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Pfandleiher Immertod

 

Harald Harst

 

Band: 333

 

Pfandleiher Immertod

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Der gefilmte Brief.

Der trübe Wintervormittag bescherte uns einen neuen Fall, der zuerst genau so undurchsichtig erschien wie die grauen Brillengläser des alten Herr Karl Immertod, der uns an dem großen Schreibtisch gegenübersaß und in all seiner vertrockneten Greisenhaftigkeit, Verlegenheit und deutlich spürbaren Unsicherheit nicht gerade den besten Eindruck auf mich machte. Wie mein Freund Harst ihn einschätzte, blieb ungewiß. Zumeist ist er gerade zu den Leuten am liebswürdigsten, die drei Fragezeichen verdienen. Herrn Immertod behandelte er mit kühler Sachlichkeit.

„Es ist also vorgestern nacht bei Ihnen vom Keller aus eingebrochen worden,“ faßte Harst des Pfandleiher langatmige Erklärungen kurz zusammen. „Ihren Tresor vermochten die Diebe nicht zu sprengen, sie nahmen nur wertlose Dinge mit. All das stand auch in den Zeitungen. Die Hauptsache stand nicht darin, Herr Immertod, und die werden Sie uns nun endlich mitteilen. Es ist doch selbstverständlich, daß sie nicht dieser Lappalie wegen zu uns gekommen sind. Was also wurde noch gestohlen, – etwas, das Sie der Polizei verschwiegen haben, nicht wahr?“

Immertod hob das bartlose, faltige Greisengesicht und nickte schwach. „Ja, eine große Bronzefigur, gut einen Meter hoch, Herr Harst.“

„Na also! Nur weiter‥! Und diese Statue war ein Versatzstück, und es muß damit eine besondere Bewandtnis gehabt haben. – Welche?“

Der alte Herr wurde noch nervöser. „Auch … auch das stimmt, Herr Harst… Vor drei Monaten hat ein Bildhauer namens Hugo Schmiedeck die Figur versetzt. Es ist Dutzendware, ich konnte ihm nur zehn Mark dafür geben, und…“

„Die Statue war hohl…“, fiel Harst aufmunternd ein. „Sie entdeckten dies zufällig‥. Was enthielt die Figur?“

Immertod seufzte. „Das zerkratzte Ding war in der Mitte des Leibes, wo der Bogenschütze eine Art Schärpe trägt, auseinanderzuschrauben. Ich fand darin alten Granatschmuck in unechter Fassung, eingewickelt in Watte. Das war vor acht Tagen…“

„Und dann suchten Sie diesen Schmiedeck auf und stellten fest, daß er unter der angegebenen Adresse nicht vorhanden.“

„Nein – ja … das heißt, er … er ist vor drei Wochen begraben worden, Herr Harst… Grippe! Er wohnte draußen im Vorort Lankwitz, sein Atelier ist noch zu vermieten und…“

„Straße?“

„Grüner Weg Nr. 2.“

Harst notierte und fragte dann mit einiger Betonung: „War der Granatschmuck das einzige, das die Figur enthielt?! Wohl kaum! Immer ehrlich, bitte! Den Granatschmuck hätten Sie niemals der Polizei zu verheimlichen brauchen, mithin muß noch irgend etwas geradezu Gefährliches neben dem Schmuck in der hohlen Figur enthalten gewesen sein. – Was?“

Das Männlein mit der Hornbrille und dem kahlen spitzen Schädel trocknete sich vor Erregung den Schweiß von der Stirn und der blanken Glatze und stierte verängstigt durch das eine Fenster an uns vorüber auf die Arnoldstraße hinaus, in der unser neues, ganz bescheidenes Häuschen lag, das wir nach der großen Katastrophe als nunmehr wieder auf Verdienst angewiesene Privatdetektive gekauft hatten.

Immertod zauderte mit der Antwort…

Da schlug im Flur die Glocke an, ich sah, daß draußen ein Dienstmann stand und unserem Famulus einen Brief übergab. –

Fred Steen, lang, jung, semmelblond, klopfte und überreichte dem Pfandleiher das Schreiben.

„Bitte, – für Sie‥!“

Immertod verfärbte sich.

Harst gab Fred Steen einen Wink. „Schalten Sie die elektrische Krone ein, damit Herr Immertod lesen kann.“

Das Licht flammte auf, und Fred verschwand wieder.

Mit zitternden Fingern riß der alte Mann die noch feuchte Briefklappe auf und rückte seine Brille zurecht.

Plötzlich drehte er den Kopf und horchte.

„Was ist das für ein Surren, Herr Harst?“

„Staubsauger… Unser Famulus Fred reinigt im Flur die Läufer.“

„Ach so… – Ich … ich bin sehr … ängstlich,“ bemerkte Immertod überflüssigerweise und entfaltete den Briefbogen.

Harald blickte sinnend zu der elektrischen Krone empor, die unten einen alten kugelförmigen, verzierten Halter für die drei Arme hatte. Ihr Licht war sehr kräftig, und Immertods Greisenkopf schillerte wieder vor Schweißperlen.

Eine geraume Weile regte er sich nicht. Der Inhalt des Schreibens schien ihn völlig gelähmt zu haben.

„Wohl eine Drohung?“ fragte Harst recht laut.

„Nein … nein … keine Rede!“ Der Alte knüllte den Brief schnell zusammen. „Nur … nur eine … eine sehr dringende geschäftliche Angelegenheit… –

Ich … ich … muß sofort … zu einem Bekannten… Wir reden später über diese Sache, Herr Harst … später, – – Sie gestatten, daß ich mich verabschiede…“

„Nein!“

Harald kam hinter dem langen Doppelschreibtisch hervor und legte Immertod die Hand leicht auf die Schulter.

„Wollen Sie nicht alles sagen – trotz der Drohung? Der Brief ist Drohbrief…“

Der alte Mann wurde beängstigend rot vor Ärger.

„Drohung?! – Herr Harst, ich wiederhole, daß…“

Harald winkte kurz ab.

„Gut, gehen Sie also… Vielleicht bedauern Sie Ihre … Feigheit einmal. Gehen Sie nur, – für uns ist die Sache abgetan…“

Karl Immertod hatte es sehr, sehr eilig. Kaum war die Haustür hinter ihm zugefallen, als Fred Steen grinsend mit einer Trittleiter eintrat.

Der Staubsauger lief nicht mehr. Trotzdem war im Zimmer immer noch ein leises Surren zu vernehmen, das erst aufhörte, als ich die elektrische Krone ausschaltete.

Harald stieg die Leiter empor, entnahm der Kronleuchterhalbkugel eine kleine Filmkamera und gab sie unseren tüchtigen Fred.

„Entwickeln Sie den Film sofort‥!“

Fred eilte in den Keller hinab, Harst setzte sich wieder und rauchte nachdenklich eine Zigarette.

„Nun, mein Alter, wie denkst du über die Geschichte?“

Ich zuckte die Achseln. „Noch zu sehr im Anfangsstadium, Harald…“

„Hm‥. Glaubst du?! Und Schmiedecks Tod an Grippe?!“

„Du meinst?!“

„Vielleicht ein sehr geschickter Mord… – Und wie gefiel dir Herr Immertod?“ Dabei verzog er sein schmales Gesicht zu einem geringschätzigen Lächeln, das mir unverständlich blieb.

„Ein … Feigling!“ wiederholte ich seinen eigenen Ausdruck.

„Er schwitzte zu stark,“ sagte Harst sehr zweideutig. „Bitte vergiß das nicht… – Nun will ich meine Notizen ergänzen.“

Nach fünf Minuten trat unser Fred strahlend ein.

„Herr Harst, der Brieftext lautete:

Sollten Sie Harst etwas verraten, so leben Sie keine Stunde länger. Denken Sie an Ihren ominösen Namen! Bisher sind die noch immer rechtzeitig tot gewesen, die uns in die Quere kamen. –

Die sieben Speichen

„Gruselig, wie?!“ belustigtes sich Fred Steen. „Das ist doch mal etwas anderes als die üblichen Bezeichnungen für Geheimsbünde oder geheimnisvolle Schurken! Sieben Speichen!! Da denkt man unwillkürlich an das Rad aus einer mittelalterlichen Folterkammer!!“

Harst blickte ihn ernst mahnend an. „Fred, Sie sollten besser an moderne Dinge denken!! Wirklich!! – – Welche Nummer hatte der Dienstmann, der den Brief brachte?“

„502. Ich würde den Mann wiedererkennen, selbst wenn er sich den Barbarossabart abrasiert.“

„Hoffentlich… – Stellen Sie fest, wie er heißt. Wenn Ihnen das glückt, schenke ich Ihnen hundert Mark. Es wird Ihnen kaum glücken … kaum… Der Bursche gehört zu den sieben Speichen.“

Fred und ich machten beide gleich verdutzte Gesichter.

Harald fügte nur hinzu: „Schraut und ich gehen jetzt zu Immertod… Seine Enkelin vertritt ihn. Ich bin neugierig auf dieses Fräulein Herma Benk…“

 

 

2. Kapitel

Vor der Kneipe ‚Zur Stadt Paris‛.

Karl Immertod wohnte nur wenige Minuten von uns entfernt in der Pariser Straße. Er hatte seine Pfandleihe sehr poetisch ‚Offene Hand‛ getauft. Sie lag rechter Hand im Hochparterre eines älteren Hauses, und im Keller hatte bis vor kurzem ein Gemüsehändler seinen Laden gehabt, der nun leer stand.

Als wir den Geschäftsraum Immertods betraten, erhob sich hinter dem Ladentisch ein riesiger Wolfshund, aber angenehmer als dieser vierbeinige Wächter war das hübsche Mädchengesicht, das leider etwas zu traurige Augen hatte. Herma Benk war nicht hübsch, sie war pikant und rassig, und ihr sicheres Auftreten und ihre weiche Stimme nahmen noch mehr für sie ein. Vielleicht war dieses Auftreten sogar etwas zu selbstbewußt.

„Nein, der Großvater ist noch nicht zurück, Herr Harst,“ erklärte sie uns, nachdem wir am Ladentisch Platz genommen hatten.

„Sie wußten, daß er zu uns wollte?“ meinte Harald und betrachtete das von den Einbrechern aus dem Fußboden herausgesägte Loch, über dem nur ein Kistendeckel lag.

„Gewiß… Obwohl ich nicht begreife, weshalb der Großvater wegen der Statue so viel Aufhebens macht.“

Sie hatte sich an den Tresor gelehnt, und die Deckenlampe beleuchtete ihr schmales, gesundes Gesicht nun noch klarer.

„Er hatte Ihnen verboten, über den Verlust der Statue zu sprechen?“

„Ja…“

„Würden Sie uns einmal die Unterschrift jenes Hugo Schmiedeck zeigen, der den Bogenschützen versetzte?“

„Gern. Nur Bogenschütze stimmt nicht ganz, die Figur stellte einen Bogenspanner in geduckter Haltung dar. – Hier ist die Unterschrift…“

Harald betrachtete den flotten Namenszug sehr genau.

„Ich danke Ihnen, Fräulein Benk. Es genügt mir,“ meinte er höflich. „Treiben Sie viel Sport? Sie haben recht frische Farben…“

Zum ersten Mal bemerkte ich da an dem jungen Mädchen eine gewisse Verlegenheit.

„Wenn ich Zeit habe, unternehme ich weite Spaziergänge, Herr Harst. Nein, Sport übe ich nicht aus.“

„Sie sollten es tun… Sie sind für Ihre Jahre viel zu ernst, fast melancholisch, Fräulein Benk. –

Nun darf ich mir wohl das Loch im Fußboden ansehen… Ihr Großvater erzählte uns, daß er gerade vorgestern nacht den Hund mit hinaus nach seinem Wochenendhäuschen an der Havel bei Galow mitgenommen hätte. Er blieb die Nacht dort… Die Diebe haben ihn zweifellos beobachtet. – Sehr saubere Arbeit, dieses Loch… Das waren Fachleute, keine Anfänger.“

Herma Benk sagte nur kühl ablehnend: „Davon verstehe ich nichts… Nur das weiß ich, daß die Reparatur den Großvater viel Geld kosten wird. Das Haus gehört ihm, und…“ – sie stockte und fuhr fort: „Das ist gleichgültig…“

„Was denn?“

„Oh, – die bösen Jungen unserer Mieter!“

„Klatscht man über Sie?“

„Ja!!“ Merkwürdig genug: Jetzt gab sie sich unfrei, und ihre plötzliche Erregung war gekünstelt. „Die Leute nehmen Anstoß daran, daß ich selbst im Winter zuweilen allein ein paar Tage in unserem Wochenendhaus verbringe, – das ist es!“

Harald lachte gutmütig. „Lassen Sie sie doch schwatzen! Wer Menschenkenner ist, weiß, was man von Ihnen zu halten hat…“

Sie blickte ihn mit jäher Kopfbewegung durchdringend an.

„Und … was halten Sie von mir, Herr Harst?“

„Das werde ich Ihnen später einmal sagen, Fräulein Benk. Mein Urteil dürfte dann vielleicht noch schmeichelhafter ausfallen. – Konnte der Gemüsehändler unten im Keller sich nicht durch sein Geschäft ernähren? Wann zog er aus?“ sprang er auf ein anderes Thema über.

„Vor einer Woche… Er übernahm eine Portierstelle in einer Villa…“

„Wo? Wie heißt er?“

Wieder wurde sie verlegen. „Er heißt Mielke, Ernst Mielke, und die Villa…“ – sie schien nachzudenken – „ja, die Villa liegt in Dahlem, Heinzestraße, glaube ich… Es waren sehr ordentliche Leute, die Mielkes, und ich gönne ihnen das sorgenfrei Leben…“

Harst anscheinend ziellos umherschweifende Blicke blieben nun auf dem recht modernen eingemauerten Tresor haften. „Allzu arg sind die Einbrecher dem Stahlschrank nicht gerade auf den Leib gerückt, Fräulein Benk. Das müssen doch auch Sie als Laiin sehen. Die Beschädigungen sind minimal, die Kunstschlösser offenbar intakt, und ein neuer Lackanstrich wird all das wieder ausgleichen, was die unliebsamen Gäste an Kratzern und Schrammen verursachten.“

Jetzt lächelte sie sogar, wenn auch mit einem Anflug von Bitterkeit. „Großvater hätte auch sehr gejammert, wenn ihm noch weitere Reparaturkosten entstanden wären! Er liebt das Geld, vielleicht eine sehr vernünftige Liebe, obwohl…“ – der Rest war eine sehr unklare Handbewegung, die alles bedeuten konnte – – oder nichts.

