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Um das Fell des Graubären

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte. einschließlich Verfilmungsrecht, vorbehalten. Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Felsenherz der Trapper

Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26

Elisabeth-Ufer 44

 

Druck: P. Lehmann G. m b. H., Berlin

 

Felsenherz, der Trapper

Selbsterlebtes aus den Indianergebieten

erzählt von

Kapitän William Käbler.

 

Heft: 34

Um das Fell des Graubären.

 

 

1. Kapitel

Der gelbe Tobby.

Zwei Männer, ein Weißer und ein Indianer, lagerten an einem sonnigen Herbstmorgen auf der kleinen Lichtung eines dichten Waldes, der sich wie ein dunkler Strich an einem Präriebach entlangzog.

Der Weiße war ein kräftiger, blondbärtiger Mann in Trappertracht, der Indianer ein schlanker, edel aussehender Häuptling mit zahlreichen Adlerfedern im schopfartig hochgebundenen blauschwarzen Haar.

Die beiden saßen ernst und schweigend an dem kleinen Feuer, über dem am Spieß eine Hirschkeule briet.

Ihre Pferde, ein Rappe und ein Fuchs, weideten frei in der Nähe.

Neben den beiden Westmännern lagen ihre Doppelbüchsen griffbereit im Gras. –

Nun sagte der blonde Jäger unvermittelt, indem er den Häuptling sorgenvoll anschaute:

„Mein Bruder Chokariga weiß, daß ich den Knaben lieb habe wie mein eigenes Kind. Sein Onkel hat ihn uns anvertraut, damit wir ihn zu einem tüchtigen Trapper erziehen. Ich begreife nicht, weshalb Heinrich Köhler uns in der verflossenen Nacht in aller Stille verlassen hat. Wir haben seine Spur zwei Meilen nach Nordwest, bis drüben zum Bach verfolgen können. Dort hat er es verstanden, jede Fährte zu verwischen. Sobald wir unsere Mahlzeit eingenommen haben, wollen wir nochmals nach seiner Fährte suchen. Wir müssen sie finden. Der Junge, fürchte ich, plant irgend etwas, was…“

Der Komanchenhäuptling hatte seine dunklen Augen jetzt blitzschnell nach dem Nordrand der Waldblöße gerichtet. Ein leises Schnauben seines Rappen hatte ihn gewarnt.

Trotzdem erwiderte er, indem er ganz unauffällig nach seiner Büchse griff, laut und scheinbar gleichmütig:

„Patta Lipu, der kleine Bärentöter, ist mit den Gefahren der Wildnis vertraut. Er hat vor drei Wochen den Grisly, den Herrn der Wälder, erlegt. Seine Kugel geht nie fehl. Mein Bruder Felsenherz braucht sich seinetwegen nicht zu sorgen. Wir werden seine Spur finden.“

Und ganz leise fügte er hinzu:

„Hinter den Dornbüschen – – zwei Späher!“

Felsenherz hütete sich, jetzt etwa den Kopf zu wenden und nach den Büschen hinüberzublicken.

Er erhob sich vielmehr langsam, reckte sich und sagte:

„Chokariga hat recht. Meine Angst ist überflüssig. Ich werde uns Wasser aus dem Bach holen.“

Er nahm seine Büchse unter den Arm und schritt nach Süden zu davon.

Kaum war er tief genug in den Wald eingedrungen, als er die Lichtung vorsichtig schleichend umrundete und so hinter jenes Dornengestrüpp gelangte, auf das der Komanchen ihn aufmerksam gemacht hatte.

Auf allen vieren kroch er weiter, schob sich immer näher an das Gewirr von Banken, Zweigen und Blättern heran, in dem die beiden Späher stecken sollten.

Chokariga konnte hiermit nur zwei Rothäute gemeint haben.

Man befand sich ja an der Grenze des Jagdgebietes der Sioux, in einer Prärie, die sowohl von den nördlich wohnenden Sioux als auch den südlich am Kanadian hausenden Komanchen gemieden wurde, da beide Stämme auf diesen Präriestreifen Anspruch erhoben und es stets zu Kämpfen gekommen war, sobald Krieger der beiden indianischen Reitervölker sich hier auf einem Jagdzug getroffen hatten.

Lange Zeit war dann das Kriegsbeil zwischen den Sioux und den Komanchen begraben worden, bis die nie zur Ruhe gelangende Raublust die Sioux zu einem Angriff auf eines der Grenzforts bewogen hatte, wo sie sich jedoch nur blutige Köpfe holten. Bei diesen Kämpfen hatten Felsenherz und der Häuptling der Komanchen das Fort verteidigen helfen. Seitdem stellten die Sioux den beiden berühmten Westmännern hartnäckig nach, und ihr Oberhäuptling Sastawura, der schleichende Fuchs, hatte dann unlängst seine blinde Rachgier mit dem Tod büßen müssen, nachdem er den oben erwähnten Knaben Heinrich Köhler gegen dessen Willen in seinen Stamm unter dem Namen Patta Lipu, kleiner Bär, aufgenommen hatte. Dieser Kriegsname für einen dreizehnjährigen Jungen war von Sastawura nicht willkürlich gewählt worden. Im Gegenteil, der Junge war von den Sioux gerade dabei überrascht worden, als er einen von ihm allein erlegten riesigen Graubären, einen Grisly, abgehäutet hatte. Fell, Zähne und Krallen des gewaltigen Raubtieres waren Heinrich Köhler dann leider verloren gegangen, da er sich den Rothäuten sehr bald wieder durch die Flucht entzogen hatte, die ihm durch das Eingreifen der beiden Westmänner erleichtert wurde. Diese hatten ihn später mit Erlaubnis seines Onkels, eines Farmers aus den Grenzgebieten, mit sich in die Wildnis genommen.

Heute nun, nach vierzehntägigem gemeinsamem Ritt durch die Savanne war Heinrich seinen älteren Freunden aus unbekannten Gründen entwichen. –

Kehren wir jetzt zu dem blonden Trapper zurück, der sich mit größter Behutsamkeit lautlos dem Gestrüpp näher schob.

Felsenherz erkannte an den niedergedrückten Gräsern, daß hier tatsächlich vor kurzem jemand sich in die Ranken der Dornen hineingedrängt hatte.

Als er nun dasselbe tun wollte, als er schon sein Jagdmesser stoßbereit in die Rechte genommen hatte, ertönte plötzlich aus dem Dickicht ein helles kicherndes Lachen, und eine heisere Stimme rief:

„Gebt euch keine Mühe, mich zu belästigen, Mann! Wenn ihr auch nur einen Schritt wagt, den ich nicht erlaube, drücke ich ab. Mein Gefährte hier zielt auf das Rotfell dort am Feuer, und somit seid ihr beide sozusagen kaltgestellt, wovon ihr freundlichst gebührend Kenntnis nehmen wollte. Der gelbe Tobby droht nie umsonst.“

Felsenherz hörte kaum diesen Namen, als er heiter erwiderte:

„Der gelbe Tobby ist, soweit ich weiß, kein Buschklepper. Er wird daher Chokariga, den Komanchen, und Felsenherz kaum als Feinde behandeln.“

„Alle Wetter – alle Wetter!“ ließ sich die heitere Stimme da wieder vernehmen. „Beim heiligen Antonius von Padua: ich war mit Blindheit geschlagen! Unglaublich, daß ich euch beide nicht sofort erkannt habe, obwohl ihr mir bisher persönlich nicht über den Weg gelaufen seid, da ich ja zumeist droben in den Black Hills meine Fallen aufstelle. Entschuldigt also. Ich werde sofort sozusagen zum Vorschein kommen.“

Felsenherz schritt dem Feuer wieder zu und setzte sich.

