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Die Pferdediebe am Paale-Bach

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 25

Die Pferdediebe am Paale-Bach.

 

 

1. Kapitel

An einem klaren warmen Augustmorgen ritten zwölf gut bewaffnete Männer, die sämtlich die Tracht der Ansiedler trugen, am Nordufer eines etwa zwanzig Meter breiten Präriebaches dahin, indem sie sich stets auf der bereits stark verwischten Fährte eines anderen Trupps hielten.

Dieser Bach mündete einige fünfzig Meilen weiter nördlich in denArkansas, und dort an der Einmündung lag auch die erst vor zwei Jahren gegründete ‚Stadt‛ Jacksonsburg, eine der größten Niederlassungen an der Grenze der Indianergebiete. Sie zählte damals vierhundert Einwohner und bestand aus etwa vierzig Blockhütten nebst Stallungen, war von einem breiten natürlichen Wassergraben und einem hohen Palisadenzaun umgeben und galt als jedem Indianerangriff völlig gewachsen.

Jacksonsburg am Paale-Bach war der am weitesten vorgeschobene Posten. Ringsum gab es auf unzählige Meilen weiter keine andere Ansiedlung. Die in den nahen Prärien hausenden Sioux hatten sich bisher nicht ein einziges Mal bis an die befestigte Stadt der Blaßgesichter herangewagt, obwohl ihnen diese Niederlassung ein Dorn im Auge sein mußte. Die Jacksonsburger hatten jedoch ein so vorzügliches Bewachungssystem ersonnenen, daß die Rothäute nur schwer der Stadt sich nähern konnten, ohne bereits rechtzeitig bemerkt zu werden. So konnte denn die Ansiedlung mit den weiten Feldern und Viehweiden sich ungestört zwei Jahre lang weiter entwickeln, ohne daß die Sioux jemals einen Angriff unternommen hätten.

Vor sechs Wochen, Mitte Juli, waren dann in einer Gewitternacht den Jacksonsburgern nicht weniger als fünfunddreißig Pferde gestohlen worden. Die Verfolgung der Pferdediebe hatte sehr bald aufgegeben werden müssen, da die Spuren durch den Gewitterregen fast vollkommen ausgelöscht worden waren. Man konnte nur feststellen, daß die Diebe fraglos Weiße gewesen sein mußten, da sie beschlagene Pferde besessene hatten. Die Zahl der Diebe hatte man auf acht bis zehn Mann geschätzt.

Die Jacksonsburger trösteten sich bald über den Verlust. Wohl fünf Wochen vergingen, und nichts geschah, was die fleißigen Ansiedler beunruhigen konnte.

Dann jedoch fehlten vor drei Tagen abermals über vierzig Pferde. Die beiden jungen Burschen, von denen die eingezäunte Weide in jener Nacht bewacht worden war, fand man erstochen in einem Gebüsch am Bachufer auf.

Diesmal hatten die Jacksonsburger mit der Verfolgung mehr Glück. Obwohl die Pferdediebe alle möglichen Kniffe angewandt hatten, ihre Fährte unkenntlich zu machen, gelang es doch einem der zur Ergreifung der frechen Diebe ausgesandten Trupps, die Spuren weit südlich am Paale-Bach wiederzufinden.

Dieser Trupp, geführt von dem Trapper Tom Harper war es, der jetzt an diesem Morgen am Nordufer des Baches dahintrabte.

Tom Harper, stets Tom Einaug genannt, weil ihm von den Sioux vor Jahren das linke Auge ausgeschossen worden war, sagte jetzt zu dem neben ihm reitenden Bürgermeister von Jacksonsburg, einem deutschen Namens Richter:

„Die Geschichte gefällt mir gar nicht, alter Freund. Der Henker mag wissen, weshalb die Pferdediebe sich so weit südlich in die Prärie hineingewagt haben. Die Sache ist irgendwie nicht ganz geheuer. Wollen die Schufte die Gäule etwa den Sioux anbieten?! Nein – das wollen sie sicher nicht! Nach Osten zu in den Ansiedlungen bekämen sie ja für die Tiere weit mehr bezahlen als ihnen so ein Rotfell bieten kann!“

Er streichelte seinem hochbeinigen Maultier den Hals und fügte hinzu:

„Na, Marry, was hälts du davon?“

Die magere Maultierstute wackelte mit den Ohren und zog die Luft prüfend ein, blieb dann plötzlich stehen und richtete die Augen mit weit vorgestrecktem Kopf starr auf ein Gebüsch, das rechter Hand etwa dreißig Meter entfernt in der Prärie wie eine grüne Insel lag.

„Oho!“ rief Tom Einaug da. „Oho – es dürfte sich empfehlen, die Schießeisen bereit zu halten!“

Im Nu hatte der kleine dicke Trapper beide Hähne seiner Doppelbüchse gespannt und sich aus dem Sattel ins Gras gleiten lassen.

Schmiedemeister Richter, ein wahrer Hüne mit rotblonden Vollbart, kannte Tom Einaug bisher nur von gelegentlichen Besuchen des Trappers in der Ansiedlung und hatte ihn, da Tom jetzt gerade wieder in Jacksonsburg erschienen war, gebeten, bei der Verfolgung der Pferdediebe mitzumachen. Er war daher auch recht erstaunt über Toms körperliche Gewandtheit. Für gewöhnlich tat der Trapper ja stets so, als ob er zu bequem wäre, sich etwas rascher zu bewegen.

Noch mehr staunte der Deutsche aber, als Tom nun seiner Marry durch einen besonderen Zuruf befahl, das Gebüsch dort zu umkreisen.

Wie ein tadellos dressierter Hund setzte das Maultier sich denn auch im Trab, umrundete das Gebüsch, machte mit einem Mal, den Kopf in die Sträucher schiebend, halt und – feuerte mit den Hinterbeinen mehrmals aus.

Der Ansiedler beobachtete das seltsame Benehmen Marrys mit verwunderten Blicken.

„Ich will keinen Tropfen Rum mehr trinken, wenn sich dort nicht eine Leiche befindet,“ meinte Tom jetzt, warf die Büchse in den rechten Arm und lief auf das Gebüsch zu, indem er Richter noch zurief:

„Die andern sollen bleiben, wo sie sind! Folgt ihr mir allein, Master!“

Gleich darauf hatten Tom und Richter wirklich in dem Gebüsch die nur oberflächlich mit Zweigen bedeckte Leiche eines jüngeren Siouxkriegers entdeckt, der durch einen Messerstich ins Herz getötet und dann skalpiert worden war.

