Das Eiserne Kreuz
mündlichen Berichten nacherzählt
Von W. Belka.
Es war am 6. August abends. Über der Nordsee lagen noch die letzte Nachwehen eines kurzen Weststurmes, der von der Dogger Bank her die Wogen gegen die dänische und skandinavische Westküste während sechs langer Stunden in wildem Toben getrieben hatte. Jetzt nach Anbruch der Nacht zeugte nur noch eine träge, von Minute zu Minute schwächer werdende Dünung und ein bleigrauer, hie und da von dunklen Wolken kräftige schattierter Himmel von den eben überstandenen Wüten der Elemente.
Auf dieser Dünung schaukelte mit gerefften Segeln müde ein Dreimaster, der in Christiania beheimatete „Kung[1] Christian“. Von dem plötzlich losbrechendem Sturm war das bereits ziemlich altersschwache Schiff weit aus seiner Fahrtrichtung nach Norden abgedrängt worden, nachdem es bereits fünf Tage gegen widrige Luftströmungen aufgekreuzt hatte, ohne daß es während dieser Zeit auch nur einem einzigen Segler oder Dampfer begegnet wäre.
Der ‚Kung Christian’ hatte insgesamt eine Besatzung von achtzehn Köpfen. Nicht weniger als zehn Deutsche, meist Mecklenburger. Auch der zweite Steuermann, der soeben die Wache übernommen hatte, stammte aus Wismar, gehörte wie seine übrigen deutschen Landsleute im Reserveverhältnis der kaiserlichen Marine an.
Johannes Bränting stand jetzt neben dem das Steuerrad bedienenden Matrosen. In längeren Pausen tauschten sie leise Bemerkungen aus.
„Stür’mann,“ meinte Peter Gamm, der ebenfalls aus Wismar gebürtig war, „wie’s jetzt woll’ bi uns to Hus utsehn mag. Als wir am 28. Juli von Christiania wegmachten, da roch’s doch schon verdammt nach Krieg.“
Bränting, ein hübscher, schlanker Mann von blondem Spitzbart, zuckte die Achseln.
„Wenn’s nach unserm Kaiser geht, bleibt der Friede erhalten. Aber leider –. Auch unser oberster Kriegsherr hat die Geschicke der Völker nicht allein in der Hand. Der Neid auf unsere von Jahr zu Jahr sich weiter ausdehnenden Handelsbeziehungen läßt dem Vetter England keine Ruhe. Glaub’ mir, Peter, alles Unheil kommt von diesem elenden Krämervolk, das doch noch eines Tages die ganze Welt auf uns hetzen wird. Frankreich und Rußland sind ja Gott sei’s geklagt, viel zu kurzsichtig, um zu erkennen, daß ‚das perfide Albion’, – so nennt man England ja schon längst in der Weltgeschichte, sich ihrer nur bedienen wird, um für sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. – Trotz alledem,“ fügte er mit Überzeugung hinzu, „denke ich, daß dieses Mal der Sturm noch glücklich an uns vorübergehen wird. Man hat doch einen heillosen Respekt vor uns. Man haßt uns, aber man fürchtet uns auch. Zu viel steht für unsere Feinde auf dem Spiel. Und – wird’s ein Krieg, dann wird’s auch ein Weltbrand. Die Verantwortung, einen solchen entfacht zu haben, übernimmt so leicht keiner.“
Schon bei den letzten Worten hatte der Steuermann den Kopf etwas hochgereckt und in das Takelwerk hinaufgeschaut.
Jetzt schritt er mit einem kurzen: „Der Wind hat sich gedreht. Wir haben ihn aus Südost,“ nach dem Vorschiff zu, wo er dann seine Pfeife schrill ertönen ließ.
Die Wache stürmte an Deck. Und in fünf Minuten lag der Dreimaster mit vollen Segeln vor dem günstigen, langsam kräftiger werdenden Winde.
Die Wache war wieder hinab ins Mannschaftslogis verschwunden. Johannes Bräntig rief noch dem Matrosen im Ausguck einige Verhaltungsmaßregeln zu und kehrte dann zu Peter Gamm zurück.
Während er sich seine Pfeife von neuem anzündete, sagte er sinnend:
„Was würde wohl mit uns geschehen, Peter, wenn jetzt plötzlich der Krieg ausbräche? Dieser Gedanke geht mir schon die ganzen letzten Tage im Kopf herum. Es wäre doch ein Mordspech, wenn man uns in einem englischen Hafen zurückhalten würde, und wir dann untätig zusehen müßten, wie unsere Brüder sich mit dem Feinde herumschlagen. Das würde ich einfach nicht aushalten!“
Peter Gamm, dessen Schifferbart bereits einige weiße Haare aufwies, schob den Priem geschickt mit der Zunge hinter die andere Backe und meinte dann:
„Stür’mann, schlimm sünd wir dran, das stimmt, wenn wir wenigstens so’n Apparat für drahtlose Telegraphie an Bord hätten! Da könnt’ man doch mal durch Funkspruch anfragen, wie’s mit Europa bestellt ist. Aber so –. Über eine Woche treiben wir uns nun schon hier in der Nordsee herum und wissen nichts von Neuigkeiten, nichts – rein gar nichts!“
Der Steuermann lachte. „Drahtlose Telegraphie! Auf diesem alten Kasten! Das wär ‘n Witz! – Ne, Peter, wir werden schon warten müssen, bis wir unsern Bestimmungsort erreichen. In Lowestoft[2] wird der Hafenlotse uns als erster das Nötige mitteilen.“
„Und wann können wir dort sein?“ fragte der Matrose eifrig. „Was meinen Sie, Stür’mann?“
„Wir sind jetzt ungefähr auf der Höhe der Owerbank. Hält der Wind in gleicher Stärke an, so können wir morgen nachmittag den Hafen erreichen.“
Die beiden Deutschen schauten sich plötzlich mit einem gewissen ängstlichen Erstaunen an. Gleichzeitig hatten sie von vorn über Steuerbord das Stampfen von Schiffsmaschinen gehört.
„Na nu! Da kommt doch ‘n Dampfer – ohne Frage!“ knurrte Peter Gamm. „Und nichts von Lichtern zu sehen! Muß doch schon ganz nahe sein.“
Und scharf lugte er nach der Richtung hin, von wo jetzt immer deutlicher das dumpfe, taktmäßige Dröhnen herüberschallte.
„Was mag das zu bedeuten haben?“ stieß jetzt auch der Steuermann ganz aufgeregt hervor. „Der Dampfer fährt ohne Zweifel mit abgeblendeten Laternen. – Da, jetzt tauchen auch seine Umrisse auf.“
Schnell hatte Bräntig das Nachtglas an die Augen genommen.
Als er es absetzte, war aus seinem braunen Gesicht alle Farbe gewichen.
„Peter,“ sagte er heiser, „das da vorn ist ein Kriegsschiff, ein Kreuzer meines Erachtens. Und die abgeblendeten Laternen, – ahnst du was, Peter! Das bedeutet –“
„– den Krieg!“ vollendete der Matrose dumpf und fügte schnell hinzu:
„Hoffentlich ein deutsches Schiff. Sonst –“
„Ja, sonst können wir uns von der nächsten halben Stunde an als Kriegsgefangene betrachten.“
Wieder starrte der Steuermann durch sein Glas nach dem sich schnell nähernden Fahrzeug hinüber.
„Das ist ein Engländer – ohne Zweifel,“ stieß er plötzlich hervor. „Unsere deutschen Kreuzer haben niedrigere Deckaufbauten.“
„Verdammt!“ knurrte Gamm. Und, wie um sich selbst zu trösten, setzte er hinzu: „Vielleicht halten die auch nur eine Nachtübung ab, – kriegsmäßig!“
Und wieder Bräntigs erregte Stimme: „Der Kreuzer wendet scharf. Da, er kommt im Bogen hinten herum. Bald wird er auf Backbord in Rufweite sein.“
Drüben verlangsamte das Kriegsschiff, dessen Silhouette sich scharf gegen den nächtlichen Himmel abhob, seine Fahrt immer mehr.
„Sie lassen eine Barkasse zu Wasser,“ meinte Bräntig. „Jetzt gibt’s keine Ungewißheit mehr. Der Krieg ist da! Der Engländer will sich überzeugen, was für ein Fahrzeug er vor sich hat.“
Das schlanke Schiffsboot mit dem niedrigen Schornstein über dem Deck aus geölter Leinwand rauschte heran. Am Steuer stand eine schlanke Gestalt, die jetzt das Sprachrohr an den Mund hob.
„Segler ahoi!“ klang’s auf englisch herüber. „Welche Nationalität?“
„Dreimaster ‚Kung Christian’, Heimathafen Christiania,“ brüllte Bräntig zurück.
Nach kurzer Pause wieder von Barkasse:
„Wir kommen an Bord. Das Fallreep herunter!“
„Da haben wir’s!“ preßte der Steuermann zwischen den Zähnen hindurch. „Kriegsgefangen – meine Ahnung!“
Dann standen der englische Marineoffizier und sechs mit Gewehren bewaffnete Männer an Deck des Seglers.
Bräntig war ihm entgegengegangen. Und auch Kapitän Sörensen, den man inzwischen geweckt hatte, kam jetzt langsam, breitbeinig herbei.
Der Offizier wandte sich ihm zu, indem er leicht an die Mütze faßte.
„Der Kapitän?“ fragte er kurz.
„Ja. – Kapitän Sörensen, Dreimaster ‚Kung Christian’ aus Christiania. – Meine Papiere sind in Ordnung, Herr. Was gibt’s sonst?“
Der Engländer merkte, daß der verwitterte Seebär da vor ihm noch völlig ahnungslos war.
