Das Eiserne Kreuz
Von W. Belka.
„Kinder, wenn wir nur erst wüßten, wo die Reise hingeht,“ meinte einer der Infanteristen, der in dem zum Militärtransport eingerichteten Viehwagen der halbgeöffneten Schiebetür am nächsten saß und daher die beste Gelegenheit hatte, die an dem dahinrollenden Zug vorüberhuschende Landschaft zu mustern.
Die Bemerkung war in den acht Stunden, die der Eisenbahnzug mit dem neugebildeten Ersatzbataillon nun bereits unterwegs war, so ungefähr alle zehn Minuten von einem der zweiunddreißig Mann dieses Wagens gemacht worden. Und zu verargen war diese Neugier gewiß niemandem. Denn nun, wo man endlich nach den neun Wochen Ausbildung in der rheinischen Großstadt an die Feind kommen sollte, wollte natürlich jeder wissen, ob das Bataillon droben in Belgien oder irgendwo in der endlosen Kampflinie in Frankreich Verwendung finden würde.
Nur das eine wurde so langsam allen klar: nach Belgien ging’s nicht! Hatte man doch schon verschiedene Städte passiert, die an der Hauptverbindungsbahn Metz – Chalons lagen. Also würde man sich doch mit den Herren Rothosen herumschlagen müssen! Auch gut! Feind blieb ja schließlich Feind, obwohl jedermann des Bataillons doch weit lieber die Engländer so ein wenig verdroschen hätte.
Wieder verstrich eine Stunde. Die Sonne, die erst am Nachmittag aus dem grauen Regengewölk hervorgetreten war, neigte sich bereits dem westlichen Horizont zu.
Die meisten Soldaten schliefen jetzt, trotz der nicht gerade bequemen Sitzgelegenheit auf den harten Holzbänken, die nur ein schmales Brett als Rückenlehne hatten. Die Abspannung nach der immerhin ungewohnten Eisenbahnfahrt machte sich recht fühlbar. Die letzte Nacht hatte niemand mehr in der Garnisonsstadt so recht zu schlafen vermocht, nachdem am späten Abend der Befehl bekannt geworden war, daß die Truppe in aller Frühe verladen werden würde. Mancher wurde auch etwas ernst gestimmt, als die gestrengen Herrn Feldwebel bei dem kurz vor Schlafengehen abgehaltenen Appell die kleinen Blechmarken mit den roten Schnüren verteilten, die jeder sich um den Hals binden und unter dem Hemd auf der Brust tragen sollte. –
Totenmarken – pfui Teufel, – das klang nicht schön. Aber – wie schnell war auch dies wieder vergessen in dem Gedanken, daß man jetzt all die in Eile eingedrillten Dinge des Exerzierreglements praktisch würde verwerten können und daß die geliebte ‚Knarre’ fortan nur noch mit scharfen Patronen gefüttert zu werden brauchte. Und beim Morgengrauen ging’s dann wirklich hinaus zur Stadt in dem ratternden Zug, hinaus mit Gesang und leichtem Herzen, und aus hunderten von Kehlen klang’s wie ein Schwur unverbrüchlicher Treue und Tapferkeit:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein,
wir alle wollen Hüter sein!
Und jetzt senkte sich langsam die Abenddämmerung über Wald und Weg. Dann – ein Kreischen der Bremsen, und der endlos lange Zug hielt anscheinend auf freier Strecke.
Ein Hornsignal. Aussteigen! Schlaftrunkene Gestalten verließen die Wagen. Und von Mann zu Mann pflanzte sich die Kunde fort: Die Fahrt hatte ein Ende. –
Das half. Im Augenblick war auch der letzte Rest von Müdigkeit abgeschüttelt. Jetzt ertönten auch schon laute Kommandos. Die Kompanien sammelten sich in Gruppenkolonnen, rückten am Bahndamm weiter vor, dorthin, wo eine Reihe von Lichtern durch die rasch zunehmende Dunkelheit aufleuchtete. Holzbaracken standen da, eine ganze Anzahl. Es war eine Truppenverpflegungsstation, die letzte, ziemlich dicht hinter der Kampflinie gelegene.
Das Essen schmeckte vorzüglich. Und reichlich gab’s, überreichlich, soviel jeder nur haben wollte. Während eifrig Linsensuppe gelöffelt wurde, tauschte man allerlei Bemerkungen aus. Ein Offiziersbursche wußte es von seinem Leutnant: man befand sich bereits in Frankreich, und zwar ein ganzes Stück hinter Tiaux.
„Donnerwetter,“ meinte ein Kriegsfreiwilliger der 4. Kompagnie. „Kinder – dann kommen wir sicher nach den Argonnen. Tiaux liegt an der Aire. Und westlich dieses Flusses ziehen sich die berüchtigten Argonnen hin, eine Felsenwildnis, die uns das Vordringen bisher recht unangenehm erschwert hat.“ –
Eine Stunde später stand das Bataillon schon wieder marschbereit auf einer nahen Chaussee. Die Pferde, die Bagage und die Munition, alles war in der Zwischenzeit ausgeladen worden. Der Bataillonskommandeur, ein etwas korpulenter Landwehrhauptmann, der jedoch trotz seines gemütlichen Gesicht verflucht eklig werden konnte, wenn’s nicht so klappte, wie er sich’s gedacht hatte, hielt noch schnell eine kurze Ansprache, die in ein Hurra auf den obersten Kriegsherrn ausklang. Und dann hieß es: „Das Gewehr – über! – – Ohne Tritt – Marsch!“
Der Heerwurm setzte sich in Bewegung. „Singen ist verboten – aller Lärm zu vermeiden!“ kam der Befehl von vorn, wo der Kommandeure mit seinem Adjutanten und einem Ordonnanzoffizier ritt.
„Nanu – sollten wir schon so dicht am Feind sein?“ meinte derselbe Kriegsfreiwillige, der vorhin den Kameraden klargemacht hatte, daß es sehr wahrscheinlich auf die Argonnen zugehe.
Ernst Harpert, Student der Philosophie, war ein fixer, heller Bursche. Die Vorgesetzten mochten ihn gern. Und so antwortete denn Leutnant Karsten, der gerade neben der Kompagnie auf dem schmalen Steig hinter der Baumreihe entlangmarschierte:
„Noch drei Meilen, Harpert, dann sind wir in der Kampfzone. Gesungen soll hier nicht werden, damit die Bevölkerung nicht aufmerksam wird, die Spionagedienste leisten soll, wo sie nur irgend kann.“
„Danke, Herr Leutnant,“ sagte der Student fröhlich.
„‘s heißt: Danke gehorsamst!“ knurrte Harperts Korporalschafftsführer, ein aktiver Unteroffizier, der bisher beim Ausbildungspersonal in der Garnisonsstadt hatte bleiben müssen und der nie genug an seinen übermütigen Kriegsfreiwilligen herumerziehen konnte.
Leutnant der Reserve Karsten, im Zivilberuf Amtsrichter, erklärte daraufhin begütigend:
„Na, Wendler, böse hat’s der Harpert ja nicht gemeint. Die Hauptsache bleibt, daß unsere Leute nachher vorm Feind nichts davon vergessen, was Sie ihnen so stramm eingedrillten haben.“
Unteroffizier Wendler freute sich über diese Anerkennung nicht wenig. Und so sagte er denn:
„Der Harpert ist ja auch sonst einer unserer Brauchbarsten in der Kompagnie. Nur – nur mit dem Mundwerk verrät er noch manchmal den Zivilisten.“
Stunde um Stunde verrann. Der Nachtmarsch bot bei dem leidlich guten Weg keinerlei Schwierigkeiten. Die Luft war frisch und belebend. Und der Mond und die Sterne spendeten genügend Licht, um den Unebenheiten der teilweise von Granaten aufgewühlten und erst oberflächlich wieder ausgebesserten Straße ausweichen zu können.
Zwei mal wurde eine Ruhepause von je einer halben Stunde gemacht.
Dann – es war gegen zwei Uhr morgens – ein Stocken in der Kolonne.
„Halt – Gewehr ab. – Gewehre zusammensetzen! Links vom Weg wegtreten! – Offiziere und Zugführer nach vorn.“
„Aha!“ meinte Unteroffizier Wendler, indem er sich in eine Ackerfurche legte und den Tornister als Kissen unter den Kopf schob, „nun geht der Zimt erst richtig los. – Merken Sie sich das, Harpert: Wenn erst die Offiziere und Zugführer zusammengetrommelt werden, dann liegt schon Pulvergeruch in der Luft. Ich kenne das von Südwestafrika her, wo ich als Gefreiter mir in den Grenzkämpfen gegen die Bande von Simon Topper die Tressen verdiente. Dann aber kam die verd… Malaria, und da war’s mit der Tropendienstfähigkeit aus.“ –
Eine Stunde verging. Die Mannschaften schliefen trotz der kühlen Nacht fast sämtlich. Nun kamen die Offiziere und die Vizefeldwebel, die Offizierdiensttuer waren, zurück.
Oberleutnant Sarbotta, der Kompagnieführer, sollte mit seiner Kompagnie die Marschsicherung übernehmen, nachdem das Bataillon hier an dieser Stelle von einem vom Divisionskommando abgeschickten Generalstabsoffizier die weiteren Befehle erhalten hatte.
„An die Gewehre!“ – mit einem Schlage belebte sich das Feld, auf dem eben noch die Männer in tiefem Schlaf gelegen hatten.
Die 4. trat den Weitermarsch an. Zuerst Unteroffizier Wendler mit einer Gruppe als Vorspitze. Dann folgte in dreihundert Meter Entfernung der Rest des 1. Zuges unter Leutnant Karsten als Spitze. Dahinter wieder mit dreihundert Meter Abstand, das Bataillon.