„Verdammt!“ brummte Tom Einaug, „das ist ja eine nette Bescherung! Ein toter Sioux! Vor drei Stunden hat diese Rothaut noch gelebt, Master Richter. – Nun will ich mal nach Spuren suchen.“

Er schritt um das Gebüsch herum und kehrte sehr bald zu dem Deutschen zurück.

„Ein Indianer hat den Siouxskalp mitgenommen,“ meinte er sehr ernst. „Weiß der Henker, was hier so mitten im Jagdgebiet der Sioux fremde Rothäute zu suchen haben! Wir werden sehr vorsichtig sein müssen – sehr!“

Der Reitertrupp folgte dann wieder der Fährte der Pferdediebe und näherte sich eine halbe Stunde später einem Wäldchen, das ich als grüner Strich vom Bachufer nordwärts zog.

Tom Einaug war jetzt als Kundschafter etwa vierhundert Meter vorausgeritten.

Plötzlich gewahrte er halb rechts am Waldrand einen einzelnen blondbärtigen Mann in ledernem Jackenanzug, der dort regungslos, auf seine lange Doppelbüchse gelehnt, dastand und Tom entgegenschaute.

Der galoppierte auf den Fremden zu, war aber doch so vorsichtig, seine eigene Waffe schußfertig zu halten.

„Hallo, Master!“ rief er nun, sein Maultier fünfzig Schritt vor dem Fremden parierend, „wer seid ihr? Habt ihr vielleicht so an die vierzig Gäule gesehen, die von ein paar Spitzbuben gestohlen worden sind?“

Der blonde Trapper nickte.

„Die Sioux haben die Streitaxt ausgegraben und schwärmen durch die Prärie wie die Bienen an einem gewitterschwülen Tag,“ sagte er in der bildreichen Ausdrucksweise der Rothäute. „Ihr Oberhäuptling Mattaloa, der rote Luchs, hat fünfhundert Krieger am weißen See versammelt und wird Mord und Brand gen Osten tragen –“

Tom bemerkte jetzt hinter einem Baum im Rücken des blonden Trappers einen Ansiedler, der zu einem anderen Trupp der Verfolger gehörte und soeben sich lautlos aufgerichtet hatte, die Büchse anlegte und dann Tom zurief:

„Der Kerl ist einer der Pferdediebe! – Hände hoch, Bursche, oder es knallt!“

Tom riß nun ebenfalls die Büchse an die Wange.

„Ergebt euch, Mann!“ drohte er. „Werft euren Schießprügel ins Gras!“

Der blonde Jäger lächelte nur, behielt seine zwangloskraftvolle Haltung bei und sagte:

„Tom Einaug scheint auch das zweite Auge verloren zu haben. Er ist blind. Er sieht nicht den Büchsenlauf, der ihn bedroht!“

Dabei schaute der Jäger scharf nach Norden zu auf ein Dickicht von Hopfenstauden.

Nun erst erkannte Tom dort den Lauf einer Doppelbüchse.

Ihm wurde unbehaglich zu Mute.

Der blonde Jäger lachte jetzt heiter.

„Tom Einaug und der Mann hinter mir mögen vorsichtig sein! Felsenherz’ Bruder Chokariga, der schwarze Panther der Komanchen, ist nahe!“

„Donnerwetter!“ rief Tom jetzt und ließ seine Waffe sinken. „Ja – ich war mit Blindheit geschlagen. Natürlich seid ihr Felsenherz – natürlich! Oft genug hörte ich an Lagerfeuern eure Person beschreiben. Entschuldigt, Master, – daß ihr keine Pferde stehlt, weiß auch meine Marry!“

Er ging auf Felsenherz zu und drückte ihm kräftig die Hand. Auch der Ansiedler war hinter dem Baum hervorgekommen, hielt sich aber bescheiden in einiger Entfernung, da er sich einem so berühmten Mann, wie der Trapper Felsenherz es war, nicht unaufgefordert zu nähern wagte.

Tom Einaug schielte jetzt fragend nach jenem Gestrüpp hin, wo der Büchsenlauf noch immer sichtbar war, ohne daß der Komanchenhäuptling sich zeigte.

„Weshalb bleibt euer roter Bruder Chokariga dort verborgen, Felsenherz?“ meinte er nun, da um des blonden Trappers Leben wieder ein besonderes Lächeln spielte.

„Aber Tom Einaug!“ rief Felsenherz da. „Habt ihr denn die kleine List noch immer nicht durchschaut?! Chokariga ist meilenweit entfernt. Er verfolgt die Pferdediebe. Ich blieb hier zurück, weil wir darauf rechneten, daß die Eigentümer der gestohlenen Tiere sich hier schon einfinden würden. Was ihr dort im Gestrüpp seht, ist meine zweite Doppelbüchse. Als ich euch heranreiten gewahrte, legte ich sie für alle Fälle dort in die Sträucher.“

„Aha!“ lachte der kleine Tom dröhnend. „Aha – das muß ich mir merken! Ist ein feiner Trick, Dumme einzuschüchtern!“

Jetzt waren auch die übrigen Männer mit dem rotblonden Deutschen an der Spitze herangekommen. Ebenso fand sich der zweite Trupp ein, zu dem jener Farmer gehörte, der den berühmten Trapper für einen der Pferdediebe gehalten hatte.

Felsenherz führte die vierundzwanzig Männer in den Wald hinein auf eine Lichtung, wo er seinen prachtvollen Fuchs angepflockt hatte.

Man lagerte hier. Tom stellte am Waldrand mehrere Wachen aus, und zwei jüngere Farmer mußten nach Süden zu eine riesige uralte Eiche erklettern, von deren Wipfel sie die Prärie viele Meilen weit überblicken konnten.

Dann erst, als man so für die Sicherheit des Lagers gesorgt hatte, ließ Felsenherz sich von seinem deutschen Landsmann Richter – denn der blonde Trapper war ja selbst Deutscher von Geburt und hieß mit richtigem Namen Harry Felsen – die näheren Umstände der beiden Pferdediebstähle erzählen und erfuhr so, daß er hier Bewohner der drei Tagesritte weiter nördlich gelegenen großen deutschen Ansiedlung Jacksonsburg vor sich hatte, die er bisher nur dem Namen nach kannte.

