Ein früherer Wachtmeister hat dem Hinkenden folgendes yom Feldmarschall von Hindenburg erzählt:
Im Manöver war ich einmal dem damaligen Divisionskommandeur von Hindenburg zur Dienstleistung zugeteilt. Sogar während der großen Kritik befand ich mich in seiner Nähe, so daß ich hören konnte, was dabei gesprochen wurde.
Der höchste General des damaligen Manövers schien der Hindenburgschen Strategie nicht zuzustimmen. Er bekrittelte sie stark. Beim Militär ist man nun gewohnt, daß immer der Vorgesetzte der Gescheitere sein, im Recht bleiben und das letzte Wort behalten muß. Wer zwei Sterne auf den Achselstücken trägt, hat unfehlbar auch zweimal so viel Verstand als der, welcher nur einen Stern hat. Das geht mathematisch genau von ganz unten bis ganz oben,
Beim Militär ist man auch gewohnt, daß jeder Untergebene diese Mathematik nach beiden Richtungen hin anerkennt und anwendet, d. h. daß er nach oben hin den Mund hält und nach unten hin den Mund aufmacht.
In jener Manöverkritik aber hörten wir zuhorchenden Unteroffiziere nicht ohne Staunen, wie der General von Hindenburg seinem Vorgesetzten energisch widersprach. Er wollte recht haben, der Hindenburg. Und so stark auch der „Höchste“ ihn zu belehren suchte, er habe nicht ganz richtig gehandelt, so stark bewies Hindenburg das Gegenteil.
Es ist dem großen Feldherrn ja auch mit seiner Russen- und Seenstrategie nicht anders gegangen. Er wurde früher angegriffen, ausgelacht, für einen schrulligen Alten erklärt und hat glänzend recht behalten in allem.
Damals konnte man so etwas noch nicht ahnen. Wir Unteroffiziere verstanden ja auch von der Sache selbst wenig. Wir begriffen nur das eine, daß dieser General ein sehr selbständiger Charakter sein müsse; ein Mann, der sich nichts gefallen läßt, der sich mannhaft seiner Haut wehrt, auch nach oben hin, mochte daraus werden was da wollte. Das gefiel uns an dem Manne ungemein. Denn diese Tugend trifft man nicht überall an, auch nicht im Zivilverhältnis.
Kurz darauf wollten die hohen Herren, die ein wenig abgesessen waren, wieder zu Pferd steigen. Ich eilte meinem General zu; um so freudiger, weil ich ihn als aufrechten, unerschrockenen Ritter ohne Furcht und Tadel in mein Herz geschlossen hatte. Ich ergriff den Steigbügel des Pferdes und wollte dem schweren Mann in den Sattel helfen; dem nach oben hin so selbständigen Mann hätte ich gerne noch mehr getan, hätte ich nur gekonnt. Ich hätte ihn meinethalben auf einen Thron hinaufgelupft.
Allein ich kam mit meiner Liebenswürdigkeit an den Falschen.
Als Hindenburg zu seinem Gaul trat und meine liebenswürdigen Anstalten bemerkte, schaute er mich erstaunt und unwillig am: „Was wollen Sie? Scheren Sie sich weg! Ich brauche keine Hebamme.“
Das hat mich zwar betrübt, aber es hat mir auch imponiert. Er braucht keine Hebamme! Der Mann ist unabhängig, nicht nur nach oben, sondern auch nach unten. Er braucht niemand. Er ist ein Mann eigener Kraft, im großen und im kleinen.
Ich freue mich, so lange ich lebe, daß ich einfacher Unteroffizier diesen kleinen und doch so scharf bezeichnenden Charakterzug des großen Mannes wahrnehmen durfte.
Hierzu sagt der Hinkende: Dies Wort: „Ich brauche keine Hebamme!“ sollte als geflügeltes Wort Hindenburgs überall bekannt werden. Die Lebensbeschreiber des genialen Feldherrn sollten es in ihre Bücher aufnehmen, ja sie dürften es ihren Büchern als Leitsatz voranstellen.
Der Mann brauchte keine Hebamme, weil er keine wollte. Er schwang sich allein, aus eigener Kraft, in alle seine Sättel, ohne Hilfe, ohne Protektion, ja gegen starke Gegenströmungen. Wie alle Großen der Welt mußte er seine gewaltigen Gedanken selbst bilden, allein verteidigen, allein durchsetzen. Er blieb dabei, ob man ihn verlachte oder anfeindete. Und das Ende hat ihm recht gegeben.
Wohl dem Manne, der keine Hebamme braucht! Auch keine vorgesetzte Hebamme, der er sich anzukatzenbuckeln sucht, um durch den hohen Herrn in einen anderen Sattel zu kommen. Wohl dem Volke, das solche Männer hat und ehrt! W. K.