Drei Stunden ging’s ununterbrochen vorwärts. Die Chaussee hatte man rechts liegen lassen. Der Feldweg, auf dem man jetzt vorwärtsstrebte, war zum Glück nicht allzu schlecht. Nur eins begann bald lästig zu werden: bergauf, bergab, bergauf, bergab führte die Straße. Das kostete Kraft. Die Beinmuskeln begannen zu schmerzen, und die Lungen pusteten wie Blasebälge. Dabei war von der Gegend so gut wie nichts zu sehen. Hohe, schweigende Forsten rahmten den Weg ein. Dunkle Tannengründe zumeist, hin und wieder auch ein Buchenhain. Bisweilen öffnete sich auch ein unbewaldetes Tal, in dem man bei dem Zwielicht der Mondnacht undeutlich einzelne Gehöfte erblickte. Immer mehr verlor die Straße das Aussehen eines harmlosen Feldweges. Der Boden wurde steinig. Hohlwege passierte man, die in die Felsen hineingesprengt zu sein schienen. Zerklüftete Felspartien, Berge von stetig wachsender Größe wurden sichtbar.
Und dann in der Ferne sowohl von rechts wie von links ein dumpfes Dröhnen zuweilen, – Geschütze, die auch zur nächtlichen Stunde ihren ehernen Mund öffneten.
Und auch von vorn ein helles Peng-Peng, – Gewehrschüsse, deren Knall sich in den Schluchten verstärkte und durch trügerische Echos verdoppelt wurde. –
Wieder eine kurze Rast. –
Nach rechts hin fiel der Blick in ein flaches, von Tannenwäldern umgürtetes Tal. Ein Dorf lag in der Mitte. Lichter glänzten dort, Hunde bellten. Zur linken nichts als eine schroffe, bewaldete Höhe.
Ein Weg zweigte sich nach dem Dorf ab. Die 1. Kompagnie schwenkte nach rechts ein und verschwand in dem Halbdunkel. Sie sollte hier als Reserve verbleiben. –
Dann ging’s wieder vorwärts. Jede der drei anderen Kompagnien hatte einen Führer erhalten, Leute von dem bayrischen Landwehrbataillon, das man ablösen sollte. Oberleutnant Sarbotta schritt hinter dem stämmgen Bayern her und unterhielt sich leise mit ihm. Die Fahrstraße hatte man gleich hinter dem Dorf verlassen. Nur ein schmaler Fußpfad schlängelte sich hier am Rande des Tannenforstes dahin. Einzeln mußte man hintereinander gehen.
Der Bayer, ein Gefreiter, gab sich redliche Mühe mit dem Oberleutnant hochdeutsch zu sprechen, da dieser seinen bajuvarischen Dialekt kaum verstanden haben würde.
„Meine Kompagnie hält den Rand einer Hochebene besetzt, schon seit drei Wochen,“ erklärte er. „Wir haben uns in unseren Verschanzungen so bequem wie möglich eingerichtet. Soweit wär’s ja ein ganz angenehmes Dasein, wenn nur die verd… Turkos nicht wären, die alle unsere Versuche weiter vorzudringen, bisher vereitelt haben. Die schwarzen Kerle haben eine Unmenge Maschinengewehre in Stellung gebracht. Ihre Schützengräben, die sich ganz dem Gelände anpassen, sind an manchen Stellen nur zweihundert Meter entfernt. Anderswo ist der Zwischenraum viel größer. Aber da gibt’s dann wieder breite Felsspalten, die jeden Angriff verhindern. Jedenfalls ein ganz niederträchtiges Gelände und eine Art von Kriegsführung, die noch weit schlimmer als die in der Ebene ist. Überall dichter Wald, tiefe Täler, Abgründe, da soll der Teufel vorwärtskommen.“
Und weiter erzählte der gesprächige Bayer. Manches Schauermärchen von der Heimtücke der Turkos gab er zum besten, von manchem Vergeltungsstreich der Deutschen berichtete er. Dabei flog die Zeit nur so dahin. Im Osten zeigte sich bereits die erste fahle Dämmerung des heraufziehenden Tages. Eine Stunde war man nun bereits auf diesen Waldpfaden unterwegs. Immer tiefer ging es in die Argonnen hinein. Öfters kam man an Lichtungen vorüber, wo Artillerie sich eingegraben hatte. Dann riefen die auf und ab wandernden Posten der Batterien den Kameraden einen kurzen Gruß zu.
„Die reinste Wildnis,“ sagte Sarbotta jetzt zu Karsten und zeigte in eine mit verkrüppelten Kiefern bewachsene Schlucht hinab. „Und ein Kunststück ist es wahrhaftig, sich auf diesen kreuz und quer laufenden Stegen zurechtzufinden.“
Der Bayer lachte lautlos in sich hinein. „Uns wurd’s nicht schwer, Herr Oberleutnant. Wir sind meist Gebirgler. Da kennen wir uns leichter aus. Zehn Mann von uns bleiben auch bei jeder der Ablösungskompagnien. Ich gehör’ auch dazu. Damit wir den preuß’schen Kameraden so ein wenig Bescheid sagen.“
„Oh, das ist ja sehr gut,“ meinte Sarbotta. „Wie heißen Sie eigentlich, Gefreiter?“
„Sebastian Bachhuber, Herr Oberleutnant. Mein Hauptmann nennt mich aber immer nur Bastl. Und ich bin sehr damit zufrieden. Von Beruf bin ich Jagdaufseher bei ‘n reichen Privatmann.“
Wieder betrat man jetzt eine Lichtung, auf der noch hie und da die Stümpfe gefällter Bäume zu sehen waren. Bei der zunehmenden Helle erkannte Sarotta deutlich ein kleines Häuschen auf einer geringen Anhöhe mitten auf der Waldblöße, daneben einen winzigen Stall und einen ärmlichen Lattenzaun, der das Anwesen umgab.
„Nun sind’s nur noch etwa fünfhundert Meter bis zu den Schützengräben, Herr Oberleutnant,“ erklärte der Bastl. „Da drüben der zackige Höhenrücken, den müssen wir halt noch umgehen, und dann san mer do.“
„Und dieses Gehöft hier, wer hauste denn darin?“ fragte Sarbotta neugierig.
„Ein Förster mit seinem Weib. Der Mann ist krank und liegt meist zu Bett. Das Zipperlein zwackt ihn gar mächtig. Sind stille Leute, die keinem was zu leide tun, Herr Oberleutnant. ‘s geht ihnen schlecht in diesen Zeiten, sehr schlecht. Da haben wir ihnen denn täglich aus unserer Feldküche ein wenig warm’s Essen geschickt. Vorm Kriegsausbruch soll noch ein Hilfsförster dagewesen sein. Der ist aber wie alle gesunde Leut’ bei’s Militär.“ –
In großem Bogen mußte man nun den Höhenrücken, schroffe, unübersteigbare Felsen, umgehen. Dann noch ein Stück durch dichten Tannenwald, und die 4. Kompagnie war am Ziel.
Der Landwehrhauptmann, der die Bayern befehligte, führte den preußischen Kameraden die Stellung entlang, zeigte und erklärte ihm alles Nötige und räumte dann mit seinen Leuten die Verschanzungen, die in weitem Bogen am Rand der sanft ansteigenden Ebene angelegt waren.
Eine halbe Stunde später hatte Oberleutnant Sarbotta die Züge verteilt, den Wachtdienst eingerichtet und sich auch persönlich überzeugt, ob alles in Ordnung sei. Nun erst konnte er an sich selbst denken.
Der für den Kompagnieführer gebaute Unterstand befand sich in der Mitte der Stellung, war mit Sandsäcken und Felsplatten eingedeckt und hatte nur drei schmale Beobachtungsschlitze nach vorn, die jedoch genügten, um das Vorgelände vollständig im Auge behalten zu können. Die mit behauenen Tannenstämmen gedielten und mit Moos und Zweigen sauber austapezierte Erdhöhle maß etwa drei Meter im Quadrat. Ein schmaler Eingang mit wenigen Stufen führte an der dem Feind entgegengesetzten Seite in den Wald, der sich hier etwas senkte, so daß man die Anlage von Zugangsgräben sich hatte ersparen können. –
In der Ecke links und rechts befanden sich zwei Lagerstätten, – weiches Moos, das mit Wolldecken belegt war. In die Seitenwände waren paneelartig Bretter angebracht worden, auf die man seine Habseligkeiten ausbreiten konnte. Ähnlich waren auch die Unterstände für die Mannschaften eingerichtet, von denen immer vier in einer dieser im ganzen recht behaglichen Höhlen hausten.
Vom Feind war nichts zu hören und zu sehen. Nur mit dem Fernglas vermochte man drüben an einigen Stellen an helleren Erdstreifen zu erkennen, wo die gegnerischen Verschanzungen lagen. Die nur von kleinen Gebüschgruppen hie und da durchschnittene Ebene, deren größte Breite etwa siebenhundert Meter betragen mochte, war im Westen abermals von Hochwald begrenzt und stellte eigentlich nur eine größere Lichtung dar, die sich auf einem Plateau der Argonnen von Norden nach Süden hinzog.
Oberleutnant Sarbotta hatte sich den bayrischen Gefreiten als Ortskundigen mit in seinen Unterstand genommen. Sein Bursche Mikelsen, ein Schleswig-Holsteiner, war im nächsten Unterstand zur linken untergebracht worden, damit der Kompagnieführer ihn gleich zur Hand hatte.
Mittlerweile war es heller Tag geworden.
„Famos ist’s hier, Herr Leutnant,“ meinte der Kriegsfreiwillige Harpert zu seinem Zugführer, der ihn mit in seine Erdbehausung genommen hatte, die etwa vierzig Meter links von der des Kompagnieführers lag.
Unteroffizier Wendler, der dritte Insasse dieses Unterstandes, zog sich eben die Feldmütze über den Kopf.