Sein tiefgebräuntes, offenes Gesicht war bei Richters Erzählung immer ernster geworden.

Dann erklärte er, daß die vierzig gestohlenen Pferde von drei Weißen und acht Sioux begleitet gewesen seien.

„Ich fürchte,“ fügte er hinzu, „daß diese Pferdediebstähle einen ganz anderen Zweck haben, als ihr ahnt. Chokariga und ich sind selten so weit nördlich gekommen wie jetzt. Komanchenspäher hatten uns gemeldet, daß Mattaloa, der Oberhäuptling der Sioux, seine Krieger am weißen See zusammenzöge. Da mein roter Bruder Chokariga annahm, Mattaloa würde vielleicht die Komanchen überfallen wollen, ritten wir eilends über den Kanadian und stellten fest, daß die Späher alles richtig beobachtet hatten. Wir merkten, daß Mattaloa zahlreiche Kundschafter nach Norden schickte. Hätte er einen Raubzug gegen die Komanchendörfer geplant, so wäre er vom weißen See mehr nach Süden aufgebrochen. Einem dieser Kundschafter folgten wir. Wir sahen, daß er mit den Pferdedieben dort nördlich zusammentraf. Chokariga wollte den Kundschafter nachher fangen, mußte ihn jedoch niederstechen, da der Sioux ihn heimtückisch zu erschießen suchte –“

„Ah – die Leiche haben wir gefunden!“ rief Tom. „Oder besser: Meine Marry fand sie!“

„Chokariga ist nun hinter den Pferdedieb mehr,“ fuhr Felsenherz fort. „Er hofft, sie belauschen zu können und so Aufschluß über Mattaloas Absichten zu erhalten. Hätten wir euch früher getroffen, Tom, so würden wir leicht Bescheid gewußt haben.

Mattaloa hat es fraglos auf Jacksonsburg abgesehen. Wieviel Männer sind zur Verfolgung der Pferdediebe unterwegs?“

„Vier Trupps zu je zwölf Mann,“ erwiderte Richter hastig. „Landsmann glaubt ihr wirklich, daß die Sioux uns nur aus der Ansiedlung fortlocken wollten?

„Ja! – Ich rate euch daher, schleunigst umzukehren. Ich werde, wie ich mit Chokariga verabredet habe, ihn erwarten. Er dürfte mittags wieder hier sein. –

Dann reiten wir euch nach und helfen euch!“ –

Des berühmten Trappers Rat wurde denn auch sofort befolgt. Die Ansiedler und Tom Einaug brachen auf und galoppierten am Paale-Bach nordwärts dem Arkansas zu.

 

 

2. Kapitel

Felsenherz hatte seinen starkknochigen Fuchs ebenfalls bestiegen und ritt nun aus dem Wald heraus in die Prärie hinein bis zu einer mit Gestrüpp bewachsenen Anhöhe, von wo er den Lauf des Baches eine weite Strecke überblicken konnte.

Während er hier nach dem schwarzen Panther ausspähte, überlegte er sich nochmals, ob es nicht zweckmäßiger sei, wenn er, anstatt Chokarigas Rückkehr abzuwarten, den weißen See aufsuchte, um sich zu überzeugen, ob die Sioux dort noch lagerten.

Kurz entschlossen stellte er nun aus Zweigen vor dem Gestrüpp eine Art Zeichnung her, die den Komanchenhäuptling darüber aufklären sollte, wohin er sich gewandt hatte.

Dann sprengte er den Bach überquerend nach Süden davon.

Der weiße See lag etwa einen Tagesritt entfernt in einem einzelnen kahlen Höhenzug, der sich mitten aus der weiten Prärie erhob. Felsenherz berechnete, daß er dort gegen Abend anlangen würde. Er machte jedoch jetzt im Vertrauen auf die Ausdauer und Schnelligkeit seines Pferdes einen Umweg nach Osten, da er, falls die Sioux vom weißen See bereits aufgebrochen waren, so auf ihre Fährte stoßen mußte.

Sein trefflicher Fuchs zeigte erst nach zwei Stunden eine leichte Ermüdung. Felsenherz ritt daher jetzt eine Strecke im Schritt und machte an einem kleinen Präriebach dann kurze Rast. Das Flüßchen hatte steile Sandufer und war von Gebüschstreifen und einzelnen Bäumen an beiden Seiten umgeben. Während der Fuchs in dem klaren Wasser seinen Durst löschte, erklomm Felsenherz eine nahe Bergkuppe. Er war jetzt schon fest davon überzeugt, daß Mattaloa mit seinen fünfhundert Kriegern bereits unterwegs nach Jacksonsburg sei und daß die drei Weißen und die acht Sioux mit den erbeuteten Pferden lediglich deshalb weiter am Paale-Bach südwärts geritten waren, um die Verfolger recht weit von der Ansiedlung fortzulocken.

Seine scharfen Augen schweiften ununterbrochen über die wellige Prärie – gen Osten und Norden, denn nur dort konnte er die Fährte des großen Indianertrupps suchen.

Er ahnte nicht, daß sie, nach denen er ausschaute, vor einer Stunde etwa in demselben Bächlein nach Norden geritten waren, in dem sein Fuchs sich jetzt an dem kühlen Naß labte. Er ahnte auch nicht, daß Mattaloa dreißig Krieger dem Haupttrupp auf zwei Meilen Entfernung folgen ließ und daß diese dreißig Sioux soeben in dem vielfach gewundenen Bächlein ganz in seine Nähe gelangt waren.

Jetzt verließ er die Bergkuppe und schritt dem Bach wieder zu, durchquerte das Ufergebüsch und sah seinen Fuchs unten das saftige Gras behaglich abrupfen.

Plötzlich aber schnellte der Kopf des edlen Tieres empor. Es stieß ein kurzes Wiehern aus und kam dann seinem Herrn die Uferböschung entgegengesprengt.

Felsenherz wußte jetzt, daß feindliche Rothäute nahten. Im Nu war er im Sattel.

Doch – schon schwirrten zwei – drei Lassos hinter den nächsten Büschen hervor.