„Nun, bei uns ist Herr Immertod dafür auch sehr billig weggekommen,“ scherzte Harst mit liebenswürdiger Ironie. „Er hat gar nichts zu zahlen brauchen, er wurde urplötzlich zu einer Besprechung abberufen und legte auch weiter keinen Wert auf eine Einmischung meinerseits. Wir sind deshalb auch so halb und halb gegen seinen Willen hier und möchten Sie, Fräulein Benk, durch längeres Verweilen nicht in Ungelegenheiten bringen, zumal der ganze Fall für mich keinerlei Interesse bietet. – Was liegt schon an einer billigen Bronzestatue?! Sie werden mir in diesem Punkt recht geben…“

„Allerdings!“ nickte sie übereifrig, aber sichtlich zerstreut, und ihre Augen verrieten zweifellos ein gewisses Mißtrauen, als sie jetzt ihrerseits fragte: „Dann soll ich Ihren Besuch hier wohl besser verschweigen, Herr Harst?“

„Nein. Das wäre zwecklos, denn Ihr Großvater sitzt drüben in der Eckkneipe am Fenster und dürfte uns gesehen haben. Er wird dort auf seinen Geschäftsfreund warten, nehme ich an. –

Guten Morgen, Fräulein Benk… Ich wünsche Ihnen alles Gute…“

Er streckte ihr die Hand hin.

Sie wurde übersehen.

Das junge Mädchen war jäh erblaßt.

Weshalb nur?!

Und dann stieß sie angstvolle hervor: „Wollen Sie den Großvater in der Kneipe nochmals sprechen, Herr Harst? Tun Sie es nicht… Er ist unberechenbar, er kann sehr … sehr grob werden, und ich habe wahrlich meine liebe Not mit ihm…“

Dieses Zimmer hier, das als Geschäftsraum eingerichtet war, hatte linker Hand ein Erkerfenster, durch dessen Scheiben man die kleine Eckkneipe bequem beobachten konnte. Auch ich hatte nun Karl Immertod drüben erspäht, sah von ihm freilich nur die Hände, die noch in denselben grauwollenen Handschuhen steckten, und die große Berliner Weiße, die vor ihm auf dem hellen Tisch stand. –

Herma Benk war hinter den Schrank hervorgekommen und hatte sich neben uns gestellt.

„Sehen Sie etwas Besonderes, Herr Harst?“ fragte sie ebenso zögernd wie beklommen.

Harst erwiderte nichts. Aber wir beide hatten auch kaum Zeit und Lust, lange Erklärungen abzugeben.

Soeben war da ein einfach gekleideter Mann mit fuchsigem Bart in der Tür der Kneipe verschwunden, und hinter ihm her schlenderte ein junger Mensch von erheblicher Länge in einem uns wohlbekannten billigen Sportpelz: Unser Fred Steen, unser famoser Allerweltsgehilfe, Sekretär, Diener, Koch, Türöffner – – und so weiter.

Der Fuchsige nahm jetzt an des alten Pfandleihers Fenstertisch Platz und tat dabei ganz so, als ob Karl Immertod ihm völlig fremd sei.

„Kennen Sie den Rotbärtigen?“ fragte Harst das junge Mädchen in halbem Befehlston. „Bitte – die Wahrheit! Nur nichts verschweigen! Kennen Sie ihn‥?“

„Nein, bestimmt nicht…“ – man hörte ihr an, daß sie sich in größter Erregung befand und doch die Wahrheit sprach. Sie atmete sogar sichtlich erleichtert auf, und fügte nun lediglich hinzu: „Auch Großvater ist der Mann fremd. Wir haben ja gar keinen Verkehr. Ich selbst bin Waise, und…“

Harst lief plötzlich zur Tür.

„Schraut, mitkommen. Auf Wiedersehen, Fräulein Benk‥!“

Wir stürmten die halbe Treppe hinab, und erst auf der Straße mäßigte Harald das Tempo, näherte sich oben von links dem breiten Kneipenfenster. Aus der Tür trat jetzt ein kleiner, schäbig-eleganter Kerl mit merkwürdig großen, runden Augen, ein richtiges Puppenkopfgesicht, sogar die Farbe stimmte: Der Bursche hatte einen geradezu blühenden Teint und rundliche Kugelbacken. Er schlenderte gemächlich von dannen, knöpfte seinen Ulstern zu und entschwand um die Ecke. Kurz nach ihm verließ noch ein Mann das bescheidene Restaurant, und so einfach dieser Mann auch gekleidet war, in seiner ganzen Haltung und in dem federnden Gang lagen eine gewisse natürliche, unbetonte Vornehmheit, die durchaus zu dem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht paßten. Auch er schlenderte in derselben Richtung davon, wir aber wagten es nun, einzeln am Schaufenster der Kneipe vorüberzugehen und nur aus den Augenwinkeln einen Blick auf die beiden Gäste am Fenstertisch zu werfen.

Der Fuchsige hatte einen geleertes Likörglas vor sich stehen, und weit zurückgelehnt saß er auf seinem Stuhl, den Kopf ganz tief gesenkt und die Hände im Schoß verschlungen. Er schien zu schlafen, seine Haltung war trotzdem unnatürlich, und ich bemerkte sehr wohl, daß seine eine Schulter sich gegen den nächsten Stuhl stützte.

Harst blieb unweit der Tür stehen.

„Tot!“ sagte er leise. „Überlassen wir die Dinge hier unserem Fred… – Jetzt Geschwindschritt, mein Alter, wir müssen den Puppenkopf und den Vornehmen einholen und beide im Auge behalten. Frage nichts… Der Fuchsige ist tot… Etwas flinker… Oh – – dieses Pech‥!! Da klettert die Puppe gerade in eine Autotaxe… Die Nummer, – ja, es ist 28791, merke dir’s‥: 28791! Und dort geht der Vornehme, – – Hallo, was bedeutet das denn?!“

Eine sehr elegante dunkle Limousine war an uns vorübergeglitten, hatte kurz gehalten, und im Nu war der Vornehme darin verschwunden, der Wagen glitt weiter, und nur eines lasen wir noch ab: Ebenfalls die Nr.: 305013.

Harst machte halt, schüttelte den Kopf und meinte nur: „Der eine war der Mörder, der andere aber‥?!“

Er drehte sich um, wir erkannten den alten Pfandleiher, der trippelnd über die Straße eilte und sein Haus betrat. Dann erschien auch schon Fred, sah uns, kam schleunigst herbei und erklärte überstürzt: „Der Dienstmann ist erledigt, Herr Harst… Der Wirt telephoniert gerade nach einem Arzt. Aber das dürfte ziemlich zwecklos sein… Tot ist tot – nur Immertod lebt noch. –

Wie lange, das ist eine andere Frage. Die sieben Speichen gehen scharf ins Zeug…“

Wir blickten zu des greisen Pfandleihers Erkerfenstern hinüber. Hinter den Scheiben geisterte ein totenbleiches, völlig verstörtes Gesicht.

„Nach Hause!“ befahl Harst kurz. „Sie gehen voraus, Fred… Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Handelt es sich bestimmt um den Dienstmann, der den Brief überbrachte?“

„Ja. Ganz bestimmt. Der Kerl hatte sich nur den Bart gestutzt. Ich traf ihn zufällig, erkannte ihn und folgte ihm. Er trug keine Dienstmannmütze mehr, und auch die Nase war nicht mehr ganz so blaurote. Hauptsache ist, – er war es … und nun ist er tot…“

Harald machte mit mir einen kleinen Umweg. Aber er sprach kein Wort und überhörte sogar meine geistvollsten Kombinationen über die Möglichkeit eines Giftmordes aus der Ferne, – wir kannten solche Fälle, in denen mit kleinen Spritzen, mit Giftkügelchen und auf noch raffiniertere Art ein Mensch beseitigt worden war.

 

 

3. Kapitel

Der Vornehme entwischt uns.

„Fred Steen,“ sagte Harald daheim zu unserem gelehrigen Famulus, der bereits so ziemlich alle Berufsarten trotz seiner erst achtzehn Jahre durchgeprobt hatte. „Fred Steen, an dem Tod des Dienstmannes sind Sie schuld!“

Nun, unser Fred war nicht auf den Kopf gefallen.

„Verstehe, Herr Harst… Der Zusammenhang stellt sich folgendermaßen dar. Der Pfandleiher erhält hier bei uns den Drohbrief durch den Dienstmann, ich begegne diesem dann, folgte ihm und betrete die Kneipe, halte mich im Hintergrund und beobachtete, daß ein jüngerer Mensch mit einem ganz merkwürdigen Gesicht an den Fenstertisch der beiden tritt, dort am Streichholzbehälter ein Zündholz anreibt, aber drei zerbricht, bis das vierte seine Zigarre in Brand setzt… – Dieser Puppenkopf war der Mörder, und zweifellos hat er den Dienstmann nur deshalb beseitigt, weil ich auf dessen Fährte war, ich, Ihr Famulus. Wie der Puppenschädel allerdings das Gift so flink und unbemerkt in das Likörglas des Rotbärtigen hatte schütten können, weiß ich nicht. Mithin haben die sieben Speichen den Dienstmann als unzuverlässigen Helfershelfer aus Angst vor Ihnen abgetan, Herr Harst. – Nicht aus Angst vor mir. So liegt die Sache.“

„Das stimmt. Sie haben nur den wichtigsten Punkt nicht genügend betont. Wollen wir wetten, daß man bei dem Dienstmann ebenfalls Gift vorfinden wird, nicht nur im Körper, sondern in den Kleidern, in den Taschen, und dieses Gift, darauf kommt es an, sollte den alten Pfandleiher schnellstens ins Jenseits befördern.“

Fred nickte sehr ernst. „So wird es wohl sein, nicht wahr, Herr Schraut? – Sie sind ja so still?!“

Ich saß in meinem Schreibsessel und erklärte ganz ehrlich:

„Ich denke an die dunkle Limousine Nr. 305013. Der Mörder wird verfolgt, behaupte ich. Da war ein Herr mit sehr scharfen Zügen, und dieser Herr glich durchaus einem Gentleman, der genau weiß, was er will…“

Harald, am Schreibtisch lehnend, meinte trocken:

„Und was willst du, mein Alter?“

„Feststellen, wem die Mercedeslimousine gehört.“

„Bitte, – – rufe das Verkehrsamt an… Ich sage dir im Voraus, daß du ein klägliches Fiasko erleben wirst, auch was die Nummer der Autotaxe anbetrifft. Das Puppengesicht ist zweifellos eine der sieben Speichen, und die Leute werden sich so leicht nicht fangen lassen. – Rufe an‥!“

Das Fiasko war vollkommen. Die Autotaxe Nr. 28791 war vorige Woche aus dem Verkehr gezogen worden, und die Nr. 305013 war die des Geschäftswagens eines Fleischermeisters.

„Wir sind also bereits auf dem toten Punkt angelangt,“ meinte Harald achselzuckend. „Weiterhelfen könnte uns nur Herr Karl Immertod, und der wird nichts gestehen, nichts. Er steckt selbst zu tief in dieser dunklen Sache mit darin, der würde, um sein Leben zu retten, tausend Meineide schwören‥. Und all das des bronzenen Bogenspanners wegen, der versetzt und vorgestern gestohlen wurde. – Fred – – an die Schreibmaschine. Vorwärts, Handschuhe anziehen… Einen Bogen mitten aus dem Stapel Papier nehmen, einspannen, – – und nun.

An das Polizeipräsidium Berlin

Alexanderplatz

Jemand, der heute den Mord an dem Unbekannten in der Kneipe ‚Zur Stadt Paris‛ mit erlebte, rät der Polizei, die Leiche des Bildhauers Hugo Schmiedeck, der zuletzt Lankwitz, Grüner Weg 2, wohnte, exhumieren und auf Gift untersuchen zu lassen.

So, Fred, – den Brief schicken Sie sofort ab, – aber Handschuhe anbehalten! Keine Fingerspuren, Vorsicht! Schraut und ich wollen sogleich nach Dahlem, Heinzestraße, hinausfahren. Man kann nie wissen. Vielleicht haben wir Glück…“

Die Heinzestraße weit draußen in dem stillen Vorort zählt nur zwölf Villengrundstücke. Wir schlenderten sie einmal hinab, kehrten um, trafen einen Briefträger. Der gab uns Bescheid.

„Ernst Mielke? Ja, das ist der neue Portier von Herrn Tarboven, – dort die große Villa. – Aber Herr Tarboven ist seit acht Tagen verreist, – nach Italien…“

Tarboven?“ Harst tat, als grübele er angestrengt nach. „Ist das der Sohn des reichen Geheimrates Tarboven, der im Vorjahr starb?“

„Stimmt, der Sohn Viktor Tarboven… – Den Mielke treffen Sie bestimmt an, meine Herren… Aber nehmen Sie sich vor den Hunden in acht… Guten Morgen.“

„Wieder eine Niete!“ meinte ich, als wir weiterschritten.

„Abwarten! Bitte, schau dir dort die Einfahrt nach der Garage an: Eine frische Autospur! – Läuten wir also.“

Ein jüngerer stämmiger Mann in blauer Tuchlivree empfing uns.

„Herr Mielke, nicht wahr?“ erklärte Harst ohne Umschweife.

