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Die weiße Mumie

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

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Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 30

Die weiße Mumie.

 

 

1. Kapitel

Der berühmte Zauberer.

Ein blauer durchsichtiger Herbsthimmel spannte sich über die weite Prärie aus, deren Gräser im Licht der Morgensonne von Milliarden von Tautropfen funkelten und blitzten.

Eine Büffelherde, mindestens fünfhundert Tiere zählend, stieg soeben, die Leitstiere voran, aus einer der durch die North Salt-Berge führenden Schluchten, einem alten Büffelpfad, in die südwärts gelegene Savanne hinab.

In einem der äußersten südlichsten Ausläufer dieser bewaldeten Berge hatte ein Trupp von sieben Weißen gelagert.

Beim Morgengrauen hatten die Männer rasch ihr Frühstück zubereitet und waren jetzt gerade dabei, ihre Pferde zu satteln.

Vier von ihnen waren der Tracht nach Westläufer, etwas wilde, verwitterte Gestalten mit vom Wetter braun gegerbten Gesichtern.

Die anderen drei trugen praktische Reitanzüge von städtischem Schnitt aus derben Stoffen und waren mit noch recht neu aussehenden Doppelbüchsen bewaffnet.

Zwei dieser Männer, bereits graubärtig, hatten kluge, ernste Gelehrtengesichter, denen die goldenen Brillen einen Anstrich von Würde verliehen. Der dritte der Städter mochte dagegen kaum dreißig Jahre zählen, war sehr klein und hager und wirkte insofern etwas komisch, als er nach damaliger Mode Bartkoteleten trug, die bis in die halbe Wange hinabreichten und, da der Kleine pechschwarzes Haar hatte, wie schwarze Pinselstriche aussahen. Außerdem besaß dieses auch infolge seiner affenartig schnellen Bewegungen recht possierliche Männchen eine auffallend lange spitze Nase, die er auf unmöglichste Art krausziehen konnte. Sein linkes Auge war etwas größer und heller als das rechte und hatte einen seltsam starren Blick.

Dieser zwergenhafte Mann war Mr. Daniel Portachappy, Diener der hochwürdigen Professoren und Brüder Edward und Jones Peaker von der Universität Neuyork, die jetzt unter dem Schutz der vier Westläufer hier nach dem weiten Westen gekommen waren, um die geologischen Besonderheiten der Prärien und des weiter westlich gelegenen Felsengebirges zu studieren.

Daniel Portachappy hatte soeben den Nordrand des Tales erklettert, in dem man gelagert hatte, und kam nun in wilder Hast wieder herabgerannt, rief schon von weitem:

„Old Davis – Old Davis, eine Büffelherde! Jetzt müßt ihr mich zum Schuß bringen! Ich habe es mir versprochen!“

Der weißhaarige Trapper Old Davis wandte sich fragend an die beiden Gelehrten.

„Wenn der Aufbruch noch ‛ne Stunde Zeit hätte, könnte ich Mr. Portachappy wohl die Freude machen,“ meinte er.

Professor Edward Peaker, der ältere der Brüder, erwiderte mit nachsichtigem Lächeln achselzuckend:

„Wenn Daniel seine Haut zu Markte tragen will – meinetwegen!“

„Oho!“ krähte der Kleine da. „Oho – Haut zu Markte tragen, Mr. Peaker! Das kann einem Reiter und Schützen wie ich es bin nicht passieren!“ –

Er durfte sich diesen etwas wenig respektvollen Ton schon erlauben, da er seit Jahren die Brüder betreute und in Neuyork nicht nur den Diener, sondern auch den Hausmeister der Gelehrten spielte.

„Gut, dann nehmt euer Pferd und folgt mir,“ sagte Old Davis kurz.

Daniel ritt eine hochbeinige, magere Stute von lammfrommer Gemütsart.

Nachdem Old Davis oben in der Prärie zuerst nach der Büffelherde ausgeschaut, die Örtlichkeit und die Windrichtung geprüft hatte, führte er Daniel durch eine tiefe Regenrinne nordwärts bis zu einem Buschstreifen, an dessen westlichem Ende er den Kleinen postierte.

„Hört nun genau zu, Mr. Portachappy,“ meinte er. „Falls die Büffel nach rechts abschwenken und hier nicht vorüberkommen sollten, werde ich sie euch vom anderen Ende der Buschreihe zutreiben. Ihr stellt euch hier hinter die verkrüppelte Buche und bindet eure Stute lose an einen Strauch neben euch, damit ihr im Notfall rasch in den Sattel könnt. Wohin ihr zu zielen habt, sagte ich euch schon mehrmals. Versucht nicht etwa, das Auge eines Büffelstieres als Ziel zu wählen. Ihr mögt ja ein guter Schütze auf dem Scheibenstand sein. Aber hier in der Prärie –“

Der Diener und Hausmeister hatte kurz abgewinkt.

„Keine Sorge, Old Davis! Heute abend gibt es Büffelzunge!“

Der Trapper schritt langsam davon, stets hinter den Büschen sich deckend, da die Herde keine fünfhundert Meter mehr entfernt war.

Portachappy war allein, spannte beide Hähne seiner Doppelbüchse und lehnte sie an den Baum. Dann nahm er den Zügel seines Pferdes um den linken Arm. Das schien ihm sicherer.

Langsam rückte die Büffelherde näher. Sehr bald konnte er die mächtigen Kolosse der Leitstiere deutlich unterscheiden. Allen voran trottete ein alter Bulle, dessen Mähnenhaar schon weißlich schimmerte.

Portachappy merkte plötzlich, daß er vor Aufregung zu schwitzen begann. Das Jagdfieber packte ihn. Als er nun nach der Büchse griff, zitterten seine Hände derart, daß er wohl einsah, daß ihm ein sicherer Schuß ganz unmöglich sein würde.

Am liebsten hätte er auf die Jagd überhaupt verzichtet. Aber die Furcht, von seinen Herren ausgelacht zu werden, ließ ihn die jäh aufsteigende Angst überwinden.

Feige war er sein Lebtag nie gewesen. Im Gegenteil! Es war nur das ungewohnte dieses Anblicks der riesigen Tiere, das ihn schreckte.

So hob er den langsam die Büchse, zog den Kolben fest in die Schulter ein und zielte auf den Bullen, der jetzt doch wohl die Witterung des menschlichen Feindes in die Nase bekommen hatte, stehen geblieben war und unruhig den Schädel hin und her wandte.

Daniel drückte ab – zweimal.