„Wir befinden uns im Kriegszustand mit Deutschland und Österreich,“ sagte er mit einem gewißen Triumph in der Stimme. „Ich muß Ihre Papiere sehen. Was haben Sie geladen?“
„Bauholz und Felle – also keine Kriegskonterbande,“ erklärte Sörensen seelenruhig. Er wußte eben, daß ihm und seinem Schiff nichts geschehen konnte.
Der Offizier war kaum in Begleitung des Alten in dessen Kajüte verschwunden, um die Schiffspapiere einzusehen, als er auch schon sagte:
„Haben Sie Deutsche oder Österreicher unter Ihrer Mannschaft, Kapitän?“
Sörensen kraute sich verlegen den Bart. „Hm, ja, Deutsche, die hab’ ich freilich.“
Der Marineoffizier hatte bei des Alten Antwort hoch aufgehorcht. „So, also Deutsche!“ meinte er mit einem befriedigten Lächeln. „Und wie viele haben Sie an Bord?“
„Zehn,“ entgegnete Sörensen mißtrauisch.
In kurzem hatte der Leutnant die Namen der Betreffenden sich notiert und Ihre Papiere in die Tasche geschoben.
„Also nach Lowestoft segeln Sie?“ meinte er dann. „Das trifft sich gut. Dorthin haben wir noch drei deutsche Heringsfänger zu bringen, die wir vorhin bei den Wellenbänken abfaßten. Ich werde also mit meinen sechs Mann an Bord bleiben und dafür sorgen, daß die Deutschen uns nicht unterwegs entweichen. So, und jetzt lassen Sie die Mannschaft antreten. Ich möchte den von diesem Augenblick an kriegsgefangenen zehn Leuten noch einiges zur Verwarnung mitteilen.“
Diese Verwarnung war in ihrer knappen, schroffen Form überaus verständlich.
„Kriegsgefangene, die einen Fluchtversuch wagen, werden erschossen,“ erklärte der Offizier in leidlichem Deutsch. „Sie zehn gehören, sämtlich der Kaiserlich deutschen Marine als Reservemannschaften an, wie aus Ihren Papieren hervorgeht. Also geschieht ihre Gefangennahme zu Recht. Sie begeben sich jetzt in das Logis hinab, das niemand ohne meine Erlaubnis verläßt.“
Sörensen stand brummig dabei.
„‘s auch ein Steuermann dabei, da, der Master Bräntig. Der gehört doch zu den Schiffsoffiziern,“ knurrte der Alte, um Bräntig den Aufenthalt im Mannschaftslogis zu ersparen.
„Ach so,“ meinte der Engländer darauf wie entschuldigend. „Welche Charge bekleiden Sie in der deutschen Marine, Master Bräntig,“ setzte er schnell hinzu.
„Vizesteuermann,“ entgegnete der Mecklenburger unfreundlich.
„Also Offizierdiensttuer, nicht wahr?“ Der Leutnant wußte mit den Rangverhältnissen des Feindes offenbar recht gut Bescheid.
Bräntig nickte nur widerwillig.
„So – dann bitte ich um Ihr Ehrenwort, Master, daß Sie keinen Fluchtversuch während der Dauer dieses Krieges unternehmen wollen. Habe ich Ihr Wort, so können Sie sich weiter frei und ungehindert hier bewegen und werden auch in England eine entsprechende Behandlung erfahren.“
Der Steuermann, der den schmächtigen Offizieren gut um einen Kopf überragte, verzog das braunrote Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln.
„Mein Ehrenwort – nimmer! Und ich bitte mich auch mit meinen Landsleuten zusammen einzusperren. Jetzt gehören wir zehn enger denn je zusammen.“
„Wie Sie wollen, Master Bräntig,“ meinte der Leutnant achselzuckend und rief den Matrosen in der Barkasse einen kurzen Befehl zu, worauf das kleine Dampfboot pfeilschnell zu dem Kreuzer zurückkehrte, der sich inzwischen stets in einer Linie mit den ‚Kung Christian’ gehalten hatte.
Am nächsten Morgen war die Brise aus Südost noch steifer geworden. Der Dreimaster machte gute Fahrt, und es stand zu erwarten, daß er Lovestoft am Nachmittag bestimmt erreichen werde.
Soeben war der letzte norwegische Matrose aus dem im Vorschiff liegenden Mannschaftslogis verschwunden, um sich an Deck an den üblichen Morgenarbeiten zu beteiligen. Zum ersten Mal waren die zehn Deutschen unter sich.
Peter Gamm, der trotz seines schon leicht ergrauten Bartes – eine Folge des Gelben Fiebers, das er sich mal in einem mexikanischen Hafen geholt hatte – erst neununddreißig Jahre zählte, rutschte jetzt schleunigst aus seiner Hängematte heraus und gesellte sich zu Johannes Bräntig, der in Sinnen versunken auf einer der Matrosenkisten saß.
„Stür’mann,“ flüsterte Becker leise, „nu sund wir ja fein in die Patsche geraten. So ‘n verflixtes Pech!“
Bräntig nickte traurig. Ihm war das Herz schwer vor trüben Gedanken. Endlich ein Krieg, endlich eine Möglichkeit, mit diesem aufgeblasenen Pack von Engländern abzurechnen! Und nun mußte ihn gerade jetzt gleich zu Anfang das Unglück treffen, in Kriegsgefangenschaft zu geraten!
Auch die übrigen acht Leute, die mit Ausnahme eines gewissen Fritz Marholz sämtlich von der Wasserkante stammten, hatten sich um die beiden Kameraden und Leidensgefährtin versammelt und gaben nun ebenfalls ihrem Ärger darüber Ausdruck, daß sie auf diese Weise zu schmachvoller Untätigkeit verdammt waren, während Deutschlands Flotte zum erstenmal einem ebenbürtigen Gegner entgegenzutreten Gelegenheit hatte.
Besonders Fritz Marholz, ein waschechter Berliner, der als Junge auf einem Sterndampfer die Spree- und die Havelseen befahren hatte und dann später zur See gegangen war, ließ manchen Kernfluch über dieses ‚unjaubliche Pech’ vom Stapel.
Peter Gamm, der den etwas großsprecherischen Berliner bisher als nicht ‚von de Waterkant’ stammend nie recht für voll angesehen und auch nicht besonders geschätzt hatte, nickte ihm jetzt freundlich gönnerhaft zu.
„Siehste, min Jung, grad’ as wie du, denk ick ok,“ sagte er schmunzelnd. Und dann berieten die zehn Deutschen, die der Unstern dergestalt ‚kaltgestellt’ hatte, eifrig hin und her, ob es denn keine Möglichkeit gäbe, den Händen der Engländer noch vor der Landung in Lowestoft zu entwischen. Aber alle die Pläne, die man erörterte, hatten zu wenig Aussicht auf Erfolg.
„Kinners,“ meinte der Steuermann ernst, „wenn wir überhaupt noch uns auf und davon machen wollen, so muß es hier auf der See geschehen. Sind wir erst in Lowestoft, so sitzen wir in der Mausefalle.“
Darauf wurde es wieder eine ganze Weile still in dem halbrunden, muffigen Raum, in dem sich die Ausdünstungen der Tierfelle, die der ‚Kung Christian’ geladen hatte, recht unangenehm bemerkbar machten.
Dieses Schweigen wurde erst durch den Berliner unterbrochen, der seine Landsleute auf das eilige Hin- und Herlaufen auf Deck aufmerksam machte.
„Hört mal, die rennen ja oben durcheinander, als ob weiß Jott was passiert ist!“
Tatsächlich mußte die Mannschaft des Dreimasters irgend eine besondere Ursache haben, so eilfertig über die Deckplanken zu trampeln. Das Geräusch von schnellen Tritten wollte gar nicht mehr zur Ruhe kommen.
„Muß doch mal nachsehen, wat die eijentlich haben,“ sagte Marholz jetzt kurz entschlossen und ging der Treppe zu, die auf Deck führte.
Vorsichtig schob er den Kopf dann über den Lukenrand hinaus. Das erste, was er sah, waren die beiden englischen Marinesoldaten, die der Offizier als Wache an diesen einzigen Ausgang des Mannschaftslogis gestellt hatte. Die Leute lehnten jetzt aber mit Gewehr bei Fuß an der Reling und schauten nach drei Fischerkuttern aus, die soeben mit Stangen wieder von dem Dreimaster abgestoßen wurden.
Nach wenigen Minuten tauchte Fritz Marholz bei den Kameraden wieder auf.
„Wir kriegen Besuch,“ meinte er trübe. „Die Mannschaft von drei deutschen Heringskuttern ist eben an Bord geschafft worden – elf Fischer im janzen. Die angebohrten und in Brand gesteckten Kutter aber schwimmen jetzt alleene da draußen ‘rum und werden wohl bald wegsacken.“
Da kamen auch schon schwere Schritte die Treppe herunter. Erst die elf deutschen Fischer, dann der englische Leutnant, der sich sofort an Steuermann Bräntig wandte.
„Das Logis bleibt für den Rest der Fahrt den Kriegsgefangenen vorbehalten,“ sagte er kurz. „Sie, Master, sind mir dafür verantwortlich, daß die Leute hier Ruhe halten. Diese Elf,“ er wies auf die neuen Ankömmlinge, „behaupten zwar in keinem Militärverhältnis zu stehen, können sich darüber aber nicht genügend ausweisen und werden deshalb ebenfalls als Kriegsgefangene behandelt.“
Darauf verschwand der Leutnant wieder.
