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An Bord des „King Edward“

 

 

Das Eiserne Kreuz

 

An Bord des ‚King Edward’

 

Von W. Belka.

 

Auf der Terasse des Hotels ‚Exzelsior’ in Ladikieh, einer kleinen Hafenstadt im nördlichen Palästina, saß eine englische Touristengesellschaft von etwa fünfzehn Personen an einigen zusammengestellten Tischen beieinander und besprach in nur mühsam verhehlter Erregung die Notiz der einzig in Ladikieh erscheinenden Zeitung, in der von dem Überfall der russischen Schwarzmeerflotte auf den türkischen Kreuzer vor den Dardanellen die Rede war.

Dieses Telegramm, das nur vier Zeilen lang war, bedeutete ja – das mußte jeder Einsichtsvolle ohne weiteres erkennen, für die Türkei und damit die ganze Welt den Auftakt neuer, in ihrer Tragweite noch gar nicht zu überschauenden Ereignisse.

Bauwerley, der mit seiner spindeldürren Gattin und der nicht minder reizlosen, sommersprossigen Tocher sich in diesem Jahr und zwar ausgerechnet Ende Juli, also kurz vor Ausbruch des großen Völkerringens, zum erstenmal zu einer dreimonatigen Erholungsreise entschlossen und den Plan dann auch sofort ausgeführt hatte, sagte jetzt zu seinem neuen Bekannten, den man in Jerusalem kennen gelernt und als echten Gesinnungsgenossen schnell für die weitere Tour mit Beschlag belegt hatte:

„Sarrister, hätte ich nur nicht auf meine Damen gehört! Ich war ja gleich der Ansicht, als uns in Kairo die Nachricht vom Kriegsausbruch überraschte, daß man auf kürzestem Weg nach Hause zurückkehren müsse. Aber – tun Sie was gegen zwei Weiber, die der Orient mit seinem bunten Flitterkram und dem scheußlichen Schmutz rein aus dem Häuschen gebracht hat.“ James Bauwerley lachte bitter auf. „Von Friedensaussichten keine Spur, im Gegenteil, – jetzt mischt sich noch die Türkei ein, und wir, – wir werden vielleicht hier gewaltsam festgehalten und sehen Old England so bald nicht wieder.“

Artur Sarrister nickte trübe vor sich hin. Und ebenso ernst schauten die übrigen Mitglieder der Reisegesellschaft darein, die eigentlich beabsichtigt hatten, nach dem dreitägigen Kamelritt durch die syrische Wüste sich hier von den überstandenen Strapazen erst einmal ordentlich zu erholen. Ein Vergnügen war dieser Ritt auf den schaukelnden hochbeinigen Dromedaren ja wahrlich nicht gewesen.

Neben der strohblonden, sommersprossigen Glane Bauwerley saß ein schlanker Engländer mit braungebranntem Gesicht, der sich der Gesellschaft erst in Damaskus angeschlossen hatte und Reisender einer Londoner Maschinenfabrik war, obwohl er, wie Bauwerley bald festgestellt hatte, von der Lage des Eisenmarktes und den Börsennotierungen für Stahl und andere einschlägige Artikel nur eine recht bescheidene Ahnung besaß.

Howard Tompsen sagte jetzt in seiner ruhigen Art zu dem Fabrikanten:

„Der ‚King Edward’ drüben“, – er zeigte dabei auf den kleinen, verwahrlosten Hafen von Ladikieh, wo an der südlichen Mole ein ziemlich großer Dampfer lag – „geht heute abend ein halb neun Uhr nach Ostende ab. Plätze für uns werden wohl noch vorhanden sein, obwohl der ‚King Edward’ mehr Fracht- als Personenschiff ist, und die Kabinenplätze stets sehr vergriffen sind. Ich weiß das von meinen Geschäftsreisen her.“

Bauwerley starrte mit seinen farblosen Augen Tompsen ganz glücksstrahlend an.

„’s ist klar, wir fahren mit dem Steamer! Werde sofort nachfragen, wo es die Schiffskarten gibt. Kommen Sie, Tompsen, helfen Sie mir. Sie kennen die Verhältnisse hier ja am besten.“

Der kleine vertrocknete Webereibesitzer hatte schon nach seinem Strohhut gegriffen und war aufgestanden.

Aber Tompsen rührte sich nicht. Er sog mit Hilfe des Strohhalmes erst seine Eislimonade aus und sagte dann gleichgültig:

„Fahrkarten gibt es hier im Hotel. Der Portier besorgt sie. Ich habe mir schon eine Kabine auf Deck belegen lassen.“

„Sie haben schon –? Wie das? Gestern Abend bei unserer Ankunft hier waren Sie doch noch fest entschlossen, uns bis Iskanderun und von da weiter bis Aleppo zu begleiten! Und nun plötzlich dieser Wechsel Ihrer Absichten?“

Bauwerley hatte das alles fast argwöhnisch hervorgestoßen. Es ärgerte ihn, daß dieser junge Mensch es nicht einmal für nötig befunden hatte, ihn gleich heute morgen beim ersten Frühstück von seinen veränderten Plänen zu benachrichtigen. Und den Kabinenplatz hatte Tompsen sich doch schon in aller Frühe besorgen lassen, da man nun schon drei Stunden lang beisammen saß, ohne daß der Maschinenreisende sich auch nur für eine Minute von der Gesellschaft getrennt hätte.

Howard Tompsen besaß ohne Zweifel eine große Geschicklichkeit darin, ihm unbequeme Fragen einfach zu überhören. So sagte er denn auch jetzt nur achselzuckend:

„Ich habe mir die Sache eben anders überlegt, Master Bauwerley. Im übrigen würde ich Ihnen raten, recht bald den Portier zu beauftragen. Mehr wie vierzig Kabinenplätze hat der ‚King Edward’ nicht, und zufällig weiß ich genau, daß eine Anzahl von schweizer Ingenieuren, die bisher beim Bau der Bagdadbahn beschäftigt waren, den Steamer gleichfalls zur Heimkehr benützen will. Es dürfte also ziemlich voll auf dem Schiff werden.“

Der Fabrikant eilte schon davon, stolperte über einen der Bastteppiche, mit denen die Terrasse belegt war, fluchte laut und verschwand im Hoteleingang.

Glane Bauwerley wandte jetzt ihr nichtssagendes Gesicht, das durch eine den Schläfen anliegende Scheitelfrisur noch reizloserer wirkte, ihrem Nachbar zu.

„Master Tomsen, dann ist wohl auch der Herr mit dem Monokel, der vorhin an jenem Tisch saß, einer von den Ingenieuren gewesen, nicht wahr?“

„Sah Ihnen der wie ein Schweizer aus?“ antwortete der Maschinenreisende mit einer Gegenfrage.

„Schweizer? – Kenne ich nicht. Papa reist zum erstenmal mit uns. Er wollte erst die Million voll haben, bevor er sich und uns was gönnte,“ erwiderte die magere Glane ehrlich.

„Dann kennen Sie auch sicher keine deutschen Offiziere,“ meinte Tompsen leise. „Nun der Herr da drüben hat sich zwar als Wilhelm Uetzli aus Basel hier ins Fremdenbuch eingeschrieben und nennt sich auch Ingenieur, ob er das aber in Wahrheit ist, bezweifle ich stark. Doch – dies behalten Sie bitte für sich, Miß Glane. Die Sache ist ja auch ohne jede Bedeutung.“

Miß Glane’s strohblonder Kopf war nicht intelligent genug, um den etwas auffallenden Gegensatz aus Tompsens Worten herauszufinden. So sagte die junge Engländerin denn lediglich:

„Eine Erscheinung, die aufhält, dieser Herr mit dem Einglas.“ Und dann kam ihr ein geistreicher Einfall. „Oh, Master Tompsen,“ fuhr sie schnell fort. „Ein deutscher Offizier? Wie soll er jetzt hierher kommen, wo doch Deutschland Krieg führt? Sie müssen sich irren.“

Tompsen nickte. „Da haben Sie ganz recht, Miß Glane. Daran dachte ich nicht.“ Und dann sprach er von etwas anderem.

Bald darauf kehrte Mister Bauwerley ganz vergnügt zurück. „Wir finden alle noch Platz,“ erklärte er. „Der Portier muß nur die Namen jedes Passagiers notieren. Wer also mit will, mag sich bei ihm sofort melden.“

Alles erhob sich und strömte nach der Vorhalle, um sich bestimmt eine Fahrkarte zu sichern. Nur Howard Tompsen, der um den Hals an einem Lederriemen ein Fernglas ständig mit sich führte, war sitzen geblieben. Bauwerley leistete ihm Gesellschaft.

Der Maschinenreisende hatte sein Glas aus dem Futteral genommen und schaute nun, ohne sich um des Fabrikanten Gegenwart weiter zu kümmern, nach der etwa zweihundert Meter entfernten Hafenmole hinüber, in deren Nähe noch die Ruinen eines alten Kastells aus der Römerzeit in die jetzt von einer kräftig warmen Sonne durchstrahlte Luft emporragten und dem Gesamtbild dieses trotz der Palmengruppen und trotz des leuchtenden, zartblauen Spiegels des mittelländischen Meeres recht eintönigen Gestades etwas romantisches verliehen.

Bauwerley, von Natur ein Schwätzer trotz seines echten Britencharakters, wurde das Schweigen bald lästig.

„Was haben Sie denn da nur so interessantes zu sehen, Tompsen? Die Horde der schmutzigen Hafenarbeiter mit ihren recht mangelhaft bekleideten Körpern dürfte Ihnen doch nichts neues sein!“ meinte er leicht gereizt.

Howard Tompsen murmelte jetzt irgendetwas vor sich hin, das wie eine Verwünschung klang. Dann ließ er das Glas sinken, schraubte es zusammen und schob es in das Futteral zurück.