Der Fuchs tat zwei Sätze – dann überschlug er sich, da eine der Lassoschlingen ihm über den Kopf geglitten war und sich mit scharfem Ruck zugezogen hatte.

Auch Felsenherz war von einem der Lassowerfer – und in dieser Kunz sind die Sioux Meister! – aus dem Sattel gerissen worden. Bevor er sich noch aufraffen konnte, lagen schon mehrere Rothäute über ihm, und ein bärenstarker Krieger mit dick bemaltem Gesicht betäubte den Wehrlosen durch einen flachen Tomahawkhieb.

Der blonde Trapper kam sofort wieder zu sich. Er war jetzt auf seinem Fuchs festgebundenen und durch Lassos noch an die Sättel der beiden Sioux gefesselt, die dich neben ihm ritten.

Der baumlange, breitschultrige Krieger, der ihn niedergeschlagen hatte, rief höhnend:

„Felsenherz ist wie ein altes Weib, dem die Ohren und Augen bereits erloschen sind! Er wird die Hütten der Blaßgesichter am Arkansas in Rauch und Flammen aufgehen sehen und das Todesgeschrei der Männer, Weiber und Kinder hören, die es gewagt haben, den Sioux Land zu stehlen.“

Der Trapper blieb stumm.

„Katikaua der schlaue Fuchs, hat Felsenherz besiegt,“ höhnte der Sioux weiter. „Er wird Felsenherz’ Skalp an seinem Gürtel tragen, und an allen Lagerfeuern wird man seinen Namen rühmen!“

Der blonde Jäger wußte nun, daß eine Vermutung richtig gewesen: Die Sioux wollten Jacksonsburg überfallen und zerstören! Und Mattaloa mußte mit seinen Kriegern, da deren Pferde völlig ausgeruht waren, mindestens einen Tag vor den Trupps der Ansiedler die Niederlassung erreichen, wo ja nach Richters Angabe nur dreißig Männer zurückgeblieben waren.

Den friedlichen Bewohnern von Jacksonsburg drohte also ernsteste Gefahr. Wenn sie nicht rechtzeitig gewarnt wurden, konnte es geschehen, daß die Sioux die kleine Stadt schon im ersten Angriff eroberten. Felsenherz’ ganzes Sinnen und Trachten war deshalb nun darauf gerichtet, irgendwie samt seinem schnellfüßigen Fuchs zu entkommen. Aber die dreißig Krieger wußten nur zu gut, daß der berühmte Jäger schon unzählige Male seinen Feinden, besonders den Apachen, entwichen war und gaben ihm auch nicht die geringste Gelegenheit zur Flucht.

Bereits nach drei Stunden hatten sie den Haupttrupp eingeholt, der in einem Wald kurze Rast gemacht hatte.

Das Erscheinen der dreißig Krieger mit ihrem berühmten Gefangenen rief die größte Aufregung hervor. Die Sioux umringten Felsenherz, der noch immer mit auf dem Rücken gefesselten Armen und die Füße unter dem Bauch seines Fuchses ebenfalls mit Lassos umwunden, im Sattel saß.

Mattaloa, der Oberhäuptling, ein älterer stiernackiger Krieger mit reichem Adlerfederschmuck in der Skalplocke, wies die Neugierigen jetzt mit kurzer Handbewegung zurück.

„Was tut Felsenherz hier im Jagdgebiet der Sioux?“ fragte er feindselig.

Der blonde Trapper, obwohl von einem Kreis von fünfhundert Rothäuten umgeben, zweifelte jetzt nicht mehr daran, daß ihm hier die Flucht gelingen würde. Die beiden Krieger, die ihm bisher zur Seite geritten waren, hatten die Lassos losgebunden. Alles kam darauf an, daß der Fuchs auf den ersten Schenkeldruck hin die Absicht seines Herrn erkannte und durchbrach.

Felsenherz erwiderte gelassen:

„Mattaloa ist ein großer Häuptling. An seinen Schläfen zeigt sich bereits der Schnee des Alters. Er wird wissen, weshalb ich den weiten Ritt vom Kanadian bis hierher unternahm.“

Der Sioux war für Schmeicheleien nicht unempfänglich. Daß ein so berühmter Westmann wie Felsenherz ihn einen großen Häuptling nannte, stimmt ihn nicht gerade milder gegen den verhaßten Feind, der noch unlängst im Felsengebirge dem Stamm der Sioux eine empfindliche Schlappe bereitet hatte, machte ihn aber immerhin insofern unvorsichtig, als er seinen Kriegern zurief, sich zu entfernen.

Er vermutete nämlich, daß ein ganz besonderer Anlaß den blonden Trapper hier in die Prärien am Kimaron-Fluß geführt haben müßte, und er wünschte nicht, daß diese Seinen der weiteren Unterredung zwischen ihm und Felsenherz beiwohnten, damit sie nicht mit anhörten, was das berühmte Blaßgesicht ihm auf die ferneren Fragen antworten würde.

Die Krieger erweiterten denn auch den Kreis. Nur Katikaua, der schlaue Fuchs, der den Trapper ja als seinen Gefangenen betrachtete, blieb neben dem Pferd des blonden Jägers stehen.

Die Waldlichtung, auf der sich die Szene abspielte, war recht groß und hatte nur vereinzelte Gebüschgruppen und Bäume aufzuweisen.

Felsenherz zögerte jetzt nicht länger. Es war für ihn sehr günstig, daß die Siouxkrieger sich nun zerstreuten und daß er selbst noch zu Pferd saß, während Mattaloa und Katikaua neben ihm standen und ihre Büchsen nicht einmal schußfertig hielten.

Mit aller Kraft preßte er jetzt die Schenkel zusammen und schlug gleichzeitig seinem edlen Tier die Hacken in die Weichen, rief dazu das Komanchenwort:

„Hatli – hatli[1]!“

Der Fuchs wieherte, stieg von hoch und jagte dann mit mächtigen Sprüngen davon.

Aber Katikaua war auf der Hut gewesen. Er hatte Felsenherz nicht einen Moment unbeobachtet gelassen. Mit einem gewaltigen Satz war er hinter dem Fliehenden drein, erwischte noch gerade den langen Schweif des Pferdes, wurde von dem Tier mitgerissen und schwang sich jetzt mit jener verblüffenden Gewandtheit, wie sie allen indianischen Reitervölkern eigen ist, hinter dem gefesselten Trapper auf die Kruppe des Fuchses.