Aus dem Gebüsch aber krabbelte jetzt ein dürres Männchen mit dickem strohgelbem Schnurrbart hervor, dem ein Indianer folgte, – beide mit Doppelbüchse, Messer und Tomahawk bewaffnet.

Der gelbe Tobby riß jetzt seinen schäbigen Filzhut von dem absolut haarlosen Schädel, machte vor den Freunden einer Art Kratzfuß und krähte:

„Ihr gestattet: mein Name ist sozusagen Tobias Topp, zumeist der gelbe Tobby genannt. Und dies hier ist mein guter alter Bekannter Opitaru, das schnelle Elentier, der Unterhäuptling der Utahs sozusagen.“

Er stülpte den Filz wieder auf und schnupperte mit der mächtigen Hakennase nach der Hirschkeule.

„Nicht schlecht, der Duft. Habe sozusagen Hunger. Lade mich zum Diner ein,“ meinte er schmunzelnd. „Der Opitaru und ich haben nämlich seit vier Tagen nur von Brombeeren und einem winzigen jungen Präriehasen gelebt.“

„Dann setzt euch nur,“ lächelte Felsenherz, dem das putzige Kerlchen, der gelbe Tobby, recht gut gefiel.

Bald war man eifrig mit dem Vertilgen der Hirschkeule beschäftigt.

Dabei erzählte Tobby, daß er seinen Freund Opitaru nur deshalb so weit südlich durch das ganze Jagdgebiet der Sioux begleitet habe, weil des Utah Schwester Sikema, die flinke Elster, von zwei weißen Banditen entführt worden sei, deren Spuren man leider vor zwei Tagen verloren hatte.

„Zur gleichen Zeit ging uns sozusagen das Pulver aus,“ beendete Tobby seinen Bericht. „Mit dem letzten Schuß erlegte ich den Präriehasen und dann begann sozusagen die Fastenzeit. Heute am Morgengrauen trafen wir freilich einen Reiter dort nordwärts, aber der kniff vor uns aus. War ein kleines Kerlchen, so meine Größe, nur schmaler in den Schultern. Hatte es sehr eilig scheinbar, ritt einen Braunen…“

„Heinrich Köhler!“ rief Felsenherz erfreut.

„Na – vorgestellt hat der Bengel sich uns nicht sozusagen,“ brummte Tobby. „Also Heinrich heißt er. Konnte reiten, der Junge – beim heiligen Antonius von Padua!“

„Dann wollen wir ihm sofort nach,“ erklärte der blonde Trapper. „Ist unser Gefährte, unser Lehrling, der Junge! Hat schon allein einen Grisly erledigt, schießt tadellos, Mr. Topp!“

„He – Topp – Topp?! Will den Namen nicht höher! Ist scheußlich. Der Tobby bin ich – basta! – Gut, brechen wir auf. Vielleicht finden wir zusammen auch die Spuren der Mädchenräuber wieder.“ –

Der gelbe Tobby war eines jener Originale, wie man sie damals unter den Trappern des wilden Westens sehr häufig antraf. All diese Fallensteller und Pelzjäger, die zumeist nur zu zweien ihrem gefährlichen und abenteuerlichen Gewerbe nachgingen, die Tag für Tag, Stunde für Stunde vor den roten Herren des Landes auf ihrer Hut sein mußten und deren Leben nichts als eine Kette von Gefahren darstellte, eigneten sich außer eine ihnen selbstverständlich dünkenden Todesverachtung eine Menge von Schrullen an, die zumeist recht harmloser Art waren.

Daß es nicht alles ehrenwerte, biedere Charaktere waren, ist selbstverständlich, da die Indianergebiete als Zufluchtstätte aller Verbrecher in Betracht kamen, denen in den Ansiedlungen der Boden zu heiß geworden.

Während des Rittes nach Norden zu erzählte Tobby den beiden berühmten Westmännern Genaueres über den Raub des Utahmädchens Sikema, die vor zwei Wochen, als sie ihren Bruder Opitaru nach den Black Hills, einem bis zu zweitausenddreihundert Meter ansteigenden Gebirgszug in den nördlichen Prärien, begleitet hatte, eines Morgens von zwei Weißen entführt worden war, die der gerade auf der Jagd befindliche Opitaru bisher nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte. Nur Tobby, mit dem Opitaru dann zufällig zusammentraf, erspähte an verschiedenen Einzelheiten der Spuren dieser beiden Banditen, daß es sich um Weiße handelte.

Als Felsenherz nun den bescheidenen Opitaru fragte, weshalb denn diese Buschklepper die junge Indianerin mitgenommen hatten, da sie ihnen doch nur hinderlich war, blieb der Unterhäuptlings eine Weile stumm und erwiderte schließlich ausweichend:

„Sikema ist schön wie die aufgehende Morgenröte. Die beiden Blaßgesichter wollen Sikema vielleicht bei sich behalten, damit sie ihnen die Mahlzeiten zubereitet.“

Diese Antwort entlockte selbst Tobby ein ärgerliches Lachen.

„Mir hat Opitaru auch nichts anderes angeben können,“ meinte er. „Ich glaube, Freund Opitaru, du verschweigst uns etwas sozusagen! Auch über den Ritt nach den Black Hills hast du nur recht pflaumenweich Redensarten gemacht. Du bist doch sonst ein ehrlicher Bursche. Rede doch offen! Ich merke ja, daß die beiden berühmten Kollegen, der Felsenherz und der Chokariga, sozusagen ebenfalls sehr lange Gesichter zu deiner Erklärung machen.“

Der Utah blickte starr geradeaus – und blieb stumm.

Da tauschten seine Begleiter vieldeutige Blicke aus. Sie verstanden sich: Hier lag irgend ein Geheimnis vor, über das Opitaru Stillschweigen bewahren wollte!

 

 

2. Kapitel

Der kleine Bärentöter.

Zur selben Stunde, als diese vier Reiter nach Norden trabten, hatte der schlanke, kräftige Knabe den Rand eines Waldes erreicht, wo er ein paar Stunden zu rasten beschloß.

Heinrich Köhler, oder wie ihn die Sioux benannt hatten, Patta Lipu, der kleine Bär, war nun gerade aus dem Sattel gesprungen, als er tiefer im Wald drei – vier Schüsse kurz hintereinander hörte, denen das ihm nur zu wohlbekannte schrille Angriffsgeheul der Sioux folgte.