„‘s wird noch famoser werden, verlassen Sie sich drauf, Harpert. Dafür werden schon die Turkos sorgen,“ sagte er mit einem grimmigen Lächeln. „Pfeifen erst die Kugeln, dann ist’s bald aus mit der Behaglichkeit.“
Harpert trat jetzt aus dem Unterstand in den Schützengraben hinaus und hob vorsichtig den Kopf über den Wall. Sein Gewehr hatte er schon vorher in eine der Schießscharten gelegt, die zu beiden Seiten von dicken Felsplatten eingesäumt waren, so daß nur ein etwa acht Zentimeter breiter Streifen freilag. Gar zu gern hätte er als Erster einem der Turkos eins auf den Pelz gebrannt. Aber von den farbigen Kerlen ließ sich niemand blicken.
Wendler, der gebückt neben den Freiwilligen getreten war, meinte jetzt warnend: „Lassen Sie das lieber, Harpert! Sie können durch die Schießscharten genug sehen. Und wenn Sie den ganzen Kopf über den Schützengraben hinausstecken, so reizen Sie die da drüben nur zum –“
Das letzte Wort blieb ihm in der Kehle sitzen. Denn Harpert war plötzlich nach hinten zurückgeprallt, als habe ihm eine unsichtbare Hand einen Stoß vor die Stirn versetzt hatte. Gleichzeitig hörte man vom Feind her den kurzen Knall eines Schusses.
„Mein Helm!“ stotterte der Kriegsfreiwillige verdutzt.
„Ja, der hängt Ihnen ganz im Genick,“ lachte Unteroffizier Wendler. „Das Geschoß ist unter der Spitze eingedrungen und glatt hindurchgefahren. Sie haben Dusel gehabt, drei Zentimeter tiefer, und Ihre militärische Laufbahn wäre alle gewesen.“
Der Student mit dem frischen Jünglingsgesicht hatte den ersten Schreck überwunden.
„Na, so eine Gemeinheit,“ murrte er, den Helm näher besichtigend. „Wahrhaftig – hier genau unter dem Messingbeschlag geht der Schuß entlang –“
Mittags, gerade als das Essen in der dreihundert Meter zurückliegendem, ebenfalls von den Bayern übernommenen Feldküche fertig war und verteilt werden sollte, tauchten urplötzlich feindliche Schützen auf. Ehe noch die Kompagnie zum Feuern kam, waren die Turkos wieder verschwunden.
„Die versuchen jetzt, einen neuen Schützengraben aufzuwerfen,“ sagte der Bastl ernst zu Oberleutnant Sarbotta. „Fünfzig Meter sind sie gelaufen. Da hinter der kleinen Anhöhe stecken sie.“
„Also vorwärts, daß wir die Bande wieder zurücktreiben,“ meinte der Kompagnieführer und griff schon nach dem Säbel.
Bastl hatte seinen neuen Vorgesetzten bereits in die Gefechtstaktik eingeweiht, wie derartige Vorstöße bisher vereiteilt worden waren. So hatte denn der Oberleutnant in wenigen Minuten auf die zum leichteren Erklettern schon vorbereiteten höchsten Bäume am Rande des Waldes einige dreißig Mann verteilt, die sofort aus den Ästen, von wo sie die buddelnden Turkos gut sehen konnten, ein lebhaftes Feuer eröffneten. Auch Harpert und Unteroffizier Wendler hatten eine einzeln stehende, uralte Buche erstiegen, deren Blätterdach vorzüglichen Schutz gegen Sicht bot. Kaum waren aber deutscherseits die ersten Schüsse gefallen, als es auch schon drüben recht lebendig wurde. Erst knallte es nur in größeren Pausen, und unschädlich pfiffen die Geschosse durch die Äste. Dann wurde die Geschichte jedoch ernster. Das tak tak tak der Maschinengewehre begann sich in den Kampfeslärm zu mischen. Eine wahre Kugelsaat fegte über die Kronen der Bäume. Äste splitterten, fielen zur Erde; Rindenstücke lösten sich, Blätter flatterten herab. Und dann der erste Aufschrei – gleich darauf ein schwerer Fall. Einer der Schützen hatte ein Geschoß in das Knie erhalten. Zum Glück milderte der weiche Waldboden den Sturz.
Immer lebhafter wurde das Knattern. Trotzdem mußten die etwa sechzig Mann starken Turkos, die diesen Angriff gewagt hatten, wieder zurück hinter ihre Verschanzungen. Auf allen Vieren krochen sie dahin, nachdem gut ein Dutzend der ihrigen gefallen waren.
„Achtung!“ rief Wendler von der Buche herab. „Die Kerle kneifen aus. Bald werdet Ihr sie auch aus den Schützengräben sehen können.“
Leutnant Karsten erblickte dann das erste Käppi eines Turkos über der Bodenerhebung. Zwanzig Meter hatte der Feind noch zu passieren, die aus den Deckungen bequem bestrichen werden konnten.
Mit einem Mal krachte und knallte es aus allen Schießscharten. Die Turkos rannten jetzt in wilden Sprüngen, um schnellstens aus dem Bereich des deutschen Feuers zu kommen.
Aber furchtbar räumten die Stahlmantelgeschosse unter ihnen auf. Bald dieser, bald jener knickte drüben zusammen.
„Stopfen!“ – das Feuer schwieg. Der Feind, der Rest jener Abteilung, war verschwunden. Aber noch immer raste vom Gegner her das schnelle tak tak tak der gefährlichen Maschinengewehre.
„Runter von den Bäumen,“ befahl der Oberleutnant.
Und flinker vollzog sich dies wie der Aufstieg. Nun war alles wieder in der sicheren Verschanzung.
Vier Verwundete – das war der ganze Schaden, den der Feind angerichtet hatte. Und alles nur Fleischschüsse, mit Ausnahme der ersten Verletzung. Dem Mann ging’s aber auch ziemlich schlecht. Gerade durchs Kniegelenk hatte die Kugel ihren Weg genommen.
„Das Gelenk ist zerschmettert,“ erklärte der zur Kompagnie gehörige Sanitätsunteroffizier dem Oberleutnant, der jedem der Opfer dieses ersten Gefechts mit ein paar herzlichen Worten die Hand gedrückt hatte. „Es geht nicht anders, – die vier Mann müssen sofort nach dem Verbandsplatz geschafft werden – damit sie in richtige Behandlung kommen,“ fügte er hinzu.
So wurden denn aus einer nahen Schlucht die dort bereitgehaltenen, von den Bayern bereits aus dünnen Tannenstämmen hergestellten Tragbaren herbeigeschafft und die Verwundeten darauf nach Anlegung von Notverbänden verladen. Unteroffizier Wendler sollte den Transport begleiten. Im ganzen gingen noch zehn Mann mit, unter denen sich auch Harpert befand.
Gerade als der Zug in aller Stille aus dem Wald auf die Lichtung einbog, auf der die kleine Försterei lag, begann die französische Artillerie zu feuern. Man hörte ganz deutlich den Knall der Schüsse und kurz darauf die Explosionen der einschlagenden Granaten.
Harpert, der den Zug beschloß, war bei dem Lärm des Geschützfeuers unwillkürlich lauschend stehen geblieben. Dann wieder erregte eine Gruppe von fünf nah beieinanderstehenden Kiefern, die von Efeuranken vollständig umsponnen waren, seine Aufmerksamkeit. Wie ganz anders doch dieser französische Wald aussah, als der seiner Heimat.
Erst nach einer ganzen Weile suchte er dann wieder die Seinen einzuholen. Die waren inzwischen bereits über die Waldblöße hinübergelangt. So setzte er sich denn in Marsch Marsch und trabte den schmalen Weg dahin, der in etwa zwanzig Meter Entfernung an der Försterei vorbeiführte. Eine mannshohe Tannenhecke verdeckte das Haus jedoch soweit, daß er jetzt nur das flache Dach, auf dem eine Menge schwerer Steine, ähnlich wie bei den Alpenhütten, lag, sehen konnte. Dann war er an der Hecke vorüber. Die südliche Hauswand lag vor ihm. Mit einem Mal stutzte er. Eine hagere Männergestalt mit weißem Bart und ebenso gefärbtem Kopfhaar stand da dicht am Haus und bückte sich eben, um irgend etwas aufzuheben. Eine Leiter war’s, die der Alte nun mit spielerischer Leichtigkeit aufrichtete und an das Dach lehnte.
Da – vom Wald her, den Harpert eben verlassen hatte, ein dreimaliges, lautes Krächzen, wie die Häher es auszustoßen pflegen. Auch der noch so rüstige Greis mußte die Töne gehört haben. Denn fast erschreckt fuhr er herum. Jetzt bemerkte er den deutschen Soldaten, und im Augenblick sank seine augerichtete Gestalt förmlich in sich zusammen. Krumm, gebückt tastete er sich an der Hauswand entlang und fiel dann anscheinend erschöpft auf eine Holzbank, die neben der Tür stand. Da blieb er sitzen, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt.
Ernst Harpert war im Schritt weiter gegangen und hatte den Alten scharf beobachtet. Das ganze Benehmen des Mannes da drüben, der noch eben mit so offenbarer Kraft die Leiter aufgehoben hatte, und der sich plötzlich alle Mühe gab, eine traurige Gebrechlichkeit vorzutäuschen, kam ihm verdächtig vor. Keine Frage – ordentlich zusammengezuckt war der weißhaarige Mann, als er das Krächzen des Vogels gehört hatte! Sollte etwa dieses Erschrecken weniger auf die schrillen Laute als auf etwas anderes zurückzuführen sein?! Sollte die dreimalige Wiederholung des Vogelschreis nicht vielleicht ein Warnungssignal gewesen sein, durch das der Alte auf das Nahen des feindlichen Soldaten aufmerksam gemacht wurde? –
Nun, hiervon konnte er sich ja leicht überzeugen. Inzwischen war er nämlich wieder im Schatten des gegenüberliegenden Waldteiles untergetaucht, so daß er vom Forsthaus nicht mehr gesehen werden konnte. Ohne daran zu denken, wie leicht er sich verirren könne, wenn er den Anschluß an seine Kameraden verlor, stellte er sich hinter eine starke, mit Efeu vollständig umsponnene Kiefer und wartete hier geduldig mehrere Minuten. Dann schlich er bis zum Waldrand zurück und schaute nach dem kleinen Häuschen hinüber.