Das Gebrüll der Sioux wurde jetzt noch von dem Triumphgeschrei Katikauas übertönt, der das lange Skalpmesser aus dem Gürtel gezogen hatte und Felsenherz drohend zurief:

„Das Blaßgesicht mag seinem Pferd befehlen, stehenzubleiben, oder mein Messer wird dem Fuchs in das Rückgrat fahren!“

Kaum hatte er jedoch das letzte Wort ausgesprochen, als Felsenherz mit den beiden gefesselten Fäusten ihn so wuchtig gegen die Herzgrube stieß, daß er für Sekunden die Besinnung verlor und seitwärts vom Pferd stürzte.

Das Wutgeheul der Roten schwoll jetzt zu einem wahnwitzigen Gebrüll an.

Der Trapper, zwischen den Bäumen dahinjagend, hörte unzählige Kugeln über sich hinwegpfeifen. Nur durch Schenkeldruck und Zuruf lenkte er seinen Fuchs, dessen indianische Dressur sich hier wieder aufs Beste bewährte.

So sprengte er nun in die offene Prärie hinaus – nach Süden.

Und hinter ihm her kamen die Verfolger – allen voran Mattaloa auf einem edlen Mustang, einem Rappen mit weißem Stirnfleck.

Felsenherz schaute zurück. Mattaloa war etwa noch achtzig Meter entfernt.

Und abermals rief der Trapper da:

„Hatli – hatli –!“

Der Fuchs streckte sich jetzt förmlich lang. Seine Hufe berührten kaum noch den Boden. Felsenherz duckte sich im Sattel zusammen, stellte sich halb in die Bügel, um seinem Pferd die Last zu erleichtern.

Nach fünf Minuten blickte er abermals zurück.

Er hatte bereits einen Vorsprung von fast tausend Meter gewonnen. Nun würde er bestimmt entkommen!

Da – aus einem Gebüschstreifen dicht vor ihm jagten plötzlich acht Sioux und drei Weiße hervor, verlegten ihm den Weg.

Es waren die Pferdediebe, die mit den gestohlenen Tieren dem Haupttrupp gefolgt und gerade jetzt bis an diese Stelle gelangt waren.

Einer der Weißen, ein pockennarbiger hagerer Mensch mit einem wahren Galgenvogelgesicht hatte die Büchse hochgerissen und brüllte:

„Stopp, Master! Haltet an, oder ihr kriegt eine Lot Blei in den Kadaver!“

Felsenherz Lage schien verzweifelt. Die acht Sioux hatten rasch eine Bogenlinie gebildet und hielten ihre Flinten gleichfalls schußfertig.

Der blonde Trapper durfte hier nur auf Rettung hoffen, wenn sein Fuchs abermals jedem Wink seines Herrn gehorchte.

„Ischli – ischli!“ rief er dem braven Tier zu.

Da warf der Fuchs sich auch schon herum, machte kehrt.

Schüsse knallten.

Felsenherz erhielt einen leichten Schlag links gegen den Kopf. Eine Kugel hatte die Ohrmuschel gestreift. Warmes Blut tropfte herab.

Der Fuchs gab sein Letztes her.

Und da vorn nahten nun Mattaloa und die übrigen Sioux in weit auseinandergezogener Linie.

Felsenherz lenkte sein prächtiges Roß durch Schenkeldruck nach links – nach Westen.

Weiter ging die Verfolgung.

Der gefesselte Trapper wandte den Kopf. Am nächsten war ihm jetzt derselbe Weiße, der soeben auf ihn gefeuert hatte. Der Mann ritt einen Falben, offenbar ein sehr gutes Pferd, das den indianischen Mustangs an Schnelligkeit weit überlegen war und der es auch mit des blonden Jägers Fuchs aufnehmen konnte.

Nun jagte Felsenherz in ein ausgetrocknetes steiniges Flußbett hinab. Hier lenkte er den Fuchs nach links das Tal entlang, denn hier behinderte kein Graswuchs die Füße des Tieres, hier war harter, zum Teil kahler Felsboden, der nur schwer Spuren annahm.

Das Tal hatte zahlreiche Biegungen. Als Felsenherz sich wiederum umschauend feststellte, daß sein gefährlichster Verfolger ihn jetzt aus den Augen verloren hatte, bog er in ein Seitental ein, das allmählich anstieg und in einen Wald überging.

Des Trappers Hoffnung, der blatternarbige Weiße würde in seinem Eifer an diesem Seitental vorübersprengen, erfüllte sich.

Als er in den Wald einritt, war von dem Verfolger noch nichts zu sehen.

 

 

3. Kapitel

So näherte er sich denn jetzt jenem Wald, in dem die Sioux vorhin gelagert hatten, von Osten her. Er rechnete darauf, daß nur wenige Krieger dort zurückgeblieben sein würden.

Seine Vermutung traf zu. Als er jetzt im Schritt auf die Lichtung hinausritt, bemerkte er lediglich vier jüngere Krieger, die die Reservepferde, etwa achtzig Mustangs bewachten.

Kaum hatten diese vier Sioux den berühmten Trapper erblickt, als sie auch schon nach ihren einläufigen Flinten griffen und hinter die nächsten Bäume sprangen.

Felsenherz rief sie an:

„Die Krieger der Sioux mögen die Kugeln im Lauf lassen! Felsenherz kommt nicht als Feind zu ihnen. Er ist freiwillig zurückgekehrt. Bindet mich an einen Baum. Ich habe mit eurem Oberhäuptling zu sprechen.“

Die vier jungen Rothäute hatten jetzt bemerkt, daß er noch gefesselt und waffenlos war. Sie näherten sich vorsichtig, berieten leise, und zwei legten dann auf den Trapper an, während die beiden anderen ihm die Füße losbanden.

Kaum fühlte Felsenherz jedoch, daß er die Beine jetzt frei bewegen konnte, als er auch schon seinem Fuchs zu einem plötzlichen Satz zur Seite anspornte. Das brave Tier riß zwei der Sioux um. Nur einer der Krieger kam zum Schuß. Die Kugel ging fehl.