Beide Kugeln sandte er dem Bullen auf das Blatt. Wenigstens hatte er dorthin gezielt.

Der Bulle war denn auch zusammengezuckt, raste jedoch plötzlich vorwärts – gerade auf die dürre Buche zu.

Daniel Portachappy war mit einem Satz im Sattel, gab der Stute die Sporen.

Da krachte hinter ihm schon splitternd der Baum zu Boden, den der Bulle einfach überrannt hatte.

Die Stute jagte ganz von selbst im Galopp nach Süden in die offene Prärie hinein.

Ihr Reiter, fest überzeugt, daß der doch offenbar getroffene Büffel bald zusammenbrechen würde, drehte sich gemächlich um, sah den Bullen keine zehn Meter hinter sich, merkte, daß die wütende Bestie dem Pferd an Schnelligkeit gleichkam, preßte der Stute aufs neue die Sporen in die Weichen und brüllte in seiner Angst immer wieder:

„Old Davis – zu Hilfe – zu Hilfe!“

Zum Glück hatte die Fuchsstute an dem Reiter nicht gerade ein schweres Gewicht zu tragen.

Außerdem war sie ausgeruht. So gewann sie denn zunächst vor dem Büffelbullen einen kleinen Vorsprung.

Hätte Daniel jetzt überlegt gehandelt, so wäre ihm manches erspart geblieben.

Er hatte jedoch nur den einen Gedanken, dem grimmem Verfolger zu entgehen. Anstatt im Bogen auf die Hügel und den Lagerplatz zuzuhalten, wo er sich leicht hinter Bäumen und Steinen hätte in Sicherheit bringen können, behielt er stets dieselbe Fluchtrichtung bei.

Nach zehn Minuten schon war er samt dem Bullen in der welligen Prärie verschwunden, so daß seine Gefährten, die mit diesem Ausgang der Jagd nicht gerechnet hatten, ihm nicht beispringen konnten, zumal die ganze Herde dem Leitstier gefolgt war und die Fährte des Flüchtlings völlig verwischt hatte.

Abermals blickte der Kleine jetzt zurück, da die Stute bereits verdächtig zu keuchen begann.

Der Bulle war wieder näher gerückt. Seine Sprünge zeigten noch dieselbe Leichtigkeit wie bisher. Nie hätte Portachappy diesem ungeschlachten, so schwerfällig aussehenden Tier so rasche Bewegungen zugetraut.

Jetzt sprengte er ein flaches Tal entlang.

Er versuchte, seine Büchse im Sattel zu laden. Es ging nicht.

Vor ihm tauchten Büsche, Bäume, dahinter eine gelbe steile Wand auf, wahrscheinlich die Uferböschung eines Baches.

Immer näher kam die gereizte Bestie.

Ein neuer Blick nach rückwärts belehrte Portachappy, daß der Bulle ihn in wenigen Minuten erreicht haben müßte.

Weit hinter sich gewahrte er auch die Herde, die noch immer, jetzt freilich im Trab, dem Leitstier nacheilte.

Diese Flucht vor dem vierbeinigen Feind mochte jetzt bereits eine halbe Stunde gedauert haben und hatte sich immer mehr nach Westen hin gezogen.

Der Flüchtling riß jetzt mit dem Mut der Verzweiflung seine doppelläufige Pistole aus dem Gürtel, spannte die Hähne, drückte die Stute nach rechts herum und brachte sie zum stehen, sprang ab und warf sich vor Aufregung keuchend hinter eine einsame Steineiche in das Gras. Das Pferd galoppierte den nahen Büschen zu.

Der Büffel hatte diese Schwenkung sofort mitgemacht. In blindem Ungestüm wollte er der Stute nach, kam dabei keine drei Schritt an der Eiche vorüber.

Portachappy feuerte jetzt beide Läufe aus nächster Nähe ab.

Noch drei Sätze tat der Bisonbulle. Der vierte sollte sein letzter sein, wurde nicht mehr vollendet. Mitten im Sprung brach das gewaltige Tier zusammen, fiel auf die Seite, suchte umsonst wieder hochzukommen und sank dann mit einem dumpfen Stöhnen abermals in das zerwühlte Gras.

Der Kleine stieß einen lauten Jubelruf aus.

Keck näherte er sich jetzt dem reglos daliegenden Büffel, betrachtete staunend seine Jagdbeute und wischte sich mit dem bunten Taschentuch den Schweiß vom Gesicht.

Sein linkes Auge tränte stark.

Mit einem Mal faßte er mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand zu und holte das Glasauge aus der Augenhöhle heraus, um es von Flugsand und Staub zu reinigen.

Portachappy hatte nicht gemerkt, daß drei bis zum Gürtel nackte Indianer, die nur mit höchst primitiven Beilen bewaffnet waren, sich hinter ihn geschlichen hatten.

Einer der Rothäute hatte auch bereits das Beil zum Schlag erhoben gehabt, ließ es jetzt jedoch wieder sinken und starrte wie gelähmt auf seines Gegenüber flache linke Hand, auf der das Glasauge lag und im Sonnenlicht matt funkelte.

„Uff!“ rief der Indianer jetzt. „Das kleine Blaßgesicht ist ein großer Medizinmann!“

Portachappy war sofort herumgefahren.

Die wilden, mit den Kriegsfarben bemalten Gesichter der Rothäute flößten ihm keinen geringen Schreck ein.

Aber der kleine Hausdiener war nicht auf den Kopf gefallen. Er sah, daß die Blicke der Indianer wie gebannt an dem künstlichen Auge hingeb. Er ahnte, daß er hier eine Möglichkeit hätte, den abergläubischen Roten gegenüber die Rolle eines Zauberers, eines Medizinmannes, zu seinem Vorteil weiterzuspielen.

Kaltblütig begann er nun das Glasauge zu säubern und schob es dann wieder in die leere Augenhöhle zurück, lächelte die vier Krieger freundlich an und sagte:

„Führt mich zu eurem Häuptling. Ich bin der berühmteste Medizinmann der Blaßgesichter.“

Die Indianer nickten und schritten voran dem Buschwald zu.

 

 

2. Kapitel

Die Steinmauer.

Hier lagerten dicht an einem breiten Bach, dessen Ostufer jene wohl dreißig Meter hohe, aus lehmiger Erde bestehende Steilwand war, die der kleine putzige Portachappy schon von weitem als gelblichen Streifen wahrgenommen hatte, etwa vierzig Indianer, die sämtlich nur Beile mit Steinschneiden und ebensolche Messer trugen.