Der Alte saß nicht mehr auf der Bank vor der Tür, er war verschwunden. Schon wollte der Freiwillige, da er annahm, der Mann sei in das Haus gegangen, seinen Weg eilends fortsetzen, als er plötzlich den weißen Kopf des Greises über dem flachen Dach auftauchen sah. Die Leiter vermochte Harpert von hier aus jedoch nicht zu erblicken.
Sofort entschloß er sich unter diesen Umständen, sozusagen die Probe auf das Exempel zu machen. Gebückt, die Augen auf den schmalen Fußpfad geheftet, schritt er auf die Lichtung hinaus, indem er langsam vorwärtsging, als ob er etwas suche. Schon nach wenigen Sekunden trat der von ihm vermutete Erfolg ein. Wieder erklangen drei durchdringende schrille Häherrufe von drüben herüber. Anscheinend kamen sie aus einer Gruppe von Eichen, die im Westen des Forsthauses ihr helleres Grün in das Dunkel einer Tannenpflanzung mischten. –
Schnell bückte sich der Freiwillige jetzt ganz zur Erde hinab, tat, als ob er einen Gegenstand aufhebe und in seinen Brotbeutel stecke. Dabei warf er einen blitzschnellenden, heimlichen Blick nach dem Häuschen hin. Und siehe da, der Alte war nirgends mehr zu entdecken! Und dabei hatte der Mann doch ohne Frage die Absicht gehabt, auf das Dach zu klettern.
Harpert wußte genug. Ohne sich umzublicken, eilte er nunmehr dem Verwundetentransport nach. Wenn er nur fünf Minuten Dauerlauf machte, mußte er ihn sicher eingeholt haben. Da – die erste Verzweigung des Pfades. Wohin nun? – Er entschied sich für den Fußsteg, der nach links abbog. Glaubte er sich doch zu besinnen, daß er am Morgen mit der Kompagnie von dorther gekommen sei. –
Also vorwärts! Drei Minuten scharfen Trab, dann – abermals eine Verzweigung.
Nun wurde die Sache doch ungemütlich. Die Möglichkeit, daß er sich verirrte, lag nur zu nahe. Schon wollte er umkehren und in der Nähe der Lichtung warten, bis Unteroffizier Wendler, der sein Fehlen sehr bald bemerken mußte, einen Mann zurückschicken würde, um ihn suchen zu lassen. Aber ein gewisser Trotz ließ ihn auf diesen sicheren Ausweg verzichten.
‚Selbst ist der Mann!’ dachte er. Und dann reizte es auch die in ihm schlummernde Abenteuerlust, sich allein aus diesem undurchdringlichen Wald herauszufinden. So schlug er denn wieder den Pfad ein, der links abbog, abermals von dem Gedanken geleitet, daß das Tal in der die Reservekompagnie und die Sanitätsmannschaften mit dem Stabsarzt zurückgeblieben waren, mehr in nordöstlicher Richtung liegen müsse.
Wie alle diese Fußgängerstege in den Argonnen, so paßte sich auch der jetzt von dem Kriegsfreiwilligen benutzte völlig dem Gelände an, das heißt er lief überall an leicht passierbaren Stellen entlang, wobei natürlich weite Bogen und Zickzacklinien entstanden, die jeden Unkundigen schnell über die eingehaltene Richtung täuschen mußten. Zu Harperts Unglück zogen nun auch noch dunkle Wolken auf, die die Sonne vollständig verbargen, so daß er sich nicht einmal mehr nach dem Tagesgestirn einigermaßen orientieren konnte.
Eine Viertelstunde später, – inzwischen hatte er noch drei weitere Wegabzweigungen angetroffen, mußte er sich sagen, daß er sich unrettbar verirrt habe. Da beschlich Ernst Harpert zum ersten Mal ein leises Unbegagen. Er dachte an all die Abenteuer, die einer der 4. Kompagnie zugeteilten bayerischen Landwehrleute ihm und den Kameraden erzählt hatte. An die Turkos dachte er, die schon so oft auf schier unerklärliche Art durch die deutschen Linien sich durchgedrängt und dann Patrouillen und einzelne Kameraden heimtückisch überfallen hatten.
Unschlüssig blieb er stehen. Noch immer vernahm er das gelegentliche Dröhnen von Kanonenschüssen, auch hoch über sich das hohle Sausen von Artilleriegeschossen. –
Er schaute nach der Zeit. – Drei Uhr nachmittags war’s. Zwei Stunden also noch, dann kam die Dunkelheit, die Nacht.
Heiß und kalt überlief es ihn bei dem Gedanken, daß er vielleicht die endlosen Nachtstunden hier allein in dem unheimlichen Wald zubringen müsse. Fester klammerten sich seine Finger um den Lauf des Gewehrs. Und von dem kalten Metall schien es jetzt wie ein beruhigender, ermutigender Strom in seine Adern überzufließen. Und mit einem Mal lächelte er fast verächtlich über sich selbst. –
Ein netter Soldat, dem vor der Dunkelheit bangt. Hatte er denn nicht gegen achtzig scharfe Patronen in den Taschen, hatte er nicht sein Gewehr, sein Bajonett, um sich verteidigen zu können. Und – lagen nicht in seinem Brotbeutel noch ein paar Stücke Speck und ein ordentlicher Kanten Kommißbrot, war nicht noch seine Feldflasche zur Hälfte mit kaltem Kaffee gefüllt? Freilich, Mantel und Zeltbahn befanden sich, sauber um den Tornister geschnallt, in dem Unterstand – dort drüben irgendwo. Etwas frieren würde er also wohl. Aber auch das würde auszuhalten sein!
Neu belebt nach dieser kurzen Abrechnung mit sich selbst, setzte er seinen Weg auf gut Glück weiter fort. Doch der Pfad, der bisher trotz aller Windungen immer noch bequem zu begehen gewesen war, endete plötzlich in dem steinigen Bett eines kleinen Gebirgsbaches.
Noch stand Ernst Harpert regungslos und suchte mit den Augen das grüne Rankengewirr drüben nach einem Durchschlupf ab, als er jenseits des Baches von links eine menschliche Stimme vernahm, die in einer ihm unbekannten Sprache einige halblaute Worte rief. Und dann hörte er auch gleich darauf eine zweite Stimme:
„Attention! Ici c’est la torne[1]!“
Mit einem Satz war der Kriegsfreiwillige in das Dunkel des Waldes zurückgesprungen. Wo aber so schnell ein Versteck finden? Lange Zeit zum Suchen hatte er nicht. Also schleunigst auf allen Vieren hinein in das Pflanzengewirr. Es ging besser, als er gedacht hatte. Nun glaubte er genügend gegen Sicht gedeckt zu sein. Vorsichtig brachte er den Körper in eine solche Lage, daß er den Pfad einigermaßen überblicken konnte.
Klopfenden Herzens wartete er. Aber nichts ereignete sich, nichts. Die Minuten schlichen dahin. Alle seine Sinne waren gespannt. Noch einmal glaubte er in der Ferne Stimmen zu vernehmen. Vielleicht war es aber auch eine Selbsttäuschung.
So verging eine reichliche Viertelstunde. Dann erst wagte er sich wieder auf den Pfad hinaus, schlich bis zum Ufer des Baches und blickte sich mißtrauisch um. Nichts – nichts! Nirgens die Spur eines menschlichen Wesens. Und doch waren noch soeben da drüben mindestens zwei Personen gewesen, von denen die eine Französisch gesprochen hatte und die andere –?
Plötzlich gab es Harpert einen förmlichen Ruck durch den Körper. –
Nicht umsonst hatte er ja am orientalischen Seminar in Berlin im Übereifer der ersten Studiensemester einen türkischen Sprachkursus belegt gehabt. So einiges von dem dort Gelernten war noch haften geblieben. Und deshalb schoß ihn jetzt die Erkenntnis durch den Kopf, daß der erste unsichtbare Sprecher, dessen Worte er nicht verstanden hatte, eine Mundart benutzt hatte, die dem Türkischen ziemlich ähnlich klang. Und hieraus folgerte er wieder, daß die eine der beiden Personen möglicherweise ein Turko gewesen sein könne.
Und wieder fielen ihm jetzt die Erzählungen des bayrischen Landwehrmannes ein. Turkos sollten sich ja schon des öfteren hinter den deutschen Linien umhergetrieben und manches Unheil angerichtet haben, ohne daß sich feststellen ließ, wie sie es fertiggebracht hatten, durch die Angriffsfront der Deutschen hindurchzukommen.
Doppelte Vorsicht war mithin geboten, da die Lage für ihn als einzelnen Mann keineswegs gefahrlos schien. Trotzdem wollte er um jeden Preis herausbekommen, was es mit der Leiter auf sich hatte, von der der Franzose gesprochen hatte. Vielleicht war ihm das Glück hold und er machte irgendeine wichtige Entdeckung, die endlich Aufschluß darüber gab, wie der Feind trotz aller Achtsamkeit von deutscher Seite immer wieder im Rücken der Schützengräben aufzutauchen vermochte. Dann war ihm womöglich gar das Eiserne Kreuz sicher! Und dieses zu erringen, das war sein heißester Wunsch vom ersten Tage seiner militärischen Laufbahn an.