„Ja, Mielke, Hauswart. Die Herren wünschen?“

„Wir möchten Herrn Tarboven sprechen.“

„Mein Herr ist verreist, – bedauere.“

„Bedaure auch, Herr Mielke. Ihr Herr ist nicht verreist, er war gegen halb elf heute in der Pariser Straße, ich kenne ihn vom Sehen. Melden Sie uns: Harst und Schraut, – – ja, warum erschrecken Sie denn, Herr Mielke? Wäre es Ihnen angenehmer, wir benachrichtigten die Polizei?“

Der Hauswart starrte vor sich hin. „Was wollen Sie denn der Polizei melden, Herr Harst?!“

„Mein Lieber, gehen Sie und bestellen Sie Ihrem Herrn folgendes: Ich bin auf derselben Fährte wie er und werde mit aller Schonung vorgehen! – Also bitte!“

Der arme Mielke, der ohnedies schon verraten hatte, daß er die Einmischung der Polizei fürchtete, bat uns mißmutig in die Vorhalle. „Nehmen Sie Platz, bitte… Ich werde meines Herrn Sekretär rufen.“

„Rufen Sie lieber Ihren Herrn selbst, – – ich warne Sie, Mielke!“

Der Hauswart unterdrückte einen Fluch und entfernte sich. Wir hörten eine Tür klappen, und dann vernahmen wir das heisere Bellen von großen Schäferhunden, bis urplötzlich vier riesige Tiere die Treppe herabstürmten und knurrend vor uns stehen blieben. Es waren geradezu prächtige Rüden, und diese Attacke hätte für uns übel ablaufen können, wenn nicht sofort auch vom oberen Flur her eine messerscharfe Stimme erklungen wäre, die den tadellos dressierten Tieren ein Gehorsam heischendes „Hinlegen!!“ geboten hätte.

Sie gehorchten.

Auf der Treppe erschien ein Herr, der mit dem ‚Vornehmen‛ aus der Pariser Straße allerdings nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Er war kleiner, sogar etwas korpulent, und er stellte sich uns als Doktor Runk, Privatsekretär, vor. Er besaß ein recht undurchdringliches Gesicht, und auch seine Augen waren so eisgekühlte und sein Benehmen so frostig höflich, daß seine Entschuldigung, die Hunde seien ihm durch die Tür geschlüpft, lediglich wie eine Feststellung klang. Er nahm in dem dritten Sessel an dem Seitentischchen der Vorhalle Platz und erklärte fast in einem Atem, Herr Tarboven sei tatsächlich verreist, und er wüßte zur Zeit nicht einmal seine genaue Adresse.

Dieser glattrasierte Herr von etwa vierzig Jahren war als Gegner nicht zu unterschätzen.

Aber mein alter Harst lächelte ihn jetzt so herausfordernd-ironisch an, daß sogar dieses ‚Sekretärs‛ gute Nerven streikten.

„Gewiß ist Herr Tarboven verreist – soeben! Die Hunde sollten das Geräusch des davonfahrenden Autos mit ihrem Kläffen übertönen und uns daran hindern, die Vorhalle wieder zu verlassen. – Herr Doktor Runk, Sie spielen hier ein sehr gefährliches Spiel, und für die Folgen haben Sie einzustehen… Mein Freund Schraut wird jetzt das Polizeirevier anrufen. Ich werde die Beamten davon zu überzeugen wissen, daß der Einbruch bei Pfandleiher Immertod sich in dieser Villa aufklären ließe. Schraut, bitte, entferne dich… Ich bleibe. Unter allen Umständen, Herr Doktor.“

Der Privatsekretär zeigte auch nicht die geringste Spur von Verlegenheit. Das war ein ganz abgebrühter Kunde. Aber eine Blöße gab er sich doch. „Wollen wir diese mir unverständlichen Dinge nicht erst einmal in aller Ruhe durchsprechen, meine Herren?“

Das klang bereits bedeuten zugänglicher. „Sie, meine Herren, fallen hier sozusagen mit der Tür ins Haus, und… – was tun Sie, Herr Harst?!“

Harald hatte das schmale Fenster neben der Eingangstür geöffnet, und Runk suchte ihn umsonst beiseite zu schieben. „Mielke harkt sehr eifrig die neuen Autospuren weg,“ bemerkte Harst mit kaltem Spott. „Sie haben sich verraten, Herr Doktor. Trotzdem bin ich nicht abgeneigt, mich mit Ihnen auszusprechen… –

Tarboven ist bei dem Einbruch beteiligt, der von vornherein dem bronzenen Bogenspanners galt, alles andere war Bluff. Vielleicht schärft Ihnen das eine das Gedächtnis, daß die Leiche des Bildhauers Hugo Schmiedeck noch nachträglich obduziert werden wird. Die Art Grippe, an der Herr Schmiedecke gestorben ist, dürfte dieselbe sein wie die, die heute einem Mann in der Kneipe ‚Zur Stadt Paris‛ den Tod brachte.“

Doktor Runks Mienen veränderten sich nicht einen Deut. Wirklich, der Mann war gefährlich. –

„Kommen Sie, meine Herren, verhandeln wir in Tarbovens Arbeitszimmer,“ bat er wieder eine Kleinigkeit höflicher.

Harst blieb am Fenster stehen. „Nein! Nachdem Tarboven geflüchtet ist, wünsche ich nicht, daß auch noch der Bogenspanner verschwindet. Die Statue befindet sich hier im Haus.“

„Wie absurd!“ meinte der fragwürdige Sekretär mit einem letzten Versuch, Haltung zu bewahren. Es gelang ihm nicht recht. Der Hieb hatte doch gesessen…

„Mielke!“ rief Harst zum Fenster hinaus. „Ich möchte Sie sprechen. Legen Sie nur die Harke weg. Ihre Arbeit ist zwecklos.“

Die vier grauen Wolfshunde verhielten sich still. Sogar Doktor Runk deutete nur ein Achselzucken an.

Mielke trat ein. „Da bin ich … bitte!“

Feindseliger Trotz lag in seinem gesunden Gesicht.

„Wo ist die Bronzefigur des Bogenspanners verborgen?“ fragte Harst den stämmigen Mann mit allem Nachdruck. „Reden Sie, oder Sie sitzen noch heute in einer Zelle, und Doktor Runk desgleichen. Vielleicht wären dann zwei Speichen aus dem Radkranz glücklich herausgebrochen.“

Ich beobachtete…

Mielke verfärbte sich. Ein hilfeheischender Blick flog zu Runk hinüber.

Der Doktor zuckte gleichgültig die Achseln.

„Ich weiß nichts von einer Statue,“ erklärte Mielke da patzigen Tones. „Das ist alles Unsinn… Suchen Sie doch!!“

Harst schüttelte leicht mißbilligend den Kopf.

„Wie töricht, Mielke. Ich habe mir das Loch im Fußboden bei Immertod angesehen, und Herma Benk beschrieb uns die Wohnung und die Lage ihres Zimmers. Sie war vorgestern nacht daheim und hat nichts gehört, obwohl sie Wand an Wand mit dem Kontorraum schläft. Wenn man eine zementierte Kellerdecke durchbricht, muß das Geräusche verursachen, die jeden wecken würden. Aber die Kellerdecke war schon vorher aufgestemmt worden, als Sie, Mielke, noch den Gemüseladen besaßen. Erst als alles genügend vorbereitet war, übernahmen Sie hier die Hauswartstelle. – Mithin ist Tarboven mit im Spiel. Sie auch, und Doktor Runk desgleichen. – Soll ich die Polizei verständigen, oder wollen Sie die Wahrheit gestehen, Mielke? Ich werde den Nachweis führen, daß die Zementdecke schon vorher angeknabbert war und wieder durch ein leicht zu entfernendes Füllmaterial ausgeflickt wurde. Ich werde beweisen, daß auch der Fußboden bereits angebohrt war. Die Einbrecher brauchten vorgestern nacht die Löcher nur durchzustoßen, sie haben nicht mit einer Stichsäge gearbeitet. – Nun, Mielke?“

Der stattliche Mensch schwitzte vor Angst.

Doktor Runk saß mit finsteren Gesichter da.

Er gab seine Sache verloren. „Mielke, holen Sie die Statue, und dann bringen Sie uns eine Flasche Wein. Mir ist die Kehle etwas trocken geworden. –

Herr Harst, Ihnen gegenüber hat es wenig Zweck, Ausflüchte zu gebrauchen.“

„Lügen!“ verbesserte Harald kalt.

Doktor Runk hüstelte verlegen. Mielke nahm die Hunde mit, als er die Treppe emporstieg. Harst rief ihm noch nach: „Lassen Sie aber gefälligst die Statue in dem Zustand, in dem sie sich zur Zeit befindet! Ich warne Sie!!“

 

 

4. Kapitel

Die Statue und die Einbrecher.

Bis zum Wiedererscheinen Mielkes wurde kein Wort gesprochen. Doktor Runk machte einmal den Versuch, Harst in ein Gespräch zu ziehen. Er erhielt keine Antwort.

Nun stand die Statue vor uns auf dem Tisch. Sie war wirklich nur Dutzendware, und ihr ‚Wert‛ lag lediglich in den tadellos sauberen Schraubengewinde, das durch die Falten der Schärpe verborgen wurde. Die Stücke der Figur paßten so genau aufeinander, daß die Rille zwischen ihnen nur bei schärfstem Hinsehen zu bemerken war.

Während Mielke die Weingläser brachte, schraubte Harst die Figur auseinander.

Sie war leer.

Auch jetzt sprach Harald nichts, gar nichts. Er nahm seine Taschenlampe und leuchtete die Höhlung der beiden Hälften sorgfältig ab, betrachtete die Stücke von außen. Dann reichte er mir den Unterteil, und er hielt mir die Unterseite des Sockels dicht vor die Augen. Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um mich nicht irgendwie zu verraten, denn das, was ich dort grob eingeritzt, aber durch Säure halb wieder verwischt, erkannte, war ein Zeichen, wie ich es mir bisher nur in der Phantasie vorgestellt hatte: Eine Radnabe mit sieben Speichen! –

Die Radnabe, das Mittelstück also, von dem die Speichen ausgingen, war viereckig und hatte einen Fleck, ein Loch, in der Mitte, – zwei der Speichen lagen recht eng aneinander und waren bis zum Achsenloch durchgeführt. Gerade hierdurch wurde bei der Figur der Eindruck eines Rades wieder verwischt, ebenso durch das ungewöhnliche viereckige Mittelstück.

Das Bild erinnerte daher auch vielleicht an ein in einem Ring durch Fäden aufgehängtes Mikrophon.

Doktor Runk, der ein sehr scharfer Beobachter sein mußte, erhob sich plötzlich und fragte etwas schroff: „Haben Sie Besonderes dort unten am Sockel entdeckt, Herr Harst?“

Es war ein sehr eigentümlicher Blick, den Harald ihm jetzt zuwarf. „Nur eine Fabrikmarke,“ sagte er so nebenher. „Bitte, – kennen Sie sie?!“

Runk verneinte kurz. „Ich begreife nicht, weshalb Sie dann dieser Fabrikmarke so viel Wichtigkeit beimessen, Herr Harst. – Ich möchte überhaupt…“

Aber Harald schnitt ihm das Wort ab. „Fragen stelle ich, nichts Sie. Setzen wir uns. Auch Sie bleiben hier, Mielke.“

Der etwas seltsame Privatsekretär lächelte nachsichtig.

„Erledigen wir die Dinge in aller Ruhe… – Ihr Wohl, meine Herren, – Sie werden diesen guten alten Burgunder wohl kaum ablehnen…“ Er hob sein Glas und verneigte sich leicht.

Harst nickte. „Daß der Burgunder gut ist, bezweifle ich nicht… Vorher holen Sie uns aber bitte eine neuere Photographie Tarbovens – – sofort. –

Mielke, Sie setzen sich dorthin… Ich möchte auch Sie im Auge behalten.“

Die Gewitterstimmung nahm zu. Runk zögerte.

„Gehorchen Sie!!“ Harst wurde unangenehm scharf.

Mit einem Achselzucken entfernte sich Doktor Runk.

Als er verschwunden war und wir droben eine Türklappen hörten, vertauschte Harst sein Weinglas mit dem Runks und wandte sich an den sehr blassen Mielke.

„Sollten Sie Runk irgendwie warnen, mein Lieber, dann kommen Sie in Untersuchungshaft.“ Er sprach leise, aber mit allem Nachdruck. „Ich weiß, daß zwei der Gläser präpariert waren. Schraut und ich sollten hier wohl ein längeres Schläfchen machen, bis Herr Viktor Tarboven das in Sicherheit gebracht hat, was ihm so äußerst wertvoll erscheint.“

Droben klappte wieder eine Tür. Runk brachte das verlangte Bild. Es stellte den Vornehmen aus der Pariser Straße dar.

„Er ist es…“ meinte Harald nur. Also trinken wir auf eine freundliche Abwicklung, Herr Doktor Runk…“

Runk verbeugte sich und führte das Glas an die Lippen.

„Halt!!“

Der Doktor blickte Harald mißtrauisch an. „Was soll das?! Ihr Zuruf hat mich erschreckt.“ –

Das stimmte. Runk hatte sich den Jackenaufschlag mit Wein begossen. Aber er hatte nicht getrunken.

„Sie haben mein Glas,“ erklärte Harald belustigt. „Und da ich mit einem Schläfer nicht verhandeln kann, sollten Sie nicht trinken. Derartige Späße, Herr Doktor, gehören zum Rüstzeug eines Anfängers. Sie hätten die Sache schlauer einfädeln sollen.“

Runk lächelte etwas verzerrt.

„Geschlagen!“ gab er ohne weiteres zu. „Jetzt haben Sie uns allerdings in der Hand, Herr Harst.“

„Und deshalb antworten Sie kurz und ehrlich, Doktor Runk. Wohin fuhr Tarboven mit seiner Limousine?“

„Das weiß ich nicht, – mein Wort darauf!“ versicherte dieser merkwürdige Herr mit allergrößter Ruhe.

„Wer sind Sie in Wahrheit?“ fragte Harald da.

