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Felsenherz der Trapper
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Elisabeth-Ufer 44
Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin
Felsenherz, der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten
erzählt von
Kapitän William Käbler.
Heft: 31
1. Kapitel
In der Falle.
Unter den Trappern, die zu jenen Zeiten, als noch im Westen Amerikas die Rothäute Herren des Landes waren und noch große Büffelherden die Prärien belebten, zumeist allein der Pelzjagd nachgingen und alljährlich nur zweimal die erbeuteten Felle in einem der Grenzforts gegen Waren und Geld eintauschten, gab es gar wunderliche Käuze.
Das einsame, abenteuerliche Leben machte all diese rauhen unerschrockenen Jäger rasch zu Sonderlingen.
Um manche von ihnen wob sich mit der Zeit ein ganzer Sagenkranz.
Jeder von ihnen hatte ja auch seine besonderen Geheimnisse. Der eine kannte Bäche, in denen Biberkolonien hausten, der andere Wälder, wo das Stinktier, dessen Pelz schon damals viel begehrt wurde, besonders zahlreich war, ein dritter wieder war hauptsächlich Bärenjäger und kannte Schluchten und Täler, die der riesige Graubär bevorzugte.
Diese Berufsgeheimnisse verrieten die Trapper nicht einmal ihren besten Freunden, genau so wie sie die Orte strenggeheim hielten, wo sie ihre so schwer errungenen Pelzvorräte aufstapelten. –
An einem klaren Herbstmorgen verließ ein älterer, grauhaariger Trapper Fort Wallace am Smoky-River und ritt, sein Packpferd am Zügel führend, in flottem Trab nach Süden zu in die endlose Prärie hinein.
Dieser Pelzjäger, im Fort seit zehn Jahren ein ständiger Gast, gehörte zu den Schweigsamsten der Schweigsamen. Niemand kannte seinen wahren Namen, und keiner machte mehr den Versuch, den mürrischen Alten zum Reden zu bringen.
Allgemein nannte man ihn Old Taciento, den Schweigsamen, eine Bezeichnung, die der spanischen Sprache entnommen zu sein schien.
Old Taciento unterschied sich äußerlich kaum von einem der anderen Trapper. Sein Hirschlederanzug, seine indianischen Mokassins, seine haarlose Pelzmütze, seine Waffen, sein scheinbar so elender Klepper von Pferd: All das traf man auch bei anderen Pelzjägern an.
Nur eins war es, das Old Taciento sofort unter hunderten kenntlich machte: Sein kahler Schädel, der auch nicht ein einziges Härchen bis ins Genick hinab aufwies, und ein paar vorstehende dunkle Augen von geradezu durchdringendem Blick.
An allen Lagerfeuern erzählte man sich, daß der Blick dieser Augen jedes Raubtier, selbst den gefährlichen Grisly, banne, daß auch der heranstürmende angeschossene Büffel unter der Macht dieser Augen plötzlich halt mache und dann seitwärts ausbiege.
Doch niemand wußte, wie diese Legenden entstanden waren, denn niemand hatte je mit Old Taciento zusammen gejagt. Man kannte nicht einmal sein Jagdrevier. Man vermutete nur, daß es sich in den weiten Jagdgründen des Siouxstammes befände. –
Old Taciento ritt also heute, nachdem er seine Felle in Fort Wallace verkauft hatte, abermals für viele Monate in die Einsamkeit der Prärien und Wälder zurück.
Als er so einige Meilen südwärts zurückgelegt hatte, lenkte er sein Pferd in einen flachem Bach hinein und setzte in dem klaren Gewässer seinen Weg nunmehr nach Westen fort.
Seinem Packpferd hatte er jetzt den Zügel über den Hals geworfen. Es folgte ihm ganz von selbst.
Old Taciento gebrauchte diese Vorsichtsmaßregel, seine Fährte in dem Bach zu verwischen, jedes Mal, wenn er nach Fort Wallace kam oder von dort heimkehrte.
Zwei Stunden folgte er im Schritt den Lauf des Baches, gelangte dann in die kahlen Big Water-Berge und durchquerte sie, nachdem er seine beiden Tieren dicke lederne Hufschuhe untergeschnallt hatte, so daß sie auf dem harten Gestein nicht die geringste Fährte zurückließen.
Gegen Mittag hatte er die Berge hinter sich. Vor ihm lag nun wieder die weite herbstliche Savanne. Hier erst, fern von aller Kultur, die er verachtete, ja fast haßte, fühlte er sich glücklich und frei. Seine Augen leuchteten auf, sein mürrischer Gesichtsausdruck verschwand. Und mit einem ‚Nun vorwärts, Ripp und Rapp!‛ trieb er seine Pferde zu einem munteren Galopp an.
Er ahnte nicht, daß all seine Vorsicht ihm diesmal nichts geholfen hatte.
Zwei andere Reiter, die seine Gewohnheiten mit zäher Geduld ausspioniert hatten, waren in den südlichen Ausläufern der Big Water-Berge versteckt gewesen, um dem Alten unbemerkt weiter zu folgen, der im Lauf der Jahre in seiner unbekannten Behausung große Summen an Goldgeld aufgespeichert haben mußte.
Bill und Jonny, gleichfalls Trapper, jedoch von jener verkommenen Sorte, die den aus den Pelzen erzielten Erlös sofort durch die Gurgel jagten, hofften jetzt bestimmt, Old Taciento zu überlisten und dessen Goldschätze an sich bringen zu können.
Sie hielten sich stets in weitem Abstand rechts von ihm. Bill hatte ein altes Schiffsfernrohr nur zu dem Zweck in Hargersground, einer größeren Ansiedlungen, gekauft, um mit Hilfe des Fernglases Old Taciento nicht aus den Augen zu verlieren. –
Zwei Tage glückte ihnen dies auch. Sobald der Alte lagerte oder die Dunkelheit kam, näherten sie sich ihm. Sie waren ja mit allen Schlichen vertraut und wußten es schon zu verhindern, daß er sie bemerkte.
Am dritten Mittag tauchten dann im Süden die dicht bewaldeten und zum Teil zerklüfteten Beaver-Berge auf, die bereits im Jagdgebiet der Sioux lagen.
Bill und Jonny hatten bisher nichts von der Nähe von Rothäuten gespürt. Die hier hausenden Sioux, vermuteten sie, würden sich weiter westlich auf der Büffeljagd befinden.
Die Beaver-Berge, eine viele Meilen lange Kette, traten immer deutlicher hervor.
Die beiden Trapper hielten es jetzt für ratsam, die Entfernung zwischen sich und Old Taciento zu verringern, damit er ihnen in den Bergen nicht etwa entschlüpfte.
Die wellige, buschreiche Prärie erleichterte es ihnen, sich näher an den Schweigsamen heranzupirschen.
