Das Eiserne Kreuz
Die Abenteuer im Gouvernement Suwalki
Von W. Belka.
Die Schlacht bei Tannenberg war geschlagen. Die Trümmer der russischen Armee fluteten in wilder Auflösung über die ostpreußische Grenze zurück, weit nach Russisch-Polen hinein, bis ihnen die bei Grodno und Meretsch stehenden Reserven genügend Rückhalt boten, um sich wieder sammeln und die völlig durcheinandergeworfenen Verbände neu ordnen zu können, falls eben von letzteren überhaupt noch etwas übrig war nach den ungeheuren Verlusten, die Hindenburg den Feinden zugefügt hatte.
Deutscherseits war die Verfolgung des Gegners mit einer Energie betrieben worden, die rücksichtslos zur Ausnutzung des Sieges den letzten Atemzug von Mann und Roß forderte.
Aber Infanteristenbeine versagen auch einmal, zumal wenn sie, wie dies vor der Schlacht bei Tannenberg der Fall gewesen war, bereits tagelang Gewaltmärsche und ‚zur Abwechslung’ blutige Gefechte hinter sich hatten. Bis zur Grenze jagten besonders eifrige Bataillone den Feind vor sich her. Dann aber übernahm die Kavallerie allein die weitere Verfolgung.
Und wie tat sie das! Niemals wird die wahre Zahl an Toten, die Tannenberg die Russen kostete, bekannt werden. Wo eine feindliche Abteilung, von der Hauptmasse des flüchtenden Heeres abgesprengt, auch nur den geringsten Widerstand wagte, wurde sie von den ergrimmten Reitern, die ebenso gut zu Fuß wie zu Pferd zu fechten verstehen, völlig aufgerieben. Und daher bilden die Sümpfe und Wälder westlich von Seiny das zweite Riesengrab, in das die Kriegspartei des russischen Kaiserhauses ungezählte Tausende frevelnd hineingesteckt hat. – –
Einige dreißig Kilometer von der ostpreußischen Grenze entfernt liegt das russische Dorf Preszinice, trotz seiner etwa achthundert Einwohner nichts als ein langgestreckter, zu beiden Seiten einer verwahrlosten Landstraße sich hinziehender Haufen baufälliger Baracken.
Seit zwei Tagen hatte Preszinice eine deutsche Besatzung, und zwar eine gemischte Brigade, die als rechte Seitendeckung der siegreichen Hindenburgschen Armee mit besonderen Auftrag betraut war, den Abmarsch des geschlagenen Feindes in der Richtung auf Warschau durch einen Flankenstoß nach Möglichkeit zu verhindern.
Ganze drei Tage lag die Brigade schon in dem jämmerlichen Nest, dessen zumeist aus russischen Kleinbauern bestehende Bevölkerung beim Anrücken der deutschen Truppen geflohen war. Nur die Polen und die Juden waren geblieben, hatten sich auch schnell mit ihren Befreiern auf gutem Fuß gestellt und schleppten an Nahrungsmitteln herbei, was die Kosaken und das andere Kavalleriegesindel seiner russischen Majestät noch übriggelassen hatten. Viel war es allerdings nicht. Im Gegenteil, schon am zweiten Tag nach dem Einzug in Preszinice machte sich überall ein böser Proviantmangel bemerkbar. Bei dem schnellen Vormarsch waren die Bagaschen und die aus Zivilfuhrwerken bestehende Fouragekolonnen auf den grundlosen Wegen weit zurückgeblieben. Dann setzte noch dieser Regenguß ein, der nun gute achtundvierzig Stunden ununterbrochen andauerte und die bereits vorher kaum passierbaren Straßen in grundlose Moräste wandelte.
Endlich – am dritten Tag nachmittags – drehte der Wind nach Nord. Die dicken Regenwolken verschwanden im Nu, und bald lachte eine warme Septembersonne auf all die armen deutschen Infanteristen, Kanoniere und Reiter herab, die mißmutig in den dumpfen Stuben und Ställen der Bauernhäuser mit knurrendem Magen beieinander hockten.
In einem ausgebauten Gehöft von Preszinice, das aus einem sogenannten Gutshaus und zwei windschiefen Stallungen bestand, lag der 1. Zug der 2. Schwadron eines Ulanenregiments. Leutnant von Breslar, dem die Eltern in einer etwas unverständlichen Laune den Vornamen Childerich gegeben hatten, hatte sich als Zugführer in dem ‚Salon’ des Gutshauses gemütlich eingerichtet, d.h. den größten Teil der bedenklich fettglänzenden und vielfach gestopften Polstermöbel und der anderen Einrichtungsgegenstände hinausgeschmissen und nur solche Gegenstände darin gelassen, in denen ihrer Bauart wegen ‚Fremdenverkehr’ leicht zu entdecken und zu beseitigen war. Auf ein Bett hatte der Leutnant vorsichtigerweise zugunsten seines Burschen Bulke verzichtet.
Breslar begnügte sich mit einer alten Hängematte, die Bulke oben auf dem Boden aufgestöbert hatte und die dann nach halbstündigem Auskochen der Ehre teilhaftig wurde, den adligen Gliedern Childerichs als Lagerstätte zu dienen, nachdem sie in dem Salon an zwei schnell eingehauenen Haken etwa über dem Boden befestigt worden war.
Breslar hatte soeben in seiner Hängematte einen langen Nachmittagschlaf genossen, saß jetzt aufrecht in der leicht hin- und herschaukelnden, schwebenden Lagerstätte, und brüllte schon zum dritten Mal mit seiner messerscharfen Kommandostimme: „Fritz – Fritz!“
Kein Fritz ließ sich sehen. Dafür klopfte es nach einer Weile, und auf des Offiziers ungeduldiges „Herein!“ erschien der Vizewachtmeister des Zuges.
„Na, Höften, was bringen Sie?“ fragte der Leutnant, indem er etwas mißtrauisch durch sein Monokel den Brief beäugte, den der Vize in der Hand hielt.
„Befehl vom Regiment,“ meldete Höften stramm. „Herr Leutnant möchten den Empfang quittieren auf dem Umschlag.“
Breslars mittelgroße, fast dürre Gestalt schnellte sich elastisch aus der Hängematte heraus. In sein eben noch so unzufriedenes blasiertes Gesicht, in dem die Backenknochen vor Magerkeit sich wie kleine Geschwülste abzeichneten, war ein anderer Ausdruck getreten.
Mit einer gewissen freudigen Spannung riß er jetzt den Brief auf und überflog den Inhalt des darin befindlichen Zettels.
„Großartig – herrlich!“ meinte er dann. „Höften – endlich darf man raus aus diesem stumpfsinnigen Nest.“
„Patrouille, Herr Leutnant?“ fragte der Vize bescheiden.
„Und ob! – So, hier, geben Sie das dem Meldereiter zurück. Und dann lassen Sie sofort unsere sämtlichen Mannschaften an einer trockenen Stelle auf dem Hof andrehten. Der Regen hat ja, Gott lob, aufgehört.“
Fünf Minuten später stand Childerich von Breslar vor seinen fünfzig Leuten, die Mütze noch schiefer als gewöhnlich auf dem kurz geschorenen Kopf.
Nachdem Höften ihm den 1. Zug ‚zur Stelle’ gemeldet hatte, musterte Breslar beinahe jeden Einzelnen durch sein Einglas. Alles hielt sich wie aus Erz gegossen. Im Dienst war mit dem Leutnant nicht zu spaßen – trotz seines Humors und seines gütigen Herzens.
„Augen gerade aus – rührt euch!“
Breslar schlug dann mit seiner Reitpeitsche als Einleitung einen pfeifenden Lufthieb.
„Also, meine Herren Kerls, ich bitte um geneigte Aufmerksamkeit! Der Herr Brigadekommandeur hat befohlen, daß ich sofort mit zwanzig Mann soweit als möglich nach Süden zu vorgehe, damit wir sehen, wo unsere geliebten Russen sich zurzeit herumdrücken. Unsere Flieger sind ja jetzt mit ihren Benzin-Gäulen infolge der hiesigen Asphaltstraßen ein bißchen weit hinten geblieben. Da kommen also wieder wir simplen Pferde-Reiter als Aufklärer zu Ehren. Unser Auftrag riecht nun stark nach Pulver, das wir selbst den zugehörigen Bleibohnen in Nickelverpackung sehr wahrscheinlich bei der Unsicherheit des Vorgeländes zu schmecken bekommen können. Daher: Wer will freiwillig mit?“
Wie ein Mann trat der ganze Zug einen Schritt vor.
Breslar nickte. „Ich habe das nicht anders erwartet,“ meinte er. „Aber – nur zwanzig brauche ich, und nicht fünfzig.“
„Auslosen!“ rief ein Vorlauter im zweiten Glied.
„Ne, Kinder, dabei kommen die zu kurz, die beim Glücksspiel immer Pech haben. Also, wer ist mit mir noch nicht auf Patrouille gewesen? Vortreten die Betreffenden!“
Zwölf Mann waren es. Die übrigen acht suchte Breslar sich selbst heraus.
„So – in einer Stunde Abmarsch. Sie, Höften, übernehmen für die Zeit meiner Abwesenheit den Rest des Zuges. – Stillgestanden! Tretet weg!“ –
Die Sonne war gerade hinter dem kleinen, bewaldeten Höhenzug im Westen verschwunden, als die achtzehn Mann, ein Gefreiter, ein Unteroffizier und Childerich von Breslar gen Süden trabten, indem sie sich zunächst neben der Straße hielten, die zum Nachbardorf führte, da der Weg selbst nur aus kleinen lehmigen Seen und aufgeweichtem, grundlosem Dreck bestand.
Nach einem zweistündigen Ritt kam Besno in Sicht.