Also vorwärts! Nicht mehr lange, dann wurde es dunkel. Bis dahin mußte er etwas gefunden haben – zum mindesten die Leiter, die der eine Mann erwähnt hatte. Die Richtung, woher die Stimmen gekommen waren, hatte er noch gut im Gedächtnis. Dort drüben war es gewesen, wo die eine Kiefer, ein wahrer Riese, sich schräg über den Bach neigte. Dieser war unschwer zu durchschreiten. Nun befand er sich dicht vor der Kiefer. Wieder bohrte er seine Augen in die mit großen Felsbrocken bestreute Uferdickung ein. Irgendwo würde er schon eine Stelle finden, wo er sich mit seinem schlanken Körper hindurchwinden konnte. Sofort versuchte er es auch. Es gelang. Bald fand er auch eine kleine Lichtung, wo er schneller vorwärtskam. Seiner Schätzung nach mußte er nun etwa fünfzig Meter von dem Bächlein entfernt sein. Aber von einem Pfad, den er hier vermutet hatte, war immer noch nichts zu sehen. So drang er jetzt etwas nach links in das Unterholz ein. Steinig war der Boden hier, und die scharfen Felskanten drückten sich schmerzhaft in seine Handflächen und Knie ein. Außerdem stieg das Gelände ziemlich steil empor. Da – wieder eine Waldblöße, flach und eben wie eine Tenne. Ein dickes Moospolster bedeckte hier den steinigen Grund, und nur einzelne Farnbüschel reckten sich aus diesem grünen Teppich in die Höhe.
Und dort – wahrhaftig, dort zog es sich wie eine helle Lichtung durch das dunkelgrüne Moos hin. Es war ein Pfad, der hier über die Waldblöße lief. Und Ernst Harpert verfolgte ihn Schritt für Schritt bis dorthin, wo wieder das undurchdringliche Gestrüpp begann. Aber eine Fortsetzung des schmalen Steges gab es hier nicht, und ebensowenig auf der anderen Seite der kleinen Lichtung.
Harpert stand vor einem vollkommenen Rätsel. Er grübelte und grübelte, suchte nach einer Erklärung für den sich so deutlich auf dem Boden abzeichnenden Pfad. Er fand keine. Ein Wildwechsel war das nicht. Auch die Tiere des Waldes würden hier kaum zu ihrem Vergnügen auf dem kurzen Steg hin und her gewandert sein. Denn eine Fortsetzung war ja nicht vorhanden, weder nach der einen noch der anderen Seite hin. Oder aber sie mußten durch die Luft weitergeflogen sein. –
Durch die Luft? –
Harpert stutzte. Ein neuer Gedanke war in ihm aufgeblitzt. Und im Augenblick hatte er ihn nachgeprüft.
Der die Lichtung durchschneidende, kaum acht Meter lange Pfad begann merkwürdigerweise vor dem Stamm einer mächtigen Kiefer und endigte auch wieder vor einem Baum der gleichen Gattung. Und am Fuß dieser beiden Bäume war das Moos abgestorben, als ob hier an dieser Stelle die Geschöpfe, die den Weg mit ihren Füßen geschaffen hatten, von irgendwo aus größerer Höhe herabgesprungen waren. –
So kam es, daß der Kriegsfreiwillige sich nun den einen Baum etwas genauer ansah. Nirgends ein Ast in der rissigen, dicken Borkenrinde! Nun bog er die Efeuranken, die auch diese Kiefer mit ihrem grünen Gespinst zum Teil umwickelt hatten, zurück, schwang sich auf einen Felsblock und schaute sich auch die andere Seite des Baumes an. Einen förmlichen Ruck gabg es ihm da, so überrascht war er. –
Nun hin zu der zweiten Kiefer. Auch hier fand er dasselbe: starke Eisenklammern waren in den Stamm in Abständen von einem halben Meter eingeschlagen. –
Ob das etwa die ‚Leiter’ war, die der eine Franzose gemeint hatte? Und – zu welchem Zweck nur mochten die Klammern, die gut zwanzig Zentimeter breit waren und zehn Zentimeter herausragten, hier angebracht worden sein? Natürlich um das Ersteigen der Bäume zu erleichtern. Aber – hatte man aus den höchsten Ästen dieser Kiefern wirklich einen so weiten Überblick über das Gelände, der diese Vorrichtung rechtfertigte? Weiter: weshalb waren denn zwei so dicht beieinander befindliche Bäume mit den eisernen Klammern versehen worden? Nein, zum Zweck der Beobachtung war diese Anlage kaum geschaffen. Da steckte mehr dahinter. Aber was?
Blitzschnell hatte Harpert sich das alles überlegt. Er mußte die Sache aufklären. Fest entschlossen war er dazu. So hängte er sich denn das Gewehr über den Rücken und begann an der Kiefer, die auf dem ansteigenden Teil des Berges stand, die ungewohnte Kletterübung. Nun – es ging besser, als er gedacht hatte. Dann hörten die Steigeisen gleich hinter dem ersten starken Ast auf. Der aber erstreckte sich waagerecht bis in die Zweige des nächsten Nadelbaumes hinein, und über ihm befand sich in eineinhalb Meter Höhe ein zweiter, jüngerer, der in der selben Richtung verlief.
Harpert betrachtete sich den unteren Ast genauer. Die Rinde war auffallend glatt, sah wie abgescheuert aus. Und dann dämmerte ihm die richtige Erkenntnis auf: Der Pfad da unten in der Lichtung hatte hier in den Baumkronen seine Fortsetzung! Fürwahr, ein glänzender Gedanke, eine mehr als listenreiche Anlage, um unbemerkt seinen Weg über den Erdboden nehmen zu können!
Keine Sekunde zauderte der Freiwillige. Mit den beiden Händen den oberen Ast umspannend, benutzte er den unteren als Laufplanke. Erst noch etwas unsicher hatte er sich bald an diese Art der Fortbewegung gewöhnt. Nun verließ er den ersten Baum und betrat auf dieselbe Weise, die ineinanderragenden Äste als Stützpunkte benutzen, eine zweite Kiefer. Bei dieser mußte er jedoch erst an fünf Steigeisen in die höheren Äste hinaufklimmen, ehe er die zur Fortsetzung des merkwürdigen Weges nötigen wagerechten starken Zweige fand. Von Baum zu Baum ging es so weiter. Einen wildzerklüfteten Berg passierte er auf diese Weise. Jetzt zog sich der Wald über einen nur sanft emporsteigendes Gelände hin. Zur Linken schienen die Bäume lichter zu stehen. Noch drei weiteren Kiefern und Ernst Harpert sah mit einem Mal durch eine Lücke in den Zweigen eine Lichtung links von sich liegen.
Ein kleines Häuschen stand mitten darin, mit flachem, steinbeschwertem Dach: die Försterei!
Inzwischen war die Dämmerung schon ziemlich weit vorgeschritten, und die Aufgabe, sich in den Astgewirr zurechtzufinden, besonders aber die richtigen Verbindungsstege zwischen den einzelnen Stämmen zu entdecken, wurde immer schwieriger.
Unschlüssig hatte der Kriegsfreiwillige sich an den Baum gelehnt, in dessen Krone er sich gerade befand. Mit einer gewissen Erleichterung war er sich jetzt bewußt, daß er den Rückweg zu seiner Kompagnie kaum noch verfehlen könne. Da drüben lag ja, kaum noch hundert Meter von ihm entfernt, die Lichtung, von deren westlichem Rand ein Pfad bis zu den Schützengräben der Vierten hinüberlief. –
Wie aber jetzt auf den Erdboden zurückgelangen? Denn an dem glatten Stamm dieser mannsstarken Kiefern hinabzuklettern, das war einfach unmöglich, selbst für einen noch so gewandten Turner. Und doch – irgendwie mußte er hinab. Vielleicht fand er in Reichweite einen dünneren Baum, an dem er den Abstieg versuchen konnte.
So setzte er denn seinen Weg weiter fort, stets nach allen Seiten umherspähend, ob er nicht einen geeigneten Stamm entdecken könnte. Aber wie schwer wurde ihm jetzt bei der zunehmenden Dunkelheit dieses Vordringen auf dem unsicheren Pfad. Ein Fehltritt, und er sauste einige fünfzehn Meter in die Tiefe!
Unendlich lange Zeit brauchte er, bevor er auch nur drei bis vier Bäume passiert hatte. Und immer noch keine Kiefer in der Nähe, die etwas schlanker als die übrigen gewesen wäre.
Dann – wie gebannt blieb er stehen, rührte kein Glied. Stimmen hatte er vernommen, leise Stimmen, und zwar wenige Meter vor dem Baum, den er soeben betreten hatte. Da unten im Gewirr des Unterholzes, das man kaum noch als solches erkennen konnte, wurde gesprochen. Französische Worte waren es ohne Zweifel. –
Und wieder dieselbe Stille wie zuvor. Nur die Gipfel rauschten, und in weiter Ferne fielen ein paar Schüsse. –
Unablässig durchspäten Harperts Blicke das Halbdunkel des Waldbodens. –
Wieder eine Stimme: „Ici, mon Officier[2].“
Gleich darauf andere Laute, ein Kratzen und Scharren, das der Freiwillige sofort richtig deutete. Dort, vielleicht zehn Meter vor ihm, erstiegen Leute mit Hilfe der Eisenklammern eine der Kiefern. Und jetzt erblickte er auch an dem drittnächsten Baum zwei Gestalten, die gewandt in die Höhe kletterten. Es war bereits zu dunkel, um die Personen deutlich erkennen zu können. Aber das sah er doch, sie trugen die Phantasieuniformen der französischen Kolonialtruppen.
Mit zwei Schritten war er zurück bis an den Stamm seiner Kiefer, lehnte sich nun dagegen und schlang den rechten Arm um einen kurzen Ast, um einen besseren Halt zu haben. Mit der Linken nahm er vorsichtig das Gewehr von der Schulter. Denn – eine Flucht war unmöglich! Und – er wollte auch nicht fliehen! Ganz nahe heranlassen wollte er die beiden, und dann – seines Schusses war er sicher!