„Der frühere Kriminalkommissar Doktor Hans Runk aus Bremen, jetzt a.D., weil ich mich mit meinen Vorgesetzten überworfen hatte, im übrigen ein Schulfreund Tarbovens.“

„Das habe ich mir gedacht, deshalb auch die sachgemäße Arbeit an der Kellerzementdecke! – Sie geben doch zu, Herr Doktor, daß Sie die Geschichte vorbereitet und durchgeführt haben? Mit Mielkes Hilfe…“

„Ja! – Was hilft da alles Leugnen, Herr Harst. Sie haben mich tadellos hineingelegt. Wenn Sie mich jetzt aber weiter fragen, weshalb Tarboven auf die Statue so versessen war, muß ich Ihnen gleichzeitig in Mielkes Namen – er war übrigens mit Tarboven im Kriege bei derselben Kompagnie – antworten, daß wir lediglich aus Treue und Anhänglichkeit an Tarboven uns auf diese gefährliche Geschichte eingelassen haben und nicht im geringsten darüber orientiert sind, was Viktor mit alledem beabsichtigt. Ich bin seit vier Wochen sein Gast, ich fand ihn in sehr gedrückter Stimmung bei meiner Ankunft vor, und schließlich erklärte er mir dann, daß seine ganze Existenz davon abhinge, dem Pfandleiher Immertod die Statue auf eine Art und Weise zu stehlen, daß die Diebe nie entdeckt werden könnten. Vorher schon hatte er für Mielke dort im Keller das Gemüsegeschäft eingerichtet, – – weiter wissen wir nichts. Viktor sagte mir stets: ‚Je weniger ich dich einweihe, desto besser für dich!‛ Als er vorhin davonfuhr, flehte er mich an, Sie beide hier um jeden Preis ein paar Stunden festzuhalten. Das Schlafmittel in Ihren Gläsern ist vollkommen harmlos, wenn auch sehr kräftig.“

– Ich war bei alledem ein sehr andächtiger Zuhörer gewesen, aber wenn ich von mir damals hätte behaupten wollen, den Zusammenhang der Dinge auch nur im geringsten zu verstehen, würde ich gelogen haben.

Harst stellte nur noch eine Frage: „War die Statue leer, als Sie sie … holten?“

Runk hob die Schultern. „Viktor behauptete, sie sei leer gewesen… Er war ja mit dabei, aber er hat sie dann zunächst allein aufgeschraubt, und als er mich und Mielke hier in sein Zimmer rief, waren die beiden Teile allerdings leer. Ob er vorher etwas herausgenommen hat, weiß ich nicht, denn er hatte sich eingeschlossen…“

Harald stand jetzt auf. „Herr Doktor, zeigen Sie mir Tarbovens Arbeitszimmer und lassen Sie Schraut und mich dort allein. Ich werde Sie und Mielke selbstverständlich schonen, denn Sie sind hier aus Gutmütigkeit und Ahnungslosigkeit in eine ganz böse Sache mit hineingeraten, bei der Menschenleben keine große Rolle spielen. Der Name des Bildhauers Hugo Schmiedeck war Ihnen beiden fremd, das merkte ich, und das beweist Ihre Arglosigkeit. – Bitte also, – Tarbovens Arbeitszimmer… Wir werden dort eine halbe Stunde zu tun haben. Vielleicht finde ich endlich einen Hinweis, der mich zum Kern dieser vollkommen dunklen Sache hinführt.“

Sowohl Doktor Runk als auch Mielke atmeten sichtlich erleichtert auf, als Harst ihnen versicherte, ihre Tätigkeit als Einbrecher zu verschweigen.

 

 

5. Kapitel

Der kleine Schmetterling.

Tarbovens Arbeitszimmer war mit schlichter Vornehmheit eingerichtet. Wollte man Menschen nach ihrem Wohnungsstil beurteilen, so mußte Tarboven ein sehr gediegener Charakter sein.

Harald hatte sofort das Fernsprechverzeichnis eingesehen und dann eine bestimmte Nummer angerufen, – die der Pfandleihe. Ich stand neben ihm. Herma Benk meldete sich.

„Hier Ihr Bekannter von heute vormittag,“ gab Harst sich zu erkennen. „Der bewußte, selten gern gesehene Herr H.“

„Ah – – Sie!!“

Das klang geradezu ängstlich.

„Ja, der Störenfried und doch der freundschaftliche Helfer, Fräulein Benk. – Wo ist Ihr Großvater?“

„Er hat sich niedergelegt und ein Beruhigungsmittel genommen…“

„Sehr verständig. – Ich wollte Sie nur in Ihrem eigenen Interesse dringend bitten, Fräulein Benk, heute auf keinen Fall die Wohnung zu verlassen, da ich Sie jederzeit wieder anrufen könnte und da Ihnen außerhalb bestimmt ernste Gefahr droht. Werden Sie gehorchen?“

Die Antwort ließ auf sich warten.

„Nein!“ vernahm er es dann zaghaft. „Ich habe eine … eine sehr dringende Verabredung… Aber bis gegen drei Uhr bleibe ich hier, Herr Harst.“

„Oh, das genügt mir. Nur noch eins, Fräulein Benk. Sie haben wohl vom Erkerfenster beobachtet, daß die Polizei aus der Eckkneipe einen Toten wegschaffte. Wahrscheinlich wird Ihr Großvater noch heute verhört werden, da er mit dem so jäh Verstorbenen an einem Tisch gesessen hatte. Erschrecken Sie also nicht, wenn die Kriminalpolizei erscheint, und, wie gesagt, seien Sie vorsichtig, sehr vorsichtig, sobald Sie das Haus verlassen. Benutzen Sie nicht den Bürgersteig, nehmen Sie eine Taxe und…“

„Danke, – – ich habe offene Augen und einigen Mut… Noch etwas? – Nein? – Die Polizei ist schon da, – drei Herren… Schluß…“

Harst legte den Hörer weg und machte ein sehr unzufriedenes Gesicht. „Mein lieber Alter, ich komme mir wie ein hilfloser Säugling vor. Diese Herma Benk ist eine harte Nuß!“

Dann rief er unseren Famulus an. „Fred, genau herhören! Sie nehmen sofort eine tadellose Taxe und bewachen die Pfandleihe. Eine zweite Taxe stellen Sie in der Querstraße auf. Herma Benk habe ich Ihnen beschrieben. Sie müssen ihr auf den Fersen bleiben. Vielleicht sind wir bis dahin selbst zu Hause und lösen Sie ab. – Schluß!“

„So, das wäre erledigt, mein Alter,“ sagte er genau wie vorhin recht mißgestimmt. „Aber was hilft uns das alles?! Wir haben die Einbrecher glücklich entdeckt, und diese Einbrecher sind durchaus ehrenwerte Leute, die lediglich für Tarboven tätig waren. – Was ist nun von diesem Tarboven zu halten? Schon bei dieser Frage geraten wir aufs Glatteis. Der vor kurzem verstorbene Vater, der Geheimrat, war mehrfacher Millionär. Es blieben zwei Kinder zurück, eine mit dem Grafen Konnreuth verheiratete Tochter und der ledige Viktor Tarboven, ein bekannter Tennisspieler, Autofahrer und Segler, Inhaber von vielen Preisen. Daß er diese Pokale hier nicht zur Schau gestellt hat, spricht sehr für ihn. Es ist also keiner jener Sportfexe, die den Rekordwahnsinn mit einer läppischen Eitelkeit verbinden. Auch dieses Zimmer deutet auf einen Mann von verfeinertem Geschmack hin, es hat eine ausgesprochen persönliche Note, und diese Note ist gut. – Wie reimt sich dies mit Tarbovens Machenschaften gegen Immertod zusammen? Weshalb stahl er mit Hilfe treuer Freunde eine Statue, die bestimmt etwas enthielt, aber keinen Granatschmuck? Weshalb entleerte er die Figur bei verschlossenen Türen, bevor er sie seinen Helfern geöffnet und ohne Inhalt zeigte? Was war der Inhalt? – Man könnte annehmen: Etwas ihn schwer belastendes. Vielleicht etwas, das zu Erpressungen gegen ihn benutzt wurde. Aber das sind nur Annahmen. Sie haben keinerlei Fundament. Höchstens das eine, daß Karl Immertod gewußt hat, was die Statue enthielt und daß er in seiner Angst zu uns gerannt kam, was er nach Empfang des Drohbriefes bedauerte. Hiermit kommen wir zu der noch fragwürdigeren Person des alten Pfandleihers und zu der wichtigsten Frage. Gibt es irgend eine Geheimorganisation ‚Sieben Speichen‛? Immertod ist bestimmt nicht harmlos. Er ist geldgierig, hat ein leichtes Gewissen, lügt geschickt und ungeschickt, geht krumme Wege, zu seinem Geiz steht im krassem Widerspruch sein Wochenendhaus und seine winterlichen Ausflüge dorthin…“

Er hatte das alles sehr bedächtig aufgezählt und nahm nun eine neue Zigarette aus seinem Etui. Etwas lebhafter fuhr er fort: „Das Vorhandensein der ‚Sieben Speichen‛ steht für mich fest. Die Figur am Sockel des Bogenspanners ist mir genügend Beweis dafür. Immertod muß zu dieser Verbrecherorganisation, deren Ziele ich nicht kenne, in engster Verbindung gestanden haben. Ob er ihr direkt angehörte, bezweifle ich. Er verdiente nur durch diese Leute, und ‚verdienen‛ ist ihm Sinn und Zweck des Daseins. – Was wissen wir bisher über die ‚Sieben Speichen‛? Eins bestimmt: Das ihr Spionagesystem vorzüglich ist, daß ihre Rücksichtslosigkeit im Vernichten von Menschenleben auf sehr gefährliche Ziele hindeutet, daß zweifellos der Bildhauer Schmiedeck die Statue nur deshalb bei Immertod versetzte, damit dieser, falls die Polizei das Geheimnis des Bogenspanners entdeckte, eine Ausrede hätte, wie er in ihren Besitz gelangt sei, und daß Schmiedecke ermordet wurde, weil er für immer hierüber schweigen sollte. Er war den ‚Sieben Speichen‛ nur ein nebensächliches Werkzeug gewesen, nichts weiter, er wurde bezahlt und … abgetan. Wir wissen ferner noch, und auch dieser Punkt muß hervorgehoben werden, daß der Mörder des Dienstmannes, der Puppenkopf, von Tarboven anscheinend verfolgt wurde – anscheinend. Tarboven hatte seine Limousine in der Nähe der Kneipe aufgestellt, Tarboven fuhr hinter dem Puppenkopf drein. Ob er ihn wirklich verfolgte, die Frage müssen wir offen lassen. Unsere Aufgabe hier in der Villa ist es, Anhaltspunkte zu entdecken, die dieses Dunkel etwas lichten. Die hier vorhandenen verschlossenen Behälter zu durchsuchen, wäre zwecklos. Ein Mann wie Tarboven, der uns beide für Stunden recht fest einschlafen lassen wollte, um Vorsprung zu gewinnen, gibt sich nicht mit Geheimfächern oder dergleichen ab.“

Harst ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Seine Zigarette war erloschen. Er hatte keine Gedanken mehr übrig für seine geliebte Mirakulum. Sein Gesicht war angespannteste geistige Sammlung. Er wollte etwas finden, und mit leisen Schritten ging er nun hierhin und dorthin.

„Wundervolle Rosen,“ meinte er und blieb stehen.

Eine große, altchinesische Vase stand da auf einem Tischchen am Fenster. Die Vasenöffnung war so weit, daß man das Wasser zwischen den grünen Rosenstielen schimmern sah.

Harald hatte mich nähergewinkt.

„Bitte‥!“

Den Ton kannte ich. Das war jene Aufforderung, die von mir eine ‚Entdeckung‛ forderte.

Die Vase war innen weiß und matt lasiert. Das Licht vom Fenster traf die Glasur, und man konnte bis auf den Grund der Vase schauen.

Harst nahm eine der zwölf Rosen heraus und besichtigte die Schnittfläche des Stieles… „Heute frisch aus Tarbovens Treibhäusern gekommen.“ –

Dann tauchte er den Rosenstiel wieder ein und stieß damit mehrfach auf den Boden der Vase auf. „Es fehlen etwa zwölf Zentimeter, mein Alter!“

Im nächsten Augenblick lagen die Rosen auf dem Teppich, Harst goß das Wasser zum Fenster hinaus, drehte die Vase um und lachte leise.

Der Boden war etwas eingedrückt, und in der Mitte ragte ein flacher Zapfen hervor, umgeben von chinesischen Buchstaben.

Er faßte den Zapfen mit Daumen und Zeigefinger, drehte, und drehte das Bodenstück heraus. In dem Hohlraum lagen dicht bei dicht Papiere. Oben auf ein Zettel, auf dem ganz flüchtig gekritzelt war:

28791 Zehlendorf-W. Gumpertstraße 11

Ich begriff sofort. „Harald, er hat die Taxe doch verfolgt!“

„Ja… Steck den Zettel zu dir…“ Er setzte sich und schüttete die Papiere in seinen Schoß. Es waren zumeist Briefe, dann Notizen in einer Geheimschrift, ähnlich der Morseschrift, ein paar Rechnungen und Theaterkartenabschnitte.

„Liebesbriefe, mein Alter…“ sagte Harald während er einige davon überflog. „Sehr aufschlußreich übrigens, diese Briefe. Alle von derselben Mädchenhand geschrieben. Gib mal acht, – – diese Stelle zum Beispiel: ‚Du wirst den Widerstand Deines Vaters nie überwinden, zumal Deine Schwester als verehelichte Gräfin Konnreuth von einer Schwägerin aus so einfachen Kreisen nichts wissen will…‛ – Die Briefe sind sämtlich unterzeichnet: ‚Dein kleiner Schmetterling.‛ – Wer mag das sein? Herma Benk etwa? – Halt, hier ist eine Rechnung… Auch sehr vielsagend: ‚Für Flugzeugführerin-Ausbildung Fräulein Helene Beckers Mk. 1200 erhalten. – K. Grüborg, Staaken–Spandau‛ – Hm: Helene Becker – Herma Benk, dieselben Anfangsbuchstaben‥!! Und hier eine Quittung über ein Sportflugzeug, 22000 Mark, bezahlt im August des Vorjahres.“

Er blickte mich plötzlich starr an. „Max Schraut, es ist Herma Benk. Besinne dich auf die leichte Bräune ihrers Gesichts. Sie behauptete, ihre frischen Wangen rührten von Spaziergängen her. Ich behaupte: Vom Fliegen! Daher auch: ‚Dein kleiner Schmetterling‛. – Der Punkt wäre also geklärt. Tarboven und Herma sind ein Liebespaar. Der alte Tarboven ist erst drei Monate tot, deshalb wartet Viktor mit der Veröffentlichung der Verlobung, außerdem aber wartet er, weil…“ – er brach jäh ab und packte die Papiere zurück in das Vasenversteck, schraubte den Boden darüber zu, lief in das Badezimmer, füllte die Vase, tat die Rosen wieder hinein und hatte es plötzlich sehr eilig, daß ich mir unschwer zusammenreimen konnte, es drohe irgendwo und irgendwie eine noch ernstere Gefahr, die Harald schleunigst beseitigen oder zumindest abschwächen wollte.

