Das Eiserne Kreuz
Von W. Belka.
Über Ostpreußen, das von den Russen hart bedrängte Ostpreußen, spannte sich ein wolkenbedeckter, düsterer Nachthimmel aus. Ein hohler Wind, der bereits hie und da die Bäume der von Königsberg nach Tapiau führenden Chaussee entblättern half, kam über die Felder daher, diese Felder, die zum Teil noch unabgeerntet waren und in diesem Jahr die Scharen fleißiger Arbeiter vorläufig entbehren mußten. Endlose Kartoffeläcker waren’s, an denen jetzt die Vorhut des Reservenbataillons des xten Grenadierregiments auf der eben erwähnten Chaussee vorübermarschierte.
Ein Zug, geführt von einem jungen Leutnant, bildete die Spitze. Nur im Flüsterton tauschten die Mannschaften hie und da eine Bemerkung aus. Lautes Sprechen, jeder unnötige Lärm war streng verboten worden.
Neben dem Leutnant, der einige fünfzehn Schritt vor seinen Leuten in flottem Tempo dahinging, war die schmächtige Figur eines Unteroffiziers zu sehen. Soeben hatte der Zugführer diesen seinen Untergebenen, der im Zivilberuf Student der Philosophie war, mitfühlend gefragt:
„Nun, Helmer, drückt der Tornister heute wieder so arg?“ Und der Unteroffizier der Reservat, den die Leute wegen seines zarten, bartlosen Gesicht Unteroffizier ‚Mädchen’ getauft hatten, erwiderte jetzt gepreßt:
„Es geht, Herr Leutnant!“
Aber seine unsicheren Schritte, sein häufiges Stolpern bewiesen, daß Heinz Helmers Kräfte den Anstrengungen dieses Nachmarsches kaum gewachsen waren.
Leutnant v. Sierna merke das auch sehr gut. Und so sagte er denn in halb befehlendem Ton:
„Geben Sie Ihr Gewehr her, Helmer. Ich werd’s Ihnen eine Weile tragen.“
Der Unteroffizier der Reserve wollte erst nicht recht.
„Was macht das für einen Eindruck auf die Mannschaften, Herr Leutnant. Das geht doch nicht. Man nennt mich ohnehin hier in der Kompagnie ‚Unteroffizier Mädchen’. Und man wird mich –“
„Unsinn, her mit der Knarre,“ meinte der Offizier, der trotz seiner zweiundzwanzig Jahre eine schlanke, kraftvolle Erscheinung war und dem man die Zähigkeit schon an dem mageren, energischen Gesicht ansah.
‚Mädchen’ gehorchte und schritt dann, befreit von der Last der Schußwaffe, freier und leichter dahin.
Leutnant v. Sierna setzte nun, hauptsächlich, um Helmer durch eine rege Unterhaltung von den Gedanken an die Beschwerlichkeit dieses Nachmarsches abzulenken, das vorhin begonnene Gespräch fort.
„Sie kennen die Gegend um unser Marschziel, um Tapiau, also gar nicht, Helmer? – Nun, so will ich Ihnen zu Ihrer vorläufigen Orientierung so einiges mitteilen. Hart südlich von Tapiau ergießt sich in den Pregel, an dem ja auch Königsberg liegt, die Deime, ein Fluß von durchschnittlich dreißig bis fünfunddreißig Meter Breite, der bis zu der in der Nähe des kurischen Haffs gelegenen Stadt Labiau stark befestigt ist und bisher den Herren Russen ein Vordringen aus dieser Richtung auf Königsberg unmöglich gemacht hat. Ich selbst kenne die Gegend dort vom vorigen Manöver her. Jedenfalls soll unser Bataillon nun ein Landwehrbataillon ablösen, das die Deimelinie in der Nähe von Tapiau bisher verteidigt und dem das Oberkommando nach dem anstrengenden Dienst in den Schützengräben einige Zeit Ruhe gönnen will.“
Hans Helmer, der die Daumen unter die Tornistertragriemen geschoben hatte, um diese etwas zu lüften und so den Druck auf die Brust zu mildern, hörte all das nur noch wie aus weiter Ferne. Ihm war sterbenselend zu Mute. Hatte er doch die letzten Nächte am Pregel, wo russische Kavallerie durchzubrechen versuchte, auf Vorposten zugebracht und sich bei dieser Aufgabe keine Minute Schlaf gegönnt. Jetzt war er mit seiner Kraft am Ende, das fühlte er nur zu gut.
Leutnant v. Sierna erzählte jetzt eine lustige Geschichte aus dem Manöver. Wieder verstrich eine Viertelstunde. Da, als gerade der Bataillonskommandeur Hauptmann v. Berster in schlankem Trab, gefolgt von seinem Adjutanten, herbeikam, da passierte das Unglück.
Hans Helmer schlug plötzlich mit dumpfem Krach lang auf die Chaussee hin und blieb regungslos liegen.
Hauptmann v. Berster, der kurz vor der Beförderung zum Major stand, ließ eine Bemerkung fallen, die für den armen Unteroffizier nicht gerade schmeichelhaft war.
Inzwischen hatte man Hans Helmer in den Chausseegraben getragen, ihm die Uniform aufgeknöpft und Stirn und Brust in Ermangelung von Wasser mit Kaffee aus einer Feldflasche eingerieben. Und eine Viertelstunde später lag er bereits auf dem Bagagewagen der Kompagnie, der mit dem übrigen Fuhrpark des Bataillons hinter der Marschkolonne herratterte. Als ‚Mädchen’ dann zu sich kam und sich seiner Schwäche bewußt wurde, da schoß ihm die helle Röte der Scham in das zarte Gesicht. Er wollte schleunigst wieder herunter von dem mit Gepäck hoch beladenen Gefährt. Aber ein kurzer Zuruf des nebenher reitenden Stabsarztes bannte ihn fest auf seinem unbequemen Krankenlager. –
Der Morgen begann zu grauen. Von den Feldern stiegen dichte Nebel auf, die Aussicht völlig versperrend. Und dann jagte plötzlich ein Windstoß die grauen Schleier bei Seite. Tapiau lag vor dem marschierenden Bataillon, keinen halben Kilometer mehr entfernt.
Eine Stunde später hielt das Bataillon in einer Schlucht dicht an der Deime.
Inzwischen war die Sonne über dem Horizont erschienen und beleuchtete mit ihren milden, friedlichen Strahlen auch die verstreut liegenden Häuser und den zerschossenen Kirchturm des Dorfes Dalken, das am Nordausgange der Schlucht sich in eine Bodensenkung einschmiegte. Den vor Dalken liegenden Abschnitt der Deime-Linie sollte das Bataillon besetzen.
Die 2. Kompagnie, zu der auch Unteroffizier ‚Mädchen’ gehörte, erhielt die Schützengräben zugewiesen, die direkt vor dem Dorfe lagen, wo sich ein vielleicht zehn Meter tiefer Abhang zur Deime hinzog. Der Kamm diese Anhöhe war stark befestigt. Tadellos ausgehobene Schützengräben, in die splittersichere Unterstände mit Hilfe starker Bretter zum Schutz für die Mannschaften eingebaut waren, ließen die Stellung als uneinnehmbar erscheinen.
Die Ablösung der Kompagnie, die bisher hier die Russen abgewehrt hatte, geschah in möglichster Stille. Noch lag über den Wiesen, die sich jenseits der Deime hinzogen, ein dichter Nebel, der es den in gutgebauten Verschanzungen und hinter Gehöften und Waldstücken liegenden Feinde zum Glück unmöglich machte, etwas von unseren Truppenbewegungen zu bemerken. Sonst hätte er fraglos mit seiner Artillerie, die der deutschen an Geschützzahl stark überlegen war, ein wütendes Feuer eröffnet. –
Unteroffizier ‚Mädchen’ hatte mit seiner Gruppe den Schützengraben vor dem Dorfkirchhof zugewiesen erhalten und richtete sich dort schleunigst mit seinen Leuten in den Unterständen ein, da soeben ein wahrer Platzregen eingesetzt hatte, der die Aussicht gegen den Feind noch mehr versperrte. So kam es, daß man erst gegen zehn Uhr vormittags von den Herren Russen etwas zu sehen und zu hören bekam. Um diese Zeit teilte sich nämlich mit einem Male das dichte Gewölk, der Regenschleier verschwand, und nun erblickte man drüben, jenseits der Deimewiesen, die Schanzarbeiten des Feindes, die sich durch die frisch aufgeworfene Erde wie ein gelber Strich durch das Gelände hinzogen. Achthundert, teilweise auch tausend Meter waren die russischen Schützengräben entfernt. Aber trotzdem vermochte man durch das gute Prismenfernglas, welches Hans Helmer von Mann zu Mann weitergeben ließ, immer wieder hie und da einen Kopf über den Erdwällen auftauchen zu sehen.
Und dann begann der Feind den üblichen Morgengruß herüberzuschicken. Die ersten Granaten, die gerade auf die Stellung der 2. Kompagnie abgefeuert wurden, gingen zu kurz und schlugen in die Deime ein, daß das Wasser wie in Fontänen hochspritzte.
Unteroffizier ‚Mädchen’, der sich inzwischen wieder leidlich erholt hatte, befahl seinen acht Mann, sich in die Unterstände zurückzuziehen. Aber die Leute, die über das schlechte Schießen der ‚Russaks’ ihre Witze rissen, baten, das Feuer weiter beobachten zu dürfen.