Sie bogen jetzt gerade in eine kahle breite Regenrinne ein, als sie hinter einem rechts von ihnen liegenden Wäldchen plötzlich mehrere Schüsse hörten, denen sofort das gellende, langgezogene Angriffsgeheul der Sioux folgte.
„Verdammt, Jonny!“ meinte der magere Bill zu seinem Freund. „Mir scheint, die Rotfelle sind da auf der Skalpjagd! Drücken wir uns schleunigst! Die Bande hat es ja seit langem auf uns abgesehen!“
Bill war mit einem Satz aus dem Sattel und führte seinen Fuchs rasch hinter einen langgestreckten Buschstreifen. Der dicke Jonny war seinem Beispiel gefolgt.
Hier im Schutz der Büsche stiegen sie wieder auf und galoppierten nach Osten davon, machten nach einer Weile auf einem Hügel halt und schauten, durch Gestrüpp gedeckt, nach Old Taciento aus.
Doch – der war nirgends mehr zu entdecken.
Bill fluchte.
„Der Alte ist natürlich ebenfalls ausgekniffen,“ meinte er. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als seine Fährte zu suchen, hinter ihm drein zu reiten und dann seitwärts abzubiegen, damit wir ihn wieder neben uns haben! – Los denn, Jonny! Dort das Tal muß er passiert haben!“
Sie trabten das Tal entlang, fanden auch bald die Spuren des Reiters und seines Packpferdes und glaubten nun gewonnenes Spiel zu haben.
Plötzlich jedoch kam von rechts ein einzelner Reiter dahergestürmt, ein blonder Trapper auf einem hochbeinigen Braunen. Schon von weitem rief er den beiden zu:
„Flieht! – Sioux – zweihundert!“
Und schon war er vorüber.
„Verdammt, – das war Felsenherz!“ knirschte Bill wütend. „Retten wir unsere Skalpe! Ihm nach!“
Jetzt bewiesen Bills und Jonnys Gäule, daß sie trotz ihres ruppigen Aussehens ebenso schnell wie ausdauernd waren.
Bill wollte nur deshalb hinter dem berühmten Trapper bleiben, weil sie dann im Notfall zu dreien den Rothäuten mit mehr Aussicht auf Erfolg Widerstand leisten konnten. Er und Jonny waren nur ein einziges Mal bisher mit Felsenherz und dessen unzertrennlichem Begleiter, dem Komanchenhäuptling schwarze Panther, zusammengetroffen und zwar vor zwei Jahren weit unten in Texas. Damals hatten die beiden Trapper noch nicht ihr heimliches Buschklepperleben aufgenommen, damals hatte der Whisky und Brandy sie noch nicht von Stufe zu Stufe sinken lassen.
Hieran dachte auch der dicke Jonny jetzt, ein Mensch, der weniger schlecht, als vielmehr moralisch völlig haltlos war und ganz unter dem Einfluß des rohen, brutalen Bill stand. In Jonnys Herzen regte sich doch noch hin und wieder das Gewissen. So auch jetzt. Er scheute sich fast, den blonden Jäger, der überall als Beschützer der Bedrängten und als Mann von tadellosem Charakter gepriesen wurde, unter die Augen zu treten. Es waren ihm, als müßte Felsenherz ihm von der Stirn die verbrecherischen Pläne ablesen, die Bill und ihn hier in das Jagdgebiet der Sioux geführt hatten.
Seine trüben Gedanken fanden jedoch eine jähe Unterbrechung durch Bills ebenso ärgerlichen wie besorgten Zuruf:
„Da sind sie schon, die roten Halunken! Die Pest über sie. Das reine Kesseltreiben wird’s werden!“
Auch Jonny blickte nun zurück.
In endloser, weitauseinandergezogener Linie nahten die stets tadellos berittenen Sioux, neben den Apachen und Komanchen das bedeutendste Reitervolk des Westens.
Jonny schätzte die Zahl der Verfolger auf etwa hundertfünfzig Reiter.
Die Absicht der Sioux war offensichtlich: Sie wollten die drei Flüchtling von den nahen Beaver-Bergen abdrängen, damit die Blaßgesichter ihnen dort in den unübersichtlichen Schluchten nicht entkämen.
Felsenherz hatte jetzt die Richtung geändert und hielt auf die ersten Ausläufer der Berge zu. Bill und Jonny waren etwa zweihundert Meter hinter ihm.
Der blonde Trapper hatte sich tief auf den Hals seines Braunen gebeugt, um dem edlen Tier, das bisher ohne die geringsten Zeichen von Ermüdung dasselbe rasende Tempo beibehielt, die Last auf seinem Rücken zu erleichtern.
Felsenherz wandte nun den Kopf zurück und schätzte die Entfernung bis zum rechten, vorgebogenen Flügel der Sioux, der bereits fast die Berge erreicht hatte. Dann schaute er sich auch nach Bill und Jonny um. Er hatte gefürchtet, daß ihre Pferde mit seinem Braunen nicht gleichen Schritt halten würden, sah nun aber, daß sie nur wenig zurückgeblieben waren.
So galoppierte er denn zwischen zwei bewaldeten Ausläufer der Berge entlang auf die Hauptmasse der Gebirgskette zu. Er zweifelte nicht mehr, daß er und die beiden anderen Trapper, an deren Gesichter er sich noch flüchtig besann, entkommen würden.
Plötzlich gewahrte er die Spur von zwei Pferden in dem hier weniger hohen Gras. Da die Tiere dicht nebeneinander her galoppiert und da die Hufeindrücke des linken Pferdes nicht so tief wie die des anderen waren, vermutete er sofort, daß er hier einen Reiter mit einem nur leicht beladenen Parkpferd vor sich hätte.
Die Doppelfährte lief ebenfalls geradeaus auf die Berge zu. Felsenherz folgt ihr – in das erste noch sandige, flache Tal, dann in eine kanonartige Schlucht hinein, deren schroffe kahle Wände nur oben von düsteren Riesentannen und einigen Steineichen bestanden waren.
Hier zügelte er seinen Braunen, ritt langsamer und ließ Bill und Jonny herankommen.
„Gerettet!“ brüllte Bill, der ein Stück voraus war. „Ein etwas aufregendes Wiedersehen ist’s, Felsenherz! Na – wir werden die roten Halunken bald abgeschüttelt haben.“
Zu dreien stürmten sie nun weiter die langgestreckte, vielfach gekrümmte Schlucht hinab, die allmählich dann wieder anstieg. Eine Gruppe von Tannen, die hier am Grund der Schlucht wuchsen, versperrte ihnen die Aussicht. Kaum hatten sie die Nadelhölzer jetzt jedoch umrundet, als Felsenherz seinen Braunen mit einem Ruck zum stehen brachte.