„Auf Wiedersehen,“ sagte er nur, und schon eilte er die wenigen Stufen zu den verkümmerten Gartenanlagen hinab, die das Hotel von der Straße abgegrenzten. Bauwerley sah noch, wie er in der Tür des nahen englischen Konsulats verschwand.

Der englische Berufskonsul von Ladikieh, ein Herr, der kaum älter als Tompsen selbst war, empfing diesen mit einer Liebenswürdigkeit, die auf eine längere Bekanntschaft schließen ließ.

Die Unterredung zwischen den beiden Vertretern des britischen Weltreichs wurde im vorsichtig gedämpftem Ton geführt.

„Ich bin fest überzeugt, daß er ein deutscher Offizier ist, der sich hier in Syrien in besonderer Mission aufgehalten hat,“ sagte Tompsen jetzt. „Wir müssen uns über diesen Punkt unbedingt Klarheit verschaffen. Vielleicht gelingt es, ihm wichtige Papiere abzunehmen, falls er eben der ist, für den ich ihn halte. Wir stehen dich vor einem Krieg mit der Türkei, der ja ohnehin nur eine Frage der Zeit war. Deutschland hat hier überall seit langem seine militärischen Agenden in Bereitschaft, um den Feldzug sofort mit gehörigem Nachdruck einleiten zu können. Der Mann muß also unschädlich gemacht werden.“

Der Konsul lächelte kalt. „In einer Stunde wissen wir bestimmt, mit wem wir es zu tun haben. Verlassen Sie sich darauf.“

Beide Herren begaben sich wenige Minuten später zu der türkischen Hafenpolizeiwache, die zwischen den Lagerspeichern einer Hamburger Firma in einer recht baufälligen Baracke untergebracht war.

Der Polizeimeister hörte den Konsul ziemlich gleichgültig an. Dann fragte er, auf Tompsen deutend:

„Also dies ist der Herr, dem der schweizer Untertanen Wilhelm Uetzli hier im ‚Exzelsior-Hotel’ wichtige Briefschaften und Papiergeld gestohlen haben soll? – So – gut. – Und welche Beweise haben Sie, Herr Konsul?“

Der Konsul blickte den dicken Armenier, der noch vor kurzem vor ihm nicht genug hatte dienern können, und der ihm jetzt so wenig respektvoll begegnete, drohend an.

„Die Beweise werde ich dem zuständigen Polizeiobersten in Beirut melden. Jedenfalls verlange ich, daß der Verdächtige sofort verhaftet und zum Verhör in das Konsulatsgebäude gebracht wird.“

Der Armenier ließ sich heute jedoch durch diese drohende Sprache keineswegs einschüchtern.

„Ich werde mich mit dem Major in Verbindung setzen,“ meinte er, wieder nach seiner Pfeife greifend und diese durch einen Fidibus in Brand setzend.

„Der Major hat mit dieser Sache als Kommandeur des hier liegenden Linien-Bataillons nichts zu tun,“ schnaubte der Konsul. „Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihre Stelle verlieren. Sie scheinen nicht zu wissen, mit wem –“

Der dicke Polizeimeister grinste so unverhohlen, daß der Konsul den Satz vor innerer Wut nicht beenden konnte.

„Major Dscheval-Bei hat heute morgen auf telegraphische Ordre von Beirut aus auch die Polizeigewalt in Händen,“ erklärte der Armenier dann, indem er immer zwischen drei Worten einen Zug aus der Pfeife tat. „Wenden Sie sich also an ihn. Er ist zufällig nebenan im Bureau.“

„Rufen Sie ihn her!“ sagte der Konsul, beinahe zitternd vor Grimm, zu dem Armenier, der sich schon wieder über ein Schriftstück gebeugt hatte.

„Sie sehen, ich bin beschäftigt, Herr Konsul –“ Damit nahm der Polizeimeister seine Feder zur Hand und begann zu schreiben. Die Vertreter Englands aber zogen es vor, sich selbst zu Major Dschval-Bei hinüber zu bemühen.

Dieser empfing die beiden Briten vielleicht noch kühler, wenn auch mit mehr Wahrung der Höflichkeitsformen als der dicke Armenier.

Nachdem der Konsul sein Anliegen vorgebracht hatte, schüttelte der Major bedauernd den Kopf.

„Ich müßte sehr schwerwiegende Beweise vorgelegt erhalten, um Schritte gegen den betreffenden Herrn zu unternehmen,“ meinte er. „Da Sie, Herr Konsul, sich nun weigern, mir diese Beweise zu nennen, so sehe ich mich außer Stande in dieser Sache etwas zu tun.“

Das alles klang so frostig, daß der Konsul sehr wohl merkte, wie gering seine Aussichten auch hier an dieser Stelle waren.

Ein letztes versuchte er noch. Mit einer Stimme, die ebenso drohend wie selbstbewußt klang, sagte er:

„Nun, dann sehe ich mich genötigt, den Betreffenden durch meine Konsulatswache festnehmen zu lassen. Diesen Schritt werde ich zu verantworten wissen.“

Der Major, ein kleiner, beweglicher Herr, lächelte jetzt ebenso offensichtlich ironisch wie dies vorhin schon der Polizeimeister getan hatte.

„Festnehmen lassen? Sie, Herr Konsul, wollen das hier auf türkischem Grund und Boden, entgegen allen Bestimmungen des Völkerrechtes wagen? – Sie scherzen wohl! Oder wollen Sie es darauf ankommen lassen, daß ich ein solches Eingreifen in die Souveränitätsrechte der Türkei mit Waffengewalt verhindere? Wohl kaum. –

Nicht wahr, die Sache ist nun erledigt. Guten Morgen, meine Herren. Es war mir eine Freude, Sie so wohl und munter zu sehen.“

Diese letztere, an sich ganz gewöhnliche türkische Höflichkeitsredensart klang in diesem Augenblick, völlig unbeabsichtigt allerdings, wie der reinste Hohn. Und ohne Gruß verschwanden die beiden Engländer denn auch – das klügste, was sie tun konnten.

In einiger Entfernung von der Polizeiwache blieb der Konsul stehen.

„Merken Sie etwas, Tompsen!“ preßte er zwischen den Zähnen hervor. „Das türkische Selbstgefühl regt sich. Bis vor kurzem kroch man noch im Staub vor uns. Heute haben wir – vorläufig! – ausgespielt. Deutschlands Einfluß macht sich geltend, wie überall im Orient, so auch in diesem elenden Hafennest. Wetten, daß auch England mit der Türkei in kürzester Zeit im Krieg steht? Die Anzeichen da eben bei der Polizei waren mehr wie vielsagend!“

Tompsen zog verächtlich die Lippen hoch. „Wozu die Aufregung? Der ‚King Edward’ ist ein englisches Schiff, also englisches Hoheitsgebiet. Und der Mann mit dem Monokel hat seine Kabine neben der meinigen.“

Der Konsul blickte seinen Landsmann beinahe ehrerbietig an.

„Sie finden doch stets noch einen Ausweg, Tompsen! Na – viel Glück jedenfalls, Master Wilhelm Uetzli! Uns entgeht so leicht keiner, den wir fassen wollen, uns Engländern!“

* * *

Zu derselben Zeit, als Howard Tompsen von der Terrasse des ‚Exzelsior-Hotels’ aus mit seinem Krimstecher so eifrig nach der Hafenmole hinübergeschaut hatte, war dort der den würdigen Vertretern Old Englands so hochinteressante Herr mit dem Einglas vor der Anlegestelle des ‚King Edward’ scheinbar unabsichtlich eine ganze Weile auf und ab geschlendert.

Wilhelm Uetzli, eine schlanke, kräftige Erscheinung, machte trotz seines einfachen, aber tadellos sitzenden hellgrauen Anzuges und der gleichfarbigen, nachlässig über den Kopf gezogenen Reisemütze einen durchweg vornehmen Eindruck. Sein von der Sonne braun gebranntes Gesicht mit dem kleinen, dunklen Schnurrbärtchen auf der Oberlippe verriet besonders in dem Bau der Kinnpartie und dem Ausdruck der lebhaften, scharf blickenden Augen einen energischen, zielbewußten Charakter – Eigenschaften, die er jedoch durch eine gelangweilte Miene und durch eine schlaffe Gangart und Haltung offenbar mit voller Absicht zu verbergen suchte.

Eine Anzahl von eingeborenen Hafenarbeitern, unterstützt von den Matrosen des ‚King Edward’, war gerade dabei, eine Menge längliche Kisten, die sämtlich in schwarz den Aufdruck ‚Engl. Konsulat’ zeigten, mit Hilfe der Dampfwinde dem Riesenleib des noch ziemlich neuen Schiffes zuzuführen.

Dieses gewiß recht alltägliche Schauspiel schien den schweizer Ingenieur ganz ungemein zu fesseln, und erst als auch die letzte der Kisten, die nach ihrem Aufdruck zollfreies Gut des englischen Konsulats darstellten, im Bauch des Dampfers untergebracht war, ging er von dannen und zwar den Ruinen des alten Römerkastells zu.

Merkwürdig war nur, daß dem Ingenieur unauffällig ein junger, blonder Mensch folgte, der vorher auf einem Haufen Balken an der Mole gesessen und behaglich sein kurzes Pfeifchen geraucht hatte.

Die beiden trafen dann an einer Stelle der Ruinen zusammen, wo sie von der Stadt aus nicht beobachtet werden konnten.

In der Art, wie jetzt der blonde, in einen vertragenen Anzug gekleidete Mensch mit dem Ingenieur sprach, lag so viel Respektvolles, Diensteifriges, wie man dies nur im Verkehr zwischen militärischen Vorgesetzten und Untergegebenen zu finden pflegt.

„Du hast also mitgezählt, Karl? Zweiundsechzig Kisten meinst du waren es?“ fragte der Herr mit dem Monokel jetzt eifrig in deutscher Sprache.