Der Leutnant hatte mit den Seinen in einem Gehölz Aufstellung genommen, war dann abgestiegen und stand nun mit seinem Glas an den Augen hinter einem Baum, um das Dorf erst einmal gründlich von weitem zu betrachten. Aber die Abenddämmerung machte seine Mühen vergeblich. Dichte Nebelschwaden entstiegen überall dem feuchten Boden und ließen von Besno nur die ersten Häuser und den plumpen Kirchturm erkennen.
Breslar winkte nun den Unteroffizier zu sich heran, einen großen, hübschen Menschen, dessen Vater ein nettes Bauerngütchen im Litauischen besaß.
„Was meinen Sie, Karweit, ob wirs wagen und ohne weiteres in das Dorf eindringen? Allerdings sollen sich hier in der Nähe Kosaken herumtreiben.“
Karweit, der eine entfaltete Karte in der Hand hielt und die Zügel seines Fuchses um den linken Arm geschlungen hatte, machte seinen Zugführer darauf aufmerksam, daß sich da unten im Wiesengrund vor dem Dorf ein Bach vorbeischlängele.
„Die Brücke, die hier auf der Karte eingezeichnet ist, Herr Leutnant, dürfte zerstört sein,“ meinte er. „Wäre es nicht besser, wenn wir da im Osten über den Bach zu setzen versuchen und dann von Süden her uns dem Dorf nähern? Man kann nie wissen, was darin steckt.“
Breslar war einverstanden. So wurden denn die Spitze und die Seitenpatrouillen schleunigst benachrichtigt und nun scharf nach Osten abgeschwenkt, wobei man sorgfältig jedes Geräusch zu vermeiden suchte und stets in Deckung des Gehölzes ritt. Nach einer Viertelstunde – inzwischen war es immer dunkler und nebliger geworden – kam einer der Männer von der Spitze zurück und meldete, der Gefreite Gerber habe in einem Tannendickicht am Bach eine schmale Bohlenbrücke entdeckt, die das Passieren des kleinen Wasserlaufes wesentlich erleichtern würde. –
Und wirklich kam man dann ohne Schwierigkeiten auf die andere Seite des Flüßchens hinüber.
Wieder hielt Breslar mit seinem Unteroffizier kurzen Kriegsrat ab.
„Ich halte es für besser, wir dringen gleichzeitig von zwei Seiten in das Nest ein, Karweit,“ meinte er. „Dann erfahren wir am schnellsten, ob es besetzt ist. Nehmen Sie also fünf Mann und reiten Sie hier am Bach entlang bis zum Dorfeingang vor. Dazu brauchen Sie etwa eine Viertelstunde. Sagen wir also, daß wir in einer halben Stunde in Besno einrücken, – ich von Süden, Sie von Norden. –
Verstanden? – Meine Uhr ist jetzt genau dreiviertel acht.“
Die beiden Reitertrupps trennten sich. Karweit, der reichlich Zeit hatte, sich vorher noch etwas zu orientieren, ließ dann, am Dorfeingang angelangt, seine fünf Ulanen in einer Birkengruppe zurück und schlich zu Fuß mit dem Karabiner in der Hand – den klappernden Säbel nahm er vorsichtigerweise nicht mit – in die langgestreckte, von Nebelschwaden in graue Schleier gehüllte Ortsgasse hinein. Oft genug tappte er dabei in tiefe Schmutzpfützen, fluchte leise, kam aber doch unbemerkt gute hundert Meter vorwärts.
Dann kläffte ihn ein Hund plötzlich wütend an. Der Unteroffizier schlug mit dem Kolben nach ihm. Aber das Vieh wich sehr geschickt aus und bellte weiter. Und jetzt wurden vor ihm auf der Dorfstraße auch Stimmen laut. Er vernahm russische Kommandoworte, das Knarren von Sätteln, Stampfen von Pferden: Kosaken ohne Zweifel, und zwar eine größere Abteilung den Geräuschen nach zu schließen.
So schnell er konnte eilte er nun zu seinen Leuten zurück. Denn sein Leutnant mußte vorher gewarnt werden. Gerade die halblauten Kommandos deuteten darauf hin, daß der Feind von dem Nahen der deutschen Kavallerie irgendwie Kunde erhalten hatte.
Wenige Minuten später fegten die sechs Ulanen in voller Karriere die Dorfstraße entlang. Doch – nichts regte sich, der Gegner war verschwunden. Im nu waren sie vor dem freien Platz angelangt, auf dem die Kirche stand. Auch hier nichts.
Karweit erwartete jeden Augenblick, daß man sie aus den Häusern heraus unter Feuer nehmen würde. Freilich – bei dem Nebel war’s ein schlechtes Zielen. –
Sollten die Kosaken wirklich geflohen sein? Er wollte nicht recht daran glauben. Oder ob man ihnen hier irgendwo einen Hinterhalt gelegt hatte? – Nun, das ließ sich ja bald feststellen. Zunächst aber weiter!
Wieder ging’s nach dem kurzen Aufenthalt die Dorfgasse entlang, daß der Schmutz den Ulanen nur so um die Ohren flog. Dann vor ihnen ein lautes: „Halt – wer da!“
„Herr Leutnant, wir sind’s!“
„Dachte ich mir!“ – Aus dem Nebel tauchte Breslar auf seinem hochbeinigen Fuchs auf, hinter ihm der Rest der Patrouille.
„Nun, Karweit, die steht’s?“ fragte der Offizier, der in der herabhängenden Rechten eine Armeepistole hielt. „Eigentlich muß hier was zu finden sein. Wir haben da nämlich in den ersten Häusern ein paar Kerle aufgejagt, die schleunigst ausrissen. Was es war, konnten wir bei dem verd… Nebel nicht erkennen.“
Karweit erstattete eilig Bericht über seine Beobachtungen. Als er damit fertig war, nickte der Leutnant zustimmend:
„Werden Kosaken sein. Müssen daher vorsichtig weiter.“
Ein kurzer Befehl, und einzeln sprengten die gefürchteten Lanzenreiter mit zehn Schritt Abstand bis zu Kirche, stiegen dort ab und brachten sich und ihre Gäule hinter dem Gotteshaus in Sicherheit. Als letzte folgten Karweit und der hagere Leutnant.
„Ungemütliche Geschichte bei der dicken Luft,“ meinte Breslar jetzt, indem er seinem Burschen die Zügel zuwarf. „Wir müssen mal erst zu Fuß uns etwas umsehen. Zwei Mann mitkommen.“
Karweit wollte dem Vorgesetzten noch einen Wink geben.
„Herr Leutnant, da drüben das größere Haus, da brannte vorhin noch Licht, als wir hier auf dem Platz einen Moment hielten. Es wird wohl die Wohnung des Geistlichen sein.“
„An den hatte auch ich gedacht. – Stellen Sie ein paar Posten aus, Karweit. Und – haltet die Augen offen, Leute. Die Sache hier gefällt mir nicht.“ –
Das Gebäude, in dem sowohl der Offizier wie Karweit die Behausung des Geistlichen vermuteten, lag einige dreißig Schritt von der Straße zurück und besaß einen mit einem Lattenzaun umgebenen Vorgarten.
Breslar war so leise wie möglich die Treppe hinaufgestiegen, nachdem er einen seiner beiden Begleiter an die Hintertür beordert hatte, die doch an der Rückseite fraglos vorhanden und durch den sich noch weiter nach hinten erstreckenden Garten leicht zu erreichen war.
In dem dunklen Gebäude war alles still. Nun klopfte der Leutnant mit der Faust rücksichtslos gegen die Tür, daß es nur so dröhnte.
Nichts regte sich. –
Wieder die dumpf hallenden Schläge. Und dann – ganz geblendet fuhr der Offizier zurück. Urplötzlich, geräuschlos hatte sich der eine Türflügel geöffnet und im Flur war ein in die Tracht der griechisch-katholischen Popen gekleideter, stattlicher Mann sichtbar geworden, der in der hoch erhobenen Linken eine brennende Petroleumlampe hielt.
„Warum öffneten Sie nicht sofort?“ sagte Breslar ziemlich barschen Tones, indem er den vor ihm Stehenden mißtrauisch musterte.
Der Pope, der einen langen, schwarzen Vollbart trug und dessen Gesicht fast krankhaft blaß war, lächelte überlegen.
„Führen Sie mich in Ihr Haus! Ich habe mit Ihnen zu sprechen!“
Der Pope nickte kaum merklich den Kopf, öffnete dann eine Tür linker Hand und lud den Offizier durch eine leichte Verbeugung ein vorauszugehen.
„Bitte – nach Ihnen!“ sagte Breslar jedoch ungeduldig. Und gleichzeitig winkte er dem Ulanen zu, sich dicht hinter ihm zu halten.
Das Zimmer, in das der Pope sie brachte, war mit Tabakqualm ziemlich dicht angefüllt, so daß der Leutnant sich ordentlich Mühe geben mußte, den einfach möblierten Raum schnell zu überblicken.
An der einen Seitenwand stand vor einem Ledersofa ein ovaler Tisch, an dem in Rohrsesseln zwei ländlich gekleidete Männer saßen, die sich jetzt gemächlich erhoben, als der Pope mit der Lampe vor ihnen stehen blieb und mit einer Handbewegung nach Breslar hin in deutscher Sprache sagte:
„Liebe Freunde, wir haben Besuch bekommen. Der Herr Offizier wünscht mich zu sprechen.“ Dann wandte er sich mit weltmännischer Höflichkeit an den Leutnant, der mißtrauisch an der Tür geblieben war.
„Dürfte ich um Ihren Namen bitten, damit ich Sie den Herren hier vorstellen kann –“
Wieder trat in dem Verhalten des Geistlichen nur zu deutlich eine gewisse spöttische Anmaßung hervor, die jetzt aber bei dem, dem sie imponieren sollte, nichts als ein kaum merkliches ironisches Lächeln hervorrief.
Leicht die Hacken zusammenschlagend, daß die Sporen leise klirrten, erwiderte Breslar nachlässig: „Sie vergessen, daß ich Ihnen hier als ein Vertreter des Staates gegenüberstehe, mit dem sich Rußland zur Zeit in Krieg befindet.“ Und in hartem Kommandoton setzte er sofort hinzu: „Wer sind die beiden Männer?“
Der Pope versuchte noch ein letztes Mal, sich zum Herrn der Situation zu machen.
„Der Herr da –“ er betonte das ‚Herr’ sehr merklich, „ist der Gutsbesitzer von Oszowo, Kasimir v. Bielotzki, einer meiner treuesten und liebsten Bekannten.“
Da trat der Leutnant mit einem langen Schritt dicht vor den Geistlichen hin, der wieder mit deutlicher Absicht seiner Antwort diese den Umständen nach recht ungeeignete Fassung gegeben hatte, und donnerte ihn an, indem er ihn durch das schillernde Monokel wütend anblitzte:
„Ob der Mann Ihr Bekannter ist, ist mir gleichgültig. – Wer ist der andere?“
Der Pope knickte vor Schreck ordentlich zusammen.
„Gutsbesitzer Joseph Svarszinski, ebenfalls hier aus der Nähe,“ beeilte er sich zu erwidern.
„Gut. – Stellen Sie die Lampe dort auf den Tisch. – So. Nun einige Fragen. Sollten Sie mich zu belügen versuchen, so –! Wir Ulanen fackeln nicht lange. Richten Sie sich danach. –
Also – ist das Dorf von russischen Truppen besetzt?“
„Das – das weiß ich nicht,“ erwiderte der Pope zögernd.
„Ich werde mich genauer ausdrücken,“ meinte der Leutnant, sich auf seinen Säbel stützend. „War es von russischem Militär besetzt?“
„Allerdings.“
„So – und von welcher Truppengattung? Und wie stark war die Abteilung?“
Der Geistliche trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Er wußte nicht recht, ob er antworten sollte. Und daher blickte er jetzt wie fragend zu dem dicken Herrn mit dem ungepflegten Vollbart hin, den er dem deutschen Offizier gegenüber vorhin als den Gutsbesitzer Josef Svarszinski ausgegeben hatte. Der machte ihm denn auch durch ein unauffälliges Zeichen verständlich, er solle seine Antwort nicht verweigern.
„Kosaken waren’s. Die genaue Anzahl weiß ich tatsächlich nicht,“ sagte er nun schnell.
Dem Leutnant, der gerade an seinem Säbelgehänge etwas in Ordnung gebracht hatte, war diese stumme Zwiesprache zwischen den beiden Männern entgangen. Und scheinbar schon bedeutend gleichgültiger, fragte er nun weiter:
„Und wann sind die Kosaken wieder abgerückt?“
„Wahrscheinlich kurz vor dem Eindringen Ihrer Reiter hier in Besno.“
„Können Sie mir sagen, ob sich größere russische Abteilungen, besonders Infanterie und Artillerie, in der Nähe aufhalten?“ forschte der Offizier wieder.
Der Pope schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Aber über diesen Punkt dürfte Ihnen Pan Svarszinski besser Auskunft geben können, da er zwei Meilen südlicher wohnt und erst heute Nachmittag zu Pferd bei mir eingetroffen ist.“
Breslar wandte sich etwas nach links und schaute den am Tisch sitzenden Gutsbesitzer fragend an.
Aber Svarszinski zuckte nur die Achseln und sagte mit dem harten Akzent der Polen:
„Weiß ich nicht. Hab’ ich nichts bemerkt bei Ritt hierher außer einigen Kosaken. Würde Ihnen gern dienen mit Nachricht, Herr Leutnant. Bin aber selbst in Unkenntnis darüber!“
Breslar fand bei diesem Mann offenbar das meiste Entgegenkommen. So verhandelte er nun mit ihm allein weiter.
„Ich kann in dieser nebligen Nacht meinen Ritt nicht fortsetzen,“ erklärte er, „und muß im Dorf übernachten. Meine Leute werde ich in den nächsten Häusern einquartieren, während ich selbst hierbleibe. Hören Sie nun folgendes: Sie drei werde ich als Geiseln streng bewachen lassen. Sollte ein Überfall auf uns unternommen werden, so haben Sie die längste Zeit gelebt. Ich bin überzeugt, daß Sie Mittel und Wege besitzen, etwaige feindliche Abteilungen in dieser Hinsicht zu warnen. – So, das wäre alles.“
Dann wandte Breslar sich an den hinter ihm stehenden Ulan.
„Sie holen den Gefreiten und drei Mann herbei. Unteroffizier Karweit soll durch zwei Patrouillen von je vier Mann schnell die Häuser durchsuchen lassen.“
„Zu Befehl, Herr Leutnant!“ –
Nun war Breslar mit den drei Männern, denen er noch immer nicht recht traute, allein. Die entsicherte Armeepistole in der Hand setzte er sich auf einen Stuhl neben die auf den Flur führende Tür und winkte dem Popen zu, gleichfalls Platz zu nehmen.
„In einer Stunde muß für mich und meine Leute ein reichliches Abendessen, gleichgültig ob kalt oder warm, bereit sein,“ begann er abermals. „Außerdem sind mindestens zehn Zentner Hafer herbeizuschaffen, – ebenfalls in einer Stunde. – Wollen Sie also,“ fügte er, das Wort an den Geistlichen richtend, „das Nötige anordnen. Irgendwelche Dienstboten, die meine Wünsche an den Dorfältesten weiterbefördern können, werden ja wohl im Hause sein.“
Da mischte sich Svarszinski ein.
„Herr Leutnant, im ganzen Dorf werden Sie außer trockenem Brot und ein paar mageren Kühen nichts auftreiben. Hafer – keine Spur ist vorhanden! Alles von unserem Militär requiriert. Ist überall in der Gegend so, überall. Wirklich!“
„Sollte der Geistliche nicht über eine recht wohlgefüllte Speisekammer verfügen?“ meinte Breslar, ironisch auf die Weinflaschen deutend, die auf dem Tisch standen.
„Glaube ich kaum,“ erwiderte Svarszinski. „Jedenfalls Hafer keine Spur. Vielleicht etwas Speck.“
„Aber Hafer für die Pferde brauche ich unbedingt,“ sagte Breslar, ungeduldig mit dem Säbel auf die Dielen aufstoßend. „Unsere Gäule haben seit Tagen nichts als Stroh gefressen und muffiges Heu. Das geht so nicht weiter. Ist der Hafer in einer Stunde nicht zur Stelle, so werde ich Zwangsmaßregeln anwenden, darauf können Sie sich verlassen.“
Svarszinski hob die Schultern, als wenn er damit ausdrücken wollte: Auch das wird nicht viel helfen! Dann drehte er sich nach dem Popen um und sagte:
„Alexei, klingele nach deiner Haushälterin. Die soll den Dorfältesten holen.“
Neben einem alten Mahagoni-Schreibtisch, der zwischen den beiden, durch hölzerne Laden und Vorhänge von innen lichtdicht verschlossenen Fenstern stand, hing ein Klingelzug von der Decke herab. Der Pope zog ein paar Mal kräftig daran, und gleich darauf erschien auch durch die zweite, in die hinteren Räume führende Tür eine weibliche Person in mittlerem Alter, die noch deutlich Spuren einstiger Schönheit in dem edelgeschnittenen Gesicht verriet.
Der Geistliche entschuldigte sich bei Breslar jetzt, daß er mit seiner Haushälterin russisch sprechen müsse, daß sie kein Wort Deutsch verstunde. – So unangenehm dies dem Leutnant auch war, er konnte daran nichts ändern.
Nachdem die Frau mit ihrem Dienstherrn einige Sätze gewechselt hatte, verschwand sie wieder.
Inzwischen waren auch die drei Ulanen unter Führung des Gefreiten in den Hausflur eingetreten, und Breslar ordnete nun an, daß zwei der Männer zur Bewachung des Popen und seiner Gäste zurückbleiben sollten, während er selbst mit dem Gefreiten das Haus durchsuchen wollte.
Das Gebäude enthielt im Erdgeschoß vier Zimmer und die Küche nebst einer geräumigen Speisekammer, im Obergeschoß aber außer zwei kleinen Stuben, in denen die Wirtin des Popen wohnte, nur leere Bodenräume. Nirgends, auch in den weiten Kellern nicht, fand sich etwas Verdächtiges. Nachdem das Haus genau durchforscht war, wandte sich Breslar mit dem Gefreiten den Stallungen zu, die aus einer hölzernen Scheune und einem daran geklebten gemauerten Viehstahl bestanden. Hier waren drei Pferde und zwei wirklich erschreckend magere Kühe vorhanden, sonst nichts.
Als der Leutnant dann das Haus wieder betrat, war die Wirtschafterin von ihrem Gang zu dem Dorfältesten bereits zurück. Der Geistliche erklärte denn auch sofort ganz aufgeregt dem Offizier, daß in dem Ort tatsächlich kein Hafer mehr zu finden sei. Der Dorfälteste hätte den Rest am heutigen Nachmittag den Kosaken ausliefern müssen.
Aber Breslar blieb hart. „Ich glaube es nicht. Irgendwo wird dieser oder jener Bauer schon noch etwas versteckt haben,“ meinte er kurz. „Ist in einer Stunde, also Punkt neun Uhr, die befohlene Menge nicht hier, so bezahlt das Dorf eine Strafe von zehntausend Rubel. – Keine Widerrede!“
Damit wollte er durch den Vordereingang das Haus wieder verlassen, um für die Unterkunft seiner Leute zu sorgen, als Svarszinski ihm bis in den Flur nacheilte und laut bat:
„Herr Leutnant – nur wenig Worte bitte. Meine Frau erwartet mich. Lassen Sie mich gehen.“ Das hatte er mit einem Stimmenaufwand gesprochen, daß der Pope und der andere Gutsbesitzer es notwendig verstehen mußten. Nun aber fügte er ganz leise hinzu: „Möchte Sie allein sprechen. Darf jedoch keiner wissen.“ Dabei zeigte er mit dem Daumen nach rückwärts auf seine beiden Bekannten.