Er konnte aus der Stärke des Klanges der Schüsse sehr wohl berechnen, in welcher Entfernung sie gefallen waren – vielleicht fünfhundert Meter von ihm ab.

Rasch führte er seinen Braunen in ein Dickicht und schlich dann zu Fuß in den Wald hinein, wobei er all die Lehren genau beachtete, die Felsenherz ihm während des gemeinsamen Rittes gegeben hatte.

Der kleine Bärentöter war nicht etwa aus einer bloßen Laune heraus in der verflossenen Nacht den beiden Westmännern heimlich auf und davon gegangen.

Nein – das wäre Felsenherz gegenüber eine Undankbarkeit gewesen, die Heinrichs ganzem Charakter nicht entsprach. Ihn hatte lediglich der Wunsch, das Grislyfell, das ja sein rechtmäßiges Eigentum war, den Sioux wieder abzunehmen, zu diesem Entschluß bewogen. Hätte er die beiden Westmänner gebeten, ihm dabei zu helfen und mit ihm nach den Siouxdörfern zu reiten, so würden sie dieses Ansinnen wegen der damit verknüpften Mühen und Gefahren kurz abgelehnt haben, zumal der Komanchenhäuptling Eile hatte, zu seinem am Kanadian im Süden wohnenden Stamm zu kommen, wo nach ihm zugegangenen Nachrichten durch eine Bande von weißen Buschkleppern gegen hundert der besten Mustangs gestohlen und ein Dutzend Krieger getötet worden war.

Heinrich wollte, sobald er sein Grislyfell nebst Zähnen und Krallen zurückerlangt hatte, sich mit den beiden Westmännern am Kanadian wieder vereinigen, da er sie dort ja bestimmt anzutreffen hoffte.

Daß sie nach ihm suchen würden, nahm er bestimmt an. Er hatte seine Fährten jedoch so sorgfältig ausgelöscht, daß Felsenherz und der Häuptling über die Richtung, die er eingeschlagen, völlig im unklaren sein mußten.

Als er nun, die einläufige Büchse schußfertig im Arm, von Baum zu Baum schlüpfte, oft auch stehen bleibend und lauschend, als er so zum ersten Mal in seinem Leben ganz allein dem Platz eines offenbar nur kurzen Kampfes zuschlich, denn das Geheul der Sioux war ja längst wieder verstummt, da überkam ihn doch einen Moment das niederdrückende Gefühl der Einsamkeit. Es war nicht Angst bei ihm, nein, – er war ein mutiger, kaltblütiger Junge. Das hatte er bereits genügend bewiesen. Was ihn bedrückte, war das erhabene Schweigen des Waldes, diese weihevolle Stille, die nur durch das Rauschen der Baumwipfel sanft unterbrochen wurde.

Mit einer energischen Kopfbewegung schüttelte er diese Anwandlung von Kleinmut gleichsam von sich ab, lockerte Messer und Tomahawk in seinem Gürtel – und schlich weiter.

Seiner Schätzung nach war er nur noch hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Schüsse gefallen waren.

Der Wald wurde lichter. Abermals wagte er nun nach sorgfältigem Umherspähen einen Sprung bis zum nächsten Baum, stand regungslos, schob den Kopf hinter dem Stamm hervor und lauschte.

Etwas wie ein leises Schwirren wie von Vogelflügeln über seinem Kopf ließ ihn blitzschnell emporblicken…

Zu spät merkte er, daß ihm eine Lassoschlinge über den breitrandigen Filzhut glitt.

Schon wurde der Lasso mit einem kräftigen Ruck angezogen, und der kleine Bärentöter flog hintenüber in das weiche Moos.

Im Nu kniete dann schon ein Indianer auf seiner Brust, setzte ihm die Spitze seines langen Jagdmessers an die Kehle und bedeutete ihm durch Zeichen mit der linken Hand, sich völlig ruhig zu verhalten.

Der Knabe lag still und stierte dem Feind in das kupferbraune, glatte junge Gesicht.

Es war ein noch junger Krieger, der den kleinen Bärentöter hier dergestalt überwältigt hatte.

Heinrich kannte die Haartracht und die sehnigen gedrungenen Gestalten der Sioux nur zu genau.

Sein Gegner war offenbar kein Siouxkrieger, trug keine Skalplocke, sondern ähnlich wie der berühmte Komanche das schwarze Haar lang herabhängend und nur auf dem Scheitel zum Schopf hochgebunden. Der Federschmuck in diesem Schopf bestand nicht aus Adlerfedern, sondern aus den farbenprächtigen Schwungfedern eines großen Hähers[1]. Außerdem hatte der junge Krieger noch eine vierfache Schnur von Glasperlen um den Hals. Im übrigen war er genau so wie die meisten Rothäute ganz in Leder gekleidet.

Die dunklen Augen des jungen Indianers ruhten eine Weile finster und drohend auf des Knaben tiefgebräuntem Gesicht. Heinrich hielt diesem durchdringenden Blick ruhig stand.

Da wurde mit einem Mal das Messer von seiner Kehle entfernt, und sein Gegner flüsterte in schlechtem Englisch, mühsam die Worte zusammensuchend:

„Das kleine Blaßgesicht mag Sikema sagen, ob er zwei Männer kennt, die Parker und Brown heißen?“

Es war ein Zufall, daß Heinrich Köhler vor anderthalb Jahren, als sein Onkel noch in Arkansas gewohnt hatte, zwei Farmer dieses Namens öfters als Gäste bei seinem Oheim gesehen hatte.

Er nickte daher und erwiderte leise:

„Ja, Parker und Brown kenne ich, Sikema. Es sind ältere Farmer. Brown hat nur noch ein Auge. Das andere hat ihm ein Luchs herausgeschlagen, den er angeschossen hatte.“

Sikema schüttelte leicht den Kopf.

„Du lügst, Parker und Brown sind jung. Deine Zunge ist gespalten.“

Heinrich merkte plötzlich an der weichen Stimme seines Feindes, daß er eine Indianerin, ein rotes Mädchen vor sich hatte.

„Ich lüge nicht,“ meinte er treuherzig. „Der Name Brown und Parker ist in den Ansiedlungen ebenso häufig wie hier in den Prärien die weißen Präriehasen. Du darfst mir schon glauben, Sikema. Weshalb sollte ich dich belügen.“

Da zog das Mädchen auch das Knie von der Brust des Knaben zurück und flüsterte:

„Du hast gute Augen. Wie heißt du?“

„Patta Lipu, der kleine Bär!“

Das klang ganz stolz.

Die Indianerin schüttelte abermals den Kopf.

„Patta Lipu sagst du? Die Worte sind aus der Siouxsprache entnommen. Bist du denn ein Sioux? Dein Haar ist blond.“

„Ich war ein Sioux…“ –

Und sich aufrecht setzend erzählte er ihr ganz kurz, weshalb er sich jetzt hier so allein in der Wildnis befände – daß er eben beabsichtige, sein Grislyfell um jeden Preis wieder an sich zu bringen.

