Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 50 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Wenn all die Tränen, die durch die Ruchlosigkeit der Menschen armen, schuldlosen Wesen je über die verhärmten Wangen flossen, wirklich zu glasklaren Edelsteinen erstarren sollten, die dann beim großen Weltgericht in die Wagschale der Übeltäter gelegt würden, damit diese Wagschale tief herabsinke und die Schuldigen erdrücke, würde bei dieser allerletzten Abrechnung über Gut und Böse schließlich ein Berg von Diamanten aufgehäuft werden, der noch die Höhe des Gaurisankar überträfe …“
… Das einsame Mädchen, das diese Sätze aus einem zerlesenen Buche nochmals mit bitterem, ungläubigem Lächeln überflog, warf das Buch nach kurzem Nachsinnen in den hellen Wüstensand und stützte von neuem das zarte Kinn in die kleine braune Hand und starrte trostlos in das erlöschende Lagerfeuer.
Das Mädchen glaubte an keine Gerechtigkeit mehr, glaubte weder an Gott noch an die gütig waltende Vorsehung …
Dieses einsame junge Weib hier vor dem zerlöcherten Zelte und neben dem müden, schläfrigen Pferde glaubte nur noch an eins: An sich selbst!!
Die Menschen hatte sie hassen und verachten gelernt, die Menschen kannte sie nur als ihre heimtückischen Peiniger und Verfolger. Sie wußte genau: Wenn sie sich selbst nicht half und nicht zäh und unbeugsam und tapfer blieb wie bisher, dann gab es keine Hoffnung mehr für sie.
Keine …! – Sie hörte dort unten jenseits des Dornengeheges ihres armseligen Lagerplatzes das Keifen und Knurren der kleinen Bestien, sie vernahm weiter den tiefen Orgelton der umherstreifenden Löwen …
Und – sie hatte nicht eine einzige Patrone mehr für Büchse oder Pistole …
Nicht eine …
Sie hatte nur ihr Messer, dort die schlammige Zisterne, ihren mageren Gaul, ihr Zelt und – – ihren ungebrochenen Mut.
Sie wollte nicht sterben!
Wollte nicht!!
Sie hatte eine Mission zu erfüllen …
Und sie würde durchhalten, würde am Leben bleiben, würde als Rächerin auftreten und den klugen, vorsichtigen Herren, die ihren Angaben mit so mitleidigen Zweifeln begegnet waren, als hätten sie eine Irrsinnige vor sich, die Beweise liefern, daß sie, sie allein, mit ihrem Argwohn das Richtige getroffen habe. Dann würde das Gesetz eingreifen müssen, und die Stunde, in der der Henker den Schuldigen den Strick um den Hals legte, würde für sie zu einem Festtag ihres begründeten Hasses werden.
… Sie horchte in die sternenklare Nacht hinaus …
Die gewaltigen Stimmen der stets hungrigen Löwen kamen näher.
Und – sie hatte nicht eine Patrone mehr …
Aber sie hatte sich selbst und ihre verbissene Zähigkeit, und eilends erhob sie sich, um frisches Gestrüpp für ihr Lagerfeuer zu sammeln.
Ihr Pferd zitterte und tänzelte vor Todesfurcht hin und her …
Das kleine kläffende Raubgesindel hatte sich zurückgezogen.
Hoch und grell schossen die Flammen empor, und als das Mädchen den Kopf wandte, erkannte sie jenseits ihres Schutzwalles ein Löwenpaar mit zwei halb erwachsenen Jungen.
Das Pferd wollte sich losreißen. Die törichte Kreatur glaubte entfliehen zu können.
Das Mädchen streichelte den bebenden Gaul und ihre Augen hafteten unverwandt auf der rot beleuchteten Löwengruppe …
Der männliche Löwe, ein prachtvoller Bursche mit stattlicher Mähne, duckte sich zusammen …
Das Mädchen riß schnell einen glühenden Wurzelknollen aus dem Feuer und schleuderte das Geschoß wie eine Rakete im Bogen gegen ihren Belagerer.
Der Wurf mißlang … Der entkräftete Arm gehorchte den ihn antreibenden Gehirnzellen nicht mehr, und der Löwe knurrte dumpf und böse und schob sich näher heran.
In diesem Augenblick, wo alles von der Geistesgegenwart des einsamen Weibes abhing, fühlte sie eine seltsame Leere im Kopfe, und im Bewußtsein ihrer Hilflosigkeit und ihres körperlichen und seelischen jähen Zusammenbruches umschlang sie mit einem trockenen Aufschluchzen den Hals ihres Pferdes, drückte das Gesicht in die Mähne und weinte vor ohnmächtiger Verzweiflung, nicht vor Furcht.
Das Ende war da …
Ihre Tränen rannen …
Erstarrten zu irgend etwas, das da urplötzlich der prächtigen Bestie in den Schädel fuhr …
… Das Mädchen sank langsam in den Sand, und das zitternde Pferd beugte den Kopf ganz tief und beschnupperte mit einem rührenden klingenden Wiehern den bleichen Kopf seiner Herrin.
Der Wüstenwind säuselte in dem Dornenverhau, das Zelt flatterte und zeigte all seine wehenden Fetzen, und das Lagerfeuer loderte gen Himmel wie eine dunkle, stumme Anklage …
Für diese neblige Januarnacht war es wirklich ein glänzender Lassowurf, der dem auf dem Eichenast hockenden Manne gelungen war. Die Schlinge des zähen Riemens war genau über einen der Knöpfe des eisernen, verschnörkelten Balkongitters gefallen, und Bickfort, der hinter mir am Stamme der Eiche lehnte, kargte dann auch nicht mit seiner freundlichen Anerkennung.
„Das ist allerdings einfacher, lieber Olaf, als den tausend Fallstricken auf den Treppen und den Erdgeschoßtüren zu entgehen“, flüsterte er in seiner munteren Art. „Es dürfte in ganz London keinen Palast geben, der durch Alarmglocken, Sicherheitsschlösser und Ähnliches so gut geschützt ist wie das Sromwell-Palais. Der uralte Hausmeister Gregorell und seine Ehehälfte als derzeit einzige Bewohner dieses Museums und Rattenkäfigs entwickelten eine geradezu teuflische Erfindungsgabe im Anbringen stets neuer Hindernisse für Leute unseres Schlages.“
Aus dem Nebel ertönte neben Bickfort Tomsen ein ungeduldiger Baß.
„Wollt ihr beide hier etwa Parlament spielen?! Macht gefälligst, daß ihr hinüberkommt, – mit den Hindernissen kann es wohl nicht ganz so arg gewesen sein, denn du bist hier doch bereits verschiedentlich eingedrungen, Bick, und wenn Olaf von seinen Abseitskünsten nicht mal mehr so viel beherrschte, eine Schlinge über, – – hallo, das sind ja die reinen Seiltänzertricks“, änderte der Baronett Sheffield seinen bisherigen bissigen Ton. „Bravo, – – aber ob ich dabei mithalten kann, bleibt doch noch sehr fraglich …“
Ich hatte derweil längst das freie Ende des Lassos um den dicken Ast geschlungen und arbeitete mich Hand über Hand an dem neunfach geflochtenen Riemen zum Balkon hinüber.
Es war dies wirklich weiter keine Glanzleistung, und nur die Tücke des Objekts änderte die Sachlage so urplötzlich, daß aus einem harmlosen Handspaziergang eine äußerst bedrohliche Katastrophe wurde.
Ich hörte das verdächtige Knacken und Splittern des Eichenastes, – ich hielt inne, – der Lasso wurde bedenklich schlaff, – ich hing zehn Meter über dem gefrorenen Boden des Parkes, und ich wußte nur zu gut, daß dort überall Fußangeln, Selbstschüsse und andere niederträchtige Dinge aufgebaut waren, um die exotischen Sammlungen des in Afrika ermordeten Lords wirksam vor ungebetenen Liebhabern zu schützen.
Ich sah auch noch, daß Freund Bick seine Taschenlampe aufleuchten ließ …
„Verdammt, – – der Ast ist halb durchgesägt!!“
Bickfort flucht selten …
Was er noch hinzufügte, entging mir, da sich das Aststück samt dem darum geschlungenen Lassoende loslöste, – – ich flog auf die Hauswand unterhalb des Balkons zu, und daß ich dabei den Anprall mit den Füßen mildern konnte, war mehr Glück als eigenes Verdienst, – ich pendelte im Nebel hin und her, und dieser Nebel wurde jetzt um Mitternacht nach dem frühlingswarmen Januartage infolge der Nähe der Themse zusehends dichter und dichter.
Der Sromwell-Palast lag unweit der Waterloo-Brücke, und diese schöne Gegend war dafür bekannt, daß sie vom Flusse her stets Prima-Prima Londoner Nebel bezog.
Ich sah nichts mehr von den Bäumen, nichts mehr von Bick und Sheffield, und als ich kaum erst in weiser Voraussicht kommender Dinge den Balkon erklettert und den Lasso eingeholt hatte, hörte ich auch schon das heisere Aufheulen der großen Doggen, die Vater Gregorell stets bei seinen Rundgängen durch das Haus und den Park mitnahm.
Ich betete rasch ein Stoßgebet, – ehrlich, es war eine Flut von Verwünschungen, die dem heimtückischen Alten und seiner Baumsäge galten, – ich beugte mich hinab, gewahrte tief unter mir etwas wie einen bleichen Mond, Gregorells große Laterne, und um den Freunden wenigstens einige Minuten zu einer Fluchtmöglichkeit zu verschaffen, löste ich das große Aststück von dem Lasso und schleuderte es dicht vor dem blassen Mond auf den Parkweg …
Ein dumpfer Aufschlag unten, – dann der Knall eines Selbstschusses unten und ein doppeltes Kläffen der Doggen unten und ein ellenlanger Fluch Vater Gregorells …
Vielleicht war ihm etwas von der Schrotladung des Selbstschusses in die mageren Beine gedrungen …
Der bleiche Mond entfernte sich, schwankte hin und her, schrumpfte zusammen, und das Geheul der Rüden verstummte.
Ich durfte hoffen, daß Bick und Roger glücklich die Straße erreicht hatten. Für mich standen die Aussichten weit schlechter. Gregorell würde vielleicht die Polizei alarmieren, und wenn man mich erwischte, würde Mr. Arthur Elsen, London-Norwood, Albemarle-Street 17, für viele Jahre englisches Freiquartier bei strengster geregelter Lebensführung genießen.
So stand ich denn hier auf dem öden, kalten Balkon des ersten Stockwerks und wartete angespannt horchend auf jene vielsagenden Trillerpfeifen, die mir das Nahen unliebenswürdiger Häscher ankünden würden.
Meine Stimmung glich der eines Menschen, der bereit ist, alles zu wagen, um seine goldene Freiheit nicht zu verlieren. Mein Tun entsprach dieser Stimmung, und doch handelte ich mit klarer Überlegung. Ich zog den Nachschlüssel hervor, der für das Schloß der dicken eisernen Balkontür vorgesehen war, und den erst heute abend Freund Bick uns nebst anderen selbstgefertigten Patentschlüsseln vorgewiesen hatte.
Der Schlüssel paßte. Die Glastür hinter der Eisentür war nur eingeklinkt, ich öffnete auch sie ganz wenig und lauschte in die Dunkelheit des ägyptischen Saales hinein. – Gregorell und die Polizei konnten ja auch von innen anfangen zu suchen.
Daß vor mir der ägyptische Saal lag, wußte ich. Bick hatte uns über die Räume des Sromwell-Palais genau unterrichtet. Äußerste Sorgfalt war nun einmal bei Unternehmungen, wie wir drei sie zur Zeit bevorzugten, Vorbedingung.
Was mir da aus dem Saal an sogenannter „Luft“ entgegendrang, entsprach auch durchaus Freund Bickforts Andeutungen. Es roch nach Moder, Chemikalien und nach Ratten und Mäusen. Die Ratten und die Mäuse hörte ich sogar quieken und pfeifen, und die Bemerkungen Bicks über zerfressene Teppiche und Läufer und Portieren waren bestimmt nicht übertrieben. Hunderte von diesen kleinen Nagern mußten hier im Verein mit den ebenso schädlichen Motten ungeheuren Schaden angerichtet haben. In der Londoner Presse waren ja auch unlängst noch empörte Artikel erschienen, die der Witwe des Lords heftige Vorwürfe machten, weil sie all diese Werte von der Welt absperrte und dem Verfall preisgebe.
– Merkwürdig, – – die Polizei wurde nicht gerufen.