„Verdammt!“ knirschte auch Bill. „Eine üble Falle!“
Das war diese Schlucht allerdings, wie die Flüchtlinge jetzt erkannten. Auch nach Süden zu nichts als steile, kahle Wände hier – nirgends ein Durchschlupf, nirgends die Möglichkeit, diese Felsen zu erklimmen.
Bill und Jonny starrten den blonden Trapper ratlos an.
„Kehrt?!“ meinte Bill fragend, dessen Aufregung bewies, wie sehr gerade er die Sioux fürchtete.
„Nein!“ Felsenherz schüttelte den Kopf.
Seine Augen suchten auf dem steinigen Boden der Schlucht nach den Spuren des Reiters vor ihnen und dessen Packpferdes.
2. Kapitel
Das Lederstück.
Der dicke Jonny bemerkte jetzt nach Norden zu in der Schlucht die ersten Verfolger.
Sein warnender Ruf ließ den blonden Trapper von der weiteren Suche nach den Spuren der beiden Pferde Abstand nehmen.
Seine Blicke flogen in die Runde – an den schroffen Wänden entlang.
Er wußte, daß er und die beiden anderen Jäger verloren waren, wenn sie nicht schnell irgend einen Ort entdeckten, der gegen die anstürmenden Rothäute einige Zeit verteidigt werden konnte.
Doch – es war nicht lediglich die Sorge um die eigene Sicherheit und die seiner Begleiter, von der seine Augen jetzt doppelt geschärft wurden. Er dachte auch an Chokariga, seinen roten Freund und Bruder, und an die anderen Gefährten, die er infolge des überraschenden Angriffs der Sioux vorhin in der Prärie hatte im Stich lassen müssen, um sich selbst wenigstens zu retten, damit er später für die Befreiung der fraglos in Gefangenschaft Geratenen etwas tun könnte.
Von seinem Leben, von seiner Freiheit hing also auch das Wohl und Wehe seiner Gefährten ab, die ja ohne Zweifel von den Rothäuten, deren Verluste in dem kurzen Kampf nicht gering gewesen, einem grausamen Foltertod überantwortet werden würden.
Plötzlich blieben seine Blicke rechts in halber Höhe der dunklen Schluchtwand an einem kanzelähnlich vorspringenden Felsblock haften, glitten dann abwärts, entdeckten dort etwas wie einen schmalen Felsgrat, der ziemlich steil zu dem Block emporlief, hinter dem, von unten schwer erkennbar, sich eine Spalte in das Gestein hineinzuziehen schien.
„Folgt mir!“ rief er Bill und Jonny nach.
Schon stand er am Fuß der mindestens fünfzig Meter hohen, oben etwas überhängenden Wand.
Schon führte er seinen Braunen, der geschickt wie eine Bergziege hinter ihm drein kletterte, den schmalen natürlichen Pfad empor, der an manchen Stellen kaum zwei Hand frei sich vorschob und für jedes andere Pferd völlig unbeschreitbar gewesen wäre.
Auch Bills und Jonnys erprobte Prärieklepper überwanden leicht alle Schwierigkeiten des Aufstiegs.
Felsenherz’ Vermutung traf zu. Die Rückwand der Steinkanzel bot tatsächlich den Pferden ein vorzügliches Versteck. Eine schmale hohe Kulisse aus dunkelgrauem Granit schob sich von links her fast völlig vor die Spalte. Dahinter gab es eine rasch sich ausdehnende Grotte von etwa sechs Meter Länge und Breite. Diese Höhle war jedoch so niedrig, daß die Pferde nur mit gesenkten Köpfen darin stehen konnten.
„Verdammt – das heißt Glück haben,“ meinte jetzt erst der vor Erregung keuchende Bill. „Hier halten wir uns die roten Bestien schon eine Weile vom Leib.“
„Flucht nicht!“ wies ihn der blonde Trapper ärgerlich zurecht. „Das ist genau so unpassend in unserer Lage wie eure Bezeichnung ‚rote Bestien‛ für die Sioux, die schließlich doch nur ihre Jagdgründe gegen uns weiße Eindringlinge verteidigen. Die Sioux wie all die anderen westlich des Missouri lebenden Indianerstämme kennen das Schicksal ihrer östlichen Rassegenossen, der Delawaren, Huron, Seminolen und all der übrigen roten Völker, recht gut. Daß sie daher uns Europäer mit unerbittlichem Haß verfolgen, ist weiter kein Wunder. – Man muß gerecht denken, Bill!“
Dann kroch der berühmte Trapper vorsichtig ins Freie hinaus und ließ sich von Bill und Jonny aus der Höhle die dort herumliegenden Steintrümmer reichen, schichtete sie am Rand der Kanzel zu einer niedrigen Brustwehr auf und blickte nun nach oben, um festzustellen, ob von dort her eine Kugel ihm zugesandt werden könnte.
Die Wand hing jedoch zum Glück in nach innen geschweiftem Bogen, in dessen Mitte etwa die Steinkanzel lag, so weit über, daß man hier von der Höhe aus kaum unter Feuer genommen werden konnte.
Von den Sioux war nichts mehr zu bemerken. Ihre vordersten Reiter hatten fraglos genau beobachtet, daß die Flüchtlinge einen vorläufigen Schlupfwinkel gefunden, und waren zurückgeritten, um dies ihrem Häuptling zu melden.
Getreu ihren alten Gewohnheiten, dem Feind sich nie offen zu zeigen, blieben sie jetzt wohl sämtlich hinter der nächsten Krümmung der Schlucht und berieten, wie den drei Blaßgesichtern beizukommen sei.
Felsenherz, der die Kampfweise der Rothäute nur zu gut kannte, wußte, daß für die nächsten Stunden kein Angriff zu erwarten war. Am Tage würden die Sioux überhaupt wohl kaum wagen, die Kanzel zu stürmen.
So kroch er denn in die kleine Höhle zurück, sattelte seinen Braunen ab, entnahm einem der ledernen Tragesäcke gedörrtes Büffelfleisch und begann mit der unerschütterlichen Ruhe des erprobten Westmannes seine Mittagsmahlzeit.
Auch Bill und Jonny machten sich über ihre geringen Eßvorräte her.
Die drei hier Eingeschlossenen besprachen nun ihre Lage. Sie verhehlten sich nicht, daß nur ein glücklicher Zufall sie befreien könnte. Die Sioux würden sie hier belagern, und es war nur eine Frage der Zeit, wann Hunger und Durst die drei Trapper zwang, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Felsenherz berichtete Bill und Jonny nun auch, wie es gekommen, daß er und seine Begleiter so überraschend hatten von den Sioux überfallen werden können.
