Erzählung aus dem südafrikanischen Minendistrikt
von
Walter Kabel.
Eines Abends saßen in einer von dichtem Gebüsch umstandenen Talmulde, einige Kilometer von Kimberley, der südafrikanischen Minenstadt, entfernt, fünf ihrem Äußeren nach zu der ärmeren Bevölkerung gehörige Weiße, in leisem Gespräch beieinander, sämtliche Arbeiter der Viktoria-Diamantmine, – verzweifelte Existenzen, die sicher einst bessere Tage gesehen hatten und langsam von Stufe zu Stufe bis hinab zum Minenarbeiter gesunken waren, – eine Stellung, in der sie mit Chinesen, Indiern, Schwarzen auf derselben Stufe standen.
Einer von diesen Leuten, der in dieser wenig vertrauenswürdigen Gesellschaft offenbar tonangebend war, sagte jetzt beruhigend zu den andern …
„Verlaßt Euch drauf, Jungens! Der Mann kommt sicher? Außerdem holt ihn ja auch Sertelle ab, damit er den Weg nicht verfehlen kann.“ Und sich die grobknochigen, verarbeiteten Hände reibend, setzte er hinzu: „Ich sag Euch, Jungens, – das wird ein großartiges und todsicheres Geschäft, ohne jedes Risiko für uns! Haben wir erst ein anständiges Sümmchen beisammen, so verlassen wir dieses verd… Land und leben wieder drüben im alten Europa als große Herren! Ich denk, so in einem halben Jahre dürften wir genug verdient haben, – genug für uns Sieben, die wir heute die „Aktiengesellschaft zur Ausbeutung der Viktoria-Diamant-Minengesellschaft“ gründen werden.“ Über diesen Witz wurde allseits mit dröhnendem Lachen quittiert.
In demselben Augenblick rauschte es in den Büschen und gleich darauf betraten zwei Männer den verborgenen Platz, die mit ihrer zerrissenen, nachlässigen Kleidung und dem listigen, verwegenen Ausdruck ihrer gebräunten Gesichter nur zu gut zu den anderen paßten.
„N‘ Abend allerseits,“ begrüßte der eine die Anwesenden vertraulich. Und dann sagte er erhobenen Tones. indem er auf seinen Begleiter wies: „Hier stelle ich Euch Master Braziano vor!“ –
Dieser, dem man es auf dem ersten Blick ansah, daß seine Wiege im schönen Italien gestanden hatte, lüftete etwas seinen zerknitterten Filz und setzte sich dann ohne viele Umstände unter die übrigen auf das weiche Moos. Seine schielenden Augen überflogen erst der Reihe nach die einzelnen Gesichter, bevor er in schlechtem Englisch, aber in sehr energischer Art begann:
„Was uns hier zusammengeführt ist bekannt. Ich werde mich morgen als Arbeiter für die Viktoriamine anwerben lassen, und dann kann das Geschäft beginnen. Jeder steckt mir bei guter Gelegenheit während der Arbeitszeit die wertvollsten Steine zu, die er gefunden hat, – aber nur die klarsten und größten. Durch sichere Mittelspersonen werden wir die Diamanten bei einem mir bekannten Händler in Kapstadt unterbringen. Der Erlös wird regelmäßig dort bei der Englischen Bank deponiert. –“
Der, der zuerst schon den Sprecher gemacht hatte, meinte jetzt zögernd:
„Alles recht schön und gut, Master Braziano. Wer aber garantiert uns dafür, daß nicht eines Tages Ihre Mittelsperson mit dem gesamten Bankguthaben, unserem gemeinsamen Verdienst einfach verduftet …?!“
Der Italiener schien auf diese Einwendung vorbereitet zu sein.
„Die Garantie für die Ehrlichkeit des Betreffenden bin ich selbst. Die Gesetze der Kapkolonie bestrafen bekanntlich jeden Diamantdiebstahl aus den Minen mit lebenslänglicher Zwangsarbeit. Verschwindet unser Vertrauensmann, so braucht Ihr nur mich zu denunzieren, – und ich bin verloren. Und daß ich selbst nicht eines Tages aus Kimberley verschwinde, – darüber könnt ihr ja alle wachen.“
„Und wer ist diese Mittelsperson eigentlich?“ fragte einer aus dem Kreise.