Aber es kam anders. Die Schatten da drüben schlugen die Richtung nach Westen ein. Noch ein paarmal hörte Harpert das leise Kratzen und Scharren, dann waren die Feinde verschwunden. Und wie genau die beiden Franzosen diesen gefahrvollen Weg durch die Baumwipfeln kennen mußten! Wie schnell sie vorwärtskamen! Sicherlich hatten sie diesen geheimen Weg schon recht oft gemacht, der sich also noch weiter fortsetzte, wahrscheinlich über das angeblich ganz unzugängliche Felsplateau hinweg, das man beim Einrücken in die Schützengräben hatte umgehen müssen, und das ebenso wahrscheinlich bis in die französischen Linien hineinführte.
Jetzt erst wurde es dem Freiwilligen so recht klar, wie überaus wichtig die Entdeckung war, die er lediglich einem Zufall, eben dem, daß er sich verirrt hatte, verdankte. Und noch eins, nun wußte er ja auch, wo er bequem auf den Erdboden zurückgelangen könne. Der Feind selbst hatte ihm diese Schwierigkeit gelöst.
Wenige Minuten später hatte er dann die betreffende Kiefer erreicht, an der die beiden Franzosen emporgestiegen waren. Wirklich – auch hier gab es dieselben starken Eisenklammern, und sie reichten bis etwa einen Meter über den Boden hinab. Auf der letzten machte Harpert einen kurzen Halt und schaute sich das Gestrüpp am Fuße des Baumes näher an. In der Tat bemerkte er auch eine lichtere Stelle. Ein Sprung und er stand auf dem moosbewachsenen Steinboden, stand auf einem kaum sichtbaren Pfad, der nach Süden zu lief. Diesen verfolgte er, um baldigst die Lichtung zu erreichen. Das war aber leichter gewollt wie getan. Der schmale Steig bog bereits wenige Schritte weiter scharf nach Osten ab, wo sich ein neuer Pfad in westlicher Richtung abzweigte. Bald stellte Harpert fest, daß es in diesem Teil des Waldes ein wahres Labyrinth von sich kreuzenden Wegen gab, die aber sämtlich nach kurzer Zeit im schlimmsten Waldesdickicht und an ganz unpassierbaren Stellen endeten.
Viertelstunde um Viertelstunde verstrich. Der Freiwillige war bereits mutlos geworden. Einmal hatte er versucht, sich durch dick und dünn nach Süden zu gewaltsam einen Weg zu bahnen, um die Lichtung, die doch gar nicht so sehr weit entfernt war, zu erreichen. Mit seinem Seitengewehr hieb er wütend in das zähe Rankengewirr hinein, gab aber nur zu bald diese Arbeit auf, da er das Unmögliche eines solchen Unterfangens einsah. Also wieder zurück auf den Pfad! Ein Glück nur, daß das Mondlicht selbst in dieser Dunkelheit jetzt wenigstens einige seiner Strahlen hinabschickte, sonst würde Harpert wohl nie den Ausweg aus diesem fraglos absichtlich angelegten Labyrinth von Stegen gefunden haben.
Endlich, endlich lichtete sich der Wald. Und nun stand er am Rande der Waldblöße. Vor ihm lag die Försterei. Kein Fenster hell, kein Laut da drüben zu vernehmen. Nur aus dem Schornstein stieg eine dünne, kaum wahrnehmbare Rauchsäule empor.
Die Försterei – mit einemmal fiel Harpert sein Erlebnis mit dem weißköpfigen Mann wieder ein, dachte er an das Signal des dreifachen Vogelschreies, das doch sicherlich ein Warnungszeichen gewesen war.
Weiter eilten des Kriegsfreiwilligen Gedanken. Ja, die beiden Franzosen, die er da vorhin von seinem luftigen Lauscherposten aus beobachtet hatte, die konnten doch nur aus der Försterei gekommen sein. Zum mindesten sprach hierfür die größte Wahrscheinlichkeit. Die Bewohner des einsamen Häuschens kamen ihm immer verdächtiger vor. Der Alte, der den gebrechlichen Greis gespielt hatte, – ob er etwa mit seinen Landsleuten unter einer Decke steckte und den Spion spielte? Und ob es nicht das Richtigste in dieser Lage war, wenn er noch einige Stunden hier ausharrte und die Försterei im Auge behielt? Vielleicht gab es in der Dunkelheit noch mehr zu hören und zu sehen als am Tage. Außerdem – jetzt merkte er erst, wie wütend ihn der Hunger plagte und der Durst quälte. Und so wollte er zunächst einmal für seine leiblichen Bedürfnisse sorgen.
Er schlich denn am Rande der Lichtung hin und suchte nach einer passenden Stelle, wo er ungesehen sich näher an das Haus heranpirschen konnte. Ein schmales, kümmerliches Rapsfeld zog sich hier nach den ersten Nadelbäumen bis dicht an die Försterei heran. Und dieses bot eine vorzügliche Deckung.
Nun lag er keine dreißig Schritt vor der Försterei in dem Rapsfeld und labte sich an Kommißbrot, Speck und kaltem Kaffee. Vorhin am Waldrand hatte er auch nach der Uhr gesehen. Halb neun war es bereits. Immer höher stieg der Mond. Und dann war er gesättigt, packte seine arg zusammengeschmolzenen Vorräte wieder weg.
Da – was war das? – Deutsche Stimmen, laut unbekümmert. Er richtete sich etwas auf. Vier Soldaten sah er, die Gewehre über die Schulter gehängt, auf die Tür zuschreiten. Wieder eine Stimme:
„San alte Leut’ halt, Kam’raden. Und wir han ihna immer so a wennigerl von unser Essen abgegeb’n.“
Also Essen brachten die Deutschen nach diesen Menschen hier, die doch sicherlich nur Böses gegen die gutmütigen ‚Barbaren’ im Schilde führten! Ein ärgerliches Lächeln flog über Harperts Gesicht. Nun, er wollte schon herausbekommen, ob sein Verdacht begründet war! Ganz still verhielt er sich. Nun klopften die Feldgrauen an die Haustür, verschwanden im Innern, um jedoch sehr bald wieder zurückzukehren und den Weg in Richtung der Schützengräben einzuschlagen.
Eine Stunde verging. Nichts rührte sich auf der Waldblöße. Dann aber – das war das Knarren der Haustür! Harperts Kopf flog empor. Wahrhaftig, beinahe wäre er eingeschlafen.
Undeutlich bemerkte er eine weibliche, in ein Tuch gehüllte Gestalt, die nun ein Stück in die Lichtung hineinhuschte und dann wie lauschend stehen blieb. Erst nach einer ganzen Weile verschwand sie wieder in der Försterei.
Elf Uhr war es jetzt. Da gab Harpert die Sache auf. Die alten Leutchen waren sicher schon zur Ruhe gegangen. So machte er sich denn auf den Rückweg zu seiner Kompagnie. Nachdem er sich tief gebückt bis an den Rand der Waldblöße an das Rapsfeld hindurchgearbeitet hatte, eilte er unter den ersten Bäumen weiter und kam so schon nach kurzer Zeit an den Pfad, der auf die deutschen Schützengräben zulief. Hastig und doch mit aller Vorsicht verfolgte er diesen. Einmal kam er vom Weg ab, fand sich dann aber wieder zurecht.
Jetzt vor ihm ein lautes: „Halt – wer da!“
Einer der Posten war es, die man im Rücken der Verschanzungen aufgestellt hatte.
Leutnant Karsten, der in seinem Unterschlupf, eingehüllt in seinen Umhang und eine wollene Decke, fest geschlafen hatte, wollte erst gar nicht glauben, daß es wirklich der Freiwillige war, der so plötzlich mitten in der Nacht auftauchte.
„Sind Sie’s oder Ihr Geist, Harpert! Ja, Menschenskind, wo haben Sie denn nur gesteckt?“
Auch Unteroffizier Wendler, der längst von dem Verwundetentransport zurückgekehrt war, wurde jetzt munter.
„Wie ‘ne Stecknadel haben wir Sie gesucht, Harpert, und uns eine gute Stunde dadurch versäumt. Und nachher hat der Herr Kompagnieführer nur Ihretwegen vier Patrouillen zum Durchstöbern des Waldes ausgeschickt. – Na, ich denke, es wird einen ganz netten Anpfiff geben für diesen Solospaziergang!“
Zu des Unteroffiziers Entsetzen wagte dieser Frechdachse von einem Kriegsfreiwilligen sogar noch zu lächeln. Aber Wendlers schlechte Laune schwand sehr schnell dahin, als Harpert jetzt ganz eingehend seine merkwürdigen Erlebnisse schilderte; erst seine Beobachtungen bei der Försterei, dann die Entdeckung des geheimen Weges durch die Baumwipfel und sein Zusammentreffen mit den beiden Turkos.
Der Leutnant hatte schweigend zugehört. Nur mitunter schüttelte er fast ungläubig den Kopf. Als Harpert dann mit seinem Bericht zu Ende war, erhob er sich, knöpfte entschlossen den grauen Waffenrock zu und sagte:
„Die Sache muß ich sofort unserm Kompagnieführer melden. Sie ist zu wichtig, als daß man irgend etwas vernachlässigen dürfte. Ich wäre dafür, jetzt sofort ein paar Mann zur Beobachtung des Spionagenestes auszuschicken. Denn darin gebe ich Ihnen vollständig recht, Harpert: dieser alte, so harmlos scheinende Mann steckt sicher mit den französischen Truppen unter einer Decke. – Vorwärts, kommen Sie mit, Harpert.“
Oberleutnant Sarbotta schnarchte mit dem Gefreiten Bastl in seinem Unterstand zusammen ein Duett, das sich hören lassen konnte. Aber auch er schüttelte die bleierne Müdigkeit nach den Anstrengungen der beiden letzten Tage im Umsehen ab, als Leutnant Karsten nur andeutete, um was es sich handelte. Dann mußte der Freiwillige nochmals seinen Bericht wiederholen. Und ehrlich anerkennende Worte waren es, die der Kompagnieführer dem jungen Soldaten dann zollte.