Der Trapper jagte wieder in die Prärie hinaus bis zur einer einzelnen Felsgruppe, sprang ab und hatte auch bald einen großen Stein mit scharfer schmaler Kante gefunden, an dem er die Riemen, die seine Handgelenke noch umschnürten, durchreiben konnte. Dies war in drei Minuten geschehen.

Ohne jede Waffe näherte er sich jetzt abermals dem Wald, galoppierte in die Lichtung hinein und sah sofort die vier Krieger, die dicht beieinander standen und offenbar sich gegenseitig Vorwürfe machten, weil das berühmte Blaßgesicht ihnen entkommen war.

Schon vorhin hatte Felsenherz seine beiden Gewehre, sein Pulverhorn und seine anderen Waffen am Fuß einer Eiche liegen sehen. Ehe die vier Sioux sich noch von ihrer Überraschung erholt hatten, war er schon an der Eiche und bückte sich nach einer seiner doppelläufigen Flinten.

Die jungen Krieger hatten dann kaum wahrgenommen, daß ihr Leben durch des blonden Trappers nie fehlende Büchse bedroht war, als sie auch bereits mit schrillen Rufen im Dickicht verschwanden.

Felsenherz raffte seine übrigen Waffen auf und riß seinen Fuchs herum. Da knallten auch schon aus dem Gesträuch drei – vier Schüsse.

Aber die miserablen Steinschloßflinten der Sioux vermochten gegen ein so bewegliches Ziel wie ein galoppierendes Pferd nichts auszurichten. Die Kugeln gingen weit daneben. Felsenherz jagte weiter – ohne zurückzublicken nach Norden über die endlose Grassteppe dahin.

Er war frei! Und jetzt wollte er sofort ohne längeren Aufenthalt nach der Ansiedlung am Arkansas eilen, um die Bewohner von Jacksonsburg zu warnen.

Der Abend kam. Felsenherz verspürte Hunger. Mit sicherem Schuß erlegte er einen Präriehasen, weidete ihn sofort aus und machte bei völliger Dunkelheit eine Stunde später an einem kleinen Bach halt, zündete ein Feuer an und briet den Hasen am Spieß.

Nachdem er sich gesättigt hatte, gönnte er sich noch einen kurzen Schlaf. Der Fuchs mußte den Wächter spielen. Felsenherz wußte, daß das edle Tier ihm rechtzeitig vor jeder Gefahr warnen würde.

Der Mond ging auf. Sein Silberlicht glitzerte auf dem taufeuchten Präriegras, durch das sich die Fährte des blonden Trappers wie ein Strich hinzog.

Auf dieser Fährte, tief nach vorn gebeugt, trabte ein einzelner Indianer dahin, dessen prächtiger Rappe in jeder Bewegung Kraft und Schnelligkeit verriet.

Das lange, blauschwarze Haar dieser schlanken Rothaut war schopfartig hochgebunden und mit sieben Adlerfedern geschmückt. Dieser Indianer war kein anderer als Chokariga, der Oberhäuptling der Komanchen, Felsenherz’ treuester Freund!

Der Komanche näherte sich jetzt dem Bachufer. Seine hochentwickelten Sinnesorgane ließen ihn plötzlich den leichten Brandgeruch eines verglimmenden Feuers wahrnehmen. Prüfend sog er mehrmals die Luft ein. Dann glitt er aus dem Sattel, schritt zu Fuß weiter. Sein Rappe folgte ihm ganz von selbst.

Er schob sich lautlos durch die Büsche, rief Felsenherz Fuchs ganz leise etwas zu. Das kluge Tier erkannte die Stimme sofort, verhielt sich ruhig und ließ sich von Chokariga die Nüstern streicheln. –

Als Felsenherz dann erwachte, saß der Komanche neben dem erloschenen Feuer und sagte gleichmütig:

„Mein Bruder Harry ist den Sioux entflohen. Chokariga hat alles aus den Fährten herausgelesen. – Mattaloa will die Stadt der Blaßgesichter an der Mündung des Paale-Baches in den Arkansas zerstören. Chokariga belauschte die Pferdediebe. –

Reiten wir weiter!“

Er stand auf und sattelte seinen Rappen. Kein überflüssiges Wort wurde gewechselt.

Mit ihren ausgeruhten Pferden sprengten die Freunde gen Norden dem Arkansas zu. –

Inzwischen hatte der blatternarbige Weiße, der mit zu jenen verkommenen Banditen gehörte, die sich in keiner Ansiedlung mehr blicken lassen durften und daher bei den Rothäuten als deren zumeist tief verachtete Verbündete ihren verbrecherischen Neigungen nachzugehen pflegten, dem Oberhäuptling Mattaloa nach der vergeblichen Jagd auf Felsenherz dringend geraten, die bestberittenen Krieger nach dem Arkansas vorauszuschicken, da anzunehmen sei, daß der blonde Trapper die Absichten der Sioux bereits durchschaut habe und die Ansiedler warnen würde.

Mattaloa, der diesen Higpins als Blaßgesicht zwar heimlich haßte, anderseits aber dessen Schlauheit voll anerkannte, gab ihm daher hundertfünfzig Krieger mit, so daß dieser Trupp den beiden Freunden bereits einige Meilen voraus war, als die von dem Bach aufbrachen.

Higpins und seine beiden ihm völlig ebenbürtigen Kumpane Sneef und Grobby ritten den in Schlangenlinie folgenden Sioux etwa hundert Meter voraus.

„Boys,“ sagte Higpins jetzt frohlockend, „die Sache glückt! Wir werden das Schäfchen scheren, werden die hundertfünfzig Rotfelle Jacksonsburg erstürmen lassen und uns dann den besten Teil der Beute sichern! Ich weiß genau, daß die Ansiedler im Sand des Paale-Baches Goldkörner gefunden und schon eine ganze Menge davon geborgen haben. Es liegt im Blockhaus des sogenannten Bürgermeisters von Jacksonsburg, eines deutschen namens Richter. Nur auf dieses Gold habe ich’s abgesehen. Wenn wir mit unseren hundertfünfzig Roten uns recht beeilen, sind wir fraglos an Ort und Stelle, bevor die drei Trupps, die uns verfolgten, dorthin zurückgekehrt sind. Das ist die Hauptsache, denn mit den wenigen Verteidigern werden unsere Sioux schon fertig werden!“