Der blonde Trapper, Chokariga und ihr Freund Tom Einaug, ein kleiner Trapper und Fährtensucher, hatten weiter südlich vor vier Tagen mit einer versprengten Abteilung Apachen einen gefährlichen Strauß ausgefochten und waren zusammen mit sechs anderen Weißen, zwei Neuyorker Gelehrten und deren Begleitern, schließlich Sieger geblieben. Chokariga, Tom Einaug und zwei der von den Gelehrten angeworbenen Westmänner waren jedoch verwundet worden. Man hatte daher nur sehr langsam den Rückweg zu den Ansiedlungen im Osten antreten können, da man außerdem noch die Mumie eines Mädchens mit sich führen mußte, die von den beiden Brüdern Peaker nach Neuyork gebracht werden sollte.
Heute mittag war man dann auf vier Siouxkrieger gestoßen, die sich durchaus freundschaftlich und friedlich zeigten. Felsenherz und der Komanche, die mit dem Oberhäuptling der Sioux Mattaloa vor Monaten die Friedenspfeife geraucht hatten, mißtrauten den vier Kriegern in keiner Weise, die sich dem Zug angeschlossen und, wie sich bald herausstellen sollte, hinterlistigerweise verschwiegen hatten, daß Mattaloa unlängst im Kampf mit den Navajos gefallen und Sastawura, der blutige Wolf, sein Nachfolger geworden, ein grimmer Feind aller Blaßgesichter, dazu ein listenreicher und tapferer älterer Mann.
Ahnungslos hatten die Weißen und der verwundete Komanchenhäuptling dann am Rand eines Wäldchens gelagert, als Sastawura mit zweihundert Kriegern urplötzlich auftauchte, sie umzingelte und die Ablieferung der Waffen verlangte.
Es war zum Kampf gekommen. Felsenherz floh, um seine Freunde und Gefährten später retten zu können, nachdem er zwei Sioux niedergeschossen und Sastawura mit dem Tomahawk verwundet hatte. Außerdem waren noch mindestens acht weitere Sioux unter den Kugeln der Angegriffenen gefallen, die nun ohne Zweifel bis auf Felsenherz von den Rothäuten gefangen genommen oder gar zum Teil niedergemacht worden waren.
Jetzt erwähnte Felsenherz auch die Spuren des Reiters mit dem Packpferd, denen er bis hier in die Schlucht hinein gefolgt war und erklärte zum Schluß, daß dieser fremde Reiter fraglos einen Weg gekannt haben müßte, der aus der Schlucht wieder hinausführte.
„Dieser Mann war dicht vor uns,“ meinte er. „Umgekehrt ist er nicht. Wo blieb er also mit seinen beiden Tieren?“
Bill und Jonny schwiegen. Sie hüteten sich, zu verraten, daß sie wußten, daß es Old Taciento, der Schweigsame, gewesen. Sie hätten sonst ja verraten, daß sie ihm heimlich nachgeritten waren, um ihn zu berauben.
Felsenherz erhob sich, um draußen wieder Umschau zu halten.
Abermals schob er sich wieder über das kahle Gestein der Felskanzel bis zu der Brustwehr.
Plötzlich gewahrte er in einer Ritze des Felsbodens ein halbhandgroßes Stück Leder, dessen Ränder dünn wie Seidenpapier abgescheuert waren.
Er griff zu und besichtigte es genauer.
Das konnte nur ein Stück von einem ledernen Hufschuh sein, wie auch er sie mit sich führte, um deutliche Fährten zu vermeiden, – das Stück einer um die Pferdehufe festzuschnallenden Lederhülle.
Wie kam dieses Stück Leder auf die Kanzel? Ob etwa der fremde Reiter vorhin ebenfalls hier nach oben in der Höhle sich in Sicherheit gebracht hatte?
Aber – wo war er dann jetzt?! Wohin hatte er seinen Weg fortgesetzt?! –
Der blonde Trapper schob das Lederstück in die Tasche und warf nur einen kurzen Blick ringsum. Trotzdem erspähte er auf der Höhe der gegenüberliegenden Schluchtwand zwischen dem Gestrüpp am Fuß einiger Eichen einen Sioux, der die Kanzel beobachtete. Und nach links hin sah er auch zwischen den Tannen, die man vorhin umritten hatte, hin und her eilende Gestalten – ebenfalls Rothäute!
Er kroch in die Höhle zurück.
„Übernehmt ihr beide jetzt draußen die Wache,“ meinte er zu Bill und Jonny. „Ich will ein wenig ruhen. Wir müssen unsere Kräfte schonen. Die Nacht wird anstrengend genug werden.“
Die beiden Trapper nahmen ihre Büchsen und lagen gleich darauf hinter der Brustwehr der Kanzel.
3. Kapitel
In höchster Not.
Felsenherz hatte hier in der Höhle nur allein sein wollen. Er vermutete, daß der unbekannte Reiter tatsächlich hierher geflüchtet sei und daß aus der Höhle ein unterirdischer Gang oder eine Spalte ihm die Fortsetzung der Flucht ermöglicht hatte.
Bei dem in dieser Grotte herrschenden Halbdunkel begann der blonde Jäger nun sehr sorgfältig die Wände nach einem solchen Zugang zu einer Nebenhöhle oder zu einer breiten Spalte abzusuchen.
Die Höhlenwände waren sehr unregelmäßig geformt, hatten Vorsprünge und Vertiefungen, kleinere Risse und spitze Zacken. –
Felsenherz zündete sein Präriefeuerzeug an und entflammte ein paar dürre, vom Wind in die Höhle gewehte Zweige und Laub an. Mit dieser primitiven Fackel setzte er die Suche fort.
Er fand nichts. Überall das gleiche Gestein – überall!
Da war auch nirgends ein Anzeichen für das Vorhandensein einer Geheimtür zu entdecken, wie er sie von Trapperbehausungen sehr wohl kannte. Es gab ja unter den Fallenstellern genug erfinderische Männer, die für die Stunde äußerster Not sich einen geheimen Weg ins Freie angelegt hatten, die ihre Blockhütten mit der Rückseite an eine Felswand lehnten, die gerade dort eine Spalte hatte, und diese Spalte durch eine schlau eingefügte Balkentür, außen mit Festplatten benagelt, verschlossen, so daß die Tür sich völlig dem übrigen Gestein anpaßte.
Hier jedoch war auch nichts Derartiges zu finden. Schließlich gab Felsenherz das Suchen auf. Er wurde hierzu auch durch einen Schuß bestimmt, der draußen auf der Kanzel gefallen war.
Ein zweiter folgte jetzt – ein dritter.
Der Trapper kroch rasch hinaus, da er annehmen mußte, daß die Sioux angreifen wollten.
Bill empfing ihn, seine Doppelbüchse im Liegen ladend, mit den Worten:
„Drei von der roten Brut sind ausgelöscht! Da oben, uns gegenüber hatten sie sich eingenistet.“
Kaum hatte Bill die letzte Silbe über die Lippen gebracht, als von der anderen Schluchtwand und aus der Tannengruppe links mehrere Schüsse fielen.