Die Ankunft des Blaßgesichtes scheuchte die um vier Feuer sitzenden Roten wie einen Bienenschwarm hoch.

Jener Indianer, der vorhin in schlechtem Englisch den kleinen Büffeljäger angerufen und ihn dann staunend zu einem großen Medizinmann erklärt hatte, übernahm jetzt auch dessen das Verhör.

Der Diener und Hausmeister der beiden Gelehrten hielt die Rothäute schon ihrer mangelhaften Bewaffnung wegen für harmlos und glaubte sehr klug zu handeln, als er ihnen gegenüber nun erwähnte, daß er zu einem Trupp von Weißen gehöre, die ein paar Meilen nordwärts diese Nacht gelagert hätten.

Leider sollte er dann aus den weiteren Fragen des breitschultrigen Roten, der sich Watipaua, der schleichende Fuchs, nannte, herausfühlen, daß die Indsmen ein sehr verdächtiges Interesse für die Waffen seiner Gefährten zeigten, und weiter erkannte er auch, daß er es hier mit Apachen zu tun hätte, also mit Kriegern jenes wilden Reitervolkes, von dessen Grausamkeit und unerbittlichem Haß gegen alle Weißen er bereits übergenug aus Zeitungsberichten erfahren hatte.

Seine bisher zuversichtliche Stimmung wurde jetzt recht gedrückt. Er ließ sich jedoch äußerlich nichts anmerken. Die Apachen behandelten ihn weiter mit einer gewissen Scheu, gestatteten ihm aber nicht, seine Stute, die ein paar Krieger inzwischen aufgegriffen hatten, zu besteigen und davonzureiten. Ihre begehrlichen Blicke streiften immer wieder seine Büchse, die er aus Vorsicht dicht neben sich gelegt hatte.

Um den Rothäuten zu beweisen, daß er sie nicht fürchtete und sich hier bei ihnen ganz behaglich fühle, zog er sein ledernes Zigarrenetui hervor und schnitt sehr gelassen der Zigarre die Spitze ab. Dann faßte er wieder in die Tasche und brachte eine Schachtel Zündhölzer zum Vorschein, die damals gerade erst als Schwefelhölzchen in den Handel gekommen und den Apachen etwas völlig Neues waren.

Als er nun ein Hölzchen anrieb, knisternd der rote Kopf sich entzündete und das Hölzchen Feuer fing, schnellten die um ihn herumsitzenden Apachen erschrocken hoch und wichen ein paar Schritte zurück.

Lächelnd winkte der kleine Portachappy ihnen beruhigend zu.

„Die Krieger der Apachen brauchen sich nicht zu fürchten,“ meinte er. „Ich bin ihr Freund. Ich schenke ihnen auch den Büffel, den ich erlegt habe.“

Gleich darauf hatten die Rothäute mit Portachappys Messer große Stücke aus der Lende des Bullen herausgeschnitten, die sie sofort roh verschlangen.

Der Diener der weißen Gelehrten war entsetzt über diesen Heißhunger der roten Bande. Er ahnte nicht, daß die Apachen vor etwa drei Wochen durch den Trapper Felsenherz und eine Schar von Farmern und Sioux entwaffnet worden waren und ohne ihre Pferde zu Fuß den Rückmarsch nach ihren Dörfern am Rio Pecos hatten antreten müssen und sich seitdem nur kümmerlich von Fischen und Erdfrüchten ernährt hatten.

Dann ließ man ihn eine Weile allein. Er merkte, daß die Apachen über irgend etwas berieten.

Dann kam Watipaua, der schleichende Fuchs, auf ihn zu und fragte, ob er ihnen helfen wolle, die Leiche eines verschütteten Häuptlings aus dem Berg zu suchen.

„Der berühmte Zauberer der Blaßgesichter ist vielleicht mächtig genug, auch einen Lehmhügel mit seinen Blicken zu durchdringen,“ fügte der Apache hinzu. „Unser Oberhäuptling Mattari ist unter den Lehmmassen eines Teiles der östlichen eingestürzten Uferwand begraben worden.“

Er deutete nach Norden, wo Portachappy denn auch an dem helleren Aussehen einer Strecke der Wand erkannte, daß dort ein Einsturz erfolgt sein mußte.

Er nickte würdevoll.

„Ich werde die Leiche suchen. Die Krieger der Apachen mögen mein Pferd dorthin führen. Ich werde ihm befehlen mit der Nase den Toten zu finden.“

Dieser haarsträubende Unsinn machte offenbar Eindruck auf die Rothäute.

Abermals zogen sie sich zurück und berieten. Dann brachen dreißig von ihnen auf und verschwanden durch die Büsche nach der Prärie zu. Watipaua und elf Krieger aber blieben zurück, nahmen nun Portachappys Fuchsstute am Zügel und schritten nach Norden zu am Bachufer entlang.

Der Weiße folgte ihnen langsam. Immer deutlicher sah er jetzt ein, daß es von ihm sehr unvorsichtig gewesen, zu erwähnen, daß er noch Gefährten hätte, die ebenso gut bewaffnet waren, wie er selbst. Er zweifelte nicht daran, daß die dreißig Apachen es jetzt auf die vier Westmänner und die beiden Gelehrten abgesehen hätten.

Er beschloß daher, Watipaua und den anderen hier bei ihm verbliebenen Rothäuten um jeden Preis zu entfliehen und die Gefährten zu warnen. –

Das Bachbett war dort, wo ein Teil der hohen Uferwand eingestürzt war, durch die Lehmmassen völlig ausgefüllt worden. Das Wasser hatte sich um den so entstandenen großen Lehmhügel einen neuen Weg gebahnt.

Auf diesen Hügel zeigte Watipaua jetzt.

„Der berühmte Zauberer mag beginnen,“ meinte er. „Die tapferen Krieger der Apachen wollen nicht ohne die Leiche des Oberhäuptlings in ihre Dörfer heimkehren. Seit gestern abend haben sie nach dem Toten gesucht.“

Portachappys Blicke ruhten unverwandt auf der hellen Lehmwand jenseits des Baches.

Was er dort soeben bemerkt hatte, war seltsam genug.

Etwa in halber Höhe der Wand war undeutlich das Muster einer Steinmauer zu erkennen, die in die lehmige Erde bisher eingebettet gewesen und nun durch den Einsturz zum Vorschein gekommen war.