Sikema fühlte deutlich, daß der Knabe die Wahrheit sprach. Sie entfernte nun auch die Lassoschlinge von seiner Brust und erklärte: „Patta Lipu ist ein Krieger. Er wird Sikema, die Tochter der Utahs, schützen. Zwei Blaßgesichter, Brown und Parker, haben Sikema geraubt. Als sie dort drüben auf der Lichtung lagerten, kamen Sioux und überfielen sie. Sikema konnte flüchten, da auch Brown und Parker auf ihren Pferden nach dorthin entflohen und die Sioux sie verfolgten.“

Sie zeigte nach Norden und fügte hinzu:

„Auf der Lichtung liegen drei tote und ein verwundeter Krieger. Sikema wird sich Waffen und einen Mustang der Toten holen. Patta Lipu mag mich begleiten.“

„Gern, Sikema,“ erklärte der kleine Bärentöter bereitwillig.

Dann eilten sie, das Mädchen voran, durch den stillen Forst.

Bald öffnete sich mitten im Wald eine nur mit Gras bestandene Blöße. Jetzt drängte der Knabe die junge Indianerin beiseite.

„Sikema mag hier warten. Patta Lipu wird ihr holen, was sie braucht,“ sagte er leise in der ihm bereits geläufigen Ausdrucksweise der Rothäute.

Dann nahm er seine leichte Büchse schußfertig in den Arm und huschte tief gebückt auf die vier im Gras undeutlich erkennbar regungslosen Gestalten zu – auf die von den beiden Buschkleppern niedergestreckten Sioux.

Vorsichtig überzeugte er sich erst durch eifriges Umherspähen, ob auch nicht noch einige unverwundete Krieger in der Nähe seien.

Nun schritt er furchtlos weiter. Von den vier Rothäuten rührte sich keiner mehr. Nur einen flüchtigen Blick warf er auf die Toten. Dann bückte er sich, raffte eine der Flinten auf, nahm der nächsten Leiche Pulverhorn, Kugelbeutel, Messer und Tomahawk ab und wollte sich nun noch einen der Mustangs der Gefallenen aneignen.

Ein Indianergaul, noch gesattelt und gezäumt, weidete dort drüben am Nordrand der Lichtung.

Heinrich wollte sich gerade in Trab setzen, um den Mustern einzufangen, als ein schriller Warnungsruf Sikemas ihn herumfahren ließ.

Im letzten Moment entging er so dem sicheren Tod, da der nur an der linken Schulter verwundete Sioux sich lediglich tot gestellt hatte und jetzt mit geschwungenem Tomahawk dem Knaben lautlos gefolgt war.

Hier gab es für den kleinen Grislyjäger kein Zögern. Die Büchse flog hoch…

Aber auch der Sioux schleuderte bereits den Tomahawk – riß dann das Jagdmesser aus dem Gürtel…

Heinrich hatte dem heransausenden Schlachtbeil nur durch einen Sprung zur Seite ausweichen können. Leider berührte er dabei mit dem Finger den Abzug, und der Schuß entlud sich. Unschädlich pfiff die Kugel über den Sioux hinweg, der jetzt mit schrillem Schrei auf den Knaben eindrang, der gegenüber diesem trotz der Verwundung noch immer ihm weit überlegenen Gegner verloren schien.

Der Sioux, durch des weißen, jungen Gegners Verwirrung unvorsichtig gemacht, wollte ihn bei der Brust packen…

Heinrich rettete sich durch einen zweiten raschen Sprung vor dem Griff des Feindes, hatte blitzschnell den eigenen Tomahawk in der Hand und warf ihn mit aller Kraft dem Sioux mitten in das vor Wut und Blutgier verzerrte Gesicht…

Der Sioux taumelte, sank langsam zu Boden…

Im selben Augenblick tauchte das Utahmädchen neben dem Knaben auf. Sie hatte das von Heinrich fallengelassene Jagdmesser aufgerafft und schleuderte es dem Schwerverletzten mit unfehlbarer Sicherheit in die Brust – gerade ins Herz…

Dann lief sie weiter, dem Mustang zu, bekam den Zügel des Tieres zu packen und schwang sich in den Sattel.

Heinrich hatte schnell die Indianerwaffen wieder an sich gebracht, hatte auch einem der Toten ein neues Messer entrissen und wollte schon dem Utahmädchen folgen, als er sah, daß der totwunde Sioux sich aufrichtete und ihm matt zuwinkte.

Des Knaben edles Herz empfand ohnedies über Sikemas seiner Ansicht nach doch ganz überflüssiges Eingreifen, insbesondere über den Messerwurf auf den bereits Schwerverletzten etwas wie Gewissensbisse.

Da der Sioux jetzt waffenlos war und ihm nicht mehr schaden konnte, eilte er ohne Zögern zu ihm hin und blieb vor dem Sterbenden stehen, dessen Gesicht von Blut völlig überströmt war.

„Patta Lipu wird ein großer Krieger werden,“ flüsterte der Sioux. „Pataloa, der springende Wolf, war damals mit am Bach, als das kleine Blaßgesicht den Bären erlegte. Pataloa hat das Fell des Grisly gegerbt und aus den Zähnen und Krallen eine doppelte Kette gefertigt. Der kleine Bärentöter möge Pataloas versteckte Jagdhütte auf dem Berg der Quellen aufsuchen. Dort wird er das…“

Er konnte den Satz nicht mehr beenden…

Sank zurück, dehnte nochmals den Körper und verschied.

Ein seltsamer Zufall war’s, der so dem Knaben den Ort verriet, wo er seine Jagdtrophäe zu suchen hatte, denn er war ja überzeugt, daß der Sioux in der Jagdhütte das Fell und die Kette aufbewahrt und ihm dies hatte mitteilen wollen.

Des Utahmädchens Zuruf ließ ihn rasch Abschied von dem toten Feind nehmen. Mit einem letzten Blick streifte er scheu das zerschlagene, blutige Antlitz und folgte dann der Indianerin in den Wald, holte seinen Braunen aus dem Versteck und ritt neben Sikema in die Prärie hinaus.

Um keine Spuren zu hinterlassen, trabten sie einer Reihe steiniger Hügel zu. Hier umwickelten sie die Hufe ihrer Pferde mit Stücken der Satteldecke des Siouxmustangs, den Sikema jetzt ritt, und schlugen nun quer durch die Hügel die Richtung nach Norden ein, da Sikema erklärt hatte, sie wolle sich überzeugen, ob Parker und Brown den Sioux entkommen seien.

 

 

3. Kapitel

Die Pferdediebe.

Die beiden Buschklepper, bärtige, wilde Gestalten, hatten mit ihrem Packpferd hinter sich im Galopp die offene Prärie gewonnen.

Hier fühlten sie sich weit geringer gefährdet als in dem dichten Wald. Hier hielten sie ihre Pferde sofort zurück, um erst einmal zu sehen, mit wie vielen Feinden sie zu tun hätten.

Zwölf – fünfzehn Sioux tauchten unter den Bäumen auf und kamen im tollen Jagen näher.

Parker lachte da grimmig auf.

„Siehst du, John, nur noch fünfzehn von der roten Brut sind’s! Na – die sollen bald merken, was es heißt, uns beide zu überfallen. Weiter denn – aber gemach!“

In mäßiger Eile ritten sie davon, luden ihre Doppelbüchsen und erreichten bald eine lange dünne Buschreihe.

Kaum hatten die Sträucher sie den Augen der Verfolger entzogen, als sie absprangen und wieder bis zum Rand der Büsche schlichen.

In geschlossenem Trupp nahten die Rothäute, waren aber doch vorsichtig und wollten die Sträucher umrunden, bogen nach links ab…

Da krachten auch schon vier Schüsse – noch zwei…

Und vier Mustangs rasten reiterlos über die Prärie davon.

„Vier von den Rotfellen weniger,“ meinte John Brown. „Nun sind’s noch elf – nur elf! – Weiter, Bill! Wird sich zeigen, ob sie uns zu folgen wagen.“

Die Sioux blieben zurück. Nur sechs folgten in weiter Entfernung den beiden Buschkleppern. Die anderen fünf nahmen ihre toten Stammesbrüder mit, denen die Kugeln durch den Kopf gegangen waren, und ritten dem Wald wieder zu, um auch die dort Gefallenen vorläufig nach Siouxart in einer Laubhütte beizusetzen, bis man Zeit fand, sie nach den Dörfern des Stammes zu bringen.

Als diese fünf Krieger die Lichtung erreichten, näherten sich von Süden her demselben Wald vier andere uns bereits bekannte Reiter auf Heinrich Köhlers Fährte: die beiden berühmten Westmänner, der gelbe Tobby und Opitaru, der Unterhäuptling der Utahs.

Felsenherz und Chokariga waren etwa zehn Meter voraus.

So bemerkten sie denn auch zuerst die noch recht frischen Spuren des kleinen Bärenjägers und der Indianerin, die hier den Wald zu Pferd verlassen hatten.

Felsenherz beugte sich tief aus dem Sattel hinab und musterte die Hufeindrücke.

„Mein Bruder Chokariga sieht, daß wir unseren kleinen Ausreißer dicht vor uns haben,“ sagte er kurz. „Heinrich hat hier Gesellschaft gefunden, anscheinend einen Indianer. Ich werde mal in den Wald eindringen und mich dort nach Spuren umschauen. Bin neugierig, wem sich unser Heinrich hier angeschlossen hat.“

Er sprang ab, warf dem Komanchen die Zügel zu und schritt, die Büchse im Arm, in den Wald hinein.

Inzwischen hatte sich einer der fünf Sioux als Späher dem südlichen Waldrand genähert, hatte die vier Reiter erblickt und war schleunigst zu seinen Stammesbrüdern zurückgeeilt.

Der blonde Jäger hatte jetzt die Stelle gefunden, wo die Indianerin den Knaben mit dem Lasso niedergeworfen hatte.

Er suchte sich aus den Fährten klarzumachen, was hier vorgefallen war, kniete nieder und besichtigte den Waldboden genauer.

Plötzlich, ohne daß auch das geringste Geräusch ihn gewarnt hätte, erhielt er einen furchtbaren Hieb mit einem Büchsenkolben gegen den Hinterkopf.

Lautlos brach er zusammen.

Im Nu hatten die fünf Sioux ihn gebunden und schleppten ihn nach der Lichtung, fesselten ihn auf einen Mustang und sprengten schon nach Norden zu davon, ihre Toten dort liegen lassend, wo sie gerade lagen.

Sie wußten nur zu gut, welch wertvollen Fang sie gemacht hatten und sie wollten sich den berühmten Jäger um keinen Preis wieder abjagen lassen.

Unaufhaltsam galoppierten sie weiter, ritten dann im Wasser des Sheridan-Flusses ein paar Meilen nach Westen, um so durch keinerlei Spuren die Richtung ihrer Flucht zu verraten, und lagerten erst gegen Abend in einem buschreichen Tal, nachdem einer von ihnen unterwegs einen jungen Hirsch erlegt hatte.

Felsenherz war längst wieder bei Bewußtsein. Sein großer, breitkrempiger Filzhut hatte die Kraft des Kolbenhiebes leidlich abgeschwächt. Immerhin hatte er doch eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen, deren Folgen sich in großer Mattigkeit und häufigem Erbrechen äußerten.

Am Lagerplatz hatten die fünf Sioux ihren wertvollen Gefangenen aufs brutalste an vier in die Erde getriebene Pflöcke lang ausgestreckt festgebunden, da der berühmte Trapper seinen Feinden nur zu oft schon auf irgendeine List entronnenen war.

Im übrigen fühlten sie sich hier völlig sicher, denn bis zu den Siouxdörfern war es jetzt nur noch ein schwacher Tagesritt.

Als es dunkel geworden, zündeten sie ein Feuer an, brieten eine Keule des Hirsches und hockten mit der ihrer Rasse eigentümlichen Bewegungslosigkeit und Schweigsamkeit um das Feuer herum.

Nur zuweilen stand einer von ihnen auf, erklomm die Talwand und spähte beim Licht des rasch erscheinenden Vollmondes über die nächtliche Prärie hinweg.

Abermals hatte jetzt der älteste der fünf, ein grauhaariger, narbenreicher Krieger, auf dem Hügel Ausschau gehalten.

Schon machte er sich auf den Rückweg, als ihm dasselbe widerfuhr, was auch den kleinen Bärenjäger heute Mittag wehrlos zu Boden geworfen hatte: ein Lasso fiel ihm über den Kopf. Mit überkräftigem Ruck wurde die Schlinge zugezogen, und dem halb Erwürgten stieß Brown mit leisem höhnischem Auflachen das Jagdmesser bis ans Heft ins Herz, zog es wieder heraus, löste die Schlinge von dem Hals des Toten und kroch dem Rand der Talwand zu, wo Bill Parker bereits in einem Busch verborgen lag und die vier Sioux unten am Feuer beobachtete.

„John,“ flüsterte Bill jetzt, „die roten Halunken haben da einen Gefangenen bei sich. Rate mal, wer es ist.“

Brown reckte den Kopf vor, spähte hinab und erwiderte leise:

„Verdammt – meine Augen trügen nicht: Das ist Felsenherz, der uns im vorigen Jahr am Paale-Bach das schöne Handwerk als Pferdediebe verdarb! Na – der kommt uns gerade recht, alter Bill, wie?! Doch erst löschen wir nun die vier Sioux aus, und dann reden wir mit Felsenherz ein ernstes Wörtchen.“

„Schießen dürfen wir nicht, John,“ meinte Parker flüsternd. „Wir sind hier zu nahe bei den Siouxdörfern. Hier können zu leicht noch plötzlich ein paar Dutzend der Rotfelle auftauchen. Ich denke, wenn der grauhaarige Kerl, den du da soeben kalt gemacht hast, zu lange wegbleibt, was ja wohl nach deinem Messerstich der Fall sein wird, dann dürfte ein anderer sich nach ihm umtun, ebenfalls hier nach oben kommen und ebenfalls warm von uns empfangen werden.

Dann sind nur noch drei von den Burschen übrig, und die schlagen wir mit den Kolben nieder.“

Während er noch die letzten Worte sprach, hatte Felsenherz, der mit dem Gesicht so lag, daß er den Rand der Talwand überschauen konnte, den Sioux zugerufen, sie möchten ihm doch einen Schluck Trinkwasser geben.

Einer von ihnen stand auf, versetzte dem blonden Jäger einen Fußtritt und brüllte ihn an:

„Hund von einem Blaßgesicht, morgen wirst du im Dorf der Sioux am Marterpfahl winseln! Die Weiber werden dich anspeien, und die Knaben werden deinen Leib mit Messern zerfetzten! Denke an Fort Wallace, wo du uns den sicheren Sieg entrissen hast!“

Abermals gab er dem Wehrlosen einen Fußtritt, horchte jedoch plötzlich auf, als Felsenherz hastig flüsterte:

„Droben am Rand in dem großen Erlenbusch liegen zwei Männer! Hütet euch! Meine Augen haben noch mehr erraten: Der Krieger, der vorhin die Talwand erklettert hat, ist nicht zurückgekommen. Er ist tot!“

Der Sioux war klug genug, jetzt nicht etwa nach dem Erlenbusch emporzustarren, setzte sich vielmehr wieder ans Feuer, schürte die Glut aufs neue an und raunte dabei den drei anderen die Warnung des blonden Jägers zu.

Unauffällig griffen die Sioux nach einer Weile nach ihren Flinten, schnellten plötzlich hoch und feuerten aufs Geratewohl in den Busch hinein…

Rissen das Feuer auseinander und schleppten Felsenherz schnell zu den Pferden, schwangen sich in die Sättel und sprengten das Tal nach Norden zu entlang.

Parker und Brown, denen die Kugel unangenehm dicht um die Ohren gepfiffen waren, rannten zu ihren Tieren, die sie in einer Nebenschlucht der Prärie versteckt hatten, sprangen auf und setzten den Sioux nach, da das helle Mondlicht deren Fährte deutlich erkennen ließ. –

Die vier Schüsse, die Parker und Brown gegolten hatten, waren nun sowohl von Chokariga, Tobby und dem Utah, als auch von Heinrich Köhler und der Indianerin sowie von jenen sechs Sioux gehört worden, die den Buschkleppern seit Nachmittag auf den Fersen geblieben waren.

Die ersten drei, eben der Komanche und seine Begleiter, hatten dort in dem südlich gelegenen Wald sehr bald das Verschwinden des blonden Trappers festgestellt und waren dessen Entführern ungesäumt gefolgt, hatten am Ufer des Sheridan-Flusses drei kostbare Stunden verloren, ehe sie entdeckten, wohin die fünf Sioux mit dem Gefangenen sich gewandt hatten.

Der kleine Bärentöter und Sikema wieder waren hinter den sechs Sioux drein geblieben, die jene beiden Buschklepper nicht aus den Augen verlieren wollten.

So war es denn gekommen, daß nunmehr gleichzeitig diese drei kleinen Trupps sich dem Tal näherten, wo die Schüsse gefallen waren.

Zuerst langten die sechs Sioux am Rande des Tales an, nachdem zwei von ihnen zu Fuß ausgekundschaftet hatten, daß dort nur noch die zerstreuten Reste des Lagerfeuers im Gras glühten.

Kaum waren die sechs dann in das Tal hinabgestiegen, als Chokariga herangeschlichen kam.

Er fand in der Nähe des Talrandes die noch warme Leiche des alten Siouxkriegers, hörte dann auch das Schnauben der Mustangs der sechs im Tal und schob sich vorsichtig weiter vor, bis er sie dicht unter sich erblickte, wie sie den Boden nach Spuren absuchten, um sich ein Bild des hier Geschehenen aus der Art der Fährten zusammenstellen zu können.

Als er noch so in demselben Erlengebüsch lag, das vorher schon Parker und Brown benutzt hatten, kamen auch der gelbe Tobby und der Utah herbeigekrochen.

Tobby flüsterte sofort:

„Schießen wir die Kerle zusammen! Sie verdienen’s sozusagen nicht anders!“

Doch der Komanche widersprach.

„Das Blaßgesicht vergißt, daß wir uns in der Nähe der Siouxdörfer befinden,“ raunte er Tobby zu. „Wir haben allen Grund, unsere Anwesenheit hier zu verheimlichen, sonst werden wir unseren Bruder Charly nie befreien. Dies da sind nicht dieselben Siouxkrieger, die meinen weißen Bruder heimtückisch überwältigten und mit sich nahmen. Wir werden sie auf andere Art zu Gefangenen machen. Chokariga wird…“

In demselben Augenblick fiel vom andern Talrand her ein Schuß, und eins der Indianerpferde stürzte nach ein paar wildem Sätzen sich überschlagend zu Boden. Sein Reiter war rechtzeitig abgesprungen, schwang sich hinter einen anderen der Roten in den Sattel, und so stürmten nun die sechs Sioux mit ihren Mustangs im wilden Galopp gleichfalls nordwärts das Tal hinab der offenen Prärie zu.

„Hm – da scheinen also sozusagen noch andere Kollegen drüben zu stecken,“ meinte Tobby ärgerlich.

Chokariga rief schon hinüber:

„Hier ist Chokariga, der schwarze Panther der Komanchen! Wer hält sich dort verborgen?“

Keine Antwort.

An der anderen Talseite zog sich hohes Gebüsch, vermischt mit einzelnen Eichen, hin.

Nochmals rief der Komanche.

Und wieder blieb drüben alle still.

Denn – den Schuß auf den Mustang hatte Sikema abgefeuert, um die Sioux zu verscheuchen, und kaum hatte sich dann für den kleinen Bärenjäger so völlig überraschend von der anderen Seite her der Komanchenhäuptling gemeldet, als Heinrich der Indianerin auch schon zuflüsterte:

„Fort von hier! Es ist Chokariga, und somit ist Felsenherz ebenfalls in der Nähe!“

Rasch hatten sie ihre Pferde bestiegen und waren durch die Büsche gedeckt davongeritten, bogen nachher nach rechts ein und stießen so auf die Doppelspur der beiden Siouxtrupps und der Buschklepper, die ja sämtlich im Galopp nach Norden zu dahinsprengten, als erster Trupp die vier Krieger mit dem gefangenen Felsenherz, dann die beiden Freunde Parker und Brown, hinter diesen wieder die sechs Sioux auf den fünf Mustangs, und nun Heinrich und das Utahmädchen, während Chokariga mit seinen Begleitern erst noch drüben den anderen Talrand absuchte, um den Schützen zu finden, der den einen Indianergaul niedergestreckt hatte.

 

 

4. Kapitel

Der Hinterhalt.

Die vier Sioux mit Felsenherz mäßigten nach einer Stunde die Gangart ihrer ohnehin übermüdeten Pferde und ritten nun im Schritt weiter.

Ihr Weg führte sie stets durch offene Prärie. Sie wußten hier in der Nähe ihrer Dörfer gut Bescheid und glaubten auch, daß niemand wagen würde, ihnen zu folgen.

Inzwischen hatten jedoch die beiden ehemaligen Pferdediebe, die tadellos beritten waren und deren Packpferd ebenfalls ebenso ausdauernd wie schnell war, sich den vor ihnen befindlichen Rothäute langsam genähert, hatten sie von der Spitze eines Hügels im Mondschein erspäht und schlugen nun einen weiten Bogen, um ihnen den Weg zu verlegen.

In Karriere sprengten sie, stets in Tälern sich haltend, weiter und waren auch bald den Sioux ein Stück voraus, schwenkten dann wieder nach Norden ein, hielten hinter einer kleinen Baumgruppe und beobachteten die vier, die jetzt derselben Bauminsel zuritten.

Parker lachte grimmig, als er die ahnungslosen Rothäute nahen sah.

„John, nun werden bald abermals ein Drittel Dutzend Sioux in die ewigen Jagdgründe spazieren! Soll schmerzlos geschehen. Wir lassen sie dicht heran. Dann vier Kugeln – vier Löcher in den Schädeln, und der verdammte Felsenherz ist unser!“ –

Leider sollte es dem blonden Trapper diesmal nicht gelingen, seine Entführer vor der brutalen Mordgier der beiden Schurken zu schützen.

Als seine scharfen Augen jetzt unter den Bäumen eine verdächtige Bewegung wahrnahmen, als er plötzlich den Sioux zurief:

„Zurück – – Gefahr!!“ da knallten auch bereits die Schüsse, da sanken erst zwei der Rothäute aus dem Sattel, dann auch die beiden anderen.

Felsenherz, der auf einen Mustang gefesselt war, gab dem Tier sofort die Hacken, lenkte es nur durch Schenkeldruck und jagte nach Osten zu davon.

Parker und Brown hetzten hinter ihm drein, ohne sich weiter um die Toten zu kümmern.

Damals vor einem Jahr hatten sie Felsenherz blutige Rache geschworen, hatten bisher jedoch nie gewagt, dem blonden Jäger, der ja auch bei seinem unstäten Wanderleben nur schwer anzutreffen war, einen Hinterhalt zu legen. Bald war er im Süden, wo er in der berüchtigten Llano Estacado mit den Pfahlmännern, den Räubern dieses Wüstenstriches, sich herumschlug, bald im Felsengebirge den Grisly jagte, bald den wilden Apachen ihre Anschläge auf harmlose Auswanderer und Siedler zunichte machte.

Jetzt aber hatten die beiden Buschklepper endlich Gelegenheit, den blonden Trapper es büßen zu lassen, daß er ihre Bande damals zersprengt und größtenteils aufgerieben hatte.

Er konnte ihren weit schnelleren Rennpferden niemals entgehen, zumal er ja gefesselt im Sattel saß. –

Ja, Felsenherz wußte, daß die Verfolger ihn sehr bald eingeholt haben würden, falls es ihm nicht glückte, seine Fesseln loszuwerden und jenen Wald zu erreichen, der dort im Nordosten wie ein schwarzer Strich sich hinzog.

Mit seiner ganzen ungeheuren Kraft dehnte und reckte er den Lasso, der um seine Handgelenke geschlungen war.

Allmählich lockerten sich dann auch die Schlingen.

Er zog erst die rechte Hand heraus, dann die linke…

Und näher und näher kam der Wald, kamen aber auch die Verfolger…

Schon brüllte John Brown ihm frohlockend zu:

„Gleich haben wir euch! Wir könnten schon jetzt euren Gaul erschießen!“

Da gewahrte der blonden Präriejäger rechter Hand einen sanft aus der Prärie aufsteigenden einzelnen Berg, dessen dichtes Gestrüpp einzelne Zungen bis weit in die Prärie hineinschickte.

Er riß den Mustang herum…

Und konnte da auch seine Füße von den Riemen befreien, gelangte bis an die ersten Büsche…

Jetzt feuerten die beiden Banditen gleichzeitig.

Und – sie waren erprobte Schützen!

Sie trafen auch aus dem Sattel in vollem Jagen ihr Ziel.

Felsenherz hörte die Aufschläge der beiden Kugeln auf die Hinterhand des armen Mustangs.

Er ließ sich zu Boden gleiten…

Sprang in das Gestrüpp hinein…

Kroch weiter…

Hörte das Pfeifen der ihm nachgeschickten Kugeln, beschleunigte seine Flucht, lief bergan – verschwand… –

Brown und Parker fluchten.

Jetzt in der Nacht in dieser Wildnis einen Mann wie Felsenherz suchen, war ebenso aussichtslos wie gefährlich.

Doch – ihr Pech sollte noch größer werden.

Sie hatten sich nicht ein einziges Mal umgeschaut, hatten nicht bemerkt, daß die sechs anderen Sioux, von denen bisher zwei auf einem Mustang gesessen, ihnen im Galopp nachgejagt waren…

Jetzt hatte der eine Krieger jedoch den Gaul eines der vier Erschossenen bestiegen.

Und – soeben hatten Brown und Parker ja beide Läufe ihrer Büchsen abgefeuert, waren noch nicht dazugekommen, sie aufs neue zu laden.

Da blickte Parker sich um.

Sah die sechs herbeisprengen – keine fünfzig Meter mehr entfernt…

Plötzlich auch Flintenschüsse.

Browns Pferd zuckte zusammen – raste davon, mit letzter Kraft.

Parker, das Pferd am Sattel durch einen Lasso hinter sich, gab seinem Pferd die Sporen.

Doch weit kam er nicht.

Browns schwer getroffener Gaul war zusammengebrochen. Sein Reiter flog im Bogen auf die Erde, rappelte sich hoch, brüllte Parker zu:

„Bill, – dort – dort am Bergabhang eine Blockhütte. Dort hinein! Vorwärts!“

Parker sprang ab, führte sein Tier und das hochbeladene Packpferd aufwärts durch das Gestrüpp.

Und vor ihm keuchte John Brown, gräulich fluchend, seine Büchse ladend.

Nun hatten sie die Blockhütte erreicht, rissen die schwere Balkentür auf, wollten eintreten.

Da – eine hohe Gestalt sprang auf sie zu…

Felsenherz!!

Und die eherne Faust des berühmten Jägers führte zwei gewaltige blitzschnelle Hiebe aus…

Die beiden Buschklepper brachen bewußtlos zusammen.

Felsenherz zog sie in die Hütte hinein, holte auch die beiden Pferde, ergriff die plumpe Tür, schlug sie zu, tastete nach den Holzriegeln und schob sie vor.

Dicht nach ihm waren auch die sechs Sioux an die Blockhütte gelangt.

Kaum hatte Felsenherz die Tür zugeschlagen, als auch schon drei – vier Tomahawks krachend sich in das Holz einbohrten.

 

 

5. Kapitel

Das Grislyfell.

Nun stand er hier in der fremden Hütte in tiefster Finsternis da.

Entzündete rasch sein Präriefeuerzeug, sah auf einem einfachen Herd aus Feldsteinen eine Menge harziger Äste liegen, brannte einen davon an und … schleuderte ihn sofort wieder zu Boden.

Eine Kugel war ihm dicht am Ohr vorbeigesaust, traf das Packpferd mitten vor die Stirn, so daß der Gaul wie vom Blitz gefällt umsank…

Und mit der ganzen Last seines Leibes fiel das schwere Tier auf die beiden Buschklepper, zerquetschte ihnen die Rippen…

Durch den Schmerz kamen sie wieder zu sich…

Ihr gellendes wahnwitziges Schmerz- und Angstgebrüll erfüllte die Hütte mit unheimlichen Tönen…

Und hinein in das jammervolle Todesgeschrei der beiden Elenden erklangen neue Schüsse, die von den sechs Sioux blindlings durch die Luftlöcher der beiden Wände von draußen abgefeuert wurden.

Felsenherz hatte sich lang hingeworfen.

Wieder zuckte dort von der Wand ein Feuerstrahl auf. Der Trapper sprang zu, packte den Lauf der Büchse, entriß sie dem roten Krieger…

Tastete sich bis zur Tür, fand die Büchsen der nur noch wimmernden Banditen, richtete sich an einem der Luftlöcher auf, sah im hellen Mondschein zwei Gestalten nahen, stutzte, schaute schärfer hin.

Es waren Heinrich und das Utahmädchen!

Jetzt verbargen sie sich hinter den Büschen. Da draußen neue Schüsse – das Geheul der Sioux, die die beiden bemerkt hatten, auf sie einstürmten.

Heinrich hatte vorbeigeschossen – auch des Utahmädchens Kugel ritzte nur einen Sioux die Schulter.

Bevor Felsenherz noch die Tür öffnen und ihnen zu Hilfe eilen konnte, waren sie von den Rothäuten niedergerungen worden, waren gefesselt, wurden als lebende Schutzschilde benutzt, mußten als Gefangene mit ansehen, wie die Sioux jetzt vor der Tür der Hütte einen abgestorbenen Kiefernstamm so aufrichteten, daß die Tür sich nicht mehr öffnen ließ, wie sie dann trockene Äste und Zweige auftürmten.

Und ebenso tatenlos beobachtete Felsenherz durch ein Loch in der Tür dieses Treiben.

Er konnte keine einzige Kugel anbringen, konnte nur auf eins hoffen: Daß Chokariga, sein roter Bruder, noch zur rechten Zeit erscheinen würde, um ihn vor dem Flammentod zu retten und Heinrich und die junge Indianerin zu befreien!

Höher und höher wurde der Reisigberg vor der Tür. Hin und wieder feuerte auch einer der Sioux von der Rückwand der Hütte blitzschnell durch ein Luftloch ins Innere hinein.

Das Wimmern der beiden Buschklepper war verstummt. Sie hatten hier für ihre Schandtaten die gerechte Strafe gefunden, lagen mit zermalmter Brust unter dem toten Packpferd, unter dessen schweren Ledersäcken, die auf dem Sattel festgeschnallt waren.

Felsenherz hatte sich jetzt gebückt, hatte die Hände der beiden gefühlt, ob der Puls noch schlüge…

Nein – er spürte nichts mehr, nichts…!

Und ein besonderer Gedanke an den Ritt der beiden Utahgeschwister nach den Black Hills ließ ihn jetzt den einen der Ledersäcke hier im Dunkeln aufschnüren. Was er da fühlte, waren kleinere Beutel, wohl ein Dutzend. Er hob ein an.

So schwer war nur Gold, waren nur Goldkörner! Nun wußte er: Opitaru und Sikema kannten in den Black Hills eine Goldfundstelle, hatten von dort das edle Metall in großer Menge geholt!

Und dieses Goldes wegen hatten Brown und Parker das Mädchen ebenfalls mit sich genommen, damit sie ihnen die Lage der Bonanza verriete!

Also war es wieder das elende Gold gewesen, das die beiden Verbrecher hier in den Tod geführt hatte…!! –

Felsenherz richtete sich auf.

Er hörte plötzlich das Knistern des brennenden Holzhaufens…

Er sah dessen Lichtschein durch die Türritzen draußen aufleuchten…

Und dieser Lichtschein fiel auf die Rückwand.

Dort hing an drei Pflöcken ein Grislyfell – ein geradezu riesiges Fell…

Felsenherz griff nach dem Bärenfell, stemmte dann die Schultern gegen die Tür, nachdem er die Riegel zurückgeschoben hatte.

Mit all seiner herkulischem Kraft drückte er gegen die Balken…

Und – draußen glitt der Baumstamm zur Seite.

Die Tür flog auf, warf das Reisig, die Glut auseinander.

Mit einem Satz war der Trapper im Freien, hielt das Bärenfell in der linken lose als Kugelfang vor sich.

Schüsse knallten…

Dann schmetterte Felsenherz mit dem Kolben der wirbelnden Büchse die beiden nächsten Sioux zu Boden…

Die anderen vier entflohen. Einem Gegner wie diesem Riesen, mit dem Grislyfell noch größer erscheinend, wagten sie nicht im offenen Kampf entgegenzutreten.

Im Nu hatte der Trapper des kleinen Grislytöters und Sikemas Fesseln zerschnitten.

Da erscholl vom Fuß des Berges der Quellen her des Komanchenhäuptlings schriller Kriegsruf.

Dann kamen Chokariga, der gelbe Tobby und der Utah herbeigestürmt.

Doch – sie fanden keinen Feind mehr vor. Hier waren nur noch die beiden verwundeten Sioux und die toten Buschklepper.

Freudestrahlend betrachtete der kleine Bärentöter seine Jagdtrophäe. Noch mehr strahlte er, als Felsenherz ihm auch die Kette aus Zähnen und Krallen umhing. – –

Nachdem die beiden Buschklepper rasch verscharrt worden waren, brach man sofort nach Süden auf. Die beiden verwundeten Sioux hatte Chokariga verbunden, damit sie hier nicht elend verbluteten. Ihre Stammesgenossen würden sie holen.

Nach einem scharfen Ritt von sechs Tagen erreichte man wohlbehalten den Kanadian und die Dörfer der Komanchen. Die Utahgeschwister konnten von hier unbehelligt zu ihrem Stamm heimkehren. Opitaru hatte sowohl dem gelben Tobby als auch Heinrich je zwei Beutel mit Goldkörnern geschenkt.

Der wackere Junge überbrachte diese sehr bald seinen Verwandten, da er selbst ja für das edle, elende Metall als freier Savannenläufer keine Verwendung hatte.

Und auch Felsenherz und sein Freund Chokariga ritten wieder in die Savanne hinaus – neuen Abenteuern entgegen.

 

 

Fußnote:

[1] Ein Rabenvogel