Unter den Hochseefischern befanden sich vier, die fraglos schon ihre sechzig Jahre auf dem Rücken hatten, krumme, verwitterte Gestalten mit Gesichtern, die jeder Maler nur zu gern skizziert haben würde. Die übrigen waren junge, starke Burschon, die jetzt flüsternd ihren deutschen Leidensgefährten anvertrauten, daß sie ebenfalls bei der kaiserlichen Marine gedient hätten.
Inzwischen war es acht Uhr geworden. Der Schiffskoch brachte das Frühstück und verschwand wieder. Von den norwegischen Matrosen ließ sich keiner mehr sehen, nachdem sie sich ihre Schiffskisten aus dem Logis heraus geholt hatten. So waren die Deutschen denn ganz unter sich.
Bereits seit einer halben Stunde hatte Bräntig bemerkt, daß die bis dahin gleichmäßige, stetige Bewegung des Dreimasters langsam in ein unbeholfenes Schwanken übergegangen war. Dies ließ nur die eine Vermutung zu, daß der Wind zusehends abflaute und der ‚Kung Christian’ ohne Segeldruck auf einer schweren Dünung schaukelte.
Wieder wurde Fritz Marholz nach oben geschickt, um Ausschau zu halten. Dieses Mal erging es ihm aber weniger gut als vorhin. Einer der Posten bemerkte den über den Lukenrand hervorragenden Kopf sofort und rief dem Berliner einen barschen Befehl zu, indem er gleichzeitig in nicht mißzuverstehender Weise sein Gewehr hob. Immerhin hatte Marholz genug gesehen. Der Wind war tatsächlich völlig eingeschlafen, und die Segel des Dreimasters klatschten schlaft hin und her. Außerdem lagerte rings um den Horizont einen milchige Wolkenwand, durch die die Sonne nur noch wie ein rötlicher Fleck sichtbar wurde.
Das alles hatte der Berliner mit einem einzigen Blick seiner an schnelles Beobachten gewöhnten Seemannsaugen umfaßt. Als er dem Steuermann jetzt Bericht erstattete, hellten sich dessen Züge hoffnungsfroh auf.
„Jungens,“ sagte er leise und winkte seine Schicksalsgefährten näher heran, „jetzt will ich euch mitteilen, was mir soeben hier der alte Klaus Groth, der Besitzer des größten Heringskutters, erzählt hat. Ich wollte es euch eigentlich verschweigen, damit nicht unnötige Hoffnungen in euch geweckt würden. Nun aber liegt die Sache anders. Hört also, als die Engländer, eben jener Kreuzer ‚Kanada’, der auch den ‚Kung Christian’ anhielt, die drei deutschen Kutter abgefaßt hatte, schickte er auf jeden zwei Marinesoldaten, die sollten dafür sorgen, daß die beschlagnahmten Fahrzeuge auch geradeswegs nach Lowestoft segelten. Dann jagte der Kreuzer weiter, und – die nächste Beute waren wir. Wohin er sich nun wandte wissen wir nicht. Jedenfalls muß er dann aber mitten in der Nacht nochmals sich dem ‚Kung Christian’ genährt und dem hier bei uns an Bord gebliebenen Leutnant eine wichtige Meldung überbracht haben. Uns ist dieser Zwischenfall entgangen. Diese Meldung muß nun auch die Nachricht enthalten haben, daß deutsche Kriegsschiffe sich irgendwo in der Nähe befinden. Ich und ebenso Klaus Groth hier schließen dies daraus, daß die Engländer ihre ursprüngliche Absicht geändert und die drei Kutter versenkt haben, die sie doch zuerst nach Lowestoft schaffen wollten. Sie fürchten eben, die Beute könnte Ihnen wieder abgejagt werden und haben sie daher lieber vorher vernichtet. Klaus Groth hat auch einige Worte aufgefangen, die der englische Leutnant mit seinen Untergebenen wechselte. Und daraus war unschwer das zu folgern, was ich euch eben mitgeteilt habe. Die Sache steht nun also so, daß wir hier auf dem Dreimaster jetzt im ganzen dreizehn Engländer haben, zwölf Marinesoldaten und den Leutnant nämlich, da die sechs Mann von den Kuttern noch hinzugekommen sind.“
Der Steuermann schwieg einen Augenblick.
Alle hatten gespannt zugehört. Und jetzt gab Peter Gamm den Gedanken der kleinen Schar durch eine sehr treffende Bemerkung Ausdruck:
„Also sind wir jetzt einundzwanzig Deutsche, unbewaffnete Deutsche, gegen dreizehn englische Spitzbuben! Stürmann, ob sich da nicht was anfangen läßt?“
Johannes Bräntig, der wieder auf einer Kiste thronte, wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
„Ich hätte wohl einen Plan,“ meinte er zögernd. „Aber, dazu fehlt uns ein Explosivstoff. Ohne ein Sprengmittel ist nichts zu machen.“
Fritz Marholz riß sich jetzt förmlich die Stummelpfeife, aus der er bisher dichte Knasterwolken gepafft hatte, aus dem Munde.
„Sprengmittel, Steu’rmann?“ fragte er mit vergnügtem Aufblitzen seiner Augen. „Wenn’s weiter nischt is –“
Bräntig schaute ihn ungläubig an.
„Ja, ja, Steu’rmann, det is keene Renommage. Da steht in der Ecke noch die schönen grüngestrichene Kiste von unserm Schiffskoch. Der hat wohl noch keene Zeit gehabt sie zu holen. Und da drinnen liejen drei – sage und schreibe drei – nette Dynamitpatronen.“
Bräntig schüttelte den Kopf. „Sie müssen sich irren, Marholz. Wie kommen solche Dinger an Bord unseres Seglers? Es ist streng verboten, Sprengmittel, Pulver oder Schießwaffen mitzunehmen, das wißt ihr alle. Der Koch wird wohl nur mit dem Besitz geprahlt haben.“
„Ne, Steu’rmann, geprahlt hat er nicht. Er wird sich hüten! Der weeß janz jut, daß der Kap’tän ihn unweijerlich einspunnt, wenn die Sache ‘rauskommt. Ne – jesehn hab’ ick die drei Hülsen. Ick kenne mir damit aus. Die müssen aus irjend ‘n Bergwerk stammen.“
„Gesehen? Hat der Spanier sie Ihnen denn gezeigt?“ fragte Bräntig eifrig. „So lassen Sie sich doch nicht jedes Wort herauslocken! Die Geschichte eilt, wenn wir noch einen Befreiungsversuch wagen wollen!“
„Na, ‘s war eben so, Steu’rmann. Der Koch is ‘n Spitzbube wie alle Spanier. Einmal war mir nun mein Tabaksbeutel verschwunden, ‘n Geschenk von meiner Braut. Da habe ick eben Astrosa’s Kiste son bisken revidiert. Der Tabaksbeutel war leider Jottes nich da. Aber janz zu unterst lagen in’n Tuch einjewickelt die Dynamitpatronen. Und daneben ‘ne Masse Flugblätter und Zeitungen – alles anarchistische Zeitschriften. Mit einem Wort, der Astroda ist im Nebenberuf Anarchist, wie viele Spanier. Und die Patronen wird er woll zu ‘n bestimmten menschenfreindlichen Zweck mit sich führen.“
„Die Frage ist nur, ob sie noch da sind?“ meinte Bräntig ganz aufgeregt. Über den sonst so stillen Mann war etwas wie heilige Begeisterung gekommen. Seine Augen blitzten, und in seinen Zügen stand eine unerschütterliche Entschlossenheit zu lesen.
Marholz machte sich mit einem Schlüssel an dem Schloß der Kiste des Spaniers zu schaffen, indem er Peter Gamm leise zurief:
„Du, paß ‘mal auf der Treppe uf, det mir keener von die fremden Vettern übern Hals kommt.“
Wenige Minuten später hob er triumphierend das Tuch – es war ein buntes Schnupftuch – in die Höhe.
„Da sind die Dinger, Stu’rmann!“
Bräntig nahm sie vorsichtig in Empfang. Tatsächlich, das waren drei mittelgroße Dynamitpatronen mit Zündern oben an den Kapseln. Um die Messinghülsen war ein Streifen Papier geklebt. Darauf war in englischer Sprache zu lesen ‚Brenndauer des Zünders fünf Minuten. Hartkott & Fletscher, Munitionsfabrik, Belfast.’
Inzwischen hatte Marholz die Kiste wieder verschlossen. Eigentlich war’s unheimlich, wie gut der Berliner mit Patentschlössern umzugehen verstand. Aber daran dachte jetzt niemand.
Bräntig schob die Patronen in die innere Brusttasche seiner blauen Jacke. Auf seinen Wink versammelten sich die Leute in engen Kreise dicht um ihn. Flüsternd redete er einige Minuten auf sie ein. Und dann sprachen sie ihm die Worte nach, die er ihnen vorgesprochen hatte.
„Wir wollen alles tun, um unsere Freiheit wiederzuerlangen – so wahr uns Gott helfe!“
Ganz feierlich war allen zumute, als das dumpfe Gemurmel der zwanzig Stimmen erklang. Der Schwur war ja nichts als eine Äußerlichkeit. Aber Johannes Bräntig wußte recht gut, wie er gerade Seeleute zu behandeln hatte. Dieses feierliche Versprechen, fest und treu zusammenzuhalten bis zum Letzten, würde auch die Zaghaften stärker und sicherer machen.
Und dann ging man ans Werk.
Während einer der Leute in Höhe der halben Treppe Wache hielt, um die Gefährten rechtzeitig warnen zu können, ging Marholz als der geschickteste mit seinem starken Taschenmesser den Schrauben des kleinen Ventilationsfensters zu Leibe, die es in einem Rahmen festhielten. Das vergitterte Fenster, durch das sich zur Not ein Mann hindurchzwängen konnte, führte durch die hintere Wand des Logis in die Segelkammer, und aus dieser wieder konnte man durch eine mit einem Deckel verschlossene Luke in den Lagerraum des Dreimasters gelangen.