„Zweiundsechzig – nicht mehr, nicht weniger.“

„Dann sind’s auch ohne Frage dieselben, von denen unser hiesiger Agent vor einem halben Jahr schrieb,“ meinte der Ingenieur mit einem zufriedenen Lächeln. „Die Geschichte ist sonnenklar. Die Engländer befürchten eben, daß ihre harmlosen Konsulatsgüter, die bisher hier im Keller ihrer Niederlassung wohlverpackt gelegen haben, von der Türkei beschlagnahmt werden könnten. – Nun – wenn auch Major Dscheval-Bei es abgelehnt hat, in diesem Fall einzugreifen, um nicht zu verraten, wie gut wir über alle Vorgänge hier unterrichtet sind, so wird sich doch vielleicht noch Gelegenheit bieten, diese Ladung in Athen als Kriegskonterbande anhalten zu lassen. Obwohl ja leider die Herren Griechen nur allzusehr unter englischem Einfluß stehen. Aber trotzdem dürfte der türkische Gesandte in Athen etwas erreichen, wenn er sich darauf beruft, daß die Kisten völkerrechtswidrig unter falscher Signatur aus Ladikieh ausgeführt wurden. Diesen Tatsachen gegenüber können sich auch die Griechen nicht mit allerlei faulen Ausreden herauszuwinden suchen. –

So, Karl, und nun kehren wir beide auf verschiedenen Wegen nach der Stadt zurück. Um drei Uhr nachmittags findest du dich dann auf dem Dampfer ein, wo wir uns natürlich nicht kennen. Muß ich dich sprechen, so werde ich dir schon einen heimlichen Wink geben. –

Auf Wiedersehen, also –“

* * *

Nachmittags fünf Uhr kamen die letzten Passagiere an Bord. Und schon eine halbe Stunde später lichtete der ‚King Edward’ die Anker, ließ die Trossen von den Molenpfählen losmachen und dampfte langsam zum Hafen hinaus unter dem üblichen Heulsignal seiner Sirene. Das Schiff schien es mit einem Mal mächtig eilig zu haben, dem Gestade der syrischen Küste den Rücken zu kehren. Um ganze vier Stunden früher als ursprünglich vorgesehen trat er die Reise an. Das mußte natürlich seinen besonderen Grund haben. Aber Kapitän Wolster, ein richtiger vertrockneter Vollblutengländer mit glattrasiertem Gesicht, wollte offenbar mit der Wahrheit nicht recht heraus, als ihn dann bei der Abendtafel in dem nicht übermäßig eleganten Speisesaal die blonde Glane Bauwerley fragte, weshalb der Dampfer denn schon so früh Ladikieh verlassen habe.

„Oh, Miß Bauwerley, was sollten wir noch in dem Nest, nachdem wir Ladung und Passagiere vollzählig an Bord hatten,“ fragte er gemütlich. „So ein Dampfer frißt jede Stunde, wo er unter Dampf liegt, für einige zehn Pfund Sterling Kohlen. Und diese unnütze Ausgab wollte ich sparen.“

Die Unterhaltung wurde bei Tisch in englischer Sprache geführt. Auch die acht Ingenieure, alles kräftige, sonnverbrannte Gestalten mit tadellosen Manieren, beherrschten das Englische vollkommen, beteiligten sich aber im allgemeinen wenig an dem Gespräch der übrigen Passagiere, eine Zurückhaltung und Schweigsamkeit, die man ihrem Nationalcharakter, der ja als ernst und ruhig bekannt ist, zugute rechnete. Freilich, der Webereibesitzer hätte zu gern so einiges über die Aussichten der Bagdadband erfahren, sah aber bald ein, daß die Ingenieure sich selbst von ihm keinerlei Geheimnisse geschäftlicher Natur entlocken ließen.

Glane Bauwerley war stark enttäuscht, als der Platz an der Tafel ihr gegenüber frei blieb. Dort lag nämlich eine Karte mit der Aufschrift ‚Wilhelm Uetzli’. Doch der Inhaber des Sessels erschien nicht.

Wilhelm Uetzli hatte absichtlich gewartet, bis die Stewards die Passagiere erster Kajüte mit ihren schrillen Klingeln zur Tafel riefen, und war dann, nachdem das Promenadendeck sich geleert hatte, auf das Vorschiff geschlendert, wo die Zwischendeckspassagiere und die der zweiten Kajüte noch an der Reling in Gruppen beieinander standen und das köstliche Schauspiel einer nächtlichen Fahrt über das Mittelmeer genossen.

Achtlos hatte Uetzli sich zwischen diesen, meist schweigend und andächtig in die dunkle Ferne schauenden Menschen möglichst unauffällig hindurchgewunden. Für ihn war dieses bunte Bild nichts Neues mehr. –

Dann ein kaum merklicher Wink mit den Augen, und Karl kam langsam hinter ihm dreingeschlendert.

Dicht an der Treppe, die zum Oberdeck führte, fanden sie noch ein einsames Plätzchen. Vorsichtig schaute der Ingenieur sich um, bevor er dann dem jungen Menschen schnell eine dicke Brieftasche reichte.

„Hier – verbirg sie irgendwo an deinem Körper,“ flüsterte Uetzli. „Aber laß sie auch nicht einen Moment aus den Händen. Sie enthält alle wichtigen Papiere. Sollte mir etwas zustoßen – sichere Anzeichen sprechen dafür, daß man hier ahnt, wer ich bin, so weißt du ja, wo du sie abzuliefern hast. Solltest du selbst irgendwie in Gefahr geraten, festgenommen und durchsucht zu werden, dann wirf alles über Bord. –

Verstanden?“

„Jawohl, Herr – Herr Uetzli.“ Dem braven Karl schien diese Anrede noch nicht sehr geläufig zu sein.

„Weiter noch! – Warne die Männer nochmals, daß sie sich nicht verraten. Ihre Papiere sind zwar sämtlich in Ordnung, aber – von der Schweiz dürften die wenigsten eine Ahnung haben. Und sprecht, soweit Ihr das könnt, auch untereinander Englisch, damit Ihr nicht auffallt. – Wie hat man euch im Zwischendeck untergebracht? Liegt Ihr zusammen oder getrennt?“

„Zusammen – alle achtunddreißig Mann.“

„Gut. – Und nochmals – seid vorsichtig! Vergeßt nicht, daß wir uns auf einem englischen Dampfer befinden.“

Dann trennten sie sich, und wenige Minuten später erlebte die strohblonde Miß Glane die Freude, daß der Herr mit dem Monokel seinen Platz an der Tafel einnahm, nachdem er der Gesellschaft eine knappe Verbeugung gemacht und dabei etwas gemurmelt hatte, das wahrscheinlich sein Name sein sollte.

Miß Glane war arg enttäuscht. Der stattliche Schweizer mit den lebhaften Augen schien sich um die übrige Tischgesellschaft nicht viel kümmern zu wollen. – Da kam ihr Howard Tompsen zu Hilfe. Seiner Gewandtheit gelang es bald, sein Gegenüber durch gelegentliche unaufdringliche Bemerkungen mit in die allgemeine Unterhaltung hineinzuziehen. Und Miß Bauwerley errötete dann wie ein Backfisch, als der hübsche Schweizer auch ihr ein paar Worte widmete.

Nach Tisch war man schon so weit bekannt geworden, daß die jüngeren Passagiere sich gemeinsam in den Salon begaben, wo Uetzli sich sofort an das Klavier setzte und ein populäres englisches Walzerlied mit recht hübscher Stimme und neckischer Schelmerei vorzutragen begann. Auf allgemeinen Wunsch folgte ein zweites, ein drittes, – und alles fand begeisterten Beifall.

Howard Tompsen, der in einem Klubsessel unweit des Instrumentes saß, rief jetzt dem talentvollen Ingenieur bittend zu:

„Wie wär’s mit einem Ihrer Heimatgesänge, Master Uetzli? Die Schweizer sollen doch sehr scherzhafte kleine Liedchen besitzen, wie ich oft gelesen habe.“

Der Ingenieur nickte, schlug ein paar Eingangstakte an und trug dann ein übermütiges Älpler-Liebeslied vor. Der Applaus war derart, daß ein Sänger von Beruf diesen vielseitigen Dilettanten fraglos glühend beneidet hätte.

Eine Viertelstunde später schlug Uetzli sogar ein Tänzchen vor, und die sechs Engländerinnen, die sich noch zur Jugend rechneten, erlebten die Freude, daß sie förmlich aus einem Arm in den anderen flogen. –

Howard Tompsen hatte gleich nach dem ersten Tanz den Salon verlassen und war zur Kommandobrücke emporgestiegen, wo Kapitän Wolster breitbeinig auf und abstampfte und aus seiner kurzen Holzpfeife süßliche Wolken eines stark parfümierten englischen Tabaks in die sternenklare Luft hinausblies.

„Machen wohl Ihren Verdauungsspaziergang?“ meinte Tompsen, indem er sich an das Geländer lehnte und die Hände in die Beinkleidertaschen vergrub.

Der magere Kapitän war stehen geblieben.

„Master Tompsen, der Aufenthalt auf der Brücke ist den Reisenden eigentlich verboten,“ brummte er vor sich hin.

„Weiß ich.“ Dann faßte der Maschinenreisende in die Brusttasche und zog ein zusammengelegtes Papier hervor.

„Lesen Sie, Kapitän Wolster. Es ist meine Legitimation,“ sagte er kurz.

Der andere schaute ihn überrascht an.

„Dacht ich’s doch,“ knurrte er. „Nach einem Reisenden sahen Sie mir gleich nicht aus.“ Er trat an das Kompaßhäuschen und las beim Licht der darin brennenden Laterne die wenigen Zeilen des vielfach gestempelten Bogens. Dann stapfte er zu dem Mann zurück, der allerdings Howard Tompsen hieß, in Wirklichkeit aber Fregattenkapitän der englischen Marine war.

