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Reibei-Schrebos Verhängnis

 

Reibei-Schrebos Verhängnis

Sittenroman
von

Karl Klose[1]

 

 

 

Verlag moderner Lektüre
— — — — — G.m.b.H. — — — — —
Berlin SO16, Michaelkirchstraße 23a

 

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre
G. m. b. H., Berlin 26. — 1923.

 

 

Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G m. b. H., Berlin

 

 

Erstes Kapitel.

Theaterstücke.

Sie wissen doch fraglos, was ein Verhängnis ist.

Das Wort ist aus dem Verbum „verhängen“ gebildet. Sobald Sie mal zufällig jemand abmurksen, wird über Sie die Todesstrafe „verhängt“, – falls diese höchst peinliche Strafart bis dahin nicht abgeschafft worden ist, worüber sich dann fraglos alle die ungeheuer freuen werden, denen es auf ein Menschenleben nicht ankommt.

„Verhängen“ ist also ohne Frage etwas mit unangenehmem Beigeschmack. Verhängnis desgleichen. Falls Sie sich mal verloben und dann aus diesem leichtsinnigen Schritt der noch leichtsinnigere Marsch zum Standesamt wird, dann, mein Lieber, – dann hat Sie „das Verhängnis ereilt“. Vielleicht kriegen Sie dann auch noch zu „Ihrem Verhängnis“ einen Satan von Schwiegermutter mit in die Ehe, – was dann noch „verhängnisvoller“ wäre.

Was „Verhängnis“ bedeutet, wissen Sie jetzt.

Aber – dieses Hauptwort hat noch einen zweiten Sinn. Es ist in dem bisher ungedruckten Lexikon des Lebemannsjargons obenan zu finden.

Selbstredend obenan! Denn – einen Lebemann ohne „Verhängnis“ gibt es nicht. Wer kein Verhängnis hat, ist kein Lebemann.

Nicht wahr: Sie wissen nun auch in dieser Beziehung Bescheid. – Ich brauche nicht noch deutlicher zu werden und brauche hier nicht zu schreiben, daß „Verhängnis“ in der „Umgangs“-Sprache der Lebegreise, Lebejünglinge und ähnlicher Kavaliere dasselbe wie „Verhältnis“ ist.

Sie als Leser haben Anspruch darauf, daß Ihnen hier nun auch erklärt wird, weshalb „Verhängnis“ jene Art von vertrauterem Verkehr genannt wird, der standesamtlich nicht beurkundet und gesetzlich nicht geschützt wird.

Sehen Sie, die Sache ist so –

„Verhängen“ bedeutet ursprünglich dasselbe wie „Verhüllen“, – also auch „die Fenster verhängen“, d.h. „die Vorhänge schließen“.

Wann schließen Sie nun die Vorhänge?

Natürlich abends, vor dem Zubettgehen.

Aber – wann schließen Sie sie auch am Tage? Aha – nun merken Sie was!

Wenn Sie Damenbesuch empfangen und das ist des Pudels Kern!

Und dieser Damenbesuch ist eben ihr großes „Verhängnis“ –! Dieses Damenbesuches wegen verschließen Sie eben die Fenster –

Manchmal wird so ein „Verhängnis“ dann zum – richtigen Verhängnis: wenn Sie nämlich – (das wissen Sie schon!) so – dämlich sind, sich von ihrem „Verhängnis“ vor den Traualtar bzw. den Standesamtsbeamten schleppen zu lassen. –

Sie fragen, weshalb ich Ihnen hier den Vortrag über Wortbildung halte?

Nun – lediglich deshalb, um Ihnen von vornherein den Glauben zu benehmen, es könnte sich bei Baron von Rebei-Schrebos Verhängnis um ein Verhängnis aus dem Lebemannsjargon handeln.

Keine Rede davon! Ganz im Gegenteil! Alles andere als das!

Des Barons Verhängnis war ein richtiggehendes Verhängnis von der Art, wie es auch Ihnen zustoßen kann, wenn Sie sich verlieben, verloben und verheiraten.

Hüten Sie sich also vor diesen drei „Ver’s“. Es ist ein böser Vers, diese drei Ver’s, –

So – und nun geht die verrückte Liebesgeschichte los.

 

Erster Akt, erste Szene.

Zeit: Mai 1914. – Ort der Handlung: Privatkontor der Firma Nathansohn u. Veigelstock, Berlin, Große Jerusalemer Straße 222, Damenwäschefabrik.

Herr Nathansohn (im Klubsessel, mit Glatze und in Hemdärmeln):

Wissen Se, Rehbein, so e Lehrling wie Sie mißt man schicken auf die Ausstellung! Hat die Welt so was schon gesehn! Fufzehn Jahr sind Se knapp alt, und stehlen schon und poussieren, wie ich’s als Dreißigjähriger noch nich jekonnt hab’. Das heißt: das Poussieren! Gestohlen hab’ ich noch nie – Was grinsen Sie so frech, Rehbein, – he?! – Mensch, Sie – Sie stehlen! Sie –! Und wie stehlen Sie! Soll man’s fier meeglich halten! Schickt dieser Hochstapler, weil er die Portokasse unter sich hat, alle Briefe als Drucksache ab und verdient dabei täglich seine drei Mark! Mensch – so ‘ne Frechheit hätt’ ich nich mal als Lehrling gewagt. Hm ja – ich meine: ich hab’ ieberkaupt an so was nie gedacht! – Sie grinsen ja schon wieder, Rehbein! Und das bei Ihrem Sündenregister!

Herr Nathansohn (springt auf und tritt dicht vor Rehbein hin):

Mensch, was haben Sie da eigentlich mit dem Lehrmädchen Ilse Gnupske vor?! Mensch, leugnen Sie nicht: ich hab’ Sie gestern abend in Schröders Ballhaus gesehen! Mensch – Rotwein haben Sie mit der Ilse getrunken! Rotwein! Wenn’s noch Mosel jewejen wär’! Aber Rotwein zu drei Mark und zwei Flaschen! – Rehbein, wenn’s dem Esel zu wohl wird, geht er ins Ballhaus!

Heribert Rehbein (hübscher, stattlicher Junge, patent angezogen, blaß, verlebt, interessant):

Sie waren doch auch in Schröders Ballhaus, Herr Nathansohn. Also war auch Ihnen anscheinend zu wohl – wie jenem Esel, der aufs Eis ging.

Nathansohn:

Sie – Sie – sind ein – ein Lümmel, ein Hochstapler, ein Dieb –! – Raus mit des Wahrheit: wo sind Sie nachher mit der Ilse geblieben?

Rehbein:

Ich finde, Sie haben als verheirateter Mann und als Vater von fünf Kindern, von denen das älteste bereits achtzehn wird, ein sehr merkwürdiges Interesse für Fräulein Gnupske, Herr Nathansohn.

Nathansohn (mit den Armen fuchtelnd):

Mensch, – ich – ich lange Ihnen eine runter! Ich bin Chef der Firma. Da habe ich den Lebenswandel meiner Angestellten zu überwachen. Das ist Christenpflicht.

Rehbein:

Ich weiß, Sie sind zur Heilsarmee übergetreten, Herr Nathansohn. Das sind alles Christen, Halleluja–Christen.

Nathansohn (ganz sprachlos):

Sie – Sie – wollen mich, scheint’s, noch veräppeln, was? Ich – ich werde Sie anzeigen – wegen Unterschlagung! Zufällig hab’ ich heute früh Ihre Marken-Mogeleien rausgekriegt, und –

Rehbein (ihn unterbrechend):

Sie werden mich nicht anzeigen, Herr Nathansohn!! Wetten?! Sie werden mich sogar im Geschäft behalten und werden mir fortan 100 Mark monatlich Gehalt zahlen. – Bitte, nehmen Sie wieder Platz, Herr Nathansohn. Wir müssen das in Ruhe besprechen.

Nathansohn (zitternd vor Wut):

Der – der Lümmel ist überjeschnappt!

Rehbein (sehr langsam, jede Silbe betonend):

Kufsteiner Straße 113, Hochparterre, rechts –

Nathansohn (prallt zurück):

Was – was – soll das heißen?!

Rehbein:

Nochmals, nehmen Sie Platz, Herr Chef. Sie könnten in Ohnmacht fallen und dann würden Sie sich vielleicht verletzen. – So, das ist verständig von Ihnen, Herr Nathansohn. – Kufsteiner Straße 113, Hochparterre, rechts, wohnt Fräulein Minni Dolores alias Minna Schneider –

Nathansohn (trocknet sich den Schweiß):

Lieber Rehbein, sprechen Sie leiser –

Rehbein:

Gern, Herr Chef. – Fräulein Minni Dolores ist nicht gerade die Freundin Ihrer Frau Gemahlin, aber Ihre Freundin – hm ja! Ich glaube sogar, Ihre Gattin ahnt nichts von dieser Minni –

Nathansohn (noch mehr schwitzend):

Lieber Rehbein, hör’n Sie endlich von dieser Dame auf. – Hier haben Sie dreihundert Mark. Aber – von der Ilse Gnupske lassen Sie die Hände weg!

Rehbein (nimmt die drei Blauen nicht):

Von der Ilse werden Sie die Hände weglassen, oder –!

Nathansohn (ganz kläglich):

Sie ist so hibsch, so app’titlich, so – so jung –!

Rehbein:

Ja – sechzehn Jahre zwei Monate –! – Ob Ihre Gattin Wert darauf legt, Minni Dolores kennen zu lernen?! Ob diese Bekanntschaft ihr fünfhundert Emchen wert wäre?

Nathansohn:

Mensch, – das – das ist Erpressung! Sie – Sie sind ja noch weit schlimmer, als ich dachte –

Rehbein (mit tadelloser Verbeugung):

Sie gestatten, daß ich gehe, Herr Nathansohn. Sie haben mich soeben gröblich beleidigt. Das Gericht mag entscheiden, ob ich ein Erpresser bin.

Nathansohn (sehr hastig):

Hier – hier haben Sie 500 Mark. Ich schenke sie Ihnen, weil ich mit Ihren Leistungen so außerordentlich zufrieden bin. Außerdem bekommen Sie monatlich 150 Mark Gehalt – heimlich natürlich.

Rehbein:

Ich danke Ihnen, Herr Chef. Diese 200 Mark heimliches Gehalt setzen mich in die Lage, fortan die Versendung von Drucksachen einzustellen.