Breslar begriff im Moment die Situation.
„Ob Ihre Frau wartet, darauf kann ich keine Rücksicht nehmen,“ erwiderte er kurz und schlug die Stubentür krachend zu, so daß er sich mit Svarszinski nun allein im Hausflur befand.
Zum Schein setzten sie nun das Gespräch über eine etwaige Freilassung des Polen noch so lange fort, bis sie ein Stück von dem Gebäude entfernt waren. Dann blieb der deutsche Offiziere stehen.
„Ich möchte Ihnen nur eines raten, bevor wir hier weiter verhandeln, verehrter Pan Svarszinski,“ sagte er ironisch. „Bei der geringsten verdächtigen Bewegung schieße ich Sie über den Haufen. In diesem Nebel ist es natürlich ziemlich leicht mit ein paar Sprüngen zu verduften. – Also was gibt’s?“
„Herr Leutnant,“ begann der Gutsbesitzer mit seinem unangenehm krächzenden Baß, „so kurz wie geht will ich reden. Ich bin Pole, nicht Russe. Ich hasse die Russen. Aber heimlich. Der Pope und der Bielotzki haben mich hinzugezogen, damit wir die Landleute hier aufreizen und bewaffnen sollen. Zum Schein machte ich mit alles. Nachher mehr darüber. Ich habe auf meinem Gut versteckt viel Hafer, damit Kosaken es nicht finden. Kommen Sie mit ein paar Leuten mit. Ich Ihnen geben werde einen Wagen und Hafer. In drei Stunden sind Sie wieder zurück.“
Was er dann noch Breslar des weiteren vorschlug, fand dessen Zustimmung. So kehrten sie denn noch einmal in das Zimmer zurück, wo die beiden als Geiseln bewachten Russen mit ziemlich trübseligen Gesichtern saßen.
„Pan Svarszinski behauptet, er habe in seinem Stall noch einige Säcke Hafer,“ wandte er sich an den Geistlichen, der im Gegensatz zu seinem früheren Verhalten jetzt recht kleinlaut und bescheiden geworden war. „Er will mir diese, falls hier tatsächlich nichts von dem für mich so durchaus notwendigen Futter aufgetrieben werden sollte, überlassen, um so die gewaltsame Einziehung der Strafsumme von dem Dorf abzuwenden. –
So, das wäre erledigt. Wie steht es nun mit dem Essen für meine Leute?“
„Ich habe meiner Haushälterin Befehl gegeben, daß alles, was zu haben ist, hier zu mir geschafft wird,“ erwiderte der Pope höflich.
Worauf der Leutnant sich zu seinen hinter der Kirche haltenden Ulanen begab, um ihnen ihre Quartiere anzuweisen. Eine Viertelstunde später, Breslar hatte inzwischen vierzehn Mann in dem Pfarrhaus, den Rest nebenan bei einem der reicheren Bauern untergebracht, kehrten auch die Patrouillen zurück, die das Dorf nach irgendwo versteckten Feinden hatten absuchen sollen. Die Patrouillenführer meldeten übereinstimmend, daß etwa in Hälfte der Häuser leer stände und daß nirgends Verdächtiges bemerkt worden wäre. –
Nachdem nun noch in Eile Posten aufgestellt waren, setzte sich Breslar mit den übrigen Ulanen an den großen Tisch im Speisezimmer des Popen, wo mittlerweile die Wirtin allerlei Eßwaren, – Brot, Butter, Speck, Käse, Schinken und sogar einige Schalen eingemachte Früchte aufgebaut hatte.
Breslar, durch das Entgegenkommen der Dorfbevölkerung hinsichtlich der Herbeischaffung der Nahrungsmittel in eine bessere, weniger mißtrauische Stimmung versetzt, ließ sich sogar mit den drei neben ihm sitzenden Herren in eine allgemeine Unterhaltung ein, die schließlich einen ganz freundschaftlichen Ton annahm, da sowohl der Pope wie seine beiden Bekannten sich als weitgereiste, feingebildete Leute entpuppten. Der Geistliche gab dann auch sehr bald seiner Haushälterin einen verstohlenen Wink, und gleich darauf erschien sie mit sechs Flaschen eines vorzüglichen, alten Rotweines, die sie vor den Leutnant hinstellte. Breslar bedankte sich, ließ dann jedoch auch für seine Ulanen Weingläser bringen und trat an sie vier der Flaschen ab.
Freilich – als die festgesetzte Stunde um war, und der Dorfälteste, ein Greis mit zotteligem weißen Vollbart und einem in allen Farben fettglänzenden Mantel, nur einen knappen Zentner Hafer herbeibrachte, da wurde aus dem liebenswürdigen, lustige Schwänke erzählenden deutschen Offizier schnell wieder der strenge Vertreter der feindlichen Nation.
Breslar, der sich gerade eine der rauchbaren Zigarren des Popen angezündet hatte, – auch die Ulanen waren mit je einer bedacht worden, – sagte jetzt achselzuckend:
„Kann mir Pan Svarszinski nicht die fehlenden Zentner geben, so ist die Strafnummer fällig. Dabei bleibt’s! – Brechen wir also auf, verehrter Pan Svarszinski! Ich werde Sie mit sechs Mann begleiten. Ihr Pferd steht ja wohl im Stall.“
Breslar gab dem Unteroffizier dann noch genaue Verhaltungsmaßregeln. „Besonders Karweit, schärfen Sie den Posten größte Wachsamkeit ein. Und die Leute aus dem Nebenhaus nehmen Sie hier ins Pfarrgebäude, damit Ihr alle zusammen seid.
Sollten Sie überfallen werden, so finden Sie hier im Haus ganz gute Deckung. Außerdem – ich hoffe ja auch in drei Stunden wieder zurück zu sein.“
Der Unteroffizier, der neben seinem Vorgesetzten auf dem Hof stand, schien noch etwas sagen zu wollen. Breslar merkte das. Und mit feinem Lächeln meinte er daher:
„Ich weiß, was sie noch auf dem Herzen haben, Karweit. Sie mißtrauen diesem gastfreundlichen Popen nebst Anhang, nicht wahr? Nun – beruhigen Sie sich: Ich tu’s auch! – Und trotzdem: Hafer müssen wir haben! Sonst fallen uns die Gäule morgen um, wenn sie auch heute hier jeder ein halbes aufgeweichtes Brot verschlungen haben und einige Mützen Hafer dazu. Das hält nicht vor. Und morgen müssen wir weiter. Denn ohne eine anständige Meldung kehre ich nicht zur Brigade zurück. –
Im übrigen, ich glaube nicht, daß der Pope Verrat plant. Er weiß, was dann mit ihm geschieht. Soeben habe ich ihm und dem anderen Gutsbesitzer nochmals klar gemacht, daß die Drohung ‚von wegen Erschießen’ bitterer Ernst ist. Die Wirtschafterin wird schon den Dorfältesten, und der wieder etwaige in der Nähe lauernde Kosaken benachrichtigt haben. Hier im Pfarrhaus sind fraglos kurz vor unserem Eindringen in das Dorf noch ein paar Leute gewesen, die dann schleunigst auskniffen. Auf dem Tisch standen nämlich sechs noch eben benutzte Weingläser, wie ich bald nach meinem Eintritt in das Zimmer beim Schein der Lampe feststellte. Gesagt habe ich dem Popen davon nichts, es genügte mir als Beweis, daß die drei übrigen Gläser fraglos von militärischen Gästen des Geistlichen gebraucht worden sind, – wahrscheinlich Kosakenoffizieren. –
Auf Wiedersehen, Karweit. Und – die Augen offen halten. Sicher ist sicher!“ –
Wenige Minuten später trabten acht Reiter auf einem hinter der Kirche in südöstlicher Richtung abzweigenden Weg in die neblige Nacht hinaus. Vorn ritten zwei Ulanen, dann kamen Breslar und Pan Svarszinski, und ihnen folgten die vier übrigen wieder zu zweien. Noch kurz vor dem Aufbruch hatte der Leutnant dem Polen zu verstehen gegeben, daß er ihm keineswegs traue und daß er ihn kurzer Hand vom Pferd knallen würde, falls sich irgendetwas ereignen sollte, das auf Verrat hindeuten würde. Worauf der Gutsbesitzer nur erwidert hatte: „Keine Sorge – Sie werden ungehindert kommen nach Svarszinskowo und auch Hafer finden, Herr Leutnant.“ –
Allerdings, das Lächeln, das dabei über des Polen häßliches, grobgeschnittenes Gesicht hinflog, konnte Breslar auf dem dunklen Hof des Pfarrhauses nicht bemerken.
Schweigend, die Karabiner schußfertig in den Händen, trabten die Ulanen dahin.
Der Charakter der Landschaft hatte sich inzwischen nicht viel geändert. Zumeist ging es über laubbestreute Waldwege dahin, dann auch über Stoppelfelder und unbebaute Äcker, immer nach Südwesten zu.
Gerade wollte Breslar, als man eben am Rande eines Gehölzes entlangritt, den Polen fragen, ob man nicht endlich am Ziel sei, als Svarszinski plötzlich sein Pferd kurz zum Stehen brachte und eine Weile scharf nach vorwärts spähte, wo sich über der hellen Fläche eines abgeernteten Roggenfeldes ein paar dunkle, große Flecken abhoben, in deren Mitte ein strahlender Lichtschimmer sichtbar war.