„Ihre Entdeckung ist von allergrößter Wichtigkeit,“ fügte er schließlich hinzu. „Wir sind vielleicht jetzt in der Lage, mit Hilfe des geheimen Weges den Feind aus den Stellungen, die er nun schon vierzehn Tage mit größter Zähigkeit besetzt hält, herauszuwerfen. Doch davon später. Zunächst müssen wir dafür sorgen, daß den Förstersleuten weitere Verrätereien unmöglich gemacht werden.“
Eine Viertelstunde später brach dann Leutnant Karsten mit fünf Mann nach dem Forsthaus auf. Unteroffizier Wendler hatte himmelhoch gebeten, ihn doch nur ja mitzunehmen. Auch Harpert war mit von der Partie. Das wäre ja noch schöner, hatte er zu seinem Zugführer gesagt, wenn er nur wegen des bißchen Schlafs hier im Unterstand hocken wollte. Bastl aber mußte als der Ortskundigste sich dem kleinen Trupp ebenfalls anschließen.
Bestimmte Befehle hatte Karsten von dem Kompagnieführer nicht erhalten. Er solle ganz nach Lage der Dinge handeln. Jedenfalls müsse man sich aber so lange auch ein Beobachten des Hauses beschränken, bis man so schwerwiegende Beweise gegen das alte Ehepaar besäße, um dieses auch wirklich überführen zu können.
Unterwegs hatte Harpert mit seinem Leutnant nochmals die ganze Sache genau durchgesprochen und dabei auch dem Argwohn Ausdruck gegeben, daß der weißhaarige Alte wahrscheinlich seine Frau als Beobachtungsposten benutze, was den ganzen Verhältnissen nach ja auch sehr nahe lag. Deswegen schlug er auch vor, damit man durch eine Unachtsamkeit ja nichts vererben, zunächst nur den Gefreiten Bastl als Späher auf die Lichtung hinauszuschicken, da dieser als Jagdaufseher von Beruf wohl die besten Augen habe und sich am geschicktesten anschleichen könne.
Karsten hielt diese Vorsicht zwar für übertrieben, da kaum anzunehmen sei, daß sich in dieser Nacht noch etwas ereignen werde, schickte dann aber doch den Gefreiten voraus. Dieser gab sein Lederzeug an einen der Kameradin ab und behielt nur das Gewehr bei sich. Dann huschte er davon. Die anderen aber setzten sich, einer hinter dem anderen, auf den schmalen, dunklen Pfad nieder und warteten auf Bastl’s Rückkehr.
Eine gute Viertelstunde verging. Der Mond war inzwischen wieder von dunklen Gewölk verdeckt worden, und die Finsternis daher so undurchdringlich geworden, daß man kaum ein paar Schritte weit Gegenstände auch ungefähr unterscheiden konnte. Dann das leichte Knacken eines trockenen Zweiges.
„I bin’s, der Bastl,“ erklang gleich darauf des Bayern vorsichtig gedämpfte Stimme.
Karsten erhob sich. „Nun, was gibt’s? Natürlich alles sicher?“ meinte er.
„Hat sich was, Herr Leutnant! Wir kommen grad’ zur rechten Zeit. Dem Weibsbild, das da vorn, wo dieser Weg auf die Waldblöß’ münde, Wache stand, – ihr muß grad’ was, als ich dicht vor ihr war, in die unrechte Kehl’ gekommen sein und sie hüstelte so ganz a wenig, sonst hätt ich sie kaum geseh’n – also dem Weibsbild hab’ ich die Gurgel zugedruckt, daß ‘s nimmer schrei’n konnt’, hab’ ihr mit mein Schnupftücherl die Händ’ und mit ihr’ Schurz’n die Füß’ gebunden und ihr noch a Fetzen Zeug zwischen die Zähn’ geschoben, daß ‘s nimmer laut werden kann. Na – und auf dem Dach vom Häusl, Herr Leutnant, da steht einer und gibt mit a elektrisch Lamperl Zeichen. Ich mein’ halt, das wär genug Neues auf einmal.“
„Unglaublich! So eine Bande!“ preßte Karsten wütend zwischen den Zähnen hervor. „Weiter denn, Leute, daß wir der Geschichte ein Ende machen!“
In aller Stille drang man vor, bis man auf ein mitten auf dem Pfad liegendes dunkles Bündel traf. Es war die Frau des Försters, die jetzt wieder in ohnmächtiger Wut an ihren Banden zerrte und doch nicht freikam. Bastl hatte die Alte nur zu sorgfältig gefesselt. Auf sein Anraten wurde nun einer der Soldaten als Wache bei dem Weib zurückgelassen. Die übrigen aber entledigten sich aller Sachen, durch deren Geräusch sie sich irgendwie vorzeitig verraten konnten. Dann ging’s wieder vorwärts.
Nur wenige Schritte noch, und man befand sich auf der Lichtung. Lautlos eilten die Deutschen, den Anweisungen des Offiziers folgend, nach verschiedenen Richtungen auseinander, um das Haus zu umstellen, das wie ein dunkler Fleck vor ihnen lag. Nur der Leutnant und der Gefreite blieben zusammen, da sie beide versuchen wollten, den Mann, der da oben auf dem Dach noch immer mit der Laterne Zeichen in die Nacht hinaus gen Westen sandte, noch während seiner Handlungen dingfest zu machen.
Unbemerkt kamen Karsten und der wackere, aber viel zu gutmütige Bastl bis in die nächste Nähe der Försterei. Jetzt glitten sie, nachdem sie den niedrigen Zaun überstiegen hatten, auf die Leiter zu, die an der nördlichen Seite des Häuschens angelehnt stand.
In der Rechten die Pistole haltend, kletterte der Leutnant allein empor. Der Gefreite sollte die Haustür und die Fenster beobachten, damit auch dieser Ausweg versperrt blieb. Vorsichtig hob Karsten den Kopf über den Rand des Daches. –
Der weißhaarige Mann, der da oben auf dem Schornstein stand, ahnte nicht, wie nahe ihm das Verhängnis war. Jetzt löschte er die elektrische, sehr hell brennenden Lampe für einen Augenblick aus und starrte, weit vorgebeugt, nach Westen zu in die dunkle Nacht hinaus, dorthin, wo die einzelnen Bergzüge der Argonnen terassenförmig sich immer höher türmten.
In weiter, weiter Ferne blitzte nun ein weißes Licht auf, verschwand, erschien wieder, immer in unregelmäßigen Zwischenräumen, bald für längere Zeit, bald nur einen Moment aufflammend.
Dann hob der Alte wieder seine Lampe, ließ deren Strahlen die Dunkelheit zerschneiden. Und geduldig wartete der heimliche Lauscher. Absichtlich wollte Karsten den Förster diesen Zeichenaustausch erst beenden lassen, damit die Franzosen drüben nicht etwa durch einen vorzeitigen Abbruch der Lichtsignale hier auf der Waldlichtung argwöhnisch würden.
Einige Minuten vergingen. Abermals in der Ferne eine Antwort: drei langandauernde Blitze. –
Der Alte schaltete seine Lampe aus und stieg gelenkig vom Schornstein herab, um in das Innere des Hauses zurückzukehren. Er drehte sich um, tat einen Schritt auf die Leiter zu. Da erst gewahrte er den deutschen Offizier, der mit halbem Oberkörper über den Dachrand hinausragte.
„Guten Abend,“ sagte Karsten mit merklicher Ironie in französischer Sprache. „Wollen Sie jetzt ohne jeden Widerstand herabkommen! Das Haus ist umstellt. Und bei der geringsten verdächtigen Bewegung schieße ich Sie über den Haufen.“
Der Franzose, erst ganz erstarrt vor Schreck, faßte sich schnell. Rettung suchend irrten seine Blicke umher. Da hatte sich aber der Offizier auch schon auf das Dach geschwungen und zeigte auf die Leiter.
„Hinunter – sofort!“ Der Alte sah in der Rechten des Feindes die drohende Pistole. Er selbst war waffenlos. Und langsam begann er den Abstieg.
Ein Pfiff, und Bastl nahm den Gefangenen unten in seine Obhut. –
Der Morgen begann gerade zu grauen, als Karsten und Unteroffizier Wendler mit dem Ehepaar, dem jetzt nur die Hände gefesselt und die Kehlen durch Knebel verschlossen war, in den Schützengräben eintraten. Die übrigen Teilnehmer dieses erfolgreichen Zuges waren in der Försterei zurückgeblieben, wo sie die Räume genau durchsuchten und etwaige französische Schleichpatrouillen, die vielleicht mit Hilfe des Weges durch die Baumkronen bis an das Häuschen vordrangen, abfassen sollten.
Der Kompagnieführer war ehrlich erstaunt über diesen günstigen Ausfall des Unternehmens, den er nun sofort mit Hilfe des Feldtelephons dem Bataillonskommandeur meldete. Dieser übernahm dann die weitere Ausnutzung der wertvollen Entdeckung, die der Freiwillige Harpert gemacht hatte. Kurze, aber inhaltseiche Befehle übermittelt das Telephon an die Führer der drei in vorderster Linie liegenden Kompagnien. Auch die benachbarten deutschen Truppen wurden von der Absicht, das heute in der zehnten Vormittagsstunde ein Angriff auf die Franzosen unternommen werden solle, verständigt. Alles wurde genau vereinbart, damit dieser Vorstoß auch auf der ganzen Frunt die genügende Unterstützung fand. Besonders rechnete man auf die Mitwirkung der Artillerie, die den Sturm vorbereiten sollte.