Dieses Mauerviereck von vielleicht vier Meter Breite glich der Außenwand eines Hauses. Der Oberrand war himmelwerts halbkreisförmig gebogen.

Auch Watipaua erkannte jetzt, was die Aufmerksamkeit des Blaßgesichtes erregt hatte.

Er flüsterte mit seinen Kriegern in der Apachensprache und wandte sich dann an Portachappy.

„Des großen Zauberers Augen sind schärfer als die der roten Krieger. Was hällt das Bleichgesicht von jener Mauer? Ist es ein verschüttetes Haus der Blaßgesichter? Ob vielleicht Flinten und Pulver sich dort befinden?“

Daniel hatte jetzt den unteren Teil der Wand gemustert und festgestellt, daß man mit Hilfe einiger aus der Lehmwand herausragender großer Steine unschwer bis zu der Mauer emporgelangen könnte. Ihn interessierte diese Mauer weit mehr als der tote Oberhäuptling. Der kleine abenteuerlustige Mann witterte dort oben irgendein Geheimnis. Er wollte jedenfalls versuchen, bis zu der Mauer emporzuklimmen. Vielleicht konnte er mit dem Messer einige Steine lockern und in das Gewölbe, das er dort vermutete, eindringen. Vielleicht hatte dieses einen Ausgang ins Freie. Dann war er die Apachen los und wollte sofort nach Norden zu entfliehen, um die Gefährten zu warnen, denen die Rothäute doch fraglos einen Hinterhalt legen wollten.

„Ich werde nachsehen,“ erwiderte er kurz auf Watipauas Frage, nahm das linke Auge aus der Augenhöhle heraus und legte es auf einen flachen Stein am Bachufer. „Die Krieger der Apachen müssen sich hier niedersetzen. Einer von ihnen soll mein Pferd drüben in die Prärie führen und grasen lassen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten watete er durch den Bach, stieg über den Lehmhügel, hing die Büchse über die Schulter und begann die nicht allzu schwierige Kletterpartie, die für seinen gewandten Körper weiter keine Anstrengung war. Sehr bald saß er denn auch auf einem mächtigen Felsblock unterhalb der Mauer und lockerte das Bindemittel der Feldsteine, die zum Bau der Mauer benutzt worden waren. Diese verbindende Schicht war nichts als Lehm, der unter den harten Stößen des Messers rasch zerbröckelte.

Der erste Stein polterte in die Tiefe. Ein zweiter folgte – ein dritter.

Portachappy arbeitete mit Feuereifer.

Ein Blick nach dem Bach hin hatte ihm gezeigt, daß Watipaua seine Befehle genau befolgt hatte. Die Apachen saßen am Rand der Büsche und beobachteten ihn. Einer von ihnen hatte die Fuchsstute tatsächlich durch die Uferbüsche ein Stück in die Prärie hinaus gebracht.

Das Loch in der Mauer vergrößerte sich. Der unternehmungslustige Kammerdiener erweiterte es, bis er den Oberleib hineinstecken konnte. Er rieb ein Zündholz an und leuchtete in den Raum hinter der Mauer hinein.

Was er vermutet hatte, fand er bestätigt: Ein Gewölbe schien sich hier tief in das Erdinnere hineinzuziehen. Die Luft darin war feucht und muffig. Aber ein starker Luftzug der jetzt durch die Öffnung strich, bewies ihm, daß das Gewölbe irgendwo einen Ausgang haben müsse.

Er wollte sich gerade hineinschwingen, als er von der Prärie her drei – vier Schüsse hörte.

Sich rasch umdrehend sah er, daß seine Sorge um die Gefährten nur zu berechtigt gewesen: Drüben in der Prärie am Rand eines Buschstreifens schienen die dreißig vorhin aufgebrochenen Apachen die vier Westmänner und die beiden Gelehrten überraschend überfallen zu haben.

Er gewahrte einen wirren Haufen von Menschen und Pferden, hörte abermals ein paar Schüsse und sah nun auch, wie Watipaua und die elf Apachen in wilder Hast dem Kampfplatz zustürmten. Der Häuptling hatte sich auf seinen Fuchs geschwungen und jagte im Galopp von dannen.

Daniel Portachappy stieß einen grimmen Fluch aus, als er jetzt bemerkte, daß die Apachen Sieger geblieben und sich nun mit den sechs gefangenen Weißen wieder dem Bach näherten.

Rasch kletterte er hinab, holte sein künstliches Auge, von dessen bannender Wirkung er sich leider zu viel versprochen hatte, und klomm flink an den Steinen abermals bis zum Mauerloch empor.

Einen neuen Blick über die weite Prärie werfend wurde er zu seinem Erstaunen in östlicher Richtung dreier Reiter ansichtig, die offenbar ganz ahnungslos im Schritt auf den Bach zuritten. Sie waren noch sehr weit entfernt, und nur Portachappys gutes Auge und die herbstlich klare Luft hatten ihn in den dunklen beweglichen Punkten Reiter erkennen lassen.

Sein Entschluß war jetzt gefaßt: Er wollte den Reitern entgegeneilen und sie bitten, ihm bei der Befreiung seiner Gefährten behilflich zu sein.

 

 

3. Kapitel

Das Gewölbe.

Die drei fernen Reiter waren ein schlanker Indianer mit edlem Gesicht und reichem Adlerfederschmuck im langen blauschwarzen Haupthaar, ein blondbärtiger, hellhäutiger Trapper und ein zweiter, kleiner Weißer mit nur einem Auge und mächtiger Nase.

„Die Apachen werden längst nach Süden gewandert sein,“ meinte Tom Einaug, der kleine Westmann, jetzt zu seinen Freunden Felsenherz und Chokariga, dem schwarzen Panther der Komanchen. „Sie werden wohl durch die neue Schlappe von vorgestern belehrt worden sein, daß wir hinter ihnen bleiben und achtgeben, ob sie nicht auf weitere Schandtaten sinnen.“

Felsenherz, der einen starkknochigen Braunen ritt, erklärte darauf:

„Immerhin wollen wir vorsichtig sein, Tom. Wir werden jetzt nach Süden abbiegen, damit wir etwa eine halbe Meile westlich von jener Stelle an den Bach gelangen, wo die Apachen uns und die Goldsucher belagert hatten, die wir nun weit genug begleitet haben, um sicher zu sein, daß sie ihren Weg unangefochten fortsetzen können.“

Chokariga, der Komanchenhäuptling, blieb stumm. Es war nicht seine Art, unnötige Worte zu machen. Er gab seinem weißen Bruder jedoch stillschweigend recht. Es war besser, den Apachen gegenüber auf der Hut zu sein, die immer noch einige vierzig Krieger zählen mußten, selbst nach den Verlusten des Kampfes vom vorgestrigen Tag.