„Das Papier besagt genug, Master Tompsen,“ erklärte Wolster mit einer höflichen Verbeugung. „Ich werde alles tun, was Sie anordnen.“

„Lassen Sie uns in Ihre Kajüte hinabgehen,“ meinte der Offizier ernst. „Ich habe mit Ihnen einiges zu besprechen.“

Kapitän Wolster bot dann unten in seiner auf dem Promenadendeck gelegenen Kajüte, die aus zwei behaglich ausgestalteten Räumen bestand, seinem Gast einen Whisky an, der auch dankend angenommen wurde.

„So, – nun ans Geschäft,“ meinte Tompsen dann. „Welchen Kurs fahren Sie zur Zeit?“

„Genau West,“ erwiderte der Kapitän etwas erstaunt.

„Ist Aussicht vorhanden, daß wir unterwegs einem unserer Kriegsschiffe begegnen?“ forschte der Marineoffizier weiter.

„Wohl kaum. Wenigstens soweit ich über den derzeitigen Aufenthalt unserer Mittelmeerflotte unterrichtet bin.“

„Gut. Dann werden Sie sofort den Kurs ändern und auf die Bai von Morphu an der Westküste Cyperns[1] zuhalten. Dort sind stets ein paar Torpedoboote zur Verhütung des Schmuggels stationiert, wie ich genau weiß.“

Kapitän Wolster schüttelte verwundert den Kopf.

„Aber wozu das alles, Master Tompsen?“ meinte er so respektvoll wie möglich.

„Weil wir meines Erachtens ein paar Deutsche an Bord haben, die ich gern so schnell wie möglich in sicheren Gewahrsam bringen lassen möchte. – Ist Ihnen denn an diesem geschniegelten angeblichen schweizer Ingenieur Uetzli so gar nichts aufgefallen?“

Wolster zuckte die Achseln. „Höchstens das Einglas, das er mit wahrer Virtuosität im Auge trägt, und dann seine Sangeskunst. Das eine Walzerlied, das ich noch mit anhörte, hätte ein Operettentenor kaum effektvoller verlangen können.“

Der Fregattenkapitän lächelte etwas mitleidig. „Sie lassen sich leicht Sand in die Augen streuen, mein Lieber. Das ganze Benehmen dieses Mannes ist nichts als kluge Berechnung. Er spielt absichtlich den talentierten Gecken, um seinen wahren Charakter zu verbergen. Aber ich habe ihn doch festgenagelt, und zwar mit einem Schweizer Lied, das ich ihn zu singen bat. Er zögerte nicht einen Augenblick. Doch was bot er uns? Nichts als ein abgedroschenes oberbayerisches Sennerinnenlied, das er in mäßig nachgeahmter bayerischer Mundart vortrug. Die Schweiz und echte schweizer Gesänge kenne ich nur zu gut. Ich habe in den herrlichen Bergen dort fast regelmäßig meinen Sommerurlaub verlebt. –

Jedenfalls genügt mir dieser Beweis, zumal ich noch andere Verdachtsgründe gegen ihn habe. Sie haben ja aus meiner Legitimation ersehen, daß ich hier in Palästina und auch weiter nach der ägyptischen Grenze hin fast ein Jahr lang für unsere Regierung im geheimen tätig gewesen bin. Manche nennen das spionieren, – meinetwegen! Vor einem Vierteljahr nun, ich befand mich gerade in Jerusalem, meldete mir unser diplomatischer Vertreter aus Suez, daß dort ein angeblicher schweizer Ingenieur aufgetaucht sei, der sich durch Ausflüge in die Umgebung und durch häufiges Photographieren der Kanalufer stark verdächtig machte. Als man ihn dann fassen wollte, war er verschwunden. Die Personalbeschreibungen jenes Mannes stimmen nun, mit Ausnahme des Monokels, recht genau mit dem Äußeren dieses Wilhelm Uetzli überein. In Suez nannte er sich freilich Wildorf. Aber Namen sind billig. –

Außer diesem Uetzli beargwöhne ich weiter noch die acht anderen Ingenieure, die mit ihm auf außerordentlich vertraulichem Fuß stehen. Sämtlich wollen sie ja schweizer Untertanen sein und werden wohl auch über die nötigen Papiere verfügen. Mit letzteren ist’s, wie mit den Namen: billig zu haben, besonders wenn, wie ich stark vermute, die türkischen Behörden hier ihre Hand mit im Spiel haben. Es ist doch zum Beispiel zum mindesten sehr auffallend, daß die Leute unter sich stets Englisch sprechen, wie ich an der Tafel beobachtete. Nicht ein einziges Wort im schweizer Dialekt ist über ihre Lippen gekommen, natürlich deswegen nicht, weil sie die Mundart nicht beherrschen und sich durch eine unrichtige Aussprache zu verraten fürchten.

Gewiß – wir könnten ja mal das Gepäck der Betreffenden durchsuchen lassen. Aber das ist auf einem Handelsdampfer immer eine mißliche Sache. Einen rechten Grund für diese Maßnahme hätten Sie nicht, und, wenn ein Verdacht tatsächlich keine Bestätigung finden sollte, würden Ihnen nur Scherereien entstehen. Anders schon, wenn eines unserer Kriegsschiffe uns anhält und scheinbar auf höheren Befehl eine genaue Visitation des ganzen Schiffes vornimmt. Daß wir dieses Zusammentreffen mit einem unserer Wachtschiffe in der Bai von Morphu absichtlich veranlaßt haben, braucht ja niemand zu wissen.“

Wolster war während des letzten Teiles der Ausführungen des Marineoffiziers sehr nachdenklich geworden. Sogar seine geliebte Pfeife war ausgegangen. Jetzt strich er sich halb verlegen das glattrasierte Kinn und meinte kopfschüttelnd:

„Blind bin ich gewesen, völlig blind, Sie werden schon mit Ihren Vermutungen recht haben, Master Tompsen.“ Und dann fügte er nach einer kleinen Pause hinzu: „Was sagen Sie aber dazu, daß wir außer diesen neun Ingenieuren – ja, neun sind’s mit Einschluß des Uetzli – noch weitere achtunddreißig Schweizer an Bord haben, – alles Arbeiter von der Bagdadbahn, die jetzt nach Ablauf ihres zweijährigen Kontraktes in die Heimat zurückkehren. Die Leute sind schon gestern Abend aufs Schiff gekommen, um das Hotelgeld zu sparen. – Halt, doch nicht alle. Einer erschien erst heute, ein blonder, forscher Mann.“

Howard Tompsen pfiff leise durch die Zähne.

„Kapitän – jetzt kommt Licht in die Sache!“ stieß er freudig hervor. „Wissen Sie, was ich denke? – Ingenieure und Bahnbauarbeiter mögen das mit Ausnahme jenes Uetzli wohl sein, aber keine Schweizer, sondern – militärpflichtige Deutsche, die mit Hilfe der türkischen Behörden nach Deutschland befördert werden sollen. Die Ingenieure dürften wahrscheinlich alles Reserveoffiziere sein, und dieser Uetzli spielt den geistigen Leiter der ganzen Sache, – weil er der intelligenteste und sicher auch der im Rang Höchststehende ist.“

Wolster nickte schmunzelnd. „Ein feiner Fang, Master Tompsen, falls die Geschichte ihre Richtigkeit hat. – Trinken wir noch eins darauf. – So: Old England lebe!“

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und fuhr dann bedächtig fort:

„Eigentlich könnten wir uns die Sache vereinfachen, Master Tompsen. Der Umweg über die Morphu-Bai und das Suchen dort nach einem der Torpedoboote erübrigt sich, wenn wir ein dratloses Telegramm nach Famagusta[2] absenden, damit man uns einen unserer schnellsten Kreuzer nachschickt. Mein ‚King Edward’ läuft kaum fünfzehn Knoten. Da ist er bald eingeholt, selbst wenn ein Kreuzer um Kap Andreas herumfahren muß.“

Tompsen war sofort einverstanden.

„Gut – auf diese Weise können wir unseren Kurs ruhig fortsetzen, was mir sehr lieb ist,“ meinte er. „Ich habe nämlich Eile nach Athen zu kommen, bevor die Türkei auch mit uns in Kriegszustand gerät. Sie wissen, Kapitän, die Kisten, die wir unten im Lagerraum haben, die möchte ich nicht gern beschlagnahmen lassen. Unser Konsul in Ladikieh hat sie mir so warm ans Herz gelegt.“

Dann begaben sie sich auf das Oberdeck, wo das kleine Häuschen stand, in dem die Apparate für die drahtlose Telegraphie sich befanden.

Der Telegraphist, ein noch junger, schmächtiger Mensch, hatte sich auf seine schmale Lagerstatt gelegt, erhob sich aber schnell, als die beiden Herren eintraten.

„Wie telegraphieren wir nun am besten, Kapitän?“ meinte Tompsen nachsinnend. „Vorsichtig müssen wir sein. Man kann bei diesen Luftdepeschen nie wissen, wer sie sonst noch auffängt. Und die türkische Küste ist nah und besitzt an vielen Stellen drahtlose Stationen. Jedenfalls dürfen wir von den Schweizern,“ er verschluckte das letzte Wort halb und verbesserte sich schnell, „von dem wahren Sachverhalt nichts melden.“

Er hatte sich inzwischen an den kleinen Tisch gesetzt und Bleistift und Papier zur Hand genommen. Jetzt warf er schnell einige Zeilen hin und fuhr dann fort:

„Was meinen Sie hierzu: Englischer Dampfer ‚King Edward’, von Ladikieh nach Athen unterwegs auf direktem Kurs seit heute Nachmittag halb fünf Uhr, bedarf sofort in ganz dringender Angelegenheit schleunigst Hilfe durch englisches Kriegsschiff. –

Ich denke, das genügt vollauf.“

„Sehr gut,“ pflichtete der Kapitän bei. Und wandte sich dann an den Telegraphist.