Die Schrauben saßen doch fester als Marholz gedacht hatte. Er fluchte leise und schwitzte. Dann ein Knacks, das Messer war abgebrochen.
„Her mit ‘n andern Knief,“ knurrte der Berliner.
Klaus Groth, der alte Heringsfischer, reichte ihm das seine. Das hielt. –
Schraube auf Schraube wurde vorsichtig herausgezogen. Gerade als Marholz sich über die letzte hermachte, pfiff die Wache leise und schlüpfte die Stufen hinab.
„Der Leutnant!“ hauchte der Mann, blaß vor Erregung.
Wirklich erschien der Engländer wenige Sekunden später auf der Treppe, die schußfertige Mehrladepistole in der Hand. Er wollte wohl nur sehen, was die Deutschen trieben.
Das Bild des Friedens, das sich seinen Blicken darbot, beruhigte ihn schnell. Einige Leute spielten Karten, Peter Gamm hielt eine Handharmonika im Arm, und die übrigen lagen und saßen harmlos herum, darunter auch der Berliner, der sich jetzt, ohne den Engländer irgendwie zu beachten, von seinem Nachbar ein Streichholz für seine Pfeife geben ließ.
Daß dieses friedliche Bild sozusagen ‚künstlich gestellt’ war, um gegen Überraschungen gefeit zu sein, ahnte der Offizier nicht, der nach kurzer Musterung seiner Gefangenen sich wieder davonmachte.
Nun war auch die letzte Schraube heraus.
Und jetzt begann der gefährlichere Teil des Unternehmens. Fritz Marholz mußte auch hierbei als der schlankeste und gewitzteste der kleinen Schar seine Haut zu Markte tragen. Er tat es mehr als gern.
Mit Hilfe von zwei seiner Kameraden zwängte er sich durch den Luftschacht und landete glücklich drüben in der stockdunklen Segelkammer. Hier fand er sich jedoch auch im Finstern zurecht. Nachdem er die Reservesegel, die die in den Lagerraum führende Luke halb bedeckten, etwas beiseite geschafft hatte, hob er den Lukendeckel soweit empor, daß er nur eben hindurchschlüpfen konnte. Hinter sich ließ er ihn wieder zufallen. So konnte niemand, der vielleicht die Segelkammer betrat, merken, daß sich jemand in den Raum hineingeschlichen hatte.
In pechschwarzer Finsternis tastete der Berliner sich nun weiter vor. Hier unten war die Luft von den Gerüchen der Felle mit geradezu pestilenzialischem Gestank angefüllt. Langsam rutscht er über die Fellbündel hinweg. Daß hin und wieder eine Ratte quiekend davonstob, wenn seine Hand sie berührte, genierte den Berlinern nicht.
So arbeitete er sich bis nach der Mitte des Schiffes hin, wo die Bretterstapel lagen. Und hier fand er auch an der rechten Bordwand die geeignete Stelle. An dem Glucksen und Rauschen der vorüberstreichenden Wellen merkte er, daß diese Stelle tief unter dem Wasserspiegel lag.
Im Nu hatte er das mitgebrachte Messer in die Außenwand gestoßen. Daran festigte er mit einem Stück Schnur die drei Dynamitpatronen.
All das tat er im Dunkeln, sich nur auf das Tastgefühl seiner Finger verlassend.
Nun rieb er ein Streichholz an und beschaute sein Werk. Er konnte zufrieden sein.
Ein zweites Hölzchen flammte auf. Den Rest des ersten barg er vorsichtig in der Tasche. Die Zünder der drei Dynamitpatronen glimmten. Und eilig trat Fritz Marholz nun den Rückweg an.
Wohlbehalten langte er wieder bei seinen Gefährten an. Hastig wurde das Fenster eingeschraubt, wobei der Steuermann diesmal half.
Gerade als Bräntig die letzte Schraube einzog, erschütterte ein dumpfer Krach das Fahrzeug, – einen Krach, dem sofort wildes Geschrei und lautes Gerenne an Deck folgten.
Dann stürmten der Leutnant und zwei der Marinesoldaten die Treppe zum Mannschaftslogis hinab. Argwöhnisch schaute der Offizier sich um. Aber seinen Blicken bot sich dasselbe friedliche Bild wie vorhin dar.
Und ziemlich töricht fragte er jetzt, indem er sich an Bräntig wandte:
„Was war das oben? Haben Sie gehört?“
Der Steuermann nickte nur.
„Vielleicht sind wir auf eine treibende Mine gerannt,“ meinte er, sehr geschickt den Ängstlichen spielend.
Der Offizier verschwand wieder mit seinen Leuten. Und stumm wies jetzt Bräntig auf den weiß gescheuerten Fußboden des Mannschaftslogis, der bereits bedenklich schief nach Steuerbord lag.
„Wir haben schon Schlagseite. Die Explosion hat wirklich das gewünschte Leck gerissen,“ flüsterte er.
So war es auch. Als Kapitän Sörensen und der englische Leutnant den Lagerraum betraten, hörten sie deutlich das Rauschen eindringender Wassermassen. Und es mußte ein gewaltiges Leck sein, durch das die See nun gierig hereinströmte.
„Ohne Zweifel eine Mine,“ meinte der Offizier.
Sörensen war derselben Ansicht.
Einige Minuten später, denn der Dreimaster sank zusehends, wurden die Rettungsboote zu Wasser gelassen. Der Leutnant rief die Deutschen gleichzeitig an Deck, wo sie von den Marinesoldaten scharf bewacht wurden.
Der kleinen Schar pochten die Herzen in wilder Erwartung. Jetzt kam ja alles darauf an, daß Steuermann Bräntig mit seinen Mutmaßungen hinsichtlich der Verteilung der Leute auf die Boote recht behielt.
Bange Minuten kamen. Der ‚Kung Christian’ sank tiefer und tiefer. Und dann verteilte der englische Offizier die Mannschaften wirklich so, wie Bräntig dies als das einzig Richtige unter diesen Umständen es erwartet hatte.
Die beiden größten Boote sollten die Gefangenen und die Engländer aufnehmen, während das dritte dem Reste der Besatzung zugewiesen wurde.
Bei dem Hin und Her, das die Einschiffung der Leute notwendig mit sich brachte, konnte es nicht ausbleiben, daß die Marinesoldaten auf die ihrer Obhut anvertrauten Deutschen nicht genügend acht zu geben imstande waren.
Die folgenden Ereignisse spielten sich nun, wenigstens soweit die Kriegsgefangenen dabei tätig waren, derart programmäßig und mit solcher Schnelligkeit ab, da0 die Unbeteiligten, das heißt der Rest der Bemannung des Dreimasters, gar nicht Zeit fand, sich einzumischen. Und ob sie hierzu überhaupt Lust verspürt hätten, war noch sehr fraglich.
Jedenfalls stieß plötzlich, als eben die Hälfte der Deutschen in die beiden Boote geklettert war, der noch an Bord des ‚Kung Christian’ befindliche Steuermann Bräntig einen gellenden Pfiff, das vereinbarte Signal zum Überfall auf die Engländer, aus und stürzte sich gleichzeitig mit pantherartigem Sprung auf den Offizier, der, die Pistole in der Hand ein paar Schritte seitwärts an der Reling stand.
Ehe noch einer der Engländer von seiner Schußwaffe Gebrauch machen konnte, hingen an jedem zwei der deutschen Seeleute und rissen ihn nieder. Auch in den beiden Booten spielte sich die gleiche Szene ab. Und nur einem der Marinesoldaten gelang es mit dem Kolben seine Angreifer zunächst abzuwehren und in den Stern des bewaffneten Rettungsbootes zu flüchten. Bevor er jedoch sein Gewehr in Anschlag bringen konnte, traf ihn bereits ein wuchtiger Hieb mit dem langen Ruder, der ihn bewußtlos hinstreckte. Peter Gamm war es gewesen, wer so blitzschnell auch diesen Feind wehrlos gemacht hatte.
Die Marinesoldaten, denen man alle Waffen abgenommen hatte, wurden nun gefesselt und in den Booten zwischen den Rudersitzen am Boden verstaut. Nur der Leutnant entging dieser durch die ungewöhnlichen Umstände notwendig gewordenen Behandlung und wurde auf sein Versprechen hin, keinen Widerstand mehr zu versuchen, zwischen zwei bewaffnete Matrosen gesetzt.
Dieser ganze wildbewegte Vorgang hatte keine fünf Minuten in Anspruch genommen. Jetzt kam auch das kleine Rettungsboot der Schiffsbesatzung heran, in dem der alte Kapitän ganz starr vor Schreck und Staunen am Ruder saß.
„Aber Bräntig,“ rief er herüber, „sind Sie denn ganz des Teufels! Wenn Sie jetzt einem englischen Kriegsschiff begegnen, so –“
„– so werden einundzwanzig wackere deutsche Soldaten zu sterben wissen,“ schallte es zurück. „Aber ein Trost wird dabei sein, wir nehmen dann den hier unschädlich gemachten Feind mit auf die letzte Fahrt. Und nun Käp’tän, addio! Wir steuern Südost, der Heimat zu. Wasser und Proviant für eine Woche haben wir mit. Inzwischen werden wir ja wohl irgend einem Fahrzeug begegnen. Ist’s ein Engländer, nun dann sind wir verloren. Ist’s ein Neutraler oder einer der Unsrigen, so sind wir gerettet. Die Aussichten stehen also so ziemlich auf pari.“
Bräntig machte eine kurze Pause.
„Leider sehe ich mich nun noch zu einer kleinen Vorsichtsmaßregel gezwungen,“ fügte er dann hinzu.
„Ihr habt vier Ruderpaare und das Segel in eurem Boot. Diese Fortbewegungsmittel kann ich euch nicht alle lassen. Ihr werdet doch fraglos auf die Wellbänke zurudern, wo sicherlich ein paar englische Torpedoboot auf Vorposten sich herumtreiben. Und trefft ihr ein solches, so gebietet euch schon der Selbsterhaltungstrieb, das hier Vorgefallene zu melden. Dann aber würden wir die Bande nur zu schnell auf dem Hals haben. Mithin müssen wir wieder aus demselben Selbsterhaltungstrieb heraus dafür sorgen, daß ihr recht langsam vorwärts kommt und die Well-Bänke recht spät erreicht. Und zu diesem Zweck müssen wir euch jetzt bitten, drei Ruderpaare und das Segel an uns abzugeben. Ja, es hilft wirklich nichts, Kapitän. Fügt euch in das Unabänderliche. Ich möchte nicht gern Gewalt anwenden. Wir haben hier jetzt zwölf Gewehre und drei Pistolen nebst der nötigen Munition in unseren beiden Booten. Das genügt um unserem Wunsch Nachdruck zu verleihen. Laßt uns in Freundschaft scheiden, Käp’ten. Es geht nicht anders, das müßt Ihr einsehen.“
Und Sörensen gehorchte schweigend. Aber ohne Abschiedswort ruderte sein Boot dann davon. Mit der Freundschaft war es aus. Das merkte Bräntig sehr gut.
* * *
Vier Stunden später. Die beiden Boote durchschnitten jetzt vor einer vor kurzem aufgekommenen steifen Ostbrise die leicht bewegte See. Jeden Fetzen Tuch hatte man gesetzt und sogar aus den dem dritten Boot des ‚Kung Christian’ abgenommenen Segeln schnell noch zwei Hilfsmasten aus den Rudern aufgerichtet, die die Fahrt der kleinen Fahrzeuge nicht unwesentlich beschleunigten.
In einem Abstand von vielleicht zwanzig Meter durchfurchten die Boote die blaugrüne Flut. In dem vorderen hatte Steuermann Bräntig mit einem Fernrohr in der Hand Platz genommen und suchte unablässig den Horizont ab, ob er irgendwo ein verdächtiges Fahrzeug erspähte.
Es war gegen zwei Uhr nachmittags, als am westlichen Horizont die Rauchsäule eines Schiffes auftauchte. Sofort wurden alle Segel eingezogen und auch die Masten niedergelegt. Eine Viertelstunde ängstlicher Spannung folgte. Bräntig ließ das von dem ‚Kung Christian’ stammende Fernrohr nicht mehr von den Augen. Jetzt tauchte der Rumpf des Fahrzeuges über der Horizontlinie auf, wo die milchigen Schwaden des Morgennebels längst verschwunden waren.
„Ein Kriegsschiff!“ rief Bräntig atemlos. „Kein Zweifel! Und es kann nur ein englisches sein. Aus West ist nichts anderes zu erwarten. Alles hinlegen in den Booten. Hoffen wir, daß man uns nicht bemerkt.“
In den Booten sah man jetzt doch verschiedene bleich gewordene Gesichter, die hin und wieder über den Bootsrand hinüberlugten. Auch Bräntig hatte sich im Schutz der Bordwand niedergekauert und beobachtete so weiter das fremde Fahrzeug, dessen Kurs es in ziemlicher Nähe an den Flüchtlingen vorbeiführen mußte.
„Es wendet, wahrhaftig, hält auf uns zu,“ stieß er plötzlich atemlos hervor.
Die Boote lagen jetzt dicht nebeneinander und schaukelten träge auf den leichten Wogen hin und her.
Peter Gamm stieß einen seiner berüchtigten Flüche aus. Und auch Fritz Marholz, der Berliner, konnte sich nicht enthalten seinem Herzen durch ein: „Na ick danke! Det jeschäft is oberfaul!“ Luft zu machen.
Die Situation war auch tatsächlich für die deutschen Seeleute mehr als verzweifelt. Fielen sie den Engländern lebend in die Hände, so war tausend gegen eins zu wetten, daß sie ohne viel Federlesens füsiliert wurden. Dafür würde schon der englische Offizier sorgen, dessen wutverzerrtes Gesicht seine finsteren Gedanken deutlich widerspiegelte.
Und dann wieder Bräntigs kräftige Stimme, jetzt aber in jubelndem Tone:
„Das Kriegsschiff wendet immer mehr. Es läuft jetzt direkt nach Nordwest. Und ich kann mir auch denken, welches sein Ziel ist. Dort drüben überm Horizont sind noch eben die Mastspitzen des versinkenden ‚Kung Christian’[3] sichtbar. Den will der Engländer aufs Korn nehmen. Wird den Kahn leer finden, der Herr,“ fügte er lachend hinzu.
Da reckte Peter Gamm sein verbittertes Gesicht etwas hervor und rief:
„Stürmann, da wär för uns ‘ne schlimme Sak! Kapitän Sörensen ward do sicher noch irgendwo herumpaddeln. Mit dem eenen Riemenpoor kann hei noch nich wech sin!“
„Donner – das stimmt!“ entfuhr es Bräntig. „Wenn der Engländer das Boot sichtet und die Leute ausfragt, haben wir ihn in zwei Stunden wieder auf dem Halse. Segel hoch also Jungens! Jetzt gilt’s. Und wir wollen zur Sicherheit scharf nach Nord wenden, da uns der Engländer nachher sicher im Südosten suchen wird.“
Eine halbe Stunde verging. Jetzt waren sowohl die Rauchsäule des feindlichen Schiffes als auch die Mastspitzen des ‚Kung Christian’ unter dem Horizont verschwunden.
Bräntig hatte gerade Wasser, Schiffszwieback und Konservenfleisch verteilen lassen, wovon auch die Engländer ihre Ration erhielten, und nahm nun nach kurzer Stärkung das Fernrohr zur Hand.
Ein neuer Schreck. In der Fernrohrlinse erschien plötzlich das deutliche Bild eines niedrigen, langgestreckten Fahrzeuges, das aus Norden auf die beiden Boote zusteuerte. Immer wieder beäugte der Steuermann den Fremden, dessen Charakter er noch nicht festzustellen vermochte, da die Entfernung zu groß war. Jedenfalls handelte es sich hier aber kaum um ein Kriegsfahrzeuge. Das Schiff besaß nicht einmal, wie Bräntig nun unterscheiden konnte, einen Schornstein, sondern nur einen Deckaufbau, der es bald als Motorjacht enträtseln half.
Allerlei Gedanken durchzuckten da des Steuermanns kühnen Kopf. Die Jacht mußte sein werden, um jeden Preis! Bedeutete sie doch für die kleine Schar so gut wie sichere Rettung. Denn das hatte Bräntig schon längst erkannt, der Fremde da drüben durchschnitt mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit die Wellen. Er lief gut seine dreiundzwanzig Knoten. Mithin war’s einer von den modernen Rennern, wie ihn sich dieser oder jener Millionär und Sportsmann nur zu gern bauen ließ.
Und jetzt war der Steuermann auch mit dem neuen Plan fertig. Auf seinen Befehl änderten die Boote den Kurs und fielen mehr nach Ost ab, so daß im Schutze der Segel die Verkleidungsszene unbeobachtet vor sich gehen konnte, von der sich Bräntig für den Fall, daß es sich um eine englische Jacht handelte, alles versprach.
„Jungens,“ rief er jetzt den Leuten in beiden Booten zu, „zieht den Engländern die Uniformen aus – schnell. Und die von euch, denen sie so ungefähr passen, schlüpfen hinein.“
Während nun das Auswechseln der Kleidungsstücke in wilder Hast begann, viel Zeit hatte man nicht mehr, da die Jacht zusehnends näher kam, klärte Bräntig die Seinen über seine Absichten auf.
„Ist’s ein neutrales oder ein deutsches Fahrzeug, so kann die Maskerade nicht schaden. In jedem Falle wird man uns aufnehmen. Ist’s ein Engländer, so würde er, falls er unsere Nationalität rechtzeitig erkennt, sich entweder auf und davon machen oder aber uns in den Grund zu bohren versuchen, worauf man die Überlebenden von uns einen nach dem andern aus dem Wasser fischen könnte und wir dann in einer noch schlimmeren Patsche als zuvor säßen. Daß wir die Gewehre zu unserer Verteidigung zur Verfügung haben, würde uns vor dem Überranntwerden bei der Schnelligkeit und leichten Manövrierbarkeit der Jacht auch nicht viel nützen. Wir könnten uns ja vielleicht, was ich aber für sehr fraglich erachte, das Motorboot vom Leibe halten, indem wir es befeuerten, würden es aber dadurch nur vertreiben und so dieses wertvolle Rettungsmittel einbüßen. Mithin ist es das Schlaueste, wenn wir meinen Plan genau zur Ausführung bringen.“
Bräntig unterbrach sich hier und rief einem der Leute in seinem Boot zu: „Halt, Mertens! Die Uniform von dem langen Marinesoldaten bleibt für mich vorbehalten. Ich muß notwendig die Maskerade mitmachen, da ich am besten englisch spreche und daher, falls die Jacht unter englischer Flagge fährt, die Verhandlungen führen muß, worauf sehr viel ankommt.“
Er ließ sich die einzelnen Stücke reichen, entledigte sich seines eigenen Anzuges, den der Marinesoldat überstreifen mußte, und stand gleich darauf als strammer Engländer da. Nun gab er den Seinen noch schnell die genauestens Verhaltungsmaßregeln. Nur etwas hatte er zu berücksichtigen vergessen, woran der Berliner jedoch zum Glück noch rechtzeitig erinnerte.