„Herr Unteroffizier,“ meinte der Gefreite Blümermann, ein Berliner Metalldreher, „zum Verkriechen ist’s immer noch Zeit. Vorläufig sind wir hier so sicher wie in Abrahams Schoß!“
Hans Helmer, der nur zu leicht geneigt war, überall gegen ihn gerichtete Spitzen zu argwöhnen, erwiderte scharf:
„Es ist Befehl vom Bataillon. Sobald der Gegner mit Artillerie uns einzudecken sucht, soll von jeder Gruppe nur ein Mann zur Beobachtung im Schützengraben bleiben. Und dieser Mann bin zunächst ich selbst. Nachher kann ein anderer mich ablösen. Daß sich hier keiner aus Angst verkriechen wird, weiß ich sehr gut.“
Der Gefreite lächelte etwas verlegen. „Herr Unt’roff’zier scheinen zu denken, daß ich das von ‚Verkriechen’ –“
Weiter kam er nicht. Denn plötzlich wieder drüben beim Feinde fünf dumpfe Schläge, dann ein hohles Sausen in der Luft, fünf Explosionen von Schrapnells über den Schützengräben, und – ein wahrer Hagel von Bleikugeln sauste herab.
Einer von Helmers Leuten schrie auf. Ein Schrapnellstück hatte ihm das Gewehr aus der Hand geschlagen und den Kolben zertrümmert. Sonst war aber auch diese Salve ohne Schaden vorübergegangen. –
Jetzt wurde ‚Mädchen’ energisch.
„In die Unterstände – und keine Widerrede! Wir dürfen auch nicht einen Mann unnötig opfern.“
Die Mannschaften krochen in das mit Stroh ausgepolsterte, tiefe Erdloch hinein. Nur Hans Helmer blieb draußen. Gewiß – ihm pochte das Herz in etwas schnelleren Schlägen. Aber sonst war er völlig ruhig.
Gegen elf Uhr schwieg die Artillerie des Gegners plötzlich, wahrscheinlich, weil die hinter festen Erdschanzen aufgestellte deutsche Batterie, die einzige, die es auf diesem Verteidigungsabschnitt gab, sie mittlerweile zu gut aufs Korn genommen hatte. Erst als dann gegen ein Uhr mittags das Essen für die Kompagnie, das in einem Gehöft des rückwärts liegenden Dorfes gekocht worden war, in großen Kesseln herangeschleppt wurde, begann das Geknalle von neuem, – ein Beweis dafür, daß die Herren Russen über vorzügliche Fernrohre verfügen mußten, mit Hilfe derer sie jede Bewegung auf deutscher Seite belauerten. Aber auch diese Mittagszukost, wie Gefreiter Blümermann es nannte, tat keinen Schaden.
So verging der erste Tag. Gewiß, kleinere russische Abteilungen, die sich an den mit Gebüsch bestandenen Wiesengräben vorgeschlichen hatten, feuerten auch häufig mit Gewehren, ohne jedoch zu treffen. –
Mit Einbruch der Dunkelheit wurden dann Patrouillen an das Ufer der Deime geschickt, die ständig den Fluß im Auge behielten, da man jederzeit mit einem nächtlichen Angriff rechnen mußte.
Aber die Nacht verlief ohne Störung. Hans Helmer, der gute acht Stunden geschlafen hatte, erwachte am Morgen neugestärkt. Auch die letzten Nachwehen des durch Überanstrengung hervorgerufenen Ohnmachtsanfalles hatte er jetzt überwunden. Dann erhielt er den Befehl, für heute die Verteilung des Essens an die Kompagnie zu übernehmen. Es war gegen dreiviertel eins, als er mit den die gefüllten Kessel schleppenden Leuten jenes Gehöft verließ, in dem die Kompagnieküche hergerichtet war. Eine ‚Gulaschkanone’, das heißt eine fahrbare Feldküche besaß das in Königsberg in aller Eile zusammengestellte Bataillon nicht. Bald kriechend, bald hinter einer Anhöhe in flotterem Tempo dahineilend, nährte sich Helmer mit seinen Kesselträgern den Schützengräben. Da, als sie gerade den Dorfkirchhof passierten, begann abermals die Kanonade. SchrapnellkKugeln, Granatsplitter sausten durch die Luft. Aber – durch mußte man! Das Essen durfte nicht kalt werden.
Plötzlich in der Luft ein Ton wie von einer tiefen Orgelpfeife. Die Leute, die eben hinter ein paar starken Linden für einen Moment Deckung genommen hatten, horchten auf. Das war doch nicht das bisherige Heulen der die Luft durchschneidenden Granaten und Schrapnells?! – Unheimlich klang dieser neue Ton, und unheimlich schnell kam er näher.
Keine fünf Meter von Hans Helmer fuhr nun das Geschoß aus einem schweren Belagerungsgeschütz – denn nur ein solches warf Projektile mit derartigem Begleitkonzert – in die Erde direkt unter einem Grabhügel. Ein furchtbarer Krach … Helmer fühlte sich wie von Geisterhänden hochgehoben und fortgeschleudert. Schwer schlug er auf den Boden auf, blieb sekundenlang wie betäubt liegen.
Zu seinem Pech mußte gerade in diesem Augenblick der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten den Kirchhof betreten. Kaum hatte Hauptmann v. Berster in dem regungslos Daliegenden den ‚Schlappen’ von jenem Nachtmarsch vor zwei Tagen erkannt, als er auch schon in entschuldbarer Verkennung der Sachlage losdonnerte:
„Herr Unteroffizier! – Sie geben dadurch, daß Sie sich hier zwischen den Grabhügeln verkriechen, ihren Leuten gerade kein gutes Beispiel! Besonders Sie sollten doch alles vermeiden, was …“
Der Rest dieser strengen Ermahnung blieb unausgesprochen. Wieder erklang in der Luft der tiefe Orgelton, und wenige Sekunden später platzte eine neue Granate mit betäubendem Krach in nächster Nähe.
Die beiden Offiziere und auch Hans Helmer, der sich inzwischen schnell aufgerappelt hatte, wurden mit Erde förmlich überschüttet. Aber die Sprengschüsse des Geschosses richteten auch jetzt keinen weiteren Schaden an.
„War das vorhin auch derselbe Orgelton, als das erste Ding da drüben krepierte?“ fragte der Hauptmann nach einer Weile, indem er sich den Sand von der grauen Uniform schüttelte.
„Zu Befehl, Herr Hauptmann,“ erwiderte ‚Mädchen’ in strammer Haltung. „Und nur der Luftdruck der Explosion hatte mich an diesen Platz geschleudert.“
„So, so. Na, da haben Sie Glück gehabt, Herr Unteroffizier. Das sind Geschosse aus ganz großkalibrigen Geschützen. Gefährliche Dinger! Wundere mich, daß auch wir so heil davongekommen sind.“
Das klang schon ganz anders als vorhin, fast etwas entschuldigend. Und der Bataillonskommandeur nickte jetzt auch Hans Helmer freundlich zu und verschwand in der Richtung nach dem rechten Flügel des ihm unterstellten Verteidigungsabschnittes.
Trotzdem blieb in des jungen Studenten und jetzigen Unteroffizieres Brust ein bitterer Stachel zurück. Der Herr Hauptmann schien ihn für feige zu halten, denn anders waren seine strengen Worte kaum aufzufassen gewesen. Helmer preßte die Lippen zusammen.
„Schlapp und feige..!“ Immer wieder mußte er an die beiden Vorfälle denken, die ihn in so falschem Lichte hatten erscheinen lassen. Dann nahm er sich zusammen. – Weg mit den törichten Gedanken! Seine Pflicht rief. Einmal würde sich ja wohl eine Gelegenheit bieten zu beweisen, daß auch er nicht schlechter war wie die anderen, das in seiner schmalen Brust ein wahrhaft mutiges Herz schlug.
Eine halbe Stunde später hatte er mit seinen Kesselträgern das Essen glücklich verteilt. Und dann setzte er sich in den Schützengraben, legte den Tornister auf die Knie und schrieb so einen langen Brief an die Eltern daheim in der kleinen märkischen Stadt. Aber von seinem Pech und seinem Spottnamen erwähnte er nichts. Nur wurde der ganze Ton seines seitenlangen Schreibens unwillkürlich durch seine innere Gemütsverfassung beeinträchtigt. Beinahe traurig klang der Brief. – Und die, die ihn nach einer Woche erhielten und mit gespannten Mienen lasen, konnten nur denken, daß dem Sohne, ihrem Einzigen, das Soldatenleben wenig Freude machte.
* * *
Leutnant v. Sierna, dem der stille, feine Unteroffizier Helmer vom ersten Tage an sehr gut gefallen hatte, hockte neben seinem Untergebenen in dem Unterstand. Neben den beiden brannte auf einem in die Erde gedrückten Brettchen eine dicke Stearinkerze, die die Leute irgendwo in dem zerschossenen und von den Bewohnern längst verlassenen Dorfe Dalken aufgetrieben hatten.
Der Offizier, der eben erst aus seinem Unterstand herübergekommen war, reichte Helmer jetzt seine Feldflasche hin.
„Da – trinken Sie, es ist Rotwein! Sie sehen noch immer hundeelend aus.“
‚Mädchen’ wehrte dankend ab, aber der junge Leutnant ließ nicht locker. Und da griff er denn endlich zu, füllte sich seinen Trinkbecher und leerte ihn mit Behagen, obwohl er sonst ein Gegner von Alkohol, selbst von Wein, war. Mäßigkeitsbestrebungen, für die Papa Helmer daheim ebenfalls kein rechtes Verständnis besaß.
„Sagen Sie, fühlen Sie sich denn körperlich noch nicht ganz auf der Höhe?“ fragte der Leutnant wieder, indem er beim flackernden Kerzenschein das Gesicht des Anderen prüfend musterte.