Jonny, der gerade die Büchse durch eine Öffnung der Steinbrustwehr vorgeschoben hatte, schrie leise auf, zog die Waffe schnell zurück und rief:
„Die schlauen Schufte! Meine Büchse ist unbrauchbar geworden! Seht – eine Kugel hat die Läufe gesprengt!“
Bill schüttelte jetzt drohend die Faust über die Brustwehr hinweg und brüllte:
„Wartet, rotes Gesindel! Ich werde euch lehren, wie man solche Streiche rächt!“
Und blitzschnell hatte er dann seine Waffe in Anschlag, drückte ab und – schrie laut auf.
Eine von seinem Büchsenlauf abspringende Kugel war ihm in den rechten Oberarm gefahren.
Bevor er noch seine Doppelflinte aus dem Bereich der Kugeln der schlauen Rothäute bringen konnte, knallte es drüben von neuem.
Bills Büchse erhielt einen Stoß, schlug mit den Hähnen gegen einen Stein, und beide sprangen ab.
So war denn auch diese Waffe jetzt nichts als ein nutzloses Stück Eisen und Holz.
Bill konnte sich nicht länger beherrschen.
Eine Flut wilder Flüche sprudelte ihm über die Lippen.
Aber das gellende Triumphgeheul der Sioux übertönte noch des rotbärtigen Jägers Zornesausbrüche.
Wie zum Hohn erschienen jetzt drüben vor den Eichen vier, fünf Sioux und winkten mit ihren Flinten herüber.
„Schießt, Felsenherz, schießt – in drei Teufels Namen!“ geiferte der vor Wut sinnlose Bill.
Der berühmte Jäger zuckte die Achseln.
„Soll auch ich wehrlos werden?!“ meinte er. „Merkt ihr nicht, daß die Rothäute ihre besten Schützen so postiert haben, daß sie unsere Büchsenläufe zerschmettern können, wie ihr dies leider soeben zweimal schon erlebt habt?!“
Kaum gesagt, flutete auch schon hinter den Tannen ein Haufen von Rothäuten hervor, stürmte der östlichen Felswand zu und den schmalen Pfad empor.
Allen voran war ein Krieger von riesiger Gestalt, der sich aus dicken Eichenästen eine Art Schild hergestellt hatte.
Der Angriff kam so urplötzlich, daß selbst Felsenherz für Sekunden untätig blieb.
Jetzt aber hob er die Büchse, kroch weiter nach rechts, feuerte auf den Sioux, der mit seinem Schild bereits bis zur halben Höhe des Pfades vorgedrungen war.
Er hatte, daß sich ihm kein anderes Ziel darbot, auf das eine Bein des Sioux gezielt.
Die Kugel fuhr dem hühnenhaften Roten in das Schienbein, und mit einem wilden Schrei rollte er, sofort den Halt verlierend, in die Tiefe, konnte trotzdem noch dem nächsten Sioux den schweren Schild zuwerfen, so daß Felsenherz sich gezwungen sah, die zweite Kugel ebenfalls diesem tollkühnen Vordringenden bei der nächsten Bewegung in den Fuß zu jagen.
Auch dieser Sioux rollte abwärts.
Die hinter ihm Befindlichen gerieten keinen Moment ins Stocken.
Außerdem erkletterten jetzt aber auch von unten die Feinde, rasch sich einander auf die Schultern schwingend, die steile Wand, so daß der blonde Trapper sich auf der engen Kanzel bald von allen Seiten umringt sah.
Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, rief er Bill und Jonny zu, sich in die Höhle zurückzuziehen.
Nun war er allein.
Er ließ den Kolben seiner schweren Büchse herumwirbeln.
Krachend schlug der eisenbeschlagene Kolben auf kahle Indianerschädel.
Mit der Linken wehrte Felsenherz mit Hilfe des Tomahawks die Angreifer ab, die mit einer erstaunlichen Todesverachtung vordrängten.
Was half es, daß sechs – sieben Sioux schwer verwundet abwärtsflogen – und, daß Felsenherz jetzt die Steine der Brustwehr als Geschosse benutzte?!
Der Ausgang dieses wilden Kampfes konnte um so weniger zweifelhaft sein, als von drüben unausgesetzt Kugeln neben dem Trapper gegen das Gestein klatschten.
Jeden Moment konnte er getroffen werden.
Es war nur einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, daß er bisher unverletzt geblieben.
Dann eine ganze Salve von drüben.
Der blonde Trapper fühlte, daß eins der ihm allein geltenden Geschosse seine Stirn streifte. Warmes Blut brach sofort aus der Wunde hervor, rann ihm in die Augen.
Er war blind – wehrlos.
Mit schrillen Schrei sprang jetzt einer der Sioux von dem schmalen Pfad her auf die Kanzel, holte mit dem Wurfbeil zum tödlichen Hieb aus.
Felsenherz hatte sich in sein Schicksal ergeben, ließ die Arme sinken, ahnte, daß ihm in der nächsten Sekunde der Tod gewiß sei. –
Da – in dieser höchsten Not tauchte plötzlich aus der Höhle Old Taciento auf.
Feuerte – und mit einer Kugel in der Stirn sank der Sioux hintenüber.
Feuerte abermals – riß dann den blonden Trapper in die Grotte hinein, die jetzt seltsamerweise leer war.
Aber dort im hintersten Winkel der Höhle lehnte an der Wand eine mächtige Steinplatte von gut zwei Meter Länge und anderthalb Meter Breite, – eine Platte, die bisher einen schrägen Schacht im Boden bedeckt hatte.
Der Schweigsame drängte Felsenherz schnell in den Schacht, flüsterte dabei nur:
„Tastet euch vorwärts! Es geht immer in gerader Linie abwärts.“
Dann kippte er die Steinplatte um, paßte sie genau in die große Öffnung ein.
Es gehörten schon die Riesenkräfte dieses alten Waldläufers dazu, ein solches Gewicht wie das dieses flacher Granitstückes zu bewältigen. Nun lag es fest und Old Taciento griff im Halbdunkel des Schachtes nach ein paar Lassos und legte der Schlingen um Zacken der Unterseite der Platte, zog die Schlingen zu und befestigte die straff gespannten, unzerreißbaren Lederriemen an Vorsprüngen der Schachtes, so daß es unmöglich war, diesen Stein von der Höhle aus zu lüften.
Inzwischen war Felsenherz, der sich jetzt das Blut aus den Augen gewischt und seinen Filzhut über die Wunde gepreßt hatte, in einen kaum drei Meter breiten Kanon gelangte, der von oben nur spärlich Licht erhielt, daß er sich weiter aufwärts in stumpfen Winkel nach links bog, so daß nur durch eine schräge Öffnung die Tageshelle hineinfiel.
Der Kanon war kaum fünfzig Meter lang, senkte sich steil in ein rundes Tal hinab, dessen Wände rundum steil wie Mauern emporstiegen und sogar an den meisten Stellen weit überhingen.