Sneef jedoch kamen jetzt allerhand Bedenken. „Wenn nur der verdammte Felsenherz uns nicht entwischt wäre!“ brummte er. „Wo der ist, da fehlt auch Chokariga nicht. Und die beiden können uns nur zu leicht die Suppe versalzen!“

„So?!“ lachte der Pockennarbige. „Denkst du, ich werde nicht dafür sorgen, daß die beiden die Jacksonsburger nicht warnen können! Das werde ich! Wir werden ihnen eben dicht vor Jacksonsburg einen Hinterhalt legen. Sie können uns noch nicht voraus sein. Bedenkt, daß Felsenherz doch ohne den Komanchen nicht den Weg nach dem Arkansas antreten wird, daß er auch essen und trinken muß! Laßt mich nur machen! Die beiden berühmten Halunken, die unsereinem so gar nichts gönnen, werden sich wundern!“

 

 

4. Kapitel

Am übernächsten Morgen war’s. Die Sonne hatte soeben ihre ersten Strahlen über die weiten Urwälder ausgestreut, die zu beiden Seiten des Arkansas-Flusses das Land als breiter Waldgürtel bedeckten. Ein Ausläufer dieser Urwälder schob sich wie eine dunkle Halbinsel nach Südwest in die Prärie hinein – und bis an den Paale-Bach heran. Hinter dieser grünen Wildnis lag Jacksonsburg.

Felsenherz und Chokariga näherten sich jetzt von Süden her in gestrecktem Galopp diesem Waldstreifen. Allerlei Zeichen verrieten ihnen, daß ihr Ziel nicht mehr fern war: Spuren von Wagenrädern und Fährten einzelner Reiter!

Die Wagenspuren liefen sämtlich nach einer bestimmten Stelle des Waldrandes zusammen. –

Felsenherz zügelte jetzt seinen Fuchs und deutete nach vorwärts.

„Dort führt eine Art Weg durch den Wald.“

„Mein Bruder Harry mag das Eichhörnchen dort auf jener Tanne beobachten. Es schaut andauernd nach unten in die Büsche. Das Eichhorn ist neugierig. Was sieht es dort? Chokariga glaubt, daß sich dort Leute verborgen halten. Wir wollen den Waldweg nicht benutzen, aber erst dicht vor dem Waldrand im Galopp nach links abbiegen.“

So geschah es denn auch. Kaum hatten die beiden Freunde ihre Pferde nach links herumgerissen und jagten nun am Waldrand entlang, als hinter ihnen eine Salve knallte und ein förmlicher Kugelhagel über sie hinwegpfiff.

Dann lenkten sie an einer lichten Stelle in den Wald ein, durchquerten ihn und sprengten nun der noch etwa zweitausend Meter entfernten Ansiedlung zu, indem sie einen Fahrweg benutzten, der sich hier durch die üppigen Getreidefelder hindurchzog.

Felsenherz feuerte jetzt seine beiden Doppelbüchsen ab, um durch den Knall der Schüsse die Ansiedler zu warnen.

Dies wäre jedoch gar nicht nötig gewesen, da Tom Einaug gerade vor einer Stunde hier in Jacksonsburg eingetroffen war. Er hatte sich von seinen Begleitern getrennt und war vorausgeritten, weil seine langbeinige, an Strapazen aller Art gewöhnte Marry weit mehr leisten konnte als die Pferde der Farmer.

So kam es denn, daß Felsenherz und Chokariga jetzt vor der Zugbrücke, die über den Graben der stark befestigten Ansiedlung führte, von Tom Einaug freudig begrüßt wurden.

Die Zugbrücke wurde dann hochgewunden, und nun hatten die Angreifer erst den zwölf Meter breiten Wassergraben zu durchschwimmen, bevor sie an das zweite Hindernis, den hohen Palisadenzaun, herangelangten.

Felsenherz und der Häuptling fanden auch bei den Ansiedlern die allerherzlichste Aufnahme. Ohne Zögern besichtigten sie dann zusammen mit Tom und den drei ältesten Männern von Jacksonsburg die vorhandenen Verteidigungsmittel.

Die kleine Festung war ohne Frage sehr klug angelegt, hatte jedoch einen Nachteil: Die zu verteidigenden Seiten des Vierecks, das die Stadt bildete, war zu lang für die Gesamtzahl der Männer! Außerdem fehlte es im Falle eines nächtlichen Angriffs an den nötigen Beleuchtungsmitteln.

Von den Sioux und ihren drei weißen Verbündeten ließ sich niemand sehen. Higpins hatte sich vor Wut über den mißglückten Hinterhalt wie ein Verrückter gebärdet. Dann aber beruhigte er sich schnell, als John Sneef ihm einen Plan unterbreitete, wie man Jacksonsburg in drei Stunden ohne größere Verluste erobern könne.

Sneefs Plan war fraglos ausführbar. Es kam nur darauf an, ob die Sioux, die als Reitervolk vor dem Wasser eine gewisse Scheu hatten, für die ihnen zugedachte Aufgabe zu gebrauchen waren.

 

 

5. Kapitel

Felsenherz stellte nun überall an den Palisaden Wachen auf und ließ von den Frauen der Ansiedler Holz verkleinern, damit man für die Nacht hellbrennende Feuer unterhalten könne.

So vergingen zwei Stunden. Dann meldete ein Knabe, der an der Nordseite Wache gestanden hatte, daß jenseits des Paale-Baches Bäume gefällt würden. Felsenherz und Chokariga hörten dann auch selbst das Krachen der umstürzenden Urwaldriesen.

„Die Sioux werden am Arkansasufer Flöße bauen,“ meinte der blonde Trapper leicht besorgt. „Der Wassergraben hat ja leider nach einer Bucht des Flusses hin eine offene Durchfahrt. Wenn die Sioux die Flöße mit einer Brustwehr versehen, können sie die durch die Sonnenglut ausgedörrten Palisaden nur zu leicht durch Brandfackeln entzünden. – Tom, laß die Frauen sofort alle verfügbaren Gefäße mit Wasser füllen.“

Tom Einaug eilte davon. –

In der Ansiedlung war jetzt jeder, selbst die Kinder, damit beschäftigt, den Sioux den Angriff nach Möglichkeit zu erschweren. Wieder vergingen anderthalb Stunden. Dann trat das ein, was Felsenherz gefürchtet hatte. Drei Flöße, jedes mit fünfzig Sioux besetzt und mit hohen Brustwehren versehen, erschienen in der Bucht und wurden durch lange Stoßstangen in den Graben gelenkt, ohne daß die Verteidiger auch nur ein einziges Mal zum Schuß kommen konnten.