„Frage nichts… Nach Hause! Runk und Mielke werde ich instruieren…“ –

Wir stiegen die Treppe hinab, und unten in der Vorhalle erklärte Harald sehr kurz angebunden: „Beobachten Sie beide das Haus Gumpertstraße 11, Zehlendorf-West. Es ist möglich, daß Sie dort irgendwie auf Tarboven stoßen. Bedenken Sie aber, daß Nr. 11 sehr wahrscheinlich ein Verbrechernest sein dürfte, und richten Sie danach Ihr Vorgehen ein, Herr Doktor. Sie sind ja Fachmann.“

Der so leicht nicht aus der Ruhe zu bringende Kommissar a.D. war jetzt doch etwas außer Fassung geraten.

„Wollen Sie mir nicht bitte nähere Erklärungen geben, Herr Harst,“ meinte er äußerst höflich und mit weltmännischer Liebenswürdigkeit.

Harald zögerte und betastete nochmals das hohle Innere der Bronzefigur. Plötzlich führte er den Zeigefinger leicht an die Lippen. Ebenso jäh veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er nahm seine Taschenlampe, schaltete sie ein und leuchtete den gleichfalls hohlen Kopf des Bogenspanners ab.

„Endlich,“ sagte er mit langem Seufzer. „Herr Doktor, bringen Sie mir bitte Siegellack und ein Licht, Mielke mag ein paar Laken herbeischaffen, aber schnell. Beeilen Sie sich‥!“

Er schraubte dann die beiden Stücke der Figur wieder aneinander, hüllte sie in die Laken ein, versiegelte die Lakenränder und befahl Mielke, die Statue irgendwo im Park zu vergraben.

„Legen Sie sie jedoch in einen Korb und lassen Sie sich nicht beobachten. Wir haben keine Zeit… Wiedersehen…“

Es war genau halb zwei, als wir in unserem kleinen Heim in der Arnoldstraße anlangten. Unser umsichtiger Fred hatte uns das Mittagessen warm gestellt. Wie schlangen schnell ein paar Bissen hinab und waren noch vor zwei Uhr neben der Autotaxe, in der unser Famulus unweit der Pfandleihe Wache hielt.

„Fred, hier haben Sie eine Telephonnummer… Wir sind dort zu erreichen, falls hier Besonderes geschieht. Im übrigen bleibt es bei Ihrem Auftrag.“

Eine andere Taxe brachte uns zum Flugplatz Staaken hinaus.

 

 

6. Kapitel

Die sieben Speichen.

Der düstere Winterhimmel hatte sich während des ganzen Tages nicht aufgeklärt, und es wurde jetzt sehr früh dunkel.

Der Flugplatz Staaken, jedem Berliner wohlvertraut, kann sich natürlich in keiner Weise mit dem offiziellen Flughafen Berlin-Tempelhof vergleichen. Trotzdem hatte die milde Witterung der letzten Tage auch in Staaken den Fluglehrbetrieb begünstigt, und wir trafen den bekannten Fluglehrer Grüborg noch im Büroraum seines großen Schuppens an, hatten zunächst also einmal Glück gehabt. Aber Grüborgs Auskünfte waren dann desto unbefriedigender. Gewiß besann er sich noch sehr gut auf seine Schülerin Helene Becker, – – das sei eine sehr junge Dame aus Hamburg gewesen, die nur als Gast bei Verwandten in Berlin geweilt und heimlich Unterricht genommen habe. Er betonte, er hätte nie mehr etwas von ihr gehört. Hier in Staaken habe sie auf keinen Fall ein Sportflugzeug untergestellt, daß müßte er wissen.

Harald war enttäuscht. –

Er zog nun einen der Briefe aus der chinesischen Vase hervor und zeigte Grüborg die Handschrift. „Besitzen Sie noch irgend ein Schreiben der Helene Becker?“

„Sogar ein Bild mit Widmung, Herr Harst… Einen Augenblick… Hier ist es… Helene Becker im Lederdreß. Leider ist die Schutzbrille ihr zu tief von der Kappe herabgerutscht.“

Harst betrachtete das Bild ganz flüchtig. „Ja, es ist Helene Becker. Vielen Dank. Wir haben es eilig.“

Jetzt war Grüborg der Enttäuschte. Er mochte wohl gehofft haben, wir würden ihm einen äußerst interessanten Kriminalfall vortragen, und so gestaltete sich der Abschied etwas kühl.

Wir kletterten wieder in unsere Taxe, die wir hatten warten lassen, und Harst gab dem Chauffeur als nächstes Ziel das an der Havel gelegene Dorf Gatow an.

„Es ist unsere vorletzte Chance, mein Alter… – Sei gefälligst nicht so muffig, nur weil ich es abgelehnt habe, über den Inhalt meines noch unausgebrüteten Eies zu sprechen. Du mußt inzwischen doch gemerkt haben, daß der Fall ‚Immertod‛ seine Nücken und Tücken hat. Soll ich mich auf eine Ansicht festlegen, die nachher Unsinn ist?!

Hier nimm eine Zigarette… Als Friedenspfeife.“

Er rauchte ein paar Züge und fügte weit ernster hinzu: „Helene Becker und Herma Benk sind identisch. Nun bleibt nur die Frage zu lösen: Weshalb hat auch Herma Benk sich den ‚Sieben Speichen‛ zur Verfügung gestellt, also einer Verbrecherbande, an der ihr Großvater viel verdient? Und wie steht wieder Viktor Tarboven zu diesen Dingen?“

Ich fuhr halb herum. „Herma – – und die ‚Sieben Speichen‛, – du scherzt wohl?!“ Und doch wußte ich, daß er es bitterernst meinte.

Harald schwieg eine Weile. „Du zwingst mich nun doch, auf das unfruchtbare Gebiet müßiger Kombinationen, mein lieber Alter. Ich betrete das ungern – sehr ungern. Ich decke auch ungern alle Trümpfe auf. – Herma Benk erzählte uns, sie wohne auch jetzt zuweilen ein paar Tage in ihrem Wochenendhäuschen in Gatow, – du besinnst dich. Du wirst auch noch ihr ganzes Benehmen dir vergegenwärtigen können. Sie war sehr begierig, mein Urteil über ihre Person zu hören, und sie verriet fernerhin ein so deutliches Mißtrauen, daß ich den Eindruck gewann, sie wüßte etwas über die Beziehungen Immertods zu den ‚Sieben Speichen‛. Sie erblaßte, als sie fürchtete, wir könnten die Kneipe betreten, sie warnte uns vor ihres Großvaters ‚Grobheit‛, – nun, diese Warnung war einfach Angst davor, wir könnten uns Immertods ‚Geschäftsfreund‛ näher ansehen. Kurz: Ihr Verhalten bewies mir ziemlich zweifelsfrei, daß sie erstens von dem Geheimnis des Bogenspanners keine Kenntnis hatte, daß sie aber zweitens bestimmt Kenntnis von unsauberen Geschäften des alten Mannes hatte. – Und nun zum Hauptpunkt: Hermas Teilnahme an den dunklen Machenschaften der ‚Sieben Speichen‛. Beachte folgendes: Sie wohnt auch jetzt im Winter tagelang in dem Wochenendhaus, und… – Hallo, was gibt es?!“

Die Taxe hielt plötzlich. Soeben war eine große Limousine vorübergesaust, und unser Fahrer brüllte uns zu: „Die sind wohl nicht ganz bei Trost!! Der Wagen vor uns steht quer über den Weg, und…“

Hier auf der im Winter sehr einsamen Chaussee sollten wir nun endlich die ‚Sieben Speichen‛ persönlich kennen lernen.

Mit einem Mal wurden beide Türen unserer Taxe aufgerissen, vor jeder erkannten wir unklar zwei vermummte Gestalten, und die drohenden Pistolen machten jede Warnung an uns, keinen Widerstand zu leisten, überflüssig.

„Aussteigen, – – Hände vorstrecken!“ befahl eine helle Stimme.

Wir waren gründlich überrumpelt worden.

Alles weitere ging für die Gegenpartei genau so programmmäßig. Stählerne Handfesseln knackten, man verband uns die Augen, auch unser Fahrer mußte mit, seine Taxe steuerte ein anderer, und so gondelten wir nun weiter, – wohin wohl?!

Harst und ich saßen wieder auf den Rücksitzen. Der Wagen fuhr sehr schnell, wir kamen durch Ortschaften mit miserablem Pflaster, und nach meiner Schätzung war eine Stunde vergangen, als die Taxe endlich hielt und man uns in ein Haus und dort eine beläuferte Treppe emporführte und in ein Zimmer stieß, in dem es scharf nach lagerndem Obst roch. Man fesselte uns auch die Beine, drückte uns auf raschelndes Stroh, eine schwere Tür fiel zu, Riegel kreischten, und wir waren allein, – – glaubte ich!

Sofort erklang neben mir Haralds Flüstern: „Kein Wort sprechen, mein Alter, das den Kerlen irgendwie dienlich sein könnte! Vorsicht!!“ – und laut: „Hallo, Chauffeur, sind Sie auch hier?“

„Leider!“ brummte unser Fahrer.

Daß Harald den ‚Sieben Speichen‛ gründlich ihr feines Plänchen, uns hier zu belauschen, verdorbene hatte, bewies schon die nächste Stimme, die sich meldete, und das war das helle Organ, das recht gut einer Frau gehören konnte. „Ob Sie sprechen oder nicht, ist recht gleichgültig – lebend kommen Sie doch nicht von hier fort.“

„So schlimm dürfte es kaum werden,“ meinte Harst mit geradezu aufreizender Gelassenheit. „Nehmen wir einmal an, meine Gnädigste, daß ich damit rechnete, daß uns auf der Chaussee Spandau-Gatow aufgelauert werden würde, und daß ich endlich die bewußten ‚Sieben‛ kennen lernen wollte. – Nehmen wir dies nur an. – Logischerweise muß man dann auch unterstellen, daß ich Vorsorge getroffen habe, rechtzeitig lebend hier wieder herauszukommen. Leuchtet Ihnen das ein, meine Gnädigste? Falls nicht, will ich nur hervorheben, daß ich meine Neunschlüssige in der rechten Manteltasche stecken hatte, und daß der von Ihnen inszenierte Überfall insofern nicht ganz klappte, als Sie und Ihre Leute eine halbe Minute kostbarster Zeit vertrödelten. In dieser halben Minute hätte ich alle neun Schüsse abfeuern können, und nach diesem kleinen Massenmord wäre die Gesamtlage etwas anders gewesen als jetzt. Gewiß, ich verzichte auf so grobe Mittel. Aber Sie haben uns ja aufs allergenaueste durchsucht und mir die Pistole aus der Manteltasche genommen. Beweis genug, daß ich nur in die Tasche zu greifen brauchte, wenn ich die fünf Speichen und die beiden Hauptspeichen hätte abknallen wollen. Zugegeben, daß ich vorläufig dieses Ihr Hauptquartier nicht kannte, meine Gnädigste. Auch Sie nicht. Ich weiß nur, daß Sie eine Frau ohne viel Skrupel, eine tolle Spielratte und eine Verbrecherin sind. Was die sieben Speichen treiben, ist auch noch sehr, sehr dünn hinsichtlich des Belastungsmaterials, – wie gesagt: dünn! Aber ich besitze eine sehr feine Zunge für die verschiedensten Geschmacksnuancen und eine recht große und gute Nase. Sie haben sich zum Beispiel eine meiner Zigaretten angezündet, und der schwache Lichtschein, den ich trotz der Augenbinde bemerke, würde von einer Karbidlaternen her. Sie rauchen sehr hastig. Sie sind sehr nervös geworden, und Sie überlegen voller Angst, wie Sie sich aus der Klemme ziehen können. – Oh, auch Ihr ironisches Lachen klingt recht gezwungen. Darf ich Ihnen einen Rat geben? Vielleicht wären Sie hier noch eine Viertelstunde sicher, dann käme das Ende, – zwei Morde sind etwas viel, Sie werden das einräumen müssen. Und daß vor Gericht die beiden Hauptspeichen, die in der Figur so nahe aneinander liegen, am schlechtesten abschneiden werden, dürften Sie…“

„Genug!!“ Die Frau stieß es hervor wie das giftige Zischen einer Schlange. „Ich kenne Ihre Methoden, Herr Harst! Aber mit so plumpen Einschüchterungsversuchen…“

„Verzeihung… Sie sind nicht nur eingeschüchtert, sondern in heller Angst. Sie haben soeben von mir Dinge gehört, die Sie als mir bereits bekannt nie vermutet hätten. Beachten Sie meinen Rat: Schaffen Sie uns dorthin zurück, wo Sie uns so plump überfallen haben, und ich will die Gefangennahme aus meinem Gedächtnis streichen.“

Wieder das recht gequälte kurze Auflachen der Frau.

„Niemals!! Wir haben scharf aufgepaßt… Es ist uns niemand gefolgt, und Sie könnten nur Hilfe erwarten, wenn etwa ein Motorradler oder ein Auto bis hierher uns auf der Spur geblieben wäre.“

Harald schwieg zunächst. Dann lachte er, – so stillvergnügt, so unendlich überlegen ironisch, daß ich nun mit aller Bestimmtheit den Hauptschlag voraussah…

 

 

7. Kapitel

Harst als Seelenkenner.

„… Motorrad und Auto sind allzu sichtbare Verfolger, meine Gnädigste…“ sagte er belustigt. „Aber es gibt noch andere Arten das Versteck einer Verbrecherbande zu ermitteln. Da sind zum Beispiel Flugzeuge, und daß wir in Staken bei Grüborg waren, werden Ihnen Ihre Spione längs gemeldet haben. Natürlich ist eine leichte Sportmaschine für solche Zwecke nur bei klarem Winterwetter zu benutzen. Also: Flugzeug scheidet aus. – Das nächste Mittel wäre die Chemie‥. Nehmen Sie an, wir hätten sofort, als ihre Limousine uns den Weg versperrte, einem Ballon mit einer Flüssigkeit auf den Weg geschleudert, deren Geruch stundenlang für eine Hundenase auf weiteste Entfernung eine unfehlbare Witterung durch die Autoreifen gibt, die durch die Flüssigkeit gleiten. Aber auch das haben wir nicht getan, wir sind noch einfacher vorgegangen…“

Ein scharrendes Geräusch und ein Poltern belehrten mich, daß die Frau so hastig von einem Stuhl aufgesprungen war, daß der Stuhl umkippte.