„Steu’rmann,“ rief der jetzt herüber „und was geschieht mit dem Offizier?“
„Donner! Richtig! Halt, ich hab’s. Marholz, ihre Körpergröße entspricht so ungefähr der des Leutnants. Und deshalb werden Sie einen verwundeten englischen Marineoffizier vorstellen. Lassen Sie sich ein paar Tücher ums Gesicht schwingen und – sprechen Sie kein Wort! Das weitere ergibt sich von selbst.“
Bräntig wandte sich jetzt an den Leutnant, der sich gleichfalls in demselben Boot befand.
„Sie müssen Ihre Uniform ausziehen, es hilft nichts,“ erklärte er. „Auch fesseln und knebeln müssen wir Sie wie Ihre Untergebenen, das verlangt unsere eigene Sicherheit.“
Die Antwort waren wüste Schmähreden, Verwünschungen und Drohungen. Sogar die Person des deutschen Kaisers verschonte dieser vor Wut völlig sinnlose Vertreter einer sogenannten Kulturnation mit seinen Anpöbelungen nicht.
Ein Wink des Steuermanns, und kräftige Fäuste rissen den Tobenden nieder. Bald lag er an Händen und Füßen gebunden und mit dem eigenen, zum Knebel gedrehten Taschentuch im Munde in Fritze Marholz’ nicht gerade mehr allzu sauberer Matrosenkluft am Boden des Rettungsbootes.
Inzwischen war die Jacht bis auf etwa achthundert Meter herangekommen.
Bräntig erkannte jetzt deutlich durch sein Fernrohr, daß sie tatsächlich die englische Flagge führte. Ihre Länge schätzte er auf etwa vierzehn Meter. Es handelte sich also um ein schon einigermaßen seetüchtiges Fahrzeug. Ebenso bemerkte er nun auch auf der Mitschiffs gelegenen, niedrigen Kommandobrücke zwei Gestalten, die mit Gläsern nach den Booten hinüberschauten.
Die Entscheidung nahte. Die nächsten zehn Minuten mußten zeigen, ob die kleine deutsche Schar, die so kühl alles auf eine Karte gesetzt hatte, auch weiter vom Glück begünstigt werden würde. Was geschehen konnte, um sich den Erfolg zu sichern, war geschehen. In den beiden Booten lagen die Engländer gefesselt und geknebelt zwischen den Ruderbänken. Diese waren mit denjenigen Deutschen besetzt, die nicht in Uniform gesteckt worden waren, während die angeblichen englischen Marinesoldaten mit den Gewehren zwischen den Knien anscheinend als Wächter, zwei auch als Steuerleute, dasaßen. Die Segel waren schon nach Beendigung des Uniformaustausches eingezogen worden.
Und dann verlangsamte die Jacht die Fahrt und machte etwa dreißig Meter vor den Booten halt.
„Sehr sorglos!“ brummte Bräntig zufrieden. „Sie glauben Landsleute vor sich zu haben.“
„Boote ahoi! Welche Nationalität?“ scholl es nun auf englisch herüber.
Absichtlich beantwortete Bräntig diese Frage nicht sofort, sondern rief zurück:
„Welche Jacht? Welcher Besitzer und Heimathafen?“
„Motorjacht ‚India’, zur Zeit in Diensten der englischen Admiralität als Aufklärungsschiff, Besitzer und Kapitän Lord Landruft, Heimathafen London,“ war die Antwort, die der eine der beiden Männer von der Kommandobrücke herunterrief.
Inzwischen hatte Bräntig Zeit gefunden, schnell die Stärke der Besatzung festzustellen, die sich neugierig auf dem Vorschrift der ‚India’ zusammendrängte. Zwölf Mann zählte er – dazu kam noch das Maschinenpersonal und die beiden Herren von der Kommandobrücke. Es würde einen harten Strauß geben und wohl kaum ohne Blutvergießen abgehen.
Doch zu solchen Gedanken blieb dem braven Steuermann nicht viel Zeit. Alles kam jetzt darauf an, daß er das bereitgehaltene Märchen auch mit der nötigen Glaubwürdigkeit vortrug. Und so brüllte er denn zu der Jacht hinüber:
„Hier ein verwundeter englischer Marineoffizier und zwölf Marinesoldaten mit einundzwanzig deutschen Kriegsgefangenen, die von Bord des norwegischen Dreimasters ‚Kung Christian’ geholt worden sind. Ein Teil der Gefangenen versuchte unterwegs Widerstand und ist gefesselt worden. Der Rest wurde unter Bewachung zur Bedienung der Boote verwandt. Ich bitte uns an Bord der Jacht zu nehmen. Wir suchen unser Schiff, den Kreuzer ‚Kanada’.“
Die da drüben fielen wirklich auf die schlau ersonnene List herein.
Die ‚India’ brachte sich mit ein paar Schraubenschlägen noch näher heran und ließ zunächst das eine Boot längseits kommen. Dies paßte aber Bräntig sehr schlecht in seinen Plan hinein. Sollte die Überrumpelung glücken, so mußte er seine Leute alle gleichzeitig an Deck des feindlichen Fahrzeuges haben. So war es ja auch vorher verabredet worden.
Daher rief er jetzt Peter Gamm, der ebenfalls in englischer Uniform steckte, ein kurzes Kommandowort zu, worauf dieser seinen Leuten einen Wink gab, die nun das zweite Boot gleichfalls neben die Jacht legten.
Dieses Manöver erweckte in keiner Weise das Mißtrauen der Feinde. Ja selbst als sich jetzt fast gleichzeitig die sämtlichen einundzwanzig Deutschen über die von den Booten aus gerade noch zu erreichende Reling schwangen, begrüßten die Engländer ihre angeblichen Landsleute darunter mit freudigen Zurufen.
Dieses Bild sollte sich allerdings urplötzlich ändern. Denn nun stürzten sich die Deutschen, ohne sich auch nur eine Sekunde zu besinnen und so dem Gegner Zeit zu lassen sich von der Überraschung zu erholen, mit einem lauten ‚Hurra!’ auf den Feind. Dieser, geradezu entsetzt darüber, daß sowohl die Uniformierten als auch die angeblichen Kriegsgefangenen über sie herfielen, leistete zunächst kaum Widerstand. Alle an Deck befindlichen waren in wenigen Minuten niedergerungen und mit den bereitgehaltenen Tauen gefesselt. Nur zweien gelang es die Kommandobrücke, die sich über dem Deckaufbau befand, zu erreichen. Aber schon stürmten der plötzlich völlig genesene ‚Leutnant’ Marholz und Bräntig ihnen nach die Treppe empor, jeder eine Pistole in der Hand.
Inzwischen hatten Lord Landruft und der Steuermann jedoch den ersten Schreck von sich abgeschüttelt und gleichfalls ihre umgeschnallten Revolver aus den Lederfutteralen herausgerissenen. So kam es, daß der Berliner, der vor Bräntig die gewundene Treppe zur Kommandobrücke erklomm, mit einer Kugel begrüßt wurde, die ihm in die rechte Seite fuhr und ihn dem nachfolgenden Landsmann halb bewußtlos in die Arme warf. Noch zwei Schüsse folgten, die alle Fritz Marholz galten, der jetzt wie ein lebender Kugelfang vor Bräntig gelehnt dastand. Zum Glück trafen sie nicht.
Peter Gamm war es, der, als er kaum die ersten peitschenknallartigen Detonationen hörte, blitzschnell die Sachlage überschaute. Er riß sein englisches Gewehr an die Schulter, feuerte, lud, feuerte nochmals –.
Der Lord und sein Steuermann drehten sich um sich selbst und schlugen dann schwer zu Boden. Und ehe noch die beiden auf die Brücke geflüchteten Engländer die Schußwaffen der mit so sicherer Hand Niedergestreckten aufnehmen konnten, brüllte ihnen schon Peter Gamm ein donnerndes ‚Hände hoch, oder euch holt der Deubel!’ entgegen. Die Leute mochten einsehen, daß weiterer Widerstand nutzlos war, und ergaben sich nun gleichfalls.
So waren denn die Deutschen mit verhältnismäßig geringem Verlust Herren der Jacht geworden. Nur Fritz Marholz hatte einen bösen Denkzettel abgekommen und lag jetzt bleich, mit geschlossenen Augen auf den weißgescheuerten Planken.
Bräntig fehlte es vorläufig an Zeit, sich des offenbar Schwerverwundeten anzunehmen. Zunächst mußte er dafür sorgen, daß die neuen Gefangenen irgendwo an Bord sicher untergebracht wurden. Die vordere Kajüte wurde von ihm dann für die Engländer in aller Eile zurechtgemacht. Sie bildete einen einzigen, langgestreckten Raum, in dem sich an den Seiten lange Schlafsofas hinzogen. Nachdem sie genau nach Waffen und etwaigen Ausgängen untersucht worden war, wurden die Engländer, vierzehn an der Zahl, die beiden Verwundeten, den Lord und den Steuermann beließ man zunächst noch auf Deck, dort eingesperrt und ein Posten von zwei Mann mit Gewehren vor die Tür gestellt.
Nun erst konnten die beiden Boote, die indessen steuerlos ein Stück weggetrieben waren und in denen die dreizehn Gefesselten vom Kreuzer ‚Kanada’ in ohnmächtiger Wut vergeblich immer wieder ihre Bande zu sprengen suchten, herangeholt werden, worauf dann auch dieser Teil der Feinde den anderen zugesellt wurde.
Nachdem Bräntig aus der in den Gefangenenraum führenden Tür die obere Füllung hatte herausschneiden lassen, so daß die Wache die Leute ständig im Auge behalten konnte, wandte er nun auch seine Fürsorge den drei Verwundeten zu, von denen Lord Landruft eine Kugel in die rechte Schulter und der Steuermann einen ziemlich gefährlichen Streifschußes am Stirnbein abgekommen hatte. Sie worden in des Lords Privatkajüte, ein mit allem Luxus ausgestattetes helles Gemach, getragen, gut gebettet und sorgfältig mit den Verbandsachen aus dem Medizinschrank der ‚India’ verbunden.
Fritz Marholz war noch immer ohnmächtig. Hin und wieder trat blutiger Schaum über seine trockenen Lippen und dann röchelte und rasselte es in der durchschossenen Lunge so furchtbar, daß der alte Klaus Groth, der die Aussicht bei den Kranken übernommen hatte, regelmäßig die braunen, rissigen Hände faltete und ein kurzes Stoßgebet zu dem emporschickte, der hier wohl allein noch helfen konnte.
Mittlerweile war die Sonne im Untergehen dem Rande des Horizonts schon recht nah gekommen.
Bräntig befand sich gerade in dem engen Maschinenraum der Jacht und besichtigte mit zwei von seinen Leuten, die etwas von Benzinmotoren verstanden, den komplizierten Schiffsmotor, als Peter Gamm die Treppe herab polterte und schon von weitem rief:
„Stür’mann, aus West ein Torpedoboot!“
Aus West! Das sagte genug. Ohne Frage also ein englisches! Vielleicht dasjenige, dessen Auftauchen Bräntig schon längst erwartet hatte, und daß die Leute vom dritten Rettungsboot des ‚Kung Christian’ ihnen nachgehetzt hatte.
Die beiden Motorkundigen versuchten sofort ihr Heil. Und wirklich, sie fanden sich in den Hebeln und Stellrädern zurecht. Der Motor lief, und die beiden Schrauben begannen ihren wilden Kreislauf.
Schon stand auch Bräntig, der noch immer die Uniform eines englischen Marinesoldaten trug, auf der Kommandobrücke. Zunächst probierte er den Maschinentelegraphen und das Sprachrohr. Sie arbeiteten nach Wunsch. Dann übernahm Peter Gamm das Steuer. Nun konnte es vorwärts gehen, der Heimat, dem deutschen Vaterlande entgegen.
„Halbe Kraft voraus!“ meldete der Telegraph nach unten.
Schneller schoß die ‚India’ davon, schon jetzt einen hohen Wasserberg nach sich ziehend.
Der Zeiger des Telegraphen schob sich auf ‚Volle Fahrt!’
Johannes Bräntig beobachtete am Kielwasser die Wirkung. Aber nichts erfolgte. Nochmals wiederholte er das Kommando. Die Geschwindigkeit der Jacht blieb dieselbe.
Da wurde er unruhig, beugte sich über das Sprachrohr und rief hinab: „Volle Fahrt hatte ich befohlen! Ist denn etwas in Unordnung am Motor?“
Erst nach einer Weile kam die Antwort zurück.
„Die Benzinzufuhr ist gestört. Wir suchen schon nach dem Fehler.“
Das klang wenig tröstlich. Bräntig nahm das Fernrohr und schaute nach dem Torpedoboot aus, das vielleicht noch sechs Seemeilen entfernt war.
Dann wandte er sich an Peter Gamm, der in dem kleinen Steuerhäuschen inmitten der Brücke am Rade stand.
„Der da hinter uns kommt mächtig auf,“ sagte er ingrimmig. „Und an unserem Motor ist was in Unordnung.“
Der Matrose mit dem graumelierten Bart stieß eine Verwünschung aus und schaute nach rückwärts, wo der dunkle, schlanke Leib des Gegners über die Wellenkämme fegte.
„So ein verwünschtes Pech!“ redete Bräntig sich das bedrückte Herz frei. „Nun haben wir ein schnelllaufendes Fahrzeug und müssen vielleicht doch – er sprach seine Befürchtung nicht aus.
Peter Gamm reckte den Kopf zum Steuerhäuschen heraus, spritzte den braunen Saft seines Priems unbekümmert auf den sauberen Holzbelag der Kommandobrücke und meinte in seiner bedächtigen Art:
„Fünf von uns verstahn ganz gaut mit Schnellfiergeschützn umzugahn, von ihrer Dienstzeit her, Stü’rmann. War forn Spaß, wenn wir dem Kierl do achtern den Kessel kaput scheete könnten.“
Bräntig zuckte ordentlich zusammen. An die Möglichkeit, den Kampf mit dem Feind aufzunehmen, hatte er noch gar nicht gedacht. Vier Schnellfeuergeschütze, die da unten auf Deck, zwei an jeder Bordseite, unter den wasserdichten Bezügen auf ihren tragbaren Lafetten ruhten, hatte er in der Aufregung wirklich ganz vergessen. Erst Peter Gamms zarte, ‚liebevolle’ Andeutung rief sie ihm ins Gedächtnis zurück. Zu Friedenszeiten trug die ‚India’ diese artilleristische Bewaffnung sicher nicht. Aber jetzt, wo Lord Landruft, der seiner Uniform nach den Rang eines englischen Fregattenkapitäns bekleidete, die schnellaufende Jacht der Admiralität seiner eigenen Aussage nach zur Verfügung gestellt hatte, waren ihr die vier Geschütze mitgegeben worden, gerade so wie ja auch die deutschen Hilfskreuzer, die sonst nur als Schnelldampfer friedlichen Verkehrszwecken dienen, im Ernstfall sofort armiert werden.
Peter Gamm, trotz seiner Schwerfälligkeit ein ganz geriebener Bursche, erklärte nun seinem Vorgesetzten, wie er sich das so am leichtesten denke, dem Engländer ‚ord’ntlich wat am Tüge[4] to flicken’.
Bräntig nickte eifrig. „Wenn wir nur noch mit den Vorbereitungen fertig werden, bevor der Engländer uns eingeholt hat, rief er noch und hastete dann die Treppe hinab, um seinen Leuten Bescheid zu geben. –
Fünf Minuten später waren auf Deck der Jacht nur noch die in britischer Uniform steckenden Leute sichtbar. Die beiden Schnellfeuergeschütze von Backbord hatte man in die hintere Kajüte geschafft und dort dicht vor zwei der kleinen, runden Fenster postieren. Die beiden andern standen scheinbar noch harmlos unter ihren Schutzdecken, waren aber inzwischen gleichfalls geladen worden. Die Bedienungsmannschaft hielt sich gut versteckt. Auch dafür, daß die gefangenen Engländer ihm keinen Strich durch die Rechnung machten, hatte Bräntig gesorgt, indem er ihnen streng verbot, sich den Fenstern zu nähern und die Wache auf vier Mann verstärkte, die den Befehl erhielten, jeden niederzuschießen, der irgendwie sich verdächtig benahm. –
In elegantem Bogen schwenkte das Torpedoboot jetzt herum und kam bis auf dreißig Meter längseits der kleinen Jacht, die schon seit Minuten mit abgestoppter Maschine dalag.
Wieder erfolgte jetzt wie vor dem Überfall auf die ‚India’ ein reges Frage- und Antwortspiel.
Bräntig, der seinen Platz auf der Kommandobrücke längst wieder eingenommen hatte, gab willig jede gewünschte Auskunft über ‚woher’ und ‚wohin’ – natürlich eine falsche, soweit dies die letztere Frage betraf.
Dann klang’s wieder von dem Engländer herüber:
„Wir haben da drei Seemeilen hinter uns zwei leere, treibende Rettungsboote gefunden. – Was hat das zu bedeuten?“
Etwas wie Argwohn lag in der ganzen Art, wie man von drüben über diesen Punkt Aufschluß verlangte.
„Ich sagte ja schon, daß wir deutsch Gefangene von dem Dreimaster ‚Kung Christian’ an Bord genommen haben. Die Boote gehörten zu dem genannten Dreimaster.“
Drüben einen Augenblick Stille. Dann:
„Wo sind denn Leutnant Stamford vom Kreuzer ‚Kanada’ und Lord Landruft? Und weshalb haltet ihr südöstlichen Kurs?“
Bränntig merkte, daß man auf dem Torpedoboot, das fraglos von Kapitän Sörensen genau über alles unterrichtet worden war, tatsächlich Verdacht geschöpft hatte. Nun gab’s kein Zaudern mehr. Jede Minute, nein, jede Sekunde war kostbar.
So gab er denn den Leuten an den Schnellfeuergeschützen das vereinbarte Zeichen, indem er wie absichtslos sein Taschentuch zog und es an die Nase führte. Die Bedienungsmannschaften an Deck konnten dies sehr gut selbst beobachten. Und die in der Kajüte hatten einen Posten an der Treppe aufgestellt, damit der sie durch Zuruf verständigte.
Während der deutsche Steuermann nun seine Antwort hinüberbrüllte, flogen die Schutzdecken von den beiden Geschützen auf Steuerbordseite wie von Zauberhänden gepackt, herunter, und neben dem dunkelblinkenden Rohr tauchten bisher hinter der Reling verborgene Gestalten auf.