Hier gesellte sich Old Taciento zu Felsenherz.
Die beiden Männer, jeder auf seine Weise im wilden Westen eine Berühmtheit, hatten sich noch nie gesehen.
„Folgt mir! Ich bin Jim Burns, Old Taciento genannt,“ sagte der Alte in seiner wortkargen Art.
Das mit Steintrümmern und Gestrüpp ausgefüllte kleine Tal hatte nach Süden zu einen zweiten Ausgang in Form eines sanft ansteigenden Engpasses, der auf eine weite, grüne Felsterrasse mündete, deren Rückwand ein für Mensch und Tier unerklimmbarer Berg bildete und die nach vorn schroff in ein großes Tal mindestens achtzig Meter tief abfiel.
Hier gewahrte der blonde Trapper nun auch Bill, Jonny und die Pferde, weiter eine an die Rückwand lehnende Blockhütte, daneben einen Stall aus rohen Baumstämmen, ferner ein paar Gruppen von Buchen und Eichen, ein paar Grasplätze und in einer Ecke einen Tümpel klaren Wassers, der durch ein von den Bergen niedersickerndes Rinnsal stets aufs Neue gefüllt wurde.
„Meine Festung,“ erklärte Old Taciento. „Hier hause ich seit dreiundzwanzig Jahren – als Einsiedler, von dem niemand bisher wußte, wo er seinen Schlupfwinkel hat!“
4. Kapitel
Bills finstere Pläne.
Bill und Jonny waren näher getreten.
„Es ist mir nicht leicht geworden,“ fuhr der Alte fort, „das Geheimnis des Zuganges zu diesem sicheren Ort preiszugeben. Ich hoffe, daß ihr, Felsenherz, und eure beiden Begleiter euch dankbar zeigen und mir schwören werdet, diesem Schlupfwinkel niemandem zu verraten.“
Der blonde Trapper nickte ernst. „Mein Versprechen gilt ebenso viel wie ein Schwur,“ sagte er feierlich. „Und auch Bill und Jonny werden euer Geheimnis nicht verraten, Old Taciento.“
Des Einsiedlers so seltsam durchdringender Blick ruhte eine Weile fest auf den Gesichtern der beiden Männer, die ausgezogen waren, ihn zu berauben.
Unter diesem Blick wurde der dicke Jonny verlegen und schaute zur Seite.
„Wart ihr nicht vor einer Woche in Fort Wallace?“ fragte Old Taciento sie langsam. „Mir ist so, als hätte ich euch dort gesehen.“
„Stimmt, stimmt!“ rief Bill, harmlos tuend. „Wir haben in Wallace nur Pulver und Blei eingehandelt.“
Felsenherz wandte sich wieder an den Alten.
„Es kann wohl kaum ausbleiben, daß die Sioux uns hier aufstöbern,“ meinte er. „Wenn sie uns in der Höhle nicht vorfinden, werden sie so lange suchen, bis sie den geheimen Weg hierher entdeckt haben.“
Old Taciento schüttelte den Kopf. „Ihr irrt euch, Felsenherz. Die Höhle hat noch einen dritten Ausgang. An der linken Seite neben der Öffnung nach außen gibt es einen zweiten Schacht, der ebenfalls durch eine Steinplatte bedeckt ist. Diese Platte läßt sich im Gegensatz zu der anderen, die auch kaum von einem Uneingeweihten gefunden werden kann, leicht lüften. Der darin beginnende Gang läuft in eine Seitenschlucht hinab, aus der man wieder ostwärts in ein Tal gelangt.
Als ich vor dreiundzwanzig Jahren diese Höhle da entdeckte, waren die beiden Löcher und Schächte offen. In mühsamer Arbeit erst habe ich die Verschlußplatten hergestellt und diejenige neben dem Eingang gleich so eingerichtet, daß sie jeden Feind irreführen muß. Wir können überzeugt sein, daß die Sioux euch drei jetzt in den östlichen Tälern suchen.“
Dann führte der Alte seine Gäste in die Blockhütte, die ebenso wie der dicht daneben stehende Stall durch Bäume und Büsche so geschützt war, daß niemand sie von den gegenüberliegenden Höhen bemerken konnte.
Felsenherz war erstaunt, wie behaglich Taciento sich sein Heim eingerichtet hatte. Noch mehr staunte er aber über die Menge von kostbaren Bärenfellen, die der Einsiedler zur Ausschmückung seiner Hütte benutzt hatte. Diese Felle allein waren viel Geld wert.
Man setzte sich um einen sauber gescheuerten Tisch, und Old Taciento trug nun eine Mahlzeit auf, wie die drei Trapper sie seit langem nicht vor sich gesehen hatten.
Während man den Speisen kräftig zusprach, erklärte Felsenherz, daß er sofort bei anbrechender Dunkelheit versuchen wolle, seine Gefährten zu befreien.
„Sollte ich eure Hilfe brauchen,“ wandte er sich an die drei ihm gegenübersitzenden Männer, „so werde ich hierher erst noch zurückkehren.“
Bill lachte ärgerlich auf.
„Ihr vergeßt, daß Jonnys und meine Büchse zum Teufel sind!“ meinte er. „Wir können euch also kaum etwas nützen.“
„Ihr sollt andere Büchsen erhalten,“ erklärte da der Alte schlich. „Und wahrscheinlich mindestens ebenso gute, wie es die euren waren. Ich habe mehrere Gewehre hier. Nachher könnt ihr euch auswählen, was ihr haben wollt.“
Bill bedankte sich wortreich. Ihm war es sehr lieb, daß der blonde Trapper sie hier mit dem Einsiedler allein lassen wollte. Er hatte seine schändlichen Pläne durchaus nicht aufgegeben. Im Gegenteil: die Bärenfelle hier bewiesen ihm ja, daß Old Taciento fraglos auch im Laufe der Zeit große Summen Goldes aufgespeichert haben müßte! –
Nach der Mahlzeit begaben Felsenherz und der Alte sich durch den Engpaß und das kleine Tal in den Schacht, um festzustellen, ob in der Höhle noch etwas von der Anwesenheit der Sioux zu spüren wäre.
Kaum waren sie von der Terrasse verschwunden, als Bill seinem Freund Jonny zuraunte:
„Alter Jonny, heute noch werden wir das Schäfchen scheren! Paß auf, wir machen hier reiche Beute! Der Alte ist bald erledigt. Felsenherz treibt sich nachher draußen herum, und dann –“
„Niemals!“ rief der Dicke da. „Bill, das wäre ja der allerschwärzeste Undank! Nein, da tue ich nicht mit! Und wenn du diese Gedanken nicht fallen läßt, werde ich ihre Ausführungen zu verhindern wissen!“
Bill war viel zu schlau, um Jonny jetzt etwa eines besseren belehren und für sich gewinnen zu wollen.