„Hier Svensen, dies nach Famagusta, – sofort! Sie melden mir’s, sobald die Depesche als richtig angelangt von Famagusta bestätigt ist.“

Dann stiegen sie wieder zum Promenadendeck hinab, wo Wolster sich verabschiedete, da er morgens vier Uhr seinen ersten Offizier ablösen mußte.

Uetzli war inzwischen nach seiner Kabine geschlendert, um sich den Ulster überzuziehen, da es auf See nachts empfindlich kühl wurde. Dann hatte er es sich auf dem Oberdeck im Schutze des Telegraphenhäuschens in einem Liegestuhl bequem gemacht und vor sich hingeträumt, – von der Heimat, wo jetzt seine Landsleute gegen eine Übermacht von Feinden unter den Waffen standen, von dem Elternhaus, das er nun bald ein volles Jahr nicht gesehen hatte. –

Nur eins störte ihn in diesen wehmütigen, sehnsüchtigen Gedanken: das anhaltende Schnarchen des Telegraphisten, der in seinem unmelodischen Konzert nur selten eine Pause machte.

Und dann hatte er Stimmen und Schritte gehört, die sich von der Haupttreppe näherten. Die beiden, die jetzt das Häuschen betraten, konnten ihn nicht sehen, da sein Liegestuhl auf der der Tür entgegengesetzten Seite stand.

Getrieben von einem Argwohn, über den er sich selbst nicht recht klar war, erhob er sich vorsichtig und blickte durch das kleine, unverhüllte Fenster in das Innere hinein.

Tompsen und der Kapitän! – Da hieß es achtgeben, da war irgend etwas im Gange!

Was drinnen gesprochen wurde, verstand er leider nicht. Dazu heulte und pfiff hier auf dem Oberdeck die leichte Brise doch zu stark in den Tauen und Drähten des vorderen Mastes.

Aber sehen – sehen tat er alles. Tompsen schrieb etwas auf einen Zettel. Und dann gingen die beiden wieder. Der Telegraphist setzte sich nun an den Tisch, stellte die Hebel ein, es knackte und knallte in dem Apparat – die Depesche eilte in elektrischen Wellen ihrem Bestimmungsort zu und drüben in Famagusta an der Ostküste Cyperns wußte man bereits eine Viertelstunde später, daß dem Dampfer ‚King Edward’ etwas Besonderes zugestoßen sein müsse. Und wieder eine halbe Stunde später sauste der auf der Rhede von Famagusta gerade unter Dampf liegende Torpedobootzerstörer ‚Brestoff’ in das freie Meer hinaus gen Nordwest, um auf kürzestem Wege Kap Andreas zu umfahren und dann dem Kurs des Dampfers zu folgen, der so dringend nach einem Kriegsschiff verlangte.

Dann verließ der Telegraphist sein Häuschen, um dem Kapitän Meldung zu erstatten, wie dieser befohlen hatte.

Kaum war er die Treppe hinab verschwunden, als der angebliche Ingenieur schon zum Türgriff faßte, ihn umdrehte. Offen – der Eingang frei! Und auf dem Tisch lag noch der Zettel, den jener Tompsen geschrieben hatte. –

Ein paar Minuten später stand Uetzli auf dem Vorschiff und bat den dort Wache haltenden Matrosen, ihm den Weg nach der Männerabteilung des Zwischendecks zu zeigen. Die Mütze hatte er sich vorher tief über die Ohren gezogen, das Monokel in die Tasche gesteckt und den Ulsterkragen hochgeschlagen.

Der Matrose, der die Passagiere der ersten Kajüte noch kaum zu Gesicht bekommen hatte, schöpfte keinerlei Argwohn. Außerdem war er müde, und der Schilling, den ihm der Zwischendecker in die Hand drückte, tat auch ein übriges.

So geleitete er denn ganz freundlich den angeblichen Arbeiter die mäßig erhellten Treppen hinab und führte ihn in den weiten, matt erleuchteten Raum, wo die vielen Betten – reihenweise zu zweien übereinander angeordnet – standen, und das Schnarchkonzert einiger achtzig Männer der verschiedensten Rassen einen häßlichen Lärm verursachte.

Von Bett zu Bett tappte sich der angebliche Ingenieur, um seinen Karl zu finden. Endlich, ziemlich dicht an der Öffnung eines der großen Ventilatoren, die in diesen stickigen Raum wenigstens etwas frische Luft hineinpreßten, fand er ihn auf einem der unteren Kastenbetten.

Karl Schneider schnarchte und pustete in tiefstem Schlaf in geradezu beneidenswerter Sorglosigkeit. Dann wurde er langsam munter. Vorsichtig rüttelte ihn jemand, immer wieder, bis er ganz wach war.

Schlaftrunken richtete er sich auf, stierte seinen Vorgesetzten verwirrt an und stotterte dann halb unbewußt:

„Herr Hauptmann befehlen?“

„Still – den Donner noch mal! So komm’ doch zu dir! Du sollst doch die Anrede nicht gebrauchen! Uetzli heiße ich –“

Nun endlich war der brave Bursche völlig Herr seiner Sinne.

„Entschuldigen Sie, Herr Uetzli,“ flüsterte er. „Es wird nich nochmals passieren. – Was gibt’s denn?“

„Zieh dich notdürftig an. Aber leise. Ich muß dich sprechen. – Gibt es hier einen Winkel, wo wir für eine Viertelstunde ungestört sind?“

„Jawohl. Dort drüben, wo die Treppe in das Mannschaftslogis emporführt. Die Betten dort sind unbelegt.“

Dann hockten sie dicht nebeneinander auf ein paar Kisten, die hier im Treppenwinkel verstaut waren. Uetzli teilte Karl Schneider mit wenigen Worten alles Nötige mit.

„Für mich steht es außer Zweifel,“ erklärte er jetzt, „daß diese Depesche, in der um die Entsendung eines Kriegsschiffes gebeten wird, nicht mit meiner Person allein zusammenhängt. Eines einzelnen Mannes wegen hätten der Kapitän und dieser Tompsen, der natürlich alles andere nur kein Maschinenreisender ist, niemals einen solchen Apparat in Bewegung gesetzt. Mit mir allein wären sie auch ohne militärische Hilfe fertig geworden. Ich bin überzeugt, daß dieser Tompsen weiß, wer wir sind und was wir beabsichtigen. Nur um uns alle als Kriegsgefangene unschädlich zu machen, haben sie nach Famagusta die drahtlose Depesche geschickt. Mit einem Wort: Das Verhängnis schwebt über uns. Und wenn wir nicht schleunigst irgend etwas unternehmen, um die drohende Gefahr der Gefangennahme von uns abzuwenden, so sind wir keine sieben Stunden später in den Händen der Engländer, und all unsere Mühe und Schlauheit ist umsonst gewesen.“

Karl Schneider, ein aufgeweckter Kopf und recht vielseitiger, mutiger Mensch, brummte eine Verwünschung vor sich hin, deren Wortlaut nicht recht wiederzugeben ist. Dann flüsterte er mit einer Entschlossenheit, die er schon oft in allerlei gefahrvollen Lagen bewiesen hatte:

„Das darf nicht sein! Es muß ein Mittel geben, Herr – Herr Uetzli, um dieser Schmach zu entgehen. Siebenundvierzig Deutsche sind wir hier an Bord. Die werden sich doch nicht so dir nichts mir nichts einfach greifen und nach irgend einem englischen Hafen wegschleppen lassen. Wäre ja noch besser!“

Hauptmann v. Tarowski nickte. „Dasselbe habe ich mir auch schon gesagt, Karl. Aber – wie kommen wir heraus aus dieser Patsche? Unbemerkt das Schiff zu verlassen ist ausgeschlossen. Das einzige wäre, wenn wir die Mannschaft zu überrumpeln versuchen und den Kapitän zwingen, auf die kleinasiatische Küste zuzusteuern, wo wir dann an Land gehen könnten. Freilich – ohne Waffen ist auch das eine faule Sache. Ich besitze ja allerdings einen Revolver, aber ob die acht Ingenieure mit Schußwaffen versehen sind, ist doch sehr fraglich. Und die übrigen, – die dürften höchstens über Taschenmesser verfügen.“

„Allerdings – allerdings!“ Karl Schneider starrte nachdenklich vor sich hin. Und dann hob er nach einer Weile mit förmlichem Ruck den Kopf.

„Herr H…“ – beinahe wäre ihm im Eifer der ‚Hauptmann’ doch wieder entschlüpft. „Herr Uetzli – die Gewehre unten im Laderaum, eben denke ich daran. Munition ist doch sicher auch in den Kisten. Wenn wir die in die Hand bekämen, dann – dann –“

Aber Tarowski schüttelte den Kopf. „Wie sollten wir wohl in den Laderaumes gelangen? Wir wissen ja nicht einmal, wo die Kisten verstaut sind! Uns fehlen auch die Werkzeuge, um sie zu öffnen. Weiter noch, wir können dabei überrascht werden, bevor wir die Waffen zu unserem Schutz verwenden können, und verschlimmerten dann nur unsere Lage. Den Engländern wär’s ja ein gefundenes Fressen, uns womöglich noch als Diebe und Piraten vor Gericht zu stellen.“

Karl Schneider jedoch ließ sich so leicht von seiner Idee nicht abbringen.

„Gewiß – die Bedenken treffen alle zu, – besser, sie würden zutreffen, wenn ich mich eben nicht schon hier auf dem Dampfer ganz hübsch überall umgesehen haben würde. Mit dem zweiten Steuermann und dem Lademeister habe ich mich nach dem Abendessen schnell angefreundet. Letzterer führte mich dann, nachdem ich so ein Dutzend Whiskys in der Kantine spendiert hatte, überall herum, bis ganz nach unten in den Maschinenraum sogar. Rein aus Neugier ließ ich mir alles zeigen. Andere Gedanken hatte ich da noch nicht. Wie sollte ich auch ahnen, daß die verd… Engländer uns so schnell hinter unsere Schliche kommen würden! Nun – jedenfalls weiß ich genau, wo die Treppe zum Laderaum hinabgeht. Dort drüben. Eine eiserne Tür führt von demselben Gang, auf den auch die Kabinentür des gemeinsamen Schlafraumes des zweiten Steuermanns und des Lademeisters mündet, in die unteren Räume. Den Schlüssel hat allerdings der Lademeister in Verwahrung.“

Das, was Karl Schneider seinem Vorgesetzten dann noch weiter als Beweis für die Durchführbarkeit seines Planes aufzählte, überzeugte den Hauptmann schnell. Und als dieser erst einmal zugestimmt hatte, als er es glaubte wagen zu dürfen, die große Verantwortung eines solchen Gewaltstreiches auf sich nehmen zu können, da ging man auch nach genauer Festlegung aller Einzelheiten der Ausführung sofort ans Werk.

Mit größter Vorsicht wurden nacheinander die siebenunddreißig Deutschen, die sich außer Karl Schneider noch im Zwischendeck befanden, geweckt. In aller Eile teilte man ihnen das Nötige mit. Sämtlich waren sie sofort bereit, selbst ihr Leben daranzusetzen, nur um der englischen Gefangenschaft zu entgehen. –

Vier von den Leuten, zu denen Schneider besonderes Vertrauen hatte, intelligente, kräftige Burschen, mußten dann schnell ihre Kleider überstreifen und huschten nun hinter ihrem Führer die Treppe zu dem Gang hinab, auf den die Tür des Laderaumes mündete. Dicht daneben befand sich eine zweite, hölzerne Tür, – die der gemeinsamen Kabine des zweiten Steuermannes und des Lademeisters.

Alles hing davon ab, daß diese Kabinentür unverschlossen war. Galt es doch, den einen Schlüssel in die Gewalt zu bekommen.

In dem Gang brannte nur eine einzige elektrische Glühbirne. Jetzt standen die fünf Deutschen vor der Kabinentür. Vorsichtig drehte Karl Schneider den Drücker – einen Moment höchster Spannung. Sie gab nach, öffnete sich geräuschlos nach innen.

Die beiden Schläfer in ihren übereinanderstehenden Betten schnarchten, halb benebelt von dem genossenen Whisky, ruhig weiter. Schneider wußte, daß der zweite Steuermann erst morgens sechs Uhr seinen Kollegen ablösen mußte. Und jetzt war es erst eins. Also konnte vor fünf Stunden eine Entdeckung des ganzen Planes hier an dieser Stelle kaum erfolgen.

Wie die Katzen schlichen die Deutschen in die enge Kabine hinein. Dann – in demselben Moment, wo das elektrische Licht an der Decke aufflammte, lagen auch schon auf jedem der Engländer zwei schwere Körper. Ein kurzes Ringen, ein halberstickter Schrei, und der Überfall war geglückt.

„So, das wäre erledigt,“ meinte Schneider schwer atmend vor Anstrengung und Aufregung. „Und da ist ja auch das Schlüsselbrett.“

Einer der Männer wurde bei den beiden Gefesselten zurückgelassen, ein wahrer Riese an Gestalt.

„Schließ’ dich von innen ein, Kamerad,“ befahl Schneider. „Wir holen dich schon nachher. Und muckst einer von unseren Gefangenen, so zeig’ ihm zur Beruhigung dein Messer.“ –

Der Hauptmann, der sich inzwischen auf eines der Betten im Zwischendeck gelegt hatte, wurde jetzt von Karl Schneider benachrichtigt, daß der schwierigste Teil dieses gewagten Unternehmens bereits geglückt sei.

Gleich darauf begaben sich noch weitere fünf Mann so wie Tarowski in den Gang hinab. Die Tür zum Laderaum stand schon offen, wurde aber wieder von innen verschlossen, als alle den mit Fässern, Kisten und Ballen dicht gefüllten, dunklen Raum betreten hatten.

Ein Streichholz flammte auf. Der Schalter für die elektrische Beleuchtung war bald gefunden, die Lampen, die überall an der Decke verteilt hingen, glühten auf.

Vorn, genau unter der großen Ladeluke, waren die Kisten mit der lügnerischen Aufschrift ‚Engl. Konsul’ aufgestapelt. Zwei eiserne Brechstangen, die zum Fortbewegen der schwersten Güter benutzt wurden, lagen in der Nähe. Und das Geräusch der Schiffsmaschinen verschlang als guter Bundesgenosse das Kreischen der Nägel, als der erste Deckel mit Hilfe der Brechstangen losgewuchtet wurde.

„Dacht’ ich es doch!“ sagte der Hauptmann ärgerlich und zeigte auf die Blechkisten, die in der Holzumhüllung nun sichtbar wurde. „Waffen werden ja immer so verschickt.“

Er bückte sich tiefer. „Oh – sehr bequem! Hier ist ein Blechstreifen mit einem Handgriff über die Naht gelötet – wie bei den englischen Konservenbüchsen. Da wird uns das Öffnen keine weiteren Schwierigkeiten machen.“

Tatsächlich ließ sich dann auch der Blechstreifen ohne viel Kraftaufwand losreißen, und bald waren auch die Seitenteile auseinandergebogen.

Zwölf neue englische Militärgewehre, dazugehörige Stoßbajonette und eintausendzweihundert Patronen befanden sich, sorgfältig in Stroh verpackt, in der Kiste. Und im Verlauf einer weiteren Viertelstunde waren dann auch drei weitere Kisten ihres Inhalts entleert. Achtundvierzig Gewehre und für jedes einhundert Patronen, das genügte vollauf.

Der Hauptmann, der sich inzwischen auch den weiteren Feldzugsplan zurechtgelegt hatte, ließ nun von seinen Leuten die Gewehre, die Bajonetten und die Munition in das Zwischendeck schaffen, nachdem man sich überzeugt hatte, daß die anderen Passagiere in ihren Kastenbetten fest schliefen und Überraschungen von Seiten der Matrosen nicht zu befürchten waren.

Zwei Uhr war’s gerade, als dann jeder der Deutschen unter seiner Schlafdecke die kostbaren Waffen neben sich liegen hatte. Von Deck her hörte man jetzt schwere Tritte. Die Wachen wurden abgelöst. Zehn Minuten später herrschte wieder an Deck dieselbe Ruhe wie zuvor, freilich nur eine scheinbare Ruhe. Denn von den Deutschen, die so friedlich im Zwischendeck in ihren Kojen lagen, schlief auch nicht einer. Von Bett zu Bett und huschte der Hauptmann. Jedem einzelnen wies er seine besondere Aufgabe zu. Dieser hatte die Tür zum Laderaum zu bewachen, jener die Ladeluke, ein Dritter den Zugang zum Mannschaftslogis und so fort.

Zwei Stunden mußte man noch warten, bis es draußen einigermaßen hell geworden war. Aber diese beiden Stunden wurden denen, die ein solches Beginnen vorhatten, fast zur Qual. Die Minuten schlichen förmlich dahin. Hin und wieder nickte einer oder der andere von den Deutschen wohl für Sekunden ein, fuhr dann aber immer sofort wieder empor. Die meisten lagen da, den Kopf auf eine Hand gestützt, und starrten in das Halbdunkel hinaus, das über dem weiten Raum lag.

Endlich war die Zeit gekommen. – Soeben kehrte Karl Schneider vom Vorderdeck zurück, wo er kurz Umschau gehalten hatte. Die Morgendämmerung wäre schon eingetreten, meldete er.

Hauptmann v. Tarowski erhob sich. Ein Wink, ein Rascheln in den Kojen, und die bereits fertig angezogenen Männer verließen ihre Lagerstätten. Die Reservelampen der elektrischen Beleuchtung flammten gleichzeitig auf. Knackend fügten sich die Bajonetten in die Laufklammern ein. Ein neues metallisches Klirren, und die Gewehre waren geladen.

Tarowski, das Monokel wieder im Auge, verschwand mit fünf Mann auf der nach dem Deck führenden Treppe. Der Matrose, der auf dem Vorschiff die Wache hatte, wurde leise angerufen und unter einem Vorwand bis zum Treppeneingang gelockt. Dort packten ihn kräftige Fäuste, rissen ihn nieder. Die drohend auf seine Brust gerichteten Bajonette machten ihn stumm.

So geräuschlos hatte sich dieser Zwischenfall abgespielt, daß der zweite Matrose, der vorn an der Spitze des ‚King Edward’ den Ausguckposten versah, auch nicht das mindeste mitbekommen hatte. Jedenfalls war der Weg nach dem Promenadendeck jetzt frei.

Der jugendliche Hauptmann mit dem eisernen Zug unbeugsamer Energien in dem regelmäßigen Gesicht verstand es vortrefflich, die Seinen in die nötige, begeisterte Stimmung zu versetzen.

„Kinder,“ wandte er sich zum letzten Mal an die kleine Schar, „der Augenblick ist da, wo es sich entscheidet, ob wir dies gewagte Spiel gewinnen! Jeder denke an seine Pflicht, an seine Aufgabe! Ihr wißt, daß es sich um unsere Freiheit handelt! Sobald ich mit den zwei Leuten auf der Kommandobrücke bin, brecht Ihr hervor und verteilt euch wie befohlen auf dem Schiff. Keinen überflüssigen Lärm. Wir müssen zusehen, daß wir die Mannschaft, soweit sie nicht zur Zeit im Dienst ist, in ihrem Logis einsperren. Die dorthin beorderten von euch werden vielleicht einen schweren Stand haben. Geht es nicht anders, so feuert einen Schuß ab, ohne jedoch jemanden zu verletzen. – Und nun – an’s Werk!“ –

Oben auf der Kommandobrücke hatte soeben Kapitän Wolster seinen ersten Offizier abgelöst. Dieser war nach kurzem Gruß in seine neben der des Kapitäns gelegene Kajüte hinabgestiegen, um die versäumte Nachtruhe nachzuholen. Wolster aber nahm, nachdem er überprüft hatte, ob der ‚King Edward’ auch richtigen Kurs hatte, das im Kompaßhäuschen hängende Fernrohr zur Hand, lehnte sich an das Geländer und musterte den südöstlichen Horizont, wo ja vermutlich das herbeigerufene Kriegsschiff zuerst auftauchen mußte.

Wolster schob das Fernrohr wieder zusammen und hängte es über einen Knopf des Maschinentelegraphen. Noch immer stand er mit dem Rücken nach dem Vorschiff zu, die Fäuste in die Seitentaschen seines warmgefütterten Jaketts vergraben. Die beiden Matrosen, die hier die Ausgucksposten innehatten, kauten an ihrem Priem und unterhielten sich leise.

Dann wurden mit einem Mal Schritte auf der Treppe laut, die zur Brücke emporführte. Und nun tauchte die kleinkarierte Reisemütze des angeblichen Ingenieurs Uetzli über der Öltuchverkleidung der Treppe auf, nun war er dicht vor dem Kapitän, nickte ihm gemütlich zu und sagte lächelnd:

„Sie schauten da wohl eben nach dem englischen Kriegskhan aus, den Sie sich bestellt haben? – Ich fürchte, er wird nicht mehr zeitig genug eintreffen.“

Wolster stierte den schlanken Herrn ganz entgeistert an. Sein mageres Gesicht hatte sich vor Schreck und Staunen noch mehr in die Länge gezogen.

Und hinter diesem verd… angeblichen Ingenieur wurden jetzt noch zwei andere Männer sichtbar, mit Gewehren in den Händen.

Im Augenblick hatte der Kapitän die Sachlage begriffen. Wilde Wut funkelte aus seinen Augen, und in ohnmächtigem Grimm stieß er hervor:

„Ha – Meuterei an Bord meines Schiffes! Das soll Ihnen teuer zu stehen kommen!“

Hauptmann v. Tarowski lächelte wieder. Die Hände hatte er nachlässig in die Taschen seines Ulsters geschoben. Und mit schneidender Schärfe sagte er:

„Ich kündige Ihnen hiermit an, Kapitän Wolster, daß das Kommando des Schiffes in dieser Minute auf mich übergegangen ist. Vielleicht blicken Sie einmal auf die Decks hinunter. Das, was Sie dort sehen, wird Sie schnell überzeugen, daß wir die Macht besitzen, jeden Widerstand zu brechen.“

Wolster warf einen schnellen Blick über das Promenadendeck und das Vorschiff. Überall erblickte er bewaffnete Gestalten, überall. Und da wußte er, daß er – zunächst wenigstens – verspielt hatte.

„Sie werden sofort den Kurs ändern und auf die kleinasiatische Küste zuhalten,“ befahl Tarowski weiter. „Bei dem geringsten Versuch, diese Anordnung irgendwie zu umgehen, muß ich Sie erschießen lassen. Ich werde sogleich einen der deutschen Ingenieure hier auf die Kommandobrücke schicken, damit der ständig die Fahrtrichtung kontrolliert. Ebenso werden sich auch in kurzem ein paar andere Ingenieure im Maschinenraum zur Aufsicht befinden. Ich warne Sie also! – Ihren Posten hier dürfen Sie ohne meine Erlaubnis nicht verlassen. Auch die beiden Matrosen bleiben hier. – So, und nun geben Sie die nötigen Befehle.“

Wolster zuckte verächtlich die Achseln.

„Niemals!“ brüllte er dann, „niemals! Denkt Ihr, ein Engländer läßt sich von solchem Seeräubergesindel Vorschriften machen. Die Stunde der Abrechnung wird schon kommen.“

Tarowski erwiderte nichts. Beugte sich nur über das Geländer und rief drei weitere Leute herbei.

„Bringt Stricke mit,“ fügte er in deutscher Sprache hinzu.

Wenige Minuten später war der Kapitän, allerdings nach heftiger Gegenwehr, gebunden und wurde dann in seine Kabine geschleppt. Und wieder zehn Minuten später stand ein blondbärtiger Deutscher an Stelle Wolsters auf der Kommandobrücke. Der ‚King Edward’ machte einen Bogen nach Steuerbord und setzte dann mit Ausnutzung voller Maschinenkraft seine Fahrt im rechten Winkel zu seinem bisherigen Kurs fort.

Inzwischen war auch das Häuschen des Funkentelegraphist unter Bewachung gestellt worden. Kurz vorher hatte der Apparat aber noch eine äußerst wichtige Nachricht aus Famagusta übermittelt, die bei Durchsicht des Telegrammbuches durch einen der Ingenieure als letztes eingetragenes gefunden wurde. Die Depesche lautete:

Alle englischen Schiffe auf der Tour nach türkischen Häfen kehren sofort um und laufen neutralen Hafen an, da England mit der Türkei im Kriegszustand sich befindet.

Eine Abschrift dieser Depesche wurde dann auch Tarowski überbracht, der eben vor der Kabinentür Howard Tompsens stand, den er durch starkes Klopfen geweckt und gebeten hatte sofort aufzustehen, da er ihm eine wichtige Mitteilung zu machen habe.

Der Hauptmann hatte kaum das Telegramm überflogen, als er dem Überbringer auch schon befahl, die zahlreichen, im Zwischendeck reisenden türkischen Untertanen mit dieser neuen Tatsache bekannt zu machen.

„Die Leute werden sich fraglos sofort auf unsere Seite stellen, was uns nur lieb sein kann,“ fügte er hinzu. –

Ahnungslos öffnete Tompsen da seine Kabinentür und trat auf den Gang hinaus, um sofort mit entsetzten Augen zurückzuprallen. Die beiden bewaffneten Zivilisten neben dem angeblichen Uetzli und der Revolver in dessen Hand sagten genug.

Mit einem schnellen Schritt hatte Tarowski sich in die Tür gedrängt und so dem Engländer den Rückweg in seine Kabine abgeschnitten.

„Sie gestatten, Master Tompsen, daß ich mein inkognito lüfte,“ meinte er höflich. Und mit knapper Verbeugung fügte er hinzu: „von Tarowski, Königlich preußischer Hauptmann, abkommandiert zum Großen Generalstab und augenblicklich nach Erledigung einer besonderen Mission auf der Rückfahrt nach Berlin begriffen.“

Der englische Flottenoffizier preßte nur die schmalen Lippen fester zusammen.

„Ich denke, daß Sie sich am besten jetzt ebenfalls zu erkennen geben, Master Tompsen,“ fuhr Tarowski fort. „Oder wollen Sie auch jetzt noch behaupten, daß Sie Maschinenreisender sind?“

„Allerdings behaupte ich es! Und nun geben Sie mir bitte den Weg frei. Die Kabine gehört mir – mag hier auch sonst auf dem ‚King Edward’ ein Wechsel im Kommando eingetreten sein.“

Tarowski rührte sich nicht. „Sie werden sich augenblicklich in die Kajüte des Kapitäns begeben, wo Sie mit diesem zusammen bewacht werden,“ befahl er kurz. „Ich rate Ihnen dringend zu gehorchen. Widerstand ist ganz nutzlos. – Außerdem werden Sie sich eine Leibesdurchsuchung gefallen lassen müssen, da ich begründeten Verdacht –“

Weiter kam er nicht. Mit einem plötzlichen Satz war Howard Tompsen an den beiden im Gang stehenden deutschen Bahnarbeitern vorbeigesprungen und jagte nun der nächsten Tür zum Promenadendeck zu, riß sie auf und – taumelte zurück. Denn dort stand ein Mann, dem er beinahe in das aufgepflanzte Bajonett gerannt wäre. Bevor er sich noch zu einem neuen Entschluß aufraffen konnte, wurde er bereits von kräftigen Fäusten gepackt und ziemlich unsanft fortgezerrt. Die bei ihm aufgefundene Legitimation sowie eine Menge von Schriftstücken, die in einem seiner Koffer in dem doppelten Boden versteckt waren, bewiesen zur Genüge, daß man es hier mit einem recht gefährlichen Spion zu tun hatte, der der Türkei äußerst unbequem geworden wäre, wenn seine Aufzeichnungen über die Truppenstärke und die Befestigungen in Palästina in englische Hände gefallen wären.

Inzwischen hatte der Dampfer die Kilikische Straße, die Cypern von der kleinasiatischen Küste trennt, längst passiert und steuerte nun mit dem Kurs Nordnordwest auf den kleinen türkischen Hafen Alaja zu, der mit dem Fernrohr bereits deutlich auf dem zerklüfteten Gestade zu erkennen war.

„Noch zwei Stunden, und wir sind in Sicherheit,“ meinte der blonde Ingenieur oben auf der Kommandobrücke zu dem neben ihm stehenden Tarowski, der gerade wieder mit dem Fernrohr den östlichen Horizont absuchte.

Der Hauptmann antwortete nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit war von einer dünnen Rauchfahne in Anspruch genommen, die dort hinten wie ein grauer Nebelstreifen auf der schimmernden See lag. Jetzt leuchtete auch der Rumpf jenes fernen Schiffes über der Horizontlinie auf.

„Das Schiff da hinter uns gefällt mir nicht,“ meinte Tarowski dann und reichte dem Ingenieur das Fernrohr. „Für einen Handelsdampfer fährt es viel zu schnell. – Was halten Sie davon?“

Und nach einer Weile kam die leise Antwort: „Sie haben recht. Das ist kein Handelsschiff.“

Die beiden Deutschen sahen sich vielsagend an. Und dann rief der Ingenieur durch das Sprachrohr in den Maschinenraum hinab: „Belastet die Ventile. Unser Verfolger ist hinter uns her. Rein mit den Kohlen in die Feuerungslöcher, und wenn der ganze Kasten in die Luft fliegt!“

Eine weitere Viertelstunden verging. Das schlanke Schiff da hinten im Osten mit den niedrigen Schornsteinen und der unheimlichen Geschwindigkeit war mittlerweile bedeutend näher gekommen. Der Ingenieur nahm jetzt abermals das Fernrohr zur Hand und dann wechselte er mit dem Hauptmann ein paar Worte, deren Bedeutung schon aus den ernsten Gesichtern der Sprechenden hervorging.

Selbst mit dem bloßen Auge waren jetzt schon einige vorspringende Uferpartien der kleinasiatischen Küste wie verschwommene, dunkle Streifen zu erkennen.

Tarowski hatte das Fernrohr an sich genommen und maß mit den Augen die Entfernung bis zum nächsten Küstenpunkt. Den Hafen von Alaja anzulaufen hatte man bereits aufgegeben.

„Noch eine halbe Stunde, und wir wären gerettet,“ meinte der Hauptmann, noch immer durch das Glas gen Norden schauend. Plötzlich richtete er sich straffer auf.

„Hilger,“ wandte er sich nun an den blonden Ingenieur, „das da vor uns – die beiden Rauchstreifen – das sind ohne Zweifel Torpedoboote! Überzeugen Sie sich.“

„Stimmt!“ antwortete der Andere nach einer Weile. „Nur fürchte ich, daß es womöglich auch englische sind.“ Wieder führte er das Fernrohr an die Augen.

„Was heißt denn das?“ stieß er hervor. „Sehen Sie den Zweimaster da links von den beiden Fischerbooten? Der Segler wendet eben, fährt zurück. Und eines der Torpedoboote hat eben für einen Augenblick neben ihm gelegen, und jetzt – auch die schwerfällige Feluke macht kehrt, nachdem das zweite Torpedoboot ihr ganz nahe gekommen war. Dafür gibt’s nur eine Erklärung: Es sind türkische Hochseetorpedoboote, die die Fahrzeuge von dem Kriegsausbruch mit England benachrichtigt haben, damit sie nicht englischen Kreuzern in die Hände fallen. –

Da, wieder macht ein dickbauchiger Zweimaster kehrt. Ohne Zweifel ist es so, wie ich sage.“

Das englische Kriegsschiff hatte plötzlich seinen Kurs geändert und steuerte nun nach Nordwest, um dem ‚King Edward’ den Weg abzuschneiden. Wahrscheinlich war es dem Kommandanten aufgefallen, daß der Dampfer jetzt auf die kleinasiatische Küste zuhielt.

Von Minute zu Minute wurde durch dieses Manöver des Verfolgers die Lage der Deutschen auf dem überrumpelten Schiff kritischer.

„Das eine weiß ich jedenfalls genau,“ sagte Hauptmann Tarowski bestimmt, „freiwillig ergebe ich mich nicht. Wir haben immerhin einige fünfundzwanzig Gewehre frei, damit läßt sich schon etwas ausrichten. Und vielleicht gelingt es uns, den Feind zu rammen.“

Schnell gab er nun die nötigen Befehle aus. Und Karl Schneider, des Hauptmanns treuer Bursche, mußte dann noch aus dem Uniformvorrat der englischen Schiffsoffiziere zwei Röcke und zwei Mützen herbeischaffen, die Tarowski und der blonde Ingenieur anlegten, obwohl sie ihnen nicht sehr paßten.

Ihre einzige Hoffnung setzten die beiden Deutschen oben auf der Kommandobrücke in die Torpedoboote, die jetzt ebenfalls in spitzem Winkel dem ‚King Edward’ von Backbord näherkamen, während das englische Kriegsschiff kaum noch einige sechs Seemeilen entfernt war.

Dann war die Entscheidung da. Der Engländer umfuhr in rasender Fahrt, eine hohe Schaumwelle nachziehend, den Dampfer und lief nun auf Steuerbordseite in etwa hundert Meter Entfernung neben ihm her. Auf dem Flaggenmast drüben schossen ein paar Wimpel hoch. Da jedoch weder Tarowski noch der Ingenieur das Signalbuch zur Hand hatten, ließen sie auf gut Glück die Maschinen des ‚King Edward’ abstoppen. Gleich darauf wurde von dem Torpedojäger ein Boot zu Wasser gelassen, in dem neben dem Steuermann zwölf bewaffnete Matrosen saßen. Offenbar ahnte das Kriegsschiff noch immer nichts von den Vorfällen, die sich auf dem Dampfer abgespielt hatten, zumal ja auf dessen Kommandobrücke zwei Männer in der Uniform der Handelsmarine standen.

Tarowski, der soeben wieder mit dem Fernrohr nach den beiden Torpedobooten ausgespäht hatte, rief jetzt dem Ingenieur ganz heiser zu: „Es sind Türken. Ich erkenne deutlich die Flagge. – Volldampf voraus! Und lassen Sie direkt auf den Engländer zusteuern!“

Der Maschinentelegraph übermittelte den Befehl, und der ‚King Edward’ noch immer in halber Fahrt, schoß abermals vorwärts, das Boot mit den englischen Matrosen weit hinter sich lassend. –

Inzwischen mußte dem Kommandanten des Torpedojägers aber doch irgendein Argwohn gekommen sein. Ein Kanonenschuß dröhnte über die See, und das Geschoß schlug wenige Meter vor dem Handelsdampfer in die Wogen ein. Doch der ‚King Edward’ kümmerte sich um diese Aufforderung zum Abstoppen in keiner Weise.

In kurzem Bogen jagte er jetzt auf den Engländer zu. Da – abermals ein Kanonenschuß, und der dicke Schornstein des Dampfers verdankte der gutgezieltem Granate ein klaffende Loch dicht über dem kupfernen Rohr der Dampfsirene.

Doch nun mischte sich plötzlich in den dritten Knall einer Geschützentladung ein zweifacher, hellerer Klang. Die Schnellfeuergeschütze der beiden, mittlerweile ganz dicht herangekommenen Türken griffen in den ungleichen Kampf ein. Schuß folgte auf Schuß. Aber bald gab der Torpedojäger, da der eine Türke ihm den Weg nach Cypern zu verlegen suchte, das Gefecht auf, wendete und dampfte davon.

Fünf Minuten später stand ein kleiner, schwarzhaariger Marineoffizier Tarowski gegenüber. Schnell war die Situation geklärt, und der Händedruck, den die beiden Herren austauschten, besiegelte auch hier an den Gestaden Kleinasiens die treue Waffenbrüderschaft, die die beiden Nationen im Kampf gegen ihre zahlreichen Feinde fortan halten wollten.

Es war genau acht Uhr morgens, als der ‚King Edward’ dann in Begleitung der beiden Torpedoboote in den Hafen von Alaja einlief, als erste Kriegsbeute mit endlosem Jubel begrüßt. Howard Tompsen und Kapitän Wolster wurden von den türkischen Behörden in Haft genommen, ersterer wegen Spionageverdachtes, letzterer wegen der gesetzlich verbotenen Ausfuhr von Waffen aus türkischem Gebiet ohne besonderen Erlaubnisschein.

Die Deutschen aber feierte man als Helden. Die Bevölkerung des Städtchens überbot sich an Aufmerksamkeiten, nur um den neuen Waffenbrüder zu beweisen, wie stark die Herzen in warmer Sympathie für Deutschland selbst in diesem kleinen Hafenort schlugen.

Der Leser, der damals in den Tagen des Kriegsausbruchs zwischen der Türkei und den Dreiverbandmächten in den Zeitungen jene Notiz las, daß türkische Torpedoboote einen großen englischen Handelsdampfer beschlagnahmt hätten und zwar nach kürzerem Gefecht mit einem englischen Kriegsschiff, erhält erst in der vorstehenden Schilderung ein genaues Bild der gewiß nicht alltäglichen Ereignisse, die sozusagen die Einleitung zu der Wegnahme dieses Dampfers bildeten.

Als Hauptmann von Tarowski mit den deutschen Landsleuten zwei Wochen später über Sofia, Dalona, Triest, Wien in Berlin eintraf, hatte die türkische Regierung dem deutschen Auswärtigen Amt bereits von dem glänzend gelungenen Überfall der deutschen Passagiere auf den ‚King Edward’ Nachricht gegeben und zugleich mitgeteilt, daß der Sultan sowohl dem Hauptmann von Tarowski wie auch sämtlichen übrigen bei diesem waghalsigen Unternehmen beteiligt Gewesenen Ordensauszeichnungen verliehen habe.

So hatten denn auch der Vorgesetzte Tarowskis im Großen Generalstab die Möglichkeit gehabt, die Angelegenheit an zuständiger Stelle mit der Anfrage zu unterbreiten, ob es nicht recht und billig wäre, auch deutscherseits diese kühne Tat entsprechend zu belohnen, was wieder zur Folge hatte, daß eine ganze Anzahl von den deutschen Bahnbauarbeitern, alle Ingenieure und natürlich auch der Hauptmann und sein geriebener Bursche Karl Schneider das Eiserne Kreuz erhielten.

Tarowski aber sagte nach dem denkwürdigen Tag freudestrahlend zu seinem braven Karl:

„Eigentlich ist es doch zu viel für das Wenige, das wir geleistet haben, gleich das Eiserne Kreuz und noch einen türkischen Orden!“

 

 

Anmerkungen:

  1. Cypern steht seit 1878 unter englischer Verwaltung
  2. Haupthafen von Cypern