So schwenken die drei denn jetzt nach Süden in ein langgestrecktes Tal ab.

Als sie kaum hinter einer Biegung verschwunden waren, erhob sich aus einem nahen Gestrüpp ein Apachenspäher, den Watipaua hier als Wache aufgestellt hatte, da auch er mit einer Rückkehr der drei Jäger gerechnet hatte.

Der Apache lief jetzt in flottem Trab nach Nordost zu ebenfalls dem Bach entgegen, wo inzwischen der Haupttrupp der Apachen mit den Gefangenen am Lagerplatz eingetroffen war.

Watipaua, der nach dem Tod des Oberhäuptlings Mattari den Befehl über den Rest der Krieger übernommen hatte, war durch den Verlust von sechs seines Geefolges, die von den vier Westmänner bei dem Kampf vorhin erschossen worden waren, in mordgieriger Stimmung.

Er hatte die sechs Gefangenen, von denen drei verwundet waren, durch Streifen von Büffelhaut jetzt an ein paar Bäume gegenüber der hohen Lehmwand binden lassen. Als der Späher nun die Nachricht brachte, das Felsenherz, Chokariga und der Trapper Tom Einaug von Westen her sich näherten, brach er sofort mit zwanzig seiner Krieger auf, von denen jetzt außer ihm noch fünf mit den Büchsen der Gefangenen bewaffnet waren, während zwei weitere Apachen die Pistolen der beiden Gelehrten an sich genommen hatten.

Old Davis und zwei der Westmänner, durch Beilhiebe schwer verletzt, hingen halb bewußtlos an den Bäumen in den Fesseln und boten mit ihren blutüberströmten Gesichtern einen mitleiderregenden Anblick dar.

Mittlerweile hatte der kleine Portachappy oben in dem Gewölbe mit Hilfe der Zündhölzer sich genauer umgesehen und war dann zu dem Mauerloch zurückgekehrt, wurde so Zeuge, wie die Apachen ihre Gefangenen aufs brutalste behandelten und wie Watipaua sich nun mit einem Teil seiner Krieger durch die Uferbüsche davonschlich.

Er sah ein, daß es jetzt höchste Zeit war, wenn er die drei Reiter noch warnen wollte. Bisher hatte er den Ausgang des Gewölbes nicht gefunden. Als er nun sich von dem Mauerloch wieder entfernen wollte, bemerkte er, daß zwei Apachen den Bach durchwateten und auf die Lehmwand zukamen.

Er zweifelte nicht, daß sie ihm folgen und ebenfalls in das Gewölbe eindringen würden.

Schnell lockerte er zwei Steine, schob den Oberkörper ein Stück vor und rief den Apachen drohen zu, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Sie schienen jetzt jedoch jegliche Scheu vor dem berühmten Zauberer verloren zu haben. Einer von ihnen begann schon schnell emporzuklimmen.

Daniel Portachappy zögerte nicht länger, schleuderte dem Roten einen Stein auf den Schädel und bedrohte den anderen mit der inzwischen wieder geladenen Büchse.

Bewußtlos war der Getroffene hinabgekollert, den der zweite Apache dann schleunigst aufhob und über den Bach zurücktrug, wo nun auch die Gefangenen ihren Reisebegleiter oben in der Maueröffnung wahrgenommen hatten.

Old Davis, der weißhaarige Trapper, war jetzt gerade wieder zum Bewußtsein gekommen. Ein leiser Zuruf Edward Peakers hatte ihn emporblicken lassen. Des alten Mannes Groll gegen den kleinen Portachappy entlud sich jetzt in den lauten Worten:

„Verdammt, ihr sei an allem schuld, Master! Ihr allein! Zum Teufel, schießt doch die rote Bande von dort oben zusammen!“

Ein hühnenhafter Apache, der sich Old Davis’ langes Jagdmesser angeeignet hatte, sprang jetzt mit wutverzerrtem Gesicht zu und stieß dem Wehrlosen die Klinge bis ans Heft ins Herz.

Daniel Portachappy, der solch blutigen Szenen noch nie beigewohnt hatte, fühlte, wie ihm alle Farbe aus den Wangen wich. Dann aber riß er im Moment die Büchse hoch.

Auf den donnernden Knall des Schusses folgte drüben an den Büschen ein gellender Schrei. Der riesige Apache hatte die Arme in die Luft geworfen und war nach vorn auf das Gesicht gefallen.

Abermals drückte Daniels ab.

Ein zweiter Roter brach mit Kopfschuß zusammen. Die anderen verschwanden blitzschnell in den Büschen.

Den Kleinen hatte jetzt eine rasende Wut gepackt.

Rasch lud er die Büchse wieder. Hier von oben konnte er das Ufergestrüpp bequem überblicken.

Ein Apache hatte vorwitzig den Kopf über einen Strauch gehoben.

Mitten in die Stirn getroffen sank er zusammen.

Eine Bewegung in den Büschen verriet Portachappy die Anwesenheit eines vierten.

Ein Feuerstrahl aus der Mündung des anderen Laufes – drüben ein neuer Schrei, und die Apachen flüchteten hastig weiter nach Westen, um den Kugeln dieses sicheren Schützen zu entgehen, der jetzt unter Einsetzung des eigenen Lebens gutmachen wollte, was er durch seine Jagdleidenschaft heute verschuldet hatte, und nun ohne langes Besinnen rasch an der Lehmwand abwärts stieg, den Bach überquerte und die Gefangenen losschnitt.

Im Nu war dies geschehen, im Nu hatte man auch Old Davis Leiche mit über den Bach genommen und erkletterte nun die steile Wand, als erster Portachappy, der dann den Gefährten half, auch den toten Trapper nach oben zu schaffen, und die beiden Verwundeten an den Händen hochzog.

So befanden sich denn die sechs Überlebenden in dem weiten Gewölbe vorläufig in Sicherheit.

Kein Wort des Vorwurfs wurde mehr gegen Daniel Portachappy laut. Stumm drückten die Brüder Peaker ihm die Hand.

Der unverwundete Trapper, ein jüngerer Mann namens John Robber, hatte jetzt in einer Nische der Wand des Gewölbes einen Haufen harzige Äste gefunden, die offenbar von den einstigen Bewohnern die–ses seltsame Bauwerks als Fackeln benutzt worden waren.

Drei, vier dieser Fackeln flammten jetzt auf.

Nach rechts zweigte von dem Gewölbe ein langer Gang ab, der nicht ausgemauert, sondern eine schmale, natürliche Felshöhle war. In vielfachen Windungen zog sie sich mindestens fünfhundert Meter weit in westlicher Richtung hin, bis sie sich zu einer größeren Grotte erweiterte.

Und hier in deren Mitte war aus Steinen ein langer, sargähnlicher Sockel hergestellt worden, auf dem eine in seidene Gewänder eingehüllte Mumie lag – die Mumie einer dunkelhaarigen, jungen Europäerin, tadellos erhalten, mit leicht gefärbten Wangen, so daß man im ersten Augenblick eine friedliche Schläferin vor sich zu haben glaubte.

 

 

4. Kapitel

In der Grotte eingeschlossen.

Daniel Portachappy der Westmann John Robber achteten nicht auf den erstaunten und geradezu entzückten Ausruf der beiden Gelehrten. Ihnen lag an der Mumie nichts. Ihnen lag nur etwas an dem Ausgang dieser Höhlenwelt, der es ihnen ermöglichen würde, sich mit den drei Reiter zu vereinen und mit deren Unterstützung die Reitpferde den Apachen wieder abzunehmen. Sie ließen die Brüder Peaker in andächtigem Staunen vor der Mumie zurück und eilten mit ihren Fackeln davon, wurden jedoch sehr bald bitter enttäuscht, da die Grotte sich nicht mehr weiter ausdehnte, in der man überall auf Anzeichen stieß, daß sie einst mehreren Europäern als Wohnung und auch als Kirche gedient hatte. Da gab es durch Feldsteinmauern hergestellte Verschläge, deren Türen aus Holzrahmen, mit Büffelleder bespannt, bestanden. Da gab es allerlei einfache Möbel, aus Brettern roh zusammengeschlagen, ferner Lagerstätten, mit Resten von Tierhäuten bedeckt, schließlich in einer Ecke noch eine Art Kapelle, darin einen Altar, holzgeschnitzte Kruzifixe und einfache Altargeräte.

All das war Portachappy und Robber jetzt gleichgültig.

Wo – wo nur war hier die Öffnung nach draußen, die dieser weit höher gelegenen und daher völlig trockenen Grotte die frische warme Luft der Prärie zuführte?

Der Westläufer und Daniel Portachappy, ihre qualmenden Fackeln in der Hand, machten kehrt und schritten dem Steinsockel und der Mumie wieder zu, wo die beiden Gelehrten noch immer mit der genauen Besichtigung der ihrer Schätzung nach mindestens dreihundert Jahre alten Toten beschäftigt waren.

„Wir finden den Ausgang nicht,“ rief Portachappy ganz verzweifelt.

Die Brüder Peaker hörten kaum hin.

„Daniel,“ sagte der Ältere begeistert, „guter Daniel, wir haben hier eine Entdeckung gemacht, die wertvoller ist als –“

Der Trapper John Robber jedoch fiel dem Professor ungeduldig ins Wort:

„Master, für uns ist jetzt nur eine Entdeckung von Wert: die, wie wir nach oben in die Prärie gelangen! Bedenkt, daß wir ohne Waffen und Pferde hier in den Savannen so gut wie zum Tod verurteilt sind. Laßt die Mumie jetzt Mumie sein! Ich weiß es längst, daß manche Indianerstämme sich noch heute vorzüglich auf das Einbalsamieren ihrer Toten verstehen. Und in Mexiko gibt es Höhlen, wo man eine Mumie neben der anderen aufgereiht sieht! Doch wir müssen ins Freie – müssen!“

Auf diese energischen Worte sekundenlang Stille. Dann aber von der Felsdecke her eine tiefe, angenehme Stimme:

„Wartet – ich komme zu euch hinab!“

Vier Fackeln reckten sich höher der zerklüfteten Grottendecke zu.

Da war gerade über dem Mumiensockel eine tiefe rissige Einbuchtung in dem Gestein, ein Hohlraum von gut drei Meter Durchmesser.

In dieser Aushöhlung tauchten jetzt von der Seite zwei derbe, gespornte Schaftstiefel auf. Dann folgte der Körper eines blondbärtigen Mannes in Trappertracht, der nun einen Lasso weiter abrollen ließ und gewandt daran abwärtskletterte.

Mit leichtem Schwung sprangen der kräftige Mann an dem Sockel vorüber und stand nun zwischen den erstaunten Flüchtlingen, musterte sie rasch und sagte dann schlicht:

„Ich bin Felsenherz, der Trapper. Apachen überfiel mich und meine beiden Gefährten vor kaum zehn Minuten drüben am Bach, haben meinen roten Bruder Chokariga und Tom Einaug sofort durch Kugeln aus dem Hinterhalt niedergestreckt und auch mir die Büchse aus der Hand geschossen. Ich mußte mein Pferd zurücklassen und fliehen. Ein Zufall führte mich oben auf der Höhe des Bachufers in eine Gruppe von Felsgeröll, die so dicht mit Dornen bewachsen war, daß ich mir mit dem Messer einen Weg hindurchbahnen mußte. So gelangte ich an eine freie Stelle, wo ich unter einem flachen Felsblock eine dunkle Öffnung bemerkte. Dies war der Zugang zu der Grotte hier.“

John Robber streckte jetzt in der Freude seines Herzens dem berühmten Trapper die Hand hin und meinte:

„Erkennt ihr mich, Master? Vor einem Jahr trafen wir uns in der Llano Estacado. Ich begleitete damals einen Auswandererzug. – Jetzt, wo ihr bei uns seid, habe ich keine Sorge mehr um unsere Pferde und Waffen!“

Felsenherz erwiderte bescheiden:

„Schlag meine Hilfe nicht zu hoch an, Robber! –

Gewiß erkenne ich euch jetzt. Auch ich habe meine Büchse und meinen Braunen eingebüßt.“

Seine Rechte fuhr plötzlich nach dem in seinem Gürtel steckenden Tomahawk. Seine hellen ehrlichen Augen flammten auf.