Zahllose Brandpfeile schwirrten jetzt, Rauchstreifen hinter sich lassend, durch die Luft und riefen nicht nur an den Palisaden, sondern auch dahinter auf den Dächern der Blockhütten und Ställe ein rasch emporzüngelndes Flammenmeer hervor. Ein Versuch, die Brustwehren mit Hilfe der Kanonen einzuschießen, mißlang, da die nötigen Kugeln fehlten.

Mit jeder Minute wurde jetzt die Lage bedrohlicher. Den Feinden auf den Flößen war in keiner Weise beizukommen. Die Brände der Palisaden ließen sich auch schwer löschen, da die Sioux sofort feuerten, wenn sich auch nur eine Hand über den Palisaden zeigte. Zu allem Unheil erhob sich dann noch ein kräftiger Wind, der den geringsten Brandherd doppelt gefährlich machte.

Felsenherz sah ein, daß die Ansiedlung verloren war, wenn man nicht schleunigst die Flöße vernichtete oder zumindest verscheuchte.

So ließ er denn an der Nordseite, wo ein verstecktes Tor in der Umzäunung sich befand, die beiden Boote der Ansiedler rasch in den Graben bringen, da hier keins der Flöße sich aufhielt. Die Kähne hatten jeder eine hohe, starke Reling und hinten ein kleines Deckhäuschen. Jeder wurde mit zehn der Siedler bemannt. Das eine führte Felsenherz selbst, das andere Chokariga. Außerdem nahm man noch in jedem Boot drei Fäßchen Schwarzpulver mit sowie mehrere lange Stangen, ferner Zündschnüre und Bohrer, um die Fäßchen anbohren zu können. –

Higpins, der das eine Siouxfloß befehligte, erblickte das Boot der Siedler nahen, in dessen kleiner Heckkajüte Felsenherz die lange Stange schon bereit hielt, an deren einem Ende ein Pulverfäßchen mit einer durch ein enges Loch hineinlaufenden, glimmenden Zündschnur angebunden war. Daran wieder war ein dünner kurzer Stab befestigt, der das glimmende Ende der Schnur in das Faß hineindrücken mußte, sobald der Stab irgendwo gegen einen harten Gegenstand stieß. Diese primitiven Bomben, von denen jedes Boot zwei mit sich führte, waren die letzte Hoffnung der Ansiedler und ihrer berühmten Verbündeten.

Felsenherz hatte es unternommen, diese Bombe durch das Fenster der Kajüte auf das Floß zu werfen.

Als sich das Boot so, von hinter der Reling verborgenen Ruderern vorwärtsgetrieben, dem Floß näherte, begannen die Verteidiger der Niederlassung hinter den Palisaden hervor das Floß zu beschießen, damit keiner der Sioux es wagen sollte, etwa den Versuch zu machen, über die Brustwehr zu klettern und das Boot zu entern.

Aber auch Higpins, der sofort erkannt hatte, daß es jetzt hier um die Entscheidung ging, befahl den roten Kriegern, durch die in der Brustwehr des Flosses befindlichen Schußöffnungen das Boot unter Feuer zu nehmen.

Trotzdem kam das Boot immer dichter heran, bis es nur noch fünf Schritt von dem Floß entfernt war.

Plötzlich schwenkte es herum und zeigte dem Floß nun das Heck mit der kleinen Kajüte und dem offenen Fenster.

Dann fuhr aus diesem Fenster schon die lange Stange hervor.

Felsenherz mußte sich, um die Bombe über die Brustwehr werfen zu können, notgedrungen für ein paar Sekunden den Kugeln der Sioux preisgeben.

Dann flog das Pulverfäßchen bereits samt der Stange über die Brustwehr.

Kaum stieß es unten auf einen der Baumstämme, als es auch sofort mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte.

Die nur mit Weidenruten befestigten Brustwehren flogen auseinander. Menschliche Glieder sausten durch die Luft. Selbst Felsenherz’ Boot erhielt durch den Luftdruck der Explosion einen solchen Stoß, daß es zu kentern drohte.

Von den fünfzig Sioux entging nicht ein einziger dem Tod. Auch Higpins zerrissener, versengter Körper wurde später an Land gefunden.

Inzwischen hatte auch Chokariga in derselben Weise auf der Südseite des Wassergrabens mit dem anderen Boot das zweite Floß angegriffen. Hier explodierte das Fäßchen jedoch bereits oben auf dem Rand der Brustwehr. Immerhin war die Wirkung noch so furchtbar, daß die überlebenden Sioux das halb zerstörte Floß räumen mußten. Die meisten von ihnen fielen dann unter den Kugeln der Ansiedler beim Durchschwimmen des Grabens.

Das dritte, von John Sneef befehligte Floß hatte diese Katastrophe von weitem beobachtet. Sneef erkannte die Gefahr, landete und floh mit seinen fünfzig Kriegern in die nahen Felder.

Zwei Stunden später trafen dann auch die Reitertrupps der Ansiedler auf dem Wasserweg glücklich in Jacksonsburg ein.

Felsenherz schickte nun zwei schwerverwundeten Sioux, die man gefangen genommen hatte, als Unterhändler dem Oberhäuptling Mattaloa entgegen und ließ ihm durch sie bestellen, daß die Ansiedler bereit seien, den Sioux das Gelände der Niederlassung für zwanzig Flinten, Glasperlen und bunte Stoffe abzukaufen.

Sollte Mattaloa darauf nicht eingehen, so würde man es auf einen Kampf ankommen lassen.

So kam denn auch schließlich ein Friedensschluß zustande, und Mattaloa zog mit seinen Kriegern wieder ab, nachdem er dreißig Steinschloßflinten, Pulver und Blei erhalten hatte. –

Die Ansiedlung war gerettet. Heute ist Jacksonsburg eine Stadt von einigen zwanzigtausend Einwohnern mit reicher Holzindustrie.

In der Stadtchronik sind die hier geschilderten Ereignisse genau verzeichnet.

 

 

Fußnote:

[1] Wind, Galopp