Wie der Leutnant nun gleichfalls genauer hinblickte, erkannte er in den dunklen Flecken, die über dem Acker lagerten, die Bäume eines Gartens und die Umrisse von Gebäuden.
„Ist das Svarszinskowo?“ fragte er den Polen.
„Ja,“ sagte der ganz geistesabwesend. – Aber dem Leutnant entging es, mit wie seltsamen Blicken der Gutsbesitzer fast versteinert nach dem hellen Licht hinüberschaute.
„So – endlich, endlich,“ meinte Breslar, der sich fortwährend unruhig im Sattel hin und her wandte, da er inzwischen immer fester zu der Überzeugung gelangt war, daß der Pole ihn und seine sechs Ulanen hier in einen Hinterhalt locken wollte. „Steigen Sie jetzt ab, verehrtester Svarszinski, sofort, und verhalten Sie sich mäuschenstill, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Bevor ich nämlich nicht festgestellt habe, daß die Luft da drüben,“ er zeigte auf die Gebäude, die etwa noch dreihundert Meter entfernt waren, „völlig rein ist, muß ich Sie leider noch immer als Bewohner des feindlichen Landes betrachten.“
Svarszinski gehorchte, obwohl offenbar höchst ungern, und setzte sich ohne Aufforderung auf den Rand des Grabens, der hier zwischen Gehölz und Acker entlanglief.
Dann nahm Breslar sich einen seiner Leute mit und schlich, nachdem sie beide die Säbel und die Anschnallsporen abgelegt hatten, zu Fuß auf die Besitzung zu, während die übrigen fünf Ulanen zur Bewachung des Polen zurückblieben.
Unangefochten gelangte der Leutnant mit seinem Begleiter auch bis an den Lattenzaun, der den Gutshof nach Norden zu begrenzte. An dieser Stelle jedoch weiter vorzudringen, war unmöglich, da sie vor sich das deutliche Gerassel einer Kette hörten, die in Pausen immer wieder über den Boden geschleift wurde. Es war ohne Frage ein großer Hund, dessen Hütte im Schatten des Stalles stand und der bereits einige Witterung von ihnen bekommen haben mußte, da er jetzt sogar dumpf knurrte und an der Kette riß, daß diese nur so klirrte.
Schleunigst machten sich die beiden Deutschen daher davon und versuchten mehr in der Nähe des Hauses selbst über den Zaun zu gelangen. Dies glückte denn auch an einer Stelle, wo eine schief in den Angeln hängende Pforte geradezu zum Eintreten einlud.
Schon wollte Breslar sich näher an das Gutshaus heranpirschen, als der Ulan seinen Leutnant am Arm packte und ihm zuraunte: „Da vor uns bewegt sich etwas –“
In demselben Augenblick vernahm Breslar auch ein dumpfes Stampfen und ein leises Knarren, als wenn Leder auf Leder gerieben wird. Als sie nun vorwärts schritten, standen sie einem gesattelten und mit einer Decke eingehüllten Pferd gegenüber, das mit den Zügeln an einen Baum festgebunden war.
„Russisches Zaumzeug!“ flüsterte Breslar.
Mit doppelter Vorsicht setzten sie nun ihren Weg fort. Ein ausgetretener, breiter Pfad führte direkt auf die Seitenfront des Hauses zu. Und dort brannte auch in einem Zimmer des ziemlich hoch über dem Boden liegenden Erdgeschosses die strahlende Lampe.
„Wenn wir nur in das Zimmer hineinsehen könnten,“ meinte der Ulan indem er die in der Nähe stehenden Bäume musterte.
„Wird uns schwer werden,“ flüsterte Breslar zurück. „Die Vorhänge, die in der Mitte schließen, sind bis auf einen drei Hand breiten Spalt oben zugezogen. Man müßte also sehr hoch klettern, wenn man einen Einblick in den erleuchteten Raum gewinnen wollte.“
Der Ulan deutete stumm auf einen dicken Birnbaum, der keine vier Meter von dem Fenster entfernt stand.
Breslar hatte sofort begriffen. „Sehr gut, Parlow! Ich werde hinaufklettern.“
Breslar war bald oben in der ersten Astgabel. Höher und höher stieg er nun, bis er endlich durch den Spalt der unordentlich verschlossenen Vorhänge einen Teil des Zimmers überblicken konnte. Gespannt spähte er hinüber. Beinah hätte er ironisch aufgelacht. Denn auf das Bild war er nicht vorbereitet gewesen. Alles andere hatte er erwartet. – Schließlich nahm er sogar noch sein Fernglas vor, stellte es ein und schaute hindurch. Nun hatte er die beiden Personen, die da in dem Zimmer keine fünf Meter von ihm entfernt weilten, ganz dicht vor Augen.
Erst nach einer Weile glitt er wieder auf die Erde hinab.
„Kommen Sie, Parlow,“ meinte er fast schmunzelnd. „Ich weiß nun auch, wem der Gaul da gehört. Und ich glaube, die Luft ist hier bis auf den Herrn da oben wirklich rein.“
Zehn Minuten später langten sie wieder bei dem kleinen Trupp am Rande des Gehölzes an. Pan Svarszinski saß noch immer in dem Graben und stierte zu dem hellen Lichtschein hinüber, der von hier deutlich zu sehen war. Als der Leutnant jetzt zu ihm herantrat, schaute er auf und fragt ärgerlich:
„Nun, haben Sie sich überzeugt, daß –“
„Gehen wir ein wenig abseits,“ unterbrach ihn der Offizier freundlich. „Ich möchte Ihnen etwas mitteilen – so ganz im Vertrauen.“
Ein paar Schritte weiter blieben sie stehen.
„Verehrtester Pan Svarszinski,“ sagte Breslar mit einem eigenartigen Lächeln zu dem Polen, „ich habe mir erlaubt, mich ein wenig auf Ihrem Hof umzusehen. Im Garten fand ich nun in der Nähe einer offenen, auf das Feld führende Pforte ein russisches Offizierspferd angebunden.“
Svarszinski fuhr ordentlich zurück.
„Unmöglich! – Sie müssen sich irren, Herr Leutnant.“
„Irren?! Ausgeschlossen! Ich habe ja auch den Russen gesehen, dem der Gaul gehört. Es scheint ein höherer Offizier zu sein. Er hat einen langen Schnurrbart, – ganz forsche Erscheinung alles in allem.“
„Und – und wo haben Sie ihn gesehen, wo?“ preßte der Pole mühsam zwischen den Zähnen hervor.
„Nun, in demselben Zimmer, in dem die Spiritus-Glühlichthängelampe brennt, die wir von hier aus so gut bemerken können.“
Svarszinski packte jetzt den Arm Breslars.
„War der Offizier allein? – Sie foltern mich sehr, Herr Leutnant.“ Keuchend kamen die Worte heraus. Und in den Augen des Polen lohte jetzt eine unheilverkündende Glut.
Breslar wußte Bescheid. Was er gleich geahnt hatte, als er die beiden Personen in dem Zimmer beobachten konnte, bestätigte ihm jetzt Svarszinskis wilde Erregung.
So antwortete er denn in ernstem Ton: „Nein – eine Dame war bei ihm, eine schlanke, schwarzhaarige Frau mit einem leidenschaftlichen Gesicht. Und der Russe hatte die Frau auf dem Schoß und herzte und küßte sie. All das konnte ich von den oberen Ästen des Birnbaumes aus recht gut sehen.“
Eine Weile war es still zwischen den beiden Männern. Nur die Zähne des Polen rieben sich knirschend hin und wieder aneinander.
Und dann hob Pan Svarszinski sein bleiches Gesicht und schaute den Deutschen fest an.
„Sie ahnen, wer jenes Weib ist?“ fragte er heiser.
Breslar nickte nur.
„Nun denn – jetzt sind mir die Augen offen geworden,“ begann der Pole hastig. „Endlich sehe ich klar – ganz klar. Alles sollen Sie nun wissen, alles. Hören Sie, ich habe nicht gelogen, nicht ganz, wenn ich sagte, ich sei mehr auf Seiten der Deutschen als der Russen. So war es bis vor drei Monaten. Dann kam zu den Kosaken in unserer Nachbarstadt Knyschin ein neuer Kommandeur, der Graf Serchumow, ein Vollblutrusse. Er wurde schnell mein Freund, er hat mir andere Ideen gegeben von Rußland und Polen. Er hetzte mich auf, er hat bei Ausbruch des Krieges mich bewogen, daß ich zusammen mit dem Popen und dem Kasimir Bielotzki eine polnische Freischaren gründen sollte. Schon oft ist es mir verdächtig gewesen, daß er so häufig in mein Haus kam. Doch daß er mir mein Weib abwendig machen würde, dieser Schurke, habe ich nie gedacht, nie! Er war ja in letzter Zeit auch drüben in Ostpreußen. Erst vor ein paar Tagen kam er nach Knyschin zurück mit seinem Regiment. Viel war davon nicht mehr übrig. –
Und heute hatten wir nun wieder eine Besprechung bei dem Popen, zu der auch Graf Serchumow erscheinen wollte. Er kam aber nicht, schickte dafür drei von seinen Offizieren und dreißig Kosaken für diese als Schutz. Dann meldeten unsere Posten das Anrückenden Ihrer Ulanen. Nicht schnell genug konnten die Feiglinge fortkommen! Wir sollten erst feststellen, wie stark Ihre Abteilung war, Herr Leutnant, und sollten es dann so einrichten, daß wir den Feind teilten. Alles war also Komödie. Ich habe Sie absichtlich fortgelockt von Besno, damit der beabsichtigte Überfall besser glücken sollte, ich – ich jämmerlicher Narr! Und auch Sie wollte ich verraten, wollte bei unserer Ankunft auf dem Gut einen meiner Knechte ins nächste Dorf schicken, wo russische Dragoner liegen. –
Oh, aber alles soll anders kommen, Herr Leutnant. Jetzt bin ich sehr kuriert von meiner Russenfreundlichkeit, sehr –!“
Breslar blickte den Polen drohend an. Nur eines drängte sich ihm immer wieder auf, ein Gedanke: Seine Leute im Pfarrhaus in Besno sollten also tatsächlich überfallen werden.
„Herr,“ fuhr er Svarszinski an, „das sollen Sie mir teuer bezahlen! Standrechtlich erschießen lasse ich Sie, wenn auch nur einem meiner Ulanen in Besno ein Haar gekrümmt wird!“
Der Pole lächelte geringschätzig. „Ich fürchte den Tod nicht. Jedenfalls werde ich gutzumachen versuchen, was ich irgend kann. Der Angriff auf das Haus des Popen wird kaum vor der zweiten Morgenstunde erfolgen, da man erst noch Verstärkung heranziehen wollte. Die feigen Hunde von Kosaken wagen jar nur zu kämpfen, wenn zehn gegen einen sind. Und bis dahin können wir wieder in Besno sein. Ich bringe Sie zurück, und ich werde mit Ihnen kämpfen, so wahr ich ein Svarszinski bin!“
Kaum zehn Minuten später standen die Deutschen an der Hintertür des Gutshauses.
Durch einen teppichbelegten Flur ging es dann in einen Korridor – der nach rechts abbog. Auch hier lag ein dicker Läufer, der jedes Geräusch der schweren Reiterstiefel verschlang.
Und dann riß der Pole mit einem Ruck eine Tür auf. Hinter ihm drängten die Ulanen herein, die Karabiner in den Händen.
In dem Zimmer saß vor einem mit Weinflaschen bestellten Tisch in einem Sessel eine schlanke, dunkelhaarige Frau. Vor ihr aber kniete ein russischer Offizier, der jetzt den gespreizten Schenkeln seinen Kopf entriß, emporfuhr und ganz fassungslos die Eindringlinge anstarrte.
Ehe er noch Zeit fand sich zu fassen, drängte schon Breslar seine Leute bei Seite und trat dicht vor den Russen hin.
„Sie sind mein Gefangener! Folgen Sie mir!“ sagte er kurz, indem er einem der Ulanen einen Wink gab, der dann auch sofort den Säbel des Kosaken, der in einer Ecke stand, an sich nahm.
Svarszinski beachtete seinen treulosen Freund überhaupt nicht. Nur seinem Weib rief er ein paar Worte zu, die Breslar jedoch nicht verstand, da der Rittergutsbesitzer sich der polnischen Sprache bedient hatte.
So sehr der Leutnant dann auch zum Aufbruch drängte, getrieben von der Sorge um seine in Besno zurückgelassenen Männer, Svarszinski wußte ihn doch für seine Vorschläge zu gewinnen, deren Begründung Breslar als stichhaltig anerkennen mußte.
Es wurden nun zunächst der russische Oberst und das gewissenlose Weib von zwei Ulanen nach dem Gehölz geschafft, wo sie vorläufig streng bewacht werden sollten. Auch der Gutsbesitzer wurde dem inzwischen munter gewordenen Gesinde gegenüber zum Schein als Gefangener behandelt, und er selbst wußte ebenfalls meisterhaft die Rolle eines Gefangenen zu spielen, der nur unter dem Zwang einer auf ihn ständig gerichteten Pistolenmündung seinen Knechten die nötigen Befehle zum Anspannen dreier Wagen gab, auf die dann der versteckt gehaltene Hafer sowie eine ganze Menge von Lebensmitteln geladen wurden.
Das Gesinde, dem Svarszinski gleich zu Anfang erklärt hatte, daß er, seine Frau und der russische Offizier sofort ohne Gnade erschossen werden sollten, falls irgend ein Verrat vorkäme, arbeitete mit fieberhafter Hast, nur um die gefürchteten Lanzenreiter, von denen noch ein ganzer Trupp nach des Gutsherrn Aussage drüben im Wald hielt, schleunigst wieder loszuwerden.
In einer knappen halben Stunde war alles zum Aufbruch bereit. Die von je einem Mann gedeckten Wagen ratterten dann in die Nacht hinaus, nachdem Svarszinski, in getreuer Durchführung seiner Rolle als Gefangener, wortreich Abschied von seinem Gesinde genommen hatte.
Der Wagenzug, an dessen Spitze Breslar neben dem bekehrten ‚Deutschenfresser’ ritt, während der Oberst und die Frau Svarszinskis auf je einem der Gefährte hatten Platz nehmen müssen, wo sie am leichtesten zu bewachen waren, schlug sofort ein möglichst schnelles Tempo an. Soweit es der Weg erlaubte, wurde ohne Rücksicht auf die Zugpferde Trab gefahren, da man die Bespannung ja dank der mitgeführten anderen Gäule, falls nötig, wechseln konnte.
Die Deutschen hatten Glück. Eine volle Stunde dauerte nun bereits diese anstrengende Fahrt, ohne daß irgendein störender Zwischenfall eingetreten wäre.
Breslar schaute immer häufiger nach der Uhr. Die Ungeduld zerrte förmlich an seinen Nervensträngen. Wenn man nur erst am Ziel gewesen wäre! Seine Phantasie malte ihm allen möglichen Schreckensszenen aus. Wenn die Posten vor dem Pfarrhaus nicht achtgaben, wenn Unteroffizier Karweit allzu vertrauensselig war, so konnte die ganze Abteilung heimtückisch aufgerieben werden!
Endlich hatte man den Wald verlassen. Der Weg senkte sich jetzt. Und vor ihnen lag der weite, mit dichten Nebelmassen gefüllte Talkessel, in dessen Mitte das Dorf Besno sich hinzog. Nichts war davon zu erkennen, überhaupt nichts. Nicht einmal der Kirchturm hatte sich gegenüber diesen feuchten Dunstschleiern behaupten können. Auch ihn hatten sie verschluckt.
Hier, wo die Straße nur aus breiigem Lehm bestand, kam man nur schrittweise vorwärts. Weitere Schwierigkeit bot die Bewachung der beiden Gefangenen, die frierend auf den Hafersäcken hockten. Der Nebel machte es ja unmöglich, auch nur fünf Schritt weit ordentlich zu sehen. Da hieß es gehörig aufpassen, wenn man sie nicht noch zu guterletzt entschlüpfen lassen wollte.
Breslar ritt jetzt nicht mehr an der Spitze, sondern neben dem Wagen her, auf dem der Russe saß. Bisher hatte dieser noch nicht ein Wort mit dem deutschen Offizier gewechselt. Nun als der Leutnant ihn nach verborgenen Waffen durchsuchen ließ – tatsächlich trug er einen Revolver in der Tasche – hatte er irgendein Schimpfwort vor sich hingemurmelt, das Breslar jedoch absichtlich überhörte.
Dann plötzlich von vorn aus dem Nebelmeer der Klang mehrerer Schüsse. Eine Weile nichts. Wieder das Knattern, jetzt lebhafter, anhaltender. –
Sofort ließ der Leutnant halten. Auch Pan Svarszinski kam nun von vorn herbeigesprengt. Leise berieten sie miteinander. Der Pole schlug vor, die Wagen ein Stück ins freie Feld zu fahren und dort vorläufig stehen zu lassen.
„Ich übernehme es gern, die Gefangenen, die wir natürlich fesseln und knebeln müßten, zu überwachen,“ setzte er hinzu. „Am Kampf kann ich mich, waffenlos wie ich bin, doch nicht beteiligen. Ich hätte mir ein Jagdgewehr mitnehmen sollen. Zu spät – habe ich in der Eile vergessen.“
Breslar wollte jedoch davon nichts wissen, den Russen und die Frau zu binden und zu knebeln.
„Er ist Offizier, und sie eine Dame,“ sagte er. „Deutsche behandeln ihre Gefangenen nicht so, als wären es Straßenräuber. Wenn ich Ihnen noch einen meiner Ulanen dalasse, so wird schon nichts passieren.“
Damit war die Sache erledigt. Die Wagen wurden etwa hundert Meter abseits vom Weg ins Feld geleitet, und nachdem Breslar dann dem Polen noch seine Armeepistole ausgehängt und sowohl dem Weib als auf dem Russen klargemacht hatte, daß sie bei einem Fluchtversuch oder der Absicht, durch Rufen Hilfe herbeizulocken, sofort erschossen werden würden, sprengte er mit den ihm verbliebenen fünf Mann davon.
Inzwischen hatte das Feuergefecht da vorn an Lebhaftigkeit noch zugenommen. Unaufhörlich knatterten die Schüsse, bald nur einzeln hintereinander, bald wieder fast Salvenweise.
Ungehindert gelangte jedoch der Leutnant mit den Seinen bis in die Nähe der Kirche. Sie hatten denselben Feldweg benutzt, auf dem sie Besno beim Abmarsch nach Svarszinskowo verlassen hatten. Jetzt hörte man auch bereits das Pfeifen einiger verirrter Kugeln, und aus dem Schall der Schüsse war deutlich zu entnehmen, daß das Haus des Popen gleichzeitig von zwei Seiten, einmal von der Kirche, dann aber auch vom Garten her, angegriffen wurde. Ebenso klangen auch Zurufe und Kommandos in russischer Sprache aus nächster Nähe herüber. Vom Feind selbst war jedoch nichts zu sehen. Die graue Nebelflut verschlang alles. Die Kirche lag nun wie ein dunkler Fleck in den dunstigen Massen da.
Derselbe Mann namens Parlow, der schon einmal seinem Leutnant einen so brauchbaren Vorschlag im Garten von Svarszinskowo gemacht hatte, war es, dem auch jetzt ein glücklicher Gedanke kam.