„Trotzdem wird nicht einer der Apachen lebend die Dörfer seines Stammes am Rio Pecos wiedersehen, wenn die feige Brut mir meinen roten Bruder erschossen hat!“ fügte er mit unheimlicher Entschlossenheit hinzu. „Ich töte nie unnötig einen Feind! Aber in diesem Fall werden mein Messer und mein Tomahawk die Apachen bis zum letzten Mann fressen! Sind Chokariga und Tom Einaug tot, so werden die Apachen hier sterben! – Ich habe gesprochen! Ich bin Felsenherz der Trapper!“

Die beiden Gelehrten und Daniel Portachappy merkten, daß diese Worte aus dem Mund des hühnenhaften und doch schlanken Mannes keine prahlerische Drohung waren.

John Robber berichtete Felsenherz nun ganz kurz die Ereignisse des heutigen Tages.

Dann mußte Portachappy an dem Lasso emporklettern und oben in den dornenumwehrten Felsen Wache beziehen, damit nicht etwa die Apachen überraschend durch diesen Zugang eindringen könnten. Der blonde Trapper betonte zwar, daß er seine Spuren aufs sorgfältigste verwischt und die Apachen auch über die Richtung seiner Flucht irregeführt hätte, meinte aber, es sei doch sicherer, draußen einen Posten aufzustellen.

Der Kleine fühlte sich durch das Vertrauen, das der berühmte Trapper ihm schenkte, sehr geschmeichelt. Er hatte, bevor er an dem Lasso hochklomm, Felsenherz seine Büchse nebst Kugelbeutel und Pulverhorn übergeben und dazu gemeint, der Trapper würde von der Waffe wohl einen besseren Gebrauch machen als er selbst. Ihm genüge die Pistole.

Nun lag er oben zwischen den Felsen im Dornengestrüpp und lugte von Zeit zu Zeit vorsichtig über die Prärie hinweg.

Die Felsgruppe befand sich auf einem Hügel, so daß er einen weiten Rundblick hatte. Bald bemerkte er denn auch mehrere jetzt berittene Apachen, die offenbar nach Felsenherz suchten, aber stets in größerer Entfernung lieben.

Die Stunden schlichen hin. Portachappy verspürte jetzt bereits einen Hunger, daß er es fast begreiflich fand, wie die Apachen vormittags das rohe Büffelfleisch wie wilde Tiere hatten verschlingen können. Gerade der Hunger ließ ihn nun über die Lage der in die Höhlenwohnung Eingeschlossenen nachdenken. Er beurteilte sie nicht allzu ernst. Hatte man doch, so dachte er, für alle Fälle diesen Notausgang hier, der es ermöglichte, jederzeit die Grotte zu verlassen.

Abermals richtete er sich dann behutsam auf, um nach den Apachen auszuspähen.

Wie sehr er sich, was den Wert dieses zweiten Zugangs zu der Höhle betraf, bitter getäuscht und wie sehr er auch die Apachen unterschätzt hatte, sollte er jetzt am eigenen Leib spüren.

Plötzlich knallte außerhalb der Felsgruppe aus einem dünnen Buschstreifen ein Schuß, der dem kleinen Daniel Portachappy das linke Ohrläppchen wegriß.

Er war im ersten Moment so verdutzt, daß er wie versteinert nach den Büschen hinüberstierte, wo der Pulverdampf in leichten Wölkchen hochflatterte.

Eine derbe Faust riß ihn dann halb in das schachtartige Loch hinein. Und gerade noch zur rechten Zeit. Eine Sekunde später wäre er von der zweiten Kugel des Apachen unfehlbar durchbohrt worden.

Felsenherz war’s, der den kleinen Hausdiener auf diese Art gerettet hatte.

„Folgt mir!“ sagte er nun kurz. „Die Apachen haben einen Unterhändler geschickt. Ihr solltet mit an der Besprechung teilnehmen.“

So kletterte Portachappy denn hinter dem Trapper an dem Lasso in die Höhle hinab.

 

 

5. Kapitel

Das Geheimnis der Mumie.

Felsenherz’ ernstes Gesicht, das von dem flackernden Licht vierer in Gesteinspalte befestigter brennenden Fackeln beleuchtet wurde, bewies dem kleine Daniel Portachappy, daß der berühmte Trapper offenbar in großer Sorge um die Sicherheit der hier Eingeschlossenen und in noch größerer um das Leben seines roten Bruders Chokariga und Tom Einaugs war.

„Der Apachenunterhändler befindet sich in dem nach dem Bach zu gelegenem Gewölbe,“ erklärte er jetzt hastig. „Wir beide müssen den Zugang dort oben schnell zu verrammeln suchen. – Vorwärts, helft mir die Mumie von dem Sockel herabheben. Wir brauchen die Steine des Sockels. Wir werden damit den Schacht oben so fest verkeilen, daß die Apachen das Hindernis nicht beseitigen können.“

Sie faßten dann beide an und legten die Mumie vorsichtig an die eine Seite der Grottenwand.

„Hier – nehmt nun meinen Tomahawk und brecht die Holzrahmen der Türen der Verschläge heraus,“ befahl Felsenherz weiter. „Wir brauchen die Latten zum Absteifen.“

Portachappy ging sofort an die Arbeit. Während er mit wuchtigen Hieben die Lederbänder der Türen zertrennte, schichtete der hühnenhafte Trapper einen Teil der Steine des Sockels so auf, daß er nachher bis an die Höhlendecke mit den Händen heranreichen konnte.

Plötzlich aber verharrte er ein paar Sekunden regungslos.

Er hatte soeben von der zweiten oberen Steinschicht des Sockels ein paar der schweren Felsstücke entfernt und so ein paar eichene runde Stammstücke freigelegt, auf denen die Steine geruht hatten.

Mit verdoppeltem Eifer machte er jetzt diese hölzerne Zwischendecke völlig frei, hob sie dann wie eine Falltür empor und legte so das Innere des Sockels frei.

Was er dort in dem viereckigen Hohlraum erblickte, trieb ihm vor Freude das Blut heißer ins Gesicht.

Da lagen zwölf Steinschloßflinten, wie sie um das Jahr 1710 zuerst als Nachfolger der plumpen Luntenflinten hergestellt worden waren; da lagen weiter kurze Säbel, sechs Hellebarden mit Eisenspitzen, vier kleine Fäßchen Pulver, mehrere Lederbeutel voll Kugeln, dazu Gebetbücher, ein paar vermoderte Mönchskutten, ein silbernes Kruzifix und ein großes zusammengerolltes Lederstück.

Schnell entleerte Felsenherz jetzt den Sockel, legte alle Gegenstände neben die Mumie und schichtete die Steine auf dem eichenen Balkenbrett wieder auf.

Portachappy war jetzt näher getreten und musterte staunend die Waffen.