„Körperlich, da geht es mir tadellos,“ meinte der Reserveunteroffizier etwas zögernd. „Aber seelisch, seelisch habe ich mein Päckchen schwer zu tragen.“
Die Mannschaften, die jetzt bei Anbruch der Nacht, wo die Herren Russen bisher ihre Geschütze stets hatten schweigen lassen, draußen vor den Schützengräben etwas frische Luft schöpften und sich die steif gewordenen Glieder wieder geschmeidig machten, konnten nicht hören, was zwischen den beiden Vorgesetzten verhandelt wurde. Und so faßte sich denn Hans Helmer ein Herz und sprach sich all seine Kümmernisse von der Seele herunter. Als er geendet, reichte ihm der Offizier stumm die Hand. Und erst nach einer Weile sagte er laut:
„Nein, es geht nicht! Sie schauen mich so verwundert an, lieber Helmer. Ja, ich habe mir soeben überlegt, ob ich Sie nicht heute nacht auf dem mir vom Bataillonskommandeur befohlenen Patrouillengang mitnehmen könnte, damit Sie eventuell Gelegenheit fänden sich auszuzeichnen. Um elf Uhr soll ich mit einem Gefreiten und zwölf Mann versuchen, festzustellen, ob der Feind etwa für die nebligen Morgenstunden einen Angriff vorbereitet. Es ist ein Überläufer heute, ein Pole, zu uns gekommen und hat die Nachricht gebracht, daß die Russen ihre Artillerie gerade der Stellung unseres Bataillons gegenüber um mehrere Batterien verstärkt und daß sie gestern eifrig Bäume, anscheinend für Notbrücken gefällt haben. Das alles hat Herrn Hauptmann v. Berster auf die Vermutung gebracht, der Gegner könnte hier einen Durchbruch versuchen. Und da soll ich eben herauszukriegen sehen, ob der Russak in dieser Nacht besonders unruhig ist. So ein Sturmangriff muß vorbereitet werden und zwar gehörig. Und das kann nicht so ganz in aller Stille geschehen. Wenn ich nur Glück habe und rechtlich an den Feind heranschleichen kann! –
Aber, daß ich Sie mitnehme, nein, das wird doch nicht möglich sein. Der Kommandeur befahl ausdrücklich, mit einem Gefreiten und zwölf Mann. Da darf ich nicht selbstständig an dem Befehl etwas ändern. Und zum Hauptmann hingehen und fragen – auch ausgeschlossen. Der schläft sicher schon. Hat es ja auch schwer genug hier, besonders die große Verantwortung. Mithin, lieber Helmer, Sie müssen noch warten. Gelegenheit, ein für allemal Ihren Ehrennamen abzuschütteln, wird sich schon noch finden.“
Noch eine Stunde plauderten die beiden in dem nach frischer Erde, Stroh und Transtiefeln duftendem Unterstand von allem möglichen. Dann verabschiedete sich der Leutnant. Und ‚Mädchen’ gab ihm ein herzliches Geleitwort mit auf den Weg.
Elf Uhr nachts. Hans Helmer stand unten am Ufer der Deime, neben ihm der Gefreite Blümermann, der heute seinen sieben Kameraden, die mit zu Helmers Gruppe gehörten, erklärt hatte, er würde jedem, der den Unteroffizier nochmals ‚Mädchen’ tituliere, ‚den Verstand etwas lockermachen’, – ‚denn det is allens andere bloß keen Mächen, Kameraden’, hatte er hinzugefügt. ‚Der hat jestern im dollsten Granathagel ebenso wie heute im Schützenjraben gestanden und den Beobachtungsmann jespielt – ohne mit die Wimper zu zucken! Det is mein Freind, Kam’raden, und wer jejen den … Na – ihr kennt mich ja!’ Da hatten die anderen sieben ihm eifrig beigepflichtet, und der Zimmergeselle Gonschorek war’s, der noch seinerseits dann äußerte: ‚Ja, und heute, wo er doch die Freßkiste von Hause bekam, so durch die Vermittlung von’s Rote Kreuz, da hat er allens mit uns redlich geteilt. Ein anständ’ger Kerl ist der Helmer, da läßt sich nischt jejen sagen …’
Das war kurz nach dem Mittagessen gewesen. Und jetzt standen die beiden ‚Kam’raden’ auf der feuchten Wiese dicht am Deimeufer und lauschten gespannt in die Dunkelheit hinaus. Soeben war das flache Boot, in dem Leutnant v. Sierna über die Deime gesetzt war, in dem grauen Nichts untergetaucht. Daß der Offizier mit seinen Leuten bereits drüben gelandet sein mußte, unterlag keinem Zweifel. Aber kein Laut war zu hören. Die deutsche Patrouille verstand es meisterhaft, jeden Lärm zu vermeiden.
Flüsternd besprachen Hans Helmer und der Gefreite die Aussichten dieses so überaus gefährlichen Auftrages.
„Ne faule Jeschichte is det, Herr Unt’roffizier,“ meinte Blümermann nochmals und setzte seine kurze Pfeife durch ein paar kräftige Züge wieder in Gang. Und dann gähnte er herzhaft.
„Wie wär’s mit Schlafengeh’n?“ fragte er. „Morgen is och noch’n Tag. Und die Nacht hat hier sowieso nur sechs Stunden.“
„Auf mich warten Sie nicht, Blümermann,“ erwiderte ‚Mädchen’, nervös von einem Fuß auf den andern tretend. „Ich hätte doch keine Ruhe, bevor unser Leutnant nicht zurück ist.“
„Na, dann bleibe ick och noch,“ erklärte der Gefreite, der neben dem schmächtigen Studenten wie ein Riese aussah.
Und so warteten sie denn beide, warteten und warteten und horchten unablässig in die Dunkelheit hinaus, dorthin, wo der Feind, wo die Gefahr lauerte. –
Stunden vergingen. Helmer hatte schon verschiedentlich nach der Uhr gesehen. Seine Unruhe wuchs von Minute zu Minute.
Die beiden schritten jetzt oben am Abhang hinter dem Schützengraben auf und ab. Daß sie bei dieser Promenade hin und wieder vor Gräben ausbiegen mußten, daß hie und da ein bescheidener Leichenstein sichtbar war, kümmerte sie nicht weiter. Das Gefühl, sich auf einem Kirchhof zu befinden, hatten sie längst verloren.
Und dann in der Ferne Schüsse, Geschrei, wieder Schüsse, das Sausen von Kugeln, die hoch über ihnen dahinflogen …
Wie angewurzelt waren sie stehen geblieben.
„Sie sind entdeckt worden. Gott stehe ihnen bei,“ preßte Helmer hervor und starrte seinen Gefährten fragend an.
Der zuckte nur die Achseln.
Und wieder lastete die Stille der Nacht mit furchtbarem Schweigen über der Erde, wieder wurde nur drüben in den Gräben der Wiesen bisweilen der schaurige Schrei einer Rohrdommel hörbar, die dort hausen mußte. Denn allnächtlich ließ sie ihren gespenstischen Ruf erschallen, der wie das Stöhnen einer gefolterten Seele klang.
Der Tag brach an. Und Leutnant v. Sierna und sein Trupp waren noch nicht zurück. Jetzt spähten bereits ein gutes Hundert Augen in der Richtung nach dem Feinde hin aus. Aber der Morgennebel machte die ganze Gegend zu einer grauen, wallenden Wüste.
Auch der Bataillonskommandeur, der wohl auf wichtige Botschaft von der Patrouille gehofft hatte, war erschienen. Er und sein Adjutant standen dicht neben Hans Helmer im Schützengraben. Aber was die beiden flüsterten, verstand der Unteroffizier nicht. Nur an ihren Gesichtern merkte er, daß sie ebenfalls um den jungen, schneidigen Leutnant ernstlich besorgt waren.
Die Nebel wichen. Doch die Patrouille war nirgends zu entdecken. Und da wurde es allen klar, allen, der ganzen 2. Kompagnie und den Offizieren, die vierzehn Mann mußten in einen Hinterhalt geraten sein und waren abgeschossen oder gefangen genommen worden.
Der Vor- und auch der Nachmittag verging. Bisher hatten die Russen merkwürdigerweise ihre übliche Kanonade unterlassen. Nur von Gewehrfeuer war man etwas belästigt worden. Aber darum scherte sich niemand mehr. Die Kerle schossen ja so miserabel auf weite Entfernungen.
Dann aber kam es um so toller. Gerade der 2. Kompagnie gegenüber reckte das von Feinde besetzte Waldstück, ein herrlicher Kiefernbestand, einen Ausläufer wie eine Halbinsel in die Deimewiesen hinein. Und an der Spitze dieser Halbinsel, etwa siebenhundert Meter von den deutschen Schützengräben entfernt, leuchteten die roten Ziegelbauten der Oberförsterei Dalken auf. Diese war von der deutschen Artillerie bisher noch nicht beschossen worden, obgleich sich dort ebenfalls Russen eingenistet hatten. Jetzt aber hatte der Feind im Schutz der Gebäude eine Batterie auffahren lassen und begann nun aus solcher Nähe die Stellung gerade vor dem Kirchhof unter Feuer zu nehmen. Ein Glück war’s, daß die Dunkelheit jetzt infolge des mit Wolken dicht bedeckten Himmels sehr schnell hereinbrach. Sonst wäre von der 2. Kompagnie, besonders vom ersten Zuge, nicht viel übrig geblieben. Nicht weniger als acht Granaten waren bereits als Volltreffer in die Schützengräben eingeschlagen, und es blieb ein wahres Wunder, daß man trotzdem nur einige Leichtverwundete zu verzeichnen hatte.
