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Theodul Mirnach

Theodul Mirnach.

Eine Manövergeschichte

von W. K.

 

Eigentlich hieß er Friedrich Emil Bommer, war Oberlehrer der Mathematik und daneben in den Ferien zuweilen Amateurhauptmann, bei der Landwehr nämlich. Wie er zu dieser Würde eigentlich gekommen war, wußte niemand. Ebensowenig, weshalb er beim Regiment den Spitznamen Theodul erhielt. Er hatte ihn eben, und zum Hauptmann hatte ihn das Schicksal auch gemacht. Dessen Wege sind oft dunkel. Dagegen weiß man ganz genau, wie Theodul zu seinem zweiten Beinamen Mirnach kam. Und das ist zu interessant, als daß ich es nicht erzählen sollte.

Es war im Manöver und Hauptmann Theodul führte die siebte Kompagnie. Ein herrlicher, schwarzgrauer Septembernebel! Und heute sollte die Entscheidungsschlacht zwischen Ost- und Westkorps geschlagen werden.

Die Truppen standen, zum Rendezvous versammelt, auf den feuchten Stoppelfeldern und hatten einen ungeheuren Spaß an dem handgreiflich dicken Nebel. Auf Ehre, wenn man mit jemand sprach, der vor einem stand, man sah ihn nicht. Man redete in die Luft und die Luft antwortete.

„Herr Owast von Scharrdegen,“ schrie eine blecherne, fast noch unmutierte Stimme aus dem Nebel heraus.

„Exzellenz!“

Weg war der Oberst, hinter den Nebel spritzend, daß sein Hengst stöhnte. Doch mußte er sich noch ganz in der Nähe befinden, denn man hörte seine grobe und Exzellenzens feine Stimme.

„Ah, Herr Owast, was ich äh noch sagen wollte, Ich sprach Ihnen doch gestern Abend von der Schlucht bei der Brücke neben dem großen Appelboom und dem Kruzifix hinter Dingshausen? Nich?“

„Zu Befehl, Exzellenz.“

„Na ja. Denn is jut. Denn lassen Sie die Schlucht durch eine Kompagnie besetzt halten. Schön. Danke.“

Recht langsam und nachdenklich kam der Oberst wieder aus dem Nebel zurückgeritten. Schlucht? Appelboom? Kruzifix? Man wußte: Exzellenz beliebte jede Rinne eine Schlucht, jeden Baum, der nicht gerade Nadeln trug, Appelboom und jeden Wegweiser Kruzifix zu nennen. Hinter Dingshausen? Hinter Dingshausen lag, genau ausgerechnet, die Hälfte der Erdoberfläche. Allerdings kam dem Oberst eine dunkle Erinnerung, als habe Exzellenz gestern Abend die Schlucht noch etwas deutlicher bezeichnet. Aber zwischen jenem Gespräch und heute Morgen lagen etliche Flaschen schweren weißen Burgunders.

„Rickert!“

Das war der Adjutant.

„Wissen Sie noch, was für eine Schlucht Exzellenz gestern Abend meinte?“

„Schlucht?“

Der Adjutant konnte sich von wegen gestern Abend überhaupt an nichts mehr erinnern. Die letzten zwei Flaschen Sekt hatten seinen Geist vollständig zugedeckt und dunkel gemacht. Da war der heutige Nebel noch Sonnenschein dagegen. Aber so ging’s immer, wenn man mit den kleinen Jägern zusammenkam.

„Ja, zum Donnerwetter, wenn Sie ein Gesicht machen wie aus Dickrüben geschnitzt, so kann ich Sie nicht brauchen. Muß ich denn alles selber tun, denken und behalten? Wozu habe ich meinen Adjutanten? Herr Major von Wusthausen!“

Der kleine dicke Major kam angehopst auf seinen langen Klepper. Der Oberst gab ihm kaltblütig den Befehl weiter, wie er ihn selbst empfangen hatte, und freute sich inniglich über die Verlegenheit und Wut des gehorsamsten alten Soldatengesichts. Nämlich der Oberst konnte den Major nicht ausstehen.