„Unsere und meiner Freunde Rettung!“ meinte Felsenherz lebhaft. „Flink – reicht mir jetzt jenen Steinblock zu!“

In kurzem war denn auch der Schacht so fest zugekeilt, daß man hier keine Wache mehr zurücklassen brauchte, weil die Apachen das Hindernis unmöglich wegräumen konnten. –

Als Unterhändler war Watipaua, der schleichende Fuchs, ohne Waffen und einen grünen Zweig schwenkend erschienen. Er saß jetzt in dem Gewölbe dicht an dem Mauerloch und wartete auf Felsenherz’ Rückkehr. Auch hier brannten mehrere Fackeln und beleuchteten den Apachen und die Gestalten der Weißen, ebenso die Leiche des alten Trappers Old Davis. –

Felsenherz und Daniel Portachappy betraten durch die gangartige Höhle das Gewölbe. Der blonde Trapper stellte sich dicht vor Watipaua auf.

„Der schleichende Fuchs mag uns seine Bedingungen nennen,“ sagte er kurz.

Der Apache erhob sich, warf Felsenherz einen Blick unauslöschlichen Hasses zu und erwiderte:

„Wenn die anderen Blaßgesichter den berühmten Trapper den Kriegern der Apachen ausliefern, sollen sie freien Abzug gewährt erhalten.

Außerdem müssen sie aber auch mir sofort die Büchse übergeben, die Felsenherz jetzt in der Hand hat, ebenso das kleine Feuergewehr des Zauberers, der sein Auge aus der Stirn nehmen kann.“

Felsenherz schien zu überlegen.

„Watipaua meint es ehrlich?“ fragte er dann.

Der Apache nickte nur.

Da reichte der blonde Trapper ihm die beiden verlangten Waffen hin, erklärte:

„Sobald Watipaua die Höhle verlassen hatte, werde ich ihm geben, was er fordert. Ich selbst werde mich in eurem Lager einfinden, sobald der neue Tag anbricht.“ und zog sie wieder zurück.

Der schleichende Fuchs, der schon nach den Waffen gegriffen hatte, machte ein recht enttäuschtes Gesicht, zumal Felsenherz von den Pistons die Zündhütchen entfernte, so daß die Schüsse nicht losgehen konnten.

Watipaua schwang sich zu dem Mauerloch hinaus und stand nun auf dem aus der Lehmwand herausragendem Felsblock. Erst jetzt erhielt er tatsächlich die beiden Feuerwaffen, kletterte damit eilends abwärts, blieb dann auf dem Lehmhügel stehen und rief zu der Eröffnung höhnisch empor:

„Das Hirn des blonden Trappers ist ausgedörrt. Die Apachen werden euch alle an den Marterpfahl binden! Ihr seid jetzt wehrlos, und der Hunger wird euch in wenigen Tagen uns ausliefern! Dann werden auch der Hund von Komanchen und Tom Einaug, deren Wunden wir sorgfältig verbunden haben, ihr Angstgeheul mit dem eurigen vermischen!“

Felsenherz hatte geahnt, daß Watipaua Verrat plante. Nun wußte er, daß er die Rothäute nicht zu schonen brauchte und daß hier jede Rücksicht völlig unangebracht war.

Zwei Stunden später war die Nacht da.

Die Apachen hatten ihr Lager an den Fuß des Lehmhügel verlegt und dort drei große Feuer angezündet, deren Schein die nahe Steilwand und das darin befindliche Mauerloch in helles Licht tauchte. Ihre beiden Gefangenen hatten sie etwas abseits an Pfähle gebunden, die in die Erde eingegraben waren.

Oben in der Mumiengrotte ließ Felsenherz jetzt die zwölf Musketen mit zerstückelten Bleikugeln laden. Da die Wirkung dieser Schüsse auf die kaum dreißig Meter entfernten, um die Feuer herumsitzenden Rothäute äußerst verderblich sein mußte, zweifelte der blonde Trapper keinen Augenblick an dem vollen Erfolg dieses für die Apachen ganz überraschend kommenden Angriffs.

Es mochte zehn Uhr abends sein, als Felsenherz, John Robber, Edward Peaker und Daniel Portachappy in der in aller Stille etwas erweiterten Öffnung fünf der Musketen rasch auf die Apachen anschlagen und abdrücken, bevor diese noch die drohenden Musketenläufe wahrgenommen hatten.

Der donnerähnliche Knall der fünf großkalibrigen Waffen war kaum verhallt, als unten an den Lagerfeuern Schmerzensrufe und wildes Wutgeheul ertönten.

Felsenherz ließ den Apachen jedoch keine Zeit, sich von dem ersten Schreck zu erholen. Er und Robber feuerten noch drei weitere Schüsse ab und scheuchten so auch die noch unverwundete Rothäute über den Bach in die schützenden Büsche, waren dann im Moment unten auf dem Lehmhügel, schnitten die Gefangenen los, rafften die von den Apachen liegen gelassenen Büchsen auf und eilten zu den Pferden hinüber, deren Wächter jetzt gleichfalls die Flucht ergriff.

Mit einem Schlage hatte sich so die Situation vollständig zu Gunsten der Weißen verändert. Nicht weniger als achtzehn Apachen waren tot oder schwer verwundet. Die übrigen wagten nicht, sich dem Bach wieder zu nähern, sondern wandten sich südwärts und erreichten schließlich auch als kläglicher Rest einer einst zahlreichen Kriegerschar die Dörfer ihres Stammes. –

Die in dem Steinsockel der Mumie vorgefundene Lederrolle, die in spanischer Sprache allerlei Angaben über die Grotte enthielt, war ein Werk spanischer Missionare, die im Jahre 1715 von Mexiko aus bis hier in die Prärie des Kimarron-Flusses vorgedrungen waren. Die Mumie, die einbalsamiert Leiche der Tochter eines Goldsuchers, der sich den tapferen Menschen damals angeschlossen hatte, wurde von den beiden Gelehrten und Daniel Portachappy unter dem Schutz Felsenherz’ und seiner Freunde in die Ansiedlungen und von da weiter nach Neuyork geschafft, wo sie noch heute zu den Raritäten des Völkermuseums gehört.

Daß dieser Weg mit der sorgfältig verpackten Mumie bis zu den ersten Ansiedlungen nicht ohne Zwischenfälle ablief, dafür sorgte eine größere Abteilung Siouxindianer, deren Jagdgebiet der Reitertrupp durchqueren mußte.