Mit Dunkelwerden verstummte das Feuer wieder. Und nun wagten sich auch die Leute aus den Unterständen wieder hervor und hielten Umschau nach dem angerichteten Schaden.
Auch bei Hans Helmer war ein Geschoß in der vorderen Böschung krepiert und hatte den Graben auf zwei Meter Breite fast völlig zugeschüttet. Schnell ließ der junge Reserveunteroffizier die Verschanzung wieder ausbessern, wobei er selbst eifrig mithalf. Wie er eben mit dem kurzen Infanteriespaten die Erde festklopfte, ertönte hinter ihm Hauptmann v. Bersters Stimme.
„Haben Sie Verluste gehabt, Unteroffizier?“
„Nein, Herr Hauptmann.“
„War wohl ziemlich ungemütlich im Unterstand bei der Schießerei, wie?“ fragte der Bataillonskommandeur weiter.
Da antwortete der kecke Blümermann für seinen Gruppenführer:
„Im Unterstand ist Herr Unteroffizier Helmer während des Feuers nicht gewesen, Herr Hauptmann. Wenn die Russen mit Artillerie schießen, spielt Herr Unteroffizier stets den Beobachtungsposten für die Gruppe.“
Hauptmann v. Berster beugte sich etwas vor, um das Gesicht des Mannes zu erkennen, der von seinen Leuten derart gelobt wurde.
„Ah – Sie sind’s!“ Er hatte Hans Helmer erkannt. „Nun, dann nehme ich gern alles zurück, was ich gesagt habe, Herr Unteroffizier! Freut mich, so Braves von Ihnen zu hören.“
Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu:
„Haben Sie sich nicht auch gewundert, daß unsere Artillerie der feindlichen so gar nicht geantwortet und die Oberförsterei, hinter der die russischen Geschütze standen, nicht unter Feuer genommen hat?“
„Allerdings, Herr Hauptmann. Wir alle waren darüber erstaunt,“ entgegnete Helmer, die Ohren spitzend. Ahnte er doch, daß der Vorgesetzte ihm jetzt wichtige Eröffnungen machen würde.
„Ja, denkt euch, Leute,“ wandte sich der Kommandeur jetzt an die acht Mann, die zu seinen Füßen in dem reparierten Schützengraben standen, „diese Halunken da drüben haben mir vorhin durch einen Bauern, den sie irgendwo aufgegriffen haben, einen Brief geschickt, der von einem Oberst Sabutin und … euren Zugführer Leutnant v. Sierna unterzeichnet ist. In dem Briefe steht nun drin, daß die ganzen vierzehn Mann unserer gestrigen Nachtpatrouillie überrumpelt und jetzt als Gefangene in der Oberförsterei eingesperrt worden sind. Mit einem Wort, auf diese Weise will der hinterlistige Gegner uns von einer Beschießung der Oberförsterei abhalten, da wir doch mit unseren Granaten die eigenen Kameraden vernichten würden. So ein Lumpenpack! Und das soll eine ehrliche Kriegsführung sein!“
Als der Hauptmann jetzt schwieg, fragte der vorlaute Blümermann eifrig:
„Wie, und den Wisch hat unser Leutnant unterzeichnet, Herr Hauptmann?“
„Allerdings,“ erwiderte der Kommandeur ernst. „Freilich hatte er noch hinzugefügt, wir sollten uns doch ja nicht durch ihre Anwesenheit in der Oberförsterei davon abhalten lassen, die Gebäude zu beschießen. Und dann schreibt er noch, er sei zum Unterschreiben nur dadurch gezwungen worden, daß der russische Oberst gesagt habe, er würde alle vierzehn Mann augenblicklich füsilieren lassen, falls sein Gefangener dem Schreiben nicht eine Bemerkung hinzufüge. Und diese Verantwortung wollte Leutnant v. Sierna nicht auf sich nehmen, was auch sehr richtig von ihm war. Denn wenn wir morgen früh mit unserer Artillerie den Herren Russen in der Oberförsterei den Morgenkaffee bitter versalzen werden, – und das müssen wir ja leider ohne Schonung der gefangenen Unsrigen tun, da die feindliche Batterie uns aus solcher Nähe enormen Schaden zufügen kann, so bleibt doch immer die Möglichkeit bestehen, daß einige unserer dort eingesperrten Leute dem Bombardement entgehen, während andernfalls alle vierzehn hingewesen wären.“ –
„Arme wackere Kerle!“ fügte der Kommandeur nach einer Weile bedauernd hinzu. „Ihnen ist leider nicht zu helfen. Selbst wenn ich heute Nacht mit etwa zwei Kompanien einen Vorstoß gegen die Oberförsterei unternehmen wollte, würden wir die Unsrigen ja doch nicht befreien können. Denn beim ersten Gewehrschuß hätten die Russen sie doch sicher irgendwo anders hingeschafft.“
In demselben Moment trat Hans Helmer nochmals der Plan, den er schon den ganzen Tag über erwogen hatte, mit allen Einzelheiten vor die Seele. Und jetzt fand er auch plötzlich den Mut, sich dem Bataillonskommandeur anzuvertrauen. Er schwang sich flink aus dem Graben hinaus und sagte, in strammer Haltung vor den Hauptmann hintretend:
„Ich hätte eine Idee, Herr Hauptmann, wie unsere Kameraden doch noch befreit werden könnten.“
Und auf die freundliche Aufforderung seines Vorgesetzten entwickelte er diesem nun sein Vorhaben mit einer Eindringlichkeit, daß der Bataillonschef schon halb und halb gewonnen war.
„Wieviel Mann wollen Sie denn mitnehmen?“ fragte der Hauptmann, als Hans Helmer einige Einwände von ihm leicht widerlegt hatte.
„Dreißig genügen vollauf, Herr Hauptmann.“
So kam es, daß gegen zehn Uhr abends Unteroffizier ‚Mädchen’ mit dreißig Freiwilligen der 2. Kompagnie zu dem waghalsigen, aber doch aussichtsvollen Unternehmen aufbrach. Gefreiter Blümermann war natürlich mit von der Partie. Und er leitete die Expedition dadurch ein, daß er vorsichtig die Deime durchschwamm und das von der Offizierspatrouille zurückgelassene Boot herüberholte.
Die Männer, die Hans Helmer auf diesem nächtlichen Zuge begleiteten, hatten auf seinen Befehl nichts weiter bei sich als das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett und in den Taschen des grauen Rockes je fünfzig Patronen. Lederzeug, Seitengewehr, Feldflasche, alles blieb im Schützengraben zurück, damit nicht etwa ein Klappern dieser Ausrüstungsgegenstände das Vorhaben vorzeitig verriet.
Mit äußerster Behutsamkeit wurden nun zehn breite, leichte Bretter, die aus einem Gehöft des Dorfes herbeigeschafft worden waren, und die an jedem Ende mit Stricken zum leichteren Tragen versehen worden waren, in das Boot geladen und an das andere Ufer hinübergerudert. Dann folgten Helmers Leute, wozu das Boot dreimal die Tour über die Deime machen mußte. Zuletzt wurden noch drei Kannen voll Petroleum und zwei große, in Zeltbahnen eingewickelte Bündel Heu verfrachtet. Auch diese Dinge hatten ihren bestimmten Zweck.
Hans Helmer hatte die Seinen vorher ganz genau über seine Absichten aufgeklärt und jedem einzelnen seine bestimmte Rolle zugewiesen. Sein Plan war eigentlich einfach genug. Da die von Buschwerk bestandenen Grabenränder, an denen in der Nacht vorher Leutnant v. Sierna vorgedrungen war, als die einzigen passierbaren Stellen des endlosen Wiesengebietes fraglos von den Russen bewacht wurden, wollte Helmer eben mit Hilfe der Bretter, die ein Einsinken in den schwankenden Boden verhüten sollten, an einer Stelle die Wiese überschreiten, wo der Feind ein solches Unternehmen nie ahnen konnte. Dann sollten einige Mann unter Führung des Gefreiten Blümermann den Wald nördlich der Oberförsterei in Brand stecken und so die Aufmerksamkeit der russischen Wachen von der Oberförsterei selbst ablenkenden. Mit dem Rest wollte Helmer sich bis dicht an die Gebäude heranschleichen und im geeigneten Moment die Befreiung der Gefangenen versuchen. –
Das einzig Bedenkliche an diesem Plan war der Rückzug, der doch nur im feindlichen Feuer – denn daß der Gegner die kecke Schar eifrig verfolgen würde, war sicher! – stattfinden konnte. Dies hatte auch Hauptmann v. Berster betont. Nun, Hans Helmer hoffte auf sein gutes Glück und darauf, daß er den Russen die Richtung seines Rückzuges verheimlichen könnte. So leicht würden sie ja nicht darauf verfallen, daß er seinen Weg mitten durch die Wiesen genommen habe.
Jedenfalls zeigte sich bereits beim Beginn dieses schwierigen Vordringens über den Wiesengürtel, daß der Reserveunteroffizier seine Maßnahmen sehr praktisch gewählt hatte. Mit Hilfe der zehn Bretter wurde zunächst an einer vorher ausprobierten, etwas festeren Stelle ein Laufstege hergestellt, an dem die Bretter flach auf den Boden gelegt wurden. Dann betrat der Trupp Mann hinter Mann unter Vermeidung des geringste Geräusches den Steg und drängte sich am anderen Ende möglichst dicht zusammen, so das die vier letzten Bretter leer blieben und von Hand zu Hand nach vorn gereicht werden konnten, wo sie dann die Stegspitze verlängerten – freilich nur um insgesamt etwa sechzehn Meter jedes Mal, so das diese Art das unwegsame Gelände zu passieren recht zeitraubend war, da Hans Helmer das Auswechseln und Nachvornschaffen der Bretter unzählige Male vornehmen lassen mußte. Damit hatte er aber von vornherein gerechnet und deshalb auch den Aufbruch schon für zehn Uhr festgesetzt. Immerhin kam der kleine Trupp vorwärts, und das blieb die Hauptsache.
