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Der schwarze Gast

 

Harald Harst

 

Band: 334

 

Der schwarze Gast

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel

Ein Hoteldetektiv und seine Sorgen.

Draußen stürmte und regnete es. In einem kleinen, villenartigen Haus der Arnoldstraße, Berlin W, war es daher in dem großen Erdgeschoßzimmer, das ein wenig büromäßig ausschaute, vor dem kaminartigen Ofen desto behaglicher. Die Feuerungstür stand offen, und die knallenden, flammenden Scheite warfen einen warmen, rosigen Schein auf die Gesichter der drei Männer, die hier eines ihrer so beliebten abendlichen Plauderstündchen abhielten.

Unser Famulus Fred Steen hat für diese Stunden geruhsamen Meinungsaustausches einen anderen, dem parlamentarischen Leben entnommenen Ausdruck geprägt, der nicht ganz parlamentarisch ist, aber Fred ist sehr jung, semmelblond und hat eine böse Zunge wie eine alte Jungfer – zuweilen!

Auf eine seiner ruppig-kecken Bemerkungen hin erwiderte Harst mit aller Nachsicht: „Lieber Fred, ein Kriminalfall alltäglichster Art kann durch die Charaktere der Beteiligten trotzdem ganz interessant werden. Wer nur immer die Sensation in den Tatsachen sucht und die seelischen Besonderheiten der Mitbetroffenen vergißt, stellt sich in eine Linie mit der Weltpresse, die schließlich auch nur aus jedem kriminellen Tatbestand das ganz Grobschlächtige heraussucht, wenn auch umwoben von dem üblichen Phrasenvorrat dieser Herren Schriftsteller, die ja sämtlich hierzu die nötige Routine besitzen.“

Harst griff nach der Zeitung, öffnete sie und sprach weiter: „Als Beispiel, lieber Fred, möchte ich einen Artikel aus einem Berliner Mittagsblatt von heute vorführen, nicht anführen. Ich sage ‚vorführen‛, weil darin eine gewisse Ironie liegt. Die Notiz in diesem halben Weltblatt, Halbweltblatt träfe auch zu, bedient sich der ganz dick gedruckten Überschrift ‚Der schwarze Gast‛ auf der ersten Hauptseite, weil in Politik zur Zeit Flaute herrscht. Hätte der Schriftleiter etwa als Titel ‚Der rätselhafte Hotelgast‛, gewählt, dann würde man ihm Phantasie- und Geschmacklosigkeit vorgeworfen haben, aber … ‚Schwarzer Gast‛, das ist etwas Neues, etwas in seiner Bedeutung sehr Dehnbares, harmlose Gemüter wittern dahinter vielleicht doch ein Tröpfchen hoher Politik … und kaufen den Wisch. – Ich werde den Text vorlesen, denn sowohl Sie wie mein alter Schraut haben eine unbestreitbare Abneigung gegen Druckerschwärze, was bei unserem Beruf zu sehr bedenklichen Folgen führen kann. Also hört mal her…“

Er drückte seinen Zigarettenrest in der Aschenschale aus und wollte gerade beginnen, als im Flur die Glocke anschlug.

„Hm – neun Uhr abends?! Ein sehr später Klient,“ meinte der lange, dürre Fred und ging öffnen.

Der untersetzte, sehr gemessene Herr, der nun als vierter vor dem Kamin saß, hatte sich als Gerhard Pfuhl, Hoteldetektiv, vorgestellt und auch ausgewiesen. Er war bei einem der vornehmsten Fremdenställe der City angestellt. – Fred sagte immer nur Fremdenstall, und auch Herr Pfuhl imponierte ihm gar nicht, obwohl dieser Herr mit dem energischen Gelehrtengesicht zweifellos hoch über dem Durchschnitt seiner Klasse stand.

Die bewußte Zeitung lag noch auseinandergefaltet auf dem Rauchtischchen. Gerhard Pfuhl mußte den vielverheißenden Titel gelesen haben, in seinen Mienen zeigte sich etwas wie leichtes Erstaunen. Bevor er doch mit seinem Anliegen beginnen konnte, sagte Harst, indem er ihm den Zigarettenkasten hinschob: „Also gibt der schwarze Gast jetzt einige Gratisvorstellungen in Ihrem Hotel, Herr Pfuhl‥? Sie brauchen mir das nicht zu bestätigen, Ihr Gesicht verriet mir dies. – Ein Zufall will nun, daß wir drei hier soeben denselben Gegenstand erörtern wollten…“

„Porzellanausschuß für auswärtige Gaunerangelegenheiten,“ murmelte der freche Fred.

Harald überhörte das. „Herr Pfuhl, wir vier Leute vom Fach können die Dinge in aller Kürze erledigen, soweit bisher bekannt. Seit Wochen werden die ersten Hotels Deutschlands, angefangen von München bis hinauf nach Königsberg, durch einen Hoteldieb in Aufregung versetzt, der ganz eigentümliche Gewohnheiten hat. – Erstens: Er tritt überall in anderer Maske auf; zweitens, er stiehlt nur geringfügige Gegenstände und läßt wirkliche Wertobjekte liegen; drittens, er ist nie zu fassen, obwohl Hotelangestellte ihn wiederholt beinahe erwischten. In solchen Fällen wird er nämlich gefährlich und zieht entweder seine Pistole oder wirft Tränenbomben; viertens und am wichtigsten, er schickt seine bescheidene Beute stets nach ein paar Tagen dem betreffenden Hotel zurück, entschuldigt sich schriftlich-getippt und gibt Zimmernummer, Namen und Stand an, die er im selben Hotel benutzt hatte. – Diese gewiß recht seltsamen Tatsachen – daß der schwarze Gast schwarzes Trikot trägt, ist selbstverständlich – hat die Polizei erst heute der Öffentlichkeit bekanntgegeben und das Publikum gebeten, bei der Ergreifung des ‚zweifellos Geisteskranken‛ freundlichst mitzuwirken. – So etwa steht die Schauergeschichte hier in diesem halben Weltblatt zu lesen. Es ist nun außerordentlich bequem, das widerspruchsvolle Benehmen eines Hotelmarders auf Irrsinn, auf den §51 etwa zurückführen zu wollen. Hierin liegt nicht nur ein gewisses bürokratisches, sondern auch durch phantasieloses Denken. Allerdings sind ja Bürokratismus und Phantasie unvereinbare Begriffe. Ich bin ja selbst einmal Beamter gewesen – es ist sehr, sehr lange her, und die gewissen ‚Komplexe‛, die der Aktenstaub erzeugt, habe ich längst überwunden.“

„Stumpfsinn und pharisäerhafte Rechthaberei,“ brummte der unverschämte Semmelblonde neben mir.

Herr Gerhard Pfuhl, der seine Zigarette mit der nachlässigen Grandezza eines Hochstaplers zu rauchen verstand, nickte unserem Fred und Harald humorvoll-erhaben Beifall.

„Phantasielose Gilde!“ meinte er nur, und der temperamentvolle Jüngling Fred schüttelte ihm derb die Hand.

„Sie sind unser Mann!“ erklärte er großartig.

„Hoffentlich,“ wandte sich der sympathische Kollege nunmehr ausschließlich an Harst. „Was weder Polizei noch Presse weiß, ist zweierlei.

Erstens: Der schwarze Gast wohnt oder wohnte bei uns, er hat drei Nächte sich produziert, und zweitens: seit gestern mittag ist ein anderer Gast spurlos verschwunden. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, Herr Harst, und zwar im vollen Einverständnis mit der Hoteldirektion, denn der verschwundene Herr ist, wie die Durchsuchung des Gepäcks ergeben hat, ein höherer Beamter von Scotland Yard, London, ein Kapitän oder Kommissar Frank Busterley, der sich als Kaufmann Harry Wilson bei uns eingetragen hatte. Gewisse Anzeichen lassen darauf schließen, daß Kaptain Busterley gewaltsam entführt worden ist. Man dürfte ihn in eine Falle gelockt haben. Bitte, dies fand ich im Papierkorb seines Zimmers…“

Er reichte Harald einen sehr zerknitterten getippten Briefbogen, den Harst jedoch nur widerstrebend entgegennahm.

„Papierkorb, Herr Pfuhl?! Ich habe eine starke Abneigung gegen Papierkörbe, sie spielen in jedem Kriminalroman eine Rolle und sind in Mißkredit geraten.“

Er las den Brieftext vor:

„Berlin, den 3. Februar. –

Sehr geehrter Kaptain Busterley, falls Sie über die gewissen Dinge Aufschluß erhalten wollen, finden Sie sich morgen mittag in dem von Ihnen bevorzugte Kaffeehaus ein. –

Keine Unterschrift… Und gestern war der 4. Februar,“ schloß Harst mit einem unmerklichen Lächeln, wobei er den Kollegen Pfuhl anschaute. „Sagen Sie, Herr Pfuhl, würden Sie als Kaptain Busterley einen solchen Brief in den Papierkorb geworfen haben? Wohl kaum. Dies hätten Sie berücksichtigen sollen. Der Brief ist Bluff. Ihr Kaptain Busterley war voraussichtlich der ‚schwarze Gast‛. Er dürfte eins der billigsten Zimmer und auch nur wenig Gepäck gehabt haben. Die Papiere auf den Namen des Kaptains sind entweder Fälschungen oder dem Kaptain gestohlen worden. – Seit wann wohnte dieser ‚Busterley‛ bei Ihnen?“

„Seit dem 30. Januar abends, Herr Harst.“ –

Pfuhl war etwas sehr kleinlaut geworden. Er sah seinen Fehler ein. Der Brief war Bluff. Aber er wollte nun beweisen, daß er andererseits doch noch auf dem Posten gewesen. Er faßte in die Tasche und holte einen Stoß unaufgezogener Photographien hervor.

„Herr Harst, – gut, zugegeben, Sie mögen recht haben. Dafür habe ich seit drei Wochen jeden Hotelgast heimlich photographiert und die Bilder vergrößern lassen. Wer mir verdächtig erschien, wurde mehrfach geknipst. Wir Hoteldetektive stehen ja miteinander dauernd in Verbindung, und das Treiben des schwarzen Gastes war mir bekannt. Hier ist Kaptain Busterley alias Harry Wilson.“

„Sehr praktisch, danke… – Fred, holen sie das Album L 1.“

Der blonde Jüngling schleppte es herbei. –

„Herr Pfuhl, – bitte, dies ist ein Bild von Scotland Yard-Beamten bei unserem letzten Londoner Aufenthalt und der da ist Käpten Busterley. Sie sehen, ihr Busterley/Wilson und der echte Busterley gleichen sich etwa so wie Sie und Fred Steen.“

Pfuhl beugte sich über die Abbildung. „Stimmt. Ich gebe mich auf der ganzen Linie geschlagen. – Wozu raten Sie mir, Herr Harst? Der schwarze Gast hat in den letzten drei Nächten je drei andere Hotelgäste bestohlen, alles nur wieder Kleinigkeiten. Immerhin, die Sache hat sich herumgesprochen, und in unserem erstklassigen Haus darf…“

„… Edelgaunerstall,“ murmelte Fred dazwischen. „Ehrliche Menschen können heute höchstens noch bei Mutter Grün oder im Christlichen Hospiz nächtigen.“

Pfuhl lachte. „Für Ihre Jahre haben Sie schon ganz nette Haare auf den Zähnen! – Aber im Ernst gesprochen: Die Sache ist uns äußerst fatal, und wenn es mir gelänge, diesen seltsamen Hotelmarder abzufangen, würde ich…“

Die Telephonglocke auf dem großen Schreibtisch vor den beiden Fenstern hatte angeschlagen. Ich eilte hin, hob den Hörer und meldete mich: „Hier bei Harst, Arnoldstraße…“

Ein Baß dröhnte durch die Leitung.

„Die Leiche liegt in dem Abstellraum, Seitenflügel, vierter Stock, neben Zimmer 211 in dem Kasten für schadhafte Wäsche.“

Dann wurde abgehängt. –

Daß der Mann von einem Automaten aus angerufen hatte, war eigentlich selbstverständlich. Trotzdem hob ich den Hörer wieder ab.

„Fräulein, können Sie noch feststellen, mit wem ich soeben verbunden war?“

„Einen Augenblick,“ flötete es zurück.

Und dann:

„Mit dem Hotel ‚Atlantik‛, Zimmer Nummer 37. – Auskunft der Hotelzentrale…“

Wenn mich die Leiche schon recht stark außer Fassung gebracht hatte, – diese Angabe setzte allem die Krone auf.

 

 

2. Kapitel

Die erste Spur.

Eine Autotaxe jagte zum ‚Atlantik‛. Die drei Fahrgäste hatten es sehr eilig. Im Hotel brachte uns der Lift in den vierten Stock empor, der Abstellraum neben Zimmer 211 wurde aufgeschlossen – in 211 hatte Busterley/Wilson gewohnt – wir traten ein, in der Ecke stand ein großer weißer Kasten mit Deckel, Harald hob den Deckel hoch, warf die Wäsche heraus, und – deutete mit einer großartigen Handbewegung auf eine Sammlung von Gegenständen, die durch Gerhard Pfuhl dann sofort als die hiesige Beute des schwarzen Gastes erkannt wurden: Zigarettenetuis, Uhren, Ringe, Armbänder.

Obenauf lag ein getippter Zettel:

Anbei das entliehene fremde Eigentum mit der Bitte um Entschuldigung zurück. Sie, Herr Detektiv Pfuhl, sollten nicht Pfuhl sondern faul heißen. Mußten Sie wegen dieser Bagatelle gleich zu Harst laufen?! Die beiden Brilliantringe und die flache Kavalieruhr gehören dem Generaldirektor B. Lämmert aus Zimmer 37, dessen Telephon ich auch benutzt habe. Er schläft, er hatte Aufsichtsratsessen, Gedeck 30.– Mark. Er hat sich selbst durch Sekt chloroformiert. –

Harry Wilson von Zimmer 211

„Doch ein verrückter!“ erklärte Pfuhl im Ton ehrlichste Überzeugung.

Harst blickte ihn seltsam an. „Glauben Sie?! Ich sage Ihnen, daß hinter dieser Geschichte weit mehr steckt, als wir drei bisher ahnen dürften.“ Er kniff dabei nach alter Gewohnheit die Augen immer kleiner zusammen, und auch seine drei Stirnfalten prägten sich schärfer aus. „Ich fürchte, wir werden mit diesem schwarzen Gast noch sehr unangenehmer Scherereien haben. – Pfuhl, ich möchte sofort Steen anrufen.“

Es geschah.

Doch kein Fred Steen meldete sich.

Harst warf dem nervös gewordenen Pfuhl einen noch seltsameren Blick zu.

„Pfuhl, Sie ließen doch Ihr Paket Photos bei uns liegen… Leider auf meine Bitte hin. Die Bilder dürften unwiederbringlich verloren sein. – Wo haben Sie die Platten oder Filme der Bilder und der Vergrößerungen?“

„Auf … meinem Zimmer, – im Schrank…“

„Führen Sie uns hin … schleunigst!“

… Der Schrank war geöffnet, die Filme und die Vergrößerungen fehlten.

„Nach Hause,“ rief Harst… „Kommen Sie mit, Pfuhl…“

Und bei uns daheim? –

Im Flur lag Fred Steen, bewußtlos, aber ohne äußere Verletzungen. Sein Puls ging sehr schwach, wir legten unseren Famulus auf das Sofa. – Das Paket Photos war gestohlen, dafür lag ein Zettel auf dem Rauchtischchen:

Herr Fred Steen hat ein Gas geschluckt, das ich durch das Schlüsselloch in den Flur blies, bevor ich läutete. Geben Sie ihm starken Kaffee. –

Ihnen, Herr Pfuhl, verbindlichsten Dank. Ich mußte die Photos und die Originalfilme haben. Es wäre zu gefährlich gewesen, wenn Harst sich alle Photos angesehen hätte. Meine Berechnungen stimmten, – – Sie stimmen immer. –

Der schwarze Gast

Gerhard Pfuhl, dieser vorbildlich abgeklärte Romandetektiv, sank in den nächsten Sessel…

„Welche Unverschämtheit!“

„Welch Genie!“ verbesserte Harald ernst. „Schraut, brüh Kaffee auf, für uns alle… Auch mir wird eine Tasse nicht schaden… Der schwarze Gast spielt mit mir Katz und Maus – und das gefällt mir nicht.“

Als unser Fred eine Viertelstunde darauf erwacht war, konnte er nur angeben, daß es etwa fünf Minuten nach unserer Abfahrt an der Haustür geläutet und daß er dann vor der Tür urplötzlich die Besinnung verloren habe.

Seine Jugend und sein kerngesunder Körper halfen ihm die Gasvergiftung schnell überwinden, und nun saßen wir vier abermals vor dem offenen Kaminfeuer und erörterten das Vorgefallene, wobei Harst freilich sehr einsilbig blieb.

„Was verlangen Sie von mir?!“ sagte er einmal zu Pfuhl. „Denken Sie, ich kann hexen?! Wie soll ich wohl eine Erklärung für diese Geschehnisse abgeben, die auch nur einigermaßen logisch wäre?! Und doch, was mein erfinderisches Hirn da bereits an ‚Möglichkeiten‛ ausgeklügelt hat, – das sind eben Hirngespinste. – Deutungen für das widersinnige Treiben dieses hochintelligenten schwarzen Gastes könnte ich Ihnen wohl liefern, – doch eine Deutung ist keine Lösung…“

Mittlerweile war es Mitternacht geworden.

„Pfuhl,“ meinte Harald, als der Hoteldetektiv sich recht kleinlaut und enttäuscht verabschieden wollte, „gestatten Sie mir noch ein paar Fragen… Ihr ganzes Auftreten deutet auf einen Mann von sehr guter Herkunft und vielseitiger Bildung hin. Heißen Sie wirklich Pfuhl?

„Ja, – Graf Gerhard von Pfuhl-Pfuhlberg, abgetakelter Marineoffizier, – in der Not frißt der Deubel Fliegen, ich wurde Detektiv.“

„Also doch! – Ich will Ihnen helfen… Schraut und ich werden Sie begleiten und die Nacht im ‚Atlantik‛ zubringen. – Brechen wir auf‥!!“ –

Pfuhls großes Zimmer im Seitenflügel sah uns drei dann bei der eifrigen Durchsicht der Anmeldezettel. Der angebliche Wilson aus London hatte eine völlig nichtssagende Handschrift. –

„Sehr geschickt verstellt!“ urteilte Harst mit aller Bestimmtheit. Dann prüfte er jedes der ausgestellten Formulare nochmals und ließ sich dabei auch nicht durch gewisse Zeichen von Ungeduld und Übermüdung von Seiten Pfuhls stören. Mit dieser Arbeit gingen etwa zwei Stunden hin. Harst schien nun endlich jeden Namen und die sonstigen Angaben der Hotelgäste der letzten Wochen genügend nach seiner Methode überprüft zu haben.

Pfuhl gähnte immer ungenierter und fragte mißmutig: „Na, haben Sie etwas entdeckt?“

„Nein! Oder doch nur wenig. Ich möchte nun an eine Bemerkung Ihrerseits anknüpfen. Sie erklärten, daß die Privatdetektive der großen Hotels dauernd miteinander in Verbindung ständen und daß ihnen das Treiben des schwarzen Gastes längst bekannt gewesen. Haben Sie dann nicht angeregt, doch einmal die Fremdenlisten untereinander auszutauschen, um festzustellen, ob nicht in den betreffenden Hotels – bitte geben Sie acht! – etwa stets gleichzeitig mit dem schwarzen Gast andere Leute abgestiegen wären, – das heißt also: Ich vermute, daß der schwarze Gast nicht allein, sondern mit Helfershelfern arbeitet, die vielleicht stets ihre richtigen Namen angaben. – Haben Sie mich verstanden, Pfuhl?“

Graf Pfuhl saß etwas im Schatten und saugte müde und schläfrig an seiner längst erloschenen Zigarre. Er hob die Schultern…

„Natürlich ist das geschehen, sogar auf meine Veranlassung… – Erfolg? Gleich Null.“

Harald betrachtete den einstigen U-Bootkommandant und tollen Draufgänger – dafür war Gerd von Pfuhl bekannt gewesen – mit einigem Erstaunen. „Warum sagten Sie mir das nicht sofort, lieber Pfuhl?! Sofort bei mir daheim?! Und das nennen Sie ‚gleich Null‛?! Also haben Sie doch eine Kleinigkeit ermittelt…“

Pfuhl lachte ärgerlich auf. „Verehrtester Herr Harst, diese ‚Kleinigkeit‛ ist eben über jeden Verdacht erhaben, das ist es. Gewiß, ein Name findet sich in den Fremdenlisten zugleich mit dem des schwarzen Gastes. Der Name lautet ‚Erich Lowski‛, einziger Sohn und einziger Erbe des alten Lowski, des rheinischen Großindustriellen, der einmal sehr reich war. Heute? Der junge Lowski ist mit tätig und bereist für die Firma ganz Deutschland. Er hat mit der Sache absolut nichts zu tun, nur ein Zufall wollte es, daß er in sechs Hotels mit dem schwarzen Gast zugleich wohnte.“

Harst nickte und unterdrückte ein Gähnen. „Allerdings, den jungen Lowski kenne ich… Also … Niete! – Entschuldigen Sie, lieber Pfuhl, wir haben Sie sehr lange aufgehalten… Wir werden uns verabschieden. Morgen ist auch noch ein Tag. Bis dahin werde ich einen Feldzugsplan entworfen haben. – Noch eins: Wohnt Lowski noch hier?“

„Ja… Er bleibt auch noch einige Tage. – Dann also … gute Nacht! Haben Sie vorläufig vielen Dank.“

Eine Autotaxe brachte uns heim. –

Gegen halb drei morgens fand man bei uns in der Arnoldstraße im großen Vorderzimmer fast genau dasselbe Bild vor wie gegen neun Uhr abends: Drei Männer um den offenen Kaminofen versammelt! Aber auf einem Teetischchen, das Fred hingerollt hatte, dampfte die Kaffeemaschine, und schweigend stärkten wir uns durch einige Sardellenbrötchen, – – ans Schlafengehen dachte niemand.

Fred und ich warteten voller Ungeduld auf Harsts Theorie… Daß er etwas Bestimmtes argwöhnte, ja wußte, merkten wir seiner Geistesabwesenheit an.

Und – die Bombe platzte wirklich.

„Der ganze Fall ‚schwarzer Gast‛ schien anfänglich nicht die geringste Handhabe zu bieten. Das Verhalten dieses Hotelgespenstes ist an sich jetzt noch fast unbegreiflich. – Aber eins ist erwiesen: Gerd von Pfuhl kennt diese mysteriöse Persönlichkeit!!“

Fred flog aus dem Sessel hoch.

„Wie? Was? – Sagen Sie das noch einmal! Ich muß mich verhört haben!“

„Setzen Sie sich, Sie junger Zweifler! Und sperren Sie die Ohren recht weit auf!“

Ich selbst enthielt mich jeder Äußerung. Ich konnte einfach nichts äußern. – Pfuhl?! – Auch mir schien dies undenkbar…

 

 

3. Kapitel

Abermals im ‚Atlantik‛.

Harst trank sehr gelassen einen Schluck Kaffee und griff nach einer Zigarette. Er horchte auf den Regen und die heulenden Windstöße draußen und sagte gedämpft:

„Ein elendes Wetter für einen Horcher!“

Fred Steen knetete ungeduldig seine Ohrläppchen. „Ein Horcher? Wo?“

Harald entgegnete nachsichtig: „Lieber Fred, Sie sind nun genau drei Monate bei uns. Schraut lebt mit mir viele Jahre zusammen. Aber diese Jahre waren ziemlich wertlos als Lehrzeit. Vorhin wart ihr in der Küche und bereitetet die appetitlichen Brötchen zu. Ich bereitete dem Verbündeten Pfuhls eine böse Enttäuschung, die wichtiger war als eure Sardellenleckerbissen. Schaut euch mal bitte dort das Fenster da, obere Ecke links, die kleine Scheibe, genau an. Bitte!!“

Was fanden wir: Einen ganz feinen isolierten Doppeldraht, der zerschnitten war und nach außen geführt hatte.

„Setzt euch wieder!“ meinte Harald ganz schlicht. „Der Mann, der Fred betäubte und die Photos holte, hat schnell und geschickt operiert. Wenn Ihr freundlichst den Zierkasten für die Buchenscheite dort neben dem Kamin beachten wollen: Es steckt ein kleines Mikrophon zwischen den Buchenscheiten, und da der Zierkasten mit seinem aufgeklappten Deckel als Tonempfänger recht geeignet ist, hätte Pfuhl oder sein Komplize jedes Wort gehört. Die Leitung dürfte um das Haus herum nach unserem Stallgebäude laufen. Nun, ich habe sie zerschnitten.“

„Unglaubliche Frechheit!“ empörte sich Fred.

„Nein – sehr schlau!“ korrigierte Harald sehr ruhig. „Und nun verlangt ihr beide natürlich das Beweismaterial gegen Pfuhl. – Gut, paßt genau auf. – Pfuhl kommt zu uns, weist sich durch Papiere aus und zeigt auch das Schreiben der Hoteldirektion vor. Darin stand wörtlich: ‚Wir beauftragen unseren Hausdetektiv auf seine Anregung hin, mit Ihnen, Herr Harst … und so weiter.‛ – Pfuhl hoffte wohl, ich würde den Passus ‚auf seine Anregung‛ unbeachtet lassen. – Pfuhl erscheinen also erst bei uns, nachdem die Presse bereits des schwarzen Gastes Erwähnung getan hatte. Vorher nicht. –

Wer Detektiv sein will, muß auch über ein unbegrenztes Mißtrauen verfügen. Einen gelinden Argwohn hegte ich also von vornherein gegen Pfuhl, zumal er beim Anblick der Zeitung unmerklich zusammenzuckte. – Weshalb kam er zu uns? Seine hier angeführten Gründe, es geschehe im Interesse des ‚Atlantik‛, waren fadenscheinig. Die Kriminalpolizei hat bereits das Publikum zur Mitarbeit aufgefordert, also hätte er sich an die Polizei wenden können, besonders da ein Gast ‚verschwunden‛ sein sollte. Aber gerade dieses ‚Verschwinden‛ hat Pfuhl konstruiert, um hier bei uns einen triftigen Anlaß für einen Besuch vorschützen zu können. Es ist doch selbstverständlich, daß die Kriminalpolizei schon gestern, bevor sie die Presse benachrichtigte, mit den Hotels Fühlung genommen hat. Gerhard von Pfuhl wußte also, daß ich auf den schwarzen Gast aufmerksam werden würde, daß mich der Fall auch interessieren und ich mich zumindest insgeheim damit beschäftigen würde. Da bekam er es mit der Angst, denn er kannte den schwarzen Gast und wollte ihn schützen. Er hatte ihn durch die Photographien erkannt, behaupte ich, die er uns mitbrachte. Er warnte ihn also, und Busterley/Wilson ‚verschwand‛. Pfuhl erschien hier, brachte die Photos mit, um einen guten Eindruck zu machen, hatte aber mit dem schwarzen Gast genau das weitere Spiel verabredet und sich noch Verbündete besorgt: Der schwarze Gast rief vom ‚Atlantik‛ aus bei uns an, redete von einer Leiche und lockte uns schleunigst von hier fort. Derweil werden hier die Photos und bei Pfuhl die Originalfilme gestohlen, – – alles sehr fein überlegt, sehr fein… – Nur ein Fehler hat sich eingeschlichen: Welcher, lieber Fred?“

Fred Steen riß sich beinahe die Ohrläppchen ab. „Keine Ahnung!“ gestand er kleinlaut.

„Und du, mein Alter?!“

Nun, ich war doch ein wenig erfahrener und erwiderte prompt: „Der schwarze Gast muß noch immer im ‚Atlantik‛ wohnen, freilich unter einer anderen Maske und unter anderem Namen. Wie sollte er sonst heute abend seine Beute in dem Abstellraum untergebracht und noch den Herrn aus Zimmer 37 bestohlen und dort telephoniert haben?! Er muß sogar den Hotelangestellten gut bekannt sein, er konnte sich im Haus frei bewegen, – kurz in seiner jetzigen Maske hat er im Hotel schon häufiger logiert.“

„Bravo!“ Harald nickte mir eifrig zu. „Besser hätte auch ich das nicht auseinandersetzen können. Nur möchte ich auch vor einer vorschnellen Schlußfolgerung warnen. Gewiß, Pfuhl rückte mit dem Namen ‚Erich Lowski‛ sehr zögernd heraus, und man könnte daher mutmaßen, Lowski sei der schwarze Gast. – Man könnte‥!! Aber mir genügt die einfache Tatsache als Beweis keineswegs, daß Lowski bisher in sechs Hotels mit dem schwarzen Gast gleichzeitig abgestiegen war. Ich verfolge da einen anderen Gedanken, den ich euch schon deshalb nicht vorenthalten will, weil … mir etwas zustoßen könnte. Ihr wißt, der schwarze Gast wehrt sich sehr energisch, wenn er einmal nachts in den Hotelfluren überrascht wird, und das Gasattentat hier auf Fred gibt auch zu denken. Zweifellos geht es bei alledem um weit gefährlichere Ziele, als wir ahnen, und diese Leute, die da mitbeteiligt sind, werden mich am allerwenigsten schonen. Pfuhls Rolle bei diesen Dingen stelle ich mir als die eines durch eine Verkettung besonderer Umstände mit hineingezogenen Menschen vor, der eben die Sachlage gar nicht übersieht und lediglich Rücksicht auf den schwarzen Gast nimmt, der ihm irgendwie nahesteht. Kurz und bündig gesagt: Ich vermute, daß Erich Lowski von dem geheimnisvollen Hotelgast verfolgt wird! Das ist es! Weshalb? – – Ich weiß es nicht… – So, und nun wollen wir schlafen gehen…“

„Und die Abhörleitung, Herr Harst?“ fragte Fred mahnend.

„Die ist längst abmontiert! – Das ist wohl selbstverständlich, nachdem der Horcher gemerkt hatte, daß die Leitung zerschnitten war. Daß wir also hinter den Trick gekommen waren, und bei dem Wetter würden sich draußen keinerlei Spuren mehr finden… – Außerdem ist es wohl nicht ratsam, sich im Freien zu zeigen. Gerade die zerschnittene Leitung wird den Leuten beweisen, daß wir jetzt unsere Anstrengungen, die seltsamen Geschehnisse zu enträtseln, verdoppeln werden.“

Fred Steen meinte leise, aber mit aller Hartnäckigkeit: „Wir haben ja den Durchschlupf nach dem rückwärtigen Grundstück! Ich wage es.

Jetzt schlafen?! Unmöglich! Ich bin so munter wie…“

Harst blickte unseren energischen und auf seine Art recht schlauen Famulus augenzwinkernd an. „Fred, wenn ich sage ‚schlafen gehen‛, so wollte ich nur andeuten, daß wir so tun müssen, als ob bei uns vollster nächtlicher Frieden herrschte. – Also nach oben in eure Schlafzimmer! Laßt dort fünf Minuten Licht brennen, steckt alles Nötige zu euch und dann treffen wir uns im Keller… – Ihr wißt Bescheid.“

„Und ob!“ – Fred Steen reckte sich und ballte die Fäuste. „Das Gasattentat wird gerächt! Ein Glück, daß es draußen so finster ist…“

Er wandte sich der Flurtür zu.

„Gute Nacht!“ rief Harald uns sehr laut nach. Er selbst schlief im Erdgeschoß in einem einfenstrigen Zimmer hinter dem sogenannten Büro-, Salon-, Wohn- und Speisezimmer. – Die fünf Minuten waren um, ich drehte die Nachttischlampe aus, schlich in den Flur und traf hier mit Fred zusammen. Es war so dunkel, daß wir einander nur fühlten und nur einer des anderen hastige Atemzüge vernahm.

„Leise, Fred‥!“

Flur und Treppe waren dick beläufert, aber die Treppenstufen knarrten, und die jaulenden Windstöße rings um das kleine Haus glichen den drohenden Stimmen wilder Bestien.

Der Kellereingang lag neben der Küche. Da alle Fenster des Hauses durch Eisenläden gesichert waren, die schon der Vorbesitzer, ein sehr ängstlicher alter Rentner, hatte anbringen lassen, empfing uns Harst in der Kellertür mit einem kurzen Aufleuchten seiner Taschenlampe.

„Ich gehe voran,“ flüsterte er… „Fred mag den Koffer tragen. Ich habe ihn in einen Rucksack gesteckt… Hilf ihm beim Aufschnallen…“

Die Kellertreppe bestand aus stark ausgetretenen Ziegelsteinen, die Keller selbst waren hoch und trocken, und ihre Fenster hatten außer starken Eisengittern innen noch eiserne, verschraubbare Läden.

Wieder blitzte die Lampe kurz auf…

Wir waren vor dem Kartoffelkeller angelangt, einem Raum rechts hinten. Er hatte zwei Fenster, und das eine war unser Geheimnis.

Eine Wohnung ohne Notausgang ist für einen Detektiv, und wir waren jetzt wieder Privatdetektive und auf Verdienst angewiesen, vollkommen zwecklos, wenn der Detektiv eben Fälle übertragen bekommt, die mit Gefahr und Beobachtungen von feindlicher Seite verknüpft sein können. Ehescheidungsmaterial und Ähnliches liegt uns nicht, und Bankdefraudanten lassen uns kalt.

„Schließen Sie die Tür, Fred!“ raunte Harst aus der Finsternis hervor.

Wir standen bereits im Kartoffelkeller…

Kaum hatte Harald den Befehl erteilt, als die dicke Holztür donnernd zuschlug.

„Das war ich nicht!“ keuchte Fred Steen… „Herr Harst, das war ein Fremder‥!!“

„Verdammt!!“ – Harald fluchte sehr selten… „Kein Licht!! Nun aber flink… Hört ihr das Zischen unter der Tür? – – Gas!!“

Ich vernahm sofort auch das Kreischen der sich lockernden Schrauben der Fensterladen, – es war nur ein schwaches, helles Kreischen, die Gewinde waren gut geölt, und alles hing nun davon ab, daß diese Leute, die sogar die Unverfrorenheit besessen hatten, in unseren Keller einzudringen, nicht etwa bereits unser sorgfältig gehütetes Geheimnis kannten.

Es blieb dunkel um uns her, – Harald hatte seinen Befehl „Kein Licht!“ nochmals wiederholt, und dann spürte ich das Eindringen der kalten Nachtluft und erblickte vor mir ganz verschwommen das rechts gelegene Kellerfenster mit seinem dicken Eisengittern. Zwei Hände schoben sich vor, das Gitter schien sich zu bewegen, verschwand, und eine Gestalt kletterte in den großen Zinkmüllkasten hinein, der draußen auf dem Hof stand und einen Teil des Fensters verdeckte. Die Seitenwände waren beweglich, vier solcher Kästen standen aneinandergereiht an der Mauer zum Nachbargrundstück und bildeten den Durchschlupf bis zur unserem Stallgebäude, von dem aus wir ebenso unsichtbar auf den Hof der vor einer Zeit in Konkurs geratenen Meierei und bis zur Parallelstraße gelangen konnten.

Harst hatte unseren Fred zuerst hindurchschlüpfen lassen. Ich folgte als zweiter. Bisher war alles geglückt. Unklar vernahm ich, noch im ersten Zinkkasten steckend, hinter mir einen recht scharfen Zuruf. Ich wandte den Kopf, der Keller war blendend hell, auf einem Kartoffelhaufen brannte mit grellem Licht eine Magnesiumbombe, dann knallte ein Schuß, noch einer, und über die lichtsprühende Magnesiummasse flog ein alter Kartoffelsack – – noch einer. Es wurde dunkel, – wieder tönte die scharfe, befehlende Stimme…

„Weiter!“ zischte Harst, und in besinnungsloser Eile kroch ich durch den seltsamen Zinkblechweg, der uns bisher nur ein einziges Mal wirklich notwendig und von Nutzen gewesen war, – heute zum zweiten Mal und jetzt unter Umständen, die so etwas an Chicagoer Verhältnisse erinnerten, an Bandenkämpfe, an ganz großzügige Verbrecherorganisationen, die vor nicht zurückschreckten.

Jedenfalls: Wir entschlüpften denen, die uns abfangen wollten, mit genauer Not, wir sahen auch dem Hof der Meierei mindestens sechs flinke huschende Gestalten hinter uns, und wir durften uns erst sicher fühlen, als eine Autotaxe uns aufnahm, und Harst fünfzig Mark extra für Höchstgeschwindigkeit und möglichst viele Ecken und Biegungen versprochen hatte…

„Ich bin Harst, vielleicht kennen Sie mein Gesicht!! – Also los!“

Und der Fahrer holte wirklich aus seinem Vehikel das Letzte heraus.

Nach einer halben Stunde hielten wir in einer der schmalen, östlichsten alten Straßen des Tiergartenviertels.

Wir waren nicht verfolgt worden, der Chauffeur steckte schmunzelnd den Fünfzigmarkschein ein und gondelte davon. Aus dem Dunkel der Pforte einer kurzen hohen Mauer, über die alte Bäume hinwegragten, schälte sich eine Männergestalt heraus, winkte.

Harst stellte kurz vor: „Generaldirektor Zapf von der Hotel-AG ‚Atlantik‛, – – meine Freunde Schraut und Steen… – Ich hatte Herrn Zapf angerufen, nachdem ich die Abhörleitung zerschnitten hatte…“

Der Generaldirektor führte uns durch den kleinen Hotelpark über einen Seitenausgang in seine Privatwohnung hinauf… Auf diese Weise gelangten wir völlig unbemerkt in die Riesenkarawanserei, die sich ‚Atlantik-Hotel‛ nannte…

 

 

4. Kapitel

Der eine schwarze Gast.

Im Herrenzimmer des Generaldirektors, übrigens eines Mannes, der Hotelbetrieb von der Pieke an gedient hatte, ohne nachher das beliebte ‚jovial-herablassende‛ Benehmen eines Emporkömmlings anzunehmen, fand nur eine ganz kurze Unterredung bei abgedämpftem Licht statt. Harst ging auf Einzelheiten der Angelegenheit überhaupt nicht ein. Er erklärte lediglich, daß er überzeugt sei, der sogenannte schwarze Gast wohne noch immer unter anderem Namen im Hotel. Den Hoteldetektiv Pfuhl erwähnte er nur ganz nebenbei und deutete etwas doppelsinnig an, Pfuhl sei ein äußerst gewandter und vielseitiger Mensch, den er nur deshalb zur Zeit ausschalte, weil er – Harst – gewohnt sei, allein zu arbeiten. Ob Zapf ihm das glaubte, erschien mir sofort zweifelhaft. Leute vom kernigen Schlag eines Zapf sind gute Menschenkenner und sehr hellhörig.

„Entfernen Sie also bitte aus den Fluren alle Ihre Wachen, Herr Generaldirektor,“ schloß Harald die knappe Aussprache. „Begründen Sie diese Maßnahme damit, die Gäste sollten nicht beunruhigt werden.“

Zapf war einverstanden und verließ das Zimmer und die Wohnung ganz geräuschlos. Wir hatten in dem Koffer drei schwarze Trikotanzüge mitgebracht, und als der Generaldirektor nach zehn Minuten zurückkehrte, fand er uns fix und fertig vor, – wir sahen etwas unheimlich aus, und Zapf breitete nun kopfschüttelnd einen Lageplan der Hotelzimmer vor uns aus.

„Hier im Hauptgebäude im zweiten Stock nach hinten hinaus logiert Lowski, – Nummer 42, – hier sind die Treppen, diese Zimmer stehen leer, also auch 41 und 44, Zimmer 43 hat ein englischer Diplomat inne, Sir Roger Barsalan, ein älterer Herr.“

Harald erteilte Fred und mir nun einige besondere Anweisungen.

„Viel Pech!“ meinte Zapf halb scherzend, als er uns hinausließ. Aber ihm schien doch nicht ganz behaglich zu Mute zu sein.

Wir schritten durch die matt erleuchteten Korridore zum Hotelgebäude, trennten uns an der Haupttreppe und mußten nun, was Fred und mich betrat, auf unseren Orientierungssinn uns verlassen. Harald war die Haupttreppe in den zweiten Stock hinabgeeilt, ich bog rechts ab, fand die Seitentreppe und war gleich darauf ebenfalls im zweiten Stock. Vor mir lag ein langer Flur mit hellen Türen, einigen Fensternischen und zwei vorspringenden wintergartenähnlichen, glasbedeckten Balkonen, in denen Rohrmöbel standen. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, daß es genau zehn Minuten nach drei war, also für die Wintermonate die günstigste Zeit für die heimliche Tätigkeit von Hotelgespenstern. Der Schlaf pflegt um diese Stunde die Leute, die spät ins Bett zu gehen pflegen – und dies war bei dem internationalen Publikum des ‚Atlantik‛ anzunehmen – sehr fest zu sein.

Ich richtete mich genau nach den erhaltenen Instruktionen. Ich schob einen der eleganten gepolsterten Korbstühle, die klubsesselartig auch eine geflochtene weit herabreichende Rückwand hatten, an die linke Ecke des halbkreisförmigen, jetzt im Winter durch Rolläden geschlossenen Balkons, kauerte mich dahinter zusammen und konnte so in meinem schwarzen Trikot kaum bemerkt werden.

Den vor mir liegenden Flurteile behielt ich unablässig im Auge. Ich sah und hörte nichts. Nur der Regen peitschte gegen die Rolläden des Balkons, und hin und wieder knackte eine Diele.

Plötzlich spürte ich da in meinem Rücken einen sehr kühlen Luftzug. Gleichzeitig vernahm ich auch das Rauschen und Knistern der Kübelpalmen. Soeben hatte es sekundenlang besonders stark geregnet, und die Tropfen waren mit einem Knattern wie Erbsen gegen die Rolläden geschlagen. Es konnte auch Hagel gewesen sein, und der Lärm war so laut gewesen, daß jemand sehr gut ohne verdächtiges Geräusch einen der bis zum Fußboden herabreichenden Schutzläden angehoben haben könnte.

Nur so war die eiskalte Zugluft zu erklären.

Ich wußte, daß jemand von draußen auf diesem Weg erscheinen würde, ich machte mich in meinem dunklen Winkel noch kleiner und hoffte inständig, selbst den mißtrauischen Augen dieses Eindringlings zu entgehen. Ich hatte den Kopf gedreht, zwischen den Kübeln glaubte ich eine Bewegung wahrzunehmen, und Sekunden später tauchte, blitzartig sich aufrichtend, eine überschlanke Gestalt in schwarzem Trikot mit schwarzer Kapuze und Kopfmaske auf, – schwarz wie ich selbst, – – aber zweifellos eine Frau, wie ihre scharf hervortretenden Oberkörperformen verrieten.

Ein Weib?! – Sollte ich mich darüber wundern?! Es wäre ja im Grunde nur erstaunlich gewesen, wenn keine Frau die Hand mit im Spiel gehabt hätte! Ich erinnerte mich spontan an jene internationale Bande von Hoteldieben, die vor Jahren endlich unschädlich gemacht worden war: Ihr Haupt war ein Weib gewesen! –

Und doch, – hier lagen die Dinge so ganz, ganz anders.

Und jetzt?!

Dort stand ein Weib…

Horchte…

Die Ohren unter der Kapuze lagen frei, und durch die Augenlöcher blinkten sehr rührige Augen.

Ich segnete das Gestell mit Kakteen, das mich vorläufig schützte.

Dann bewegte sich die Frau vorwärts…

Sie bog jedoch in den rechten Flurteile ab, glitt lautlos dahin, und ich mußte mich weit vorbeugen, um sie weiter mit den Blicken verfolgen zu können.

Jetzt machte sie halt… Unweit des nächsten Balkons… Sie horchte wieder, bückte sich, hob den Flurläufer empor und drehte mir noch immer den Rücken zu.

Wie ein Schatten schoß da ein anderes schwarzes Trikot an mir vorüber… Hob die Hand, spreizte alle fünf Finger ab: Harsts Zeichen!

Ich stürmte hinterdrein, erkannte zwei Menschen wie schwarze Schlangen ineinander verschlungen, – dann ein schwacher Schlag, und die eine lag still.

„Binden!“ keuchte Harst atemlos.

Auch Fred war plötzlich zur Stelle…

„Hier hinein mit ihr!“ – und Harald öffnete eine der Türen zu einem der nach vorn hinausgehenden Luxusapartments. Den Schlüssel hatte ihm Zapf vorhin ausgehändigt.

Steen und ich trugen die Frau in den Salon, während Harald noch den Läufer untersuchte. Dann folgte er uns.

„Licht!!“

Die Krone flammte auf. Im Sessel lag, noch betäubt, die Unbekannte. Harst nahm ihr die schwarze Kappe und die lange Gesichtsmaske ab.

„Ein Mann!“ rief Fred verblüfft. „Da, – – die Bartstoppeln!!“

Harald betastete die Brust des Fremden.

Er lachte leise. „Die weibliche Büste ist Kunst… Das ist Erich Lowski.“ Und in ganz verändertem Ton: „Diese Entdeckung stellt alles auf den Kopf! Meine bisherigen Schlußfolgerungen, die freilich mehr Vermutungen waren, verlieren jedes Fundament.“

Er überlegte und beobachtete das jugendliche, sympathische Gesicht Erich Lowskis…

Dann befahl er ebenso hastig: „Tragt ihn wieder auf den Flur… Schnell! Er kommt zu sich…“

Im Nu hatte er ihm wieder die Kappe und die Maske übergestreift, letztere jedoch so, daß Lowski nichts mehr sehen konnte.

Wir legten ihn auf den Flurläufer und eilten gemeinsam über die Haupttreppe in den Seitenflügel in Zapfs Wohnung zurück.

 

 

5. Kapitel

Das Haus in der Sackgasse.

Der Generaldirektor blickte Harst gespannt an, als wir im Herrenzimmer Platz genommen hatten. Ein Imbiß und Rotwein waren bereitgestellt, er schenkte uns die Gläser voll und fragte nichts, sondern faßte sich in Geduld.

Harald mit seinem scharfen, schmalen Gesicht und den leicht ergrauten Schläfen saß weit zurückgelehnt da und hatte das Kinn auf die linke Faust gestützt.

Er trank völlig geistesabwesend einen Schluck Wein und sagte schließlich zu Zapf: „Herr Generaldirektor, ich wäre verpflichtet, Ihnen über das, was wir erlebt haben, Aufschluß zu erteilen. Doch ich bitte Sie, vorläufig auf jede Äußerung meinerseits zu verzichten – im Interesse der Sache. Die Dinge haben eine Wendung genommen, die mich zu ganz anders gearteten Maßnahmen zwingt. Ich möchte Ihre Person und auch die beiden Hoteldetektive – Pfuhl hat ja noch einen jüngeren Kollegen an der Hand – nicht mit hineinziehen. Es hat das seine guten Gründe.“

Zapf nickte nur zustimmend, ohne irgendwie eine Enttäuschung oder Mißmut zu verraten.

Harst trank genau so nachdenklich und scheinbar zerstreut das Glas leer und begann seine Kleider über das Trikot zu streifen.

„Macht euch ebenfalls fertig,“ sagte er zu Steen und mir. „Wir wollen nach Hause… – Geben Sie mir bitte den Schlüssel zu der Mauerpforte des Hotelparkes, Herr Generaldirektor.“

Zapf tat es ohne jedes weitere Wort. Er war ein sehr verständiger Mann.

Wir verabschiedeten uns, und als wir mit hochgeklappten Mantelkrägen und tief ins Gesicht gezogenen Hüten den triefenden Garten durchschritten, in dem sich bei dieser Regenfinsternis nur die hellen Kieswege wie matte Streifen abhoben, benutzte Harst die welke Grasnarbe neben den Wegen und benahm sich so überaus mißtrauisch und vorsichtig, daß auch Steen und ich Augen und Ohren nach Kräften spielen ließen, da wir nun sehr wohl ahnten, daß irgendwo auch hier eine Gefahr lauern könnte.

Mitten in dem von alten Linden, Buchen und Kastanien recht dicht bestandenen Park erhob sich ein Pavillon, den ich schon vorhin bemerkt hatte. Seine bunten Glasfenster schillerten wie mattierte Stahlflächen im Widerschein der Helle der Straßenlaternen jenseits der hohen Mauern, – Harst steuerte auf das hochgelegene Glashaus zu und drückte sich an die Wand des Ziegelunterbaues. Wir folgten und hatten so einen freien Ausblick auf die Rückfront des Hauptgebäudes, und als Harald halblaut „Achtung, – zweiter Stock!!“ rief, gewahrten wir irgendwo ein grünes, grelles Licht, das erst dreimal, dann zweimal kurz aufflammte.

Wo, das war nicht recht zu erkennen. Jedenfalls unweit des Balkons, schätzte ich, wo ich auf der Lauer gelegen hatte.

Steen stand dicht neben Harst, – ich auf der anderen Seite. Wir drei hatten uns eng aneinandergedrängt, und das weit überhängende Pavillondach hielt den Regen fern, nur der kalte Wind umheulte den kleinen Bau mit kläglichem Jaulen und Pfeifen.

„Wir werden sehr vorsichtig sein müssen,“ warnte Harald nachdrücklich. „Bleibt stehen… Ich will mal Ausschau halten.“

Er verschwand wie ein Schatten, und Fred rückte dichter an mich heran.

„Herr Schraut, ich habe gewiß nichts dagegen, daß ich naß werde, – aber daß wir bei diesem Sauwetter hier…“

Was er eigentlich an dem Wetter und an dem ganzen Abenteuer aussetzen wollte, wurde nie gesagt. Harst war wieder bei uns.

„Kommt!! Drei Schritt Abstand… Und – – laufen!!“

Ich ließ als zweiter, trat in tiefe Pfützen, stolperte, – dann hatten wir die Pforte erreicht.

Die tiefe Nische in der Mauer an dieser Seite bot uns Deckung. Harald schloß auf, öffnete, spähte hinaus, und wir standen auf der Straße.

Langsam kam ein Auto herangerollt, eine Taxe, – wir hatten Glück, sie war unbesetzt.

„Halt‥! – Chauffeur, – – Arnoldstraße, Ecke Pariser Straße…“

Der alte Rumpelkasten, in dem es nach der nassen Bodenmatte ganz faulig roch, schlingerte um die nächste Ecke. Es gibt nun im Tiergartenviertel, das dereinst für die vornehmste Wohngegend galt, zahlreiche Sackgassen, in denen sehr alte Villen unter prächtigem Baumbestand dahinräumten. Anderseits gibt es wohl kaum einen Menschen, der alle Teile der Riesenstadt Berlin so genau kennt wie mein Freund Harst. Er als geborener Berliner findet sich sowohl im angeblichen ‚feinen Westen‛ selbst bei größter Dunkelheit genau so gut zurecht wie in dem einstmals ‚Scheunenviertel‛ getauften ärmsten Massenquartieren. Wenn man die Gründlichkeit dieser Ortskenntnis noch unterstreichen will, braucht man nur an die anhaltenden Regengüsse dieser Nacht, an die triefenden Scheiben der Türen und die nicht minder triefende Schutzscheibe ganz vorn zu erinnern. Und doch flüsterte Harst uns schon nach den ersten vier Minuten dieser Heimfahrt eindringlichst zu:

„Der Taxenchauffeur hat die grünen Signale aus dem Hotelfenster richtig gedeutet… Wir sollen sofort die Ehre haben, mit den intimsten Freunden des schwarzen Gastes bekannt zu werden. In diesem Fall benutze ich den Ausdruck ‚schwarzer Gast‛ als Kollektivnamen, als Sammelbezeichnung für Leute, die auch gern schwarze Trikots tragen…“

Er erhob sich halb, schob das Schiebefenster nach vorn hin auf und setzte dem Fahrer die Pistolenmündung ins Genick. „Mein Lieber,“ sagte er ohne besonderen Stimmaufwand, „wenn Sie nicht sofort wenden, wird Ihnen ein Projektil 6,3 das Rückgrat lädieren. Dies ist eine Sackgasse, und so ganz leicht ist es doch nicht, gerade mich in Sackgassen zu locken! Umkehren!“

Der Chauffeur, übrigens ein alter verschrumpelter Knabe, saß genau fünfzehn Minuten später in unserem Büroraum, dessen vielseitige Verwendung ich bereits angedeutet habe. Das Unglückswurm tat mir beinahe leid, als Harst mit einer so unheilvollen Miene vor ihm stand wie ein Scharfrichter, der sich sein Opfer noch in letzter Sekunde gründlichst anschaut.

„Nehmen Sie die Perücke ab!“ befahl er eisig. „Auch gleich den schönen blonden Fußsack alias Bart. Und dann haben Sie hier ein Handtuch, – reiben Sie sich die Schminke herunter!“

Der Mann trug vielfach geflickte Lederhandschuhe, die viel zu groß und am Gelenk zugeschnürt waren.

Fred Steen – vielleicht hatte er bei seiner Jugend noch mehr Instinkt für weibliche Reize – rief plötzlich‥:

„Das ist ja eine Frau!!“

Harst sagte nur: „Wahrscheinlich sogar ein junges Mädchen!“

Bisher hatte unser Gefangener, dessen Autotaxe wir hinten auf unserem Hof gebracht hatten, noch kein Wort gesprochen. Jetzt änderte sich das. –

Das Rüstzeug aller Frauen sind Tränen. Aber hier blieb es bei einem verstohlenen Schluchzen.

„Bitte, Herr Harst, lassen Sie mich wieder gehen,“ erklärte unsere rasch wieder gefaßte Gegnerin mit verschleierter Stimme. „Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich als verkleideter Chauffeur ganz andere Dinge beabsichtigt hatte, als gerade Sie drei als Fahrgäste zu bekommen. Sie befinden sich in einem schweren Irrtum, wenn Sie mir irgendwelche Pläne gerade gegen Sie unterschieben wollen. Ich bedaure außerordentlich, daß Sie drei mir begegnet sind, ich fahndete auf einen Anderen. Bitte, glauben Sie mir!“

Das klang so kindliche rührend, daß es schon ganz bestimmt erlogen war.

Und Harald? – Weder der lange semmelblonde Fred noch ich kannten uns mehr mit Harst aus. Schon im Hotel hatte er Erich Lowski einfach laufen lassen, – – und hier?!

„Wer Sie auch sein mögen,“ erklärte er liebenswürdig, „ich habe keinen Grund, an der Wahrheit Ihrer Worte zu zweifeln. Ich selbst befand mich im Irrtum, wie ich nun zugebe. Behalten Sie getrost Perücke und Bart als entstellende Maskerade für ein sicherlich sehr anziehendes Gesicht bei… – Ich entlasse Sie… Mit der Sache, die wir ergründen wollen, können Sie nicht zu tun haben.“

Ich war vollkommen sprachlos.

Meinte er das ehrlich?!

Jedenfalls mußte Fred, der ein Gesicht wie eine Gewitterwolke schnitt, die Fremde hinausgeleiten. Kaum war die Haustür zugefallen, als ich meinem Herzen gründlich Luft machte. „Man ist von dir ja so manches Widersinnige gewöhnt, Harald, aber diese letzten Vorgänge…“

Er lachte mich aus. Und gegen sein herzerquickendes Gelächter war wirklich nicht anzukommen.

Ich hörte die Taxe mit der fragwürdigen Fahrerin davonfahren. Und dann trat Fred Steen ein, aufgeplustert vor Ärger wie ein Truthahn. „Unerhört, – – drei Mark Trinkgeld hat sie mir gegeben!“ platzte er heraus. „Als ob ich hier Domestike bin!! Lächerlich!“

Er hielt uns das drei Markstücke mit unaussprechlich geringschätziger Gebärde hin. „Wenn Sie nicht so schnell davongefahren wäre, hätte ich es ihr nachgeworfen‥!“

„Überreichen Sie es ihr persönlich,“ meinte Harst stillvergnügt. „Wir werden die Dame sofort besuchen, lieber Fred, und ich verspreche mir von dieser ärztlichen Nachtvisite wirklich allerhand.“

Fred Steen starrte ihn endlos lange wortlos an. Auch ich wußte nichts zu sagen. Ich tat erst wieder den Mund auf, als uns eine wirklich harmlose Autotaxe in das Tiergartenviertel zurückbrachte. An einer Straßenecke stiegen wir aus. Harst entlohnte den Chauffeur und bog nach links ab. Regennasse, entlaubte Bäume hinter verrosteten Vorgartengittern, große Wasserpfützen auf ausgetretenen Bürgersteigen, alte Villen mit verwitterten Prunkfassaden, – – eine Sackgasse war es, eine der ganz stillen Seitenstraßen, an jeder Seite nur fünf Grundstücke. Als Abschluß ein fast freiliegendes zweistöckiges Gebäude, in einem völlig mißverstandenen pompejanischen Stil errichtet. Die wenigen Laternen kämpften ohne Aussicht auf Erfolg gegen diese Finsternis einer Morgenstunde an, die nur ungeheure Regengüsse und pechschwarzes Gewölk kannte. Nur das… Dazu die unvermeidlichen Sturmstöße, die mit wahrer Katzenmusik um die Giebel fegten… –

In diesem höllischen Unwetter einer von tollsten Sensationen über und über geladenen Februarnacht schlichen wir in klatschnassen Gummimänteln außerhalb des schwachen Lichtscheins der spärlichen Laternen auf das die Sackgasse abschließende Grundstück zu. Hohe Gitter, dicke Mauerpfeiler und eine halbüberdachte Pforte und Einfahrt schlossen den uralten Besitz von der Straße ab. Unter der Einfahrt machte Harald halt und drehte das Gesicht zur Seite, hob gleichzeitig den Arm und deutete in die Dunkelheit hinein – – die Gasse abwärts, jedoch mehr an der linken Ecke des letzten Grundstücks vorüber. Jenseits der Hauptstraße drüben erkannte ich Baumkronen, den Teil des Mittelbaus eines vierstöckigen Gebäudes und dessen rechten Seitenflügel.

„Hotel ‚Atlantik‛,“ sagte Harst leise. „Denkt an die grünen Signale… Die Frau, die ich laufen ließ, hätte uns als Gefangene nichts genützt. Nur in voller Freiheit wird sie uns ohne ihr Wissen ein wertvolles Werkzeug sein. – Begreift ihr, weshalb ich das Haus hier aufs Korn genommen habe? Es ist das einzige dieser Sackgasse, das vom obersten Stock freien Ausblick bis zum Mittelbau des Hotels bietet, denn im übrigen ist dies dieselbe Sackgasse, in die uns die verkleidete Frau hineinlocken wollte…“

Steen, dessen spitze Nase einer Traufe glich, meinte mißtrauisch: „Darin liegt ein Widerspruch, Herr Harst. Dann hat die Unbekannte also doch die grünen Signale auf sich bezogen und kennt den Signalgeber.“

Er hatte damit nicht so ganz Unrecht.

„Von einer ‚Unbekannten‛ kann keine Rede mehr sein,“ erwiderte Harald, indem er einen Augenblick seine Taschenlampe aufleuchten ließ. Der dünne Lichtstrahl glitt über die Klingelknöpfe und die Namensschilder der Eingangspforte hin, – es waren drei im ganzen…

„Nein, keine Rede!“ bekräftigte er nochmals. „Helga von Pfuhl war ja nie ein ausgesprochener Star am Filmhimmel, aber immerhin doch gerade ihrer Vielseitigkeit wegen sehr gesucht. –

Bitte, – das unterste Messingschild trägt Helga von Pfuhls Künstlernamen Helga Uhlberg, eine sehr leicht zu durchschauende Abkürzung des Namens von Pfuhl-Pfuhlberg‥. Und was die Signale angeht: Helga wohnt im Erdgeschoß, außer ihr hausen hier noch zwei Mieter, und gerade die Bewohner des Oberstocks möchte ich genauer unter die Lupe nehmen…“

Er hatte den Satz kaum beendet, als an der Innenseite der Pforte hinter dem Pfeiler eine Gestalt in Dienerlivree hervortrat. Der Mann hatte einen großen Regenschirm bei sich, spannte ihn langsam auf und sagte in aller Höflichkeit:

„Falls die Herren hier jemand besuchen wollen, bin ich gern bereit, Sie einzulassen.“

An sich wäre dieses Anerbieten kaum irgendwie ungewöhnlich gewesen, wenn es vielleicht am Tage erfolgt wäre. Aber um diese Morgenstunde, wo noch nicht einmal die unvermeidlichen Milchlastautos oder gar die Backwarenausträger unterwegs waren, mußte diese Zuvorkommenheit des livrierten älteren Dieners zumindest verdächtig erscheinen.

„Bei wem stehen Sie im Dienst?“ fragte Harst, indem er die dürre, knochige Gestalt hinter dem Gitter beleuchtete.

„Bei Herrn Doktor Imbork, der sich in dieser Nacht erschossen hat,“ entgegnete der Mann mit zittriger Stimme, der man die starke Gemütsbewegung anmerkte.

„Wann?“ forschte Harald urplötzlich äußerst lebhaft…

„Vor einer Stunde etwa, mein Herr… Die Polizei war bereits bei uns, ebenso zwei Ärzte… Unzweifelhaft Selbstmord infolge Nervenzerrüttung.“

„Und auf wen warten Sie hier hinter dem Mauerpfeiler?“

„Auf Herrn Doktors Onkel, seinen einzigen näheren Verwandten, den Prof. Imbork, den ich telephonisch verständigt habe. Er wohnt draußen im Vorort Neubabelsberg und muß jeden Augenblick hier eintreffen.“

„Gut, lassen Sie uns ein,“ entschied Harald in freundlichstem Ton. „Mein Name ist übrigens Harald Harst, und ich möchte mir Ihren toten Herrn einmal ansehen.“

Der Mann, dessen bartloses, faltiges Gesicht jetzt lediglich fast freudige Überraschung verriet, rief sichtlich begeistert:

„Harst! Herr Harst! – Oh – – Sie sendet mir das Schicksal! Ich schließe sofort auf… Kommen Sie nur, meine Herren… Der Herr Professor mag läuten.“

Ich hatte ebenfalls meine Taschenlampe eingeschaltet und las die Namenschilder am Pfeiler.

Doktor Imbork wohnte ganz oben im zweiten Stock.

Also mit freier Aussicht auf die Rückfront des Hauptgebäudes des ‚Atlantik‛.

 

 

6. Kapitel

Der seltsame Professor.

Der tote Doktor Hans Imbork lag noch auf demselben Diwan in seinem Arbeitszimmer, wo er sich mit einer Selbstladepistole erschossen hatte. Die Waffe war noch in seiner verkrampften Hand gefunden worden, als der Knall des Schusses den Diener Friedrich Buck herbeigerufen hatte.

Imbork, Junggeselle, reich, etwa Mitte dreißig, gehörte zu jenen nicht gerade häufigen Chemikern, die durch Erfindungen ein großes Vermögen ehrlich erworben haben. Friedrich betonte, sein Herr sei völlig überarbeitet gewesen, habe zu Reizmitteln gegriffen und zuletzt immer größere Mengen eines Narkotikums genommen, um etwas Schlaf zu finden.

Harst hörte sich alles das mit undurchdringlichem Gesicht an.

In dem wohl recht eleganten, aber ebenso ernst-wissenschaftlichen Raum fiel mir persönlich sofort manches auf. Zunächst stand eins der Fenster offen, genauer ein Fensterflügel. Er war festgehakt. Der Regen schlug von der Seite hinein und hatte den Teppich und Dielen bereits etwas durchnäßt.

Zweitens: Die Zimmerbeleuchtung war übermäßig hell. Außer der fünfarmigen Krone gab es überall Wandleuchter. Fernerhin über dem Diwan des Toten als Rückwand ein sehr seltener, sehr glänzender, aber auch dickwolliger Perserteppich an der mit dunklem Holzpaneel verkleideten Wand.

Was den Selbstmörder selbst anging: Er war vollkommen angekleidet, seine Halblackschuhe sehr sauber, die Sohlen trocken und wenig abgenutzt. Die rechte Hand mit der Todeswaffe hing schlaff nach unten, und die Mündung der Pistole berührte das Bärenfell, das vor dem Ruhebett lag. Dieses prachtvolle große Fell besaß einen natürlichen Kopf mit echten Zähnen und halb offenem Maul.

Friedrich Steen und ich waren in der Nähe des Ofens, wo eine behagliche Kaminecke eingerichtet war, stehen geblieben. Harald hatte den Gummimantel abgestreift und stand dicht neben der Leiche.

„Friedrich, noch eine Frage,“ setzte er das Verhör fort, während seine Augen unausgesetzt und geradezu auffällig zwischen Fenster und Diwan wie abschätzend hin und her eilten. „Ist Ihr Herr in den letzten Wochen häufiger verreist gewesen? – Wann kehrte er heute nacht heim?“

Der Diener erwiderte ohne Zögern in demselben glaubwürdigen Ton wie bisher: „Ja, er war häufig auswärts, zumeist mit seinem Auto, das er allein steuerte. Heute kehrte er etwa um drei Uhr heim, Herr Harst. Nun – es mag auch etwa später oder früher gewesen sein.“

Harald tat nun etwas, das uns in Erstaunen versetzte.

Er nahm den Wandteppich von dem tief nachgedunkelten Holzpaneel, an dem jener an kleinen Ringen hing. Die hölzerne Wandverkleidung hatte im Lauf der Jahre stark durch Holzwürmer und auch Mäuse gelitten. Gewiß, man hatte die Löcher mit farbigem Kitt verschlossen, – bemerkbar blieben sie trotzdem.

Kaum war nun der Wandteppich entfernt worden, als Friedrich Buck leise aufschrie:

„Mein Gott, – – Schußlöcher!“

Allerdings, das mußte selbst ein halbwüchsiger Bursche sehen, das waren vier Schußlöcher, und alle lagen dicht nebeneinander. Das Holz war gesplitter, da die Kugeln von der Seite eingedrungen waren.

Harald befestigte den Teppich sofort wieder, ging zum Lichtschalter, und das Zimmer versank in Finsternis. Nur Harsts Taschenlampe bildete zu unseren Füßen einen grellen Fleck.

„Friedrich, Sie verehrten Ihren Herrn,“ meinte er ungewöhnlich ernst. „Neben Ihrer Treue besitzen Sie eine hervorragende Eigenschaft: Gesunden Menschenverstand! Und der sagt Ihnen, daß hier Mord vorliegt.“

„Ja,“ bestätigte Buck heiser. „Ich bin Soldat gewesen, ich bin…“

Im Flur – die Tür war nur angelehnt – schrillte eine Glocke.

„Ah – die Gartenpforte! Der Professor!!“ meinte Friedrich etwas ernst.

„Sehr gut, – Sie werden verschweigen, daß wir hier sind… – Gehen Sie öffnen…“

Friedrich zögerte. „Herr Harst, ein sehr passendes Versteck ist jenes Büchergestell… Dahinter befindet sich eine Nische, – das Regal läßt sich zur Seite rollen.“

– Wenige Minuten später vernahmen wir eine klare, sonore Stimme, dazu die des Dieners. Der Stimme nach mußte Prof. Julius Imbork ein Mann von verfeinerter Kultur mit einem starken Einschlag ins theatralische sein.

Das Licht im Zimmer flammte auf. Durch die Lücken in den Bücherreihen konnten wir den ganzen Raum, soweit er uns anging, überblicken.

Ich lasse alles Unwesentliche weg. Ich betone nur: Julius Imbork war der Typ des verkommenen Gelehrten, den eigene Schuld, eigene Nachlässigkeit und irgend ein Tropfen Vagabundenblut zum abgerissenen Stromer und Säufer degradiert hatten. Harst hatte uns hierauf vorbereitet.

Dieser in Kleidung und Charakter so tief gesunkene Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren mit der schiefen Nickelbrille, der Trinknase und der geradezu schäbigen Kleidung hatte sich nur eins bewahrt: Eine gewisse, freilich übertriebene Katheterwürde und jene gekünstelte Art der Sprache, die bei diesem kläglichen Menschenwrack mit dem zerzausten Bart und dem ungepflegten grauen Haar abstoßend und beinahe mitleiderregend wirkten.

Er schickte jetzt den Diener hinaus, nachdem dieser ihm eine Flasche Kognak und ein Glas hatte holen müssen.

„Ich will mit meinem armen Neffen allein sein. Gehen Sie zu Bett. – Bringen Sie noch zwei Leuchter und einige Kerzen…“ fügte er geistesabwesend hinzu.

Sehr bald brannten nur noch die beiden Kerzen, der Professor hatte die Fenster geschlossen, sich einen Sessel neben den Diwan gerollt und Platz genommen. Er saß lange Zeit regungslos da, kehrte uns den Rücken zu, und doch rührte er den Kognak nicht an.

Plötzlich erhob er sich.

Waren seine Bewegungen bisher schwerfällig, träge und unsicher gewesen, – jetzt spielte er nicht mehr eine bestimmte Rolle, die er in der Vollendung beherrschte. Eine nie geahnte Tatkraft, Verschlagenheit und triumphierende Schadenfreude beherrschte sein Wesen. Er schlich zur Flurtür, riß sie lautlos auf, tat dasselbe bei der zweiten Tür, verhängte dann die Schlüssellöcher, nachdem er die Türen verschlossen hatte und goß den größten Teil des Inhalts der Kognakflasche zum Fenster hinaus, füllte das Glas zur Hälfte und nippte daran.

Nippte daran…

Ein dämonisches Grinsen verzerrte sein unsauberes Gesicht.

Neben mir in der Nische hörte ich unseren Fred stoßweise atmen.

Der Professor tat noch mehr. Er entfernte den Wandteppich, zog aus der Tasche ein Schälchen hervor, mischte einen Kitt zurecht, der genau die Farbe des Holzes hatte und sehr schnell hart wurde, wie wir nachher feststellten, und verschmierte so die Kugellöchern, drückte die Holzsplitter fest und ging bei alledem so sorgfältig zu Werke, daß seine Arbeit als mustergültig bezeichnet werden mußte.

Dann überlegte er, hängte den Teppich wieder an die Haken und entfernte sich, nachdem er auch die zweite Tür aufgeschlossen und den Fensterflügel wieder geöffnet hatte. Er schien sich die Sache jedoch anders überlegt zu haben, kehrte nochmals leise zurück, löschte auch die beiden Kerzen aus und trat an das offene Fenster.

Plötzlich – er kehrte uns wieder halb den Rücken zu – blitzte es aus seiner vorgestreckten Hand giftgrün in dünnem Strich auf, – erst einmal, dann dreimal…

‚Also doch!‛ dachte ich wie erlöst. Er also war der Signalgeber gewesen!

Gleich darauf war das Zimmer leer, die Flurtür knarrte, fiel zu, und Harald huschte zum Fenster.

 

 

7. Kapitel

Harst duldet eine Entführung.

Dieses alte, im pompejanischen Stil ausgeführte Haus hatte eine sehr breite Treppe und ein mit verblaßsten Malereien geschmücktes Treppenhaus. – Da der Professor sich von Friedrich Buck die Schlüssel nicht hatte geben lassen, war anzunehmen, daß er sowohl den Haustür- als auch den Gartenpfortenschlüssel besäße, – – falls er nicht mit Dietrichen Bescheid wußte, was ich ihm nach dem Vorausgegangenen sehr wohl zutraute.

Harst beugte sich sehr weit zum Fenster hinaus. Steen hatte er mit kurzem Befehl hinaus in den Flur geschickt. Ich selbst drängte mich neben meinen Freund und konnte das Vorgartengitter undeutlich erkennen. Aber niemand verließ das Grundstück.

Minuten verstrichen…

Harst trat zurück. Wir standen im Dunkeln, seine gedämpfte Stimme klang geheimnisvoll und besorgt. „Mein lieber Alter, – das ist ein Problem! Ein Kriminalproblem! Dafür kann man keine andere Bezeichnung wählen. Ich stünde hier vor einem vollkommenen Rätsel, wenn der Flurläufer nicht so manches verraten hätte, was nun wohlverborgen in unserem Tresor ruht. Ich schloß es weg, als ihr beide, Fred und du, unser Heim durchsuchtet, obwohl die fremden Gäste längst ausgezogen sein mußten, die da im Keller Unfug getrieben hatten. Du merkst mir an, daß ich trotzdem der Entwicklung der Dinge mit einiger Besorgnis entgegensehe. Es bleibt noch vieles ungeklärt, das gebe ich ohne weiteres zu. Die Zusammenarbeit Gerd Pfuhls mit seiner Schwester ist erwiesen. Freiwillig gab sich Pfuhl nicht dazu her. Er ließ die Photos bei uns liegen und suchte uns Hindernisse in den Weg zu legen, weil er seine Schwester schützen wollte. Er fürchtete, ich könnte Helga Pfuhl trotz glänzender Maske unter den Photos herauserkennen, sie sieht ihm sehr ähnlich, und er mochte fühlen, daß ich ihm nicht ganz traute…“

Steen kam herbeigestürzt. Seine eingeschaltete Taschenlampe beschrieb wilde Spiralen. „Herr Harst, der alte Imbork muß … muß im Erdgeschoß überfallen worden sein… Ich hörte allerlei verdächtige Geräusche, dazu einen schwachen Schrei und…“

„Hinab mit uns!“ – – Harst lief zur Tür… In den großen Treppenhaus mit den dicken, aber vielfach gestopften Läufern war nichts mehr zu hören.

„Haustür auf und offen lassen, Fred!“

Der probierte schon einen Dietrich.

„Verdammt!“ zischelte er. „Der Haustürschlüssel steckt von außen… – Nein, es ist eine eingeschraubte Schloßsicherung!“

Neben der Haustür schillerten zwei bunte, hohe Fenster. Harst riß einen Flügel auf… Der Regen schlug herein. In demselben Augenblick glitt von rechts her ein Auto in schnellstem Tempo durch die geöffnete große Gittertür auf die Straße und entschwand um die Ecke.

„Sie haben ihn mitgenommen!“ sagte Harst ganz laut und schaltete in dem dielenartigen Flur das Licht ein. Rechter Hand lag der Eingang zu Helgas Wohnung. Vor der dunklen, geschnitzten Flügeltür zeichnete sich auf dem Läufer ein regennasser, schäbiger schwarzer Filzhut ab – wir eine große, zerdrückte Fledermaus: Julius Imborks armselige Kopfbedeckung.

In der Tür war ein kleines Messingschild befestigt:

Helga Uhlberg

Darunter drei Visitenkarten von Untermieter, – alles Herren, – – die Namen sind gleichgültig, die Berufe wichtig: Ingenieur, Flugkapitän, Schauspieler.

Harst versuchte seinen Dietrich. „Läuten hat keinen Zweck… Es ist doch niemand mehr in der Wohnung. Jedenfalls dürften diese drei Herren vor Stunden in unserem Kellern gewesen sein.“

Die aus sechs Zimmern bestehende Wohnung war leer. Überall stießen wir auf die Anzeichen hastigsten Aufbruchs. Harald hatte Julius Imborks nassen Filz unter den Mantel geschoben und blieb schweigsam. Nur vor Helgas halb ausgeräumtem Schreibtisch machte er etwas längere Zeit halt, drehte sich dann um, ging zu dem mächtigen Ofen, der fast eine halbe Wand einnahm, und öffnete die Tür der Feuerung.

Rote Glut fegte durch den Luftzug in langen Flammenzungen nach hinten, halb verkohltes Papier fiel auf den Ofenvorsatz, und mit bullerndem Prasseln schoß die Lohe immer kräftiger in den Schornstein hinein.

„Hier verbrennen die Beweise der Zusammengehörigkeit Julius Imborks mit den Geschwistern Pfuhl,“ sagte Harst etwas orakelhaft. „Helga Pfuhl kannte den Mörder des Doktor Imbork. Sie entzog ihn uns. Mein Experiment, daß die Dinge diesen Verlauf nehmen sollten, ist etwas mißglückt. – Was haben Sie da mit den Schürhaken herausgezogen, Fred?“

„Die Reste einer Gruppenaufnahme… Komisch, gerade die Köpfe dieses vertrauten Familienidylls sind erhalten geblieben… Bitte…“

Harst betrachtete den durch die Hitze tief gebräunten Bildrest und schob ihn in die Brusttasche.

„Schließen Sie den Ofen, Fred… Wir können uns entfernen.“

„Und wohin?“

„Ins Bett!“ erwiderte Harald nur. „Oder glauben Sie, dieser Kriminalfall läßt sich ohne Schlafpause so am laufenden Band erledigen?!“

Steen verneigte sich übertrieben. „In aller Bescheidenheit: Ich bin nicht müde!“

„Aber ich!! – Nach Hause!“

Wiederum brachte uns eine Autotaxe heim.

„Durchsucht das Haus!“ befahl Harald im Flur.

Ihm war gewiß nichts von Müdigkeit anzumerken. Er betrat unser Büro, schaltete das Licht ein, und faßte in die Tasche. „Geht nur! Seid vorsichtig!“

Steen und ich suchten mit größter Sorgfalt. Wir entdeckten nichts Verdächtiges. Wir waren dann kaum wieder im Erdgeschoß angelangt, als die Flurglocke so anhaltend schrillte, daß unsere ohnedies etwas überreizten Nerven dieses Gerassel der Glocke kaum ertragen konnten.

Steen fluchte…

„Wer ist da?“ brüllte er in die Finsternis hinaus, indem er nur den Deckel des Türspions zurückschob.

„Mein Name ist Erich Lowski… Ich möchte Herrn Harst sprechen…“

Lowski?! – War er der schwarze Gast? Zur Zeit war er nur ein morgendlicher Gast bei strömendem Regen, Sturm und gelegentlichen Hagelschauern.

Harald trat zu uns.

„Laßt ihn ein! Schnell!!“

Steen öffnete…

Lowski trat einen Schritt vorwärts, blinzelte in das Licht und verfärbte sich, als Harst ihn rücksichtslos bei der Brust packte und zur Seite riß.

„Tür zu!!“

Die Tür krachte im Schloß.

Auch Steen und ich waren zur Seite getreten.

Aber das, was wir argwöhnten, geschah nicht.

Nicht eine einzige lautlos abgefeuerte Kugel zerfetzte die Türfüllung.

„Ein Beweis gegen den Alten,“ meinte Harald achselzuckend. „Entschuldigen Sie, Herr Lowski, – ich verfuhr etwas sehr rauh mit Ihnen. – Nehmen Sie Platz… – Fred, Kaffee und einen Imbiß, schleunigst…“

Er warf Holzstücke in den Kamin, brannte einen Kohlenanzünder an, und die trockenen Scheite lohten empor.

„So, Herr Lowski, – nun zu Ihnen… Hier sind Zigaretten… Was verschafft mir das Vergnügen Ihres so frühen Besuches? – Um es gleich zu sagen: Wir wollen möglichst bei der Wahrheit bleiben. Also keine Parlamentsreden, sondern klipp und klar: Was führt Sie her?“

Erich Lowski hatte über dem einen Auge eine schwache Beule, deren Verfärbung er geschickt überpudert hatte. Er war schlank, mittelgroß, sein Gesicht besaß junge, trotzdem kühl-beherrschte Züge. Alles in allem: Eine sehr ansprechende Erscheinung, – jetzt noch mehr als im schwarzen Trikot. Sein Jackenanzug saß erstklassig.

Nur eins gefielen mir nicht: Seine Augen!

Gewiß, – fünfundsiebzig Prozent der niederprächtigsten Gauner haben treueste, harmloseste Dackelaugen. Die ‚Augendiagnose‛ in Kriminalfällen ist mithin vollkommen unzuverlässig.

Und doch: Lowski kniff die Augen merkwürdig zusammen, blinzelte eigentlich nur durch die Wimpern.

Fürchtete er, seine Augen könnten ihn verraten?!

Er antwortete sehr bedächtig, indem er eine Zigarette nahm:

„Gut, – – wir wollen möglichst bei der Wahrheit bleiben, Herr Harst. – Waren Sie in dieser Nacht im Hotel ‚Atlantik‛?“ –

Mir schien es, als spräche er mit leichter Ironie.

Wie würde Harald mit dieser heiklen Frage fertig werden. Würde er sein Spiel aufdecken?

 

 

8. Kapitel

Was bedeutet die Chiffreschrift?

Er blickte Lowski zunächst eine Weile prüfend an.

„Im Vertrauen, – wir waren im ‚Atlantik‛, weil der dortige Detektiv uns hingebeten hatte. Es handelte sich um den schwarzen Gast.“

Lowski hüllte sich in Rauchwolken und hüstelte. „Wann waren Sie dort?“

„Etwa um zwei Uhr…“ sagte Harst … möglichst wahrheitsgetreu. – Ob wir zweimal dort gewesen, danach fragte Lowski nicht.

Es folgte eine längere Stille, die desto gedankenschwerer, gedankengeladen bis zum Bersten erschien.

Lowski blinzelte in das Licht der Ofenfeuerung und kaute nervös die Unterlippe. Er war enttäuscht und daher verwirrt, er schenkte Harsts Angaben wohl vollen Glauben und wußte nicht recht, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte.

Er war hierher gekommen, weil der Überfall auf ihn im Hotelflur ihm unbegreiflich blieb und zwar aus dem einfachen Grund: Er war niedergeschlagen und trotzdem nicht weiter belästigt worden. Er begriff das alles nicht, er hatte hier bei uns Aufschluß erhalten wollen, und diese Hoffnung war trügerisch gewesen.

Steen brachte den Kaffee, füllte die Tassen und setzte sich.

Die Stimmung hier in unserem sogenannten Büro glich so etwa der, als stünde anstelle der Kaffeemaschine eine Bombe mit tickendem Uhrwerk auf dem Tischchen.

Lowski nippte an seiner Tasse.

Draußen prasselte Hagel gegen die Fensterläden.

Harst hatte seinen Sessel mehr in den Schatten gerückt.

Er schwieg und wartete ab.

Für Erich Lowski mußte dieses Schweigen eine Tortur sein.

Er beherrschte sich nach Kräften, aber die Tasse in seiner Hand klirrte.

Allmählich erschienen auf seiner von Falten zerfurchten Stirn – und diese Falten vertieften sich immer mehr – feine Schweißperlen. Seine Nerven mußten zum Reißen gespannt sein.

Sie streikten…

Er fuhr halb empor.

„Herr Harst , – ich ertrage das nicht länger! Seit Wochen bin ich ein gehetztes Wild!“

– Seine Stimme schrillte unangenehm.

„Oder – – Sie hetzen ein Wild,“ warf Harst sehr kühl ein. „Wie kamen Sie auf den Gedanken, mich aufzusuchen?“

Lowski fiel in den Sessel zurück und senkte den Kopf. Sein Atem flog. Seine Finger zerpflückten die Zigarette.

„Waren Sie vor einer halben Stunde in der Benzler Straße?“ fügte Harald recht scharf hinzu. „Bitte, die Wahrheit!“

Lowski nickte nur.

„Mithin,“ erklärte Harst unbarmherzig, „ist Ihnen in dieser Nacht etwas zugestoßen, was Sie nicht recht verstehen und wofür Sie in der Benzler Straße, der stillen Sackgasse, eine Erklärung zu finden hofften.“

„Ja!“

Das klang sehr widerwillig und gequält.

„Und in der Benzler Straße sahen Sie uns drei aus einem gewissen Haus herauskommen, Herr Lowski. Sie wissen also auch, wer dort wohnt.“

„Ja…“

Harst änderte den Ton.

„Mein lieber Herr Lowski, dieses Blindekuh-Spiel hier bringt uns nicht weiter. – Kennen Sie Helga Uhlberg sehr genau?“

Lowski zuckte merklich zusammen.

„Ich … ich kannte sie … sehr gut, – – früher.“

„Ach so! Und was brachte Sie beide auseinander?“

„Bedaure, – das sind persönliche Angelegenheiten, Herr Harst.“

„Auch dann noch, wenn zum Beispiel Doktor Hans Imbork in dieser Nacht ermordet wurde?! Auch dann noch?!“

Lowski wurde leichenblaß.

„Das … das ist unmöglich!“ Er quälte die Worte förmlich hervor. „Das wäre … entsetzlich. Ist … ist er wirklich tot?“

„Selbstmord, – glaubt die Polizei. In Wahrheit kaltblütiger Mord… Sie kennen den Mörder!“

Das klang wie eine Anklage.

„Nein, – – nein!!“

Erich Lowski war aufgesprungen.

„Dann vermuten Sie, wer es sein könnte… – Setzen Sie sich wieder… Der Mörder ging sehr schlau zu Werke. Er entledigte sich eines Mitwissers und Gegners. Er schüchterte ihn ein, warnte ihn absichtlich vor einer nicht existierenden Gefahr, beobachtete, daß Hans Imbork eine Waffe bereithielt und nutzte den Lärm des Unwetters dieser Nacht zu ein paar Büchsenschüssen mit Zielfernrohr und Schalldämpfer aus… Er traf, und sein Opfer drückte in kurzem Todeskampf die Pistole ab… Die Kugel sitzt in den Dielen unter dem Teppich vor dem Diwan.“

Lowskis bleiches, schweißfeuchtes Gesicht stierte weit vorgebeugt in die Dämmerung, in der Harst wie ein unerbittlicher Richter saß.

Abermals erhob sich Lowski. Seine Augen waren nun weit geöffnet … ganz weit… Um den Mund lag ein harter Zug.

„Ich … möchte mich verabschieden, Herr Harst… Ich muß mit allem erst innerlich fertig werden… Gewähren Sie mir bitte einige Stunden Frist… Vielleicht … bis morgen früh.“

„Das wären nicht einige, sondern mehr als vierundzwanzig Stunden… – Gut denn, – – also auf Wiedersehen. Uns ergeht es nicht viel anders als Ihnen. Auch wir sind fertig, wir werden ruhen… –

Fred, geleite den Herrn Lowski hinaus. Es besteht keine Gefahr mehr…“

Er verabschiedete sich sehr höflich von dem bleichen Mann, der unsicheren Schrittes davonging. Als die Haustür zufiel, sagte Harald kopfschüttelnd:

„Zu viel Rücksichtnahme, – zu viel … Liebe, mein Alter! – Armer Kerl, der Lowski… Er findet sich in diesem Labyrinth nicht zurecht… Hoffentlich hat der Generaldirektor inzwischen meine Anweisungen befolgt…“

Fred trat ein. „Ein Sauwetter, noch immer!! Es will heute überhaupt nicht hell werden.“ Er gähnte herzhaft. „Was nun, Herr Harst?! Fortsetzung des Blindekuh-Spieles etwa?! – Herr Schraut und ich sind die blinden Kühe, – pardon, es klingt nicht gerade schön.“

„Nein, es klingt etwas unverschämt,“ meinte Harst mahnend. „Bei diesem Kriminalfall darf niemand dem anderen vorwerfen, er sei blind… Ich selbst tappe noch halb im Dunkeln. Ich hätte zum Beispiel Julius Imbork diese Treffsicherheit nie zugetraut. Allerdings erleichtert ein Zielfernrohr einen Schuß auf etwa zweihundert Meter Entfernung außerordentlich. Hauptsache bleibt mir, daß Lowski nun über jeden Verdacht erhaben ist und daß Spieler und Gegenspieler scharf abgegrenzt sind.“

„Was Sie sagen!!“ rief der lange Fred halb entrüstet. „Wo sind diese Grenzen?! Ich merke davon nichts, gar nichts, ich sehe nur ein ungeheures Kuddelmuddel, in dem Personen auftauchen, widerspruchsvollste Dinge treiben und wieder im Nebel verschwinden…“

„Kometen – – Sternschnuppen!“ nickte Harst ganz ernst und trank seine Tasse leer. „Gehen wir zu Bett… Es hat keinen Zweck, etwas zu überstürzen. Wir müssen uns mit Geduld wappnen… – Gute Nacht…“

Aber weder Steen noch ich rührten uns.

Harald lächelte verstohlen.

„Ihr traut mir nicht. Ihr glaubt, ich will nochmals ins Hotel ‚Atlantik‛. Aber ihr irrt euch. Nur die Nachtstunden sind für uns von Wert. Der Tag, die Tageshelle bringt keine Klärung. Also noch einmal – – Gute Nacht‥!“

Steen und ich blickten uns an. Diesmal waren wir Verbündete gegen Harald.

Wir blieben.

Mein Freund seufzte leise.

„Hartgesottene Sünder seid ihr!! – Gut, nehmt Platz… Erörtern wir das Nötige. Das wollt ihr doch…“

Er trat an den halb in die Wand eingemauerten Tresor heran und schloß ihn auf. Der Stahlschrank besaß ein Geheimfach. Er ließ die kleine Klapptür aufschnellen, griff in das Fach hinein und legte ein dünnes Pappstück, Größe 12 mal 15, vor uns hin. Unter einer durchsichtigen Lackschicht waren auf der harten Pappe lange Reihen von Zahlen und mathematischen Formeln zu erkennen.

Der vorlaute Fred witzelte sehr unangebracht: „Aha, – das übliche geklaute Geheimdokument aus dem Kriegsministerium des abgerüstet Großstaates ‚Phantasia‛, – oder ähnliches! Notwendigster Bedarfsartikel aller Romanschreiber, die jeden Monat einen neuen Schmöker auf den Markt werfen! Vielleicht auch ein geheimnisvolles Testament über ein Erbe von hundert Millionen‥! –

Wo haben Sie das her, Herr Harst?“

Harald entgegnete prompt:

„Aus dem ‚Atlantik‛ natürlich…“

„Unter dem Flurläufer gefunden,“ ergänzte ich.

Steen warf mir einen bitterbösen Blick zu. „Also bin ich allein diesmal die blinde Kuh! Vielleicht jedoch nicht so ganz blind… Eins weiß ich nun: Helga Uhlberg als Taxenchauffeur hatte doch etwas geplant und wollte uns drei…“

Harst lachte. „Logik schwach, sehr schwach! Helga war hinter Imbork her, hinter Julius Imbork.“

„So?! Und ist es nicht auch möglich, daß sie wußte, daß Sie dieses lackierte Pappstück bei sich hatten, Herr Harst, und daß Sie es Ihnen abnehmen lassen wollte?“

Harald winkte gutmütig ab. „Wenn wir noch mehr ‚Möglichkeiten‛ hineinziehen, wird der Kuddelmuddel – Ihr Ausdruck – noch größer. Belassen wir es bei Tatsachen. – Tatsache ist, daß Gerd Pfuhl unter der Maske des Hotelgastes Wilson/Busterley seine eigene Schwester erkennt, an der er mit brüderlicher Liebe aufs innigste hängt.

Weiter ist Tatsache, daß er nicht nur von hier die Photos stehlen läßt, sondern sogar uns selbst für einige Zeit ausschalten möchte. Grund: Angst, wir könnten auf Helgas Spur kommen! – Ferner ist einwandfrei erwiesen, daß Erich Lowski, Sohn eines halb verkrachten Großindustriellen, der eine schwarze Gast ist, aber wohl kaum der richtige. Lowski war auf der Suche nach der Chiffreschrift dort, die ich ihm wegfischte. Seine Beziehungen zu Helga sind klar: Ein Liebespaar, das sich getrennt hat. – Grund, Anlaß? Wahrscheinlich dieses Stück Pappe! – Schließlich noch Onkel und Neffe Imbork. Ersterer ein bekannter Gelehrter, der seinen Ruf durch dunkle Machenschaften schädigt und halb und halb verkommt. – Doktor Hans Imbork sein Gegenstück: Ein zielbewußter erfolgreicher Chemiker, gilt bisher als einwandfreier Charakter, – wird von seinem eigenen Oheim mit teuflischem Raffinement ermordet. Die Schüsse werden aus einem Zimmer der Hinterfront des Mittelbaus des Hotels ‚Atlantik‛ abgegeben, mithin hat Julius Imbork dort gewohnt oder einen Verbündeten wohnen gehabt, – das ‚Oder‛ können wir übrigens sofort streichen: Der Professor wohnte dort und wurde durch Helga Pfuhls Helfer nunmehr verschleppt. – – So, das wäre in aller Kürze das unumstößliche Fundament. Löst man alles Beiwerk weg, entstehen die Fragen: Was bedeutet das beschriebene und lackierte Pappstück, welchen Wert hat es, ist es gestohlen worden, soll es abermals gestohlen werden, wem gehörte es ursprünglich und weshalb die Massenjagd nach einen so unscheinbaren Gegenstand? – Keine dieser Fragen,“ schloß Harst mit Betonung, „vermag ich zweifelsfrei zu beantworten. – Sie etwa, Fred, oder du, mein Alter?“

Das klang wie der reinste Hohn.

Wir sagten gar nichts.

Ich hätte nur ehrlich erklären können: ‚Ich gebe meine eigene Unzulänglichkeit zu. Der Fall ist noch nicht spruchreif.‛

Jetzt hatten Fred und ich nichts mehr dagegen einzuwenden, wirklich zu Bett zu gehen. Wir sagten Harald gute Nacht, und da unsere Schlafzimmer oben eine Verbindungstür hatten, unterhielten wir uns noch eine Weile durch die geöffnete Tür, wobei Fred Steens nicht abzu–biegendes Thema lautete: ‚Wer ist nun eigentlich … der schwarze Gast?‛ –

Das Erich Lowski es nicht gewesen sein konnte, hatten wir Harald sehr wohl angemerkt. –

Alles Raten half nichts. Wir hatten die Auswahl zwischen drei Personen: Helga Uhlberg, dem Professor Imbork oder Doktor Hans Imbork. Der Diener Friedrich Imborks hatte ja bestätigt, daß sein Herr seit Wochen viel unterwegs gewesen sei.

Fred schnarchte schon, als ich noch immer mit überreizten Nerven im Bett mich hin und her warf. Draußen war es doch nun endlich hell geworden. Der neue Tag schien uns ein freundlicheres Gesicht zeigen zu wollen. Der Regen hatte nachgelassen, und durch die Fensterläden stahl sich ein dünner Sonnenstreifen herrein.

Auch ich schlummerte in das unlogische Reich wirrer Träume hinüber. Im Einschlafen glaubte ich die Haustür klappen zu hören…

Sollte Harst trotzdem…?!

Zuzutrauen war ihm alles.

 

 

9. Kapitel

Palazzo Contini.

Vormittags elf Uhr war ich mit Bad, Rasieren, Ankleiden fertig und stieg die Treppe hinab. In unserem Büro – Fred rumorte bereits in der Küche herum – fand ich Harald vor einer großen Zinkwanne, in deren klarem Wasser unzählige photographische Positive, Abzüge, umherschwammen. Das Zimmer glich einer Räucherkammer, auf den verschiedenen Aschenbechern lagen etwa neunzig Zigarettenreste und die Kaffeemaschine dampfte noch immer.

„Harald, du bist gar nicht schlafen gegangen!!“

„Nein. Ich war bei dem Photographen, der für Fred Pfuhl die Vergrößerungen hergestellt hat. Der Mann wollte erst nicht, aber dann überließ er mir seine Negativaufnahmen, und ich habe davon auf Papier, das auf Karbidlicht reagiert, Abzüge hergestellt, – eine langweilige Arbeit, aber lohnend. Du siehst, hier in dieser durch ein Brettchen abgeteilten Ecke des Wasserbades habe ich zehn Bilder abgesondert… Fünf davon sind Aufnahmen Wilsons alias Helgas, zwei stellen Sir Roger Barsalan dar, den Zimmernachbar Lowskis, und drei einen Gast von Nr. 48 namens Doktor James Ikray, – – ein wundervoller Name und ein äußerst patenter älterer Herr mit Monokel und Spitzbart… Bitte, schaue dir Ikray an… Er wird dir gefallen … besser als das erlesenste Frühstück.“

Ich trat mit dem nassen, tropfenden Abzug an das Fenster. –

Ein Herr mit glatt angeklebtem grauen Scheitel im Smoking glotzte mich durch sein Monokel an.

„Wer ist das, Harald?“

Gerade da erschien unser Fred mit einem Riesentablett und brachte einen Duft von Spiegeleiern mit ins Zimmer.

„Fred, – kennen Sie den Mann?“

Der nahm mir das recht scharfe Bild ab.

„Keine Ahnung! Wer soll das sein?“

„Es ist ein äußerst gepflegter Herr,“ meinte Harst mit schwachem Lächeln, das etwas bitter und drohend wirkte, „der gestern nacht wie ein Stromer ausschaute.“

„Himmel, – – der Professor?!“

„Ja, Fred! – Ohne Maske, nur elegant aufgewichst, – – man sieht, der Mann spielte zwei Rollen in der Vollendung! Einen Vorgeschmack erhielten wir bereits in der Nacht, als er seine schlaffe Haltung aufgab und die Löcher zukittete. Mit einem Wort: Ein Mörder!!“

Fred Steen nickte. „Wenn man sehr genau hinsieht, merkt man doch Spuren von Ähnlichkeit heraus. – Im übrigen: Fabelhaft!“

Er blickte meinen Freund fragend an.

„Haben Sie im Hotel angerufen?“

„Ja. Der Generaldirektor stellte in aller Stille persönlich fest, daß Herr James Ikray, angeblich Engländer und Vertreter einer großen Firma, durch Abwesenheit glänzt, – – was ich bereits vorher wußte. Aber Herr Zapf hat auch das Zimmer betreten und durchsucht – und unter einem gelockerten Fensterbrett, wo ein paar Ziegelsteine geschickt entfernt waren, die Teile einer Büchse, ein Zielfernrohr und Patronen gefunden und mitgenommen. Ikrays Gepäck enthielt nichts Belastendes. – Frühstücken wir… Lüften Sie aber erst, Fred, denn die Spiegeleier dürften uns hier sonst nicht schmecken.“

„Weiß Gott nicht, – – Räucherkammer!“ – Und Fred riß die Fenster auf.

Da im Kaminofen ein starkes Feuer loderte, empfanden wir die eindringende kalte Luft nicht allzu lästig.

„Und wie ist es nun mit diesem Sir Roger Barsalan?“ fragte ich Harald nach einer Weile.

„Ach so –, richtig, Barsalan. – Ein Unikum, der Mann… Fred, holen Sie mal die Bilder aus der Sonderabteilung der Bütte, der Namen steht mit Bleistift auf der Rückseite. Sie können uns auch Mr. Wilsons Photo reichen… Danke… Nun vergleicht einmal. Ein Glanzstück der Verkleidungskunst, das bringt nur jemand nach sehr langer Übung fertig.“ –

„Herr Gott: Helga Uhlberg – – beides!!“ rief Fred Steen verblüfft.

„Beide, – Wilson und Barsalan‥! – Als Wilson verschwand sie uns aus dem ‚Atlantik‛ als Barsalan wohnt sie noch immer dort, wovon ihr Bruder nichts ahnt.“

Fred und ich brachten kein Wort heraus.

Harald aß derweilen mit bestem Appetit.

„Daß Helga stets mehrere Rollen spielte, war mir sehr bald klar, nachdem die Dinge erst in Fluß gekommen waren,“ meinte er ganz schlicht. „Ich warne euch jedoch davor, Helga nun etwa mit aller Bestimmtheit als den schwarzen Gast anzusehen. Sie mag sich diesmal hier im ‚Atlantik‛ der seltsamsten Methoden jener geheimnisvollen Persönlichkeit bedient haben, indem auch sie Diebin spielte und die Beute wieder herausgab: Erwiesen ist es bisher nicht, daß sie das berüchtigte Hotelgespenst sein könnte.“

Er drückte sich in diesen Sätzen so ungewöhnlich vorsichtig aus, daß ich gern noch so manches gefragt hätte. Aber mit jener plötzlichen, völlig überraschenden Lebendigkeit, die in ihm so jäh emporzusprudeln pflegt, warf er die Serviette weg, erhob sich und fügte hinzu: „Macht euch zu einem Ausflug fertig. Steckt alles Nötige zu euch. Ich telephoniere nach einem Auto…“ –

Dort, wo die bescheideneren älteren Häuschen von Neubabelsberg bisher den Kampf gegen die Grundstücksspekulanten siegreich überstanden haben, liegt abseits in Wald und Buschwerk ein gänzlich verwahrloster Besitz, dessen efeuumranktes Haus an den freien Stellen der Außenwände gelbliche Sandsteinblöcke und kunstvolle Ornamente erkennen läßt, in die unzählige Sperlingsfamilien ihre ruppigen Nester eingeschmuggelt haben. Jeder Ortseingesessene weiß, daß dieses Haus den prunkenden Namen ‚Palazzo Contini‛ trägt, und unverbürgte alte Gerüchte wollen wissen, daß die Contessa Contini, die hier einst gewohnt haben soll, eine der begeistertsten Verehrerinnen Friedrich des Großen gewesen sei.

Wir waren von rückwärts an den verrosteten Zaun des Hintergartens herangeschlichen und hatten auch eine Stelle gefunden, wo drei Zaunstäbe fehlten. Durch eine urwaldartige Wildnis von winterlich totem Gestrüpp gelangten wir an die Hintertür des mit vier Türmchen verzierten Einsiedlerheims, in dem der seit langem gesellschaftlich boykottierte Prof. Doktor Julius Imbork nur zusammen mit seinem früheren Laboratoriumsdiener menschenfeindlich, verbittert und anscheinend auch äußerlich verkommen fernab einer gehaßten Welt Dinge trieb, um die die Öffentlichkeit sich nicht mehr kümmerte.

Wir wußten mehr von diesem Imbork. Jene Harmlosen, die in ihm nur mehr den menschenfeindlichen Sonderling sahen, täuschten sich. Imbork haßte das Land, das seine Heimat war, – er haßte Deutschland mit jener ungerechten Skrupellosigkeit, die keine moralischen Hemmungen kennt. Daß durch eigene Schuld sein Ruf als Gelehrter zerstört worden war, hatte er längst vergessen, vergessen wollen. –

So hatte Harald ihn uns geschildert, als das Auto uns hierher gebracht hatte.

Und nun horchten wir an der Hintertür, während ringsum geschäftige Meisen von Baum zu Baum flatterten und droben im sonnenbeschienene Efeu die Spatzen lärmten. –

In dem Haus regte sich nichts.

„Überlegt euch folgendes,“ flüsterte Harst, „Doktor Hans Imborks Diener rief den Professor telephonisch herbei, als er den ‚Selbstmord‛ entdeckt hatte. Imbork aber befand sich im ‚Atlantik‛. Mithin hat des Professors Vertrauter, der Laboratoriumsdiener, den Anruf nach dem ‚Atlantik‛ weitergegeben.

Wo nun fanden Helga und ihre Leute, die Imbork wegschafften, ein besseres Versteck für ihn als das hier. – Versteck oder Kerker! – – Achtung, ich öffne‥!“

Er führte eine Schlüsselzange in das entsprechende Loch, und dann standen wir in der dämmerigen, durchgehenden Diele. Fader Modergeruch schlug uns entgegen. An den Wänden hingen faulende Gobelins, zwischen den Ziersteinen des Bodenbelags wucherten Moose und dünne Pilzstängel, und die einst weiß lackierten Türen zeigten unter dem abgeblätterten Anstrich die verquollenen, geschnitzten Türfüllungen. Totenstille herrschte in dem winzigen historischen Palast. Eiseskälte, feucht und beklemmend, durchwehte die stinkende Diele. Linker Hand bog ein schmaler Seitengang ab mit zwei dunklen, eisenbeschlagenen Türen, von denen die eine zwei verrostete Riegel mit modernen Vorlegeschlössern hatte.

„Kellertür!“ meinte Harald. „Die Schlösser sind ganz neu…! – Fred, die Stahlsäge‥! Die Ölfläschchen…“ –

Die Bügel der Schlösser wehrten sich nicht lange. Als die Tür kreischend aufsprang, prallten wir zurück. Ein penetranter Gestank entquoll der Kellertreppe, und selbst meine Nase vermochte nicht recht zu unterscheiden, welcher Art diese Gerüche sein könnten.

Wir stiegen langsam hinab, unsere Taschenlampen zeigten uns am Fuß der Treppe eine zweite, offene, eiserner Tür. Die Kellerräume waren feucht, das Grundwasser trat infolge der Nähe des Sees stellenweise in trüben Pfützen zu Tage. Die einzelnen Kellergelasse waren angefüllt mit Gerümpel, Flaschen und Tischen mit chemischen Instrumenten.

Tote, offenbar vergiftete Raten in allen Stadien der Verwesung lagen umher, – – deshalb dieser widerliche Gestank, in den sich der beizende Geruch von Chemikalien mischte. Ganz hinten dann eine verschlossene Tür, neue Schlösser, – wieder arbeitete die Säge, und als die Tür aufging, blickten wir in einen fensterlosen Raum hinein, der notdürftig möbliert war und in dem eine Petroleumlampe brannte.

Auf einen brüchigen Sofa lehnten zwei Gestalten, die uns stumpf und gleichgültig angeklotzten: Der Professor und sein ebenso unsauberer, ebenso alter Diener und Vertrauter.

Julius Imbork lachte plötzlich. „Ah, – – Sie, Herr Harst! Willkommen, willkommen‥! Sie haben mir gerade noch gefehlt‥!“

Er kicherte blöde. Auf dem Tisch neben der Lampe standen Flaschen und Gläser. Er war betrunken.

„Willkommen, Sie … Sie feines Köpfchen, Sie Sherlock Holmes’chen, Sie! Was bringen Sie?! Die Polizei?! Wegen … wegen des kleinen Mordes?! Spaß, – – der Junge war reif, überreif!! Er war ein Idiot!! Ich bitte Sie, wer wird so dumm sein und etwas derartiges ausgerechnet diesem verfl… Deutschland überlassen?! Vaterland?! Lächerlich!!“

„Schweigen Sie!“ –

Harald trat einen Schritt vor. „Sie sind die jämmerlichste jener jämmerlichen Kreaturen, die mit dem Begriff Nation und Vaterland Schindluder treiben! Schweigen sie, – oder…“

Ein donnerndes Dröhnen hallte plötzlich durch die Kellerräume. Fred Steen hetzte zur Eichentür der Treppe.

„Eingesperrt, Herr Harst! Und diese Tür ist nur allzu dick!!“

Er brüllte vor Erregung, und Julius Imbork lachte … lachte…

Er war taumelnd aufgestanden…

„Sie … Sie…“ – in sinnlosem Haß zerbiß er die Worte förmlich, „…Sie … Sie, – – Sie werden hier … krepieren!! Mit uns!! Mit … uns!“

Seine schmierige Hand flog empor…

Ein Schuß knallte…

Stöhnend sank Imbork zurück…

„Schuft … Schuft‥!! Mein Arm‥!! Blut – – Blut!“

„Tragt den Gasballon hinaus!“ befahl Harald. „Vorsicht!! Helga Uhlberg hätte sich hier genauer umsehen sollen! Dann bindet die beiden und dann werden Sie sehr nüchtern werden, Herr Professor‥!“

– Als viele Stunden später die Dämmerung anbrach, reihte sich um das Schloß der Eisentür Loch an Loch… Fred und Harald lösten sich bei der Arbeit mit dem Stahlbohrer ab…

Und Julius Imbork?! –

Er hatte nichts gestanden, nur den Mord zugegeben. Eine diabolische Freude funkelte in seinen Augen, als er höhnend gerufen hatte: „Mich aushorchen?! Das könnte Ihnen so passen!! Ich merke, Sie wissen im Grunde gar nichts, und Sie werden auch nichts erfahren!!“

„Vielleicht irren Sie sich – vielleicht!“ hatte Harst geantwortet und ihm die Reste der Gruppenaufnahme hingehalten, die Fred aus dem Feuer herausgefischt hatte.

Und da war Imbork still geworden.

 

 

10. Kapitel

Der tote schwarze Gast.

Zwei Uhr morgens… In Zimmer 41 des ‚Atlantik‛ herrscht völlige Dunkelheit. Das Zimmer ist unbelegt, trotzdem ist es zur Zeit besetzt, – drei Männer stehen an der einem Wand und – warten. Der Generaldirektor Zapf hat getan, was Harst anordnete, und das Loch in der Wand gewährt genügend Überblick über den Nebenraum, in dem Erich Lowski sich ruhelos in seinem Bett hin und her wälzt. Endlich scheint er eingeschlafen zu sein, – die Sprungfedern des Bettes klirren nicht mehr.

Doch urplötzlich wird das Zimmer taghell, Lowski sitzt aufrecht im Bett, hat die Deckenbeleuchtung eingeschaltet und starrt entsetzt auf das Frauenantlitz, das zu seinen Füßen ihm entgegengeistert.

„Helga, was tun Sie hier?!“ ruft Lowski vorwurfsvoll. „Helga, – – Sie im schwarzen Trikot, – – Sie sind der schwarze Gast?!“

Das Mädchen, das einst Lowskis heimlich Verlobte gewesen, erhebt sich mühsam.

Wir drei Horcher verstehen jedes Wort. Das Loch in der Mauer ist recht umfangreich, die Tapete dahinter vielfach durchlöchert…

„Erich, ich will auch dies ertragen,“ sagt Helga mit weher Stimme. „Ich habe bereits genug gelitten… Es gibt Pflichten, die man erfüllen muß. Erich … du wirst das nie begreifen…“

Harst tut etwas, das ebenso unbegreiflich erscheint. Er stößt mit der Hand die Tapete zurück, sie zerreißt, und er ruft den beiden zu:

„Es gibt nichts mehr zu verheimlichen… Verwandtschaftliche Pflichten haben ihre Grenzen, Fräulein Helga… – Einen Augenblick, wir kommen…“

In Lowskis Zimmer sitzen nun ein höherer Kriminalbeamter, Steen, Helga, Lowski und ich… Harst lehnt an einer Schrankecke. Auch Generaldirektor Zapf tritt leise ein, hinter ihm Gerd Pfuhl. Dann erst beginnt Harald in kurzen Strichen ein Bild dieses ungewöhnlichen Problems zu entwerfen – auf seine Art.

„Fräulein Helga, bitte übergeben Sie zunächst Herrn Lowski das, was Ihnen heute abend als Einschreibebrief zuging, und was Sie bei mir in meinem Tresor zu finden hofften, – deshalb sperrten Sie uns im Keller des ‚Palazzo Contini‛ ein. Doch an meinem Tresor klebte ein Zettel:

Einbruch zwecklos. Pappstück anderswo!

Da unterließen Sie es, meinen Panzerschrank zu beschädigen… – Nicht wahr, es ist doch so?!“

Helga nickt verwirrt. Aber die Freude über die endliche Erlösung aus all den Wirrnissen kommt nun doch bei ihr zum Durchbruch. Glücklich lächelnd reicht sie Lowski die geheimnisvolle Niederschrift mit all den Zahlen und Formeln.

„Ich … hatte Pech,“ erklärt sie ehrlich… „Ich wollte das Dokument in deine Brieftasche schieben, Erich… Es ist das Originalrezept…“

Lowski reißt es ihr aus der Hand.

„Wahrhaftig!! Es ist es!! – Herr Harst, wie fanden Sie es? Ich habe danach gesucht, Hans Imbork suchte danach, – den Dieb kannten wir…“

„Ja, den Prof. Imbork!“ meint Harald mit einer energischen Handbewegung, um die erregten Gemüter etwas abzukühlen. –

Er wendet sich an den Kriminalrat. „Der Polizei ist der vorliegende Fall nur teilweise bekannt geworden, Herr Rat. Die Kriminalpolizei suchte den schwarzen Gast, einen scheinbar nicht ganz zurechnungsfähigen Hoteldieb. Damit begann das verwirrende Spiel, bei dem ich absichtlich einiges noch unklarer gestaltet und vieles verschwiegen habe, was mir längst kein Geheimnis mehr war. Das Problem war in der Hauptsache in dem Augenblick gelöst, als Sie, Herr Lowski, nachts vor der Zimmertür Nr. 48 des angeblichen Doktor Ikray in dem Flurläufer mit der Öse Ihres Schnürschuhes sich verfingen und sich bückten. Entschuldigen Sie, – ich schlug Sie nieder, denn auch ich ahnte, wo Imbork/Ikray für die Nacht das Rezept verbarg: Unter dem Flurläufer! Sie hatten mit dem Fuß den Läufer annehmen wollen, – ich tat es nachher mit der Hand. So gelangte ich in den Besitz des Rezepts, das Doktor Hans Imbork an Ihren Vater verkauft hatte, – ein chemisches Rezept von allerhöchstem Wert – – besonders für das waffenstarrende Ausland. Julius Imbork kannte seines Neffens Arbeiten, er stahl Ihrem Vater das Rezept, und nun begann eine tolle Jagd, die einerseits bezweckte, den Professor zu verhindern, mit Ausländern in Beziehung zu treten, und die andererseits das Rezept ihm wieder abnehmen wollte. Julius Imbork wußte sich dauernd beobachtet, reiste hin und her, wollte seine Verfolger abschütteln. Er haßte Deutschland, er wollte sein Vaterland schädigen und … Geld verdienen – viel Geld. Seine Neffen erschoß er, weil er gemerkt hatte, daß dieser sein hartnäckigster Gegner – und der schwarze Gast war. Ja, Hans Imbork spielte Hotelgespenst, und Sie, Fräulein Helga, und ihre Freunde waren mit ihm verbündet. Nur eine Frage blieb ungeklärt: Weshalb die Verfolger und Aufpasser des jämmerlichen alten Mannes so heimlich und rücksichtsvoll gegen ihn vorgingen. Da fand Fred Steen dieses halb verkohlte Gruppenbild. Es zeigt folgende Personen – so, wie sie vor etwa acht Jahren aussahen: Ihre Eltern, Fräulein Helga, daneben den Professor, dahinter Sie selbst, ihren Bruder Gerd und Hans Imbork. – Ich erkundigte mich und erfuhr, daß Ihre Mutter, Fräulein Helga, eine geborene Imbork war. Also war Julius Imbork Ihr Oheim. Da erst verstand ich auch das letzte: Die unbegreifliche Rücksichtnahme gegenüber einem ohnedies moralisch gerichteten Gelehrten! Julius Imbork sollte vor dem Gefängnis bewahrt werden.“

„Es ist so,“ erklärt Gerd Pfuhl. „Unser Name wird nun durch die Gosse gezogen werden, und…“

„Nein!!“

Harst spricht das mit allem Nachdruck.

„Nein, – denn Julius Imbork und sein Diener sind tot… Als wir die Eisentür des Kellers gerade geöffnet hatten, war Imbork plötzlich der Fesseln frei und schleuderte uns den Gasballon mit Blausäure vor die Füße. – Wir entkamen – – er und sein Diener starben. Da außerdem die Regierung dafür sorgen dürfte, daß im Interesse der Landesverteidigung dieses Rezept und alles, was damit zusammenhängt, geheim bleibt, wird die sogenannte Weltpresse umsonst auf eine Sensation warten… – Die einzige Sensation, lieber Lowski, dürfte Ihre Verlobungsanzeige mit Helga werden… – Meine Herren, ich denke, wir lassen das Brautpaar allein…“

– Eine Stunde darauf saßen wir drei vor dem Kaminofen in unserem ‚Büro‛, – die Kaffeemaschine dampfte, und Harald sagte zu mir, indem er ein Zündholz anrieb und die Zigarette im Mundwinkel wippen ließ:

„Mein lieber Alter, solltest du dieses Problem ebenfalls veröffentlichen wollen, so ändere alle Namen und Örtlichkeiten gründlich ab. –

Also – – Vorsicht!! Nicht zu viel verraten!“

– – Ich glaube, ich bin vorsichtig gewesen…

Und somit – –: Auf Wiederhören bis zur nächsten Erzählung!