Harald Harst
Band: 338
Von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
Fred fängt einen Aal.
Das große gedeckte Motorboot, das im Morgengrauen die Stadt Chartum verlassen hatte, glitt in flottem Tempo stromaufwärts, obwohl überall die berüchtigten treibenden Grasinseln die trübe Flut des uralten Flußvaters Nil mit verblaßten grünen Flecken punktierten.
Harst, das Fernglas an den Augen, blickte nach der in Morgendunst gehüllten Stadt zurück, da wir alle Ursache hatten, mit heimlichen Verfolgern zu rechnen.
Achselzuckend schob er das Glas in das Futteral zurück.
„Anscheinend haben die Herrschaften unsere Fährte verloren, mein Alter… anscheinend. Doch ich traue ihnen nicht. Das Vorspiel war bisher zu merkwürdig.“
Er setzte sich neben mich unter das Sonnensegel am Heck und betrachtete still die gedrungene Gestalt des O-beinigen Bootsbesitzers. – Pieter van Laarsen war Holländer und seit Jahrzehnten in Chartum ansässig. Er nannte sich Kaufmann. Sein Laden stellte ein Warenhaus und ein Raritäten- und Antiquitätenkabinett dar. Er war uns als zuverlässig, verschwiegen und ortskundig empfohlen worden. Außerdem war er ungeheuer maulfaul, fragte nichts, sagte nichts und steuerte seine sogenannte Motorjacht ‚Gizeh’ mit wahrer Virtuosität.
Wir hatten noch jemanden an Bord. Aber der schlief. Und im übrigen war’s kein Mann, sondern eine Miß, – Miß Constanze Bragerfield, London, unsere Auftraggeberin.
Der fünfte der Besatzung war uns in Chartum abhanden gekommen, und das war unser Famulus Fred Steen, – auch eine Nummer für sich. Seine Vorliebe für abendliche Streifzüge durch das Eingeborenenviertel Chartums war ihm zum Verhängnis geworden. Wir hatten bei der Polizei Verlustanzeige erstattet, aber der betreffende Beamte hatte uns von vornherein wenig Hoffnung gemacht.
„Es verschwinden zu viele Ausländer hier,“ hatte er gleichgültig erklärt. „Wir werden nachforschen…“
Wir hatten selbst nachgeforscht und damit drei kostbare Tage vertrödelt. Der Jüngling Fred war nicht zu finden, und da Miß Bragerfield zum Aufbruch drängte, mußten wir unseren treuen Famulus vorläufig im Stich lassen. Wir hatten der Polizei unmöglich mitteilen können, daß wir gegen ganz bestimmte Personen Verdacht hegten, unseren Fred geschnappt zu haben.
Die Stimmung an Bord der ‚Gizeh’ war oberfaul. Unser Unternehmen hatte unter einem sehr ungünstigen Stern begonnen. Im Grunde war es ja überhaupt eine Fahrt ins Ungewisse. Einen einzelnen Mann suchen, der seit einem Jahr ‚abgängig’ war, erschien wie ein Lotteriespiel mit zehntausend Nieten und nur einem Gewinn.
Der Mann hieß Lord Cecil Batty, und seine Frau und die englischen Behörden hatten bereits alles irgend Erdenkliche getan, den tollkühnen Jäger und Globetrotter wieder aufzustöbern. Lady May Batty hatte nicht weniger als fünfundzwanzigtausend Pfund Sterling als Belohnung für den ausgesetzt, der über ihren verschollenen Gatten sichere Nachricht brächte.
Wie gesagt, das Verschwinden des Lords lag etwa dreizehn Monate zurück, und selbst der ägyptischen Sudan ist heute nicht mehr das, was er noch vor zwanzig Jahren war. Auch dort kann eine Jagdexpedition von zehn Leuten nicht mehr von Eingeborenen so einfach abgemurkst werden, ohne daß die Sache ruchbar würde und die sehr energischen Engländer einige dunkelhäutige Kerle baumeln ließen und ein ganzes Dorf niederbrannten. Nein, nach allem, was englische Detektive bisher festgestellt hatten, mußte sich die Expedition Lord Battys geradezu in Luft aufgelöst haben. Man nahm schließlich an, die zehn Männer seien ertrunken und ihr Motorboot weggesackt.
– Wir selbst, wir drei Unzertrennlichen dort in unserem bescheidenen Heim in Berlin W., hatten wohl gelegentlich eine kurze Notiz über Lord Batty in englischen und deutschen Zeitungen gefunden, aber erst vor acht Wochen kam die Angelegenheit für uns in Fluß. Miß Constanze Bragerfield, eine Cousine des Lords, erschien bei uns und erzählte Dinge, die uns veranlaßten, ihr Angebot anzunehmen. Sie war jung, und sie wollte gern ihr ganzes Vermögen dransetzen, ihres Vetters Cecil Schicksal restlos aufzuklären.
Schon in Kairo hatten wir dann gemerkt, daß wir beobachtet wurden. Es handelte sich um drei sehr elegante Herren, doch weder ihre erstklassigen Schneider noch ihre blasierten Gesichter konnten den allzeit mißtrauischen Harst auf die Dauer täuschen. Durch ein paar geschickte Schachzüge schüttelten wir diese Anhängsel ab, und in Chartum waren sie nicht wieder aufgetaucht.
Aber auch unser Fred war ‚abgängig’.
Wenn wir dies auch nicht allzu tragisch nahmen, denn Fred Steen war ein sehr gerissener Bursche, so litt unsere Stimmung doch unter dieser Schlappe, die Harst auf das Konto der drei Gentlemen buchte, deren fade Gesichter im übrigen auch Miß Constanze unbekannt waren. –
Die ‚Gizeh’ kam in offeneres Fahrwasser. Plumpe Segler, flachgehende Heckraddampfer und alle möglichen Arten von Benzinstänkern begegneten uns. Rechter Hand hatten wir kahle Hügel, Wüstenstriche und ärmliche Waldungen, linker Hand hohe Schilffelder und Sumpf. So ging es bis zum Mittag. Dann wurde es so heiß, daß wir landen mußten. Auf der linken Stromseite schien uns eine etwas felsige kleine Insel hierzu besonders günstig, – wir steuerten auf sie zu, und urplötzlich erschien drüben neben ein paar Palmen ein endlos langer dürrer Jüngling in Khaki mit riesigem Tropenhelm, Wippnase und frechen lustigen Mausaugen und winkte eifrig.
Unser Fred!!
„Alle guten Geister, – wie kommt der hierher?!“ entfuhr es mir mit einiger Berechtigung.
Wir landeten in einer winzigen, gekrümmt verlaufenden Buch des Inselchens. Hier lag ein Segelboot mit Außenbordmotor, und Fred rief von der Uferhöhe mit großartiger Handbewegung:
„Meine Pirateninsel! Das Boot habe ich in Chartum gekapert!“
Er kletterte herab, drückte uns strahlend die schweißfeuchten Pfoten und grinste geheimnisvoll…
„Herr Harst, – einen hab’ ich!!“
Selbst Harald war verblüfft.
„Einen der drei Gentlemen?“
„Ja… Das heißt: Die drei hatten sich derweil sehr verwandelt… Sie werden ja sehen!“
In demselben Augenblick verließ Miß Constanze ihre Vorschiffskabine und begrüßte uns mit einem wahrhaft strahlenden Lächeln.
„Mr. Steen, ich habe alles gehört… Wo ist der Mann? Er wird reden müssen!“
Ihr Lächeln erstarb, und die ranke, schlanke Gestalt bekam bitterböse Augen.
„Er wird reden müssen!“ wiederholte sie hart. „Also, – wo ist er?“
In Freds gestohlenem alten, schäbigen Boot lag hinten unter dem Sonnensegel neben vier Benzinkannen ein zerlumpter Schwarzer mit echter Schillukfrisur…
„Bitte, Miß… Gestatten, daß ich vorstelle,“ sagte Fred noch großartiger… „Mr. Mac Goddard von der Londoner Detektei Smidtson und Komp. – – Wenigstens hat er einen auf diesen Namen lautenden Ausweis in seiner linken Sandale verborgen gehabt…“
Harst sprang in das Boot und betrachtete den gefesselten sehr genau. „Stimmt, das ist einer der drei…“
Goddard machte Augen wie ein hungriger Tiger.
„Sie werden’s bereuen!“ zischte er.
Fred lachte, nahm den Tropenhelm ab und enthüllte so eine faustgroßer Beule.
„Herr Harst, die Geschichte war so… Ich schlenderte durch das Eingeborenenviertel, kam an der langen Mauer eines Friedhofs vorüber, erhielt einen Hieb, erwachte zwischen alten Gräbern, war gebunden, und Mr. Goddard bewachten mich. Als ich ihn bat, mich mal so ein wenig – Pardon, Miß – abseits gehen zu lassen, war er blöde genug, mich für blöde zu halten… Ich versetzte ihm einen Kinnhaken, noch zwei ähnlich wirksame Hiebe, schleifte ihn zum nahen Fluß, klaute das Boot und gondelte davon. Ich wußte ja, daß ich Sie hier treffen mußte, Herr Harst, und ich hielt es für angebracht, Mr. Goddards Freunde darüber im Unklaren zu lassen, was aus mir geworden… – Das wäre alles!“
Harst drückte Fred die Hand.
„Sie haben das großartig gemacht, lieber Fred… Nun wollen wir mal Mr. Goddard ins Gebet nehmen.“
Mac Goddard wurde ans Ufer in den Baumschatten gebracht, und wir ließen uns neben ihm nieder.
Constanze Bragerfield spielte eindeutig mit ihrer Pistole.
„Goddard,“ sagte sie kalt, „vergessen Sie nicht, daß die Nilkrokodile gerade hier sehr zahlreich – und hungrig sind… Wer hat Sie mit unserer Beobachtung beauftragt?“
Der tadellos verkleidete Goddard merkte wohl, wie wenig Aussicht er hatte, uns belügen oder entschlüpfen zu können.
„Das weiß ich nicht, Miß… Wirklich nicht… Unser Chef gab uns dreien vor acht Monaten den Befehl, Sie nicht aus den Augen zu lassen… Das ist die Wahrheit. Mr. Samuel Smidtson weiht seine Angestellten nie völlig ein. Wir folgten Ihnen nach Berlin und dann bis Chartum. Dort erhielten wir eine Funkdepesche unserer Firma: ‚Weiterreise der Betreffenden unbedingt verhindern.’ Deshalb nahmen wir zunächst mal Mr. Steen fest. Mehr kann ich wirklich nicht aussagen.“
Diese Angaben machten auf mich den Eindruck vollster Aufrichtigkeit.
Miß Constanze blickte Harald fragend an.
Harst faßte in die Tasche und holte aus einem Paket schweißfeuchter Papiere ein Blatt aus einer Londoner illustrierten Zeitschrift hervor.
„Sind Sie das, Mr. Smidtson Junior?! Lügen haben kurze Beine. Dieses Bild trägt die Unterschrift:
Mr. Ernest Smidtson, Inhaber der bekannten Detektei, die Lord Batty finden hilft. Sie sehen: Populär zu sein und photographiert zu werden hat seine Nachteile.“
Der Gefangene starrte mit verkniffenen Lippen zu Boden.
Miß Constanze sagte drohend: „Bitte, – – wollen Sie jetzt ehrlich sein?!“
Mit leisem Knacken schnellte der Sicherungsflügel ihrer Pistole zurück. Sie war für eine Engländerin sehr temperamentvoll.
„Bitte, lassen Sie das!“ warnte Harst kühl. „Mr. Smidtson dürfte durch derlei Mittel kaum willfährig werden…“
Bisher hatte Pieter van Laarsen sich lediglich mit seiner Pfeife und der Whiskyflasche beschäftigt. Nun entquoll seinem grauroten Bartwald ein dumpfes Murren…
„Mr. Harst hat recht… Alles immer gemütlich. Nur keine Aufregungen. Sollte Mr. Smidtson nochmals mit Lügen umgehen, hängen wir ihn dort an den Baumast… Und zwar mit den Füßen dicht über das Wasser. Das hilft – bestimmt. Früher, als es hier noch keine Autos, Autobusse und ähnlichen Kram gab, haben wir das häufiger gemacht.“
Laarsen hatte noch nie, seit wir ihn kannten, einen so langen Vortrag vom Stapel gelassen…
„Wie gesagt: Immer gemütlich!“ schloß er seine fabelhafte Wortverschwendung… –
Zehn Minuten darauf hing Ernest Smidtson tatsächlich an dem langen Ast, und unter ihm waren im Wasser der Bucht bereits vier Krokodilschnauzen sichtbar.
2. Kapitel
Ein Pfeilschuß und anderes.
Constanze hatte sich in das kleine, etwas abseits errichtete Zelt zurückgezogen. Wir vier Männer lagen um den brodelnden Kochtopf herum und unterhielten uns leise. Fred sollte auf Smidtson und die Krokodile achten, – er lag so, daß er die Bucht überblicken konnte.
Der maulfaule Laarsen, den wir bisher nicht voll ins Vertrauen gezogen hatten, kannte natürlich das Wenige, was über Lord Battys Verbleib ermittelt worden war, sehr genau.
Was er nicht wußte, war die Vorgeschichte dieser geheimnisvollen Tragödie, bei der Lady May Batty zweifellos eine sehr fragwürdige Rolle gespielt hatte. Nur deshalb war Constanze Bragerfield zu uns gekommen.
Harst rauchte Zigaretten und weihte den Holländer nun völlig ein. „Laarsen, ich darf wohl auf Ihre Verschwiegenheit rechnen‥?! Lord Batty heiratete vor drei Jahren die Filmschauspielerin May Mayking. Die Ehe war zuerst sehr glücklich, dann muß der Lord über Mays Vergangenheit recht anrüchige Dinge zugetragen bekommen haben, er trennte sich von ihr und ging nach Afrika, durchstreifte den schwarzen Erdteil von der Goldküste bis in den Südsudan. In Faschoda stellte er eine neue Jagdexpedition zusammen und verschwand dann spurlos. Seine Cousine Constanze, die zunächst mit Lady May eng befreundet war, wurde den Verdacht nicht los, daß die Lady ihren Gatten habe beseitigen lassen.“
„… Davon redet man auch in Chartum,“ brummte Laarsen. „Na – und weiter?!“
„Ja, lieber Laarsen, wo es um eine Erbschaft von etwa zwei Millionen Pfund Sterling geht, wird so manches…“
„Donnerwetter!! Zwei Millionen!!“
„… wird so manches eingefädelt, was nicht ganz sauber ist. Da kann man unschwer fünfundzwanzigtausend Pfund Belohnung aussetzen, – das macht einen sehr guten Eindruck auf die Öffentlichkeit, da kann man Detektive anwerben, – macht auch Eindruck, – nur ein taktischer Fehler ist’s, dieselben Detektive, oder doch mindestens die Elite von ihnen, Miß Constanze auf die Spur zu hetzen, die als erste den großen Schwindel durchschaute, den Lady May Batty hier mit ihrem Übereifer, ihrer Trauer um den Verlust des Gatten und mit ihrem Nervenzusammenbruch – sie lebt in einem Sanatorium! – in Szene gesetzt hat…“
„Pfui … Deubel‥!“ – Und Pieter Laarsen spritzte einen Strahl Tabaksaft zwischen die Steine.
Harst hatte sich selbst in eine gewisse Erregung hineingesprochen, und sein Nachsatz klang ungewohnt bissig:
„Unter diesen Umständen gab es für mich kein Zögern, mich Miß Bragerfield zur Verfügung zu stellen, nachdem ich ihre Angaben gewissenhaft nachgeprüft hatte. Sie handelt völlig uneigennützig, ist selbst verlobt und hätte keinerlei Vorteile davon, wenn etwa Lady May entlarvt und enterbt würde, – nein, sie kämpft nur gegen eine schamlos verlogene Intrigantin, die ihren Mann – noch hier Afrika – schleunigst verschwinden lassen mußte, weil die allerneuesten Enthüllungen über Lady Batty, geborene Mayking, unfehlbar zur Scheidung geführt hätten. Was liegt näher, als daß dieses Weib, das früher mit zweifelhaften Ehrenmännern auf du und du stand, den Lord beseitigen ließ?! Schon das spurlose Verschwinden der zehn Köpfe starken Expedition samt Boot und reicher Ausrüstung muß zu denken geben. – Und nun eine andere Frage. Ich betone, daß wir alle aufs ernstliche gefährdet sind und daß wir uns jeden Augenblick vielleicht gegen eine Übermacht verteidigen müssen. Ich stelle Ihnen daher anheim, sofort umzukehren, – wir haben jetzt ja das von Fred entführte Boot… Entscheiden Sie sich und … verraten Sie uns nicht!“
Der o-beinige kleine Holländer sagte wegwerfend:
„Reden Sie keinen Unfug, Herr Harst! Ich bin ja so im allgemeinen für’s Gemütliche, aber … ich habe mindestens dreißig schwarze und braune Halunken in früheren Zeiten ohne Geschworenenspruch ins Jenseits befördert, ich war einst der beste Elefantenjägers drunten bei Faschoda und… Hallo, – – was hat der Fred?!“
Unser Famulus war emporgeschnellt, stierte vornübergebeugt zur Bucht hinab und schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. Offenbar wollte er irgend etwas rufen, schreien oder brüllen, – – aber das Entsetzen schnürte ihm die Kehle zusammen.
Auch wir sprangen auf…
Drüben an dem mächtigen Baum, der seinen halbverdorrten Ast über die kleine versteckte Bucht ausstreckte, hing Mr. Ernest Smidtson…
Sein langgereckter Körper drehte sich träge um sich selbst, und in seiner Brust, genau in der Herzgegend, steckte ein gefiederter dünner Rohrpfeil.
Unten schwammen Krokodile hin und her, schnappten schon nach seinen Füßen…
Laarsen bückte sich, schleuderte Steine gegen die Bestien, – Harst rannte am Ufer entlang und rief uns zu:
„Vorsicht! Beschützt Miß Constanze!“
Wir griffen nach den Repetierbüchse…
Ich stürzte durch die Büsche nach dem kleinen braunen Zelt…
Wenn auch Miß Bragerfield getötet wäre, – – unausdenkbar war’s! Wir hatten uns hier geradezu leichtfertig einem Sicherheitsgefühl hingegeben, das uns allen vielleicht verderblich werden konnte.
Ich stand vor dem Zelt.
„Miß Bragerfield!!“
Eine verschlafene Stimme meldete sich…
Gott sei Dank, – sie lebte!
„Was gibt’s, Mr. Schraut?!“
„Oh – – nichts…“
Was sollte ich sagen‥?
„Ich glaubte, Sie hätten gerufen…“
„Ich?! Ich habe ganz fest geschlafen… Diese Hitze wirkt so lähmend…“
„Dann entschuldigen Sie…“ –
Ich eilte zur Bucht hinab.
Harst lag lang auf dem Ast und hißte gerade den Toten empor.
Hinter ihm saß Fred im Reitsitz und nahm ihm den Körper ab.
Der alte Laarsen streifte mit seiner vorsintflutlichen Büchse droben zwischen den Bäumen umher und spielte Wachposten. Er winkte uns beruhigen zu, – der ‚gemütliche’ Holländer war zweifellos ein wertvoller Verbündeter. –
Ernest Smidtson hatte nicht einmal um Hilfe rufen oder einen Todesschrei ausstoßen können. Wir hatten ihn mit einem Knebel an den Ast gehängt. Als er nun in Gras vor uns lag, starrte Harst sehr lange und sehr finster in das fahle Gesicht des verkleideten Engländers, das jetzt bleigrau angelaufen erschien.
Dann beugte er sich hinab und zog den Pfeil aus dem verstummten Herzen.
Es war ein Rohrpfeil mit schmaler haarscharfer Eisenspitze und bunter Fiederung, vielleicht ein Meter lang.
Harst sprach noch immer nichts.
Fred Steen war sehr bleich.
Auch ich sehnte mich nach einem Schluck Whisky.
Man machte die Sache drehen und deuteln wie man wollte: Wir waren schuld an Smitsons jähem Ende!
„Begraben wir ihn,“ meinte Harst leise. „An dem Geschehenen läßt sich nichts mehr ändern. Wir hätten vorsichtiger sein müssen. Smidtson wußte zu viel, deshalb wurde er getötet. – Wer weiß, wann wir an die Reihe kommen…“
Fred holte zwei Handspaten. Der Engländer erhielt einen sauberen Hügel und ein einfaches Holzkreuz. Es war eine trauriger Arbeit. Unsere Stimmung glich so etwa der von Leuten, die sich selbst das Grab geschaufelt haben und jetzt nur noch auf das Erschießungskommando warten, das ihnen mit einer Salve in die Grube verhelfen will.
Dann suchten Harst und ich am jenseitigen Buchufer nach den Spuren des Bogenschützen. Die Insel war an dieser Stelle sehr felsig und steinig. – Der Schuß konnte nur oben von den Uferfelsen abgegeben worden sein, und wir fanden dort auch etwas: einen zerkauten Zigarrenstummel, dessen Spitze noch feucht war, und zwei verschwommene Eindrücke von großen Sandalen. –
Das war alles. –
Wir hofften, an den Inselufern erfolgreicher zu sein, irgendwo mußte hier ein Boot gelandet sein, – – es war umsonst, und recht bedrückt kehrten wir zum Lagerplatz zurück.
Fred wurde nun auf eine Palme als Wache beordert. Laarsen und wir beide berieten. Der alte Holländer meinte, wir sollten die Dunkelheit abwarten. Nur dann könnten wir unbemerkt entschlüpfen. Harald war eigentümlich zerstreut und hing mal wieder anderen Gedanken nach. Er nickte nur zum Zeichen seines Einverständnisses und warf immer wieder einen sinnenden Blick auf die beiden einzigen Beweisstücke in seinem Schoß: den Pfeil und den Zigarrenstummel!
Auch der Alte, der die ‚Gemütlichkeit’ so sehr liebte, schwieg nun, rauchte und rührte gedankenverloren in dem Kessel über dem Holzfeuer.
Plötzlich fragte er den Kopf hebend etwas schüchtern: „Herr Harst, ich verstehe von Ihrem Beruf nichts. Weshalb bewahren Sie den Zigarrenrest auf?“
„Weil dieser Zigarrenstummel niemals richtig aufgeraucht worden ist, lieber Laarsen. Man hat von einer schweren Brasil das größere Stück weggeschnitten und dann das übrigbleibende Ende absichtlich zerkaut und in Brand gesetzt… Da – riechen Sie!“
Laarsen schnupperte. „Deubel, das stinkt nach Stearin!“
„Ja… Das sollte uns bluffen, lieber Laarsen… Und die, die uns bluffen wollte, wird wohl Lady May gewesen sein… Sie hat das Stück Zigarre an der Schnittfläche mit Stearin beträufelt, weil es brennen sollte, ohne daß sie richtig zu rauchen brauchte. So schwere Brasilzigarren verträgt keine Frau.“
„Donnerwetter‥!! Lady May Batty! Ich denke, die steckt in einem Sanatorium?!“
Harst lächelte. „Nein… Die steckt hier in der Nähe, und im Sanatorium hält sich ihre Schwester auf, die ihr aufs Haar gleichen soll, Miß Mary Mayking, auch Filmschauspielerin…“
„Oh, – – woher wissen Sie das?“
„Durch meine Beziehungen nach London.“
„Aha! Und die englische Geheimpolizei?!“
„Ist ratlos, lieber Laarsen…“
„Wie immer!!“
„Sagen Sie das nicht. Der Fall Batty ist keine Nuß, die in einen Durchschnittsknacker paßt. – Halten Sie als Landesbewohner diesen Pfeil für ein einheimisches Erzeugnis?“
„Ja. Darüber wollte ich jetzt gerade reden. Es ist bestimmt ein Pfeil der Baggara, die weiter südlich links vom Nil in der Wüste wohnen und Nachbarn der Schilluk sind. Die Baggara-Weiber stellen diese Pfeile her, ebenso die Bogen aus Horn oder Holz. Betrachten Sie mal die Fiederung… Das sind Flaumfedern von Aasgeiern, und die dünne Schnur, mit der die Federkiele an Schaftende umwunden sind, ist allerfeinste Schafwolle und gewachst. Ja, es ist ein Baggara-Pfeil, bestimmt.“
Harst sagte nichts.
Gleich darauf erschien Miß Constanze aus ihrem Zelt, rieb sich kräftig die Augen und setzte sich zu uns. Als Harald ihr jetzt schonend das Geschehene mitteilte, war sie derart entsetzt, daß sie beinahe umgesunken wäre.
„Mein Gott – – ein Mord!“ stöhnte sie verzweifelt. „Armer Smidtson, – mag er auch zur Gegenpartei gehört haben, – – das hatte er nicht verdient.“
Bei der Mahlzeit aß sie sehr wenig, flocht nachher einen Kranz aus Palmwedeln und legte ihn auf Smidtsons Grabhügel. Sie war und blieb verstört und still, und als wir nach Dunkelwerden die Insel verließen und für alle Fälle das kleinere Boot im Schlepptau mit uns nahmen, zog sie sich sehr bald in ihre winzige Kajüte zurück.
3. Kapitel
Nacht im Niluferwald.
Laarsen steuerte. Der alte Knabe hatte noch immer Augen wie eine Katze, er wich rechtzeitig jeder Grasinsel aus, und da wir ohne Lichter fuhren und der Himmel etwas bewölkt war, mußte es den Gegnern sehr schwer werden, uns auf den Fersen zu bleiben, – jedenfalls bemerkten wir selbst nach Mondaufgang nirgends ein verdächtiges Fahrzeug hinter uns.
Unser Ziel war jenes Schillukdorf, in dem die Expedition Lord Battys zuletzt gerastet hatte. Von da ab fehlte jede Spur der Verschwundenen, – ob wir mit unseren Nachforschungen mehr Erfolg als die zahlreichen Detektive der englischen Behörden haben würden, war mir bis vor kurzem sehr fraglich erschienen. Die Ereignisse auf der kleinen Nilinsel hatten mich nun weit zuversichtlicher gestimmt, und was meinen Freund Harst betraf, so mochte er wohl schon daheim in Berlin einen bestimmten Feldzugsplan entworfen haben. Es ist nicht seiner Art, sehr mitteilsam zu sein.
Nun saß er neben mir am Heck und beobachtete andauernd durch das Fernglas den träge dahinfließenden berühmtesten Strom des Altertums. – Der Nil enttäuschte. Nach zwei Tagen kannte man ihn, seine Ufer, seine Tierwelt. Das Landschaftsbild wechselte selten, und die Zivilisation hat auch noch ihrerseits das Nötige dazu beigetragen, dieser einförmigen Natur ihre Reize zu schmälern. Die großen Frachtdampfer mit ihren Benzinmotoren verpesteten die Luft, und die eleganteren Touristendampfer mit ihren Musikkapellen und sportmäßig herausgeputzten Nichtstuern entweihte die feierliche Stille des großen Flusses, an dessen nördlichen Ufern die Wahrzeichen uralter Kulturstaaten durch den Lärm und das Geschrei von aufdringlichen Andenkenverkäufern schamlos degradiert werden.
Gewiß, hier unten im Sudan hört die Zivilisation bereits drei Meilen jenseits der Grenzen der großen Handelsknotenpunkte auf. Hier konnten noch Dinge geschehen wie die, deren Zeugen wir mittags gewesen waren: Ein Pfeilschuß, ein Toter, ein einsames Grab, – – und dann weiter ins Ungewisse hinein!
– Harst läßt das Glas sinken.
„Hörst du etwas, mein Alter?“
Dieser Art Fragestellung kenne ich. Ich forschte also mit angespannten Sinnen.
Fred, der unsere Lagerstätten herrichtete, erklärte gleichgültig: „Das Postflugzeug nach Faschoda… Was liegt schon daran?!“
„Eine sehr große Maschine,“ meinte Harst. „Das sind mindestens drei Motoren…“ Er betonte das ‚drei’ ganz eigentümlich.
Wir horchten wieder und traten unter dem Klappverdeck hervor nach der Mitte des Bootes zu.
Jetzt hörten wir das Schnurren hoch über uns, von hinten sich nahend.
„In Chartum standen nur einmotorige Maschinen,“ warf Harst so nebenbei hin.
Wir blickten nach oben. Wir hätten doch die Positionslampen erkennen müssen… Das Surren kam sehr schnell näher. Aber wir bemerkten weder ein rotes noch ein grünes Licht.
Ich nahm das Glas zu Hilfe. Da erst gewahrte ich den Riesenvogel, der sich soeben aus einem Wolkenfetzen hervorschälte.
„Ein Wasserflugzeug, Harald!!“
„Ja, das habe ich gleich befürchtet…“ Er warf abschätzende Blicke nach den Ufern hinüber. „Laarsen, dort links ist wohl Schilf, – – volle Fahrt!! Die Gefahr nähert sich uns in anderer Form, als ich es glaubte. Fred, wecken Sie Miß Constanze. Sie soll sich schleunigst ankleiden, aber schleunigst…“
Unser Boot wendete scharf und jagte auf das Ostufer zu. Es lief seine achtzehn Knoten, war neu, modern, und hinter uns her zogen ein hoher Schwalch und zwei Schaumstreifen…
Ich ahnte nun, daß die große Maschine droben am Himmel, deren Motoren jetzt die stille Nachtluft mit ihrem Lärm vibrieren ließen, ein Riesenvogel war, der nun sofort auf uns herniederschießenden würde.
Urplötzlich stoppten die Propeller… Lautlos glitt das Wasserflugzeug herab, setzte tadellos in der Mitte des Flusses auf, und dann schnurrten und sausten die Propeller von neuem. Mit unheimlicher Geschwindigkeit pflügten die beiden Schwimmer das Wasser, und Laarsen rief trocken: „Denen entwischen wir nicht! Ausgeschlossen!“
Miß Constanze stand mit einem Mal neben uns.
Sah, hörte…
„Das gilt uns!“ sagte sie dann heiser. „Aber so leichten Kaufes fängt man Constanze Bragerfield nicht!“ Sie hatte ihre ziemlich schwere Repetierbüchse im linken Arm hängen, wie ein Blitz fuhr die Mündung hoch, sie zielte, drückte ab, – – Harst hatte ihr den Lauf hochgeschlagen…
„Lassen Sie das, Miß… Ich denke, wir haben vorläufig an einem Toten genug! Außerdem ist der eine Schwimmer in eine Grasinsel geraten. Da, das Flugzeug schwenkt herum. – – Noch schneller, Laarsen, dort ist eine Lücke im Schilf, vielleicht ein Nebenfluß.“
Unser Boot schoß blindlings an den hohen Papyrusstauden vorüber, der Kiel streifte über Grund, – nun waren wir in einer Lücke, vor uns eine schmale Rinne, hinter uns her kam der Riesenvogel mit seinen drei sausenden Schnäbeln, – köpfte die Schilfstengel, – – nur noch fünfzig Meter, dreißig, – – Pieter Laarsen war doch ein famoser Kerl, er wendete scharf, ein gestürzte Baum sperrte den Weg, nun waren wir in einem kleinen Becken, – Wald, Felsen umrahmte uns…
„An Land!“ befahl Harst…
Unser Schlepptau hatte ich längst gekappt… Das kleinere Boot war irgendwo ins Schilf gesaust.
Baumzweige peitschten unsere Gesichter, und bald verbarg uns ein grüner Vorhang. Der Motor schwieg nun, lautlos glitten wir noch eine Strecke weiter, bis ein geknickter Tropenriese uns einen bequemen Pfad zur Uferhöhe bot. In wilder Hast wurde unser Gepäck in den dunklen Wald geschleppt, niemand sprach, dafür hörten wir von dem ‚Raubvogel’ her laute Stimmen, ein herrisches, helles Organ kommandierte, und ich, der ich Miß Constanze gerade über die Baumbrücke geleitete, ich fühlte ganz deutlich, wie stark sie zitterte, wie schwer sie meinen Arm umkrallte.
„Ist’s Lady May Batty?“ fragte ich besorgt.
„Lady May?! Unsinn!!“ fährt sie auf. „Lady May ist doch in einem Sanatorium, und…“ – sie stolperte, die kurze Unterhaltung hat ein Ende.
– Diesen einen Punkt, daß Lady May nicht in England weilt und ihre Schwester Mary sie dort vor der Öffentlichkeit insgeheim vertritt, hatte Harst unserer Klientin nie bekannt gegeben und auch Laarsen zum Schweigen hierüber verpflichtet.
Nochmals vernehmen wir die helle herrische Stimme. Dann umfängt uns der Tropenwald, dann drückt uns Harst auf ein paar Steine…
„Keinen Laut!!“
Er huscht davon, zurück zum Boot, er mußte irgend etwas vergessen haben. – Es war Leichtsinn von ihm, denn das Wasserflugzeug hatte bereits ein Beiboot ausgesetzt, dessen Ruderschläge und das Quieken der Dollen klar zu hören war…
Dann wurde alles still…
Pieter Laarsen, den die großen Mücken peinigten, fluchte brummend…
Fred Steen fluchte auch…
Minuten verstreichen. Kein Harst kehrte zurück… Die Unruhe trieb mich empor…
„Ich muß hin… Wartet hier… Rührt euch nicht vom Fleck…“
Ich schleiche davon mit vorgestreckten Händen, Schritt um Schritt, – ich sehe den hell glänzenden Schimmer der Flußbucht und den dahineinragenden Baumstamm, und als ich über diesen Stamm balanciere, mache ich plötzlich halt…
Er war trotz der Dunkelheit des tief herabhängenden Astwerks genau ein winziges Boot neben unserem Heck zu erkennen, und am Heck steht Harald tief gebückt und flüstert mit den beiden Bootsinsassen. Dann gleitet die Nußschale von dannen, ich trete zurück, und als Harst an mir vorüber wollte, frage ich leise:
„Wer waren die beiden?“
Antwort?!
„Wenn du davon eine Silbe verrätst, drehe ich dir das Genick um!!“
Ich hatte von meinem Freund selten eine so grobe Antwort erhalten…
4. Kapitel
Harst spricht…
Als wir die kleine Lichtung erreichten, wo wir das Gepäck aufgestapelt hatten, schaltete Harst für Sekunden seine Taschenlampe ein, und ließ den Lichtkegel über unsere drei Gefährten hinweggleiten. Miß Constanze saß etwas abseits und hatte sich zum Schutz gegen die Mückenschwärme ihren leichten Gummimantel über den Kopf gebreitet.
„Was ist los?“ fragte Fred Steen mißmutig. „Werden die Leute des Raubvogels nicht vielleicht unser Motorboot mitnehmen?“
Harst erwiderte scharf: „Das läßt sich nicht verhindern… Da – – hören Sie! Das Flugzeug nähert sich… Das gilt unserem Boot!“
Wir vernahmen Propellergeräusche, Zurufe, Krachen und Splittern von Ästen… Allmählich entfernte sich der Lärm und erstarb.
Pieter van Laarsen meinte kaltschnäuzig: „Miß, das Boot hat achthundert Pfund gekostet… Es war ausgemacht, daß Sie mir jeden Schaden ersetzen…“
„Das ist selbstverständlich…“ Constanze sprach eigentümlich abgehackt, als ob sie nach Luft ringe. „Nur eins verstehe ich nicht, Herr Harst: daß Sie das Boot ohne Gegenwehr rauben ließen! Weshalb sind wir denn so tadellos bewaffnet?!“
Die Antwort ließ auf sich warten. „Ich wollte Sie nicht unnötig ängstigen, Miß Bragerfield. An Bord der große Maschine befindet sich Polizei, und mit Vertretern der Behörden einen Feuerkampf zu eröffnen, ist wohl unmöglich. Wir würden dadurch in Teufels Küche geraten. Zum Glück konnte ich uns davor bewahren, von der Polizei hier sofort verfolgt zu werden. Ich begab mich absichtlich an Bord unseres Bootes und wartete das Eintreffen des kleinen Beibootes vom Flugzeug ab. Dessen beide Insassen waren eine mir unbekannte Frau und ein höherer Polizeioffizier aus Chartum. Ich habe die beiden belogen, ich tat, als gehöre das Boot nicht zu uns, und da ich meinen Ausweis vorzeigen konnte, glaubte man mir. Ich erklärte, unser Fahrzeug läge nebenan in einer anderen Bucht. Es hilft also nichts, wir müssen nun mit dem kleineren Boot Freds vorlieb nehmen…“
„Nette Schweinerei!“ knurrte Laarsen.
„Pech!“ meinte Fred.
Constanze schwieg.
Harald rauchte und suchte die Mückenschleier aus dem einen Tropenkoffer hervor… „Allerdings Pech, lieber Fred. – Seit dem Tod Smidtsons habe ich einen scheußlich bitterren Geschmack auf der Zunge… Meine bösen Vorahnungen sind bestätigt worden. – Schraut, Fred, wir werden nun ein Baumfloß bauen und Freds alten Kahn im Schilf suchen… Kommt mit! Sie, Laarsen, passen hier gut auf, damit man uns nicht etwa das Gepäck oder gar unsere Miß entführt… Wir werden wohl längere Zeit wegbleiben.“
– Wer die Niluferwälder dort unten im Sudan kennt, weiß genau, was es heißt, sich nachts an die Arbeit eines Floßbaus heranzuwagen. Sumpflöcher, Schlangen, Krokodile und Mücken behinderten uns derart, daß erst nach einer Stunde das Floß abstoßen konnte.
Mit primitivsten Rudern und Stoßstangen quälten wir uns schwitzend und stöhnend über die Bucht. Anderseits war der Zufall uns hold: Wir fanden den armseligen Holzkahn mit dem Außenborder an der Schilfgrenze und konnten ihn bequem besteigen. Von dem Flugzeug und unserem schönen großen Boot war nichts mehr zu sehen.
Der Außenbordmotor sprang an, wir glitten in die Bucht hinein, und Fred, der zumeist unverwüstlich guter Laune war, erklärte strahlend, wir seien eigentlich noch mit einem sehr gelinde – blauen Auge davon gekommen.
„Vorläufig!“ dämpfte Harald unseres langen blonden Famulus’ Zuversicht. „Übrigens eine Frage, Fred, die jedoch ganz unter uns bleibt… Hatte sich Miß Constanze von dem Lagerplatz entfernt, als Schraut mir nachgeschlichen war?“
„Entfernt?! Hm, – jeder muß mal etwas abseits gehen, Herr Harst, und eine Dame in Gesellschaft von vier Männern…“
„Also hatte sie sich entfernt… – Es ist im Grunde ja auch belanglos. Sie ist nur zu temperamentvoll und mit der Büchse zu flink bei der Hand.“
Wir landeten an derselben Stelle, wo vorhin unser Großboot vertäut gewesen.
Ich machte mir so meine besonderen Gedanken über verschiedene Einzelheiten der letzten Vorfälle, aber es hätte wenig Zweck gehabt, Harald dieserhalb ausforschen zu wollen. Ich merkte zu deutlich, daß er seine eigene Taktik verfolgte, die er nicht preisgeben würde.
Freds Boot war ein langer, plumper Bretterkahn mit einem Mast, einem lateinischen Spitzsegel, das vielfach geflickt war, und einem sogenannten Schwert, um das Kentern zu verhüten.
Wir bauten vorn für Miß Constanze ein Zelt auf, verstauten das Gepäck und steuerten wieder auf den Strom hinaus.
Der Morgen nahte bereits, ein frischer Nordost unterstützte die Arbeit des Motors, und so gondelten wir dann in flottem Tempo weiter gen Süden. Unsere Miß, Pieter und Fred schliefen am Heck, Harald steuerte, und ich paßte auf das prall gefüllte Segel auf.
Wir waren von den Mücken jämmerlich zugerichtet, und vorhin hatte Harst jeden eine Chinintablette schlucken lassen als Vorbeugung gegen die Malaria.
Es wurde heller und heller. Einsame Dörfer lagen an den Ufern, eingeborene Fischer blickten unserer Arche Noah erstaunt nach, ein Frachtdampfer erzeugte so hohe Wellen, daß wir schleunigst ausgekniffen.
Harst war still und nachdenklich. Unser Gespräch drehte sich um Dinge, die mir gleichgültig waren. Schließlich hielt ich diese infame Versteckspielerei nicht länger aus…
„Harald, was hast du in Wahrheit mit Lady May Batty besprochen?“ fragte ich geradezu.
Er blickte mich wütend an.
„Leiser!“
„Bitte, ich habe nur geflüstert,“ verteidigte ich mich ebenso gereizt.
Ein neuer Frachtdampfer zwang uns abermals zum Ausweichen.
Nachdem die Oberfläche des Stromes sich beruhigt hatte, begann ich von neuem. „Du verfällst auch hier wieder in deinen alten Fehler. Nimm einmal an, dir stieße etwas zu, dann wäre ich völlig unklar über deine widerspruchsvolle Taktik.“
„Da hast du recht, mein Alter…“ Mit einem sorgenvollen Lächeln drückte er mir fest die Hand. „Wenn ich bisher geschwiegen habe, so hatte das nur den einen Grund: du solltest harmlos bleiben und Constanze nicht merken lassen, daß wir sie längst durchschaut haben. Diese Dame ist mehr als gefährlich…“
Er dämpfte seine Stimme fast zu stark. Das Knattern des Motors übertönte ohnehin jedes Wort.
„Ich habe diesem Weib nie getraut… Ich will dir einige Tatsachen ins Gedächtnis zurückrufen, die du nie richtig bewertet hast. Sie kam zu uns nach Berlin, sie schien sehr selbstlos im Interesse ihres Vetters dessen Verbleib aufklären zu wollen, aber sie übertrieb ihre Selbstlosigkeit. So bat ich mir nach ihrem ersten Besuch Bedenkzeit aus, – sie sollte nach drei Tagen wieder kommen. Inzwischen stellte ich Nachforschungen an. – Ergebnis? – Ja, sie war verlobt, hatte diesen Schritt aber erst eine Woche vor dem Besuch bei uns getan, mit einem alten Verehrer, einem Bankierssohn, der sehr reich ist und den sie bis dahin stets abgewiesen hatte. Sie selbst besitzt kaum Vermögen, – und dies war ihre erste Lüge. Sie hatte uns erklärt, sie sei recht wohlhabend. Daß sie erst kurze Zeit ‚mit Geld’ verlobt war, hatte sie also verschwiegen. Dann erfuhr ich das Ausschlaggebende: Constanze hat Lord Cecil stets vergöttert, hat ihn für sich erringen wollen, aber da tauchte die bildschöne May Mayking auf, und der Lord heiratete sie. Damals erlitt – gib acht! – Constanze einen Nervenzusammenbruch und weilte fast ein Jahr in einer Anstalt. Ähnliches widerfuhr nun Lady May, nachdem der Tod ihres Gatten gewiß schien. – Die Frage, weshalb der Lord sich von seiner Frau abgewandt hatte, wollen wir unerörtert lassen. Ich habe keine Beweise dafür, daß Constanze hier die Intrigantin gespielt hat. – Hauptbelastungspunkt bleibt: Sie hat uns belogen. Sie erklärte, Lady May weile noch immer in einem Sanatorium. Dabei erhielt ich zuverlässige Nachrichten aus London, daß Constanze durch ihre Spione gewußt haben muß, daß Mays Schwester Mary in der Heilanstalt die Lady vertrat. – Und dann noch die Geld- oder Erbschaftsfrage. Gewiß, scheinbar hat Constanze keinen Anspruch auf das Riesenvermögen der Battys, selbst wenn Lady May für erbunwürdig erklärt würde, denn es ist noch ein Bruder Constanzes vorhanden, und der würde Titel und Besitz erben, ein gewisser Chester Bragerfield, ein … Schauspieler, fragwürdiger Lebemann und kokainverseuchter Schwächling, mit dem Constanze angeblich nicht mehr verkehrt.
Dieser Chester ist seit anderthalb Jahren etwa unauffindbar, und vor anderthalb Jahren – gib acht! – besaß Constanze noch ein Bankguthaben von etwa dreißigtausend Pfund Sterling, das inzwischen fast restlos verbraucht ist. Wofür? Du ahnst es wohl schon: Für die Detektei Smidtson, London, die sich nicht des allerbesten Rufes erfreut…“
Ich vermochte keine Silbe hervorzubringen, ich war von diesen Eröffnungen wie erschlagen. Hatte ich ja einen geringen Verdacht gegen Constanze gehabt, aber dies alles, was Harald soeben aufgezählt hatte, enthüllte einen so abstoßenden Charakter, daß mir der Ekel hochquoll.
„… Ja, mein Alter, es ist immer das alte Lied: wo es um einen Mann geht, werden Weiber zu Tigern! Liebe wird zu Haß, und aus diesem Haß wachsen einer enttäuschten Frau gleichfalls Flügel verbrecherischen Genies. Constanze war einst ein harmloses verliebtes Mädel, – heute ist sie eine … Mörderin, denn sie hat Smidtson, ihren Beauftragten, erschossen…“
„Unmöglich, Harald!“
„Oh – bitte, – ich habe die Beweise, geradezu erdrückende Beweise. Auf dem Inselchen, wo Smidtson den Tod fand, – und nie werde ich’s mir vergeben, ihn dieser Gefahr ausgesetzt zu haben, denn ich kannte ja die Zusammenhänge – … auf dem Inselchen konnte Constanze ihr Zelt unbemerkt verlassen… Der Zigarrenstummel stammt aus ihrem Koffer, ihre Nerven sind zum Teufel, sie raucht heimlich so schwerer Zigarren, und…“
„… Aber der Pfeil und der Bogen?!“
„Warte ab… Der Pfeil ist am wichtigsten. Davon später. Constanze wird noch mehrere Baggara-Pfeile in ihrem Koffer haben, und der Bogen? – Mein lieber Alter, sie schleppt sich mit einer Kamera und mit einem vernickelten Stativ herum. Dieses Stativ hat drei Beine, und jedes davon ist ein Bogen aus bestem Stahl.“
Ich starrte ihn wortlos an.
Er nickte ernst. „Weshalb erschoß sie Smidtson? Weshalb erschien sie bei uns, weshalb kamen Smidtson und seine beiden Begleiter hinter uns her nach Ägypten? – Die Dinge liegen für mich vollkommen klar. Ich möchte vorläufig nicht darüber sprechen, denn Constanze beobachtet uns zweifellos… Sie hat Verdacht geschöpft, sie war uns nachts im Wald nachgeschlichen, deshalb log ich… In Wirklichkeit habe ich Lady May, denn sie saß in der Nußschale, versprochen, ihr zu helfen… Constanze hat Lord Batty verschwinden lassen, darüber besteht kein Zweifel mehr. Wir werden äußerst geschickt operieren müssen, mein Alter, wenn wir ihn finden wollen. Er lebt, er wird gefangen gehalten, – – sein Hauptwächter ist vielleicht Chester Bragerfield, und sein Gefängnis muß im Land der Baggara liegen, – woher hätte Constanze sonst den Pfeil oder die Pfeile?!“
Er griff nach einer Zigarette, lachte plötzlich sehr herzlich und deutete auf einen Kahn, in dem fünf splitternackte Negerrangen saßen und mit Speeren Fische stachen…
Mein Lächeln war wohl etwas sehr verzerrt. –
Mittags landeten wir abermals an einer kleinen Insel, um die Tageshitze vorüber zu lassen.
Constanze war unverändert…
Scheinbar…
5. Kapitel
Das Gift des Flusses.
Wir kochten ab, aßen, und Constanze schürte nun das Feuer unter dem Wasserkessel so stark, daß eine dicke Qualmfahne kerzengerade gen Himmel stieg.
Constanze wünschte eben als Nachtisch eine Tasse Kaffee.
Ich wunderte mich, daß Harald nicht eingriff. Diese Qualmfahne war doch zweifellos ein Signal für Smidtsons Gefährten.
Das Weib, das sich so tadellos in der Gewalt hatte, wurde mir immer unheimlicher. Sie war hübsch, rassig, pikant, sie konnte so silberhell lachen, wenn Laarsen seine trockenen Späße vorbrachte, aber – sie war eine Mörderin, und in ihrem blinden Haß konnte sie auch uns gefährlich werden, zumal sie uns nicht mehr traute.
Ich hatte mir längst zusammengereimt, weshalb sie gerade uns als ‚Helfer’ angeworben hatte. Wenn auch Harald keinerlei Spur von Lord Batty entdeckt haben würde – so hatte sie anfänglich wohl spekuliert –, dann konnte sie zum Hauptschlag gegen die Feindin Lady Mays ausholen und diese vernichten, wobei sie wohl noch mit einigen sorgsam vorbereiteten Tricks uns als Belastungszeugen hatte gewinnen wollen.
Diese ganze feinausgeklügelte Spekulation war nun ins Wanken geraten. Sie hatte Verdacht geschöpft, – was würde sie weiter tun? Meiner felsenfesten Überzeugung nach würde sie uns vier zu beseitigen suchen. Sie war hierzu gezwungen, wenn sie selbst frei ausgehen wollte, und sie mußte auch schnell handeln, rücksichtslos und doch vorsichtig.
Hing das Rauchsignal damit zusammen?! – Jedenfalls beobachtete ich sie heimlich noch schärfer als bisher.
Fred und Laarsen waren ganz ahnungslos, wie sehr sich die Verhältnisse zugespitzt hatten und einer Katastrophe entgegentrieben. Fred hatte Wache und hockte droben in einem Baum auf der einzigen Kuppe des Inselchens, Laarsen saß neben mir, und Constanze öffnete soeben die Büchse mit dem gemahlenen Kaffee. Harst lag auf einer Decke und studierte eine große Landkarte des oberen Nilgebietes.
Ich rechnete wie gesagt mit jeder Schandtat der unzuverlässigen jungen Dame, auch mit einem Giftmordversuch, und meine Augen verfolgten deshalb jede Bewegung ihrer schlanken Hände.
Plötzlich wurde Constanze, die ein sehr frisches sonnengebräuntes Gesicht hatte, leichenblaß und biß die etwas großen Oberzähne so scharf in die Unterlippe, daß ein Tropfen Blut aus der eingepreßten Lippe sprang.
Was war geschehen?!
… Erstaunlich, wie schnell sie sich nach dem starken Schreck, der auch ihre Hände zittern ließ, wieder faßte. Sie nahm einen Teelöffel und fischte aus der Büchse einen Zettel hervor…
Ihre Wangen bekamen wieder Farbe.
„Was haben Sie da, Miß Bragerfield,“ fragte Harst halb gähnend. „Ein Stück Papier im Kaffee?! Wohl eine Reklame der Firma für Tropenproviant in Kairo.“
„Nein,“ – sie schüttelte wie verwundert den Kopf. „Nein, – es ist ein Schildchen, wie es die Apotheker zum Signieren giftiger Arzneien benutzen, – da bitte, ein schwarz umrandeter weißer Totenkopf.“
Harst richtete sich sofort auf. „Allerdings merkwürdig! Geben Sie die Büchse und den Zettel doch einmal her…“
Es war eine frisch geöffnete Büchse, und Harald hatte vorhin das Öffnen selbst besorgt.
„Das begreife ich nicht, Miß… Als ich soeben oder doch vor kaum fünf Minuten den Büchsendeckel lockerte, war der Zettel noch nicht da, – das heißt, beschwören kann ich das nicht…“
Er nahm etwas von dem gemahlenen Kaffee zwischen die Fingerspitzen wie eine Prise und schmeckte daran, spie sofort diskret aus und spülte den Mund mit Whisky nach.
„Das verstehe ein anderer, Miß‥! Der Kaffee ist vergiftet, und zwar ist gemahlene Schierlingswurzel hinzugefügt worden, die leider hier sehr häufig vorkommt. Man schmeckt es kaum, aber man sieht es… Der Kaffee schimmert eigentümlich hell.“
Constanze hüstelte. Ein sonderbarer Blick traf Harst.
„Wer hat das getan?“ fragte sie schroff. „Es kann noch nur einer von uns gewesen sein…“
„Getan?!“ Harst sprach das Wort sehr gedehnt. „Sie vergessen, daß es sich um zwei ganz verschiedene Vorgänge handelt, Miß. Einmal hat jemand den trockenen Schierling zerstückelt und zerkleinert bis zu feinstem Pulver, dann tat jemand anderes den Zettel mit dem Totenkopf als Warnung in die vergiftete Büchse.“
Constanze blickte jetzt recht ratlos drein.
„Also – – zwei Vorgänge – und zwei Personen,“ meinte sie grübelnd.
Harald stand plötzlich auf den Füßen.
„Laarsen, Sie waren vorhin eine halbe Stunde dort in Gestrüpp‥!“
Der alte Holländer knurrte wütend. „He, wollen Sie mich etwa verdächtigen?!“
„Vielleicht. – Schraut, sollte Laarsen, während ich dort im Gebüsch suche, unangenehm werden, so schieße!! Auf meine Verantwortung!“
Jetzt war ich der Ratlose. Sollte dies Ganze eine Komödie sein?!
Laarsen fluchte fürchterlich. Harst verschwand im Gestrüpp und kehrte sehr bald mit zwei flachen großen Steinen und einigen braungrünen Wurzelresten zurück.
„Hier sind die Beweise, Laarsen! Wollen Sie leugnen, den Schierling zwischen diesen Steinen zerrieben zu haben?“
Der Alte knetete verlegen seine mächtigen Hände.
„Schraut, – binde ihn!“
Laarsen bekam es plötzlich mit der Angst. „Herr Harst, ich … ich wollte ja nur…“
„… Halten Sie den Mund!! Gestorben wären wir nicht, aber tagelang krank gewesen, wenn wir die Sorte Kaffee getrunken hätten! Ich habe Ihnen nie so recht getraut, es war ja auch zu auffällig, daß uns das Wasserflugzeuge nachts auf dem Strom als das gesuchte Boot erkannte. Damals haben Sie aus Ihrer Pfeife wahren Raketenregen herausgeblasen!! Sie stecken mit Lady Batty unter einer Decke‥! Miß Bragerfield, ich wollte Ihnen diese unangenehme Neuigkeit, daß Lady May hier in der Nähe weilt, gern ersparen… Aber die Umstände zwingen mich nun zu voller Offenheit. Lady Batty ist hier und belauert uns, und Laarsen hat sich schon in Chartum bestechen lassen und spielt den Verräter. Damit ist’s nun aus, Laarsen! Ich selbst habe den Totenkopf in die Büchse getan, um Sie zu entlarven. Ich wünschte nur, es käme recht bald ein Polizeiboot vorüber, daß Sie mitnehmen könnte. Wir werden fortan beim Speisengenuß sehr vorsichtig sein und…“
„Hallo!!“ kam’s von Schilfgürtel des Inselchens herüber, und eins der großen Polizeiboote schoß mit knatterndem Motor heran.
Harald lief zum Ufer hinab und hatte mit den Beamten eine längere Unterredung. Dann wurde Laarsen gefesselt abgeführt und an Bord gebracht, worauf die gedeckte Pinasse rauschend wieder davonjagte.
Constanze blickte uns abwechselnd scheu fragend an. „Ich bin noch vollkommen verwirrt,“ bemerkte sie zerstreut und nachdenklich. „Lady May hier in Ägypten?! Allerdings, schon in London gingen Gerüchte um, daß sie gar nicht persönlich in dem Sanatorium weile, sondern…“
„Lassen wir das, Miß,“ unterbrach Harald sie scheinbar mitfühlend. „Regen Sie sich über diese Dinge nicht weiter auf, sondern versorgen Sie uns besser mit einer Tasse harmlosen Kaffees. Ich will eine zweite Büchse öffnen… Die Schierling-Büchse hat das Polizeiboot mitgenommen, und Laarsen, der so sehr für Gemütlichkeit schwärmte, dürfte nun verschiedene Jahre recht gemütlich in einer Zelle sitzen… – So, – dieser Kaffee ist einwandfrei…“
Wir hielten dann eine sehr behagliche Kaffeestunde ab, Constanze taute immer mehr auf, und so langsam wurde mir klar, was Harald mit dieser Komödie vorhin bezweckt hatte. Er hatte natürlich alles genau mit Laarsen vereinbart gehabt, und seine einzige Absicht war gewesen, Constanzes Verdacht gegen uns zu zerstreuen und sie gleichzeitig vor Giftattentaten auf diesem Umweg zu warnen. Jetzt fiel mir auch ein, daß Harald ihr zum Unterhalten des Feuers nasse Holzstücke gereicht hatte, die stark qualmen mußten. Er also hatte die Rauchsäule als Signal erzeugen wollen, und dieses Signal hatte er bestimmt mit Lady May verabredet gehabt, sonst hätte das Polizeiboote nicht so prompt erscheinen können.
Constanze Bragerfield schien von alledem nicht zu ahnen. Sie war vergnügt, redselig und betonte wiederholt, daß sie mit Haralds Hilfe Lord Batty schon finden würde. Dann zog sie sich in ihre Zell im Vorderteil des Bootes zurück, Harst löste den langen Fred als Wache ab, und Fred und ich machten ein Dauerschläfchen.
6. Kapitel
Am Baggara-Dorf.
… Wenn’s um einen Mann geht, wird das dümmste Mädel genial, – so ähnlich, noch krasser, kann man’s bei dem Philosophen mit der berühmten ‚Peitsche’ nachlesen.
Geniale Verbrechernaturen sind selten. Bei ihnen verschiebt sich die Grenze zwischen Recht und Unrecht derart, daß da dem Genie alles erlaubt ist, aus Unrecht Recht werden kann. –
Geniale Detektive sind noch seltener. Ein Detektiv muß eine unbegrenzte Phantasie haben, denn nur die anscheinend fantastische Umformung kleinster Erkenntnisse zu einen größeren Tatsachenkomplex wird ihm die Möglichkeit bieten, schließlich doch das Unwahrscheinliche vom Wahrscheinlichen und das Wahrscheinliche vom Tatsächlichen zu trennen. Das Sieb hierzu ist das streng logische Denken.
Alle Logik versagt jedoch, wenn Verbrecher und Detektive etwa über dasselbe Maß von Intelligenz verfügen. –
Gegen sechs Uhr nachmittags brachen wir wieder auf. Der frische Nordwest war derweil fast zum Sturm angewachsen, und unser Kahn flog beängstigend schnell durch die aufgerührten trüben Fluten. Bis gegen elf Uhr geschah nichts Besonderes. Dann erst, – wir hatten gerade ein größeres Eingeborenendorf bewundern können, wo man offenbar ein Fest mit unzähligen Freudenfeuern und am Spieß gebratenen Hameln feierte – ereigneten sich so unvorhersehbare Dinge, daß offenbar auch Harsts sorgsam ausgeklügeltes Programm völlig über den Haufen geworfen wurde.
Wir hatten uns recht nahe an das Westufer herangewagt, um festzustellen, ob wir etwa bereits eine Dorfgemeinde der seßhaften Baggara vor uns hätten. Der Schein der Feuer reichte bis zum Wasser hinab, durch das Glas erkannten wir die hohen, kräftigen Gestalten dieses äußerst kriegerischen Volkes, das auch als Jäger und Sklavenfänger berühmt und berüchtigt ist und die benachbarten Schilluk und Dinka sich untertan gemacht hat. Von den nubischen Völkern sind sie zweifellos die gefährlichsten.
Das Dorf da drüben stellte wohl ihre nördlichste Niederlassung dar und mußte neueren Datums sein, – selbst auf Harsts vorzüglichem Kartenmaterial war es nicht vermerkt. Doch dies wollte nicht viel bedeuten gegenüber der längst bekannten Tatsache, daß die Nilanwohner gerade in diesen Gegenden infolge der häufigen Veränderung des Stromlaufes durch Überschwemmungen oder durch treibende Grasinselfelder allzeit zur eiligster Verlegung ihrer Wohnsitze gezwungen sind. Doch dieses umfangreiche Uferdorf zeigte bereits all jene vielsagenden Spuren fragwürdiger Zivilisation, die dem Eingeweihten sehr viel verraten: eine Anlegebrücke für Dampfer, eine Anzahl Motorboote und Händlerfahrzeuge, – – das hieß so viel wie Einfuhr von Schnaps, billiger Ramschware und fertigen Webstoffen, – auf der anderen Seite Ausplünderung der braunen Bewohner, Verlust ihrer oft uralten goldenen Geräte und jener gehämmerten Goldbarren, die die Baggara aus ebenso uralten geheimen Fundstellen der nahen Wüste gewinnen.–
Der Feuerschein hinter uns verblaßte…
Ein unförmig aufgedunsener riesiger Tierkörper, bestialischen Gestank verbreitend, – ein ertrunkenes Rind, strich samt seinem Begräbnisgefolge von etwa dreißig Krokodilen dicht an uns vorüber, eingebettet in eine kleine Grasinsel, – ein doppelt widerwärtiger Anblick im Mondlicht… Jedoch kein seltenes Bild.
Fred Steen, dem man eine schnelle, scharfe Beobachtungsgabe wohl zubilligen mußte, hatte sich aufgerichtet und erblickte als erster die eine Bahn des Zeltes vorn im Wind flattern.
„Herr Harst, – – das Zelt!“
Er brüllte es vielleicht lauter als nötig… Aber gerade er, der so sorgsam unsere zweifelhafte Miß allzeit als stiller Verehrer umschwänzelt hatte, fürchtete überflüssigerweise für deren Wohlergehen beständig das Ärgste.
Harald blickte hin, war mit zwei Sätzen über das Gepäck hinweg und öffnete den Zelteingang. Seine Taschenlampe funkte gleißend hinein, – er rief nur: „Leer!! Entflohen,“, hob das Fernglas an die Augen und befahl dabei: „Wenden!! Schleunigst!! Constanze will zu ihren Verbündeten.“
Ich hatte Freds Intelligenz unterschätzt, und Fred wieder hatte sich mit uns den Scherz geleistet, bisher so zu tun, als wäre er noch immer hoffnungslos in unsere Miß verliebt.
„Die Kanaille!“ meinte er wütend und war flinker bei der Hand als ich.
Das Segel knallte, der Motor spuckte noch ärger, und unsere Feudaljacht beschrieb einen kurzen Bogen.
Harst lehnte wir eine Statue am Mast, das Glas an den Augen, und suchte die ruhelose Oberfläche des Stromes ab.
Dann füllte sich das Segel, wir jagten mit der Strömung zurück, und da die Fahrrinne hier am Westufer entlangführte, hatten wir das Dorf in kurzem wieder vor uns.
„Stoppen‥!!“
Der Motor verstummte, das Segel klatschte, und das Boot schaukelte träge weiter.
„Sie kann nur über Bord geglitten sein, als wir das Festessen in dem Dorf beobachteten,“ ließ Harald sich von neuem hören. „Schraut – anlegen!! Dort hinter den angetriebenen Stämmen!“
Mit diesen Baumriesen, die irgend woher aus dem Süden stammen und sich auf ihrer Wasserreise ungeheuere Grasbärte zulegen, deren Gewicht sie niederdrückt, haben die Regierung und die Schiffskapitäne ihre liebe Not. Man ist froh, wenn diese heimtückischen Ungetüme sich von selbst am Ufer vor Anker legen und dort allmählich versanden. Andererseits pflegen sie aber, wenn sie erst einmal ihr Liegeplätzchen gefunden haben, Unmassen von Graswiesen und kleineren Bäumen aufzufangen und dadurch die Form von Halbinseln anzunehmen, deren Höhe und Breite an bewachsene Felsrücken erinnert, zumal der Flugsand der Wüste sich an flachen Stellen auf den faulenden Grasmassen niederläßt und dann auf diese Erdschicht ebenso schnell eine üppige Baumflora erscheint. Diese gewiß sehr merkwürdigen ‚unechten’ Halbinseln bezeichnet der Nubier mit ‚Krokodilnest’, da gerade im Inneren dieser Gebilde die weiblichen Saurier ihre Nachkommenschaft großzupäppeln pflegen.
Unser Kahn schwenkte herum, und wir lagen im Schatten, Fred hatte den Bootshaken bereitgehalten. Harst griff nach der Büchse und wollte sich schon auf den schmalen Landstreifen hinüberschwingen, als vom Dorf her ein so schriller Hilferufe ertönte, daß sogar einige der faulen Wasservögel krächzend davonstrichen.
„Zurück ins offene Wasser!“ befahl Harald überstürzt. „Es war ein Mann… Auf eine Weiberstimme hätte ich nicht geachtet, das wäre doch nur Hinterlist gewesen…“
Fred stieß kraftvoll ab, der Motor knatterte los, der Wind faßte das Segel, und wir hatten das abenteuerliche nächtliche Bild abermals vor uns: Lehmhütten, Palmen, Gebüsch, ein paar Feigenbäume, ein Wäldchen von immergrünen Bäumen, Riesenfeuer, ein Gewoge fanatischer Gestalten und … eine Schar brauner Kerle, die einem einzelnen Flüchtling nachsetzten, einem Europäer.
Obwohl der ganz in Weiß gekleideter Mann einen langen Fischspeer in der linken Schulter stecken hatte, rannte er mit verblüffender Schnelligkeit der Landungsbrücke zu und fand noch Zeit, immerfort blitzschnelle Haken zu schlagen, um weiteren Speerwürfen zu entgehen… Sein Tropenhelm war ihm ins Genick gerutscht, die Hände fingerten an dem Ledergurt herum, – dann machte er urplötzlich halt, seine Arme flogen empor, Schüsse knallten, und der Schwarm der Verfolger spritzte auseinander.
Nicht alle…
Drei Kerle knickten zusammen, und der Weiße setzt seine Flucht fort.
Harst brüllte ihm zu: „Hallo – – hierher!! Zur Landungsbrücke!“
Er schwenkte seine Taschenlampe, unser Kahn schrammte an den Pfählen entlang, und ich konnte den ins Boot Stolpernden gerade noch auffangen.
Der Mann war ohne Besinnung. Sein ganzer Rücken troff von Blut, die drei Spitzen des Fischspeers waren ihm tief ins Fleisch gedrungen und saßen infolge der Widerhaken so fest, daß Harst sie herausschneiden mußte.
Fred und ich hatten alle Hände voll zu tun, wie Verfolger abzuwehren. Die Baggara selbst, schon an ihrer Frisur kenntlich, beteiligten sich nicht bei dieser Hetzjagd, da waren aber so etwa ein Dutzend anderer Burschen, fellachische Händler scheinbar, die in zwei Motorbooten uns unbedingt den Weg verlegen wollten.
Ich gab ein paar Schüsse ab, – – mit einem Mal erschien da wie hingezaubert eine große Polizeibarkasse, die Verfolger machten kehrt, und wir glitten unbeachtet weiter stromauf. Die Polizei kümmerte sich nicht um uns, sondern legte am Dorf an. Ich konnte mit dem Glas erkennen, wie aus dem Wäldchen ein Trupp Dromedarreiter in die Wüste preschte.
7. Kapitel1
Der Flüchtling und das neue Boot.
„Fred, die Jodoformwatte‥!“
Harst hatte die Wunde gründlich ausgewaschen und legte dem Fremden nun einen Verband an.
Der Mann war bartlos, groß, kräftig, sonnengebräunt und trug sehr kostbare Ringe. Er war noch immer bewußtlos.
Seine Kleider enthielten keinerlei Papiere, nur ein goldenes Zigarettenetui mit dem verschlungenen Monogramm ‚L. G.’ lies uns vermuten, daß wir hier den Verlobten Miß Constanzes, den reichen Mr. Lionel Gould vor uns hatten. Harald ermahnte uns jedoch nachdrücklichst, diese Vermutung genau so zu verschweigen wie unsere bisherigen Abenteuer. Inzwischen hatte ich auch Fred kräftig ins Gebet genommen. Der lange Jüngling feixte geradezu herausfordern, als ich ihm vorhielt, daß er doch offenbar Miß Bragerfield ebenfalls nicht mehr recht getraut hätte.
„Glauben Sie, ich bin blind, Herr Schraut?! Die Kaffeegeschichte war doch zu eigentümlich, und selbst ich habe kein Brett vorm Schädel, wirklich nicht!“
Harst bettete unseren Patienten behutsam in das Zelt, schlug jedoch die vordere Zeltbahn hoch, damit wir den Mann beobachten konnten. Dann nahm er sein Fernglas und richtete es auf das Westufer, wo ein kahler Wüstenstreifen, vermischt mit graugelben Felspartien, endlos sich ausdehnte.
„Jetzt verfolgt man uns zu Land,“ meinte er gleichmütig. „Miß Constanze wird außerdem noch andere Scherze in Bereitschaft haben. Auf das Polizeiboot können wir uns nicht verlassen, obwohl dort zumindest ein heller Kopf an Bord ist: der alte Laarsen!“
Scherze‥! – Allerdings! Der erste Scherz war eine wunderbare Rakete, die unweit des Dorfes hinter uns ihre grünen und roten Kugeln in die Luft streute.
„Aha – – Signal!!“ meinte Harald. „Der Tanz wird gleich losgehen, aber wir werden den Schuften eine Nase drehen. Fred, ich übernehme das Steuer… Platz gemacht… Haltet das Gepäck zum Ausbooten bereit…“
Vor uns tauchte eine lange schmale Sandbarre auf, deren Ufer mit den unmöglichsten Dingen garniert war: angetriebenen Bäume, Grashaufen, faulende Kadaver, Krokodile, angeschwemmte Hüttendächer, dazu noch das uralter Wrack eines hölzernen Dampfers, vielleicht eines der ersten, der hier im Sudan erbaut worden war.
Harst steuerte scharf zum Ostufer hinüber. Was er beabsichtigte, blieb mir zunächst ungewiß, aber er hatte das Terrain mit dem Glas wohl sorgfältiger gemustert als ich.
Der Kiel schrammte über Sand, die Barre öffnete sich plötzlich, und in dieser schmalen Rinne lag ganz vorn in der kräftigen Strömung ein träge hin und her schaukelndes Boot, – nein, kein Boot, ein Bretterkahn wie unsere ‚Luxusjacht’, nur größer und halb mit Sand gefüllt…
„Schnell – – das Gepäck hinüber… Wir sind hier gegen Sicht gedeckt…“ – Wir stoppten, im Nu war auch der Kranke geborgen, dann fuhr Harst allein weiter…
„Ich bin in einer Stunde wieder da,“ rief er nur…
„Nette Bescherung!“ meinte der unverwüstliche Fred lachend. „Herr Schraut, daß ich mal auf dem Nil umhergondeln würde, hätte ich mir nie träumen lassen!“
Fred Steen war kein Träumer, sondern ein sehr praktisch veranlagter Mensch. Er nahm einen unserer beiden kurzen Spaten und begann den Sand aus dem Bootswrack herauszuschaufeln. „Der Kahn ist vielleicht noch brauchbar, Herr Schraut. So sehr lange kann er hier noch nicht liegen… Das ist alles Flugsand…“
Neben uns gurgelte und schäumte die Strömung in den Kanal der Barre hinein. Links von uns lag das Dampferwrack, rechts ein paar frisch angetriebene Baumkronen, hinter uns stanken ein paar halb abgenagte Tierkadaver gen Himmel, und vor uns dehnte sich der heilige Nil aus, der hier allerdings nicht mehr so recht ‚Nil’, sondern richtiger Bahr el Abiad, weißer Nil, heißt.
Fred schaufelte und schippte wie ein Besessener. Ich beobachtete den Kranken und unser Boot mit dem einsamen Harst darin. Links weit vorn erkannte ich drei Inseln, rechts in der flachen Wüste ein paar flinke Punkte: Reiter!
Daß Miß Bragerfield so schlau uns entschlüpft war, bewies zweierlei: einmal ihr schlechtes Gewissen, zweitens ihr Einverständnis mit den Dorfbewohnern.
Weitere Beweise, daß das Baggara-Dorf dort hinter uns fortan mit in Rechnung zu ziehen war, stellten die Rakete und Mr. Lionel Gould sowie der Trupp Dromedarreiter dar. Wie wir aber den Ort finden wollten, wo man auf Constanzes Betreiben Lord Cecil Batty gefangen hielt, blieb mir vorläufig vollkommen schleierhaft.
Meine Gedanken nahmen jäh eine andere Richtung.
Hinter den Inseln da vorn waren zwei kleine blitzschnelle Motorboote hervorgeschossen. Das eine hielt auf Harsts Boot zu, das andere versperrte ihm den Rückweg.
Das, was nun folgte, geschah in Sekunden…
Das eine Boot rammte unseren Kahn, prallte zurück, wendete und gab drei Hupensignale, worauf beide Angreifer ebenso flink hinter den Inseln verdufteten. Unser Kahn sackte langsam weg.
Wo war Harst?!
Was ich soeben mit angespanntesten Sinnen beobachtet hatte, hatte sich etwa fünfhundert Meter vor uns abgespielt. Leider hatte der bisher wolkenlose Himmel gerade jetzt die Laune, einen dünnen Wolkenfetzen über sein strahlendes Dach zu ziehen, und begreiflicherweise steigerte sich hierdurch nur meine Sorge, bis ebenso überraschend von dem zertrümmerten Wrack her eine gebückte Gestalt herbeischlüpfte, die zwar vor Wasser troff und wenig dekorativ mit nassen Gräsern wie ein Meergreis geschmückt war, deren Stimmung jedoch all meine Ängste verscheuchte.
„Das sind mir nette Idioten!“ sagte Harald halblaut… „Die bilden sich nun ein, wir wären Krokodilfutter geworden! Irrtum!! – Brav so, Fred… Ich helfe… Vielleicht ist der Kahn noch brauchbar.“
Er hatte drei eingedrückte Planken, aber in einer Stunde war der Schaden etwas primitiv behoben, und da der Himmel sich noch mehr bewölkt hatte, durften wir es getrost wagen, diese unappetitliche Barre zu verlassen und uns von der Strömung zum Ostufer hinübertreiben zu lassen, wodurch wir freilich wieder in bedenkliche Nähe des verfänglichen Dorfes gerieten, das drüben noch immer seine Freudenfeuer zeigte. Aber Harst schien dies nichts auszumachen, die Ostseite war mit ungeheuren Schilffeldern bedeckt, zwischen denen schmalere oder breitere Kanäle labyrinthartig hindurchliefen und vereinzelte baumbestandene Inselchen wie dunkle Flecke über die im Wind wogenden Röhrichtspitzen hinausragten. An anderen Stellen waren die schlanken Wasserstauden durch treibende Baumstämme in breiter Fläche niedergedrückt, schon versandet und bildeten stinkende Barren, – anderswo wieder zeigten sich die schon vorhin beschriebenen Krokodilenester, jedenfalls dehnte sich hier eine wohl meilenweite Wasserwildnis und Flußniederung von so großartiger Abwechslung aus, daß der Vermerk auf einer von Haralds neuesten Karten ‚unpassierbare Sümpfe’ schon zutreffen mochte. Selbst auf Karten geringeren Maßstabes habe ich hinterher diese Gegend des Ostufers schraffiert gefunden.
Die Strömung war hier innerhalb des Schilffeldes kaum spürbar. Wir benutzten Baumäste als Stoßstangen, zuweilen mußten wir auch das plumpe Ungetüm von Kahn leerschöpfen. Wir kamen sehr langsam vorwärts, ein niederträchtiger Baumstamm riß das eine mühsam abgedichtete Leck von neuem auf, und wir mußten froh sein, daß ein Inselchen im nächster Nähe war, sonst hätten wir den Kahn samt Gepäck preisgeben müssen.
Wir landeten zwischen dichten Büschen, schleppten die Koffer auf die Kuppe des Inselchens, holten auch den noch immer bewußtlosen Verwundeten in unseren Schlupfwinkel und ruhten erst einmal aus. Wir waren vollständig ausgepumpt, und selbst die etwas gefährliche Nachbarschaft zweier Riesenkrokodile, die im hohen Gras ihr Nickerchen machten, konnte uns nur zu einigen Steinwürfen veranlassen, – doch die nach Moschus stinkenden Bestien nahmen keine Notiz davon. Rauchen mußten wir… Ganze Mückenschwärme tanzten in der Luft wie seltsam matt flimmernde, unförmige Gespenster… Fred Steen wollte in einem Erdloch ein recht stark qualmendes Feuer anzünden, – er prallte zurück, schlug mit dem Spaten zu und schleuderte die armdicke schwarze Schlange ins Wasser…
„Pfui Deubel, – der Schreck!“ sagte er atemlos.
Da gerade meldete sich der vierte, der bisher so schweigsame Mann.
„Wer sind Sie, Gentlemen? Ich danke Ihnen… Ich fühle mich jetzt besser…“
8. Kapitel2
Der Verlobte Constanzes.
Harst gab ihm zunächst einmal Whisky zu trinken und dann eine Chinintablette, hüllte den Kopf wieder in den Mückenschleier ein und setzte sich neben den jungen Engländer.
„Mr. Gould,“ sagte er harmlos, „es ist hier sehr dunkel zwischen dem Buschwerk, sonst würden Sie uns wohl wiedererkennen. Sie wissen doch: Ernest Smidtson von der Detektei Smidtson nebst Kollegen. Ihrer Braut ist ebenfalls in der Nähe.“
Ein anderer als Harst hätte vielleicht nicht so prompt das einzig richtige Mittel angewandt, die Situation zu klären. Harald rechnete wohl damit, daß Gould seine Identität mit dem Verlobten der intriganten Constanze abstreiten könnte und daß er auch anderes, was drüben im Dorf ihn zur Flucht veranlaßt hatte, leugnen könnte. –
Der mehr abenteuerliche Abschnitt des Falles ‚Lord Batty’ war hiermit beendet, und die Dinge gerieten nun wieder auf das klare Geleis reiner Detektivarbeit.
Die Wirkung dieser Anzapfung durch diese wahrheitswidrigen Sätze blieb nicht aus. Gould richtete sich mit einem Ruck empor und rief heiser: „Das kann nicht stimmen… Wenn Sie Smidtson wären, hätten Sie mich nie gerettet. – – Wer sind Sie, Sir?“
„Oh, – das wollte ich ja nur wissen, Mr. Gould. Sie halten also nicht viel von Smidtson?! Das tröstet mich immer mehr. Smidtson ist nämlich tot, und…“
„Um den ist’s wirklich nicht schade!“ Gould setzte sich vollends aufrecht. „Wie wenig dieser Smidtson und seine beiden Kollegen dem Bild entsprachen, daß Constanze mir von ihnen entworfen hatte, bevor sie mich vor drei Monaten in dieses jämmerliche Baggara-Dorf vorausschickte, habe ich erst in dieser Nacht gemerkt. – Aber, – wer sind Sie, Sir? Sie haben sich meiner in so selbstloser Weise und doch auch offenbar so geheimnisvoll angenommen, daß…“
„Bitte, legen Sie sich wieder nieder, Mr. Gould… Ihre Wunden im Nacken sind ziemlich böse, und wenn Sie in diesem Klima Wundfieber bekommen, werden Sie uns mehr Mühe bereiten, als wir augenblicklich für Sie verwenden können… – So, das ist verständig von Ihnen… – Kennen Sie Berlin, kennen Sie die Arnoldstraße in Berlin W? – Nein?! Dann hat Ihre Braut Ihnen also von uns nichts erzählt… Mein Name ist Harst… – Ja, Mr. Gould, Harald Harst… Und wir drei suchen im Auftrag Miß Bragerfields deren Vetter Lord Batty.“
Lionel Gould sagte nichts. Er atmete nur hastiger.
„Geben Sie mir noch etwas Whisky,“ bat er dann.
Nach abermaliger, recht peinvoller Pause schien Gould zu einem Entschluß gelangt zu sein.
„Mr. Harst,“ erklärte er matt und widerwillig, „es hätte keinen Zweck, Ihnen die Wahrheit vorzuenthalten, mag dies für mich als Mann auch noch so demütigend sein. Gerade die Tatsache, daß Constanze mich hierher schickte, um ungestört auch Sie… belügen zu können, hat mir nun die Augen geöffnet…“
„Mir auch, Mr. Gould… Und da Ihnen das Sprechen schwer wird, kann ich Ihnen ebenso gut die letzten Ereignisse schildern. Ich sehe nun völlig klar vor mir, was geplant war… Ich lasse alles überflüssige weg, darf dabei aber auch Ihre Gefühle nicht schonen…“
„Das ist nicht mehr nötig,“ meinte Gould sehr harten Tones. „Reden Sie! Es mag Ihnen Ihre Aufgabe erleichtern, Mr. Harst: Auch ich mißtraute Constanze bereits in London. – Also bitte…“
Harald schilderte in aller Kürze den Verlauf der bisherigen Ereignisse…
„Das üble Theater, das Constanze uns von Anbeginn vorzumachen beliebte, stützte sich mit darauf, daß die Firma Smidtson anfänglich von Lady May Batty mit Nachforschungen beauftragt worden war, daß sie nachher aber eine besser renommierte Firma wählte, ohne daß dies in die Öffentlichkeit drang. Mithin glaubte Constanze, den Anschein erwecken zu können, als ob Smidtson und seine beiden Begleiter zur Gegenpartei gehörten. Um dies noch glaubwürdiger hinzustellen, wurde Fred Steen in Chartum von den dreien abgeschnappt, – natürlich sollte er ihnen wie von ungefähr wieder entfliehen… Aber Steen verdarb ihnen den Spaß, schleppte Smidtson zum Ufer, fuhr mit ihm davon und wartete auf uns auf dem Nilinselchen, wo Constanze dann den Baggara-Pfeil benutzte und Smidtson so sein Grab fand. Smidtsons Begleiter begaben sich schleunigst nach dem Baggara-Dorf, um Sie, Mr. Gould, von dort vor zu holen, weil Gefahr bestand, Sie könnten mit uns zusammentreffen. Das Programm Constanzes war eben arg in Unordnung geraten. Vielleicht sollten Sie auch getötet werden, – ich möchte, so häßlich es ist, dieses Letztere annehmen. Wahrscheinlich haben Sie, Mr. Gould, die beiden aus Mißtrauen belauscht und so noch in letzter Minute fliehen können.“
Gould schwieg.
„Es ist also so. Sie sollten sterben. – Was können Sie uns über die Verhältnisse in dem Baggara-Dorf berichten? Entdeckten Sie etwas Besonderes?“
„Nein,“ erwiderte Gould finster. „Die Baggara wissen sicherlich nichts über Battys Verbleib, aber es hausen dort eine Anzahl arabischer Händler, und diese Burschen kamen mir verdächtig vor. Sie stammen alle anscheinend aus Kairo und sind die reinsten Galgenvögel aller Altersstufen. Trotzdem ich sie beobachtet habe, konnte ich nichts feststellen, was gegen sie spräche. Sie sind wirklich Händler und klappern mit ihren Motorbooten die Ufersiedlungen ab.“
Goulds bissige Ironie wurde noch schärfer.
„Sie sind Händler geblieben bis zu dem Augenblick, als ich entfloh… Da stieß mir der eine den Fischspeer in die Schulter, und die andern…“
„Regen Sie sich nicht auf,“ begütigte Harald. „Noch eine Frage‥. Aus welchem Grund war das Dorf so festlich beleuchtet?“
„Die Händler hatten Schnaps und ein Dutzend Hammel gespendet…“
„Auf Constanzes Befehl also, damit sie das Dorf bemerkte und wußte, wo sie schwimmend an Land flüchten konnte. Mithin hat sie mit Smidtsons Begleitern immer noch irgendwie in Verkehr gestanden… Wie aber?!“
Er dachte eine Weile nach.
„… Es kann nur so gewesen sein, daß sie heimlich Flaschenposten ins Wasser warf… Diese Flaschen müssen Fähnchen gehabt haben, und ein scheinbar harmloses Fischerboot oder dergleichen angelte die Nachrichten heraus.“
Gould erklärte kalt: „Es ist so. Josua Trift, einer der beiden Detektive, sprach von Flaschenposten, als ich sie – zum Glück – belauschte. – Mr. Harst, wo ist dieses … Weib jetzt?“
„Das weiß ich nicht, Mr. Gould. Aber daß sie in Höllenangst ist, glaube ich bestimmt. Wir sollten ersäuft werden, das Boot, das meinen Kahn rammte, fand ihn leer, und inzwischen werden die Herrschaften wohl bemerkt haben, daß wir nicht schwimmend uns zu retten suchten, sondern daß wir sie geblufft haben. Ich möchte Miß Bragerfields Sorgen nicht haben, Mr. Gould. Das Messer sitzt ihr an der Kehle. Lady May Batty ist mit dem Wasserflugzeug in der Nähe, Polizeipinassen desgleichen… Trotzdem befinden auch wir uns in einer üblen Zwickmühle, denn es steht zu befürchten, daß Constanze den Lord inzwischen anderswohin schafft… Das darf nicht sein. Lord Batty weilt als Gefangener bestimmt hier in der Nähe. Wir müssen handeln! Fred, Sie bleiben hier bei Mr. Gould… Schraut, flicken wir den Kahn wieder aus… Wir haben bis Tagesanbruch noch drei Stunden Zeit. Ist Batty bis dahin nicht frei, sehen wir wieder ihn noch Constanze wieder!“
9. Kapitel3
Ein Bewohner der Nilsümpfe.
Harst konnte den wichtigsten Nachsatz erst nach einer kleinen Unterbrechung hinzufügen, denn die beiden Krokodile, die bisher mit beispielloser Frechheit sich immer noch in unserer nächsten Nähe aufgehalten hatten, schoben sich jetzt plötzlich ohne sichtbare Ursache mit viel Geräusch und unter lautem, unwilligen Kieferklappen zum Wasser hinab.
Fred Steen, der sie dauernd beobachtet hatte, feuerte ihnen ein paar Steine nach, aber Harald verbot ihm dieses überflüssige Bombardement ziemlich scharfen Tones und schlich hastig zu unserem lecken Bretterkahn hinab, von wo er einen freieren Überblick über den nächsten der Kanäle hatte.
Er blieb einige Minuten unsichtbar, kehrte zurück und schleifte hinter sich einen Menschen näher, den man zunächst für einen fellachischen Bettler halten konnte, wie sie in Kairo die Straßenecken und die Zufahrtswege nach den Pyramiden zu Dutzenden mit ihren scheußlich zur Schau gestellten Gebrechen und ihrem kläglichen Gewinsel verunzierten. Der Mann hatte einen verfilzten Bart, zerlumpte Leinenhosen und ein noch übler zugerichtetes Hemd an. Um seinen Kopf war ein Fetzen Stoff als Turban geschlungen, und in dem zerfaserten Baststrick um seinen Lenden steckte als einzige Waffe ein Messer in einer primitiven Scheide aus Bambusrinde.
Der Fremde war ein Europäer, suchte sich noch immer unter Harsts eisernem Griff zu wehren und brach dann neben Gould in die Knie. Er kam zweifellos aus dem schlammigen Wasser, seine Kräfte waren verbraucht, und nur ein undeutliches Gemurmel drang über die zuckenden Lippen. Dann lachte er etwas blöde und sein Gestammel formte sich zu einem klaren Satz: „Ich … ich fürchtete, Sie würden meine Tiere töten, die beiden großen Krokodile, die ich mit Mühe gezähmt habe.“
Seine Sprache war rauh und seltsam farblos, und als Harst sich zu ihm niederbeugte und eindringlich fragte: „Sie sind doch Engländer?“ erwiderte er mit demselben gequälten Auflachen: „Ich … bin … gar nichts, Mister… Ich bin der … Herr dieser Sümpfe, und das ist … nichts, – – wie ich selbst ein Nichts bin…“
Gould hatte sich wieder aufgerichtet und starrte den Zerlumpten merkwürdig forschend an.
„Gott im Himmel,“ entfuhr es ihm dann. „Chester, wie kommen Sie hierher?! Sie sind Chester Bragerfield, und…“
Der Fremde war herumgeschnellt. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und sein krankes aschgraues Gesicht entfärbte sich noch mehr.
Soeben war der Mond wieder hinter den Wolken hervorgetreten… Fahles Licht beleuchtete die Kuppe der winzigen Nilinsel, auf der wir vielleicht noch erschütterndere Dinge erlebten als auf jenem Unglückseiland, wo ein junges Weib ohne jeden moralischen Halt kaltblütig einen Mord begangen und zweifellos auch weiter – Giftattentate geplant hatte.
„Ich … bin nicht Chester Bragerfield,“ zischte der Fremde den anderen in jäher Wut ins Gesicht. „Ich bin niemand… Lassen Sie mich laufen… Ich habe Ihnen nichts getan…“
„Bestehlen wollten Sie uns,“ meinte Harst sehr milde. „Sie sind Bragerfield! Mr. Gould dürfte Sie sehr gut kennen, in anderthalb oder zwei Jahren verändert sich ein Mann nicht so, daß…“
Mit dem Nervensystem des Unglücklichen schien es sehr schlecht bestellt zu sein. Er begann plötzlich wie ein Kind zu schluchzen, wühlte den Kopf ins Gras und stammelte zwischenein noch hilfloser als bisher:
„Die … Schande, – – die Schande, – – diese … Bestie!“
Harst winkte uns bedeutsam zu, wir sollten uns völlig ruhig verhalten.
Je reichlicher die Tränen des Ärmsten flossen, je mehr dieser Tränenstrom die seelischen Hemmnisse hinwegwusch, die ihm von einem endgültigen Geständnis zurückgehalten haben, desto zusammenhängender und offener wurden seine Worte.
„… Dieses Weib hat alle betrogen … alle… Mich hat sie in die Nilsümpfe gelockt… Ein Jahr habe ich hier gehaust wie ein Sträfling, bewacht von Halunken – auf ihren Befehl! Und dann kam sie und schrie mir die Wahrheit ins Gesicht … wie eine Megäre4… ‚Verrate mich doch, flieh doch!! Ziehe den Namen Bragerfield in den Schmutz! Lord Batty werdet ihr nie finden, nie! Ich halte ihm verborgen, – suche ihn meinetwegen! Flieh und laß mich verhaften… Dann stirbt Cecil Batty!’… Fortan war ich frei, lebte wie ein Tier in den Sümpfen unter den Tieren… Und suchte – suchte – – nach meinem unglücklichen Vetter. Dieses Inselchen ist mein Heim geworben, Krokodile meine Gefährten…“
Er sprang auf die Füße… Er glich mit seinem tränenfeuchten Gesicht einem armen Narren… Ein einzelner größerer Baum wuchs da hart am Nordrand der Kuppe mit dichtestem armdicken Geflecht von Luftwurzeln. Chester Bragerfield deutete auf diesen Baum. „Dort unten hause ich‥! Dort – – in der Erde, in einem Loch, ein Gespött für die von Constanze in Kairo erkauften Schurken, die hier schachern und irgendwo den armen Cecil bewachen, sich dauernd dabei ablösen. Den Schuften ist nicht auf die Spur zu kommen, Sie sind so schlau, – was habe ich alles aufgeboten, Cecils Kerker zu finden! Mir ist jetzt alles, alles gleichgültig, mag werden, was da will, Ihr Anblick, Gould, hat alle Schranken niedergerissen! Ich weiß, daß Constanze Sie als Verlobten eingefangen hat, ihre Geldmittel waren erschöpft, ihr niederträchtiger Kampf gegen May Batty, ihre verhaßte Rivalin, kostete Unsummen… In London bestach sie Leute, die Lady Mays guten Ruf untergraben sollten, hier mußte sie ihre schändliche Leibgarde bezahlen, und Sie waren verliebt, reich, mein alter Gould! Wenn ich Sie nur rechtzeitig hätte warnen können! – Gould, Gould, – – wissen Sie, wie wir uns zum letzten Mal im Klub in London sprachen … beide im Frack, – – heute – – ich … ein zerlumpter Strolch, ein Feigling letzten Endes, der den Namen Bragerfield schonen wollte…“
Seine hemmungslose Redeflut hatte ihn völlig erschöpft. Er brach abermals zusammen, Fred war mit der Whiskyflasche schnell bei der Hand, und Bragerfield trank wie ein Verschmachtender.
Jetzt erst – man beachte meinen Hinweis auf Harsts letzten Satz – kam Harald dazu, das Wichtigste hinzuzufügen…
„… Wenn wir nicht schnell handeln, werden wir Lord Batty und Constanze vielleicht nie wiedersehen. Ihr bleibt nur noch ein Ausweg, der sich wohl durchführen läßt, weil Lord Cecil Batty nicht weiß, wer ihn überfallen und verschleppen ließ, oder besser, weil er in dem Glauben erhalten wurde, seine Gattin sei die Urheberin dieses ruchlosen Streiches. Zu dieser Überzeugung war er wohl um so leichter zu bringen, da Constanzes Intrigen in London ihn bereits von seiner Frau getrennt und als Verzweifelten, Enttäuschten in die Wildnis Afrikas gescheucht hatten… – Ja, sie wird ein Letztes versuchen, und da ihr dies nicht glücken kann, wenn Sie am Leben bleiben, Mr. Bragerfield, dürften Constanzes Schergen hier sehr bald erscheinen, um Sie … abzutun! – Schnell, verbergen wir das Gepäck und den Kahn… Verbergen wir uns selbst… – Anpacken alle Mann, es eilt!! Meine Rechnung muß stimmen!“
… Fünf Minuten darauf lag das Inselchen scheinbar still und verlassen da. Die beiden großen Krokodile waren wieder aufgetaucht und hatten ihre alten Plätze eingenommen. Bragerfield befand sich bei uns, und wenn je ein Mann ehrlicheren Anlaß hatte, die Schergen seiner Schwester wie die Sünde zu hassen, so war er es.
Wieder fünf Minuten…
Dann leise Ruderschläge, wispernde Stimmen, – und mit einem Mal huschten drei Kerle im schmierigen Beduinenmänteln katzengleich auf den einsamen Baum zu…
Bevor sie ihn noch erreicht hatten, erhoben sich hinter ihnen drei andere Gestalten…
Der Bursche, dem ich den Pistolenkolben gegen den Schädel schmetterte, hatte es noch besser angetroffen als Bragerfields Opfer. Fred und ich hatten alle Mühe, Bragerfields Hände von dem Hals seines Gegners zu lösen.
Nicht ein Schrei war erklungen – nichts…
Aber Harst nahm dann ‚seinen’ Mann so nachdrücklich ins Gebet, daß der Bursche zähneklappernd uns auch das Wertvollste offenbarte.
10. Kapitel5
Die richtige Insel.
Mitten in einem versumpften ungeheuren Schilffeld, das ein geschlossenes Ganzes zu bilden schien, ragten mehrere Baumkronen dicht beieinander hervor und ließen auf das Vorhandensein einer flachen Insel festeren Bodens schließen. In dieses endlose, uralter Schilffeld einzudringen, das sich am Ostufer keine fünfhundert Meter von Bragerfields Insel in die gänzlich unpassierbaren Sümpfe verlor, war unmöglich. Bis zu den Baumkronen hin hätte es tagelanger Arbeit bedurft, auch nur den schmalsten Kanal freizulegen.
Die Bäume erhoben sich dort inmitten dieses Panzergürtels von harten Schilfstengeln tatsächlich über ein niederes Eiland hinaus, und ihre sich berührenden Kronen sowie mannshohes Gestrüpp verbargen ein Haus, dessen Wände und Dach aus Schlammziegeln, Brettern und Röhricht bestanden. Selbst ein Flugzeug, das noch so niedrig geflogen wäre, hätte dieses Gefängnis eines Mannes, der von zwei Frauen vergöttert worden war, niemals bemerkt.
Das Haus, außen völlig mit Kletterpflanzen umwuchert, hatte erblindete kleine Fenster, eine sehr feste Tür mit mehreren Schlössern und auf dem flachen Dach einen kurzen, viereckigen Schornstein, dessen vermauert Öffnung durch sechs gebogene Eisenröhren durchbrochen wurde, die bis in die Baumkronen reichten, – zur gründlicheren Verteilung des Herdqualmes. Dieser offene Herd stand in dem größten der drei Räume der versteckten Behausung, und soeben – es war gegen halb vier morgens – hatte die Ablösung der drei beständigen Wachen dieses durch Vorhänge, durch eine Ottomane und ein paar orientalische Möbelstücke leidlich wohnlich hergerichtete Gemach betreten, wo an einem primitiven Schreibtisch Lord Cecil Batty sich mit schriftlichen Arbeiten beschäftigte – wie immer.
Seitdem er hierher geschleppt worden war, nachdem man seine Expedition hinterlistig überfallen und zusammengeschossen hatte, durfte er sich nur nachts auf der Insel etwas Bewegung im Freien machen, und so war für ihn die Nacht in Wahrheit zum Tag geworden.
Die Aussichtslosigkeit von Fluchtversuchen hatte er sehr bald erkennen müssen, seine Wächter waren äußerst geriebene Schurken, und er fand sich auch umso leichter in sein trauriges Los hinein, da er im Grunde vom Leben nichts mehr zu erhoffen glaubte. Seine Liebe zu May Mayking war tief, aufrichtig und leidenschaftlich gewesen, und die ersten Monate seiner Ehe erschienen ihm wie ein berauschender Traum.
Dann war die entsetzliche Wendung eingetreten: Er erhielt anonyme Briefe, die ihm die Vergangenheit seiner Frau in schwärzestem Licht malten und die gleichzeitig Zeugen für diese Verdächtigungen benannten.
Hätte Cecil Batty seine Gattin nicht so heiß geliebt, würde er vielleicht der Versuchung widerstanden haben, diese Zeugen aufzusuchen.
Er ahnte nichts von Constanzes schamlosen Intrigen, sie verkehrte noch immer in seinem Haus, war mit May befreundet und spielte ihm gegenüber die Gleichgültige.
Constanze siegte: Lord Batty trennte sich von seiner Gattin, reiste bei Nacht und Nebel ab unter einziger Zurücklassung von ein paar harter vorwurfsvoller Zeilen.
Dann ereilte ihn hier im Sudan das schlimmste Geschick: Constanze hatte vorgesorgt, – er wurde eingekerkert und mußte den ganzen Umständen nach annehmen, daß nur seine Frau, der er nunmehr das Allerschlimmste zutraute, ihn bei Seite schaffen wollte.
Nein, sein Dasein war wertlos, – ihn ekelte es vor jeglicher Erinnerung an ein Weib, das ihn seelisch zerbrochen hatte und das er nur noch verachtete.
So hatte er sich denn in dieses ihm auferlegte Schicksal ergeben, war ein sehr gefügig Gefangener und schrieb an einem Werk über seinen Zug quer durch Afrika.
Seine Wächter sprachen niemals mit ihm ein Wort.
Auch daran hatte er sich gewöhnt.
Heute nun fiel ihm die nervöse Unruhe seiner stummen Peiniger auf: Sie tuschelten andauernd untereinander, und als er sie ärgerlich in das kleinere Nebengemach schickte, zogen sie sich eilfertiger denn je zurück und ließen sogar den Türvorhang völlig geschlossen.
Batty, der ein schmales, blasses Gesicht mit etwas scharfen Zügen hatte, beugte sich wieder über seine Arbeit.
Ein Geräusch hinter ihm, das wie schleichende Schritte klang, zwang ihn sich umzudrehen.
In der Türöffnung nach dem schmalen Flur hin stand Constanze Bragerfield, Schlamm bespritzt, erhitzt, in jeder Hand eine Pistole.
Er starrte sie wie einen Geist an.
Nur mit Mühe unterdrückte er den Schrei, der sich seiner wild atmenden Brust entringen wollte.
Sie winkte ihm zu…
In ihrem Lächeln lag ebensoviel zärtliche Hingabe wie Triumph und Freude.
Lord Batty zwang sich zur Ruhe, obwohl das Herz ihm bis zum Hals hinauf hämmerte und seine Gedanken sich verwirrten.
Niemals hatte er gehofft, daß Constanze ihn hier in diesem Versteck auffinden könnte, zudem nur ein ganz schmaler unauffälliger Kanal durch das Röhrichtfeld führte. Er hatte wohl damit gerechnet, daß sie suchen würde, denn er kannte ja ihre eiserne Energie und heimliche Zuneigung zu ihm.
Nun war ihr das Unmögliche doch gelungen.
Er zitterte… Aber er blieb gefaßt, sein Verstand blieb kühl, – er durfte nicht durch einen Fehler von seiner Seite Constanzes Erfolg gefährden.
Lautlos erhob er sich.
Er trug nur Bastsandalen, und der Boden war mit Teppichen belegt.
Erst im Flur hauchte Constanze ihm ins Ohr, indem sie ihm einen Pistolengurt reichte:
„Entwaffne die drei Wächter… Schieße sie nieder, wenn es nicht anders geht‥!“
Sie preßte seinen Arm und schmiegte sich an ihn…
„Cecil, gehorche mir blindlings, oder wir sind verloren!“
Er nickte strahlend vor aufflammender Hoffnung.
Er hatte eine Waffe… Er fühlte sich bereits Sieger.
Er haßte seine Wächter.
Diese farbigen Halunken hatten ihn stets mit schweigendem Mißachtung behandelt. Nach den ersten beiden Fluchtversuchen hatten sie ihn halbtot geprügelt. Und er war ein englischer Lord…
Er schlich noch vorsichtiger auf den Vorhang der Verbindungstür zum Nebenraum zu. Er handelte trotzdem sehr übereilt, als er, ohne das Licht in seinem Zimmer auszulöschen, diesen Vorhang lüftete…
Der eine seiner Wächter lag faul auf einem Ruhebett, – es war ein alter pockennarbiger Araber, der in Kairo längst für den Strang reif war.
Der zweite hockte drüben an der Wand, – der dritter aber kauerte vor einem kleinen türkischen Tischchen, einen Revolver in der Hand, drehte nun blitzschnell den Kopf und starrtet Batty drohend an.
Der Lord wußte, daß es sich hier um Sekunden handelte…
Der Kerl mit dem Revolver sah Battys Pistole, und … fast gleichzeitig krachten zwei Schüsse, die eine Kugel fuhr dem Lord durch den Ärmel…
Der eine Kerl war hinüber: Kopfschuß.
Der Lord wollte die beiden andern schonen…
„Hände hoch!!“
Diese edelmütige Regung wurde nicht gemacht, – hinter ihm blitzte es zweimal auf, und Constanze Bragerfield war als gute Schützin bekannt.
Sie war in ihrer blinden Eifersucht und in ihrer jetzt noch weit stärkeren Furcht vor den deutschen Detektiven bereits zur mehrfachen Mörderin in dieser Nacht geworden. Sie konnte keine Mitwisser brauchen, – sie hatte kaltblütig vernichtet, was sie vernichten konnte, und der Nil und die Sümpfe hatten die armen Opfer verschlungen, die durch lautlose Pfeilschüsse beseitigt worden waren.
Constanze hatte wie in einem wahnwitzigen Rausch gehandelt. Sie hatte zum ersten Mal wirkliche Furcht vor den Folgen ihrer Schändlichkeiten kennen gelernt, als Lionel Gould im Baggara-Dorf den Speeren entgangen war und in dem Boot Harsts Schutz gefunden hatte…
Diese Furcht hatte sich zu eisigem Entsetzen gesteigert, als dann auch der Überfall auf dieses Boot mißlungen war: es war leer gewesen, sie genarrt worden!
Von der Minute an war sie sich selbst fremd, – irgend etwas in ihrem Körper, in ihrem Hirn, in ihrer Seele war vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten, – quälenste Kopfschmerzen peinigten sie, – trotzdem vermochte sie immer noch die geistige Spannkraft aufzubringen, die Sachlage zu überschauen und neue Entschlüsse zu fassen… Sie hatte getötet, – – doch das war ihr kaum bewußt – sie zog jetzt den Lord mit sich ins Freie, obwohl Batty unwillkürlich vor ihr zurückschauerte.
„Wir müssen fliehen… Deine Frau ist in der Nähe,“ zischte sie mit zuckenden Lippen… „Wir müssen in die Wildnis gen Osten, – – da ist das Boot, – – schnell … hinein, – was zögerst du, Cecil… Unserer beider Leben hängt von Sekunden ab…“
Der Lord gehorchte. Plötzlich fielen ihm seine Aufzeichnungen ein, seine Notizen, seine Ausarbeitung über den abenteuerlichen Zug durch Afrika.
„Warte, – ich hole nur meine Schreibmappe, Constanze…“
Sie wollte ihn zurückhalten, aber er riß sich abrupt los, er hing an seinem begonnenen Werk, das ihm die fürchterliche Einsamkeit dieser Haft erträglich gemacht hatte.
11. Kapitel6
Die Strafe der Nilgötter.
Als er sein Gemach betrat, fuhr er zurück.
Vor seinem Schreibtisch saß ein Fremder, der ihn ruhig anschaute.
Lord Batty wollte nach seiner Pistole greifen.
„Lassen Sie das bitte,“ sagte der Fremde höflich.
„Mein Name ist Harst…“
Batty stutzte.
„Harald Harst?“
„Ja… – Setzen Sie sich, Mylord… Meine Freunde draußen sorgen derweil schon für Miß Constanze. Wir sind hier leider um Sekunden zu spät gekommen. Allerdings macht es nicht viel aus, ob sie oder der Henker in Chartum die drei Burschen dort in die Hölle schickte. Jedenfalls sind Sie frei, Mylord. Setzen Sie sich, – ich habe mit Ihnen einiges zu besprechen.“
Draußen ertönte plötzlich ein schrilles, tolles Weiberlachen…
Batty horchte…
„Was war das, Mr. Harst?“ flüsterte er scheu.
„Nervenkrise, Mylord… Miß Constanze wird bewußt, daß sie verloren hat.“
„Wie meinen Sie das?!“
„Hier – nehmen Sie erst einmal eine Zigarette… Rauchen Sie! Sie werden die dämpfende Wirkung des Nikotin nötig haben…“
Batty sank matt in einen der Stühle.
„Jetzt … streiken meine Nerven… Es war zu viel, es … kam zu plötzlich… – Oh, die Zigarette tut mir gut… – Haben Sie Constanze bei meiner Befreiung geholfen?“
„Ja und nein… – Wie man’s auslegen will.“
„Sie sprechen in Rätseln‥!“
„Nein, ich muß Sie nur allmählich vorbereiten, Mylord…“
„Worauf denn?!“
„Auf gewisse Irrtümer Ihrerseits… Ich kann mit der Wahrheit nicht auf einen Schlag hervortreten, sonst erginge es Ihnen ähnlich wie Constanze… – Da, sie lacht schon wieder… Und so lachen nur Geistesgestörte…“
Batty beugte sich vor. Sein blasses Gesicht war blank vor Schweiß.
„Sie … Sie quälen mich…“
„Nein, ich bin nur vorsichtig… Ich wünsche nicht, daß das Geheimnis dieser Nilinsel, das nun gelüftet ist, seine Schatten auch in die Zukunft wirft. – Mylord, hören Sie mir geduldig zu… Ich muß etwas weiter ausholen. Eines Tages, es sind etwa drei Monate her, erschien bei mir in Berlin Miß Constanze…“
– Er berichtete sehr behutsam, wie der erste Verdacht in ihm aufgestiegen war.
Ich vernahm jedes Wort, denn ich stand keine drei Meter weiter hinter dem Vorhang bei den drei toten Wächtern, die mich nicht weiter störten.
Harst machte seine Sache vortrefflich.
Die Gefahr, daß das Nervensystem Lord Battys bei einer allzu plötzlichen Preisgabe der vollen Wahrheit ernsthaft schaden nehmen könnte, wurde von Harst geschickt vermieden.
Batty saß mit gesenktem Kopf da und regte sich nicht.
„Ihre Gattin ist schuldlos, Mylord… Das haben Sie wohl selbst erkannt… – Als der Wächter drüben auf dem anderen Inselchen, wo Chester Bragerfield hauste, mir verraten hatte, wo Sie gefangen gehalten wurden und sich als Führer anbot, landeten wir hier kurz nach Constanze, die…“
Er zögerte…
„… die auch die drei abgelösten Wächter erschoß – mit Pfeilen… Auch das konnten wir nicht verhindern. Mir mußte in der Hauptsache daran gelegen sein, Ihre –“ er zögerte „– Gesundheit zu schonen. Durch jenes eingedrückte Fenster sind wir hier eingedrungen…“
Er hob den Kopf und horchte… Auch ich vernahm das Geräusch von Flugzeugmotoren…
„… Daß Sie hier irgendwo im Gebiet der Baggara verborgen gehalten wurden, Mylord, verriet mir der Pfeil, mit dem Smidtson erschossen wurde. Ich habe in Constanzes Koffer noch acht solcher Pfeile gefunden. Außerdem habe ich aber auch Glück gehabt, glückliches Zusammentreffen von Umständen erleichterte mir die Arbeit…“
Batty winkte müde ab. „Verkleinern Sie doch Ihre Verdienste nicht, Mr. Harst… – – Ob … ob meine Frau mir verzeihen wird?“
… Das Propellergeräusch war verstummt…
„Das weiß ich nicht,“ und ein herzliches Lächeln spielte um seinen Mund. „Fragen Sie sie selbst… Ich glaube jedoch, Sie werden nicht lange zu bitten brauchen…“
Batty sprang auf.
„Ist May hier auf der Insel?“
„Rauchen Sie noch eine Zigarette… Dann ist Sie hier… – Setzen Sie sich! Mylord, beherrschen Sie sich‥!“
Aber Cecil Batty rannte schon ins Freie…
– – Der Morgen war da.
Auf der Nilinsel standen eng umschlungen eine Frau und ein Mann, und die ersten Sonnenstrahlen glitzerten in den Freudentränen, die Lady May weinte… –
Soll ich noch viel hinzufügen?
Constanze Bragerfield lebt in einem Sanatorium unweit Kairos als … ‚unheilbar’… Ihr umnachteter Geist hat die Vergangenheit getilgt.
Pieter van Laarsen, der’s so sehr mit der Gemütlichkeit hält, hatte in Chartum drei Tage einen Mordsrausch vor Seligkeit über Lord Battys vierstelligen Scheck.
Und wir?!
… Chartum ist in vielem eine sehr merkwürdige Stadt. Man kann sich dort genau so gut wie in Paris in allerlei Amüsierstätten die Nacht um die Ohren schlagen… Freilich trifft man dabei zuweilen auch gewisse Schlangen…
Aber das ist wieder eine andere Geschichte, und nach meinen Notizen ist sie noch spannender als die ‚Nilinsel’… –
Hiermit gute Nacht… Auch ein Mann wie ich hat Anspruch auf Schlaf, obwohl meine Finger geradezu fiebern nach der Weißen Schlange, dem nächsten Band.
Anmerkungen:
1 In der Vorlage erneut Kapitel 6.
2 Vorlage Kapitel 7
3 Vorlage Kapitel 8
4 griech. Mythos (eine der drei Erinnyen), gebräuchlich für böses Weib
5 Vorlage Kapitel 9
6 Vorlage Kapitel 10