Natürlich fehlte es auch nicht an unliebsamen Zwischenfällen. Einigemale glitten Leute von den feuchten, teilweise sogar unter Wasser stehenden Planken ab und mußten schleunigst wieder von den Kameraden hochgezogen werden. Aber die Aufregung, die dieses abenteuerliche Vorhaben bei den Teilnehmern notwendig hervorgerufen hatte, ließ die braven Mannschaften die Kälte der klatschnassen Uniformen und Füße schnell vergessen. Ein Glück war es, daß gerade in dieser Nacht eine ganze Anzahl von Wildenten und -gänsen auf den Tümpeln und Gräben der Wiesen eingefallen waren und einen ziemlichen Lärm verübten, der die Geräusche des Vorschiebens der Bretter und gelegentliche klatschende Töne – wenn einer der Feldgrauen unliebsame Bekanntschaft mit der moorigen Wiese machte, übertönte.
So vergingen etwa zwei Stunden, den Leuten war trotz der recht empfindlichen Kühle doch schließlich warm geworden. Und mit jedem Schritt vorwärts verstärkte sich ihre Zuversicht auf einen glückliches Gelingen. Man war inzwischen dem Waldstreifen, auf den man zuhielt, schon recht nahe gekommen, so daß nun noch leiser und vorsichtiger verfahren werden mußte, da als sicher anzunehmen war, daß die Russen am Waldrande einen ständigen Patrouillendienst unterhielten.
Soeben waren wieder die hintersten freien Bretter nach vorn gereicht worden. Da bemerkte Helmer, der stets die Spitze seines Zuges hielt, daß das vorderste Brett bereits festen Boden berührte. Sich eng an die Erde anschmiegend kroch er nun vorwärts, um das Vorterrain erst einmal zu besichtigen. Die Dunkelheit der Nacht – zwischen den Wolken am Himmelsgewölbe blinkte nur hie und da ein Stern auf – gestattete kaum eine Fernsicht von einigen acht Meter. Bald erreichte Helmer dann eine kleine, am Wiesenrande fortlaufende Erhöhung, die die Grenze zwischen dem moorigen Gebiet und dem festen Lande bildete. Hinter dieser gelinden Anhöhe ließ er seine Leute zunächst lagern.
Kaum hatten die dreißig Mann geräuschlos diese Stellung eingenommen, als von dem etwa zwanzig Meter entfernten Waldrande deutlich Stimmen herüberschallten. Hin und wieder war sogar ein einzelnes Wort klar zu verstehen. Aber weder Hans Helmer noch einer der Seinen konnte Russisch, so daß man aus den Zurufen nicht das Geringste entnehmen konnte.
Allen ohne Ausnahme klopfte das Herz bis zum Halse hinauf. Hatte der Feind sie etwa bereits entdeckt? Mußten sie jeden Moment damit rechnen, unter Feuer genommen und in den Sumpf zurückgedrängt zu werden? Wohl jedem einzelnen der kleinen deutschen Abteilung schossen diese Gedanken durch den Kopf.
Bange fünf Minuten vergingen. Drüben am Waldrande war wieder alle still geworden. Man atmete auf. Und nun erst schickte Helmer den Gefreiten Blümermann mit einem sehr gewandten Berliner Maurergesellen namens Menke vor, um zu sehen, was es da vorne eigentlich gebe. Wieder verstrich eine halbe Stunde. Dann tauchten die beiden Kundschafter wie dunkle Schatten über die Erde hinhuschend, wieder auf.
Blümermann erstattete Bericht. Dort am Waldessaume hinter einem Gebüsch lag wieder eine feindliche Wache, die sich aus Zweigen eine Hütte errichtet habe. Wie stark diese Wache sei, habe er nicht feststellen können. Aber der Größe der Hütte nach dürften es kaum acht Mann sein. Dann stehe noch am Rande des Waldes ein einzelner Posten, der eben abgelöst worden sei. Deshalb habe man wohl auch die Rufe und Stimmen gehört.
Hans Helmer war schnell mit sich einig geworden. Die Wache mußte auf jeden Fall unschädlich gemacht werden. Und so suchte er sich denn von seinen Leuten zwölf der kräftigsten heraus, die ihn begleiten sollten. Blümermann mußte, obwohl ihm das gar nicht recht war, bei dem Rest bleiben und während der Abwesenheit des jungen Reserveunteroffizieres das Kommando übernehmen, während Fritz Menke, der gerissene und geschickte Maurergeselle, das Amt des Führers übernahm.
Kriechend bewegten sich vierzehn Leute, die ihre Gewehre zurückgelassen hatten und nur die blanken Seitengewehre bei sich trugen, vorwärts. Menke richtete es so ein, daß man etwa dreißig Meter seitwärts von dem am Waldsaum stehenden Posten in den Forst gelangte. Nun kam es zunächst darauf an, diesen Posten absolut geräuschlos unschädlich zu machen.
„Den übernehme ick alleene, Herr Unteroffizier,“ flüsterte Menke. „Wenn ick dreimal leise huste, ist der Kerl erledigt.“
Damit verschwand er zwischen den ziemlich dicht stehenden Stämmen.
Überraschend schnell erklang das verabredete Signal. Und nun schlich der Trupp, sich immer am Waldessaume haltend, weiter vor. Bald stieß man denn auch auf den Berliner, der neben dem von ihm von hinten niedergerissenen Feinde kniete und ihm das Seitengewehr drohend aufs Herz gesetzt hatte.
„Los – bindet ihn!“ flüsterte Menke. „und rinn mit’n Knebel in den russischen Rachen!“
Der verängstigte Posten dachte an keine Gegenwehr. Schnell wurde er mit Hilfe der mitgenommenen Gewehrriemen gefesselt und dann ein Stück abseits in den Forst geschleppt, wo zwei Leute zu seiner Bewachung zurückblieben. Die anderen folgten Menke, der auch sehr bald die niedrige Hütte gefunden hatte, aus der lautes Schnarchen und Pusten hervortönte.
Leise beriet sich Hans Helmer mit dem Berliner Maurer, wie man nun am besten die Gesellschafter da drinnen herausholen könne.
„Am besten jeden alleene,“ erklärte Menke. „Ick und der Huber – der is Steenklopper und hat och ‘n Biceps wie’n Ringkämpfer – wir werden jeniegen. Wenn ick eenem die Kehle zudricke, dann sacht er vorläufig keen Wort mehr. Und Hubern seine Klaue is ebenso ville wert.“
Trotzdem hatte Helmer schwere Bedenken gegen diese Art der Überrumpelung. Wenn auch nur einer der Russen erwachte, so war der ganze Plan zu Wasser geworden. Aber andererseits sah er auch ein, daß der Russenposten beseitigt werden mußte, da er ihre Rückzugslinie zu sehr gefährdete.
So machten sich denn die beiden bärenstarken Leute ans Werk. Während Helmer von den übrigen die aus Zweigen und Moosstücken hergestellte Hütte umzingeln ließ, hob Menke vorsichtig das Stück Leinwand hoch, das den Eingang verdeckte. Gleich vorn lag ein Russe, von dem er zunächst nur die Füße erblickte. Der Kerl schnarchte geradezu unglaublich.
Menke tastete sich zentimeterweise vorwärts, bis er mit der Rechten den Hals seines Opfers erreicht hatte. Dann ein eisenfester Griff … Der Russe versuchte noch mit Armen und Beinen um sich zu schlagen. Aber die Beine hielt Huber jetzt wie in stählernen Klammern, und die Handgelenke hatte Menke mit Blitzschnelle in seiner Linken vereinigt. Bald lag der Russe regungslos da und wurde nun vorsichtig mit den Füßen zuerst ins Freie gezerrt.
Noch viermal mußten die beiden Berliner diese gefährliche Prozedur wiederholen. Dann war das Zelt leer. Die Wache schien also doch nur sechs Mann stark gewesen zu sein. Freilich – noch im letzten Moment wäre beinahe das ganze Vorhaben daran gescheitert, daß der letzte der Russen vorzeitig erwachte und, erstaunt über das Fehlen seiner Zeitgenossen, bis an den Eingang vorkroch, wo gerade Menke das eben abgefertigte Opfer den Kameraden zum Knebeln und Fesseln übergab.
Schon hatte der Russe, der mit einem Blick die fremden Gestalten überflog und sofort die Situation durchschaute, den Mund zu einem Warnungsruf geöffnet, als Menkes Faust ihm an die Kehle fuhr.
Eine unterdrückte Stöhnen, dann war auch die Gefahr beseitigt.
Nun ging’s mit den sechs Gefangenen, die zum Teil noch bewußtlos waren, zurück zu dem Haupttrupp am Wiesenrand. Immer zwei Mann trugen einen Russen. Und glücklich langte man wirklich bei den übrigen an. Hier erwartete Helmer eine hochwillkommene Botschaft. Blümermann war es während der Abwesenheit des Reserveunteroffizieres geglückt, eine russische Patrouille, die am Wiesenrande unaufmerksam entlanggeschlendert kam, von rückwärts zu überfallen und ohne jeden Lärm gefangenzunehmen. So hatte man jetzt schon acht Feinde unschädlich gemacht und zwar gerade die, die am leichtesten den Fortgang des Unternehmens hätten stören, ja gefährden können.