„Sie haben doch meinen Befehl verstanden, Herr Major? Ich denke, er ist einfach genug?“

„Wenn Herr Oberst gestatten…“

„Mein lieber Herr Major! Ich will Ihnen nicht im geringsten vorgreifen. Selbständigkeit ist eine Haupttugend des Führers. Und dann wissen Sie auch, daß ich wünsche, alle meine Führer sollen mit dem Manöverterrain so vertraut sein, daß sie jeden Busch kennen. Es ist meine Pflicht, zu kontrollieren, inwieweit sie sich diese Fähigkeit angeeignet haben. Danke sehr!“

Möge nie an den Tag kommen, was der Major betete, als er von dem Oberst wegritt. Da hörte aber auch alles auf. Zum Bombenwerfen! Das war Hinterlist, Bosheit, Gemeinheit, um ihn, den Major, in den Wurstkessel zu bringen. Aber was tun? Der Major wurde zwar fest überzeugt, der Oberst käme ganz sicher dereinst in die Hölle und müsse dort wegen schwerer Sünden, besonders gegen ihn, bedenkliche Unannehmlichkeiten über sich ergehen lassen. Allein einstweilen war der Major noch selber drin. Was tun? Schlucht, Kruzifix, Appelboom u.s.w. Zum Schreien! Der Major stieß ein Hohngelächter aus, ganz laut und lang. Er bog sich förmlich über den Hals des Pferdes, so lachte er.

Da tauchte Theodul vor ihm aus dem Nebel auf. Theodul hatte geglaubt, es sei ein schrecklicher Witz gemacht worden, weil Herr Major so lachten; womöglich habe ihn Herr Major selbst gemacht und Theodul müsse gehorsamst mitlachen. Deshalb kam er aus weiter Ferne diensteifrig herbeigeritten, so schnell als es seinem Pferd gefiel. Unglücklicher Theodul! Wärest du nie geboren worden, wärest du wenigstens in diesem Augenblick tausend Meilen weit weg gewesen! Denn kaum erblickte der Major den ahnungslosen Ärmsten, so kam’s ihm: Der und kein anderer soll das Opfer sein. Dem schadet’s nichts. Wenn er heute bei der Kritik umgebracht wird, in seiner Schulstube kann er morgen fröhlich wieder auferstehen.

„Herr Hauptmann Bommer, nehmen Sie Ihre Kompagnie, rücken Sie nach der Schlucht bei dem Apfelbaum usw.“

Theodul zog gelassen seine Manöverkarte aus dem Busen und begann sie auszubreiten.

„Bitte, bitte, Herr Hauptmann, ganz nach Ihrem Ermessen. Reisen Sie mit Gott.“

„Aber, Herr Major, ich weiß ja gar nicht…“

„O das macht nichts. Nachdenken, Scharfsinn, Selbständigkeit.“ Und was dergleichen Sprüche sind.

Der Major machte sich so schnell wie möglich davon.

Theodul hielt lange Zeit still und sperrte Mund und Nase auf. „Schlucht, Apfelbaum, Kruzifix? Nein, das kann doch kein ernsthafter Befehl gewesen sein? Warten wir ab.“

„Wie? Was?“ schrie es wieder aus dem Nebel heraus, „ist denn die Kompagnie immer noch da? Wollen Sie vierzig Jahre auf der Stelle treten wie das Volk Israel in der Wüste?“

Da erst wurde es Theodul angst. Er hatte ja keine blasse Ahnung, was man eigentlich von ihm wolle,

„Aber Herr Major,“ flehte er in den Nebel hinein.

„Meine Offiziere müssen selbständig werden und vor allem das Terrain und die Karte kennen, Sonst taugen sie nichts. Adieu!“

Dem guten Theodul kam fast das Weinen. Er fühlte sich wie ein verstoßener Waisenknabe, den man ohne Brot in den dicksten Wald unter lauter Menschenfresser jagt. Das ist eine Grausamkeit vom Major, nicht einmal die allergeringste Auskunft geben zu wollen. Denn Theoduls Gemüt war noch nicht so verdorben, daß er auf den Gedanken kam, der Major wisse selbst nicht, was er befehle. Am besten wäre gewesen, Theodul hätte mit den Leutnants und Unteroffizieren seiner Kompagnie Kriegsrat gehalten. Vielleicht wäre einem der Braven eine Erleuchtung gekommen oder doch eine Kriegslist eingefallen, durch die man sich aus der Schlinge ziehen konnte. Aber Oberlehrer Theodul war in der Weisheit noch nicht so weit gediehen wie sein Kollege Sokrates, nämlich einzugestehen, daß er nichts wußte. Er konnte den Moment dieses Geständnisses weder gleich noch später finden. So geriet er auf die unglückseligste und verwegenste aller Ideen, nämlich, die Kompagnie einen Vormittag im dicksten Nebel herumzuziehen wie ein Kindermädchen seine Gören in den Anlagen spazieren fährt, hierhin, dorthin, links, rechts, wie es ihm einfällt.

Genau so tat Theodul, Er ließ die Kompagnie antreten und ritt ihr dann langsam voran auf seinem Schlachtroß Hela. Das gute Tier hatte einen Schritt am Leib wie eine Kuh, und Theodul war ein ausgezeichneter Reiter, solange es ganz piano und auf ganz ebenem Boden ging. Allerdings, wenn Hela stolperte, so fiel ihm fast jedesmal der Helm vom Kopf, weshalb er, wenn es niemand sah, beim Reiten gern die Schuppenketten herabzulassen pflegte, Er ließ sie diesmal oben, denn seine Gedanken waren rein weg.

Die Leutnants schöpften gleich anfangs Verdacht, daß etwas nicht in Ordnung sei. Theodul sah gar zu verstört aus. Doch da sie den Befehl nicht vernommen hatten, konnten sie auch die Sachlage nicht ahnen. Im weiteren Verlauf gerieten sie dann auf die Vermutung, Theodul sei verrückt geworden.

Denn der Marsch ging zwar etwa eine Stunde lang auf leidlichem Feldwege. Dann aber bog Theodul bald links, bald rechts ein, über Stoppeln, Kartoffeln, um Hanfäcker herum, über Pfützen, Gräben; es war schon nicht mehr traulich in dem schwarzen Nebel, während links drüben der Kampf heftig tobte. Bald erschien auch den Unteroffizieren und Soldaten die Sache nicht geheuer. Sie rissen Witze. Ein Einjähriger behauptete, man habe bereits die Landesgrenze überschritten und reite nach Frankreich hinein. Es müsse wohl heute Morgen der Krieg erklärt worden sein, und die Kompagnie bilde die Avantgarde der Armee. Wenn er nur wenigstens seine Tabakpfeife mitgenommen hätte! Ein anderer meinte sogar, man befinde sich überhaupt nicht mehr auf der Erdkugel, sondern sei aus Versehen drüber hinausmarschiert. Bei dem Satansnebel könne das schon passieren. Aber schwierig sei es, wieder zurückzukommen.

Theodul hörte alle diese Worte, und der Angstschweiß stand kalt auf seiner Stirn. Es war ihm, als ritte er zu seiner eigenen Hinrichtung dem Galgen entgegen. Er beschloß, hinter der Kompagnie einherzutrotten, damit seine Jammergestalt nicht mehr in aller Augen sei, O, wenn doch der Himmel einfiele! Das wäre eine herrliche Sache.

Plötzlich stockte der Marsch. Die Leute rannten aufeinander auf, die Gewehrmündungen klapperten auf die Helme, die Soldaten schimpften, die Unteroffiziere fluchten. Theodul ritt vor: die vorderste Sektion stand oben auf einem Steinbruch und schaute sinnend in den grauen Nebel, Halt! Da! Ein Wegweiser oder so etwas. Es war eine Tafel: “Zur schönen Aussicht.“ Hohngelächter. Links schwenken! Abermals begann der Zickzackkurs im Nebel, links, rechts, „rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln.“ Nach einem langen Marsch neues Gelächter. Wahrhaftig, die unglückliche gottverlassene Kompagnie stand wieder oben auf der schönen Aussicht. Dem gequälten Theodul fiel ein, es sei das Gescheiteste, wenn er sich mit seiner Hela da hinabstürzte und den Heldentod fürs Vaterland stürbe. Aber Hela hätte diesen Entschluß des Reiters schwerlich geteilt, und bei Kompetenzkonflikten pflegte sie gewöhnlich obzusiegen. Also diesmal rechts abgebogen und zurück, etwa zweihundert Schritt hinter die schöne Aussicht, Theodul ließ dort halten, die Gewehre zusammensetzen und austreten. Die Leutnants bissen sich die Zungen ab. Nein, so etwas war noch nicht geschehen, soweit die deutsche Zunge klingt. Was wird die Kriegsgeschichte dereinst davon sagen! Und was Exzellenz heute?

Dem guten Theodul war allmählich alles egal geworden. Daß er bei der Kritik in den untersten Wurstkessel kommen würde, schien ihm noch am leichtesten zu ertragen. Aber die Blamage, die furchtbare, noch nie dagewesene Blamage vor der ganzen Kompagnie! Warum macht der Himmel Oberlehrer erst zu Hauptleuten und verläßt sie dann in ihren Nöten?

Theodul war ein wenig abseits von der Kompagnie geritten, der schönen Aussicht zu, und bat dort das Schicksal um ein Zeichen, Und horch! Da hub auf einem Apfelbaum (einem wirklichen) ein Vöglein wunderschön zu singen an. Und siehe! Als ob der Himmel dem Vöglein antwortete, schickte er ihm ein mattes, kleines Sonnenstrählchen und ein frischer Wind durch den Nebel. Es wurde Theodul zum Sterben weich im Herzen. . . Da: bum bum. Hela traf Anstalten, einen Satz zu machen, ließ es aber dann aus noch nicht aufgeklärten Gründen wieder bleiben. Theodul packte noch zur rechten Zeit den Helm. Was war das? Artillerie, ganz nahe oben im Steinbruch. Bum; noch einmal. Theoduls Herz stand still. Bum. Wer war da oben? Freund oder Feind? War’s unsere Artillerie, so galt es nun, sich aus dem Nebel zu machen, um nicht den hochnäsigen Herrn vom schwarzen Kragen die fürchterliche Lage der Kompagnie zu entdecken. Bum. Wenn’s aber feindliche Truppen sind? Theodul, Theodul, dann stehst du im Rücken einer gegnerischen Batterie. Was tut ein tapferer Soldat in diesem Fall? Bum. Er nimmt die Batterie weg. Wilde Aufregung tobte durch Theoduls Brust, Denn wie vom Erhabenen zum Lächerlichen, so ist auch von der Schmach zum höchsten Ruhm oft nur ein kleiner Schritt. Theodul, auf, und der Batterie an die Gurgel wie ein Panther! Aber ist’s denn eine feindliche? Das fehlte noch zum heutigen Tag, daß der Unglückshauptmann eine Batterie seines eigenen Heeres attackierte. Bum, Also ritt er vorsichtig durch den dünner werdenden Nebel der schönen Aussicht entgegen. Und mit Hilfe des Feldstechers erkannte er deutlich, daß die hin und her eilenden Gestalten da oben Hauben auf den Helmen hatten. Es war der Feind. Bum.

Die hin und her eilenden Gestalten da oben hatten Hauben auf den Helmen

Zurück zur Kompagnie. Ein leiser Befehl: „An die Gewehre, Gewehr in Hand, das Gewehr über!“

„Kameraden, da oben steht eine feindliche Batterie. Wir werden sie nehmen. Daß keiner ein Wort spricht! Kameraden mir nach!“

Das war gut geredet, aber nicht ganz vorschriftsmäßig. Denn die Kompagnie stand noch in Marschkolonne. Doch der Feldwebel wußte durch halblaute Befehle und einige Hiebe mit der flachen Klinge während des Vorgehens schon eine leidliche Sturmkolonne zu formieren. Theodul sah es nicht. Er rief nur in einem fort halblaut: „Mir nach, mir nach!“ und schwenkte den Degen. Die Artillerie merkte nichts. Sie schoß munter drauf los. Bum-bum. Bum.

„Hurra, Hurra!“ Und die Helden der Kompagnie drangen mit aufgepflanztem Seitengewehr zwischen die Kanonen ein.

Das gab eine Überraschung! Der Artilleriehauptmann kam zwar mit gezücktem Säbel angerasselt und zeigte nicht übel Lust, einzuhauen. Aber über Theodul war eine sieghafte Heiterkeit gekommen.

„Morgen Herr Kamerad. Bedaure sehr, Sie stören zu müssen. Aber wollen Sie uns nicht die schöne Aussicht auch ein wenig genießen lassen?“

„Was? Der Angriff ist abgeschlagen,“ schrie der Batteriechef. „Sehen Sie es denn nicht? Sie sind mit Mann und Maus vernichtet. Unsere Bedeckungsinfanterie würde Sie mit Knüppeln totschlagen können.“

„Ihre Infantrie? Wo ist Ihre Infantrie? Ich sehe sie nicht. Ist‘s eine Legion Engel? Was?“

„Der Teufel hole die Bedeckungskerle“, schrie der Batteriechef, „Sie haben sich im Nebel verirrt (Theodul spürte doch einen Stich im Herzen), aber zum Donnerwetter, wir sind auch keine Hammelherde. Batterie…“

„Was ist denn los? Weshalb schießen Sie denn nicht mehr? Wo ist der Batteriechef?“

Ein Stabsoffizier der Artillerie war angerast und sah jetzt die Bescherung.

„Was ist denn das für eine Schweinerei? Was wollen denn die Stoppelhopser hier? Schert euch zum Henker, ihr gehört ja zum Feind.“

„Eben deshalb ist hier unser Platz. Ich erlaube mir gehorsamst zu melden, daß ich die Batterie genommen habe.“

„Sie haben ja keinen Schuß getan.“

„War auch nicht möglich, Herr Major. Wir standen unbemerkt schon zu nahe, um noch schießen zu dürfen. Die Batterie ist unser.“

„Aber ich bitte Sie…“

Dem Artilleristen erstarb das Wort im Munde. Denn eben ritt Seine Exzellenz der Manöverleiter an die Batterie heran. Da hielt er und schaute sprachlos die Szene an.

Allgemeine Spannung.

„Ach so steht’s? Die Kompagnie mitten zwischen den Geschützen? Meine Herren, die Batterie ist genommen und außer Gefecht. Unerhört. Rücken Sie mit der Batterie ins Quartier, Herr Hauptmann. Und der Sieger? Darf ich bitten?“

„Hauptmann Bommer, Exzellenz, siebte Kompagnie.“

„Gratuliere, gratuliere. Großartig.“

*     *

*

Die Schlacht war zu Ende. Das Opfer liegt, die Raben steigen nieder. Das heißt: die Kritik begann. Exzellenz, der Manöverleiter, umgeben von einem weiten Kreis berittener Offiziere, redete also: „Meine Herren! Ehe ich in die allgemeine Kritik der heutigen Übung eintrete, drängt es mich, aus der Fülle der außerordentlich lehrreichen Ereignisse dieses Tages eine Episode herauszuheben, die mein Herz im Innersten erfreute.

Herr Hauptmann Bommer hat mit einem äußerst kühnen Handstreich die Batterie Wegner weggenommen, und zwar genau an der Stelle, wo ich erwartete, daß sie auffahren werde, weshalb ich auch dem Herrn Divisionskommandeur wegen Besetzung der Schlucht jene Andeutung gab, die sich nun glänzend bewährt hat. Jene Schlucht mußte besetzt werden. Herr Hauptmann Bommer hat sie besetzt und die Batterie ist ihm in die Falle gegangen. Gerade in dem Augenblick, als sie durch ihre sonst vorzügliche, in der Front uneinnehmbare Aufstellung dem ganzen Gefecht eine andere Wendung geben mußte, wurde sie vernichtet. Es gereicht dem Führer der Kompagnie zur höchsten Ehre, daß er die Ankunft der feindlichen Batterie durch die Schlucht nicht nur rechtzeitig bemerkte, sondern auch sich erst zu verbergen und dann völlig unbeachtet in den Rücken der Artillerie hereinzuschleichen wußte. So muß man alles ausnützen, Terrain und Witterung, um sich an den Feind heranzupürschen. Ich spreche Ihnen, Herr Hauptmann Bommer, meine vollkommenste Anerkennung aus.“

Dagegen Theoduls Vorgesetzte, der Major, der Oberst, sogar der Brigadier, wurden zusammen in den tiefsten Abgrund geworfen, zum Heulen und Zähneklappern.

Nun wußte also Theodul, daß die gesuchte Schlucht dort oben an der schönen Aussicht gelegen war und daß er zu den geriebensten Pfadfindern der Armee gehörte. Ja, er bereute es stark, nicht Berufssoldat geworden zu sein, um ähnliche, ja weit größere Heldentaten noch öfters ausführen zu können. Denn diese Übung war voraussichtlich seine letzte. Aber der heutige Tag, sagenhaft umglänzt, bildet für sein ferneres Zivilleben einen Stern erster Größe, weithin in das Dunkel leuchtend. Er wird einst seinen Tod verklären, denn bis dorthin glaubt Theodul es steif und fest selber, was er schon so oft erzählte, nämlich daß er durch eigene Schlauheit die Schlucht gefunden und der Batterie so verderblich aufgelauert habe.

Ende.