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Der Dieb

Der Dieb.

Aus dem Grenzleben von Arizona.

Nacherzählt von W. K.

 

Buck Jonson war geborener Amerikaner. Seine Jugend verbrachte er an der Grenze von Mexiko, in Arizona, zur Zeit, als noch die berüchtigtsten Indianerhäuptlinge Geronimo, Cochise u. a. dort ihre blutigen Räubereien trieben und alles abschlachteten, was sie erwischten. Jonson entging ihnen und hielt aus. Als Mann besaß er einen Distrikt Wüste und Prairie, so groß wie ein Fürstentum, und ungezählte Tausende von Vieh. Die Indianer waren ihm nun nicht mehr gefährlich, aber die Viehdiebe. Die ganze Gegend an der mexikanischen Grenze gehört zu den verrufensten der Welt. Wer sich dorthin wagt, darf wohl zusehen, daß niemand hinter ihm reitet. Er muß leicht schlafen, tagelang dürsten und im Sommer fortgesetzt eine Backofenhitze aushalten können. Die Grenze hüben und drüben wimmelt von verzweifelten Kerlen aus der ganzen Welt, Desperados nennt man sie, die jedes Handwerk treiben, das ihnen auch nur für einen Tag Futter bringt: Morden, Rauben, am liebsten aber Viehstehlen.

Buck Jonson konnte davon erzählen. Zwar hatte er sein Königreich gegen die mexikanische Grenze mit einem starken Stachelzaundraht eingefriedigt. Auch hielt er sich eine kleine Armee, berittener und scharf bewaffneter Hirten, prächtiger, mutiger Kerle, aber doch fehlte alle Augenblicke eine größere oder kleinere Anzahl Vieh. Manchmal gelang es, in einem heißen Gefecht den Dieben die Beute wieder abzujagen. Manchmal fand man aber die Spur des Viehes nicht mehr, weil sie sich auf dem harten, heißen Lavaboden verlor.

Einmal wieder wurde Buck Jonson gemeldet, daß zwanzig fette Ochsen verschwunden seien, und zwar auf die nämliche Art, wie das schon mehrmals vorkam. Nur ein einzelner Mann könne, der Pferdespur nach, diese Diebstähle ausgeführt haben. Das müsse aber ein Teufel aus der Hölle sein. So kühn und geschickt habe es noch keiner gemacht.

Buck Jonson schäumte vor Wut. Den Kerl müsse er haben, sagte er, und wenn’s ihn zwanzigtausend Dollar koste. Dem wolle er die hänfene Krawatte um die Gurgel fest anlegen.

Er ließ sich sein bestes Pferd satteln und saß auf.

„Wohin, Sennor?“ fragte sein Vormann (Aufseher) Yed Parker.

„Den Kerl aufsuchen.“

„Sie werden dir eine Falle legen und dich massakrieren.“

„Mir gleich. Paß daheim auf, Yed Parker, in drei Tagen bin ich wieder da.“

Buck Jonson ritt über die mexikanische Grenze, auf die kleine Stadt Perez los. Hell glänzten die weißgetünchten Häuser mit den flachen Dächern in der Glutsonne. Die Türen standen weit auf. Bei und in den Kneipen – und deren waren viele – trieb sich das gefährlichste Landstreichervolk der Welt herum. Etliche tranken, spielten, rauchten, manche lungerten im Schatten der Bäume umher, weil sie kein Geld hatten. Hie und da bekamen die Spieler Streit, sie schrien, zogen Messer und Revolver und man hörte gleich darauf einen kurzen Knall. Aber darnach schaute sich niemand um. Das war so alltäglich, wie wenn bei uns einer ein Streichholz ankratzt.

Buck Jonson stieg vor einer Wirtschaft ab, setzte sich und bestellte Wein.

„Kann ich einen zuverlässigen Führer ins mexikanische Gebiet haben?“ fragte er den Wirt,

„Warum nicht? He, Franzesco, Juan, Alfonso, kommt einmal daher. Dieser Sennor will einen Führer mieten.“

Fünf verwegen aussehende Kerle boten sich an. Als sie aber hörten, sie sollten einen Trupp bewaffneter Reiter durch die Wüste geleiten, lehnten sie wieder ab, Die Gegend schien selbst ihnen zu gefährlich.

„Bei Sant Jago,“ schrie Buck Jonson, „Ihr seid erbärmliche Kerle, Ihr habt keine Nerven. Wo ist ein Mann mit Nerven?“

Einer der Gescholtenen zog wütend den Revolver. Aber Buck Jonson war noch schneller als er und hielt ihm die Mündung des Schießeisens vor die Nase, ehe dieser seine Waffe heraufbrachte.

„Revolver weg,“ schrie Buck Jonson, „oder ich knalle ab.“

Der Mann gehorchte und verschwand. Die andern zogen sich gleichfalls zurück.

In diesem Augenblick ritt ein hochgewachsener junger Fremder auf einem prachtvollen Pferde vorüber.

„Wer ist der Mann?“ fragte Jonson. „Er ist nicht übel.“

„Ich kenne ihn nicht,“ sagte der Wirt. „Aber er kam von der Wüste her geritten über die Lavafelder.“

„Er kennt also die Gegend? Wird auch Nerven haben?“

„Sehen Sie selbst.“

Buck Jonson zahlte, saß auf und ritt dem Fremden nach, der inzwischen bei einer andern Wirtschaft Halt gemacht hatte.

Buck Jonson stieg dort ab und band sein Pferd an. Dann zog er das lange mexikanische Messer, band das grellfarbige Tuch, das er um die Hüften trug, ab und schrie wie ein Rasender: „Ihr mexikanischen Hunde! Wer hat Nerven genug, um mit mir einen Messerzweikampf über das Tuch bis zum Ende auszufechten? Keiner, ihr Tagdiebe, ihr Halunken, ihr feigen alten Weiber?“

Alle Anwesenden eilten herbei und umstanden den Herausfordernden. Der andere Fremde saß immer noch auf seinem Pferde, die zwei Revolvertaschen am Gürtel stets zurückgeschlagen, so daß die Waffen zu raschem Gebrauch zur Hand waren. Es schienen gute Coltsche Eisen schwersten Kalibers zu sein. Der Zweirevolvermann lächelte höhnisch, als niemand den Kampf aufzunehmen wagte. Seine harten Augen funkelten.

„Nun, Sennor,“ redete er einen verwegenen Kerl an, „laßt Ihr Euch das gefallen? Was beißt den Kerl? Seine Prahlereien machen mich ganz krank.“

„Sennor,“ sagte der Angeredete, „das ist so eine Sache. Wenn’s mit Revolvern wäre, ja dann. Aber mit den kalten Eisen will ich nichts zu tun haben. Die Kugel geht hinein und hinaus, das Eisen aber bleibt stecken. Übrigens versucht es selbst, wenn Ihr Lust habt, Mann.“

„So leih mir dein Messer.“

„Gut. Hier ist es. Mach’s kurz, daß der Kerl bald das Maul hält.“

Der Zweirevolvermann stieg ab, ging mit dem blanken Messer in der Hand auf Buck Jonson zu und verneigte sich mit edlem Anstand.

„Sennor, ich habe die Ehre, Ihre Herausforderung anzunehmen. Wollen Sie noch einen letzten Wunsch wegen des Begräbnisses äußern, so tun Sie das rasch. Denn ich habe nicht lange Zeit,“

„Alles schon in Ordnung,“ erwiderte Buck Jonson kalt. Darauf nahm er den einen Zipfel des Tuchs zwischen die Zähne und der Gegner den andern. Es konnte losgehen. Die Umstehenden drängten näher heran und zeigten sich entzückt über den bevorstehenden Genuß.

Einen Augenblick schaute Buck Jonson seinem Gegner über das straff gespannte Tuch hinüber in die Augen. Das waren Augen! Stahlhart. Der Mann hatte Nerven! Das war sein Mann – den mußte er gewinnen und wenn’s auch viel kostete.

Plötzlich ließ Buck Jonson das gespannte Tuch aus den Zähnen, so daß der Gegner ein wenig zurücktaumelte.

„Das Spiel ist aus! Sennor, geben Sie mir Ihre Hand. Sie sind ein Mann, der Nerven hat.“

Die Umstehenden, um das köstliche Schauspiel betrogen, schlugen Lärm.

„Der feige Kerl hat nur renommiert. Schlagt den Komödianten tot! An den Baum mit ihm.“ Aber Buck Jonson beachtete sie nicht. Er blickte nur das braune, scharfgeschnittene Gesicht des Gegners an, der das Tuch zu Boden geworfen hatte. Dieser schaute ihm kalt in die Augen.

„Was ist das? Was soll das? Sind Sie ein feiger Prahler?“

„Kommen Sie mit, hier abseits. Hierher. So. Ich bin Buck Jonson.“

Der Fremde stutzte. „Dann ist’s gut. Was wollen Sie von mir?“

„Gehen wir dort in die nächste Wirtschaft.“

Unter wütendem Geschimpf der Zuschauer ritten sie langsam nebeneinander ab. Einige Schüsse wurden ihnen nachgesandt, aber sie schauten sich nicht um.

In dem kühlen Schatten des Hauses angekommen, beobachteten sich die beiden einen Augenblick. Das Examen fiel gut aus. Sie bekamen Gefallen aneinander.

„Los jetzt, machen Sie’s kurz,“ befahl der Fremde.

„Sie sind der Mann, den ich suchte. Sie haben Nerven. Kennen Sie die Gegend dahinten genau? Auch die Wasserstellen?“

„Ich bin dort zu Hause.“

„Wollen Sie einen Trupp Reiter hindurchführen und den Dieb suchen helfen, der mir zwanzig fette Ochsen gestohlen hat?“

Der Fremde besann sich lange. Als Jonson an seinem Mut zweifelte und ungeduldig werden wollte, traf ihn ein so furchtbarer Blick aus den stahlharten Augen des Fremden, daß er wieder beruhigt wurde.

„Ich will schon. Aber unter welchen Bedingungen? Was kommt dabei heraus?“

„Zehn Dollar gleich beim Antritt der Reise und tausend, wenn wir Vieh und Dieb fangen.“

„Nicht übel. Gut. Ich nehme an. Aber was ich sagen wollte. Ist es nur ein einziger Dieb?“

„Ja. Gewiß.“

„Weshalb dann ihm mit einer Armee nachsetzen? Den kann ich allein fangen samt seiner gestohlenen Herde.“

„Allein?“

„Ganz allein.“

„Wie denn?“

„Das ist meine Sache.“

Jonson schüttelte ungläubig den Kopf.

„Was geben Sie, wenn ich Ihnen den Kerl mit Vieh wohlbehalten in Ihren Ranch treibe?“

„Fünftausend Dollar in Gold.“

„Für zwanzig Ochsen? Das ist Wahnsinn.“

„Und wenn’s um eine Kuh wäre. Ich will den Spitzbuben haben. Das ist mir alles.“

„Gut. Aber noch etwas! Ich bringe ihn auf Ihren Ranch. Aber ich weiß nicht, ob ich dort unter Ihren Leuten von früher her Feinde habe. Geben Sie mir Ihr Wort, daß ich ungefährdet mit meinem Gelde wieder über die Grenze komme!“

„Natürlich.“

„Hand her.“

„Hier.“

„Gut. In zehn Tagen haben Sie das Vieh und den Dieb. Adieu, Buck Jonson.“

„Adieu. Wie ist Ihr Name?“

„Tut nichts zur Sache.“

Der Zweirevolvermann verbeugte sich und ging. Gleich darauf stieg auch Jonson zu Pferd und ritt wieder der Heimat zu.

Die Tage vergingen auf Jonsons Ranch, einer wie der andre. Morgens um zwei Uhr machte der chinesische Koch Sang Feuer und briet eine Ochsenkeule. Dann zog er die Glocke und die Viehhirten, lauter Mordskerle, stellten sich zum Frühstück ein; während sie schweigend aßen, erhielten sie von Yed Parker ihre Instruktionen für den Tag. Dann ritten sie im langsamen spanischen Cowpunschertrab je zwei zusammen auf ihre fernen gefahrvollen Posten. Abends kamen sie teilweise wieder zurück, teilweise blieben sie draußen. Auf den einzelnen Viehstellen in dem weiten Reich trampelten die schweren Tiere einzeln im Gänsemarsch oder in kleinen Trupps zu den Tränkrinnen, die mit Wasser aus der Windpumpe gefüllt waren. An manchen Stellen mußte auch ein blindgebundener Esel das Gangwerk der Pumpe treiben. Jonson und sein Vormann Yed Parker kontrollierten täglich die Stationen, die in Entfernungen von etwa zehn Kilometern angelegt waren, bewacht von einsamen schweigenden Männern. So geht’s Tag für Tag und bestimmt das Tun und den Charakter der entschlossenen Gesellen.

Sieben Tage waren bereits verflossen und Jonson mit seinem Parker begannen bereits nach dem Zweirevolvermann auszuschauen. Am achten fürchteten sie, er habe zu viel unternommen. Am neunten gaben sie ihn auf. Am zehnten kam er.

Es war in der Nacht. Da hörte man das Schnaufen einer rasch getriebenen Herde. Das Tor des Corrals wurde geöffnet und ein Reiter sprengte in den Hof. Bald trat ein Mann ins Haus und fragte nach Buck Jonson.

„Hier,“ rief Yed Parker, der aus dem Zimmer trat, wo er sich mit Jonson aufgehalten. „Hier herein. Sind Sie der Mann?“

„Ich bin der Mann. Draußen sind Ihre zwanzig Ochsen.“

„Gut. Setzen Sie sich. Und hier in diesem Beutel liegen die 5000 Dollar in Gold. Aber erst will ich den Dieb sehen.“

„Halt. Sie haben mir Ihr Ehrenwort gegeben, daß ich ungehindert mit dem Gold davon darf. Nicht?“

„Natürlich. Aber wo ist der Dieb? Der Dieb ist mir die Hauptsache.“

Der Fremde hatte den angebotenen Stuhl verschmäht. Hoch aufgerichtet war er Jonson gegenüber stehen geblieben. Jetzt riß er plötzlich beide Revolver aus den Taschen und hielt den einen gegen Jonson, den andern gegen Parker.

„Die Ochsen sind draußen und ich bin der Dieb.“

„Bei Sant Jago, das ist gut. Die Schießeisen weg,“ rief Jonson mit Donnerstimme. Er fürchtete sich mehr vor den stahlharten Augen als den zwei Löchern vor seiner Nase.

„Sie halten Ihr Ehrenwort, Buck Jonson.“

„Zum Teufel ja!“

All right. Dann sind wir einig. Und nun das Geld her.“

Die beiden waren noch starr über diese unerhörte Kühnheit des Mannes. Jonson faßte sich: „Sennor, Sie scheinen mir ein Teufelskerl zu sein. Wie wäre es, wenn Sie doch bei mir blieben? Freiwillig natürlich.“

„Hum,“ sagte der Fremde und setzte sich.

„Weshalb?“

„Sie besitzen hier 5000 Dollar. Sie hatten doch das Vieh bereits gut verkauft? Nicht?“

„Sehr gut.“

„Und dann dem Käufer wieder gestohlen?“

„Natürlich.“

„Also auch jenes Geld ist in Ihren Händen. Und was Sie mir sonst noch gestohlen haben, ist auch nicht wenig.“

„Es geht.“

„So sind Sie eigentlich ein reicher Mann.“

„So so.“

„Wie wäre es, wenn Sie das Viehstehlen nun sein ließen und in meinen Dienst träten? Wissen Sie, wenn ich Eure Herrlichkeit jetzt auch wieder laufen lassen muß, so werde ich doch einmal das Vergnügen bekommen, über kurz oder lang Ihnen die enge Krawatte anzulegen. Denn ich lasse nicht nach, und wenn’s mich fünfzigtausend Dollars kostet. Es wäre mir aber leid, wenn ich gerade an Ihnen den verdammten Spaß machen müßte. Denn ich habe Sie liebgewonnen. Sie sind ein Mann, der Nerven hat.“

„Das hat man schon ein wenig.“

„Gut. Also bleiben Sie bei mir, Sie bekommen Lohn, so viel Sie wollen.“

Der Fremde besann sich. Endlich streckte er über den Tisch hinüber die Hand auf Jonson los.

„Es gilt,“ sagte er lässig.

„Bei Sant Jago. Ich bin erfreut. Sehr erfreut. Morgen reden wir weiter. Das heißt: Wenn Sie nicht etwa vorziehen sollten, heute Nacht auszubrechen und wieder mit zwanzig Ochsen abzuziehen.“

„Nein. Hier mein Wort darauf. Ich habe noch nie gelogen. Ich bleibe bei Ihnen. Ich bin Ihr Freund. Sie gefallen mir, Mann.“

„Sehr verbunden. Und nun wollen wir zu Nacht speisen.“

„Ist mir gerade recht, denn ich habe Hunger.“

—Ende—