Nunmehr wurde mit dem zweiten Teil des Planes begonnen. Zur Linken, etwa dreihundert Meter entfernt, mußte die Oberförsterei liegen. Man bemerkte in jener Richtung auch ein paar Lichtpünktchen, fraglos Lampen oder Laternen, die hinter den Seitenfenstern der Gebäude brannten.
Blümermann wandte sich jetzt an Hans Helmer, der eben die Männer bestimmte, die mit den Gefangenen zurückbleiben sollten.
„Herr Unteroff’zier,“ meinte er eifrig, „ich hab’ ‘ne Idee, wie wir det Ding hier noch jeschickter drehen können. Der Wind kommt jerade von Nord, und ‘s is ‘n recht nettes Lüftchen. Wie wär’s, wenn wir den Wald so etwa fünfzig Meter vor der Oberförsterei an mehreren Stellen zugleich ansteckten? Det wäre meines Erachtens besser, als wenn’s so ungefähr hier geschähe, wo Herr Unteroff’zier ‘s zuerst wollten. Der Wind wird den Brand derart ausbreiten, daß die Oberförsterei so gut wie abgeschnitten is. Der Feind steckt im Walde, und da hat er alle Hände voll zu tun seien eijenet Leben zu retten und wird uns scheenstens in Ruhe lassen, wenn wir unsern Leutnant und die Kam’raden herausholen.“
Helmer sah ein, daß die Idee wirklich nicht schlecht war. Bot sie doch auch den Vorteil, daß der Feuerschein nicht bis zu der Stelle des Wiesenrandes hinreichen konnte, von wo aus die Abteilung nachher wieder den Rückzug auf ihre eigenen Linien antreten wollte.
So wurde denn der Gefreite Blümermann mit vier Mann vorausgeschickt, um alles für den Waldbrand vorzubereiten. Dieser kleine Trupp nahm natürlich auch die Petroleumkannen und die Heubündel mit.
Nachdem etwa eine Viertelstunde nach dem Abmarsch des Gefreiten und seiner Männer verstrichen war, setzte sich auch Helmer mit den ihm verbliebenen einundzwanzig Leuten in Richtung auf die Oberförsterei in Marsch. Mit größter Vorsicht, denn man mußte immer noch damit rechnen, einer russischen Patrouille zu begegnen, schritt der junge Unteroffizier einige dreißig Schritte vor den Seinen her. Aber nichts Verdächtiges zeigte sich. Und dann hoben sich von der dunkleren Baumkulisse deutlich die Umrisse der Baulichkeiten der Oberförsterei ab. Ungehindert drang die Abteilung bis zu dem aus kleinen Tannen gebildeten Zaun des Vorgartens vor.
Hier ließ Helmer seine Leute, die sich zwischen den immergrünen Stämmen durchgezwängt hatten und nun gegen Sicht tadellos gedeckt lagen, zunächst zurück und pirschte sich mit dem besonders eifrigen Menke bis an das eigentliche Forsthaus vor. Eine Weile horchten sie, tief an die Erde gedrückt, auf die Stimmen, die vom Hofe herüberschallten.
Dann brachte der Berliner Maurergeselle seinen Mund dicht an das Ohr des Vorgesetzten.
„Da jejen die hellgestrichene Steilwand erkenne ick genau die Gewehrpyramide der hier liegenden Wache. Mehr als dreißig Mann können det nicht sind. Und dort – dort steht auch ‘n Posten.“
Wirklich bemerkte jetzt auch Helmer die in Pyramiden aufgestellten Gewehre des Feindes und ebenso einen Mann, der gerade aus dem Schatten des Hauptgebäudes hervortrat und langsam am Garten entlang ging, die Schußwaffe unter dem Arm und den Kragen des dunklen Mantels hochaufgeschlagen.
Mit klopfenden Herzen verfolgten die beiden Lauscher die in der Dunkelheit kaum noch sichtbare Gestalt. – Wie, wenn der Posten die im Garten versteckten Leute aufspürte und Lärm schlug? Dann konnte noch im letzten Moment das ganze Unternehmen mißglücken.
Plötzlich hörte Helmer neben sich ein leises Geräusch. Er erstarrte fast, als er nun den Maurer aufrecht und mit lauten Schritten dem Posten nachgehen sah. ‚Ist Menke denn total wahnsinnig geworden!’ fuhr es dem jungen Unteroffizier durch den Sinn. „Was mag er nur vorhaben? Will er etwa den Mann unschädlich machen?“
Freilich, nichts anderes beabsichtigte der kecke Berliner. Er rechnete eben damit, daß der Russe niemals annehmen würde, ein Feind könne ihm so ungeniert aus der Richtung der Gebäude folgen. –
Und diese Annahme traf auch zu. Der Russe wandte sich erst um, als Menke nur noch drei Schritte von ihm entfernt war. Und auch da ahnte er noch nicht, daß er einen Deutschen vor sich hatte. Erst als ihm die nervige Faust an der Kehle saß, als ein schwerer Körper ihn mit voller Wucht zu Boden drückte, sah er seinen Irrtum ein. Nun aber war’s zu spät.
Auch dieser arme Überrumpelte wurde schleunigst gefesselt und zwischen die Büsche geschleift. Dann kehrte Menke zu seinem Vorgesetzten zurück, der sich nicht enthalten konnte, ihn wegen seines eigenmächtigen Verhaltens zu verwarnen.
„Herr Unteroff’zier,“ entschuldigte sich Menke leise, „die Geschichte mußte schnell erledigt werden, sonst hätte der Kerl die Unsrigen doch noch entdeckt. Da konnte ick nicht erst lange –“
Weiter kam der Wackere nicht. Denn auf dem Hofe brüllte jetzt eine Stimme irgend ein russisches Wort, und gleich darauf stürmten drei Mann aus dem Schatten der Gebäude hervor und blieben keine zwanzig Schritt vor den beiden Deutschen stehen und stießen laute Bemerkungen aus, indem sie seitwärts in den Wald deuteten. Dann verschwanden sie ebenso schnell wieder in dem Eingang des Forsthauses, wo man sie laut brüllen hörte.
Diesen Moment benutzten Helmer und Menke und eilten zu der im Garten versteckten Abteilung zurück. Einen flüchtigen Blick hatten sie noch nach links geworfen, wo der Wald bereits lichterloh brannte und der starke Wind die Flammen schnell auf die Oberförsterei zutrieb. Kein Zweifel, die Russen hatten das Feuer bemerkt und weckten jetzt ihre in dem Gebäude schlafenden Kameraden.
Die Entscheidung war da. Nun hieß es den rechten Augenblick abpassen, um die Gefangenen auf irgend eine Weise zu befreien. Zu diesem Zweck mußte man allerdings erst den Feind aus den Baulichkeiten vertreiben. Aber auch das würde gelingen – mußte – irgendwie..!
Nur kurze Zeit brauchte Helmer, um mit sich über sein weiteres Vorgehen ins Reine zu kommen.
Wieder winkte er Menke und schlich mit ihm durch den Garten auf das Forsthaus zu, in dem es jetzt recht lebhaft zuging.
Der Feind war schnell munter geworden und drängte, getrieben von Neugierde und Angst, zum Hause hinaus. Draußen unweit des Hoftores standen nun an die fünfzig Russen und starrten wie gebannt auf die knisternde Glut, die mit jeder Minute näher rückte.
Eben schlichen Helmer und sein Begleiter um die Hausecke. Vor ihnen, keine fünfzig Schritt weit, standen in dichtem Haufen die überraschten Feinde, die noch immer nicht begreifen konnten, wie dieser Waldbrand ausgebrochen sein mochte.
„Schnell, Menke, holen Sie die Unsrigen her. Eine bessere Gelegenheit bietet sich uns nicht. Die Kerle haben ihre Gewehre in der ersten Schlaftrunkenheit stehen lassen.“
Der Berliner jagte davon.
Hans Helmer aber legte sich, um nicht durch einen Nachzügler überrascht zu werden, lang auf einen im Hof stehenden Ackerwagen, dessen Seitenbretter ihn genügend verbargen.
In wenigen Minuten war Menke mit der Abteilung da.
Helmer sprang von seinem Versteck herab und verteilte seine Leute mit fliegender Hast so, daß jeder gutes Schußfeld hatte.
Noch immer standen die Russen auf derselben Stelle. Jetzt aber schien die lähmende Überraschung zu weichen. Ein schlanker Mann, der sich etwas abseits von den übrigen gehalten hatte, rief dem Haufen ein paar Kommandos zu. Offenbar war er ein Offizier. Schon drängte die Schar auseinander, als plötzlich eine jugendliche Stimme vom Hofe der Oberförsterei ertönte:
„Feuer!“
Eine Salve aus einundzwanzig deutschen Gewehren fegte in das russische Knäuel.
Die Wirkung war furchtbar. Fast die Hälfte der völlig ahnungslosen Feinde erlag schon dieser ersten Kugelsaat. Und weiter fuhren nun Schuß auf Schuß aus den Gewehren der Angreifer dem Gegner entgegen, der jetzt in wilder Flucht in nördlicher Richtung am Waldrande davonstürmte, seine Waffen, sein Gepäck, alles im Stich lassend.
Aber auch nach dieser Seite hin zeigte sich der Weg versperrt. Plötzlich blitzte es hie und da vom Boden auf, und diese Kugeln kamen aus der Richtung, wohin der Rest der Forsthausbesatzung zu fliehen gedachte. Im hellen Lichtschein des brennenden Waldes boten die Russen ein vorzügliches Ziel. Und so vermochte Gefreiter Blümermann, der hier mit seinen Leuten nach Inbrandsetzung des ziemlich dichten Unterholzes Posto gefaßt hatte, den Feind bis auf einige Waghalsige, die in ihrer Angst blindlings in die Wiesen hineinstürmten, aufzureiben.
Inzwischen hatte Hans Helmer, der auch jetzt wieder große Umsicht bewies, von drei Leuten das Oberförster Haus durchsuchen lassen, während er selbst mit Menke die Scheune und den Stall revidierte, und der Rest der Abteilung sich nach allen Seiten verteilte, um gegen einen plötzlichen Überfall gesichert zu sein.
Wie notwendig gerade diese letzte Anordnung gewesen war, zeigte sich sehr bald. Ein starker Trupp feindlicher Infanterie stürmte jetzt nämlich von der südlichen Wiesenseite herbei, geführt von zwei Offizieren, die mit anerkennenswerter Bravour ihren Leuten weit voraus waren.
Doch auch dieser Sturmlauf zerschellte an dem ruhigen Feuer der deutschen Abteilung. Die beiden Offiziere fielen zuerst, und da kam bereits ein ängstliches Stocken in den Angreifer, der bald darauf in wilder Hast in das schützende Dunkel zurückfluteten, nachdem er beträchtliche Verluste erlitten hatte.
Das knisternde und rasselnde Feuer des Waldbrandes hatte mittlerweile längst auch die Waldzone ergriffen, an deren Spitze die Oberförsterei lag. Die Umgegend war jetzt bis auf zweihundert Meter von rötlicher Glut erhellt. Gierig leckten die Flammen an den Kiefern und Tannen empor. Einzelne, besonders hohe und trockene Nadelbäume brannten wie Riesenfackeln. Ganze Scharen von Krähen, aufgescheucht durch das Flammenmeer, kreisten hoch in der Luft mit ohrenbetäubendem Krächzen. In diesen Lärm mischte sich immer wieder der scharfe Knall eines Schusses, das Schreien der Verwundeten und der Lärm der Wasservögeln auf den Wiesen, die in nicht minder große Aufregung als die Krähen geraten waren. –
Soeben erschien Hans Helmer in der Stalltür. Vor sich her trieb er zwei zitternde russische Infanteristen, die er in dem Schweinekoben versteckt aufgefunden hatte. Hinter ihm wurde Menke sichtbar, der eine Laterne in der Linken trug.
„Wer weiß, wo sie unsere Kameraden einigespunnt haben,“ knurrte Menke, indem er sich auf dem jetzt fast taghellen Hofe suchend umblickte. „Hier in der Scheune oder dem Stall sind sie jedenfalls nicht. – Da kommen ja auch die drei, die das Forsthaus abgesucht haben, Herr Unteroffizier. Auch mit leeren Händen. Sollte die Bande die Unsrigen etwa –“
Er sprach seine Befürchtung nicht aus. Ein dumpfer Schrei, aber doch fraglos ein deutsches Wort, war an sein Ohr gedrungen.
„Hören Sie, Herr Unt’roffizier –“
Und jetzt wieder.
„Hilfe! – Hier sind wir –“
Menke kam auf das Richtige.
„Dort im Keller der Oberförsterei stecken sie. Vorwärts.“
Und schon stürzte er auf den dachartig vorspringenden Kellereingang zu.
Mit einem Male blitzte es aus einem der niedrigen, vergitterten Fenster dicht über der Erde auf.
Menke taumelte noch einige Schritte und schlug dann schwer zu Boden.
Schon war aber auch Helmer bis zu dem Eingang vorgedrungen und wollte die Tür aufstoßen.
Sie widerstand.
„Äxte her, Leute, schnell!“
Abermals ein Schuß aus dem Kellerfenster. Zum Glück pfiff die Kugel unschädlich über den Hof.
Und bald darauf donnerte Hieb auf Hieb gegen das Holz. Das zertrümmerte Schloß fiel heraus. Und als erster eilte ‚Mädchen’ nun die wenigen Stufen hinunter, gefolgt von ein paar seiner Leute, von denen zwei Stallaternen in den Händen trugen.
Zur Linken eine verschlossene Tür. Wieder dröhnten die Axthiebe. Dann drinnen ein Schuß. Klatschend schlug das Geschoß hinter Hans Helmer in den Mauer.
Noch ein letzter Hieb, ein Fusstoß. Die Tür flog auf.
Aber der Raum war leer. Nur in einer Ecke lag ein Haufen von Säcken, die mit Kartoffeln gefüllt zu sein schienen.
„Nanu, wo sind die Kerle denn geblieben,“ schrie Huber, der durch den Verlust seines Freundes Menke in hellste Wut versetzt worden war. „Hier führt doch kein zweiter Ausgang hinaus.“
Dann flog es wie ein drohendes Lächeln über sein Gesicht.
„Wetten, daß die Kerle sich hinter den Säcken verkrochen haben?“ brüllte er. „Heraus, Gesindel – heraus! Und – wo ist unser Leutnant und die übrigen!“
Sein Bajonett fuhr zwischen zwei Säcken hindurch. Ein wilder Schrei antwortete. Dann eine Stimme in gebrochenem Deutsch: „Erbarmen, Brudder Dutscher!“
Im Nu waren die Säcke beiseite geworfen. Wirklich steckte dahinter ein russischer Infanterist, dem Hubers Seitengewehr offenbar den linken Oberarm durchbohrt hatte. Denn der Uniformärmel war an der Stelle bereits bedenklich rot gefärbt, und dieser Fleck vergrößerte sich zusehends.
Auf Knien, die rechte Hand flehend erhoben, rutschte der Russe vorwärts. Huber musterte ihn mit Blicken, die alles andere als freundlich waren.
„Wo sind unsere Kameraden?!“ schrie er den Gefangenen an. „Raus mit der Sprache! Und wehe dir, wenn auch nur einem von ihnen ein Haar gekrümmt ist.“
In der Aufregung und Wut vergaß er sogar, den geliebten Berliner Dialekt anzuwenden.
Ein wenig Deutsch schien der Russe doch zu verstehen. Und in seiner Todesangst zeigte er nun in der Richtung auf die Tür dieses Kellergelasses.
Weiter stürmten die Deutschen. Nur einer blieb bei dem Verwundeten zurück, der immer noch nicht recht daran glauben wollte, daß er mit dem Leben davonkommen sollte.
In dem Kellergang, der weiter unter dem Gebäude entlanglief, ließ Huber abermals seine Stimme erschallen. Aber nichts regte sich. So mußte man alle die Türen erbrechen, die in die einzelnen Kellerräume führten.
Vor der letzten angelangt, wurden Helmer und die Seinen abermals durch einen Schuß begrüßt, der von innen aufs geratewohl abgefeuert worden war. Die Kugel zersplitterte den Stiel der Axt, die einer von den Mannschaften zum Schlage erhoben in der Hand hielt.
Und wieder donnerten die Hiebe gegen den verschlossenen Eingang.
Dann war man drinnen. Das unsichere Licht der Starlaterne ließ in einer Ecke als erstes einen Mann erkennen, der mit angeschlagenem Gewehr dort stand. Da knallte auch schon der Schuß. Haarscharf an Hans Helmers linkem Ohr pfiff das Stahlmantelgeschoße vorbei. –
Aber zum Laden kam der Russe nicht mehr. Wie ein Tiger hatte sich Hruber mit einem Satz auf ihn gestürzt. Der Bajonettstich saß mitten im Herzen. Mit einem lächzenden Stöhnen brach der Russe zusammen.
Freudige Ausrufe aus deutschen Kehlen übertönten jedoch diese schrecklichen Laute.
Die gefangenen Kameraden waren gefunden.
Das war ein frohes Begrüßen, ein eiliges Hin und Her von Fragen und Antworten.
Leutnant v. Sierna, der um den Kopf einen Verband von Taschentüchern trug, war der einzige Verwundete. Kaum hatte er dann von Huber gehört, dem er dieses Rettungsunternehmen verdankte, da drückte er Hans Helmers Rechte zwischen seinen Händen und preßte tief bewegt hervor:
„Wie soll ich Ihnen danken! Und auch euch, Leute! Treue Seelen –!“ Die Stimme versagte ihm.
Da erklang von hinten eine tiefe Baßstimme, die des totgeglaubten Menke, dem freilich rotes Blut die ganz linke Gesichtshälfte besudelt hatte.
„Na, ‘s wär ja auch noch scheener, wenn wir Herrn Leitnant hätten in die Patsche stecken lassen!“
„Menke – Sie leben?“ entfuhr es Helmer.
„Ob ick lebe!! War nur ‘n Streifschuß an der Schläfe. – Nu aber raus hier. Wer weiß, wie’s oben steht!“
Und in der Tat – es stand nicht gut um die kleine deutsche Abteilung. Kaum hatten die wackeren Retter den Keller verlassen, als sie auch schon das Knattern eines lebhaften Feuergefechts vernahmen.
Leutnant v. Sierna, dem Helmer nun das Kommando übergeben wollte, mußte jedoch ablehnen.
„Der Kerl, den der Huber mit dem Bajonett vorhin abfertigte, hat mir, als ich um Hilfe rief, damit Sie uns finden sollten, mit dem Kolben einen derartigen Schlag vor den Schläfe versetzt, daß ich ohnmächtig umsank,“ erklärte er matt. „Und auch jetzt vermag ich mich kaum auf den Beinen zu halten. Es geht nicht – meine Gedanken verwirren sich immer wieder!“ –
Inzwischen hatten einige Leute auch die der deutschen Offizierpatrouilliere abgenommenen Waffen in einem Zimmer der Oberförsterei entdeckt, so daß Helmers Abteilung eine hochwillkommene Verstärkung erhielt. Der junge Reserveunteroffizier stellte nun zunächst fest, wie es um den Rückzug stand, der jetzt sofort angetreten werden konnte. War doch das Vorhaben der wackeren Freiwilligen über Erwarten gut geglückt. Die, die man hatte befreien wollen, waren so gut wie unverletzt aus ihrem Kerker herausgeholt worden. Und nun kam es nur noch darauf an, ebenso glücklich auch wieder über die Wiesen zu der Kompagnie zu gelangen.
Beim Scheine des brennenden Waldes bemerkte Helmer, daß der Feind im Süden etwa hundert Meter von der Oberförsterei entfernt hinter einer langgestreckten Anhöhe lag und von dort ein lebhaftes Feuer auf die Gebäude unterhielt, das von den gut gedeckten Deutschen, die teils in den Baulichkeiten, teils im Schatten der Gartenumzäunung Stellung genommen hatten, langsam, aber dafür auch mit sicherem Erfolg erwidert wurde.
Unaufhörlich schlugen die Geschosse des Feindes teils in die Mauern der Häuser, teils auch in die Dächer ein, so daß immer wieder zertrümmerte Ziegel herabpolterten.
Helmer wollte gerade den Befehl geben, daß alles sich nach Norden zu auf den festen Landstreifen zwischen Wald und Wiese zurückziehen solle, als Gefreiter Blümermann vor ihm auftauchte, dem die ganzen übrigen Leute, auch die, die an der Übergangstelle bei den Gefangenen zurückgelassen waren, folgten.
„Herr Unt’roffizier,“ meldete Blümermann atemlos, „vom Norden her rückt eine starke feindliche Truppe, mindestens zwei Kompagnien, gegen die Oberförsterei am Waldrande entlang, vor. Ich habe gerade noch so viel Zeit gehabt, die Bretter mitnehmen zu können. Die Gefangenen haben wir zurücklassen müssen, sonst wären wir abgeschnitten worden.“
Helmer fühlte, wie ihm einen Moment der Herzschlag stockte. Also auch von dort näherte sich der Gegner! Wie lange würde es noch dauern, dann waren sie vielleicht umzingelt!
Aber er ließ sich nicht anmerken, welche Befürchtungen er für die Lage der Seinen hegte.
„Gut, daß Sie an die Bretter gedacht haben, Blümermann,“ erklärte er kurz. „Dann werden wir eben an der der Oberförsterei gegenüberliegenden Stelle des Wiesengürtels diesen zu überschreiten versuchen. – Schnell, sagen sie den Leuten dort im Garten Bescheid.“
Leutnant v. Sierna, der sich auf denselben Wagen gelegt hatte, auf dem sich Helmer vorhin versteckt hatte, rief jetzt den Unteroffizier zu sich.
„Was gibt’s, Helmer?“ fragte er matt.
Der berichtete eilig das Nötige.
„Wir müssen durch!“ stieß der junge Offizier darauf zwischen den Zähnen hervor. Und mühsam kroch er von seinem harten Lager herunter.
Da knallten auch schon von Norden her die ersten Schüsse.
„Wenn der Feind jetzt vorstürmt, sind wir alle verloren,“ sagte Helmer, indem er seinem Leutnant hastig ein an der Pumpe angefeuchtetes Tuch um die Stirn schlang.
Aber die Russen, die wohl glauben mochten, daß die Oberförsterei von stärkeren deutschen Kräften besetzt sei, wagten keinen offenen Vorstoß, sondern ließen es dabei bewenden, die Gebäude von Norden und Süden her mit einem wahren Geschoßhagel zu überschütten.
Zum Unglück für die kleine deutsche Abteilung war jedoch auch das Gelände vor der Oberförsterei bis zu den Wiesen hin fast taghell durch den Waldbrand erleuchtet. So konnte es dem Gegner nicht entgehen, daß die braven Retter der Gefangenen jetzt nach Westen durchbrechen wollten. Kaum zeigten sich die ersten Männer außerhalb des Gartens, als auch schon ein wahres Hagelwetter von Kugeln ihnen um die Ohren prasselte. Zwei von den Leuten, darunter auch Blümermann, erhielten Oberschenkelschüsse, vermochten sich aber trotzdem mit den übrigen wieder in den Schutz der Gartenbäume zurückzuziehen.
„Da durchzukommen ist unmöglich,“ erklärte Blümermann dem jungen Unteroffizier, der jetzt neben ihm hinter einem Haufen am Boden lag. „Da bringen wir keinen lebend bis an die Wiese –“
Leutnant v. Sierna, der sich inzwischen ein russisches Gewehr mit Patronen besorgt hatte, trat gerade hinter einem starken Birnbaum hervor.
„Der Gefreiter hat recht,“ meinte er. „Lassen Sie unsere Leute sich wieder verteilen, Helmer, und das Feuer nach beiden Seiten aufnehmen. Und die Leute sollen schießen, was aus den Gewehren heraus will! Wir müssen den Eindruck zu erwecken suchen, als ob wir über mindestens eine Kompagnie verfügen. Ist unsere Munition verschossen, so nehmt die russischen Gewehre. Patronen genug sind da.“ –
Wieder war eine halbe Stunde verstrichen. Ein paar Mal hatten die Russen auch den Landstreifen vor der Wiese besetzen wollen, um das Gehöft vollkommen einzukreisen. Aber vor den gut gezielten deutschen Kugeln waren die Schützen immer wieder zurückgekrochen.
Helmer, der eben auf einen vorwitzigen Feind gefeuert hatte, dessen hohe Mütze hinter einem kaum achtzig Meter entfernten Erdhaufen hervorlugte, sah nach der Uhr.
Drei Uhr morgens.
Und dann schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Der Morgennebel! Wenn der sich doch auch heute einstellen wollte. Kalt genug war es ja. Und bisher war die graue undurchsichtige Masse noch regelmäßig um diese Zeit wie ein dichter Schleier über der Erde aufgetaucht.
Neben Helmer keuchende Atemzüge. Huber war’s, der von der Ostecke des Gartens herbeigelaufen kam.
„Herr Unt’roffizier – Herr Unt’roffizier – der Nebel ist da. Gleich wird er den Garten erreicht haben, und dich und gelb ist er wie – wie Erbssuppe!“
„Los denn! Die Verwundeten werden auf die bereitgehaltenen Leitern gelegt, auch unser Leutnant. – Sagen Sie ‘s überall an – alles zieht sich nach der Wiese zurück. Schnell – und die Bretter nicht vergessen.“
Schwer hing der Nebel bereits in den Obstbäumen des Gartens, als die deutsche Abteilung im Marsch Marsch, aber möglichst geräuschlos, den Rückweg antrat. Zwar feuerten die Russen noch immer, aber sie trafen nicht. Gegenüber diesem naßkalten Brodem war selbst der Feuerschein machtlos. Er vermochte ihn nicht zu durchdringen.
Trotzdem hatte der Gegner an dem plötzlichen Verstummen der deutschen Gewehre gemerkt, daß dort drüben etwas Besonderes im Werke war. Kaum hatten die braven Retter den Wiesenrand erreicht, als sie hinter sich das Angriffsgeschrei des Feindes hörten, der jetzt stürmend gegen die Gebäude vorging. Und auch in nächster Nähe vernahmen sie nun unterdrückte Zurufe, eiliges Hin- und Herlaufen.
In wilder Hast wurden die Bretter ausgelegt. Und doch – wie endlos lange dauerte es, bis man sich ein Stück in die Wiese hineingearbeitet hatte. Mußten doch die Verwundeten und auch der Leutnant, die sich nicht mehr aufrecht halten konnten, von Hand zu Hand weitergereicht werden.
Rings um lag der grauen Nebel. Kaum drei Schritte weit vermochte man zu sehen. Und schweigend wurde der schwankende Steg über den grundlosen, nassen Boden immer weiter vorwärtsgetrieben.
Da – als man der Zeit nach ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, als man eben in dieser Finsternis nicht nach rechts oder links abgewichen war, in der Ferne, in Richtung der Oberförsterei ein furchtbarer Knall und eine Erschütterung der Luft, ich ist hierhin zu spüren war.
„Wetten, daß das eine Protze der im Walde hinter den Gebäuden stehenden russischen Artillerie war, die da in die Luft flog, – brummte Huber.
Und wirklich – noch vier weitere Detonationen erfolgten jetzt im kurzen Zwischenräumen. Kein Zweifel – die Russen hatten ihre Batterien nicht mehr fortschaffen können. Der Waldbrand hatte sie vernichtet.
Helmer, der mit Hilfe seines Taschenkompasses ungefähr die Richtung auf die eigenen Schützengräben eingehalten hatte, traf gegen fünf Uhr morgens, als gerade die ersten Sonnenstrahlen den Nebel durchdrangen, wohlbehalten mit den Seinen bei der 2. Kompagnie wieder ein.
Dort erwartete schon Hauptmann v. Berster die tapfere Schar. Nachdem Hans Helmer Bericht erstattet hatte, drückte ihm der Bataillonskommandeur fest die Hand.
„Das Eiserne Kreuz ist Ihnen sicher,“ sagte er herzlich.
„Dann möchte ich Herrn Hauptmann aber gehorsamst bitten, daß auch der Gefreite Blümermann und die Reservisten Menke und Huber zur Dekoration vorgeschlagen werden,“ erklärte Helmer, indem er deren tapferes Verhalten begeistert schilderte. –
Der Wald brannte noch den ganzen Tag über. Und über die Deimelinie sind die Russen nie herübergekommen.
Eine Woche nach jener ereignisreichen Nacht wurde dann Hans Helmer zum Vizefeldwebel befördert. Und wieder acht Tage später trafen beim Bataillon vier Eiserne Kreuze ein.
Und damit endet diese Episode aus den Kämpfen in Ostpreußen, die den Vorzug hat, tatsächlich passiert zu sein.