„Giacomo Pontevici, ein alter Bekannter von mir, – ein Mann für dessen Ehrlichkeit ich die Hand ins Feuer lege!“ erwiderte Braziano mit einem treuherzig-sein rollenden Blick seiner schielenden Augen. –
Nachdem man noch verabredet hatte, den Franzosen Sertelle nach einiger Zeit zur Sicherung des Allgemeinguts nach Kapstadt zu schicken und hier in Kimberley, um durch nichts Verdacht zu erregen, möglichst wenig öffentlich miteinander zu verkehren, wurde die „Gesellschaft zur Ausbeutung der Viktoria-Diamantminen-Gesellschaft“ ohne großartige Statuten durch bloßen gegenseitigen Handschlag der Mitglieder gegründet.
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Etwa drei Monate später, Anfang Oktober, ließ Johnston, der erste Direktor der Viktoria-Mine, eines Morgens den Aufseher, einen Deutsch-Österreicher namens Schönberg, in sein Büro rufen.
„Schönberg,“ begann der Direktor etwas ungnädig, „wir müssen entschieden die Überwachungsmaßregeln für unsere Arbeiter noch verschärfen. Gestern erhielt ich nämlich einen Brief von unserem Vertreter in Kapstadt, daß dort seit einiger Zeit bei den Diamanthändlern Steine beobachtet werden, und zwar meist große, wasserreine Exemplare, die nur aus unserer Mine stammen können und offenbar hier gestohlen worden sind. Sorgen Sie also dafür, daß das Aufsichtspersonal gehörig die Augen aufmacht. Und, wenn nötig, können wir ja einen Detektiv in die einzelnen Arbeitssektionen einschmuggeln, um diesem Spitzbubenvolk heimlich auf die Finger zu sehen.“
Schönberg, ein wahrer Hühne von Gestalt mit einem blonden Vollbart, schüttelte zu alledem nur ungläubig den Kopf.
„Verzeihen Sie schon, Herr Direktor, aber von einem Diamantendiebstahl hier bei uns kann keine Rede sein. Unsere Aufseher sind alles zuverlässige Leute, und meines Erachtens gibt es keine Möglichkeit für den Arbeiter, auch nur den winzigsten Stein aus der eingezäunten Mine beim Passieren der Tore hinauszuschmuggeln. Früher wagten das ja wohl einige Burschen, indem sie Diamanten verschluckten. Aber seitdem auf meine Veranlassung der Röntgen-Durchleuchtungsapparat angeschafft worden ist, der es uns ermöglicht, jeden Fremdkörper im Innern des Leibes einer Person festzustellen, riskiert keiner der Leute mehr einen so gefährlichen Diebstahl der – ein furchtbares Abschreckungsmittel! – noch dazu mit lebenslänglicher Zwangsarbeit bestraft wird.“
„Und trotzdem unterliegt es für mich keinem Zweifel, daß jene in Kapstadt aufgetauchten Diamanten aus unserer Mine stammen. Unser Vertreter schreibt ausdrücklich in seinem Brief, daß die Steine sämtlich in das für unsere Mine charakteristische Olivengestein eingebettet sind.“
Jetzt wurde Schönberg doch stutzig. Und nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, meinte er zögernd:
„Dürfte ich einen Vorschlag machen, Herr Direktor, am besten kommen wir, falls bei uns wirklich Diamanten heimlich beiseite gebracht werden, den Tätern auf die Spur, wenn wir einen tüchtigen Detektiv nach Kapstadt senden und nachforschen lassen, von wo jene Steine herstammen. Da doch anscheinend schon eine ganze Menge davon im Handel sind, kann es keine großen Schwierigkeiten bereiten, die Spur sozusagen nach rückwärts zu verfolgen. Möglich, daß sie hier nach Kimberley weist. In diesem Falle dürfen wir die Gauner dann sehr bald fest haben.“
„Ihr Vorschlag ist ja recht gut, Schönberg, aber leider hat unser Vertreter schon dieselbe Idee gehabt und vergebens ausprobiert. Die Leute, die die gestohlenen Steine in Kapstadt unterbringen, sind zu schlau. Denen ist nicht beizukommen.“
„Oh, dann allerdings wird es wohl das beste sein, hier mit Detektivs zu arbeiten. Wahrscheinlich haben sich einige Gauner als Arbeiter anwerben lassen, die ihr Glück mit einem neuen Trick versuchen.“
„So glauben Sie jetzt auch, Schönberg, daß wir bestohlen werden?“
„Ja, Herr Direktor,“ entgegnete der Oberaufseher ehrlich. „Denn in Olivengestein eingebettete Diamanten gibt es nur in der Viktoriamine, das weiß ich selbst nur zu gut!“
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Der Betrieb in den Diamantgruben von Kimberley, wo die edlen Steine erst in tieferen Erdschichten, dem sogen. Braunen und Blauen Grunde, gefunden werden, ist ein vollständig bergwerksmäßiger. Die diamantenhaltige Erde wird in den Stollen und Gängen in Körbe verladen und maschinell an die Oberfläche geschafft, wo das wertvolle Material über die feinmaschigen Drahtnetze ausgewaschen wird, so daß die Diamanten in den Waschrahmen liegen bleiben. Die nach ihrer Größe sortierten Steine kommen in ungeschliffenem Zustande in London und Antwerpen auf den Markt, wo sich ständig kapitalkräftige Händler aufhalten, die zumeist zugleich Besitzer von Edelsteinschleifereien sind.
Der Italiener Braziano hatte insofern Glück gehabt, als er bald nach seiner Einstellung als Arbeiter bei der Viktoria-Mine mit der Bedienung eines der Waschrahmen betraut worden war. Seit einiger Zeit hatte er nun einen Gehilfen erhalten, einen kleinen, ruhigen Mann mit einem glattrasierten Gesicht, der still seine Arbeit verrichtete und sich wenig um das Getriebe ringsum zu kümmern schien. Dieser Jim Parker, wie er sich nannte, kam nun eines Nachmittags im November ungefähr vier Wochen nach jenem bemerkenswerten Gespräch zwischen dem Direktor Johnston und Schönberg, in das kleine Häuschen, welches die Arbeitsräume des Oberaufsehers enthielt, der zugleich auch die Tageslisten der zahlreichen Angestellten der Gesellschaft zu führen hatte. Schönberg saß gerade an seinem Tisch, erhob sich aber sofort, als er den Eintretenden erkannt hatte.
„Haben Sie endlich etwas entdeckt?“ fragte er hastig und streckte dem andern die Hand zum Gruß entgegen.
Der angebliche Jim Parker aber war mit dem Hut in der Hand bescheiden an der Tür stehen geblieben. Jetzt raunte er dem Oberaufseher ärgerlich zu:
„Vergessen Sie gefälligst nicht, welche Rolle ich hier spiele! Wenn uns jemand von draußen durchs Fenster beobachtet hat, so dürfte niemand mehr daran glauben, daß ich nur ein einfacher Arbeiter bin. Oder pflegen Sie Ihre Leute stets so kordial zu begrüßen?!“
Schönberg sah ein, daß er einen groben Fehler gemacht hatte und ließ sich wieder auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch nieder.
„Ja, ich habe eine Entdeckung gemacht,“ sagte der Detektiv jetzt leise. „Der Italiener Braziano hat soeben, wie ich deutlich bemerkte, aus dem Waschrahmen einen haselnußgroßen Stein, den einzigen wertvollen, den ich seit Wochen zu Gesicht bekommen habe, entwendet und in die rechte Tasche seines Beinkleides gleiten lassen. Ich werde jetzt an meine Arbeitsstelle zurückkehren und ihn scharf beobachten. Nach einer Viertelstunde kommen Sie dann mit ein paar Aufsehern und nehmen den schieläugigen Spitzbuben fest.“
„Aber inzwischen kann er die Beute längst an eine andere Person weitergegeben oder irgendwo verborgen haben, so daß wir nachher nichts bei ihm finden.“
„Ausgeschlossen! Ich habe meinem Kollegen Hopkins, der am nächsten Waschrahmen tätig ist, beim Fortgehen heimlich einen Wink gegeben, daß er den Burschen nicht aus den Augen läßt!“
Aber der Detektiv irrte sich. Trotzdem man den Italiener in dem Arbeitszimmer Schönbergs aufs genaueste durchsuchte und auch seinen Körper mit dem Röntgenapparat durchleuchtete – man fand nichts bei ihm, was ihn hätte belasten können. Dazu spielte Braziano noch den tief Empörten, beteuerte dem Direktor Johnston gegenüber immer aufs neue seine Unschuld und machte selbst den Vorschlag, in der Umgebung des Waschrahmens sorgfältig nachzusehen, damit es nicht hieße, er habe vielleicht jenen Stein weggeworfen – jenen Stein, den er tatsächlich nie in den Händen gehabt hätte und der nur in der Phantasie dieses elenden Verleumders Jim Parker existiere. – Die ganze Mine geriet über diesen Vorfall in Aufruhr, überall standen laut diskutierende Gruppen zusammen, und die Arbeit ruhte gut eine Stunde lang. Man suchte immer aufs neue nach dem verschwundenen Stein – alles umsonst! Er blieb verschwunden, trotzdem Hopkins, der andere Detektiv, während Parkers Abwesenheit Braziano scharf beobachtet hatte und daher mit gutem Gewissen behaupten konnte, daß dieser den Diamanten noch bei sich müsse, da der Italiener keine Gelegenheit gehabt hätte, sich seiner zu entäußern. – Schließlich blieb den Beamten der Mine nichts anderes übrig, als Braziano bis zur völligen Klärung der Angelegenheit in das Gefängnis von Kimberley einzuliefern.
Am nächsten Morgen wurde Direktor Johnston in seiner Privatwohnung vom Kaffeetisch weg ans Telephon gerufen. Die Gefängnisverwaltung teilte ihm mit, daß der am Tage vorher in Haft genommene italienische Arbeiter Cesare Braziano entflohen sei, nachdem er einen Wärter mit der Wasserkanne seiner Zelle niedergeschlagen hatte. – Sofort spielte der Telegraph nach allen Himmelsrichtungen. Doch eine ganze Woche verging, ohne daß auch nur die geringste Spur des Flüchtlings entdeckt werden konnte. – Dann brachte die Kapstadter Zeitung eines Tages einen langen Bericht über einen geheimnisvollen Mord, der an einem früheren Minenarbeiter namens François Sertelle in dem Hafenviertel Kapstadts verübt worden war. Sertelle hatte dort in einem deutschen Gasthaus seit etwa drei Monaten ein kleines Zimmer bewohnt, war anscheinend ohne jede Beschäftigung und doch ein pünktlicher Zahler gewesen. Eines Morgens fand man ihm dann mit einer Stichwunde im Herzen tot in seinem Bette vor. Und die Polizei fahndete jetzt, wie die Zeitung zu sagen wußte, eifrig nach einem Italiener Giacomo Pontevici, der viel mit Sertelle verkehrt hatte und seit dem Morde auffallenderweise spurlos verschwunden war.
Dieser Zeitungsbericht kam auch den Mitgliedern der famosen „Aktiengesellschaft zur Ausbeutung der Viktoria-Diamantminen-Gesellschaft“ in die Hände. Nach kurzer Beratung hatten diese einen Entschluß gefaßt. Sie kündigten sämtlich ihre bisherige Stellung und verschwanden aus Kimberley. – Direktor Johnston aber erhielt dann nach einer Woche aus Kapstadt von einem unbekannten Absender einen Brief, dessen Inhalt endlich die Aufklärung der geheimnisvollen Diamantendiebstähle brachte. Danach hatte der Italiener Cesare Braziano, der nur ein Auge besaß, die Steine in der Weise aus der Mine herausgeschmuggelt, daß er sie in eine leichte Watteschicht hüllte und in die leere, linke Augenhöhle schob, wo sie hinter dem dann wieder eingesetzten, vorzüglich gearbeiteten und gut passenden Glasauge allerdings aufs beste verborgen waren, da das Geheimnis dieses Verstecks selbst der Röntgenapparat nicht zu lüften vermochte. – Weiter stand dann in dem Brief, daß als Mörder des Franzosen Sertelle tatsächlich nur Giacomo Pontevici in Betracht käme, da dieser die gestohlenen Diamanten in Kapfstadt verkauft und den Erlös auf der Englischen Bank deponiert hätte, wobei Sertelle ihn hätte überwachen sollen. Wohin aber Braziano und Pontevici mit den von der Bank abgehobenen Depotgeldern geflüchtet waren, das wußte der Verfasser des wertvollen Schreibens nicht anzugeben. „Denn,“ hatte er zum Schluß hinzugefügt, „würden wir, die wir um unser Geld betrogen worden sind, auch nur eine Ahnung haben, wo die Halunken sich befinden, so hätten die beiden die längste Zeit gelebt.“ –
Aber auch in diesem Falle arbeitete die englische Polizei schnell und sicher. Bei der Zwischenlandung des Seedampfers „König Edward“, der die Tour Kapstadt-Kalkutta fährt, in den Hafen von Sansibar wurden Braziano und Pontevici verhaftet. Bei ihnen fand man nicht weniger als 220000 Pfund in englischen Banknoten sowie mehrere besonders große, ungeschliffene Diamanten. Das Gericht in Kapstadt verurteilte sie zum Tode. Von den übrigen Mitgliedern der unternehmenden „Aktiengesellschaft“ hat man nie wieder etwas gehört.
—Ende—