„Herr Leutnant, wie wär’s, wenn wir heimlich die Nachbarhäuser rund um das Pfarrgebäude anzünden würden,“ meinte er bescheiden zu Breslar, der sich noch nicht schlüssig geworden war, wie er in den Kampf eingreifen könne. „Die Hauptsache ist doch, daß wir was sehen. Bei dem verd… Nebel weiß man ja kaum, ob man auf Freund oder Feind schießt,“ fügte er hinzu.
Der Offizier nickte zustimmend. „Sehr vernünftig, was Sie da sagen, Parlow! Reiten wir also ein Stück zurück und binden die Pferde in der leeren Scheune fest, die da drüben neben dem Weg steht. – Vorwärts!“
Eine Wache bei den Gäulen zurückzulassen ging nicht an. Breslar verfügte ja ohnehin nur über fünf Mann. Diese erhielten nun ihre besonderen Aufträge.
„Streichhölzer oder Feuerzeug hat doch wohl jeder bei sich, Kinder,“ meint der zum Schluß. „Gut – los denn also! Es ist völlig windstill, so daß wir nicht zu fürchten brauchen, unsere eigenen Kameraden auszuräuchern. Außerdem liegt das Pfarrhaus ja auch einige zwanzig Meter von den übrigen Gebäuden entfernt und hat ein Ziegeldach. Da kann also auch Funkenflug nicht viel schaden. Aber – laßt euch nicht kriegen, Kinder! Wie gesagt, macht euch an die Brennholzhaufen heran, die an der Rückseite all dieser elenden Baracken aufgeschichtet sind. So geht es sicher am schnellsten.“
Vier der Leute verschwanden. In Begleitung des fünften, eines etwas schwerfälligen Holsteiners, schlich dann auch Breslar in weitem Bogen nach Süden auf das Dorf zu, schlüpfte über die Dorfstraße und gelangte unbemerkt an das Haus des Dorfältesten. Dort lag auf dem Hof ein großer Heuhaufen, der ein vorzügliches Versteck bot. Denn Stimmen, die plötzlich laut wurden, warnten zunächst vor weiterem Vordringen.
Der Leutnant neben dem Holsteiner oben auf dem Heu liegend, lauschte angestrengt. –
Da – ohne Zweifel, das war die Stimme des Popen, der da eben ein paar Worte einem ebenso Unsichtbaren zubrüllte. Und dann tauchte plötzlich neben dem Heuhaufen die Gestalt eines Mannes auf, der sich nun bückte und einen Arm voll Heu zusammenraffte. Eine zweite Gestalt, die ein paar Scheite Holz trug, glitt vorüber wie ein Gespenst und verschwand in der Richtung nach dem Pfarrgebäude.
Blitzschnell reimte sich Breslar das Richtige zusammen. Man wollte irgend ein Feuer anzünden, vielleicht gar das Haus des Popen in Brand stecken, um die Deutschen daraus zu vertreiben.
Jetzt hatte der Mann genügend viel Heu aufgenommen, richtete sich wieder empor. Es war der Geistliche. Aber er kam nicht weit. Der Leutnant war hinter ihm von dem Haufen herabgeglitten. Der Pope drehte sich, durch das Geräusch aufmerksam gemacht, um. Schon öffnete er den Mund zu einem Schrei des Entsetzens, als Breslars Säbel ihm mit einem gut gezielten Hieb über die linke Schläfe fuhr. Er knickte zusammen, schlug lang in den Schmutz hin.
„Anfassen, Sörensen, schnell!“ befahl der Leutnant.
Sie schleppten den Bewußtlosen auf die Wiese und ließen ihn dort liegen.
Dann ging es zurück auf den Hof. Das Gewehrfeuer, das einen Moment verstummt war, begann von neuem. Kugeln pfiffen umher, wildes Rufen ertönte, – alles aus nächster Nähe, und doch blieben Freund und Feind unsichtbar, wie hinter einem grauen Vorhang. Es war etwas seltsam Unheimliches um diesen nächtlichen Kampf, dessen Einzelheiten die Nebelmassen verhüllten. Aber Breslar, dem nur einen Augenblick dieser Gedanke durch den Kopf gezuckt war, betrachtete diese Begleitumstände jetzt nur von der für ihn wie die Seinen günstigen Seite. Denn im Schutz dieser dichten Dunstschleier allein konnte das glücken, was sie beabsichtigten.
Er stand jetzt dicht neben dem Wohnhaus des Dorfältesten, hielt in der Hand das kleine Benzinfeuerzeug und wartete auf den Holsteiner, der dann auch sehr bald erschien und das herbeigeholte Heu unter den Stapel trockener Äste legte.
Ein feines Flämmchen zuckte auf, eine größere Flamme schoß empor, leckte höher und höher. Knisternd fingen die Zweige Feuer, puffend platzte die Rinde, krümmte sich, kam ins Glühen und lohte auf. Bis an das strohgedeckte Dach kletterten die Flammen bereits.
Vom Pfarrgebäude her ein wilder Schrei. –
„Zurück hinter den Heuhaufen, Sörensen. Und geben Sie mir Ihren Karabiner.“
Der Feuerschein durchdrang siegreich die Nebelschwaden. Vier, fünf Männer wurden sichtbar, die starr vor Schreck eine Weile regungslos in die Flammen blickten, deren Entstehung sie nicht begreifen konnten.
Breslar hob den Karabiner, ganz ruhig, – zog ihn fest in die Schulter ein.
Mit dem Knall des Schusses sank drüben eine der rotbeleuchteten Gestalten in sich zusammen.
Kammer aufreißen, wieder zuschieben, war eins. Ein zweiter Schuß, der ebenso gut traf. Da flüchteten die drei Überlebenden in das Dunkel zurück. –
Nicht alle – die dritte, halb auf gut Glück nachgeschickte Kugel riß noch einen nieder.
„Fort von hier, Sörensen. Das Feuer kriegen sie nicht mehr gelöscht,“ – flüsterte der Leutnant.
In langen Sprüngen gewannen sie die Wiese und eilten dann dem verabredeten Treffpunkt, der Scheune, wo die Pferde standen, zu.
Hier waren bereits auch die übrigen vier Ulanen wieder beisammen. Daß der Plan vollständig geglückt sei, brauchten sie nicht weiter zu melden. Der Augenschein zeigte es. An fünf Stellen waren jetzt in der grauen Nebelwand helle, rötliche Flecken sichtbar, die von Minute zu Minute an Umfang zunahmen.
Einige kurze Befehle gab der Leutnant noch, dann ging es mit einigen Schritten Abstand gerade auf die Kirche los. Dort, vor der Tür der niedrigen, angebauten Sakristei, drängte sich eine dunkle Masse. Jetzt erkannte Breslar auch einige Kosaken, die dabei standen.
„Abschießen die Kerle!“
Vier Schüsse genügten. Der Leutnant mit dem Säbel in der Faust stürmte vor. Ein paar Hiebe, und die Zügel der zehn Gäule waren durchschlagen; ein paar Kolbenstöße in die Weichen, und die kleinen, ruppigen Pferde jagten davon.
Breslar hatte schon einen der russischen Karabiner aufgehoben, dem Toten auch den Patronengurt geleert und die Patronen in die Tasche geschoben.
„Deckt euch, so gut es geht. Und dann Feuer, was nur aus den Läufen herauswill!
In der jetzt von roter Glut übergossenem Dorfstraße und auf dem freien Platz vor der Kirche eilten unter erschreckten Zurufen die Russen hin und her.
„Peng – peng!“ Immer aufs neue ertönte der harte, blecherne Klang der Karabiner.
Sörensen, der Holsteiner, lag neben Breslar hinter einem Haufen von Gras überwucherten Ziegeln, die wohl vom Bau des Pfarrhauses einmal übriggeblieben sein mochten.
„Brav, Sörensen,“ lobte der Leutnant. „Der steht nicht wieder auf.“ Dann riß er selbst den russischen Karabiner hoch. Ein Feuerstrahl fuhr aus der Mündung. –
„Auch erledigt! – Nun, auf dieser Seite werden wir bald Luft schaffen.“
Da sollte der gute Erfolg dieses unerwarteten Angriffs durch ein anderes Ereignis wieder in Frage gestellt werden. Von rückwärts, aus ziemlicher Entfernung, plötzlich der helle Knall mehrerer Schüsse, in die sich das tiefere Peng – Peng von Karabinern mischte.
Breslar, der gerade seinen fünf Mann den Befehl zum Vorstürmen in die Dorfgasse hatte geben wollen, lauschte in atemloser Spannung. Da hinter ihnen, in Richtung, wo die Wagen standen, das waren doch eben Schüsse aus der Armeepistole gewesen, ohne Frage! Der Klang war unverkennbar! Sollten etwa die Wagen entdeckt worden sein? –
Da – abermals ein heller Knall, dem sofort ein paar tiefere, Karabinerfeuer, folgten. –
Kein Zweifel dort ging irgend etwas vor.
„Zurück zu den Pferden – marsch marsch!“
Breslars scharfe Kommandostimme übertönte das Prasseln der Flammen, die jetzt bereits um die Giebel der ärmlichen Häuser leckten, übertönte auch das wüste Brüllen der Kosaken, die sich allerhand gute Ratschläge zuriefen und dazwischen aufs Geratewohl nach den unsichtbaren Angreifern feuerten.
An der leeren Scheune angelangt, wurden die Pferde in wilder Hast herausgeholt, und dann ging es im Galopp den Feldweg zurück nach dorthin, wo noch immer in kurzen Zwischenräumen das harte Knallen der Karabiner hörbar wurde.
Und nicht eine Minute zu früh kam für Pan Svarszinski und den gleichfalls bei den Wagen zurückgelassenen Ulanen die Hilfe. Bis auf wenige Schritte hatten sich bereits einige zehn Kosaken herangeschlichen. Wie ein Ungewitter fuhren nun die deutschen Reiter dazwischen, allen voraus Childerich von Breslar, dessen jauchzendes, übermütiges ‚Hurrah’ wie ein Trompetenton klang. Ein kurzer Kampf Mann gegen Mann, und die Feinde, die von ihren Gäulen gestiegen waren, um sich besser anschleichen zu können, suchten ihr Heil in der Flucht. Nicht einer entkam. Auch hier wieder bewies die Lanze sich als mörderische Waffe. Breslar hatte zudem noch das Glück, beim Verfolgen eines Gegners auf die unter Bewachung eines Kosaken zurückgebliebenen Pferde zu stoßen. Der Russe schoß, traf aber nicht. Da saß ihm schon des Leutnants Säbelklinge im Schädel.
Wenige Minuten später fand sich alles wieder bei den Wagen zusammen. Der Sieg war mit geringen Opfern auf deutscher Seite erkauft. Nur Sörensen, der phlegmatische Holsteiner, hatte einen Streifschuß über die rechte Wade bekommen – eine Wunde, kaum der Rede wert.
Schlimmer sah es mit dem Polen aus. Der saß auf der Erde, gegen eines der Vorderräder des mittelsten Wagens gelehnt und schaute jetzt den neben ihm knienden Leutnant mit einem eigentümlichen Lächeln, das sein bleiches Gesicht zu einer förmlichen Fratze verzerrte, an.
„Sie sind verwundet?“ fragte Breslar teilnehmend. „Wo – zeigen Sie her. Ich habe Verbandszeug bei mir.“
Doch Pan Svarszinski schüttelte den Kopf.
„Das – dürfte nichts – mehr helfen,“ sagte er stoßweise. „Von der Seite durch die Brust geschossen. – Ich schmecke – schon das Blut – im Mund. – Mir wird schwarz – vor – den Augen.“ –
Sein Körper sank immer mehr zusammen. Breslar legte den Arm um den Rücken des Todwunden und stützte ihn.
„Ich sterbe – für – die deutsche Sache,“ flüsterte der Pole wieder. „Der deutsche Kaiser – wird sein Wort – halten. Es wird – ein neues Königreich – Polen geben – Deutschland wird siegen – siegen!“
Der Kopf fiel zur Seite. Schwer lastete der Oberkörper in des Leutnants Armen.
Pan Svarszinski war nicht mehr. – –
Langsam ließ Breslar die Leiche zu Boden sinken.
„Er hat wirklich gutgemacht, was er gegen uns fehlte,“ sagte er leise und erhob sich. „Doch nun – die Pflicht ruft.“
Erst jetzt dachte er an die Gefangenen. Eine kurze Frage noch an den Mann, der hier mit dem Polen zusammen den Wächter gespielt hatte.
Der Ulan führte seinen Leutnant schweigend zum letzten der Wagen, der ein Stück abseits stand. Da lagen nebeneinander der Kosakenoberst und die dunkelhaarige Frau, reglos, kalt und tot.
„Es war ihre eigene Schuld,“ erklärte der Mann. „Wir hörten mit einemmal auf dem Weg Pferdegetrappel und Stimmen. Diese Gelegenheit machte sich der russische Offizier zu Nutze. Ganz unerwartet stieß er einen gellenden Hilferuf aus und stürzte sich auf den Polen. Der aber war auf seiner Hut. Na – so ist es eben gekommen.“
„Und die Frau?“ fragte der Leutnant leise.
„Die versuchte zu entfliehen. Aber die Kugel war schneller, und Pan Svarszinski muß ein vorzüglicher Schütze auch mit der Pistole gewesen sein. Dann hatten wir die Kosaken auf dem Hals. Wären Herr Leutnant später erschienen, hätte ich wohl auch meinen Teil weggehabt.“
„Deckt die Leichen mit irgend etwas zu,“ befahl Breslar den Seinen. Ihm, dem der Tod nichts Neues mehr war, ihn graute vor diesen starren Körpern, an denen sich die Vergeltung so schnell vollzogen hatte.
Und dann ging es wieder im Galopp der Kirche zu. Dort war es merkwürdigerweise ganz still geworden. Das Knattern der Schüsse hatte vollständig aufgehört. Nur die Flammen, die gierig an dem Dachgebälk und der Stroheindeckung der Häuser weiterfraßen, prasselten und zischten. Taghell war jetzt die nächste Umgebung des Gotteshauses und des Pfarrgebäudes erleuchtet. Aber vom Feind ließ sich niemand mehr blicken.
Sorglos ritt Breslar, von den Flammen hell beschienen, bis dicht an den Vorgarten des Pfarrhauses heran.
Dann eine Stimme aus einem der oberen Fenster:
„Gott sei Dank, Herr Leutnant! Wir haben hier schöne Angst ausgestanden, daß Herr Leutnant in einen Hinterhalt gelockt sein könnten. Erst als wir drüben an der Kirche die Schüsse hörten, atmeten wir auf.“
Der Sprecher war Unteroffizier Karweit.
„Die Bande scheint abgezogen zu sein,“ meinte Breslar. „Wir haben ihnen ja auch ganz schön heimgeleuchtet. Da links liegen allein sechs mitten in der Dorfstraße.“
Inzwischen war die Haustür aufgeschlossen worden, und Breslar betrat nun das Zimmer links vom Flur, in dem die erste Begegnung mit dem Popen und den beiden Gutsbesitzern stattgefunden hatte.
Wie sah es jetzt aber in diesem Raum aus, der noch vor wenigen Stunden einen immerhin ganz wohnlichen Eindruck gemacht hatte. Die Bilder an den Wänden, eine der billigen großen Tonvasen auf dem Schrank waren von Kugeln, die durch die Fenster gekommen sein mußten, zertrümmert worden. Auch zwischen den Weinflaschen auf dem Tisch hatte ein Geschoß arge Verwüstungen angerichtet. In großen Lachen bedeckte der Wein den Fußboden. Und die Stiefel der Männer hatten die Nässe hierhin und dorthin getragen. Selbst der Kachelofen in der Ecke wies Kugelspuren auf. Flache Stücke waren von der Glasur abgeplatzt und ebenfalls zertreten worden.
Und dann – Breslar mußte genauer hinsehen, ehe er dieses wutverzerrte Totenantlitz erkannte – dann erblickte er auf dem Sofa die Gestalt des Gutsbesitzers Kasimir von Bielotzki. In der Stirn des Toten, fast genau in der Mitte, zeichnete sich ein blutiger Fleck ab.
„Von meinem Revolver,“ sagte eine harte Stimme hinter Breslar. Unteroffizier Karweit war es. Und seine Hand deutete auf die Stelle, wo die Kugel eingedrungen war.
„Erzählen Sie, was inzwischen hier vorgefallen ist,“ sagte der Leutnant, indem er sich schwer in einen Stuhl fallen ließ. Erst jetzt merkte er, wie zerschlagen er war, jetzt wo die Anspannung der Nerven nachzulassen begann.
„Das ist schnell berichtet, Herr Leutnant,“ meinte Karweit. „Unsere beiden Gefangenen saßen dort auf dem Sofa und unterhielten sich so eine halbe Stunde mit mir. Dann fingen sie an zu gähnen und schliefen – scheinbar, wie sich bald herausstellte – ein. Da ging ich denn auch hinaus, um nochmals die Posten zu revidieren. Als ich zurückkam, legte ich mich dort im Eßzimmer auf das Strohlager, das ich mir von der Wirtin hatte zurechtmachen lassen. Die Tür zwischen beiden Räumen stand offen, und hier auf dem Spindchen stand die brennende Lampe, so daß der Pirwas, der bis zwei Uhr bei den Gefangenen wachen sollte, alles gut übersehen konnte. Ich hielt mich noch eine Weile munter, da mir die Geschichte noch immer nicht recht geheuer vorkam. Schließlich muß ich dann doch wohl eingeschlafen sein, jedenfalls erwachte ich plötzlich über einem dumpfen Krach im Nebenzimmer, sah dann noch einen Menschen – es war der Pope – an mir vorbei und durch die Tür nach dem Hof davonrennen. Da war ich schnell munter geworden, riß meinen Revolver hervor und sprang ins Vorderzimmer, wo der da –“ – er zeigte auf den Toten – „gerade mit dem Pirwas rang, über den die beiden Halunken urplötzlich hergefallen waren. Na – der Pirwas schüttelte den Kerl endlich von sich ab, so daß ich Gelegenheit hatte, meine Kugel anzubringen. Und dann ging draußen auch schon das Geknatter los. Nun – geschadet hat uns die Bande nicht viel. Nur der Michalek hat eine Kugel im Schenkel.“
Breslar ließ jetzt zunächst die Leiche auf den Hof hinausbringen und schickte dann ein paar Mann nach der Wiese hinter dem Haus des Dorfältesten, um den Popen herbeischaffen zu lassen. Der aber war verschwunden. Offenbar hatten die Kosaken den Schwerverwundeten mitgenommen.
Dann wurde, nachdem Patrouillen festgestellt hatten, daß der Feind tatsächlich abgezogen war, schleunigst der Rückmarsch nach Preszinice angetreten, wo man ohne weitere Zwischenfälle gegen acht Uhr morgens eintraf.
Der Einzug der drei mit Hafer und Proviant vollbepackten Wagen wurde allseits mit jubelnder Freude begrüßt. Der Brigadekommandeur drückte Breslar kräftig die Hand, nachdem dieser über die russischen Truppenaufstellungen alles das berichtet hatte, was Pan Svarszinski ihm mitzuteilen gewußt hatte.
„Das Eiserne Kreuz ist Ihnen sicher, Herr Leutnant,“ sagte der General freundlich.
Breslar sorgte dann auch dafür, daß sowohl Unteroffizier Karweit, als auch der Gefreite und einige der Leute, die sich besonders hervorgetan hatten, dieselbe Kriegsdekoration erhielten.