„Die deutschen Gefangenen haben einen Überfall auf uns versucht,“ ertönte Bräntigs Stimme durch das Sprachrohr. Wort folgte auf Wort. Er wußte kaum mehr was er sagte. Denn alle seine Sinne lauerten auf den Knall der Geschütze, von denen jetzt alles abhing. Gelang es nicht, die Kessel des Torpedobootes zu treffen und es dadurch sofort manövrierunfähig zu machen, so waren er und die Seinen verloren, daran war kaum zu zweifeln. Ehe seine Leute aufs neue geladen haben würden, konnte der Feind längst eine weite Strecke zwischen sich und den angeblichen Landsmann gelegt haben und dann von weitem aus den eigenen Geschützen in aller Ruhe die Jacht wie ein Sieb durchlöchern. Führen doch alle englischen Hochseetorpedoboote auch zwei neunkalibrige Geschütze an Bord, das war dem Steuermann recht gut bekannt.
Und dann kam’s. – Gerade als er das Wort ‚Lord Landruft’ aussprechen wollte, der erste Knall, dem in kurzen Zwischenräumen drei weitere folgten.
Bräntig riß den Hebel des Maschinentelegraphen herum – bis auf ‚volle Fahrt’, obwohl ja die Störung in der Benzinzufuhr diese höchste Ausnutzung der Maschinenkraft gar nicht zuließ.
Doch die beiden Leute unten am Motor hatten gut gearbeitet. Die bisher auf den Wogen hin und her schwankende ‚India’ machte einen förmlichen Satz und raste dann vorwärts, nachdem kaum der Schall des letzten Schusses verhallt war.
Bräntig stand regungslos auf seinem Posten, das Fernrohr vor den Augen, das ihm die Mitte des Gegners, das Teil um die beiden Schornsteine herum, in greifbare Nähe rückte.
Drüben ein wüstes Gebrüll, ein eilfertiges Umherlaufen, Kommandos und – wahrhaftig, jetzt auch ein von Sekunde zu Sekunde stärker werdendes Zischen. Gleichzeitig begannen weiße Dampfwolken den Gegner zu umspielen, hüllten ihn dichter und dichter ein. Kein Zweifel, einer der Kessel war getroffen! Wie Musik tönte den Deutschen auf der ‚India’ dieses Zischen des aus der Einschußöffnungen ausströmenden Dampfes. –
Und dann schallte ein jubelndes, dreimaliges ‚Hurra’ über das Wasser. Wie ein Vergeltungsschrei mußte es den Engländern in den Ohren klingen. –
Bräntig hatte schnell die günstige Situation richtig erfaßt. Er rief Peter Gamm einen kurzen Befehl zu, worauf die Jacht nach Steuerbord schwenkte und in engem Bogen um das Torpedoboot herumfuhr, das jetzt völlig in einer weißen Dampfwolke verschwand.
Die Leute an den Geschützen handelten von selbst. Wieder fuhren vier der kleinen Granaten dem Feinde in die Flanken. Und jetzt eröffnete auch die übrige Mannschaft aus den Gewehren ein lebhaftes Feuer auf die schattenhaften Gestalten, die zuweilen, wenn der Wind den Schleier weißen Dampfes etwas lichtete, auf Deck des Gegners sichtbar wurden.
Der elfte Granatschuß der ‚India’, bei der Verschwommenheilt des Zieles natürlich nur ein Zufallstreffer, explodierte dann offenbar inmitten des zweiten Kessels des Torpedobootes. Wenigstens war die Wirkung kaum anders zu erklären. Auf die Detonation der Geschützentladung erfolgte augenblicklich an Bord des Feindes einen weit stärkerer Krach, begleitet von wilden Angstrufen. Eine mächtige weiße Wolke verbarg jetzt das dem Untergang geweihte Fahrzeug den Blicken der deutschen Seeleute, die unwillkürlich das weitere Feuer einstellten.
Ein neuer Windstoß. Abermals lüfteten sich die weißen Schleier. Jetzt erkannte man erst die furchtbaren Folgen des letzt Schusses. Das Torpedoboot war mitten durchgerissen. Die Explosion des unter Dampfspannung befindlichen zweiten Kessels hatte stärker gewirkt als eine Ladung Dynamit. Von den beiden Schiffshälften ragten nur noch der Bug und das Heck fast senkrecht in die Höhe. Dann versanken sie fast gleichzeitig mit gurgelndem Geräusch unter den Wogen.
Bräntig schüttelte gewaltsam die lähmende Erstarrung von sich ab. Mit heller Stimme klangen seine Kommandos durch die zunehmende Dunkelheit. Es galt diejenigen von der Besatzung des Engländers noch zu retten, die jetzt in den Wellen einen verzweifelten Kampf um ihr Leben kämpften.
Das Rettungsboot der ‚India’ suchte eine halbe Stunde lang den Kampfplatz ab, aber nur vier Leute fand man noch. Der Rest der Besatzung – wie sich später ergab, zwei Offiziere und dreizehn Mann – waren mit ihrem Schiffe untergegangen.
Gerade als die vier Geretteten, die völlig erschöpft waren, das Deck der Jacht betraten, erklang von Westen her, wo bereits leichte Abendnebel den Horizont umhüllten, der heulende Ton einer Sirene.
Lang – kurz – kurz – lang – das war irgend ein Signal.
Schon hatte Bräntig das Fernrohr an den Augen. Das, was er gleich geahnt hatte, bestätigte sich, der Geschützdonner hatte einen Kreuzer herbeigelockt, und daß es sich um einen feindlichen handelte, war nicht zu bezweifeln, obwohl der Steuermann selbst mit dem Glase nur noch sehr undeutlich die Konturen des Kriegsschiffes erkennen konnte.
Trotzdem pochte dem Deutschen das Herz auch nicht eine Sekunde stärker. Hatte ihn doch vorhin der eine der an den Maschinen beschäftigten Leute die erfreuliche Nachricht gebracht, daß der Motor nun tadellos arbeite. Man hatte den Fehler in der Benzinleitung glücklich entdeckt und beseitigt.
Der Maschinentelegraph befahl ‚Volle Fahrt!’. Die ‚India’ schwenkte in den richtigen Südostkurs ein und stürmte davon. Von rückwärts irrte jetzt ein heller, strahlender Lichtkegel über das Wasser.
„Scheinwerferbeleuchtung zum Abschied!“ meinte Bräntig ironisch zu Peter Gamm, der gemütlich am Steuerrad lehnte und mit Behagen einen frischen Priem genoß.
Der Lichtkegel blieb auf der in rasender Fahrt dahinsausenden Jacht haften. Aber es waren nur die letzten, schwachen Strahlen, die die ‚India’ trafen.
Dann drüben ein Knall, gleich darauf etwa zweihundert Meter seitwärts des Flüchtlings ein klatschendes Geräusch und eine hoch aufspritzende Wasserfontäne.
„‘n beeten sehr verbi[5],“ grunzte Peter Gamm.
Noch ein Schuß von drüben. Der ging wieder viel zu kurz.
„Munitionsverschwendung!“ lachte der Mecklenburger am Steuer in seinen struppigen Schifferbart hinein.
Das mochte auch wohl der Engländer einsehen, er hörte mit dem Feuer auf.
Jetzt war selbst durch das Glas nichts mehr von dem Gegner zu sehen, der plötzlich auch seinen Scheinwerfer abgestellt hatte.
Schweigend und dunkel lag die Nacht über der Nordsee. Am Himmel gingen die Sterne auf. Und weiter und weiter eilte die ‚India’ wie ein dunkles Gespenst nach Südost.
Bräntig hatte verboten, irgend eine Laterne anzuzünden, nur in der vorderen Kajüte, dem Gefangenenraum, brannten die beiden Pendellampen an der Decke. Dafür waren aber auch alle Fenster dicht verhängt worden.
Als der Morgen graute, kam man ohne weiteren Zwischenfall den vor Helgoland auf Vorposten befindlichen deutschen Torpedoboot nahe. Da die Jacht jetzt die deutsche Flagge führte, die man unter den Salutflaggen der ‚India’ aufgestöbert hatte, ließ man sie ungehindert heran. Dann lag sie dich neben einem der langgestreckten, schwarzen Fahrzeuge. Frage und Antwort gingen hin und her. Daß ein Teil der Jachtbesatzung in englischen Uniformen steckte, rief bei den Matrosen des Torpedobootes nicht geringen Heiterkeit hervor.
Die Einfahrt der ‚India’ in den Kriegshafen von Helgoland war ein förmlicher Triumphzug. Die wackeren Seeleute wurden – und das hatten sie auch verdient – überall als Helden gefeiert. –
Fritz Marholz’ kräftiger Körper wurde bald Herr über das schwere Wundfieber. Als er zum ersten Mal bei vollem Bewußtsein die Augen aufschlug, schaute er sich unsicher in dem weiten Saal des Helgoländer Marinelazaretts um. Erst allmählich kehrte ihm die Erinnerung zurück. Dann wandte er den Kopf, ganz zufällig. Auf dem Tischchen neben seinem Bett hatte man ihm um den Hals einer Medizinflasche das Band des Eisernen Kreuzes geschlungen.
Lange hafteten seine Augen auf dieser wertvollsten aller Ordensauszeichnungen. Fragend blickte er nun die Schwester an, die neben sein Bett getreten war. Und die sagte freundlich:
„Das gehört Ihnen. Gestern ist es eingetroffen. Und zwölf Tage haben Sie mit dem Fieber gerungen.“
Fritze Marholz lächelte glücklich. Mit zitternder Hand nahm er das schlichte Kreuz herab vom Flaschenhals und legte es sich auf die Brust.
Und dann erzählte die Schwester ihm von den Kameraden, daß Steuermann Bräntig ebenfalls das Eiserne Kreuz erhalten habe, desgleichen Peter Gamm und die Leute, die die Geschütze auf der ‚India’ bedient hätten.
Der Berliner hörte schweigend zu. Und bisweilen fuhr seine Rechte wie streichelnd über die Auszeichnung hin, die nun gerade dort ruhte, wo die englische Kugel eingedrungen war.
Anmerkungen: