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Zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II.

Zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II.

Ein Gedenkblatt von Walther Kabel, zum 15. Juni 1913.

 

Es war im Jahre 1866 kurz vor dem – der ganzen politischen Lage nach unvermeidlichen – Ausbruch des deutschen Bruderkrieges, jenes in seinen Folgen doch so segensreichen Kampfes mit Österreich, als der preußische König Wilhelm I. im vertrauten Kreise, mutlos gemacht durch den Streit mit der Volksvertretung, die die Mittel zur Vergrößerung des Heeres nicht bewilligen wollte, schwer aufseufzend äußerte : „Ich wünschte, ich brauchte diese Krone nicht zu tragen, die mich mit ihrer Last von Pflichten so schwer bedrückt. Und ein anderer Herrscher, nicht minder beliebt bei seinem Volke wie „der alte Wilhelm“, sagte ähnlich, als Schicksalsschlag auf Schicksalsschlag ihn grausam traf … „Jede Krone ist eine Dornenkrone“. Nur die wenigsten wollen an die Wahrheit dieses Wortes des greisen Kaisers Franz Josef glauben. Der Beruf des Herrschers erscheint den meisten als die erstrebenswerteste Stellung, da die Mächtigen dieser Erde, die über Völker gebietenden Monarchen, hoch über den kleinlichen Sorgen des Alltags zu stehen scheinen. Scheinen! In Wahrheit bleibt den Fürsten von all den Ängsten, die den gewöhnlichen Sterblichen quälen, auch nicht ein Deut erspart. Dazu kommt bei ihnen jedoch noch etwas, das Schwerste des Herrscherberufs, was nur zu leicht immer wieder vergessen wird: die ungeheure Verantwortung für jedes Wort, jede Tat, jeden Schritt, eine Verantwortung, die den Monarchen wie keinen zweiten Menschen gleichsam dauernd mit Fesseln belastet. Wer ist wohl sonst noch so sehr der Kritik der Zeitgenossen ausgesetzt, als der regierende Herrscher; wer kann es so wenig allen recht machen als der, auf den ständig aller Blicke gerichtet sind und von dem alle nur das Beste, das unfehlbar Richtige erwarten. Selten ist ein Monarch von denen, die mit ihm lebten, richtig beurteilt worden. Erst die Nachwelt hat den Großen unter den Fürsten volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, erst die klärenden Jahrzehnte haben die Bilder vieler Herrscher in das rechte Licht gerückt.

Der am 27. Januar 1859 im Berliner Schloß geborene älteste Sohn des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (späterer Kaiser Friedrichs III.) und der Prinzessin Viktoria von Großbritannien erhielt in der Taufe die Namen Wilhelm Friedrich Viktor Albert. Es war eine schwere Zeit für die preußische Monarchie, in der der Prinz das Licht der Welt erblickte. Preußen, angefeindet von allen übrigen Mächten, mit Mißtrauen beobachtet, begann gerade damals seine ersten diplomatischen Kämpfe um seine Großmachtstellung. Seinem Kinde frühzeitig das Bewußtsein für die Ziele der preußischen Politik beizubringen, war das Hauptstreben des Prinzen Friedrich Wilhelm. Als dieser im Jahre 1866 den Pädagogen Georg Hinzpeter, der bis dahin in mehreren vornehmen Familien die Stellung als Hauslehrer bekleidet hatte, zum Erzieher seines Ältesten auswählte, sagte er dem vielerfahrenen Schulmann ernst: „Ich wünsche, daß der Prinz schon als Kind sich bewußt wird, welche Pflichten seiner einstmals warten. Pflanzen sie ihm die Überzeugung ein, daß Preußen berufen scheint, die deutschen Stämme zu einem festen Ganzen zu vereinen.“ Bis zum Jahre 1877, in dem Prinz Wilhelm nach dreijährigem Besuch des Gymnasiums in Kassel das Abiturientenexamen glänzend bestand, hat Hinzpeter seine Aufgabe als Lehrer und Erzieher des fürstlichen Kindes aufs glücklichste erledigt. Hinzpeter, selbst ein selten vielseitig und gründlich gebildeter Mann, wußte in seinem Schüler jenes Interesse für alle Vorgänge des täglichen Lebens, jeden Zweig von Kunst und Wissenschaft zu wecken, das noch heute Kaiser Wilhelm II. auszeichnet. Die Freundschaft, die sich zwischen beiden in dem jahrelangen innigen Verkehr entwickelte, ist nie erloschen. Oft genug hat der Kaiser seinen früheren Lehrer zu wichtigen Beratungen zugezogen, und im Jahre 1904 ehrte er ihn abermals durch die Verleihung des Prädikats Exzellenz. – Zwei glückliche Jahre durfte Prinz Wilhelm dann noch in freier Ungebundenheit in der Universitätsstadt Bonn (1877 bis 1879) verleben, wo er Staats- und Rechtswissenschaften studierte, bevor er seinen ersten selbständigen Posten antrat – die Stellung eines Hauptmanns und Kompaniechefs im 1. Garderegiment. Sehr bald verlobte er sich nun auch mit der Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, mit der er dann am 27. Februar 1881 in Gegenwart einer glänzenden Versammlung von Fürstlichkeiten getraut wurde. Wenn bei dieser Wahl auch politische Momente mitgesprochen hatten, so lehrte doch die Zukunft, wie sehr sich hier zwei harmonische Charaktere zu glücklichster Ehe zusammengefunden hatten. Wenige Jahre später finden wir den Prinzen als Oberst und Kommandeur des 1. Gardehusarenregiments wieder. Gleichzeitig lernt er unter Leitung des Oberpräsidenten Achenbach den Verwaltungsdienst bei der Potsdamer Regierung gründlich kennen. Prinz Wilhelm bezeigte gerade für den Verwaltungsapparat das größte Interesse. Aus jener Zeit stammen eine ganze Reihe von Arbeiten nationalökonomischer Tendenz, die er ohne jede Hilfe verfaßte und in denen bereits viele selbständige Gedanken kompliziertester Art trefflich entwickelt waren. Nebenbei lag der Prinz aber auch ebenso eifrig allen Arten des Sportes ob, trotzdem ihn eine Schwäche im linken Arm, die durch eine Verletzung des Nervs bei seiner Geburt verursacht war, bisweilen recht stark behinderte.

Dann kam das Trauerjahr 1888. Im März hatte das deutsche Volk den Heldenkaiser, seinen allverehrten Herrscher Wilhelm I. zu Grabe getragen. Und schon am 15. Juni desselben Jahres stand die trauernde Nation an einer neuen Bahre. Auch Kaiser Friedrich, der fürstliche Dulder, war dahingegangen. Als Wilhelm II. bestieg dessen ältester Sohn nun den preußischen Thron. Bereits zehn Tage nach dem Heimgange seines erlauchten Vaters eröffnete der jugendliche, erst 29 Jahre alte Monarch den deutschen Reichstag, und nach zwei weiteren Tagen leistete er im preußischen Landtage den Eid auf die Verfassung. „Gleich meinem erlauchten, großen Ahn Friedrich II. will ich stets der erste Diener des Staates sein“, betonte er in seiner von ernstem Pflichtgefühl durchwehten Ansprache. Sehr bald merkte man im Preußenlande, daß mit dem neuen Herrn auch ein neuer Geist in das altehrwürdige Berliner Schloß eingezogen war. Hatte Kaiser Wilhelm I. sich damit begnügt, sich vollständig auf seine erprobten Ratgeber zu verlassen, so nahm jetzt sein Enkel die Zügel der Regierung mit energischem Kraftbewußtsein selbst in die Hand und trat sehr bald als der eigentliche Leiter der Staatsmaschine bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Öffentlichkeit. Indem er anfänglich sich die Politik Bismarcks zu der seinigen machte, sicherte er durch Pflege des Bündnisses mit Österreich und Italien den Frieden und knüpfte durch wiederholte Besuche bei den bedeutendsten Höfen Europas mit fremden Herrschern persönliche Beziehungen an. Hauptsächlich aber war er bestrebt, die Weltstellung des deutschen Reiches durch den Ausbau von Heer und Flotte zu festigen und zu vergrößern. Für kurze Zeit sollte jedoch die Popularität, die der zielbewußte junge Fürst sich in kurzer Zeit errungen hatte durch den Konflikt mit dem Altreichskanzler etwas getrübt werden. Die breite Masse des Volkes, die Bismarck wie einen Gott verehrte, übersah hierbei vollkommen, daß zwei so selbständige Naturen wie der Kaiser und sein erster Beamter auf die Dauer ihre beiderseitigen Ansichten nicht völlig in Einklang bringen konnten. Die Meinungsverschiedenheit über das Sozialistengesetz führte schließlich (20. März 1890) den Rücktritt Bismarcks herbei. „Ich weiß, daß man mir lange Zeit diesen Tag nicht vergessen hat“, äußerte der Kaiser zehn Jahre später zu einem hohen Würdenträger. „Und doch wird man einst ganz einsehen lernen, wie wenig Schuld ich an diesem Bruche hatte.“ Jedenfalls ist die Entfremdung, die infolge des Abtretens des Altreichskanzlers vom politischen Theater zwischen dem Monarchen und den national gesinnten Kreisen des Volkes entstand, längst wieder beseitigt. Dazu hat Deutschland seinem obersten Kriegsherrn in den folgenden Jahren zu viel zu danken, als daß eine solche Verstimmung hätte für die Dauer sein können.

Die Verdienste unseres Kaisers liegen eben nicht allein auf dem Gebiete der Verstärkung von Land- und Seemacht, sondern breiten sich eigentlich über jeglichen Zweig von Industrie und Wissenschaft aus. Selten ist es einem Herrscher vergönnt gewesen, in einer Zeit eines so ungeheuren Aufschwungs von Technik, Wissenschaft und Künsten zu leben wie er. Welcher Anteil ihm an diesem Aufblühen gebührt, wie er jeder Zeit dafür gesorgt hat, neue Bedingungen zum Vorteil des Reiches auszunutzen, wie er jedes großzügige Projekt zur Mehrung des Volkswohlstandes unterstützte, dafür nur einige Beispiele. Das hervorragendste Werk, das unter seiner Regierung entstand, ist fraglos der 98 Kilometer lange, am 18. Juni 1895 eröffnete Kaiser Wilhelm-Kanal, der künstlich geschaffene Verbindungsweg zwischen Nord- und Ostsee, dessen Vollendung erst nach neunjähriger Arbeitszeit gelang. Die Baukosten von 160 Millionen Mark erwiesen sich als vorzügliche Kapitalanlage. Denn schon 1903 brachte der Kanal an Gebühren 2½ Millionen ein, eine Ziffer, die sich heute beinahe verdoppelt hat. Daß dieser Wasserweg nebenbei noch von höchster strategischer Bedeutung für die Beweglichkeit unserer Kriegsflotte ist, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Weiter haben unter der Regierung des Kaisers eine ganze Reihe von Lehrinstituten begründet werden können. Man denke nur an die Hochschule in Danzig, die Akademie in Posen, die Gründungsprojekte neuer Universitäten in Frankfurt a. M. und Hamburg. Die wichtigste dieser Schöpfungen ist jedoch die durch die Opferwilligkeit der deutschen Großindustriellen ermöglichte Schaffung der Kaiser Wilhelm-Institute für wissenschaftliche Forschungen, von denen als die ersten am 23. Oktober 1912 die Stationen für Chemie und Elektrochemie in Dahlem bei Berlin eingeweiht wurden. Nicht übersehen darf man auch die vielfachen Anregungen, die unser Kaiser dem genialen Erbauer der besten Luftschiffe der Welt, dem Grafen Zeppelin, gegeben hat. Es würde zu weit führen, wollte man all die Betätigungsgebiete des Monarchen hier auch nur einigermaßen würdigen.

Nur eine statistische Angabe sei hier in Bezug auf den Aufschwung deutschen Handels gemacht: In den letzten dreißig Jahren ist der Wert der Ausfuhr nicht weniger als um das neunfache gestiegen. Deutschland steht im Welthandel heute an zweiter Stelle, während es 1880 an fünfter rangierte. Kein einziges Land auch hinsichtlich der Entwicklung seiner Handelsbeziehungen hat eine so steil aufwärtsführende Linie zu verzeichnen als wir. Und wenn man dies auch nicht dem Kaiser als alleiniges Verdienst zurechnen kann: immerhin haben wir es seiner Friedenspolitik zu verdanken, daß unser Handel sich in Ruhe und Stetigkeit zu einer solchen achtunggebietenden Höhe ausbreiten konnte. Dabei hat während Wilhelms II. Regierungszeit mehr denn einmal ernsteste Kriegsgefahr uns bedroht. England, eifersüchtig, auf den gefährlichen deutschen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, Frankreich, sich noch immer mit Revanchegedanken für 70/71 tragend, hatten schon wiederholt das Schwert halb gezückt. Daß dieser Kampf, aus dem ein Weltbrand entstehen würde, bisher vermieden wurde, ist Hauptverdienst unseres Monarchen, der stets aufs neue in seinen Reden seine friedlichen Gedanken und ernsten Absichten zur Erhaltung dieses die Völker fördernden Friedens betonte. Trotzdem konnte er es nicht vermeiden, die Wehrmacht Deutschlands in schwere, aufreibende Kämpfe verstrickt zu sehen, Kämpfe, die sich allerdings in fremden Erdteilen abspielten, unseren Truppen aber nur Ruhm und Ehre einbrachten. Keinem Kolonialreich bleiben solche Kriege erspart. Und unter Kaiser Wilhelm II ist Deutschland eben in die Reihen der Kolonialmächte eingetreten und hat sich zugleich auch der Größe seines Kolonialbesitzes nach bis zur dritten Stelle hochgearbeitet, nur noch überflügelt von England und Frankreich, Länder, deren Besitzbestrebungen in fremden Weltteilen auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurückblicken können, während unsere Kolonialpolitik erst seit 1884 datiert. Die schwerste Verwickelung, welche das Deutsche Reich, abgesehen von dem Herero-Kriege, auszufechten hatte, verursachte der Boxer-Aufstand in China, in dessen Verlauf der deutsche Gesandte, der Freiherr v. Ketteler am 16. Juni 1900 ermordet wurde, wodurch die Entsendung eines Expeditionsheeres in Stärke von 22000 Mann zur Wahrung der gefährdeten deutschen Interessen notwendig ward. Der Erfolg dieser Maßregel war, daß China eine Sühnegesandtschaft nach Berlin schickte und an Deutschland 240 Millionen Taels (= 600 Millionen Mark) Kriegsentschädigung zahlen mußte. Ruhmbedeckt kehrten unsere Soldaten von der China-Expedition zurück.

So, sehen wir, wie dem Friedensfürsten Wilhelm II. allezeit der Erfolg treu geblieben ist, wie das Deutsche Reich unter diesem Monarchen im Konzert der Großmächte seine Stellung nicht nur bewahrt und befestigt, sondern sein Ansehen vergrößert, sein Nationalvermögen durch Handel und Wandel ungeheuer vermehrt hat. Umgeben von einer blühenden Schar von Kindern und Enkelkindern, verehrt von einem Volke, daß ihm seinen Wohlstand verdankt, kann unser Kaiser das Fest seines 25jährigen Regierungsjubiläums begehen in bester körperlicher und geistiger Frische. Wenn auch sein Haar grau geworden, noch strahlen seine Augen in demselben jugendlichen Feuer, noch weist sein Körper dieselben kraftvollen, elastischen Bewegungen auf. Möge er uns noch lange Jahre zum Heile des Reiches erhalten bleiben!