„Hm – eigentlich hast du recht,“ meinte er. „Na – gut denn! Bleiben wir ehrliche Kerle.“ –
Gleich darauf erschienen auch Old Taciento und Felsenherz wieder. Sie waren, nachdem sie die Platte mit aller Vorsicht gehoben hatten, in die Höhle eingedrungen, fanden die andere Steinplatte hochgeklettert und erkannten so, daß des Einsiedlers Annahme richtig gewesen: Die Sioux hatten sich irreführen lassen und waren nach Osten zu verschwunden, um die Flüchtlinge dort in den unwegsamen Bergen zu suchen.
Die Sonne war jetzt bereits untergegangen. Die Dunkelheit kam, und der berühmte Jäger, dessen Sorge um das Schicksal seiner Gefährten sich von Stunde zu Stunde gesteigert hatte, machte sich zum Aufbruch fertig. Seinen Braunen ließ er hier auf der Terrasse zurück, da er vermutete, daß die Sioux irgendwo in der Nähe lagern würden.
Nach kurzem Abschied von den drei Zurückbleibenden eilte er den Engpaß hinab durch das Tal in den Schacht, hob mit der Schulter die Steinplatte, lauschte eine Weile, schwang sich dann in die Höhle hinein und legte die Platte wieder in die Vertiefung zurück.
Dann schlich er auf dem schmalen Pfad von der Steinkanzel aus in die Schlucht hinunter und schlug den Weg nach Norden ein, bis er die offene Prärie vor sich hatte.
Während dieser Stunde hatte er nicht das geringste von den Sioux gespürt. Als er nun aber einen Hügel erkletterte, wehte ihm der von Nordost kommende Wind Brandgeruch von Lagerfeuern entgegen.
Mit äußerster Behutsamkeit kroch er weiter. Dann gewahrte er einen Sioux, der am Rand eines kleinen Tales Wache stand und langsam auf und ab ging.
Glücklich kam er an diesem Posten vorüber und schob sich in die Büsche, hinter denen er in der Tiefe drei Feuer leuchten sah.
Dort saßen um die Flammen herum etwa vierzig Sioux. Ein Stück weiter lagen acht Gestalten am Boden, neben denen vier Wächter hockten.
Es waren die Gefangenen. –
Felsenherz atmete erleichtert auf. Seine Gefährten lebten! Das war vorläufig die Hauptsache. Es würden sich schon Mittel und Wege finden lassen, sie zu befreien.
5. Kapitel
Bills Tod.
Da das Tal recht buschreich und mit hohem Gras bestanden war, durfte der blonde Trapper es wohl wagen, sich den Gefangenen noch mehr zu nähern. Ein erprobter Westmann wie er brachte noch weit schwierigere Dinge fertig.
Bald lag er dann auch in einem Gestrüpp, das kaum einen Meter von den Köpfen Chokarigas und John Robbers, eines jungen Trappers, entfernt war.
Die vier Wächter wurden jetzt durch die Rückkehr einer kleinen Siouxabteilung abgelenkt, die irgend eine wichtige Meldung dem an einem der Feuer sitzenden Oberhäuptling Sastawura zu erstatten schien.
Das bisher so stille Lager wurde jetzt lebendig. Sastawura und zwanzig Sioux schwangen sich auf ihre Mustangs und sprengten mit der soeben eingetroffenen Abteilung nach den Bergen zu davon.
Felsenherz hatte die Unruhe im Lager und die Unaufmerksamkeit der Wächter dazu benutzt, John Robbers Fesseln schnell zu durchschneiden und ihm ein paar Worte zuzuflüstern. Ebenso hastig hatte er sich dann wieder rückwärts ins Gestrüpp geschoben. Doch sein Messer war in Robbers Hand zurückgeblieben.
Der junge Trapper machte davon denn auch den besten Gebrauch. Als die Wächter den Davonschreitenden nachschauten, schnitt er rasch den Komanchenhäuptling frei, der seinerseits wieder Tom Einaugs Riemen mit sicheren Schnitten zertrennte.
So kam es, daß die acht Gefangenen jetzt nur mehr zum Schein regungslos im Gras weiter ausharrten, bis Felsenherz auch den zweiten Teil seines Befreiungsplanes vollendet hätte.
Die Mustangs der jetzt noch hier im Tal befindlichen zweiundzwanzig Rothäute und die Pferde der Gefangenen standen am Nordausgang des Tales. Zwei jüngere Krieger bewachten sie.
Der blonde Trapper hatte die beiden Sioux, die sich leise unterhielten, von hinten beschlichen und richtete sich nun langsam in ihrem Rücken aus dem Gras auf.
Alle hing jetzt davon ab, daß er die beiden völlig geräuschlos unschädlich machte.
Seine nervigen Hände packten zu, umklammerten die Hälse der beiden, und mit dumpfem Krach schlugen ihre Schädel aneinander.
Felsenherz ließ die Betäubten ins Gras sinken, nahm ihnen die Waffen ab und band im Schutz einiger Büsche die Mustangs mit den Zügeln zusammen, stieß dann dem einen das Messer in den Schenkel und scheuchte die gekoppelte Masse der Mustangs in die Prärie hinaus, schwang sich selbst auf Chokarigas prachtvollen Rappen und jagte den Lagerfeuern zu, schoß vom Sattel aus zwei Sioux nieder und fand nun kräftige Unterstützung durch die jäh hochfahrenden Gefangenen, die ihre Wächter im Augenblick niedergerungen und sich deren Waffen bemächtigt hatten.
Die überraschten Sioux entflohen, ohne sich auf einen Kampf einzulassen, in wirrem Haufen westwärts in die Prärie hinein.
John Robber und der ebenfalls unverwundet gebliebene Diener der beiden Neuyorker Gelehrten, ein kleines tapferes Kerlchen, holten dann die Pferde herbei. Auch das Mumienpaket wurde mitgenommen. Felsenherz, der hinter Chokariga auf dem Rappen saß, führte die kleine Schar nach Osten zu bis in jene Schlucht, an deren südlichstem Punkt die Felskanzel mit der Höhle lag.
Nun mußten die Verwundeten nach oben in die Grotte gebracht werden. Das erforderte Mühe und Zeit. –
Als man gerade dann auch das letzte Pferd den schmalen Pfad gleichfalls glücklich hinaufgeleitet hatte, tauchten unten in der Schlucht eine Menge Sioux auf, darunter ihr Oberhäuptling Sastawura.
Felsenherz ließ schnell die Steinplatte neben dem Höhleneingang zufallen, damit nicht etwa auf diesem Weg von der Seitenschlucht her Feinde eindrängen.
Während John Robber, Chokariga und der kleine Diener Daniel Portachappy nun die Rothäute durch Schüsse in respektvoller Entfernung hielten, mühte sich der blonde Trapper umsonst ab, die andere Steinplatte zu heben, die an einer Stelle eine übergreifende Kante hatte, an der die Hände festen Halt fanden.
Zu Felsenherz’ unangenehmer Überraschung ließ sich die Platte jedoch nicht lüften.
Alle Mühe war umsonst. Felsenherz begriff nicht, aus welchem Grund Old Taciento wohl die Lassos unter der Platte im Schacht straff angezogen und festgebunden haben könnte. Denn nur so war es ja seines Erachtens nach zu erklären, daß der mächtige Verschlußstein sich nicht anheben ließ.
Die Lage der hier in der engen Höhle und auf der Kanzel vereinten neun Männer war nun gegen alles Erwarten recht bedenklich geworden. Felsenherz hatte ja bestimmt damit gerechnet, daß er die Befreiten sofort in Old Tacientos Festung in Sicherheit bringen könnte. Jetzt aber, wo die Sioux von der Schlucht her mit zähem Ungestüm immer wieder zum Angriff vorgingen, mußte man die wenige Munition, die für die fünf vorhandenen Flinten zur Verfügung stand, sehr bald verbraucht haben. Dann würden die Sioux die Höhle stürmen, und – das Ende des letzten Verzweiflungskampfes war leicht vorauszusehen! –
*
Was war inzwischen auf Old Tacientos Terrassenfestung geschehen?
Kaum hatte Felsenherz sich entfernt gehabt, als Bill auch schon nach vorher genau zurechtgelegtem Plan handelte.
Er bat den alten Trapper, ihm und Jonny nun die versprochenen Büchsen auszuhändigen.
„Gut – folgt mir nur in den Stall,“ nickte der Einsiedler scheinbar arglos. „Dort habe ich mein Waffenversteck. Dort soll ihr euch aussuchen, was für euch handlich ist.“
In einem Verschlag des Stalles schob er dann lose herumliegendes Brennholz beiseite, machte so die aus roh behauenen Balken bestehenden Dielen frei und hob eine schwere Falltür auf, leuchtete mit einer Harzfackel hinein und enthüllte eine in die Tiefe führende Holztreppe.
„Wartet hier,“ sagte er dann. „Für einen Uneingeweihten ist es nicht ratsam, in meinen Vorratskeller hinabzusteigen. Ich bringe euch mehrere Büchsen mit nach oben.“
Er reichte Jonny die Fackel, zündete eine zweigte an und stieg die Stufen hinab.
Bills Augen funkelten jetzt in Habgier und Mordlust. Das wenige Gute, das noch in seiner Seele vorhanden gewesen, war heute völlig erstickt unter der Sucht nach den Reichtümern des alten Trappers.
Dicht neben ihm lehnte an der Wand ein schweres Beil.
Ein Griff – er hatte es in der Hand, – ein Schlag, und Jonny brach mit zerschmettertem Schädel lautlos zusammen.
In demselben Augenblick ertönte aus der Tiefe des Kellers eine zornige Stimme:
„Freundesmörder! Ich habe dich längst durchschaut! Old Taciento weiß in den Gesichtern der Menschen zu lesen wie in einem Buch!“
Bill stieß ein heiseres Gelächter aus, hob die Fackel auf, stürmte mit dem Beil die Treppe hinab, brüllte:
„Jetzt kommst du an die Reihe! Heraus mit dem Geld, wenn du dein Leben retten willst!“
Doch – all sein Suchen nach dem Alten war umsonst, obwohl der Keller nur drei kleine Gelasse aufwies.
Bill keuchte vor Grimm. Er merkte, daß Old Taciento ihn überlistet hatte, daß dieser Keller noch geheime Nebenräume besaß. Da packte ihn plötzlich die Angst, daß der Einsiedler ihm mit einer geladenen Büchse in der Hand gegenübertreten könnte.
Wie ein Gehetzter jagte er wieder in den Stall nach oben, raste blindlings über die Terrasse, durch den Engpaß – hin zu dem Schacht mit der Steinplatte, um zu fliehen – irgendwohin. Namenloses Grauen vor seiner eigenen Untat hatte ihn ergriffen.
Nun sah er die Steinplatte über sich – sah, daß anstelle der Lassos, die das Felstück niederhielten, jetzt eine starke Kette straff gespannt daran war. Er rüttelte wie ein Wahnsinniger an dieser Verbindung, an dem schweren Schloß, das die Eisenglieder verband.
Der Weg ins Freie war ihm versperrt. Seine Angst wuchs. Er machte kehrt, warf die Fackel weg, schlich auf die Terrasse zurück, das lange Jagdmesser stoßbereit in der Rechten, kroch nun auf allen Vieren weiter.
Er oder Old Taciento! Einer mußte fallen! Und – er wollte sein Leben bis zum letzten Atemzug verteidigen.
Ah – dort am Rand der Terrasse eine Gestalt – dort, wo der Abfluß des kleinen Weihers in das Tal hinabplätscherte.
Das konnte nur der Alte sein! Jonny war ja tot!
Mit drei – vier Sätzen war Bill dicht vor der knienden Gestalt. Die Dunkelheit hatte getäuscht.
Es war Jonny – Jonny, der hier seine furchtbare Schädelwunde kühlte.
Und Jonny fuhr nun in wilder Todesangst empor, raffte einen Stein auf, schleuderte ihn Bill mitten vor die Brust, der denn auch zurücktaumelnd stolperte und mit gellendem Schrei über den Rand der Terrasse hinweg in die Tiefe stürzte. –
Jonny aber brach infolge der Anstrengung bewußtlos zusammen. Nun erschien der Alte von dem Engpaß her, trug Jonny in seine Hütte und bemühte sich stundenlang um den schwer Verletzten, bis dieser endlich wieder die Augen aufschlug.
Da erst fiel Old Taciento ein, daß er ja, um Bill die Flucht unmöglich zu machen, die Steinplatte mit der Kette befestigt hatte.
Hastig eilte er nach dem Schacht, entfernte die eiserne Verbindung und – hörte im selben Moment oben in der Höhle Schüsse fallen.
So wurden denn Felsenherz und seine Gefährten noch im letzten Augenblick gerettet und fanden in der Festung des Einsiedlers ein so sicheres Versteck, daß sie hier getrost abwarten konnten, bis die Sioux nach vier Tagen die Berge verließen, da sie es schließlich aufgaben, noch weiter nach den auf so rätselhafte Weise Verschwundenen zu suchen. –
Der dicke Jonny wurde wieder gesund und blieb fortan ein ehrlicher, braver Trapper.
Nachdem Felsenherz, Chokariga und die andern Westmänner den beiden Gelehrten bis zu den nächsten Ansiedlungen das Geleit gegeben hatten, sollten sie auf dem Rückweg in die Prärien mit in einen Kampf hineinverwickelt werden, der in der Geschichte der Grenzkriege eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.