„Ah – ein Hund! Nun verstehe ich,“ rief sie atemlos. „Ist die Polizei mit im Spiel? Davon hängt alles ab.“

„Mein Wort, sie ist nicht mit im Spiel. Nur unser Famulus Fred Steen. Ich betone nochmals, ich will diese Gefangennahme vergessen und auch den Suchhund ausschalten, denn ich hoffe, dieses Haus auch auf andere Weise zu finden. Es dürfte irgendwo in der Umgegend von Potsdam liegen… – Entscheiden Sie sich. Die Zeit verrinnt. Bringen Sie uns auf genau demselben Weg an die Stelle des Überfalls zurück, damit ich Steen und den Hund rechtzeitig noch abfangen kann.“

Jetzt hatte Harst gewonnen. Der Hund, der gar nicht existierte, hatte seine Schuldigkeit getan. Wie fein überlegt Harald hier gearbeitet hatte, wurde mir nun erst klar. Er hatte seine Gegnerin zunächst äußerst geschickt in eine Stimmung versetzt, die sie schließlich alles glauben ließ. Er war nicht so ungewandt gewesen, etwa sofort mit dem Phantasiehund herauszuplatzen. Er hatte als guter Seelenkenner diese Frau zunächst mürbe gemacht, und alles andere, was er vorgebracht hatte, mußte den Tatsachen entsprechen, sonst wäre die Frau niemals wie jetzt mit einem hastigen ‚Wir werden beraten!‛ zur Tür hinausgeeilt.

Diese Beratung dauerte nicht lange. Dann traten mehrere Personen ein, und schleunigst wurden wir wieder in die Autotaxe verstaut, fuhren davon, und sicherlich lagen die Dinge nun so, daß weit vor uns die Limousine die Wegränder nach Steen und dem Hund absuchte, um den Phantasiehund und unseren Fred abzufassen. Dann, so rechneten die ‚Speichen‛, hatten sie uns alle in der Gewalt, während sie anderseits noch rechtzeitig flüchten konnten, falls etwa Steen mit größerem Aufgebot anrücken sollte.

Und wie dachte sich Harald die Fortsetzung und den Schluß dieser gefährlichen Komödie?

Der Hund existierte nicht, Fred Steen befand sich zweifellos irgendwo in Gatow. Wenn die ‚Speichen‛ merkten, daß sie geblufft worden waren, und sie mußten dies ja sehr bald merken, hatten wir nichts gewonnen, sondern unsere Lage nur verschlimmert.

Ich zermarterte mir den Kopf, wie Harald diese scharfe Klippe zu umschiffen hoffte, und ich bekam immer stärkeres Herzklopfen, als ich merkte, daß wir sehr langsam fuhren und daß die Limousine vor uns unserem Fahrer und unserem Wächter, der hin und wieder seine schießwütigen Drohungen wiederholte, durch Hupensignale gewisse Zeichen gab.

Ich saß wieder neben Harst auf dem Rücksitz, vor uns hockten unsere Wächter und der arme Taxenchauffeur, der sicherlich Angst schwitzte, auf den Klappsitzen. Das Deckenlicht des Wagens war nicht eingeschaltet, es war dunkel, uns wurden die Hände auf dem Rücken durch Stahlfesseln zusammengehalten, und soweit ich mit den Fingern hatte fühlen können, befanden sich da die üblichen kleinen Schlösser. Sie abzustreifen, war unmöglich.

Minute um Minute verging. Was sollte werden?!

Harst rührte sich nicht. Zuweilen glitten andere Autos an uns vorüber, – dann gewahrte ich deren schnell wieder verschwindenden schwachen Lichtschein.

Wir kamen durch ein Dorf… Elendes Pflaster. Der Wagen stieß und rumpelte… Es war das dritte Dorf. Ich hatte scharf achtgegeben.

Da geschah etwas ganz Unerwartetes.

Harst hatte sich bewegt, ich vernahm einen dumpfen Schlag, dann Haralds Stimme:

„Halten Sie sofort an!! Sofort, oder ich drücke ab‥!“

Der Wagen bremste, hielt…

„Springen Sie raus und – verduften Sie!! Schleunigst!!“

Eine Tür klappte, dann ruckte die Taxe wieder an, bog rechts ab, und in schnellem Tempo sausten wir eine sehr glatte Straße hinab, – noch ein paar Wendungen, und wir hielten wieder.

Ein Schlüssel öffnete meine Fesseln, die Augenbinde wurde entfernt, und Harald sagte zu dem Chauffeur, der nun auch wieder frei war: „An diesen Abend werden Sie denken, mein Lieber, nicht wahr?!“

„Und ob, und ob! Aber wie sind Sie die Stahlfesseln losgeworden, Herr Harst?“

Das Deckenlicht war nun eingeschaltet.

„Wie?! Fragen Sie nur meinen Freund Schraut. Er weiß es bestimmt!“

Mein Freund kann zuweilen recht bissig werden.

„… Aber ich kann es Ihnen ja schließlich auch selbst erklären, lieber Leidensgefährte… Ich habe tatsächlich mit dem Überfall gerechnet. Ich wollte diese Leute kennenlernen, bevor ich endgültig zupacke. Ich traf daher gewisse Vorbereitungen. Daß wir sehr genau durchsucht werden würden, wußte ich. Es wäre also zwecklos gewesen, etwa unten im Ärmel die nötigen Werkzeuge zu verbergen. Für solche Fälle habe ich mir unlängst eine Garnitur Manschettenknöpfe mit Kettchen als Verbindung selbst hergestellt, – und diesen Trick behalten Sie für sich, mein Lieber!“

„Selbstredend, Herr Harst‥!“

„Sehen Sie her… Der eine Knebel jedes Manschettenknopfes besteht aus einem winzigen, als Messer nicht erkennbaren Perlmutterstück, der zweite Knebel, auch Perlmutt, enthält ein Schlüsselchen für Stahlfesseln, auch als Messerklinge montiert. Die Kettchen wieder sind so lang, so daß ich selbst mit gefesselten Händen die Werkzeuge öffnen und benutzen kann. Es gehört einige Übung und Geschicklichkeit dazu, gewiß. –

Mein Freund Schraut macht zu alledem ein sehr ärgerliches Gesicht, weil ich ihm von diesen Manschettenknöpfen nichts erzählt habe. Er beschäftigt sich in seinem Mußestunden mit Tintenvergeudung, ich mit technischen Spielereien und geistigen Akrobatenkunststücken. Jedem das seine!“

„Allerhand Achtung, feine Idee!“ spendete der Chauffeur eine ehrlich gemeinte Anerkennung.

Ich sagte gar nichts. Ich war verstimmt. Mein guter Harst kann es nun einmal nicht lassen, selbst mir Überraschungen zu bereiten, die als Ausklang so eine kleine Blamage für mich enthalten. Trotzdem, diese Manschettenknöpfe machten ihm alle Ehre!

„Wo sind wir denn hier?“ fragte ich ablenken und blickte in die trübe Dunkelheit hinaus. Die Wagenlampen waren ausgeschaltet, und Harst knipste jetzt auch das Deckenlicht aus.

„Auf einem Feldweg unweit Gatow, mein Alter, und etwa fünfhundert Meter von der Stelle des Überfalles entfernt.“

„Unmöglich!! In Gatow? Schon?! Wir waren doch kaum eine halbe Stunde unterwegs und in einem wahren Schneckentempo.“

Auch unser Chauffeur hustete zweifelnd. „Herr Harst, entschuldigen Sie schon… Wir brauchten zur Hinfahrt etwa eine Stunde, – die Taxameteruhr zum Beispiel…“

„Still!!“

Wir standen neben den Wagen. Rechts weit vor uns blinkten matte Lichter, – das mußte Gatow sein. Dicht vor uns hinter Baumstämmen schimmerte ein einzelnes Licht.

Wir horchten. Irgendwo krächzte eine verschlafene Krähe.

„Was gibt es?!“ flüsterte der überängstliche Chauffeur. „Und wo ist eigentlich der Kerl geblieben, der uns bewachte? Hat der Fahrer ihn mitnehmen müssen? Sie hatten den Wächter doch niedergeschlagen, Herr Harst…“

„Still‥!!“ –

Harst beugte sich schnell in den Wagen hinein und nahm die Repetierpistole des Wächters vom Sitz.

Abermals krächzt die Krähe… Sie mußte drüben in den Bäumen sitzen.

Zu sehen war gar nichts.

„Es sind Signale,“ raunte Harst mir zu. „Wir müssen die Taxe dort in die Büsche schieben. Vorwärts‥!“

Der Wagen stand dort gut versteckt. Jetzt erst konnte ich feststellen, nachdem meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, daß sich hier zwei Feldwege kreuzten.

Da – wieder der Krähenschrei, dreimal…

Es war ein Signal. Das Licht in dem nahen Bäumen erlosch.

Dann vernahmen wir Surren und ein kleines offenes Auto tauchte vor uns auf, es war zweifellos aus dem Grundstück mit den vielen Bäumen auf den Weg eingebogen, – wir drückten uns noch tiefer in den Schatten der entlaubten Bäume, und das Kleinauto fuhr an uns vorüber nach Norden zu eine Anhöhe hinan und verschwand. Trotz der Finsternis hatte ich erkannte, daß eine Frau am Steuer des Wagens gesessen hatte. Sie war die einzige Insassin des ohne Lichter flott dahinschießenden Autos, und sie mußte eine sehr sichere Fahrerin sein und jeden Fußbreit Boden hier kennen, um ein solches Tempo auf dem schlechten Feldweg überhaupt zu riskieren.

„Donnerwetter, hatte die es eilig,“ murmelte unser Chauffeur. „Na nu, – was ist denn los?!“ fügte er erschrocken hinzu.

Eine tief gebückte Gestalt folgte dem Auto in erstaunlichen Riesensätzen.

„Das … ist Fred Steen,“ meinte Harald sichtlich erfreut. „Wir haben, so scheint es, ungeheures Glück gehabt… Ich möchte wetten, das Haus da vor uns ist Immertods Sommerheim, und die flinke Fahrerin kann nur Helene Becker gewesen sein… – Chauffeur, Sie bleiben hier… Lassen Sie sich nicht sehen. Wir müssen hinter unserem Famulus drein, der wieder einmal beweist, welche Perle er ist! –

Los also, – Trab, mein Alter‥! Und bück dich… Wir dürfen nicht bemerkt werden.“

Als wir über die Anhöhe kamen, sahen wir weit vor uns eine Bodenwelle, auf der eine einsame Scheune stand. Der Himmel war dort etwas heller, und undeutlich gewahrten wir auch das kleine Auto, das soeben neben der Scheune auftauchte und hinter ihr halt machte, – es tauchte nicht wieder auf.

„Galopp!“ rief Harald halblaut. „Es ist Herma Benk‥. „Wir müssen zur Zeit zur Stelle sein! Steen weiß ja nicht, wie er sich zu verhalten hat…“

Ich gab mir die redlichste Mühe, neben ihm zu bleiben, aber er gewann immer mehr Vorsprung, und als wir dann an das Gittertor eines langen Stacheldrahtzaunes kamen, das nur noch hundert Meter von der Scheune entfernt war, trafen wir hier mit unserem tüchtigen Fred zusammen, der dicht am Boden kauerte und ein Fernglas an die Augen gepreßt hielt.

„Da – – ein Flugzeug!!“ verkündete er keuchend. „Herma Benk steigt ein… Zwei Kerle sind mit dabei. Der Motor springt an… Es rollt… Es fliegt… Eine sehr schnelle, wendige Maschine…“

Mit einem Seufzer ließ er das Glas sinken. „War das ein Dauerlauf, Herr Harst!! Langstreckenrekordläufer!! Was tun wir nun? Was soll das alles? Wer sind die Kerle, die jetzt die Scheunentore wieder schließen?“

„Speichen“, sagte Harst nur. „Zwei von den Speichen, lieber Fred. Wir wollen uns aber besser dort drüben in den Graben legen, ich vermute, die Kerle werden das Gatter benutzen und sehr bald erscheinen.“

Dies traf zu. Die beiden Männer kamen recht dicht an uns vorüber, schlugen einen Fußpfad nach Osten zu ein, wo in einem Waldstück einzelne Lichter blinkten. Dort mußte ein größeres Haus stehen.

„Sehen wir uns die Scheune an!“ Und Harst näherte sich dem einsamen Bretterbau, der schon recht verwittert war, in vorsichtigem Bogen.

 

 

8. Kapitel

Viktor Tarbovens Geständnis.

Der helle Fleck am nördlichen Himmel hatte sich immer weiter ausgedehnt, und so gering dadurch das Nachlassen der nächtlichen Dunkelheit geworden war, wir konnten nun wenigstens das Gelände rund um die Scheune, das in weitem Umfang eingezäunt war, einigermaßen in seiner Bodenbildung und Eigenart erkennen.

Ich möchte hier keine langatmige Schilderung einfügen.

Wir hatten uns nach links hin unterhalb des Abhangs, wo zwischen dem Baumbestand eine Lücke klaffte, entlanggeschlichen und erreichten daher von Norden das kleine Tor der Scheune. Hier horchte Harst eine geraume Weile, bevor er seine Taschenlampe einschaltete und das Schloß beleuchtete. Es schien sich nur um ein altes verrostetes Kastenschloß zu handeln, aber erst der vierte, recht komplizierte Dietrich öffnete es, und es zeigt sich nun, daß sowohl die Tür von innen mit starkem Eisenblech benagelt und daß die außen so baufällige Scheune innen neu verschalte war, daß beide Tore tadellose Patentschlösser hatten uns selbst das große Flügeltor durch Eisenblech geschützt war.

Wir sollten noch weitere unangenehme Entdeckungen machen, die uns vor neue Rätsel stellten. Das Kleinauto, in dem Herma Benk hierher gekommen, war in eine Ecke geschoben worden. In einem Holzverschlag, wo Benzin- und Ölkannen standen, lagen zwei große Schäferhunde: betäubt, fest schlafend! Und hinter den Kannen, mit einer Leinenplane bedeckt, fanden wir einen schwer gefesselten und geknebelten Mann vor, dessen Kleidung, Gesicht und Haare von feuchtem Schmutz dicht bespritzt waren. Trotzdem erkannten wir in ihm sofort den jungen Millionär Viktor Tarboven, und wenn er auch bei Besinnung war, so deutet jedoch sein ganzer Zustand darauf hin, daß er die stärksten körperlichen und seelischen Strapazen hinter sich hatte.

Er saß jetzt völlig teilnahmslos auf einem Stuhl, leider hatten wir keinerlei Anregungsmittel zur Hand, ihn etwas zu erfrischen, Fred Steen blieb bei hin, während Harst und ich uns wieder in den eigentlichen Scheunenvorraum begaben, wo Harald sich nun ganz gründlich umschaute.

An der einen Längswand hingen zwei starke, aufgerollte Stahlnetze, deren Größe Harald zu einem verwunderten Kopfschütteln veranlaßte.

Er betrachtete sie genauer, und dann machte er mich auf die Eisenhaken aufmerksam, die zum Spannen der Netze dienen sollten.

„Die Hacken würden einen Männerschenkel umfassen, mein Alter. Hier, dies sind Stücke von Kiefernrinde, die noch an den Haken haftet. Beachte auch die starken Stahlfedern, die zwischen Netz und Haken als Verbindungsstücke dienen. Die Netze können nur einen Zweck haben: Sie sind als Schutz gedacht, falls das Flugzeug einmal beim Landen über den Rand der Schlucht hinweg in die Tiefe rollen sollte. Eine andere Erklärung dafür gibt es nicht. – So, hier sind wir nun mit der Besichtigung fertig. Jetzt muß Steen draußen vor der Scheune Wache halten, während wir Tarboven ins Gebet nehmen. Er wird sich nur sehr schwer zu einem Geständnis bequemen, fürchte ich, und selbst wenn er wider Erwarten meine Fragen rückhaltlos beantworten sollte, muß er doch wieder gefesselt und geknebelt werden, da mit der Rückkehr Herma Benks und damit auch mit der Rückkehr der beiden Leute aus der Villa drüben in spätestens fünf Stunden zu rechnen ist, und da ich eben keine Rücksicht nehmen kann… – Es sind Mörder, diese sieben Speichen, und meine Menschenliebe hört gegenüber jedem Mordbuben auf, selbst wenn es eine … Gnädigste ist.“

Er wollte wieder auf den Holzverschlag in der Ecke zuschreiten, in dem jetzt eine Laterne brannte. Ich hielt ihn zurück. Ich konnte mich nicht länger mit dieser Statistenrolle zufrieden geben, die ich hier spielte. Ich fragte daher auch ziemlich schroff: „Woher weißt du, daß Herma Benk mit Ihrer Sportmaschine nach fünf Stunden wieder hier landen wird? Wohin flog sie?“

„Das wirst du sofort hören – in Tarbovens Gegenwart‥!“

Fred Steen entfernte sich dann, um draußen zu patrouillieren. Tarboven hat sich inzwischen nur wenig erholt und zeigte kaum etwas Teilnahme, als Harald ihm zunächst einmal das Gesicht von der Schmutzschicht säuberte, so gut sich dies eben machen ließ. Offenbar war Tarbovens stumpfe Gleichgültigkeit doch mehr seelischen Ursprungs, denn als Harst nun recht eindringlich erklärte, Herma Benks ganze Zukunft hinge von Tarbovens Aussage ab, richtete sich der junge Millionär urplötzlich kerzengerade auf und starrte Harald ebenso ungläubig wie versteckt drohend an.

„Wie kommen Sie auf Fräulein Benk?!“ meinte er in schärfstem Ton.

„Wir können sie auch Helene Becker nennen, – es bleibt dasselbe, Herr Tarboven. Jedenfalls ist Fräulein Benk jetzt unterwegs nach dem nächsten Küstenpunkt der dänischen Grenze, und das ist der kleine Hafenort Svensgarden. – Bitte, Fräulein Benk sollte nicht so unvorsichtig sein, zwei bedruckte und durchfettete Tüten der Bahnhofswirtschaft Svensgarden hier zerknüllte umherliegen zu lassen. Frühstückstüten… Bis vor einer Viertelstunde etwa kannte ich das nächtliche Ziel der geheimen Geschäftsflüge der jungen Dame nicht, aber derartige Kleinigkeiten sind sehr aufschlußreich, zumal wenn man von vornherein überzeugt ist, daß das Ziel in wenigen Stunden zu erreichen sein muß.“

Viktor Tarboven senkte den Kopf, und auch seine gestraffte Körperhaltung verlor sich wieder.

„Sie wissen allerdings sehr viel, Herr Harst,“ murmelte er nur.

„Mehr als Sie ahnen,“ bestätigte Harald freundlich. „Haben Sie Ihre Villa heute nach Ihrer Flucht von uns nochmals angerufen?“

„Nein…“

„Nun, Sie hätten dort auch kaum Neues erfahren. Wir wollen nur die Dinge einmal in aller Kürze erörtern. Sind Sie mit Herma Benk verlobt?“

„Nicht mehr, Herr Harst.“ Er hatte wieder den Kopf gehoben und jeden Widerstand anscheinend aufgegeben. „Ich wollte mich mit Herma nach dem Tod meines Vaters öffentlich verloben, sie jedoch sagte sich plötzlich von mir los, gab dafür keinerlei oder doch nur fadenscheinige Gründe an und beharrte auf ihrem Entschluß. Da erst ahnte ich, daß es in ihrem Leben irgendwo ein Geheimnis geben müsse und begann mit meinen Nachforschungen, die als erstes Ergebnis die Entdeckung dieses Flugzeugschuppens und den Beweis für Hermas nächtliche Flüge erbrachten, – übrigens Erfolge meiner persönlichen Spürtätigkeit, Herr Harst.“

„Und wie kamen Sie dahinter, daß die Statue des Bogenspanners mit diesen Flügen zusammenhing?“

Tarboven zögerte jetzt. Doch nicht lange.

„Ich merke, Sie kennen die Wahrheit, Herr Harst. Dieselbe Statue ist mehrfach vorhanden, sie wird zu heimlichen Transporten benutzt. Als ich eines Abends hier wieder auf der Lauer lag, stellte ich dies fest. Die Leute aus der Villa drüben nach Osten zu, zu der auch diese Scheune gehört, bringen den … den Handelsartikel stets in diesem Bronzeversteck hierher, bevor Herma aufsteigt, und da meine Braut zu mir gelegentlich von dem Bogenspanner in der Pfandleihe ihres Großvaters gesprochen hatte, ließ ich…“

„Danke, – der Einbruch bei Immertod, ich weiß Bescheid. War die Statue gefüllt, als sie in Ihren Besitz gelangte?“

„Ja. Es mögen sechs Pfund von dem…“

„Oh, – darüber reden wir später. Sie glauben nun, daß Ihre Braut völlig eingeweiht ist?“

„Das muß wohl leider der Fall sein…“

„Irrtum, Herr Tarboven, ein grober Irrtum Ihrerseits. Ich kann mir denken, wie Sie kombiniert haben. Sie haben angenommen, Herma löste die Verlobung aus Schuldbewußtsein. Das trifft bestimmt nicht zu. Ihre Braut ist grob getäuscht worden und hat zunächst nicht geahnt, was sie über die Grenze schmuggelte. – Ja, Sie haben wirklich allen Grund, sich zu freuen, aber Sie brauchen mir nicht gleich die Hand aus Dankbarkeit zu zerquetschen. Heute wollten Sie Herma, da Sie mich auf Ihrer Spur wußten, vor mir warnen. Sie kamen hierher, betäubten die Hunde, wurden dann aber draußen von den sieben Speichen überwältigt, ein harter Kampf muß es gewesen sein… – Leider müssen wir Sie jetzt wieder fesseln und knebeln, freilich ganz leicht, da ich auch mit einer vorzeitigen Rückkehr der Speichen hierher rechnen muß… Und leider muß ich Ihnen auch jetzt schon erklären, daß der Ausgang dieses gewiß nicht alltäglichen Kriminalfalles für Sie doch in einer Beziehung schmerzlich sein wird… Darüber werden Sie jedoch hinwegkommen… – Fragen Sie nichts weiter, wir müssen verschwinden. Ich lasse mich nie auf ein Risiko ein, wenn ich den Sieg bereits so gut wie in der Tasche habe…“

Gleich darauf verließen wir die Scheune, winkten unseren Fred heran und bezogen am Nordrand des Abhangs zwischen Buschwerk und Jungkiefern einen neuen Beobachtungsposten.

Es war jetzt genau neun Uhr abends.

 

 

9. Kapitel

Die Netze werden gespannt.

Fred allerdings mußte nochmals Langstreckenläufer spielen und aus dem Sommerhäuschen Karl Immertods sowohl wollene Decken als auch Lebensmittel herbeischaffen und unserem Leidensgefährten, dem Chauffeur, hundert Mark aushändigen und ihn mit einem Brief zu einem guten Bekannten schicken, dessen diskrete Hilfe wir schon wiederholt in Anspruch genommen hatten.

Fred Steen kehrte denn auch schwer beladen zurück, und dank der Wolldecken, dank dreier Sitzkissen und einer Flasche Kognak konnte uns die winterliche Kühle nicht viel anhaben.

Um den recht kalten Nordwind abzuwehren, der säuselnd durch die Büsche strich, hatten wir eine Wolldecke als Windfang aufgespannt. Wir saßen in einer Vertiefung. –

Fred nannte das Ganze ein Stromerlager, und es fehlte wirklich nur noch ein offenes Feuer mit einem alten Kochtopf darüber, um dem tüchtigen Steen betreffs ‚Stromerlager‛ recht zu geben. Besonders Fred selbst, der sich in eine schreiend bunte Wolldecke geölt hatte, glich durchaus einem feineren Landstreicher.

Unser Nachtmahl bestand aus einer Dauerwurst, aus drei Päckchen Zwieback, einer Büchse sehr stark gesüßter Birnen und viel Kognak. Da wir uns so gesetzt hatten, daß jeder von uns nach einer Seite hin bequem Ausschau halten konnte, und da wir deshalb vor Überraschungen durch die Speichen-Leute geschützt waren, durften wir sogar rauchen.

Fred Steen hörte sehr aufmerksam zu, als Harald nun auch ihn in die letzten Vorkommnisse einweihte und dabei Tarbovens Geständnis mit erwähnte.

Er schüttelte wiederholt, um sein teilweises Nichtbegreifen anzudeuten, den Kopf und meinte schließlich: „Herr Harst, vermuten Sie das Hauptquartier der Bande wirklich unweit von Potsdam?“

Harald lachte. „Nein, lieber Fred. Die Speichen sind mit uns nach dem Überfall immer hübsch im Kreis etwa eine Stunde lang umhergegondelt. Ich kenne das hundsmiserable Pflaster im nahen Dorf Kladow von früher her sehr genau, und bei dieser ‚Rundfahrt‛ sind wir genau sechs Mal durch Kladow gekommen. Das Hauptquartier ist die Villa drüben, in deren ‚Zelle‛ es so wunderbar nach Obst roch. Die Villa hat einen großen Obstgarten, sie gehört einem Herrn Ignaz von Svandy, wie Tarboven längst ausspioniert hatte, und das andere Grundstück in Zehlendorf-West, in dem der ‚Puppenkopf‛ verschwand, ist Eigentum desselben Verbrechers. Auch dies wußte Tarboven uns zu berichten. Womit nicht gesagt ist, daß etwa dieser Svandy, ein Giftmörder, zu den Hauptspeichen gehört. Nein, die wahren Leiter dieser Bande sind ein anderer Mann und eine Frau, – letztere nannte ich nicht ohne Grund ‚Gnädigste‛. Sie werden das später verstehen, mein Lieber. Ich habe selten einen Fall in Arbeit gehabt, bei dem so viel abgrundtiefe menschliche Gemeinheit, Gewissenlosigkeit Gewinnsucht die Motive zu abscheulichsten Verbrechen lieferte.“

Steen knetete sich nach alter Gewohnheit nachdenklich die Ohrläppchen. „Herr Harst, ich wage nicht zu fragen, ich frage trotzdem. Was schmuggelt Herma Benk über die dänische Grenze?“

Derweil hatte der Kognak und die Zigarre meine Lebensgeister derart aufgefrischt, daß ich anstelle Harsts sehr bestimmt erklärte:

„Rauschgifte! Kokain und ähnliches Gift!“

Ich hatte eben die kleine Szene nicht vergessen, als Harald in der Vorhalle der Villa Tarboven den Finger an die Lippen geführt hatte.

Harst sagte ernst: „Ja, Rauschgifte! Aber wie ich bereits betonte: Sie weiß nicht, was sie hinüberschmuggelt, der alte Immertod hat sie belogen, diese habgierige alte Eule. – So, und jetzt werde ich eine Stunde schlafen. Dann kommt ihr an die Reihe. Paßt scharf auf. Nötigenfalls weckt mich.“

Er besitzt die beneidenswerte Fähigkeit, zu jeder Tageszeit den Schlaf herbeizuzwingen. In kurzem war er eingeschlummert. Fred Steen und ich teilten uns in das Wächteramt. Da der Himmel noch heller geworden, konnte ich meinen Beobachtungsabschnitt, die Scheune und das Gelände bis zum Zaungatter, bequem überblicken. Die Svandy-Villa war von hier nicht zu sehen.

Ich rauchte und sann über so manches nach. Logischerweise mußte aus den noch ungelösten Fragen sich eine Hauptfrage herausschälen:

Weshalb hatte sich Herma Benk, die übrigens aus guter Familie stammte, von Tarboven losgesagt?

Was war Hermas Geheimnis.

Einer kannte es außer ihr: Harst! –

Meine Vermutung, auf dem dornigen Weg von Schlußfolgerungen dieses Geheimnis aufzudecken, blieben fruchtlos.

Die Zeit verstrich. Harsts Annahme, daß die Speichen vorzeitig hier wieder erscheinen würden, traf nicht zu. Es mochte gegen halb zwei morgens sein, als Harald mich, der gerade Ruhestunde hatte, aus meinem nur leichten Halbschlaf wachrüttelte.