Eine Stunde später befand sich Leutnant Karsten mit zwanzig Mann schon wieder in der Försterei. Und wenig später trafen hier auch weitere dreißig Feldgraue unter Führung eines Vizefeldwebels ein, die der Bataillonskommandeur von der Reservekompagnie zur Verstärkung der Abteilung geschickt hatte, welche unter Karstens Befehl den Versuch machen sollte, auf dem geheimen Weg durch die Kiefernwipfel bis in den Rücken der feindlichen Stellung zu gelangen.
Harpert, Unteroffizier Wendler und der bayrische Gefreite bildeten die Spitze. Sämtliche Männer hatten, um sich freier bewegen zu können, die Tornister abgelegt. Zwölf, die im Pionierdienst ausgebildet waren, trugen in ihren Brotbeuteln und in leichten Rucksäcken Handgranaten bei sich.
So drang man von der Waldblöße aus auf dem Pfad bis zu der Kiefer vor, die Harpert vor kaum zwölf Stunden zum Abstieg nach dem gefahrvollen Gang durch die Baumwipfel benutzt hatte.
Die Spitze unter des Kriegsfreiwilligen Führung war immer einige dreißig Bäume voraus. Verbindungsleute, die in Rufweite einander folgten, sorgten dafür, daß Meldungen von der Spitze sofort an den Haupttrupp weitergegeben werden konnten.
Mit möglichster Stille ging es vorwärts. Die Mannschaften – es waren besonders geschickte Leute für diesen Zweck ausgesucht worden – gewöhnten sich sehr schnell an die merkwürdige Art, wie man hier von Baum zu Baum gelangte. Allen merkte man an, welchen Spaß ihnen dies außergewöhnliche Abenteuer machte.
Bald befand man sich über jenem wildzerklüfteten Felsplateau, das bisher für völlig unpassierbar gegolten hatte. Und diese Annahme traf auch, soweit der von undurchdringlichem Gestrüpp, Felstrümmern und Schlinggewächsen bedeckte Waldboden in Frage kam, vollkommen zu. An diesen luftigen Weg hoch über der Erde hatte aber niemand von den Deutschen gedacht. Mochte er, da er sich ja den geeigneten Bäumen anpassen mußte, auch noch so gewunden sein, immer strebte er nach Westen zu.
Wie ein mächtiger Keil schob sich das Plateau mit seinen unwegsamen Baumbestand in die deutsche Front in einer Breite von einigen vierhundert Metern hinein. Diese vierhundert Meter weite Lücke war bisher lediglich durch ständige Patrouillen, die auf einem nach langer Arbeit quer durch das Unterholz geschlagenen Pfad von dem südlichen zum nördlichen Schützengraben hin und hergingen, gesichert worden, eine Schutzmaßregel, die auch scheinbar genügt hatte, da ja dieser Waldteil völlig unzugänglich zu sein schien.
Jetzt befand sich die Spitze der Abteilung des Leutnant Karsten genau über diesem Pfad. Eine der Patrouillen verschwand eben nach Norden zu. Die drei Männer unterhielten sich flüsternd, rauchten ihre kurzen Holzpfeifen mit Behagen und ahnten, daß über ihnen von den mit Efeuranken dicht durchwundenen Ästen deutsche Kameraden auf sie herabblickten.
Noch eine halbe Stunde – man kam bei dieser Art des Marsches ja sehr langsam vorwärts – dann nahm der Wald einen anderen Charakter an. Einige riesige, uralte Buchen und Eichen mischten ihr helleres Grün in den dunkleren Nadelbehang der Kiefern. Efeu und Schlingpflanzen wurden seltener. Dafür wucherten aber die Farnkräuter, Haselnußsträucher und pyramidenartige Wacholderstämme desto üppiger. Der Untergrund schien hier also aus fetterem Lehmboden zu bestehen.
Immer vorsichtiger wurde die Spitze, immer häufiger machte sie halt um zu lauschen. Ohne Frage befand man sich ja bereits auf vom Feind besetztem Gelände. Und dann hörte der Weg durch die Kiefernwipfel plötzlich auf und zwar in der Krone einer einzeln stehenden, dicht belaubten Eiche. Unteroffizier Wendler ließ nun an den Haupttrupp weiter melden, daß dieser zunächst noch dort bleiben solle, wo er sich gerade befand, bis die Spitze von dem benachrichtigten Kundschaftergang zurückgekehrt sei.
Wendler, Harpert und der Bayer kletterten von dem Baum hinab und schlichen durch das hier ziemlich licht stehende Unterholz weiter vorwärts. Bald merkten sie, daß der Wald sich noch ein Stück an einem Abhang hinunterzog und dann ganz aufhörte. Nun schlugen sie einen Bogen nach Süden, um an den Rand des Forstes zu gelangen. Dort mußte sich ja die Ebene befinden, deren westlichen Teil die Franzosen bisher so erfolgreich gegen alle deutschen Angriffe verteidigt hatten.
Endlich waren die drei am Ziel. Nebeneinander lagen sie vor den letzten Bäumen in einem dichten Wacholdergebüsch. Und – wahrhaftig, dort links in etwa zweihundert Meter Entfernung zog sich der französische Schützengraben hin. Deutlich waren die Turkos zu erkennen, die gebückt in den Verschanzungen hin und hergingen.
Wendler sah nach der Zeit. Gleich neun war es. Und um neun sollte ja die Artillerie mit dem Feuer beginnen.
Hell strahlte die Sonne vom herbstlich klaren Himmel herab, hell beschienen sie auch die französischen Maschinengewehre, die an günstigen Plätzen in fünfzig Meter Abstand hinter den Verschanzungen aufgebaut waren. Jedenfalls mußte der Feind sich sehr sicher fühlen, da am Waldrand auch nicht ein einziger Posten zu bemerken war. –
Wendler hatte genug gesehen. Zurück also zum Haupttrupp. Noch auf dem Weg dahin hörten die drei in der Ferne die ersten dumpfen Kanonenschüsse und gleich darauf das Krach – Bum der einschlagenden Granaten. Ununterbrochen grollte jetzt der Geschützdonner mit einer Heftigkeit, wie die Franzosen ihn seit Wochen nicht erlebt hatten. Dann – Punkt zehn Uhr schwieg die Artillerie verabredungsgemäß. Inzwischen hatte Leutnant Karsten seine fünfzehn Mann am Waldrand entlang gut versteckt postiert.
Die Artillerie schwieg. Aber dafür rasselte jetzt mit einemmal den völlig überraschten Franzosen ein Schnellfeuer in die Flanke, daß auf hunderte von Metern sich kein Turko aus den von der Seite mit einem wahren Kugelhagel bestrichenen Schützengräben herauswagte. Auch die Bedienungsmannschaften der nächsten Maschinengewehre waren in kurzem abgeschossen.
Diesen Moment der Wehrlosigkeit des Gegners nutzten die deutschen Kompagnien aus. So war es beabsichtigt gewesen, und so gelang es auch. Oberleutnant Sarbotta führte die Seinen als erster zum Sturmangriff vor. Fast ohne Verluste kam man an den Feind heran. Die meisten Turkos, die noch ganz kopflos in den Unterstellenden stecken, wurden gefangen genommen.
Immer weiter griff das Gefecht um sich. Jetzt, wo an dieser einen Stelle erst einmal der Durchbruch geglückt war, und die sämtlichen inzwischen herangeführten Reserven in diese Lücke geworfen wurden, verlor der Gegner eine Stellung nach der anderen. Und als dann am Nachmittag bei sinkender Sonne der Kampf deutscherseits abgebrochen wurde, lagen die deutschen Linien in diesem Abschnitt der Argonnen teilweise bis zwei Kilometer weiter nach Westen zu, ein Erfolg, der bei der Schwierigkeit des Geländes so bedeutend war, daß der Oberkommandierende am folgenden Tag den siegreichen Truppenteilen in einer besonderen Bekanntmachung seine vollste Anerkennung zollte und seinen warmen Dank aussprach.
Und wieder einen Tag später rief der Kompagnieführer Oberleutnant Sarbotta den kriegsfreiwilligen Harpert in den Telephonunterstand.
„Der Herr Bataillonskommandeur will Sie sprechen, Harpert,“ meinte er schmunzelnd.
Unruhig klopfenden Herzens nahm der Freiwillige den Hörer in die Hand. Als er ihn aber wieder weglegte, da strahlte er über sein ganzes junges Gesicht. Und stramm sich vor dem Oberleutnant aufpflanzend meldete er:
„Kriegsfreiwilliger Harpert soeben zum Unteroffizier befördert und außerdem auch zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen.“
„Meinen herzlichen Glückwunsch!“ Ein fester Händedruck von Seiten des Kompagnieführers, dann war der Überglückliche entlassen.
Daß der Spionage überführte Försterehepaar wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und nach kurzer Verhandlung, bei der die verängstigte Frau ein umfassendes Geständnis ablegte, zum Tode verurteilt. In jener Nacht, als Leutnant Karsten den Förster bei seiner verräterischen Tätigkeit überraschte, hatte der Alte gerade den Franzosen durch die Lichtblitze der Lampe und einem vorher vereinbarten Alphabet den Namen des Truppenteils übermittelt, der die bayrische Landwehr abgelöst hatte. Und diese Kenntnis hatte der Mann sich von den arglosen Leuten verschafft, die ihn in schlecht angebrachtem Mitleid an demselben Abend mit warmem Essen versorgt hatten. Die Frau ist später durch das Oberkommando zu langjähriger Zuchthausstrafe begnadigt worden. Ihr Gatte aber endete, aufrecht und stolz bis zum letzten Augenblick, durch ein Dutzend Kugeln.
Anmerkungen: