schwester jagte der Oheim davon, weil ich Felsenherz Schießpulver gegeben hatte.“

Tara Mattu blickte den Jüngling durchdringend an.

„Das junge Blaßgesicht hat ein offenes Gesicht,“ meinte er. „Aber er ist schuld daran, daß Okipatu gefunden und verwundet wurde. Noch in dieser Nacht werden die Skalpe der Bleichgesichter Tara Mattus Gürtel schmücken.“

Dann wurde Edward auf seinem Falben festgebunden, und der Zug der Sioux setzte sich wieder in Bewegung.

Kaum waren die letzten Krieger nach Westen zu in der Monddämmerung der Prärie untergetaucht, als Felsenherz am Bach entlanggesprengt kam. Auch er hatte sie beobachtet, wohin er zu Fuß geschlichen war, Lizzies und Edwards Gefangennahme mit angesehen und sagte nun zu Chokariga, der ihn von dem Inselchen aus leise angerufen hatte:

„Mein Bruder Chokariga mag mit Okipatu nach den Bergen der Toten vorausreiten ich will den Sioux folgen und die Auswanderer warnen. Ohne Zweifel sind Edward und seine Schwester von ihrem Oheim davongejagt worden. Wir müssen die beiden befreien.“

Der schwarze Panther war einverstanden.

So trennten die Freunde sich denn.

Felsenherz ritt erst nach Süden zu, stets in vollem Galopp, bog dann nach Norden ein und sah auch bald die Lagerfeuer zwischen den Wagen auf dem Hügel flackern.

Einer der Männer Albert Glynbracs, der am Bach Wache stand, wollte den Trapper aufhalten.

„Hallo, stopp, Master!“ rief er. „Wohin wollt ihr?“

Doch Felsenherz sprengte an ihm vorüber, ließ den Braunen über die eine Wagendeichsel setzen und zügelte sein Pferd erst dicht vor dem Anführer, dem finsteren Albert Glynbrac.

„Die Sioux sind im Anzug!“ sagte er kurz. „Richtet alles zur Verteidigung her! Brennt das Gras an den Abhängen des Hügels nieder.“

„Ah – der weiße Halunke!“ brüllte der Alte. „Jungens, laßt ihn nicht wieder hinaus! Der steckt sicherlich mit den Rothäuten unter einer Decke.“

Noch immer wußte Glynbrac nicht, daß er den berühmten Trapper Felsenherz vor sich hatte.

Er hatte schon seinen Braunen herumgerissen und war ebenso schnell, wie er gekommen, wieder verschwunden.

Drei, vier Schüsse knallten hinter ihm drein. Das war der Dank dieser Männer für seine gutgemeinte Warnung.

Im Galopp jagte er nach Norden, bis er eines jener in den Prärien so häufigen steinigen ausgetrockneten Flußtäler erreicht hatte. Hier stieg er ab und führte sein Reittier in ein günstiges Versteck. Dann machte er sich zu Fuß wieder nach dem Bach auf, um zu versuchen, Edward und Lizzie zu befreien.

Es war jetzt etwa ein Uhr morgens.

Der Himmel bewölkt sich immer mehr. Ein hohler Regenwind pfiff über die dunkle Prärie hin. Bald fielen auch die ersten Tropfen. –

Felsenherz war der Regen, da er ihm das Anschleichen erleichterte, sehr erwünscht. Rüstig schritt er aus, blieb hin und wieder stehen und horchte. Er durfte sich in dieser Finsternis nur mehr auf seine Ohren verlassen.

Dann, als der Bach nur noch tausend Meter entfernt sein konnte, hörte er dicht vor sich in einer Talmulde das Wiehern von Pferden und allerlei Geräusche, scheltende Stimmen und schließlich auch die Edward Glynbracs, der flehend rief:

„Der Häuptling der Sioux mag meine Schwester schonen! Es ist seiner nicht würdig, ein Weib als Kugelfang zu gebrauchen. Ich bin bereit, vor euch her den Hügel hinaufzugehen.“

Eine kurze Pause. Dann Tara Mattus Stimme:

„Das junge Blaßgesicht hat wie ein Mann gesprochen. Meine Krieger werden auch ohne diese List den Hügel stürmen.“

Er sagte es mit einem gewissen Stolz. Aber seine Gesinnung sollte sich sehr bald ändern. Die Sioux griffen an, wie Felsenherz aus dem Kriegsgeschrei und den zahlreichen Schüssen heraushörte. Der Kampf schien längere Zeit unentschieden hin und her zu schwanken. Offenbar waren Albert Glynbrac und die seinem reichlich mit Doppelbüchse versehen.

Felsenherz hielt es für ratsam, jetzt sofort den Versuch zu wagen, die beiden Gefangenen ihren Wächtern zu entführen.

Lautlos kroch er in die Talmulde hinab. Doch nur zu bald erkannte er, daß Tara Mattu fraglos mit einem Befreiungsversuch durch die beiden Jäger gerechnet hatte.

Da saßen um die Gefangenen nicht weniger als zwanzig Sioux im Kreis herum. Und dieser Kreis war so, daß man nirgends hätte unbemerkt durchschlüpfen können. Außerdem standen auch in nächster Nähe die sämtlichen Pferde der Rothäute und wurden von zwanzig weiteren Kriegern dauernd umrundet.

Der blonde Trapper sah ein, daß hier nur irgend eine List helfen könnte. Er überlegte nicht lange. Das Geknatter der Schüsse drüben am Bach wurde schwächer und schwächer. Das gellende Geheul der Sioux verstummte immer mehr. Ohne Zweifel war der Angriff abgeschlagen worden. Unter diesen Umständen drohte Edward die ernsteste Gefahr. Tara Mattu würde einen zweiten Sturm unternehmen und dann fraglos Edward als Kugelfang benutzen, vielleicht gar auch dessen Schwester.

Wie stets so war auch jetzt dem berühmten Westmann gerade noch zur rechten Zeit ein rettender Gedanke gekommen.

 

 

4. Kapitel

Der Mustangkopf.

Die Talmulde, in der die Sioux und ihre Gefangenen sich befanden, war keine fünfhundert Schritt von dem Kadaver des Mustangs entfernt.

Felsenherz kroch eilends dorthin, nahm den Tomahawk zur Hand und trennte den Kopf des toten Pferdes mit ein paar kräftigen Hieben vom Rumpf ab. Das Geräusch, das der niederfallende Regen verursachte, war immerhin so stark, daß die dumpfen Schläge der haarscharfen Streitaxt nicht allzu weit gehört werden konnten.

Mit dem Mustangkopf kehrte er dorthin zurück, wo die Talwand ziemlich steil abfiel. Nun hatte er etwa fünf Meter unter sich die dichtgedrängt Masse der Indianergäule. Er wußte genau, daß der Geruch des Kadaverkopfes die Pferde scheu machen und sie in die größte Aufregung versetzen würde Er rechnete damit, daß sie blindlings ausbrechen würden und in der so entstehenden Verwirrung sich ihm eine Gelegenheit bieten könnte, die Gefangenen zu entführen.

Mit kraftvollem Schwung warf er nun den Mustangkopf mitten in den Pferdetrupp hinein.

Dann schlich er sofort wieder nach der Stelle hin, wo der Kreis der zwanzig Wächter die Geschwister einschloß.

Der Erfolg seiner List blieb auch nicht aus. Gerade als die ersten Siouxkrieger mit ein paar bei dem Angriff Schwerverwundeten herabkamen, rissen sich die Mustangs los und stürmten in zwei geschlossenen Haufen, der eine nach Westen, der andere nach Osten zu, das Tal hinab.

Kaum hatten die Wächter der Gefangenen die drohende Gefahr, von den scheu gewordenen Tieren überrannt zu werden, als sie auch schon die Geschwister mit sich fort bis dicht an die Talwand hinter einen Berg von Steinen zogen.

Hier blieben jetzt jedoch nur vier Sioux bei Edward und Lizzie zurück, während die anderen sich den Nachzügler der flüchtenden Mustangs entgegenwarfen und sich eilends in den Sattel schwangen, um die Hauptmasse der Tiere wieder einzukreisen und so aufzuhalten.

Felsenherz wartete nicht einen Moment mit der Ausführung auch des letzten Teiles seines Vorhabens.

Schlangengleich wand er sich in einer Regenrinne abwärts. Nun hatte er die vier übriggebliebenen Wächter dicht vor sich. Sie starrten noch immer den stürmenden Mustangs nach.

Alles kam jetzt darauf an, sie rasch und geräuschlos zu beseitigen. Hätte er sie mit dem Tomahawk und dem Messer stumm machen wollen, wäre dies bedeutend leichter gewesen. Er scheute jedoch diese vier Todesopfer. Wenn es nicht unbedingt nötig war, tötete er nie einen Gegner. Er verließ sich auf seine Gewandtheit und seine Armkraft, richtete sich jetzt hinter den Wächtern empor und schlug zwei mit der Faust durch Schläfenhiebe nieder. Die beiden anderen packte er ebenso schnell bei der Kehle und schmetterte sie mit den Köpfen zusammen. Ebenso rasch hatte er dann Edwards Fesseln zerschnitten. Lizzie war nicht gebunden.

„Mir nach!“ flüsterte er und half dem jungen Mädchen dann beim Erklettern der Talwand.

Sie hatten jedoch die Höhe des Talrandes noch nicht erreicht, als ein paar vom Kampfplatz zurückkehrende Sioux sie bemerkten und durch ihre gellenden Rufe auch noch andere Krieger auf die Flüchtlinge aufmerksam machten.

Felsenherz riß Lizzie und Edward die letzten zwei Meter empor, behielt sie an den Händen und rannte mit ihnen in die Prärie hinaus, schwenkte dann wieder nach Osten ab, schlug einen neuen Bogen und erreichte so, daß die Verfolger sehr bald einsehen mußten, wie schwer es war, die Flüchtlinge bei dieser Finsternis zu fangen.

Eine Viertelstunde später hatte er mit den glücklich Geretteten bereits das Versteck seines Braunen erreicht. Lizzie mußte jetzt in den Sattel steigen, während Felsenherz und Edward zu Fuß nebenher schritten.

Der blonde Trapper wandte jetzt all jene vielfachem Mittel an, die ein erfahrener Westmann zur Vermeidung einer deutlichen Fährte kennt. Hierbei kam ihm der Regen sehr zu statten. Hielt dieser wolkenbruchartige Guß noch an, so mußten die Spuren ohnedies völlig durch die Nässe ausgelöscht werden.

Wieder eine Stunde drauf näherten die drei sich abermals dem Bach, um an diesem entlang den Berg der Toten aufzusuchen.

Der Regen hatte aufgehört. Felsenherz ließ den Braunen daher im Bett des Flüßchens waten, und auch Edward und er selbst setzten den Weg im Bach fort, wo ihnen das Wasser zumeist bis an die Knie reichte.

Der von Westen kommende Wind trug ihnen dann den Knall zahlreicher Schüsse zu. Die Sioux hatten also die Wagenburg erneut angegriffen.

Das Knattern der Schüsse wollte gar kein Ende nehmen. Der Kampf schien noch erbitterter zu sein als bei dem ersten Angriff. Dann vernahm Felsenherz plötzlich einen noch lauteren Knall. Erstaunt horchte er auf und blieb unwillkürlich stehen.

„Der Oheim hat auch ein altes Schiffsgeschütz mit sich genommen,“ erklärte Edward da. „Er versprach sich davon sehr viel, wenn es bis zur Mündung mit Eisenstücken geladen würde.“

Die drei lauschten noch eine Weile. Die Schüsse wurden immer seltener.

„Auch dieser Angriff scheint abgeschlagen worden zu sein,“ meinte Felsenherz dann. „Vorwärts – beeilen wir uns!“

Bald war der Waldgürtel erreicht, der den zerklüfteten Berg umgab, bald konnte Felsenherz seinen roten Bruder Chokariga wieder begrüßen, der ihnen ein Stück den Berg hinab entgegengekommen war.

Die Häuptlingsgräber der Sioux befanden sich in einer Grotte, die sich mit zwei Eingängen von Nord nach Süd durch den Berg hindurchzog.

Hier hatte Chokariga in der Nähe des einen Höhleneingangs bereits ein Feuer angezündet, dessen Qualm in dichten Wolken nach Norden zu zur Grotte hinausflatterte; hier stand auch sein prachtvoller Rappe, hier brozelte über dem Feuer die Keule eines Hirsches, den der Häuptling vorhin unterhalb dieses nördlichen Höhleneingangs an dem Bächlein erregt hatte, das sich, auf dem Berg entspringend, durch den Wald in die Prärie hineinschlängelte.

Felsenherz wäre am liebsten sofort wieder aufgebrochen. Aber Lizzie war so erschöpft und auch so völlig durchnäßt, daß man notwendig hier erst ein paar Stunden rasten mußte. Auch der verwundete Häuptlingssohn bedurfte dringend der Schonung.

Man hüllte das junge Mädchen sorgsam in die Wolldecken der beiden Jäger, und Felsenherz kochte dann in seiner Metallfeldflasche rasch einen Tee, den er durch die Blätter des Pfefferminzkrautes würzte.

Lizzie erholte sich sehr bald und erzählte nun ihren Rettern und Beschützer ganz offen, aus welchem Grund ihr Oheim mit den vier Auswandererwagen in den fernen Westen gedrungen sei.

So wurde nun hier vor Felsenherz und Chokariga zum ersten Mal der goldhaltige Bach und die Zeichnung erwähnt, die Austin Glynbrac für seine Kinder hinterlassen hatte.

Als der blonde Trapper dann fragte, ob Lizzie die Zeichnung einmal gesehen hätte, bejahte sie dies und beschrieb auch die Skizze, so gut sie dieselbe noch im Gedächtnis hatte.

 

 

5. Kapitel

Albert Glynbracs Ende.

Nachdem man auch der Hirschkeule alle Ehre angetan hatte, legten sich die Geschwister auf Anraten Felsenherz’ in der Nähe des wärmenden Feuer nieder.

Chokariga aber nahm einen harzigen Ast als Fackeln und schritt seinem weißen Bruder voran dem Südausgang der Grotte zu. Ihm war diese Höhle bereits bekannt gewesen. Felsenherz hatte die Häuptlingsgräber jedoch noch nicht gesehen. Die beiden Freunde durften sich ohne Sorge entfernen, da Okipatu leichtes Wundfieber hatte und in diesem Zustand kaum entfliehen konnte. Außerdem hatte er sich scheinbar bereits mit seiner Gefangenschaft ausgesöhnt, da er von Chokariga aufs freundlichste behandelt worden war.

Die Häuptlingsgräber befanden sich, acht an der Zahl, dicht am Südeingang und bestanden aus kegelförmigen Haufen aufgeschichteter Steine. In diesen Felskegeln, die innen hohl waren, saßen die zu Mumien ausgetrockneten Leichen der Siouxhäuptlinge im vollem Kriegsschmuck aufrecht da. Felsenherz entfernte bei zwei der Grabkegel die breiten Verschlußplatten und leuchtete in das Innere hinein. Er tat es ohne besondere Absicht. Wie erstaunt war er jedoch, als er auf dem Schoß der einen Mumie ein Blatt Papier bemerkte, die Seiten eines Notizbuches.

Er nahm es an sich und las beim flackernden Fackellicht die verblichenen Schriftzüge. Da stand folgendes:

In dieser Höhle habe ich, durch einen Siouxpfeil schwer verwundet, vier Wochen zugebracht, nachdem ich als Goldsucher endlich Erfolg gehabt hatte. Sollten andere Weiße je in Not geraten, so will ich ihnen das Geheimnis dieser Grotte anvertrauen. Sie hat noch einen dritten Ausgang. Zehn Schritt vom letzten, achten Grabkegel befindet sich an der linken Wand eine mächtige Steinplatte, die sich aber bequem zur Seite schieben läßt. Hinter dieser Platte geht ein schräger Schacht in eine auch den Sioux unbekannte Nebengrotte hinab, die wieder hinter einem dichten Dornengestrüpp endet. –

Austin Glynbrac

„Welch Spiel des Zufalls!“ meinte Felsenherz jetzt – indem er Chokariga den Inhalt des Zettels erklärte. „Der Vater unserer Schützlinge hat auf diese Weise für seine Kinder ein sicheres Versteck besorgt. Siedeln wir sofort in diese Nebengrotte über.“

Der Schacht zeigte sich auch für die Pferde passierbar. Chokariga trug den Häuptlingssohn auf seinen Armen hinab. Dann wurde der Stein wieder in die alte Lage gebracht.

Felsenherz hatte sich inzwischen bis zum Ausgang dieser Höhle begeben, der nach Westen zu und so hoch lag, daß man die ganze Umgebung überblicken konnte. Der Morgen graute bereits. Der Trapper erhielt hier bald Gesellschaft. Chokariga und Edward taten neben ihn und blickten gleichfalls zu dem im Zwielicht daliegenden Wald hinüber.

Plötzlich zog der Komanche die beiden anderen rasch in die Grotte zurück.

„Ein Reiter!“ flüsterte er. „Das Blaßgesicht ist’s, der Anführer der Goldsucher!“

Ja – es war Albert Glynbrac, der sich nach dem zweiten vergeblichen Angriff der Rothäute auf sein Pferd geworfen und eilends davongaloppiert war, weil er fürchtete, ein dritter Angriff würde dem Rest der Insassen der Wagenburg, von denen bereits seine Söhne und zwei andere Männer gefallen waren, das Leben kosten. Die Goldgier hatte ihn zum Verräter an den Seinen werden lassen. Sogar sein Weib ließ er im Stich, nur um aus dem goldhaltigen Bach, der nach der Zeichnung hier an diesem Berg zu suchen sein mußte, noch das edle Metall zu gewinnen und dann allein seine Flucht fortzusetzen.

Hastig trabte er jetzt am Waldrand dahin, bis er das Bächlein erreicht hatte. Hier sprang er aus dem Sattel, legte sich lang am Ufer nieder, griff mit der Rechten in eine Vertiefung des Bachbettes hinein, holte eine Anzahl von Kieseln heraus – und betrachtete sie mit glänzenden Blicken.

Es war Gold – reines Gold!

Seinen Lippen entrang sich vor Aufregung ein heiserer Schrei. Er sah nicht, daß Tara Mattu und ein Dutzend Sioux soeben aus dem Wald hervorsprengten, sah nicht, daß der Häuptling jetzt auf ihn zuschlich. Wieder warf er sich am Ufer nieder, wieder langte er in das Wasser hinein.

Wie ein Blitz fuhr Tara Mattus Tomahawk ihm in den Schädel.

Ein Fußtritt des Häuptlings, und Albert Glynbracs Leiche stürzte ins Wasser, sank in die Vertiefung des Bachbettes hinab, kam gerade auf die Goldkiesel zu liegen, um die er seine Verwandten hatte betrügen wollen. –

Gleich darauf ereignete sich auch in dem Versteck der Flüchtlinge ein besonderer Zwischenfall. Okipatu, dessen Wundfieber nachgelassen hatte, benutzte eine günstige Gelegenheit und entwischte. Ihn zu verfolgen war unmöglich, da die Sioux jetzt draußen am Fuß des Berges lagerten. Nun zeigte sich jedoch, daß der junge Häuptlingssohn für die ihm zu Teil gewordene gute Behandlung und Pflege dem schwarzen Panther und dessen Gefährten ehrlich seinen Dank abstatten wollte. Er wußte seinen Vater zu bestimmen, sowohl mit den in der Nebenhöhle Verborgenen als auch mit den Überlebenden der Wagenburg Frieden zu schließen und ihnen freien Abzug zu gestatten.

Edward und Lizzie wurden so die Lebensretter ihrer Verwandten, mit denen sie unter dem Schutz der beiden berühmten Jäger nach den östlichen Ansiedlungen zurückkehrten. Tara Mattu hatte den Geschwistern sogar erlaubt, ein paar Dutzend Goldkiesel mitzunehmen, deren Erlös es den beiden ermöglichte, eine kleine Farm zu erwerben, auf der sie jedes Jahr einmal von Felsenherz und Chokariga besucht werden. Auf diese Weise hatte das Geheimnis des Vaters doch noch ihre Zukunft sichergestellt. Auch Okipatu, der Häuptlingssohn, fand sich des öfteren auf der Farm ein, da er für Edward wärmste Zuneigung empfand.