„Achtung, der Tanz beginnt,“ flüsterte er. „Zigarre auslöschen, Fred!“

Ich spähte zur Scheune hinüber. Vier Männer standen vor dem kleinen Tor, öffneten es nun, verschwanden und kehrten nach einiger Zeit mit den beiden aufgerollten Drahtnetzen ins Freie zurück, kamen dicht an uns vorüber und stiegen in die Schlucht hinab, wo sie die Netze über die freie Stelle zwischen den Bäumen ausspannten.

Sie arbeiteten sehr flink, man merkte, daß sie mit dieser Arbeit vertraut waren.

Dann begaben sie sich wieder in den Schuppen.

Harald betrachtete die Metallnetze, deren Maschen matt schimmerten, von unserem Versteck aus mit stärksten Mißtrauen.

„Banditen!“ murmelte er vor sich hin.

Fred meinte leise: „Was sollen die Netze nützen?! Sie hängen ja ganz schlaff!“

Dasselbe hätte auch ich gesagt.

Harst winkte Fred. „Wir beide werden den Schuften das Spiel durchkreuzen! Mein Alter, sobald einer der Schlucht naht, mußt du einen quakenden Frosch imitieren… Dort in dem noch nicht zugefrorenen Tümpel sind ein paar Frösche noch nicht zum Winterschlaf in den Morast gekrochen.“

Die beiden kletterten vorsichtig den Abhang hinab.

Die Geschichte wurde jetzt ungemütlich. Zum Glück war Steen ein sehr kräftiger Bursche und die Netze waren in wenigen Minuten zweckmäßiger gespannt.

Harst und Fred nahmen wieder neben mir Platz.

„Erledigt!“ meinte Harald. Er blickte auf seine Armbanduhr. „Gleich zwei Uhr morgens… Herma kann sofort wieder erscheinen. Ich bin nur neugierig, wie die Schufte es anstellen werden, sie in das Netz hinabzubefördern. Sie sollte sich unten das Genick brechen. Das wird nun nicht geschehen. – Achtung!!“

Aus dem Schuppen erschienen zwei Gestalten, gingen nach der Nordseite des Drahtzaunes und klappten dort auf etwa fünfzig Meter Breite die Zaunpfähle samt dem Drahtgeflecht herab. Dann stellten sie sich in das offene kleine Tor und warteten.

Harst flüsterte sichtlich beunruhigt: „Das begreife ich nicht‥!! Sie lassen die Maschine glatt landen?! Ich glaubte, sie würden irgend ein Hindernis aufbauen, damit Herma auf den Abhang zusteuern müßte. – Hallo, – – da ist die Maschine… Hört ihr das Surren? Das Motorgeräusch ist stark abgedämpft. Es muß ein ganz moderner Motor sein… Da – – Gleitflug! Haltet euch bereit‥!“

Aus dem Dunst tauchte die Sportmaschine auf, glitt tiefer, immer tiefer, setzte auf den Boden auf und rollte über den umgelegten Zaun hinweg. Wir sahen, daß zwei Erdanker das völlige Auslaufen bremsten, und das Flugzeug stand nun fast genau vor dem großen Tor still, dessen Flügel bereits geöffnet waren.

Herma Benk kletterte heraus, die Vier, die nun die Maschine in den Schuppen schoben, beachtete sie gar nicht. Sie eilte in die Scheune, und dann schoß das kleine Auto, das übrigens in einem Stall des Sommerheims Immertods untergestellt gewesen, aus dem schmalen Tor heraus und wollte nach rechts hin einschwenken – nach dem Gatter zu, das auch wir benutzt hatten.

Urplötzlich aber riß das Mädchen mit aller Kraft den Wagen herum und fuhr in tollstem Tempo auf den Abhang zu.

„Ah – – die Schufte!!“ zischte Harald… „Also so war es gewollt!!“

Neben der Scheune waren drei Polizeibeamte in Uniform aufgetaucht… Vor ihnen floh Herma – – in den Tod!

Mir blieb das Herz stehen, als der kleine Wagen über den Abhangrand in die freie Luft sauste…

Die starken Drahtnetze, die von Harst und Fred sehr hoch angebracht worden waren, konnten das Gewicht des Flugzeugs aushalten, niemals aber das des Autos.

Irgendwo schrillte jetzt eine Polizeipfeife…

In demselben Augenblick schlug der Wagen mit dem Kühler und den Vorderrädern auf die Netze auf – das eine Netz riß, aber das Kleinauto federte wieder empor und blieb in den starken Maschen hängen.

„Fred, springen!!“ rief Harst. „Holen Sie Herma herauf. Sagen Sie ihr, daß alles gut ablaufen wird!“

 

 

10. Kapitel

Die beiden Hauptspeichen.

Rings um die Scheune waren zahlreiche Kriminalbeamte aufgetaucht, hatten die vier Speichen eingekreist, und Kriminalkommissar Bechert ließ ihnen sofort Handschellen anlegen.

Gleichgültig führten zwei andere Beamte Herrn Ignaz von Svandy herbei, das … Puppengesicht! Er war der fünfte verhaftete.

In der jetzt hell erleuchteten Scheune standen sich die totenbleiche Herma Benk und Viktor Tarboven gegenüber.

Herma hatte sterben wollen, unser Fred hatte ihr mit Mühe die kleine Pistole entrissen.

Freund Bechert sagte etwas beklommen: „Herr Tarboven, neben Ihnen lagen zwei Pakete Kokain… Was geht hier überhaupt vor?“

Die fünf Speichen starrten finster ins Leere.

Bis Herr Puppenkopf in wilder Wut hervorstieß:

„Wir … wir sind verraten worden! Wenn wir nur wüßten, wer diese beiden Anführer sind – aber wir wissen es nicht.“

Bechert blickte Harst fraglos an. „Was soll das alles?!“ meinte er gereizt. „Reden Sie, Harst!“

„Ich muß sprechen, gern tue ich es nicht‥!“ Harald hatte sich auf eins der Räder der Maschine gesetzt. „Lieber Bechert, zäumen wir diesen elenden Gaul von hinten auf, beginnen wir also mit den letzten Ereignissen. – Wie dieser Svandy da soeben betonte, und ich glaube es ihm, kennt er die beiden Hauptmacher dieser Rauschgiftschmugglerbande nicht. Es handelt sich um ein Ehepaar, das in hiesigen Gesellschaftskreisen den denkbar schlechtesten Ruf genießt. Dieses verbrecherische Pärchen gründete die ‚Sieben Speichen‛ und finanzierte ‚das Geschäft‛.

Heute wollten die beiden, die sich stets in Hintergrund hielten, notgedrungen mit allem Schluß machen. Es war ein Verzweiflungsschritt, weil sie gemerkt hatten, daß ich ihnen zu dicht auf den Fersen war.

Sie meldeten der Polizei in Gatow das Nötige, verrieten also ihre Verbündeten, wollten gleichfalls Herma Benk aus dem Wege räumen, und Tarboven in Verdacht bringen.“

Er schaute Herma Benk an und winkte ihr freundlich zu.

„Nun zu Ihnen, liebes Fräulein. Sie kamen als arme Waise zu Ihrem Großvater, er mag Ihnen hart zugesetzt haben, bis Sie sich dazu hergaben, angeblich nur Schmucksachen, die er aufgekauft haben wollte, über die Grenze zu schaffen, wo sich leichter Abnehmer fänden. Er belog sie. Die Pakete, die Sie mitnahmen, enthielten Rauschgifte. Eines Tages nun kamen Sie dahinter, was Sie in Wahrheit hinüberschmuggelten, und gleichzeitig entdeckten Sie auch, wer die beiden Hauptspeichen waren. Da lösten Sie Ihre Verlobung mit Tarboven, weil Sie sich einmal schwer schuldig fühlten und weil Sie zweitens nunmehr ganz in den habgierigen Krallen Ihres Großvaters festsaßen, – – denn, und dies ist Ihr trauriges Geheimnis, das Ihnen das Mitleid jedes anständigen Menschen einbringen muß, Sie mußten schweigen, und zwar Tarbovens wegen. Sie wollten ihn schonen, nur ihn und den Namen Tarboven…“

Harsts Blick wanderte zu dem jungen Millionär hinüber.

„Lieber Tarboven, die Öffentlichkeit wird nun die Wahrheit erfahren müssen, – ich kann Sie nicht schonen, aber Sie werden über dieses Schwere hinwegkommen, Herma Benks Liebe wird Sie trösten. – Dieser Kriminalfall bot zuerst so gut wie keine Handhabe, an den Kern der Sache heranzukommen. Dieser Fall könnte als Schulfall für das allmähliche Zusammentragen von Beweismaterial gelten. Ich will hier nur den Kernpunkt erörtern, – wie ich die beiden Hauptspeichen herausfand. – Ihre chinesische Vase, Tarboven, und Hermas Briefe weckten in mir den ersten Verdacht gegen ein bestimmtes Ehepaar. Sie haben eine jüngere Stiefschwester Luzie, die den Grafen Konnreuth, einen internationalen Spieler und Abenteurer, halb gegen den Willen Ihres Vaters heiratete. Trotzdem verstand diese Luzie Ihren Vater so weit zu umschmeicheln, daß er selbst das Ärgste ihr verzieh…“

Viktor Tarboven hatte plötzlich den Arm um Hermas Schultern gelegt, um sie zu stützen. Er war geisterhaft bleich geworden, und in seinen Augen stand ein Entsetzen zu lesen, für das es keinen Ausdruck gibt. Dieser furchtbare Schlag, den Namen Tarboven derart entehrt zu sehen, drohte ihn niederzuwerfen.

„Diese Luzie,“ fuhr Harst trotzdem fort, „ist ein völlig verderbtes Geschöpf, eine Heuchlerin, Intrigantin und noch Schlimmeres. In allen Spielklubs waren die Konnreuths ständige Gäste, ebenso in Monte Carlo, Trouville und ähnlichen feudalen Spielhöllen. Als diese Luzie erfuhr, daß Sie, lieber Tarboven, sich mit Herma Benk verloben wollten, begann sie ihren Vater aufzuhetzen… Im Hermas Briefen finden sich mehrere Stellen, die darauf hindeuten. Aus der ‚Chronique Skandaleuse‛ Berlins wußte ich nun weiter, daß Ihr Vater einem Schlaganfall erlag, nachdem er mit Luzie eine sehr erregte Aussprache gehabt hatte. Dem Grafen Konnreuth war Falschspiel vorgeworfen worden! – Außerdem war mir noch folgendes bekannt, – die Presse hatte darüber Andeutungen gebracht: Ihre Schwester erbte weit weniger als Sie, – Einzelheiten erübrigen sich hierüber. Jedenfalls arbeitete Luzie darauf hin, Sie und Herma in den Tod zu treiben, um eine Ehe zu verhindern und Sie zu beerben. Das Ehepaar hatte als ‚Nebenverdienst‛ die sieben Speichen gegründet, hatte den Pfandleiher Immertod bewogen, Herma als Schmugglerin zu benutzen, – auch hier sind Einzelangaben unnötig und auch zu widerwärtig, um breit ausgesponnen zu werden. Jedenfalls gingen die ‚sieben Speichen‛ mit größter Rücksichtslosigkeit vor, – zwei Morde sind ihnen bestimmt nachzuweisen. So, lieber Tarboven, nun wissen Sie, weshalb Ihre Braut das Verlöbnis gelöst hat: Sie kannte die beiden Hauptspeichen, sie wollte Ihnen die Wahrheit nicht eingestehen, anderseits stand sie unter dem unheilvollen Einfluß des alten Immertod, der sie irgendwie zwang, ihm zu gehorchen und die nächtlichen Flüge auszuführen.“

Herma Benk hatte durch jähe Kopfbewegung Harst zum Schweigen veranlaßt.

„Viktor,“ sagte sie klar und laut „des Großvaters Zwangsmittel mir gegenüber war anfänglich die traurige Tatsache, daß … daß … mein Vater als höherer Beamter sich wegen Unterschlagung das Leben genommen hatte. Nachdem ich mich von dir dann losgesagt hatte, war mir alles gleichgültig geworden… Ich hoffte, daß ich eines nachts mit der Maschine abstürzen würde…“

Sie begann zu weinen, und Tarboven führte sie schnell ins Freie hinaus.

Inzwischen war der Mond hinter dem schwimmenden Gewölk hervorgekommen, und eng umschlungen standen die beiden Liebenden im Silberglanz des Nachtgestirns da, gleichsam wie in einer anderen besseren Welt, die ihnen eine glückliche Zukunft verhieß.

Hier im Inneren der Scheune aber wehte der verpestetere Hauch des bösen Prinzips, und der wutzitternde Giftmörder Ignaz von Svandy spie Bechert die höhnische Anklage kreischend ins Gesicht:

„Das Gift hat dieser Graf geliefert… – Auch für den alten Immertod! Denn auch der sollte stumm gemacht werden, – – und er ist stumm – für immer!“

– Wir atmeten wie befreit auf, als wir gegen vier Uhr morgens unser kleines Heim in der Arnoldstraße wieder erreicht hatten.

„Fred, – – Mokka aufbrühen!“ befahl Harald. „Vorher aber, – – ich glaube, wir haben noch Pfefferminzlikör im Schrank. – Der gallebittere Geschmack, den dieses abscheuliche Speichenrad und die Rauschgifte und all das übrige Häßliche auf meiner Zunge hervorgerufen haben, muß weggespült werden…“

„Und trotzdem war es ein glänzendes Problem, Herr Harst,“ meinte unser Famulus begeistert. „Nachher muß ich mir doch einmal Ihre Patentmanschettenknöpfe ansehen…“

Er blinzelte zu dem Kronleuchter empor, wo die Filmkamera gut versteckt auf weitere Arbeit wartete…

„Herr Harst, ob Sie wohl ohne die Filmaufnahme des Drohbrieftextes den Fall entwirrt hätten?“

Harald nickte…

„Ohne Zweifel, lieber Fred. – Die ‚sieben Speichen‛ haben ja noch mehr schwere Fehler begangen als nur diesen Drohbrief… Wenn der Mokka fertig ist, zähle ich Ihnen die Fehler auf…“

– Der freundliche Leser wird diese Fehler leicht selbst herausfinden und an dieser Arbeit seinen Verstand schärfen können.

Hiermit schließe ich den ‚Fall Immertod‛.