Nathansohn (auffahrend):

Hundertfünfzig Mark Gehalt sagte ich, – nicht zweihundert.

Rehbein:

Sie irren. Sie sagten zweihundert. Mein Wort darauf.

Nathansohn (vernichtet wieder in den Sessel sinkend):

Gut, gut – also zweihundert! Nun verschwinden Sie aber, lieber Rehbein, sonst – hab’ ich mich nochmals geirrt, und Sie geben Ihr Wort auf dreihundert!

Rehbein mit einer Verbeugung ab.

 

 

Erster Akt, zweite Szene.

Ort: Rennbahn Hoppegarten.

Rehbein (kommt vom Totalisator her ganz gelassen auf ein junges, bildhübsches Mädchen zu):

Ilse – Maus, na, wer hat recht gehabt?! Siehst Du, gerade dieser Schinder von Außenseiter hat’s gemacht! Für meine hundert Mark hab’ ich nun zweitausendfünfhundert bekommen. – Los, nehmen wir ein Auto und fahren wir zu Kempinski. Du sollst Austern essen lernen –

Rehbein und Ilse im Auto ab.

Ilse (auf Heriberts Schoß):

Ach, Bertchen, hast Du ‘n Dusel! Vorjestern von dem ollen Dussel Nathansohn fünfhundert Mark, und heut’ zweitausendfünfhundert! Bertchen, Du wirst noch Millionär.

 

 

Erster Akt, dritte Szene.

Ort: wie erste Szene.

Rehbein (vor dem im Sessel sitzenden Nathansohn):

Zu meinem Bedauern muß ich meine Stellung bei Ihnen aufgeben. Diese ewige Beschäftigung mit Damenunterwäsche ist mir zu unmoralisch. Dann aber gedenke ich jetzt auch eine kleine Reise zu machen. Ich hab’s dazu, Herr Nathansohn. – Leben Sie wohl. Ich wünsche Ihnen und Minni alles Gute. – Noch eine Bitte. Sie beurlauben Ilse wohl für acht Tage. Sie möchte sich ebenfalls Stockholm ansehen –

 

 

Erster Akt, vierte Szene.

Ort: Herrenzimmer des Schlosses des Barons Trallström bei Stockholm.

Baron Trallström (am Schreibtisch lehnend, hält eine Visitenkarte in der Hand):

Herr Rehbein, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?

Rehbein (noch patenter, Lackschuhe, weggeschnittener Rock, Monokel):

Herr Baron, ich bin ein Kind der Liebe, – das heißt, mein Vater –

Der Baron (ihm ins Wort fallend):

Rehbein – Heribert Rehbein –! Wie, sind Sie etwa der – der –

Rehbein:

Ja, der Sohn der Verkäuferin Hilde Rehbein, mit der Sie, Herr Baron, während Ihrer dienstlichen Tätigkeit bei der schwedischen Botschaft in Berlin ein halbes Jahr ein Liebesverhältnis hatten und die ein Jahr nach meiner Geburt an Schwindsucht in Davos starb, wohin Sie sie auf Ihre Kosten geschickt hatten.

Der Baron (sich scheu umsehend):

Sprechen Sie leise – Was wollen Sie denn jetzt hier?! Weiß Ihr Vormund von dieser Reise? – Ich denke, ich habe für Sie stets überreich gesorgt. Ich bin jetzt verheiratet und es wäre mir unangenehm, wenn meine Frau –

Rehbein (ihn unterbrechend):

Mein Vormund ist ein Lump. Er hat die Alimente größtenteils für sich verbraucht. Herr Baron, ich möchte mich selbständig machen. Ich kann da in Berlin ein Geschäft kaufen, einen Schuhladen, und –

Der Baron:

Gut, gut. – Wieviel brauchen Sie?

Rehbein:

Zehntausend Mark, Herr Baron. – Ich gebe Ihnen mein Wort, ich werde Sie nie mehr belästigen.

Der Baron schreibt einen Scheck aus.

Rehbein gleich darauf ab.

 

 

Erster Akt, fünfte Szene.

Ort: Ein Schuhladen in der Königstraße in Berlin, Inhaberin Ilse Gnupske. Zeit: Oktober 1914.

Rehbein:

Ilse, wenn auch das Geschäft auf Deinen oder besser auf den Namen Deiner lieben Mama geht: der Herr hier bin ich! Ich bestimme. Ich weiß, daß die Stiebel bald enorm im Preise steigen werden. Wir kaufen also auf Vorrat, was wir kriegen können, und verkaufen vorläufig nichts, machen vielmehr den Laden zu. Wir werden auch noch andere Dinge aufkaufen, insbesondere Fleischkonserven und Stoffe. – Keine Widerrede –

****

 

 

Zweites Kapitel.

Der Riesenaufschwung.

Die Charakterveranlagung und die Geistesgaben unseres Helden dürften dem Leser nun geläufig sein. Kürzer und treffender als im ersten Kapitel ‚Theaterstück‘, hätte sich ein Bild dieses ‚Gentleman von fünfzehn Jahren‘ kaum entwerfen lassen.

Bevor nun der Riesenaufschwung erledigt wird (wobei es sich keineswegs um turnerische Vorführungen handelt), soll noch das Zwischenstadium, das Jahr 1918, kurz gestreift werden.

Heribert Rehbeins. unheimliche Geschäftstüchtigkeit feierte in den Jahren 1915-1918 grandiose Triumphe. Selbst der gerissenste, erblich mit Schlauheit belastete Ostgalizier hatte keinen so feinen Riecher für gewinnbringende Zurückhaltung von Waren wie dieser Monokel-Heribert, dessen glattes Gesicht und energische Mundpartie nicht ahnen ließen, wie alt er eigentlich war, zumal er sich sehr bald ein Benehmen angewöhnt hatte, das so die Mittellinie zwischen schnoddriger Wurstigkeit und überlegen-ironischer Vornehmheit hielt.

Oktober 1917 hatte unser Heribert ebenfalls dem Vaterlande dienen und Soldat werden sollen.

Da er aber wußte, daß er als ‚Gemeiner‘ sein Monokel nicht würde weitertragen dürfen, und da er außerdem Ilse Gnupske und deren Mutter, die sich Masseuse nannte, längst gehörig ‚dicke hatte‘, verduftete er unter Mitnahme seiner Gelder spurlos aus Berlin, nachdem er in diesem Sünden-Babel noch zweierlei tadellos befingert hatte:

Erstens hatte er die ganzen, noch vorhandenen Warenbestände verkauft und den beiden Gnupskes die freudige Überraschung bereitet, nach der Rückkehr von einem eintägigen Hamsterausflug den Laden total leer zu finden.

Zweitens aber war er zu einem schreibgewandten Herrn in Beziehungen getreten, der ihm nach dem Muster gestohlener schwedischer Ausweispapiere für 5000 Mark ähnliche Urkunden herstellte, die auf den Baron Heribert von Rebei-Schrebo, schwedischer Staatsangehörigkeit lauteten und geradezu glänzend geraten waren. –

Ausgerüstet mit diesen Papieren, einem schwedischen Sprachführer, 285000 Mark in deutschem Papiergeld und einer gottbegnadeten Frechheit schüttelte er den Staub des deutschen Vaterlandes von seinen Lackstiefeln und gelangte glücklich auf dänischen Boden, nach Kopenhagen, wo er sofort Anschluß an einen Kreis edler deutscher Männer fand, die wie er sich dem Schützengraben entzogen hatten und nun von Dänemark aus die Lebensmittelnot ihrer deutschen Brüder zu horrenden Preisen, mit Hilfe eingeschmuggelter Waren, zu lindern suchten.

Die Seele dieses Unternehmens wurde unser Heribert.

Selbst geniale Köpfe, die schon wegen betrügerischen Bankerotts im Gefängnis gesessen hatten, und die daher geradezu das Gras wachsen hörten, erkannten neidlos des ‚schwedischen Barons geistige Überlegenheit an und ordneten sich ihm unter.

Ein Jahr verging. Heribert war jetzt wirklich Millionär. Die anderen edlen Männer, seine Freunde, waren es nicht, denn er hatte sie stets ordentlich übers Ohr gehauen, ohne daß sie was davon merkten.

Dann kam der große Tag, wo der Baron Rebei-Schrebo getrost nach Berlin zurückkehren durfte. Der Krieg war aus.

Am 15. November traf Heribert in Berlin ein. Er sprach jetzt perfekt dänisch und schwedisch und stürzte sich nun mit allem Eifer auf Geschäfte großzügigster Art. Seine erst neunzehn Jahre sah ihm niemand an. Seinen Papieren nach war er achtundzwanzig. Und das glaubte jeder ohne weiteres.

Hiermit hatte das, was oben mit Zwischenstadium bezeichnet ist, sein Ende erreicht.

Der Riesenaufschwung begann!

Der Herr Baron gründete sofort eine ‚Internationale Handelskompagnie, G.m.b.H.‘ (Gaunerbande mit besten Hilfsquellen), setzte einen Strohmann als Direktor ein, begnügte sich mit der bescheidenen Stellung eines Prokuristen und war trotzdem natürlich auch hier wieder die Seele des Ganzen.

Dank seiner erstklassigen Beziehungen zu der Kopenhagener Schieberwelt und seiner phänomenalen Gerissenheit arbeitete die Handelskompagnie mit dem mäßigen Gewinn von 300 Prozent.

Heribert hielt sich schlauerweise stets im Hintergrunde. Er war scheinbar nur Angestellter. Aber – die Bücher führte er. Und wie tat er das! Selbst der gewiefteste Steuersekretär wäre nicht dahinter gekommen, was die Kompagnie in Wahrheit verdiente.

Außerdem machte Heribert aber auch noch nebenbei so kleine Millionen-Geschäftchen. Und – alles glückte ihm, alles! Andere Schieber faßte man zuweilen ab! Ihn nie! Er war jetzt wirklich Oberschieber geworden und hatte ein gutes Dutzend Leute an der Hand, die für ihn die Kastanien aus dem Feuer holten und die ihm noch dankbar waren, daß sie Tausende einheimsten, wo er Millionengewinne erzielte.

Er hatte jetzt am Kurfürstendamm eine Sechszimmerwohnung, hatte einen Diener, eine Haushälterin, zwei Autos, Reitpferde und anderes.

Nur – ein Verhältnis hatte er nicht.

Nein – er war Frauenverächter geworden. Er wußte aus Erfahrung, wie hinderlich und unbequem so ein weibliches Anhängsel werden konnte. Ilse Gnupske nebst Mama Masseuse hatten ihm die holde Weiblichkeit verleidet.

Er hatte auch keine Zeit für derartige Scherze.

Ein Mann, der ein Ziel im Auge hat, darf seine Kräfte nicht zersplittern. Und Heribert hatte ein Ziel: 50 Millionen wollte er zusammenschieben, dann aber – Schluß machen!

Fünfzig Millionen! – Nur ein Mensch von Heriberts Talenten durfte an solchen Reichtum denken!

Er dachte aber auch nur daran – nur! Für, andere Dinge hatte er keine Gedanken.

Er hatte sich jetzt ein Lächeln angewöhnt, das seiner Erscheinung zum Vorteil gereichte, ein liebenswürdig-harmloses Lächeln.

Wer ihn kennenlernte, hielt ihn für einen waschechten Aristokraten mit Durchschnitts-Geistesgaben. Jeder war von diesem Baron entzückt, jeder!

Heribert war sehr wählerisch, was seinen Verkehr betraf. Von den neuen Reichen hielt er sich fern. Ebenso von der alten Geldaristokratie aus Berlin W. – Nur Standesgenossen beehrte er mit seinen Besuchen; nur diese lud er zu sich ein. Daß er Oberschieber und dem Namen nach Prokurist war, ahnten diese Herrschaften nicht, die jetzt nach der Revolution sich noch enger aneinander anschlossen und der neuen Zeit blind und taub gegenüberstanden.

Anderthalb Jahre gingen hin.

Wieder war es Mai, wie einst 1914, als Herr Nathansohn hatte einsehen müssen, daß sein Lehrling ihm gewaltig über war.

Heribert Baron von Rebei-Schrebo war mit seiner Motorjacht ‚Nixe‘ drüben in Schweden gewesen und hatte dort Gold im Werte von 10 Millionen sicher untergebracht.

Dieser Ausflug zu Wasser war etwas aufregend gewesen. In Swinemünde hatte ein Motorkutter des Wasserschutzes die Jacht durchsucht. Die Sipo-Leute schienen Verdacht geschöpft zu haben. Aber alles ging glatt ab. Daß das Gold den Kiel der Jacht anstelle von Blei füllte, ahnten selbst die auf Schmugglertricks geeichten Sipo-Herren nicht.

Von Swinemünde fuhr Heribert mit dem D-Zug nach Berlin zurück. Natürlich 1. Klasse!

Es war der Morgenzug, der Swinemünde 5 Uhr 30 Minuten verläßt und die Reisenden der Pillau-Linie mitnimmt.

Heribert fand nur noch ein einziges leeres Abteil, – Nichtraucher. Dort machte er es sich bequem. Es war ein wundervoller Maimorgen. Der Herr Baron stand nun am offenen Fenster und rauchte eine Zigarette. Dann setzte der Zug sich in Bewegung. Heribert warf die Zigarette weg und schloß das Fenster, drehte sich um und –

Ah – er hatte doch noch eine Reisegefährtin bekommen –!

Hm – schicke junge Dame, aschblond, schmales, feines Gesicht.

Sie las auf ihrem Platze an der Tür ihren Roman, ohne sich auch nur im geringsten um Heribert zu kümmern, schaute auch nicht ein einziges Mal auf.

Er setzte sich in seine Fensterecke –

Ein zarter Parfümgeruch umwehte ihn. Es war fraglos ein exotisches Parfüm. Es hatte geradezu etwas Aufreizendes an sich.

Der Schaffner kam die Fahrkarten nachsehen.

Die junge Dame fragte in etwas gebrochenem Deutsch, wann der Zug in Berlin eintreffe.

„Ausländerin!“ dachte Heribert und ärgerte sich, weil das junge Weib seine Gedanken bereits mehr beschäftigte, als ihm lieb war.

Sie las dann wieder. Er schielte zuweilen nach ihr hin.

Zum Teufel, was war da plötzlich in ihn gefahren! Was ging ihn dieses Weib an?!

Er nahm sein Notizbuch vor, in das er in einer Art Geheimschrift sein Vermögen je nach Art der Papiere und der Unterbringung aufgezeichnet hatte.

Er rechnete –

Ja, ja, in den letzten Monaten hatte es gut gescheffelt – sehr gut sogar!

Einundzwanzig Millionen alles in allem! – Er konnte zufrieden sein; er lächelte stolz vor sich hin.

Ja – aus dem Lehrling von Nathansohn u. Veigelstock war etwas geworden! Noch fünf ähnliche fette Jahre, und – er hatte sein Ziel erreicht! Dann war sein 50-Millionen-Traum Wirklichkeit geworden –!

Und der einstige Heribert Rehbein lächelte wieder so stolz – Er hatte jetzt beinahe vergessen, daß er mal so plebejisch nur Rehbein (ausgerechnet Reh-Bein!, wo er doch gar kein Wild aß!) geheißen hatte.

Jedenfalls waren sein jetziger, selbsterwählter Name und der ebenfalls selbstverliehene Adel bedeutend wirkungsvoller!

Von Rebei-Schrebo! Baron von Rebei-Schrebo! Das klang etwas anders! Wenn es auch in dem ‚Rebei‘ noch so ein wenig an Rehbein erinnerte.

Der Herr Baron lächelte plötzlich stärker. Dieses Lächeln war nicht mehr stolz. Nein – es war die reinste Ironie, zugleich auch Menschenverachtung.

Noch niemand hatte gemerkt, was hinter dem Rebei-Schrebo steckte. Noch niemand hatte herausgefunden, welch frechen Scherz der „schwedische Baron“ sich mit der dummen Menschheit erlaubt hatte.

Rebei-Schrebo!

Von hinten gelesen: Obersch-Ieber!

Also – Oberschieber!

Heribert lachte jetzt leise auf. – Ja – die Menschen waren dumm, ließen sich so spielend leicht ‚einwickeln‘.

Ah – die junge Dame hatte aufgeschaut! Das Lachen ihres Reisegefährten hatte sie doch wohl neugierig gemacht.

Heribert blickte in ein Paar große, dunkle, etwas melancholische Märchenaugen –

Donnerwetter, war das Mädchen schön! – Nein, dieses ‚schön‘ war ja viel zu banal für ihren pikanten Liebreiz –

Und jung mußte sie sein – sehr jung! Dieser zarte Teint war nicht künstlich –

Und – heiliger Brahma! – und das Füßchen, das da unter dem Rock hervorlugte! Und diese dünne, rassige Fessel, dazu dieser geradezu ideale Wadenansatz! –

Heribert merkte jetzt erst, daß er seine Reisegefährtin in unglaublich ungezogener Weise mehrere Minuten lang fixiert hatte.

Was mußte sie von ihm denken?! Er benahm sich wahrhaftig wie ein Prolet! Und er war doch der Baron Heribert von Oberschieber! Nein, Baron von Rebei-Schrebo!

Die holde Schöne las längst wieder. Der Blick zu Heribert hin war nur kurz und wie mißbilligend gewesen.

Heribert wurde nervös. Verdammt – was war das heute nur mit ihm?! – Seit Ilse Gnupskes Verabschiedung hatte er die Weiber gemieden wie die Pest. Und nun – nun sollte etwa diese pikante Fremde da all seine Grundsätze ins Wanken bringen?! Nein, das durfte nicht sein! Noch besser: gerade jetzt, wo es galt, noch schnell die Konjunktur auszunutzen, wo er doch auch erst 21 Millionen besaß und wo schließlich die Wonnezeit der Schieber doch bald zu Ende sein würde! – Nein – jetzt nur keine derartige Ablenkung! Um keinen Preis!

Er schaute krampfhaft zum Fenster hinaus, Er versuchte, irgendeinen neuen Plan für ein Millionengeschäft zu entwerfen. Aber – seine Gedanken gehorchten ihm nicht! Waren heute wie die Bienen, schwärmten umher und ließen sich durch jene reizende Mädchenblüte dort immer wieder anlocken.

Er gab den Kampf schließlich auf. Nun gut: warum sollte er nicht während der paar Stunden bis Berlin einmal wieder den Schwerenöter spielen?! In Berlin würde die Geschichte eben aus sein. In Berlin war der Kampfplatz um Millionen. Und dort würde er auch diese Aschblonde schnell vergessen.

So dachte er jetzt. Und weil er so dachte, war’s mit dem Riesenaufschwung vorbei. Es kam der Riesenumschwung! Aber das konnte der arme junge Baron Oberschieber nicht ahnen –

****

 

 

Drittes Kapitel.

Ilona Baronesse von Vaxholm.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein – Gestatten Sie vielleicht, daß ich rauche?“

Die Aschblonde schaute ihn wieder nur flüchtig an und – las weiter.

Dieser Blick war so gewesen, als ob sie hatte sagen wollen: „Mein Herr, Sie sind Luft für mich und Sie bleiben auch Luft für mich.“

Heribert war wütend.

Donner noch eins, die tat ja gerade so, als wäre er irgendein xbeliebiger Patron.

Dann fiel ihm ein, daß sie ja wahrscheinlich Ausländerin sei.

Also wiederholte er seine Frage mit erneuter Verbeugung in dänischer Sprache.

Ah – das half! – Sie ließ das Buch sinken, blickte ihn an, neigte leicht den Kopf und erwiderte gleichfalls auf dänisch:

„Bitte, mein Herr. Mich stört das Rauchen in keiner Weise. Ich rauche selbst

Heribert triumphierte.

Und – er hatte allen Grund dazu. Nach fünf Minuten war eine sehr angeregte Unterhaltung im Gange, und wieder nach zehn Minuten stellte er sich der jungen Dame in aller Form vor.

Gleich hinter der Station Pasewalk erfuhr er dann auch, wer dieses liebreizende Geschöpf war: Ilona Baronesse von Vaxholm, eine Dänin, deren Vater vor anderthalb Jahren gestorben, und deren Mutter, eine Deutsche, jetzt wieder in Berlin wohnte.

Die Baronesse hatte Bekannte in der Nähe von Swinemünde besucht: den Majoratsbesitzer Graf Knöckritz, mit dessen Töchtern sie befreundet war –

Heribert saß jetzt der Baronesse gegenüber. Sie hatte bereits drei von seinen Zigaretten ohne Ziererei geraucht und nahm sich jetzt ebenso zwanglos die vierte.

Sie sprachen nun deutsch miteinander, auf Wunsch der Baronesse, die recht schnell das Deutsche fließend beherrschen wollte.

Heribert war ganz hin –

Nein – war das nur ein entzückendes Weib!

Mit Schrecken sah er nun, daß man sich Berlin bereits näherte. Seine Grundsätze waren gänzlich zusammengebrochen. Er merkte: das, was er empfand, war jene Liebe auf den ersten Blick, die die gefährlichste sein soll, weil sie den Menschen eben urplötzlich wie ein anhaltender Rausch befällt.

Er fühlte ganz deutlich: hier war er machtlos! Gegen diese Leidenschaft war mit Vernunftgründen nicht anzukämpfen! –

Der Zug lief in den Stettiner Bahnhof ein.

Heribert nahm all seinen Mut zusammen.

„Gnädigste Baronesse, würden Sie mir gestatten, daß ich bei Ihrer Frau Mutter Besuch mache?“ fragte er und, schaute sie bittend an.

„Bitte, – warum nicht, Herr von Schrebo – Wir wohnen Fasanenstraße 13, Gartenhaus, – in einer Art Notwohnung. Sie kennen ja diese Kalamität mit den Wohnungen –“

Dann gab sie ihm die Hand.

„Auf Wiedersehen also –“

Ein kräftiger Händedruck und sie verließ mit ihrer kleinen Reisetasche das Abteil.

Heribert suchte seine Sachen zusammen. Er war ganz konfus.

„Lona,“ flüsterte er, „süße Lona –! Also Fasanenstraße 13, – Hm – ausgerechnet dreizehn!“

Einen Moment beschlich ihn etwas wie ein Unbehagen.

Dreizehn! Gerade dreizehn! – Er war abergläubisch – wie alle Spieler. Und – er war doch nichts anderes! Schieber und Spieler, die kann man getrost in einen Topf werfen.“

Doch dieses Unbehagen schwand schnell. – Unsinn, – was sollte ihm von Lona her Böses drohen?!

Als er den Bahnsteig dann mit den Augen absuchte war die Holde nirgends mehr zu erblicken.

Freilich: Heribert schaute nur nach der Sperre zu den Bahnsteig entlang!

Hätte er auch der anderen Richtung einige Aufmerksamkeit geschenkt, dann würde er Ilona Baronesse Vaxholm hinter dem Gepäckaufzug vielleicht bemerkt haben – vielleicht –

Dort stand sie mit einem Herrn zusammen, der ziemlich derb aussah, – etwa wie ein bescheidener Gutsbesitzer.

„Na – wenn nur erst der Anfang gemacht ist!“ flüsterte der Herr jetzt. „Wir werden diesen geriebenen Jungen dann schon allmählich ganz ins Netz locken –“

Die bildhübsche Baronesse nickte –

„Das werden wir. Die Sache lohnt wenigstens.“

Heribert übergab jetzt seinem Diener seine Handtasche und den leichten Ulster. Dann bestieg er vor dem Bahnhof sein Auto.

Oder besser: er wollte es besteigen! – Es gab aber noch eine Verzögerung.

Ein kleiner, dicker, o-beiniger Herr mit einem recht groß geratenen Riechorgan hatte Heribert erstaunt gemustert und war ihm dann nachgeeilt.

Heribert hatte den rechten Fuß schon im Auto, als hinter ihm eine etwas heisere Stimme ertönte:

„Entschuldigen Sie – sind Sie vielleicht Herr Heribert Rehbein?“

Heribert hatte sich auch jetzt wieder wie stets tadellos in der Gewalt.

Nathansohn! – So ein verfluchtes Pech!

Er musterte Nathansohn sehr kühl und entgegnete:

„Mein Name ist Schrebo, – Baron von Schrebo –“

Absichtlich gab er seiner Stimme einen rauhen Klang.

Nathansohn zog den Hut –

„Entschuldigen Sie, Herr Baron – Eine Ähnlichkeit –“

Heribert stieg ein. Das elegante Auto rollte davon. Nathansohn starrte dem Kraftwagen nach.

„Und er war es doch!“ murmelte er.

Zwei Augenpaare belauerten ihn von dem Portal des Bahnhofs aus.

„Los!“ meinte der Herr, der wie ein Gutsbesitzer aussah. „Der Mann kann uns vielleicht irgendwie nützlich sein –“

Worauf die Baronesse Vaxholm sich an Nathansohn heranpirschte und ihn fragte:

„Entschuldigen Sie – wie komme ich wohl am schnellsten nach der Fasanenstraße?“

Nathansohn war noch genau derselbe Nathansohn wie vor sechs Jahren. Nur daß seine Freundin jetzt Hella Marska hieß und ihm zwanzigmal so viel kostete als die Minni Dolores von damals.

Und weil Nathansohn noch genau derselbe geblieben war, liefen ihm beim Anblick dieser Schönheit sofort alle Gewässer der Erde im Munde zusammen und gleichzeitig verspürte er einen unheimlichen Liebeshunger –

Er riß den Hut vom Kopf, dienerte und log, daß er zufällig selbst gerade nach der Gegend der Fasanenstraße müsse und daß es ihm eine Ehre sein würde, die Gnädigste in einem Auto mitzunehmen.

Baronesse Ilona hatte hiergegen nichts einzuwenden.

Nathansohn war selig. Er hatte auch noch das Glück, ein geschlossenes Taxameterauto zu bekommen – ein geschlossenes!

Dann ging die Fahrt los, gleichzeitig auch die Fortsetzung des gegen Baron von Rebei-Schrebo gerichteten Intrigenspiels.

Die Baronesse besaß eine verblüffende Gewandtheit, aus dem verliebten Nathansohn ganz unauffällig herauszulocken, was er von dem Herrn gewollt habe, der – und so weiter.

Nathansohn war doch gewiß nicht auf den Kopf gefallen! im Gegenteil! Er hatte seit 1914 gehörig dazugelernt. Aber – gegen die pikante Ilona kam er doch nicht auf.

Sie ließ sich von ihm ruhig die Hände streicheln. Nur als er dann ganz frech werden wollte, sagte sie eisig:

„Mein Herr, Sie irren sich! Ich bin Dame!“

Das war wirklich wie ein Eimer kalt Wasser.

Nathansohn stammelte eine Entschuldigung und dachte:

„Verflucht – das is entweder wirklich e anständjes Mächen oder – ‘ne janz Ausjekochte!“

Er fragte Ilona dann nach Namen und Adresse.

„Anna Müller,“ sagte sie bereitwilligst. „Ich wohne bei meiner Tante in der Kreuzbergstraße. Tante ist Friseuse.“

„Und was wollen Sie in der Fasanenstraße, liebes Fräulein,“ meinte Nathansohn schmunzelnd, da er jetzt überzeugt war, es hier mit einer ‚Ausgekochten‘ zu tun zu haben.

„Nur eine Bestellung ausrichten. Tante hat dort Kundschaft –“

Nathansohn wurde wieder kühner. Das Auto fuhr gerade durch den Tiergarten.

Da – stand Anna Müller auf, drückte auf den Ball; der Chauffeur hielt an, Anna Müller nahm ihre Tasche, stieg aus und reichte dem Chauffeur einen Zwanzigmarkschein.

„Mein Anteil am Fahrpreis,“ erklärte sie kurz. „Weiter, Chauffeur, – nach der Fasanenstraße –“

Nathansohn blieb sitzen. Seine Überzeugung war nun doch wieder schwankend geworden. Hm – ob diese Müller doch vielleicht eine Dame gewesen?!

Gleich darauf drückte auch er auf den Ball. Aber – es war zu spät. Er fand Anna Müller nicht mehr, denn sie war sofort in den anderen geschlossenen Kraftwagen zu dem ‚Gutsbesitzer‘ eingestiegen, der dem Nathansohn-Auto gefolgt war.

„Na?“ fragte der ‚Gutsbesitzer‘ sofort.

Ilona lachte leise auf.

„Heribert Rehbein, einstmals Lehrling bei Nathansohn u. Veigelstock –“, sagte sie heiter.

„Aha!“ machte der Herr erfreut. „Diesen Rehbein werden wir rupfen! Er wird sich wundern!“

In der Fasanenstraße verließ Ilona den Kraftwagen und verschwand im Hause Nr. 13, stieg im Gartenhause zwei Treppen empor und läutete an einer Tür, an der ein Messingschild mit dem Namen ‚von Vaxholm‘ angebracht war.

Eine stattliche Dame mit leicht ergrautem Haar öffnete und gab Ilona dann einen herzlichen Kuß.

„Wie war’s denn, Kind?“ fragte sie, während die Baronesse den Hut vor dem Spiegel der Flurgarderobe abnahm.

„Fein war ‘s, Mama,“ erklärte Ilona vergnügt. „Weilandt hofft nun auf einen vollen Erfolg. Der Vogel ist auf die Leimrute gegangen. Morgen wird er Dir seine Antrittsvisite machen, Mamachen –“

Heriberts Auto hatte ausgerechnet an der Gedächtniskirche am Ende der Tauentzienstraße eine Panne: der eine Hinterreifen platzte!

Heribert mußte also aussteigen und den Rest des Weges in einem Taxameterauto zurücklegen.

Der Diener holte eins herbei. Inzwischen aber hatte Heribert heute die zweite peinliche Begegnung, – jetzt mit Ilse Gnupske seligen Angedenkens!

Er hatte Ilse seit jenem Tage, als sie mit ihrer Masseuse-Mama auf die Hamstertour gegangen war und nacher den leeren Laden vorgefunden hatte, nicht wiedergesehen.

Aber – sie erkannte ihn sofort, schoß wie ein – Stoßvogel auf ihn los und stand nun mit wahrhaft – unheilverkündendem Gesicht vor ihm.

„Ah – endlich, endlich!“ zischte sie förmlich. „Endlich hab’ ich Dich erwischt –“

Heribert überlegte blitzschnell. Was sollte er tun?! – Ebenso blitzschnell war er mit sich einig, wie er dieses geschminkte, gräßliche Frauenzimmer wieder loswerden könnte.

Wie – Du bist’s, Ilse?! Nein, diese Freude!“ – Er streckte ihr beide Hände hin. Dann ging er mit ihr um die Gedächtniskirche herum, erklärte, daß er nur besuchsweise in Berlin sei, – log, daß sich die Balken bogen, gab Ilse einen braunen Lappen und bestellte sie nachmittags fünf Uhr in die Kakadu-Diele am Kurfürstendamm.

Ilse ließ sich täuschen. – Wer ließ sich nicht von diesem Genie täuschen?!

Man trennte sich in bestem Einvernehmen. Ilse hatte Heribert noch ihre Wohnung angegeben und so nebenbei angedeutet, daß ihre Mutter leider Pech gehabt hätte und seit einem Jahr im Gefängnis sitze –

Als Heribert seine vornehme Wohnung betrat, als die Haushälterin Frau Schlimp ihn ehrlich erfreut begrüßte, als der Dobermann ‚Hektor‘ seinem Herrchen vor unverfälschtem Hundejubel beinahe die Kleider vom Leibe riß, – da verflog das peinliche Gefühl, das durch dieses Wiedersehen mit Ilse bei Heribert niederdrückend stark sich eingestellt hatte.

Ach was – er würde sich doch dieses Weibes wegen nicht Sorgen machen! Sie mußte eben weg aus Berlin! Für immer! Das würde sich schon irgendwie bedeichseln lassen –

Und als er dann in der Marmorbadewanne saß und sein gewohntes Fichtennadelbad nahm, als er an die Baronesse Ilona zurückdachte, als er bereits die Möglichkeit ins Auge faßte, auf die restlichen 29 Millionen zu verzichten, Ilona zu heiraten und fortan als Musterstaatsbürger fernab von allen deutschen Staatsanwälten in der Schweiz zu leben, – da wurde er sich plötzlich mit erneutem Angstgefühl bewußt, was alles in den letzten sechs Stunden sich zu seinem Nachteil ereignet hatte.

Ganz regungslos saß, er in dem lauen Wasser und starrte sein Bild an, das ihm der gegenüber dem Kopfende der Wanne angebrachte große Spiegel überaus deutlich zeigte.

Hm – eigentlich war er doch ein Mensch, der sich sehen lassen konnte! Sein edles Haupt verdiente die Bezeichnung ‚Charakterkopf‘ mit Recht.

Hm – und dieser interessante Heribert sollte nun tatsächlich durch diese aschblonde Ilona so gänzlich und in so kurzer Zeit völlig umgekrempelt worden sein?!

Heribert schüttelte wieder mißmutig den Kopf. Und sein nacktes Spiegelbild tat natürlich dasselbe.

Ja – mit dieser Ilona hatte das verdammte Pech des heutigen Tages begonnen –! Und dann war der üble Nathansohn aufgetaucht, und schließlich noch die weit üblere Ilse von einst –!

Heribert seufzte. Er hatte abermals das Gefühl: „Der heutige Tag bedeutet einen Wendepunkt Deines Lebensweges!“

Der heutige Tag! – Gestern war der 12. Mai gewesen. Mithin war heute der – dreizehnte!

Heribert fuhr wie ein Blitz in die Höhe und stellte die Dusche ein – auf ‚Kalt‘ –

Ihm war nämlich bei dem Gedanken, daß der Dreizehnte, also die ominöse Zahl, hier wiederum auftauchte, siedend heiß vor Schreck geworden.

Nachdem er sich in dem eisigen Sprühregen gründlich abgekühlt hatte, hüllte er sich in den Bademantel und ging in sein Schlafzimmer, wo ihn der Masseur bereits erwartete.

Während Herr Emil Grosch den Herrn Baron knetete und streichelte und ihm dabei die neuesten Witze erzählte, überlegte Heribert nochmals die Gesamtlage und kam zu dem Entschluß, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, das heißt, bei der Baronin Vaxholm keinen Besuch zu machen, Ilona aus der Erinnerung zu streichen und Ilse mit dem Posten eines Beelzebubs für einige Zeit unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln zu betrauen.

Herr Emil Grosch empfahl sich und Heribert setzte sich nun im Speisezimmer an den Frühstückstisch, aß mit Wohlbehagen zwei Brattäubchen, etwas Hummermayonaise und trank dazu fünf echte französische Liköre, steckte sich nachher eine leichte Importe an und befand sich nun wieder in jener Siegerstimmung, die mit dazu gehört, wenn man Erfolg haben will.

****

 

 

Viertes Kapitel.

dann ist es Zeit, daß Du verduftest –

Der Diener meldete jetzt gerade dem Herrn Baron den Direktor der Internationalen Handelskompagnie, den Geheimrat a. D. Schwitzler.

Heribert zog ein langes Gesicht. – Was wollte denn Schwitzler von ihm?! Sollte etwa bei der Kompagnie inzwischen etwas passiert sein?!

Der Strohmann-Direktor oder, wie Heribert ihn getauft hatte, ‚die Attrappe‘ erschien denn auch mit einer Miene vor dem wahren Oberbefehlshaber der Kompagnie, als hätte diese ganz plötzlich Pleite gemacht.

„Die Polizei hat bei uns Haussuchung gehalten und alle Bücher beschlagnahmt,“ meldete er Heribert in einem ganz verzweifelten Ton.

„Weiter nichts?“ meinte der Prokurist der Kompagnie achselzuckend.

Schwitzler war platt.

„Das ist Ihnen so total schnuppe, bester Baron?“ fragte er unsicher.

„Total! Unsere Bücher sind mustergültig geführt, – Sonst noch was Neues?“

„Nein. – Sie werden aber demnächst eine Vorladung erhalten. Der Kriminaloberwachtmeister drohte auch mir damit.“

„Wenn’s den Herren Spaß macht – nur zu! – Da, trinken Sie einen Likör, Herr Geheimrat –“

Nach zehn Minuten verabschiedete die Attrappe sich. – Heribert war allein. Jetzt brauchte er nicht mehr Theater zu spielen. Er nahm das Monokel aus dem Auge und putzte es sehr umständlich. Sein Gesicht veränderte dabei den Ausdruck sozusagen ruckweise. Zum Schluß war dieses Gesicht alles andere als heiter und siegesgewiß.

Heribert fluchte leise. Der Dreizehnte! Natürlich der Dreizehnte!

Eine Vorladung! Verdammt: dann konnte es passieren, daß man dem schwedischen Baron auf den Zahn fühlte! Und – das vertrug dieser Baron nicht! Dazu waren sein Name und sein Adel denn doch zu anrüchig.

Heribert trank noch vier Liköre und legte sich dann auf den Diwan. Dem Diener befahl er, ihn um vier nachmittags zu wecken.

Er träumte sehr lebhaft: von der Baronesse Ilona, die zu ihm gekommen war, ihn küßte und ihm bewies, daß sie Küssen für keine Sünde hielt.

Gerade als der Traum noch schöner zu werden versprach, rüttelte der Diener den Herrn Baron, und dieser machte sich dann gegen halb fünf Uhr mit recht gemischten Gefühlen auf den Weg, um den weiblichen Beelzebub in der Kakadu-Diele aufzusuchen.

Inzwischen hatte jedoch Fräulein Ilse Gnupske einen gütigen Wohltäter gefunden, der sie zu einem reichhaltigen Mittagessen eingeladen und hierbei festgestellt hatte, daß diese reizende Ilse unheimlich viel Getränke vertragen konnte. Ilse war mit diesem Provinzonkel, der ebenfalls zur Schiebergarde gehörte, gegen drei Uhr in ihre Wohnung gefahren, hatte den total unter Alkohol Gesetzten mütterlich ins Bett gepackt und dabei etwas von ‚besoffenes Schwein‘ gemurmelt, obwohl sie selbst nicht mehr ganz nüchtern war.

Bereits um halb fünf Uhr nachmittags langte sie dann in der Kakadu-Diele an, wo um diese Zeit nur zwei Kellner auf den Wandsofas schliefen.

Sie rüttelte den einen wach, bestellte Mokka und wäre mit Hilfe dieses Getränkes fraglos schnell völlig nüchtern geworden, wenn nicht ein böser Zufall zwei Herren herbeigeführt hätte, die zu Ilses erprobten Freunden gehörten.

Diese dunklen Ehrenmänner hatten soeben im Gedränge eines Untergrundbahnschalters, stets gemeinsam arbeitend, eine Brieftasche ‚gefunden‘, die dem Eigentümer mit Hilfe eines den Rock unbemerkt auftrennenden Schnittes ‚verlorengegangen‘ war.

Die beiden Kavaliere ließen Sekt auffahren. Ilse wurde daher nicht nur nicht nüchtern, sondern hatte um 4 Uhr 45 Minuten bereits jenes Stadium von Besäuseltheit erreicht, in dem manche Leute entweder vor Zärtlichkeit überströmen oder aber an Krackeelsucht leiden.

Ilse litt nach der dritten Flasche Sekt regelmäßig an einer für die Beteiligten höchst unangenehmen Leidenschaft, um jeden Preis ‚Krach zu schlagen‘ –

Sie freute sich mächtig auf das Wiedersehen mit Heribert. Sie hatte schon ein Plänchen fertig, wie sie aus ihm noch mehr braune Lappen herauspressen könnte.

Ihre Freunde weihte sie ein, erzählte von ihrem Jugendgeliebten, der ihr dann so niederträchtig-schlau ausgekniffen sei, erzählte von dem Wiedersehen heute und von den tausend Mark, die er ihr geschenkt hatte.

Die Kavaliere horchten auf.

Leute dieser Art wittern überall eine gute Gelegenheit, Brieftaschen ‚fischen‘ zu können. –

Und Heribert Baron von Rebei-Schrebo erschien.

Das Lokal war noch genau so leer. Nur Ilse nebst Anhang bevölkerten es.

Ilse schoß sofort auf Heribert zu. Sie war jetzt aber von ihren Freunden anders instruiert worden, heuchelte große Freude, führte Heribert in die feucht-fröhliche Nische und stellte ihn den Kavalieren vor, von denen der größere angeblich ein polnischer Graf Kasimir Klemski und der kleinere ein ungarischer Baron namens Janos Jößtöni war.

Heribert hatte einen sehr scharfen Blick für derartige Kavaliertypen. Er ließ sich aber nichts anmerken, nahm sich jedoch vor, die geplante Teufelsaustreibung vom Programm zu streichen, da Ilse-Beelzebub ihn denn doch zu stark anwiderte.

Ilse begann ihm nun so allerlei Vorwürfe zu machen, weil er sie damals so schmählich hatte sitzen lassen.

Heribert erwiderte kühl, daß er ihr und ihrer Masseuse-Mama zu einem Barvermögen von 125000 Mark verholfen gehabt, und daß sie bei kluger Ausnutzung der Verhältnisse dieses Vermögen hätte verzehnfachen können.

Auf ihre Frage, wo er jetzt seinen Wohnsitz habe, nannte er Amsterdam als die Stätte seiner kaufmännischen Tätigkeit und fügte hinzu, daß er nur noch drei Tage in Berlin zu bleiben gedenke.

Um diese Gesellschaft schnell loszuwerden, bat er Ilse dann in den Vorraum hinaus, gab ihr noch zwei braune Lappen und erklärte, sie solle ihn abends im Esplanade-Hotel, Zimmer 110, besuchen; jetzt müsse er leider wieder fort, da er einen Geschäftsfreund getroffen hätte, der ihn im Weinrestaurant Traube erwarte.

Ilse war durch die zwei Braunen versöhnlicher gestimmt. Sie gab Heribert sogar einen Kuß, Dann holte er Hut und Stock, machte den beiden Kavalieren, deren Adel genau so viel wert war wie der seine, eine knappe Verbeugung und zog sich zurück.

Aber – als gewitzter Mann von Welt gab er auf der Straße genau acht, ob ihm diese zweifelhaften Subjekte auch nicht nachschlichen.

Nun – sein Mißtrauen war berechtigt gewesen. Graf Klemski und Baron Jößtöni wollten sich den offenbar recht fetten Happen nicht entgehen lassen, blieben hinter diesem Herrn Heribert Rehbein, wie Ilse ihren Jugendfreund ihnen vorgestellt hatte, und brachten ihn durch ihre Ausdauer, mit der sie sich an seine Fersen hefteten, arg in Verlegenheit.

Heribert kochte vor Wut. Dieser Dreizehnte! Dieses Pech! – Wie sollte er die Kerle nur abschütteln?!

Da dachte er an Ilona Baronesse Vaxholm.

Wenn er bei ihr Zuflucht suchte?! Wenn er dort in der Fasanenstraße im Hause Nr. 13 verschwand und entgegen jedem gesellschaftlichen Brauch bei den Damen stundenlang blieb, dann – dann würden diese beiden Gauner die Sache schließlich aufgeben!

Ach – Heribert befand sich jetzt nicht mehr auf der Höhe seiner sonstigen geistigen Vielseitigkeit. Dieser Tag hatte ihn gänzlich aus dem gewohnten Gleis gebracht. Sonst hätte er sich sofort gesagt, daß diese Hoffnung trügen mußte; sonst hätte er wohl einen besseren Weg gefunden, die Verfolger loszuwerden.

Jedenfalls: aus der Teufelsaustreibung wurde ein Gang in die Höhle der Löwin –!

Armer Heribert! Wenn Du geahnt hättest, daß diese Ilona weit gefährlicher war als die beiden Taschendiebe und Ilse zusammengenommen! –

Er läutete –

Die stattliche Baronin-Mutter öffnete ihm. Er entschuldigte sich seines Anzugs wegen –

Der Zufall habe ihn gerade hier vorübergeführt, und da er morgen auf längere Zeit verreisen müsse, habe er sich noch schnell nach dem Befinden der Baronesse erkundigen wollen –

Die reizende Ilona empfing ihn wie einen alten lieben Bekannten. Er mußte mit den Damen Tee trinken, mußte Zigaretten rauchen, mußte Ilona dann allein Gesellschaft leisten, da die Baronin einige Einkäufe zu erledigen hatte. –

Ilona nebst Frau Mama waren auf keinen Fall ‚Talmi‘. Nein – das waren ohne Zweifel echte Damen, wie er jetzt Feststellte. Er sah ja auch die alten Familienbilder an den Wänden, sah auch den wappengeschmückten Siegelring am Finger der Baronin und hatte ja längst gelernt, Spreu vom Weizen zu scheiden. Dies hier war Weizen. Darauf nahm er Gift, wenn es nottat.

Er saß nun mit Ilona im Erker. Die junge Liebe war in seinem Herzen mit aller Macht wieder hochgeschossen, wie Spargel im Mai –

Ilona fragte ihn, wohin er denn zu reisen gedenke.

Er müsse mal eine Weile ausspannen, erklärte er. Er wolle in ein kleines Seebad reisen, wolle dort fern dem Weltstadtgetriebe sich gründlich erholen. Niemandem würde er mitteilen, wo er dann einige Wochen unter anderem Namen in der Einsamkeit hausen werde.

„Auch mir nicht?“ meinte Ilona schalkhaft.

„Oh – Sie!“ rief Heribert feurig. „Baronesse, vor Ihnen habe ich keine Geheimnisse. Es gibt da an der pommerschen Küste ein reizendes, winziges Seebad. Kölpinsee heißt es. Dort werde ich als Heribert – hm ja, als Heribert Rehbein mich erholen. Rehbein ist ein so alltäglicher Name. Den Baron von Rebei-Schrebo würde man in Kölpinsee allzu sehr beachten. Um den – Kaufmann Heribert Rehbein kümmert sich niemand.“

Ilona schüttelte lächelnd den Kopf.

„Welch ein Zufall, Baron! Denken Sie, Mama und ich hatten auch gerade Kölpinsee als Erholungsort ausgewählt. Nun werden wir aber natürlich anderswohin geben. Wir werden Sie doch nicht stören!“

Heribert, armer Heribert! Liebe macht blind! Wo hättest Du als so gerissener Oberschieber sonst wohl an einen solchen Zufall geglaubt?! Niemals!

Hier aber glaubte dieser Heribert alles – alles! Und noch mehr: er redete Ilona jetzt eifrig zu, doch auf keinen Fall etwa seinetwegen auf Kölpinsee zu verzichten. Nein – das dürfe nicht sein! Er würde sich ja so unendlich freuen, dort die Damen begrüßen zu können –

Eine Stunde darauf kehrte die Baronin zurück, Ilona eilte in den Flur, flüsterte ihr zu:

„Mama – er will offenbar flüchten – Nach Kölpinsee gedenkt er zu reisen.“ – Sie flüsterte weiter. Und die Baronin wußte nun Bescheid. So konnte sie denn nacher gleichfalls so tun, als hätte sie Kölpinsee als Reiseziel längst im Auge gehabt.

Erst gegen acht Uhr abends verabschiedete Heribert sich von den Damen.

In seliger Stimmung betrat er die Straße. Die Liebe zu Ilona erfüllte sein Herz mit Wonne und Sehnsucht.

Aber – dort standen ja immer noch diese beiden Halunken, diese Freunde Ilses!

Heribert tat, als bemerkte er sie nicht. Er war jetzt zu einem endgültigen Entschluß gelangt. Er verzichtete auf die noch fehlenden 29 Millionen. Er wollte ein ehrlicher Mensch werden und mit Hilfe der unehrlich verdienten 21 Millionen Ilona und sich eine gemeinsame sorgenlose Zukunft schaffen

Und – weil er nun wußte, was er wollte, weil er nicht mehr gegen diese Leidenschaft anzukämpfen suchte, deshalb war er auch wieder ganz er selbst geworden!

In der Augsburger Straße gab es ein Haus mit einem Durchgang nach einer Seitenstraße. In diesem Hause verschwand er. So wurde er die Verfolger los –

Er atmete auf. – Um neun Uhr abends war er daheim. Um elf Uhr abends fuhr sein Auto vor. Der Diener schleppte zwei Koffer hinein. Dann raste der Kraftwagen davon – gen Leipzig.

Von hier aus schickte Heribert das Auto zurück und gab dem Chauffeur einen versiegelten Brief an die ‚Attrappe‘ mit. In dem Briefe stand, daß er hiermit seine Stellung bei der ‚Kompagnie‘ aufgebe und für einige Zeit nach Amerika reise.

Heribert reiste auf Umwegen nicht nach Amerika, sondern nach Kölpinsee – dem Verhängnis entgegen. Alles, was an den Baron von Rebei-Schrebo erinnerte, beseitigte er. Er wurde wieder zum schlicht bürgerlichen Heribert Rehbein, der sich über seine Person durch echte Urkunden ausweisen konnte.

Ach – ihm war mit einem Male so leicht, so froh zu Mute! Er liebte ja – liebte tief und aufrichtig! Und – die schöne Schieberzeit lag nun endgültig hinter ihm. Baron von Rebei-Schrebo war tot. Die ‚Attrappe‘ würde des Barons Möbel und Autos verkaufen. Mochte der brave Geheimrat das Geld behalten! –

Kölpinsee!

Ein kleiner Junge fuhr dem Kaufmann Heribert Rehbein die beiden Koffer vom Bahnhof nach der Pension Seeblick. Hier belegte Heribert ganz bescheiden ein Balkonzimmer.

Gleich in der ersten Nacht gab es ein schweres Gewitter. Als es vorüber war, regnete es noch stundenlang in Strömen.

Heribert schlich nach Mitternacht mit einem großen, in ein Stück Ölleinwand gehüllten Blechkasten in den Dünenwald, vergrub den Kasten hier unter einer knorrigen Kiefer. – So, nun konnte ihm niemand mehr etwas anhaben! Niemand! Man würde bei ihm nur noch ein paar tausend Mark finden, falls – falls die Sache eben doch schief gehen sollte und die Polizei den Baron von Rebei-Schrebo eben so nachdrücklich suchte, daß sie ihn auch fand –

****

 

 

Fünftes Kapitel.

Was Ilona an dem Oberschieber verdiente.

Graf Klemski und Baron Jößtöni hatten allmählich gemerkt, daß Ilses Jugendfreund ihnen in der Augsburger Straße nun endgültig durch die Lappen gegangen war. – Sie gaben die Sache aber noch lange nicht verloren. Nein – am nächsten Morgen machte sich Klemski als der etwas vertrauenerweckender Aussehende an den Portier des Hauses Fasanenstraße 13 heran und horchte ihn nach den Mietern unter einem schlau ersonnenen Vorwand aus.

Der Portier hatte gerade mit dem Hausverwalter Krach gehabt, hatte gekündigt und daher allen Grund, die ‚verfluchte Bude und det Jesindel darin‘ nach Kräften schlecht zu machen. – Es war für den Herrn Grafen nicht leicht, herauszubekommen, wo dieser Heribert Rehbein sich gestern nachmittag hier drei Stunden aufgehalten haben konnte. Aber ein Zufall kam ihm zu Hilfe. Die Frau des Hauswarts hatte den Flur im Gartenhause gereinigt, als Heribert bei der Baronin Vaxholm Einlaß begehrte.

„Wat mit diese Baronin los is?“ meinte der Portier nun. „Nich ville, – nee, ins Gegenteil! Das ist so ‘ne richtige Hungerleiderjesellschaft, die Mutter und die Tochter. In letzter Zeit jeht’s ihnen, scheint’s, ‘n bißchen besser. Aber – anständij sind die beeden. Da jibt ‘s nichts von wejen und so! Na – Sie verstehen woll!“

Graf Klemski ließ noch einen Zehnmarkschein in des Hauswarts Hand verschwinden und bat ihn, doch so ein wenig aufzupassen, ob vielleicht ein Herr mit Monokel, sehr elegant angezogen, dort häufiger verkehre.

Am 20. Mai erfuhr Klemski auf diese Weise, daß die Baronin nebst Tochter morgen nach Kölpinsee in die Sommerfrische reise, erfuhr weiter, daß der Monokelfritze sich nicht wieder habe sehen lassen und daß bei Vaxholms dafür ein anderer ‚Schent‘ aus– und eingehe, der allerdings ‚nur man so wie ‘n Provinzonkel‘ auskieke.

Als die Baronin und die Baronesse am nächsten Vormittag vom Stettiner Bahnhof abfuhren, hatten sich auch die beiden Freunde Ilses dort reisefertig eingestellt und benutzten denselben Zug, bemerkten auch noch jenen Herrn, den ihnen der Portier so genau als den ‚Provinzonkel‘ beschrieben hatte. – Auch dieser Herr stieg in denselben Zug ein, jedoch nicht mit Vaxholms in dasselbe Abteil. –

Heribert Rehbein war selig! Vorgestern hatte er von Ilona eine Postkarte erhalten, daß sie mit ihrer Mutter am 21. Mai nachmittags in Kölpinsee eintreffen würde.

Bereits leicht sonnengebräunt, strahlend vor ehrlicher Wiedersehensfreude trat er vor Ilona mit einem prächtigen Strauß roter Rosen hin. Das heißt: es waren nur fünf Rosen! Denn ein Kavalier wie der verflossene Baron von Rebei-Schrebo weiß sehr wohl, daß man Damen keine Wagenräder von Sträußen schenkt. – Ebenso genau wußte unser Heribert auch, daß er der Baronin die gleiche Aufmerksamkeit erweisen müsse. Er überreichte ihr also zuerst ein paar prachtvolle Nelken auf dem Bahnsteig, sodann auch Ilona die köstlichen Rosen.

Vaxholms stiegen ebenfalls in der Pension Seeblick ab. Ihre beiden Zimmer Nr. 2 und 3 lagen neben Heriberts Balkonzimmer. Auf Heriberts anderer Seite aber belegte Herr Kaufmann Müller aus Berlin Nr. 5. Und dieser Müller war eben der Provinzonkel.

Na – die Inhaberin des Pensionats Seeblick konnte sich heute freuen. Außer diesen drei neuen Gästen stiegen bei ihr auch noch zwei ältere, graubärtige Herren ab, zwei Rentiers aus Dresden, namens Lemke und Schulze. Daß diese beiden würdigen Leute noch letztens als Graf Klemski und Baron Jößtöni in Berlin das Pflaster unsicher gemacht hatten, ahnte niemand, selbst der ebenfalls nunmehr ‚entadelte‘ Heribert nicht. Freilich sahen die biederen ‚Zacksen‘ jetzt ganz anders aus. In Berlin in der Kakadu-Diele hatten sie ein gewisses jugendlich-verlebtes Äußeres zur Schau getragen; hier halfen die Perücken und Bärte ein ungefährliches Alter vortäuschen.

Armer Heribert! Die Zahl Deiner Feinde beträgt jetzt bereits fünf! Und Du verliebter Zeisig umflatterst in einem unglaublich törichten Sicherheitsgefühl Dein reizendes Zeisigfräulein; flirtest am Strande mit ihr in einer schönen, tiefen Sandburg, während die Baronin-Mutter eine Strecke abseits im Strandkorb Romane schmökert, während mehr nach Osten zu in einem anderen Strandkorb Herr Müller dasselbe tut und nach Westen zu in einer zweiten Sandburg die beiden Rentiers sich in der Sonne braten lassen.

So gingen drei Tage hin. Das Wetter war prächtig, – Am vierten Vormittag ging Heribert zum ersten Male baden. Kaum hatte er sich von Ilona verabschiedet und war nach der Badeanstalt verschwunden, als Herr Müller seinen Strandkorb verließ und sich zu der Baronesse setzte. Auch die Baronin gesellte sich sofort zu ihnen.

„Wir müssen nun endlich weiterkommen,“ sagte Müller ziemlich unwirsch. „Ich finde, Baronesse, Sie geben sich gar keine rechte Mühe mehr. Zum Donner, es muß doch ein Leichtes sein, sich mit diesem jungen Fant zu verloben oder doch wenigstens ihn so weilt kirre zu machen, daß er alles verrät –“

Baronesse Ilona schaute über den Sandwall hinweg auf das sonnenbeschienene Meer hinaus und – schwieg.

Müller runzelte die Stirn.

„Bitte, wollen Sie sich nicht äußern?!“ sagte er dann gereizt.

Ilona seufzte.

„Was heißt das?!“ polterte Müller. „Ein solches Bombengeschäft! Haben Sie etwa keine Lust mehr dazu?! Einem solchen elenden Schieber die ergaunerten Millionen wieder abzunehmen, ist doch wahrlich eine gute Tat!“ Er lachte ironisch auf. „Ganz besonders dann, wenn man etwas dabei profitiert!“ fügte er hinzu.

Ilonas Augen hatten sich mit Tränen gefüllt,

„Ich – ich kann nicht,“ erklärte sie leise. „Ich – ich habe nun ja erkannt, daß er mich wirklich liebt. Er betet mich an. Gestern abend hat er mir so halb und halb seine Vergangenheit gebeichtet. Er möchte wieder ein anderer Mensch werden. – Oh – er heuchelt nicht. Er –“

„Quatsch!“ fuhr Müller grob dazwischen. „Frau Baronin,“ wandte er sich dann an die Mutter. „Wie stellen Sie sich denn zu dieser – dieser plötzlichen Sinnesänderung Ihrer Tochter ?!“

Die Baronin – seufzte, schwieg und schaute ihr Kind mitleidig an.

Müller unterdrückte einen Fluch. Dann rief er wütend: „Ich muß wissen, woran ich bin, Baronesse. Wollen Sie nun weiter mitmachen oder nicht?!“

„Ich – ich kann nicht!“ erklärte Ilona und wurde sehr rot.

Müller fixierte sie durchdringend. Dann lachte er abermals geradezu scheußlich ironisch auf.

„Ah – ich verstehe, ich verstehe! Sie sind ja noch nicht ganz neunzehn! Freilich, – bei solcher Jugend mußten Sie eine schlechte Verbündete sein. Mit der Möglichkeit, daß auch Sie – Feuer fangen könnten, habe ich allerdings nicht gerechnet!“

Er stand auf. „Ich gebe Ihnen noch bis morgen Bedenkzeit. Dann – sehe ich mich nach jemand anderem um, der mir hilft, und – unsere Beziehungen wären gleichzeitig gänzlich zu Ende. – Auf Wiedersehen –“

Er stapfte durch den Sand davon.

Frau von Vaxholm nahm die Hand ihres einzigen Kindes zwischen ihre noch immer so molligen, zarten Finger –

„Ilona, ich habe dies vorausgesehen,“ flüsterte sie liebevoll. „Dieser junge Vielverdiener, dieses Produkt der Schieberzeit nach dem verlorenen Kriege hat etwas geradezu Bestechendes als Mann an sich. Selbst ich merke dies. Ich wußte doch, mit wem ich es zu tun hatte. Und doch – ich habe den Menschen liebgewonnen.“

„Wie – ich!“ seufzte die Baronesse. Und dann begann sie zu weinen, drückte das Tüchlein vor die Augen, legte sich lang in den Sand, damit sie nicht beobachtet werden könnte, und schluchzte herzzerreißend.

Die Baronin streichelte ihr das aschblonde Haar.

„Kind, Kind, – was soll jetzt nur werden?“ meinte sie zaghaft. „Er hat uns doch gewissermaßen in der Hand. Und –“

Ilona Hatte den Kopf gehoben. „Mama – es muß ein Weg gefunden werden, Heribert zu –“ Sie sprach immer leiser, tupfte sich die Augen trocken und war jetzt nur eins: liebendes Weib! –

Um halb zwölf Uhr kam Heribert vom Baden zurück.

„Baronesse – 18 Grad! Morgen müssen Sie sich gleichfalls in die Wellen stürzen. Sie sind doch leidenschaftliche Schwimmerin –“

Ilona nickte ihm zu.

„Vielleicht, Herr Rehbein, – vielleicht! – Jetzt aber möchte ich ein Stück spazieren gehen. Kommen Sie, wir klettern auf den Aussichtsberg hinauf –“

Sie waren nun oben unter den prachtvollen alten Buchen. Zu ihren Füßen lag der leuchtend weiße Strand, lag das Meer – Sie saßen auf der kunstlosen Holzbank, saßen dicht nebeneinander. Und sie schwiegen. Nur ihre Herzen pochten so überlaut. Und in ihren Seelen war das heiße Wünschen einer großen, starken Liebe.

„Ilona,“ sagte Heribert dann und sank vor ihr in die Knie, „Ilona, Sie wissen ja, wie es um mich steht – Ich liebe Sie –! Ilona, Sie können mein guter Engel werden. Retten Sie mich – vor mir selbst!“

Er hatte ihre Hände ergriffen, blickte sie flehend an.

Um ihren Mund spielte ein trauriges Lächeln.

„Das Schicksal hat uns zusammengeführt,“ erwiderte sie und schaute ihm ernst in das frische, braune Gesicht. „Ich will offen sein, Heribert. Es war kein Zufall, daß wir damals im selben Abteil von Swinemünde nach Berlin fuhren. Ich – lauerte Ihnen auf, – in meiner Eigenschaft als Angestellte einer – Detektei.“

Er ließ ihre Hände los, starrte Ilona ganz entsetzt an.

„Die Polizei ist seit zwei Monaten hinter Ihnen her,“ sprach die Baronesse schnell weiter. „Aber die Behörden hatten wohl ihre Gründe dafür, meinen Chef, den Kriminalkommissar a. D. Weilandt, mit den weiteren Ermittlungen zu betrauen. Man hielt gerade mich für besonders geeignet, Ihnen eine Falle zu stellen. Mama und ich lebten in den dürftigsten Verhältnissen. Ich war Tippfräulein bei Weilandt, der sich jetzt hier als Kaufmann Müller aufhält –“

Heribert hatte sich erhoben, war einen Schritt zurückgetreten und trocknete sich den Schweiß, von der Stirn.

Auch Ilona stand jetzt auf.

„Heribert,“ sagte sie leise, „wenn Sie mich wirklich lieben, dann – dann geben Sie alles heraus, was Sie als Baron von Rebei-Schrebo verdient haben. Sie haben den Steuerfiskus um Riesensummen betrogen. Wenn Sie nicht freiwillig –“

Er hatte schneidend aufgelacht.

„Wieviel profitieren Sie denn dabei, Baronesse?“ fragte er mir deutlichem Spott.

„Heribert,“ bat sie, „nicht diesen Ton! Glauben Sie mir, ich meine es gut mit Ihnen. Ich – ich kann nur einen Mann lieben, der völlig makellos dasteht –“

Er hatte sich an eine der Buchen gelehnt, starrte zu Boden und überlegte –

Er glaubte ihr nicht. Er hielt alles, was sie hier sprach, für schlaue Berechnung. Das ganze Leben kam ihm plötzlich so unendlich inhaltslos und – widerwärtig vor. Er wußte: er würde Ilona nie vergessen. Er würde an dieser Liebe zu Grunde gehen – Diese Unglückszahl 13 bewies an ihm wieder einmal so recht eindringlich ihre Heimtücke. –

Dann war er mit seinem Entschluß fertig

„Gut, Baronesse, – ich will makellos werden –,“ sagte er fest. „Ich habe etwa sechs Millionen in Tausendmarkscheinen hier in Kölpinsee in einem großen Blechkasten unter einer Kiefer vergraben. Der Rest meines Vermögens lagert in Stockholm in der Stahlkammer der Schwedischen Kommerz-Bank. Ich werde Ihnen eine Vollmacht geben, die genügen wird, um meine ins Ausland verschobenen Kapitalien der deutschen Steuerbehörde zugängig zu machen. Den Blechkasten aber werde ich heute nachmittag ausgraben. Sie können dabei sein und ihn sofort an sich nehmen. – So, es ist Zeit, daß wir zu Tisch nach der Pension gehen.“

„Heribert –!“ flüsterte Ilona leise mit bittendem Blick. In ihren Augen lag stummes Gewähren. Hätte er sie jetzt an sich gerissen und geküßt, – sie hätte ganz stillgehalten! – Aber er sagte nur mit einer sehr förmlichen Verbeugung:

„Ich möchte erst ganz makellos sein –!“ – Dann schritt er ihr voran den Berg hinab –

Ilse Gnupskes Freunde lagen hinter den Büschen, als Heribert in Gegenwart Ilonas den wertvollen Kasten herausbuddelte. – Gegen sieben Uhr abends brachte Ilona den Kasten Herrn ‚Müller‘, der gerade auf seinem Zimmer einen Bericht über den Stand der Angelegenheit ‚Rehbein‘ schrieb.

Müller-Weilandt war überglücklich, als Ilona ihm die papiernen Schätze zeigte. Dann übergab sie ihm auch die Vollmacht, die Tresorschlüssel und die Ausweismarke für die Bank. Da war er noch glücklicher –

„Baronesse, das bringt jedem von uns runde 250000 Mark ein!“ meinte er schmunzelnd. „Mindestens! Unter diesen Umständen wird man dieses Genie von Oberschieber natürlich ungeschoren lassen. –“

Abends blieb Heribert unsichtbar. Er saß und arbeitete an seinen ‚Lebenserinnerungen eines Oberschiebers, genannt Baron von Rebei-Schrebo‘. – Bis zum hellen Morgen schrieb er. Dann packte er die Blätter ein und adressierte den Umschlag an Ilona Baronesse Vaxholm –

Ilona tat in dieser Nacht ebenfalls kein Auge zu. Heriberts Fernbleiben von der Abendtafel machte sie besorgt. Sie fürchtete allen Ernstes, er könnte sich ein Leid antun. Schließlich hielt sie es im Bett nicht länger aus, kleidete sich notdürftig an und beugte sich weit zum Fenster hinaus. Sie sah das Balkonzimmer nebenan erleuchtet. Da schlich sie lautlos in den Flur hinaus, horchte eine Weile an Heriberts Tür und schaute durch das Schlüsselloch.

Plötzlich aber vernahm sie etwas, das sie erschrocken hochfahren ließ. Es waren Laute gewesen wie das schmerzvolle Stöhnen eines in Not befindlichen Menschen. Sie stellte schnell fest, daß die verdächtigen Töne aus Weilandts Zimmer kamen.

Da – abermals das dumpfe Stöhnen –! – Mit einem Ruck drückte sie die Klinke der Tür herab – Die Tür ging auf – zwei Gestalten entflohen durch das Fenster. – Ilona schaltete das Licht ein. Auf dem Bett lag gefesselt und geknebelt Weilandt. Ilona befreite ihn. Weilandt war im Schlaf überfallen worden. Trotz seiner mangelhaften Toilette war er dann wie ein Blitz zum Fenster hinaus, kletterte die Leiter hinab, die die Gauner an die Hauswand gelehnt hatten, und rannte hinter den biederen „Zacksen“ her, die insofern Pech hatten, als gerade Vollmond und der Detektiv besser trainiert war als sie. Sie flohen den Weg nach dem Bahnhof entlang, wollten dann in die Felder abbiegen, stießen hier aber auf einen jungen Fischer, der mit einer sehr erholungs- und auch sonst sehr bedürftigen Berlinerin aus dem Walde kam. – Kurz und gut: die beiden Diebe mit dem kostbaren Kasten brachten den Rest der Nacht und auch einen Teil des folgenden Tages in einem festen Raume des kleinen Bahnhofs zu. Weilandt aber kehrte mit dem Kasten leise in sein Zimmer zurück. Ilona war nicht mehr da. Sie hatte inzwischen mit Hilfe der Leiter Heriberts Balkon erklommen und so gesehen, daß er eifrig schrieb –

Zehn Uhr vormittags. – Ilona und Heribert schritten den Badeanstalten zu. Heribert scherzte harmlos, war ganz unverändert.

„Auf Wiedersehen also im Wasser, Baronesse,“ sagte er dann und reichte ihr die Hand. „Wollen sehen, wer von uns beiden besser schwimmt. Die See ist ziemlich unruhig heute –“ – Er schaute sich an. Und in seinem Blick war jetzt ein seltsam ernster, schwermütiger Ausdruck –

Ilona beeilte sich sehr mit dem Entkleiden. Eine unbestimmte Angst preßte ihr das Herz zusammen. Nun nahm sie den Bademantel um und ging den Holzsteg entlang zur vordersten Treppe. Dort stand der Bademeister, und um ihn herum ein paar Herren und Damen –

Und weit außerhalb der Leinen schwamm jemand immer weiter in das Meer hinaus –

Heribert Rehbein!

Ilona stand einen Augenblick wie gelähmt. Dann war sie schon im Wasser –

Der Bademeister blies wütend in das Warnungshorn – Einer der Badegäste meinte: „Der will sich ersäufen –“

Ilona schwamm mit langen Stößen. Sie ermüdete rasch. Aber – sie biß die Zähne zusammen – Sie mußte wenigstens so nahe an Heribert herankommen, daß er ihren Zuruf verstand. Und – sie kam ihm auch wirklich näher! – Da – plötzlich die ersten Anzeichen eines Krampfes in der einen Wade – Sie schnellte sich aus dem Wasser heraus, rief schrill und „Heribert – Hilfe –! Ich ertrinke –“

Er blickte zurück – Sie war es wirklich – Ilona war ‘s! – Abermals stieg da der häßliche Argwohn in ihm auf: „Sie will Dich zurücklocken –!“

Trotzdem kehrte er um. – Mit einem Male war sie verschwunden –

Das Rettungsboot der Badeanstalt brachte die bewußtlose Baronesse und ihren Retter, der sie beim letzten Wiederauftauchen glücklich noch hatte packen können, an Land zurück –

Ilona kam bald wieder zu sich. In ihren Bademantel gehüllt saß sie nun in der Kammer des Bademeisters. Und wieder kniete Heribert vor ihr; wieder hielt er ihre Hände in den seinen – Und sie war ‘s, die sich nun zu ihm hinabbeugte und ihn küßte –

Ilona Vaxholm verdiente an diesem Oberschieber runde 300000 Mark. Und mit diesen 300000 Mark, mit diesem ehrlich erworbenen Gelde, begann dann das junge Ehepaar Rehbein das neue, gemeinsame Leben.

In einer großen Hafenstadt gibt es heute eine Firma „Heribert Rehbein, Kolonialwaren en gros“. Die Firma blüht und gedeiht. Kein Wunder: der Chef ist ja der ehemalige Baron von Rebei-Schrebo! – Aber – Schiebergeschäfte macht er nicht mehr! Nein, diese Zeit liegt hinter ihm! Er hat Ilona versprochen, seinem Genie Zügel anzulegen. Und dieses Versprechen hält er –

So, nun wissen Sie, was es mit dem Verhängnis des Barons auf sich hat. Sie sehen: dieses Verhängnis ist so ganz aus der Art geschlagen; es ist ein glückliches Verhängnis!

Ich hätte diese moderne kleine Geschichte ja auch ‚Die Allmacht der Liebe‘ betiteln können. Aber – das wäre doch zu alltäglich gewesen –

Dann hätten Sie ja von vornherein gewußt, wie die Sache enden würde –

Und – solche Geschichten sind für die Katz’.

Womit ich diese Erzählung schließe, die von A bis Z wahr ist, worauf ich Ihnen gern mein Ehrenwort gebe, falls Sie mir auf Ehrenwort die Summe nennen, um die Sie den Steuerfiskus in den letzten Jahren bemogelt haben –

Sie werden sich hüten! Und daher komme auch ich um das Ehrenwort herum –!

 

 

Fußnote:

[1]Im Innentitel der ersten Auflage Verfasserangabe Swea v. Münde.