Nichts geschah … Minute um Minute verfloß, und der Saal vor mir und der Park hinter mir hüllten sich in finsteres Schweigen.
War es nun wirklich so merkwürdig, daß Hausmeister Gregorell die Polizei nicht herbeibemühte?! Sollte Freund Bick mit seinen geheimnisvollen Äußerungen doch auf das Richtige hingewiesen haben? War Lady Doris Sromwell eine Giftmörderin?
… Ich trat drei Schritte weiter vor, horchte nochmals nach der Haupttreppe hin, die von dem ägyptischen Saal nur durch eine Säulenreihe getrennt war, drückte die Glastür ins Schloß und befand mich nunmehr vor den Mumiensärgen, bei denen zumeist die Deckel fehlten. Das Licht meiner Laterne trieb das huschende Ungeziefer schleunigst in die Flucht, und meine Augen ruhten wie gebannt auf zwei offenen Särgen, deren in Binden gewickelte Mumien zum Schutz gegen die Nagetiere dick mit einem grauen Pulver bestreut waren.
Jeder Schritt, den man auf diesen zerlöcherten Teppichen tat, die den Marmorboden bedeckten, wirbelte große Mengen Staub empor, und durch diese Staubwölkchen erkannte ich nun auch die Mumienmasken aus dünnem Goldblech, die man einst den pharaonischen Würdenträgern als besondere Ehrung über die Gesichter gestülpt hatte.
Ich wagte mich noch näher.
Bickfort Tomsen, der nun in der Albemarle-Street 16 als Mr. Bason Territt hauste, hatte Sheffield und mir wirklich nicht zu viel verheißen: Als ich die eine Goldmaske ganz vorsichtig lockerte und abhob, sah ich das Gesicht einer mumifizierten Europäerin vor mir.
Unter den Stirnbinden kamen sogar noch ein paar blonde Härchen zum Vorschein, und die Mumifizierung hatte die Gesichtszüge so wenig verstellt, daß ich mit aller Bestimmtheit mir sagen konnte, diese Frau oder dieses Mädchen müsse noch ganz jung gewesen sein, bevor der teuflische alte Gregorell, ein früherer Anatomiediener, sie hier als Mumie beigesetzt hatte.
Ich stülpte die Goldmaske wieder über das verfärbte Antlitz der unbekannten Toten und wandte mich dem zweiten Sarge zu.
Auch hier eine Europäerin, unter Mumienmaske …
Die Frau hatte jedoch dunkelblondes Haar, das Gesicht war voller und etwas gröber geschnitten …
Nachdenklich schaute ich auch dieser so kunstvoll Einbalsamierten in das starre Antlitz, und Bicks Worte fielen mir ein, daß die beiden Leichen keinerlei Verletzungen aufwiesen, die auf einen Tod durch irgend eine Waffe hingedeutet hätten. Er hatte sich eines Nachts der Mühe unterzogen, die Körper freizulegen, und von alledem hatte er uns wie gesagt erst heute Mitteilung gemacht.
Bickfort Tomsen, der berüchtigte „Warner“, konnte sehr verschwiegen sein.
Ein mehr zufälliger Blick, der die übrigen Mumiensärge streifte, wurde zu einer jähen Bewegung schreckhaften Staunens. Ich beugte mich weit vor, hob die Laterne höher, und mein Hirn sträubte sich dagegen, das Bild da vor mir als grausame Wirklichkeit hinzunehmen.
Hinter den Särgen lag neben einer indischen Götzenstatue auf einem völlig zerfressenen Perserteppich eine Frauengestalt in dunklem Mantel und dunkler Wollkappe. Neben ihr bemerkte ich einen großen Ring mit Nachschlüsseln und eine Taschenlampe.
Es dauerte einige Zeit, bis ich mich genügend gefaßt hatte. Das bleiche, verzerrte Gesicht der Fremden würde mich kaum derart in Bestürzung versetzt haben. Die Tatsache ihrer Anwesenheit hier in diesem so gut gesicherten Palast genügte, tausend Fragen aufzuscheuchen, auf die ich keine Antwort fand.
Als ich mich über die noch recht junge Fremde neigte, glaubte ich zunächst, sie sei tot.
Aber ein einziger, eigentümlich krampfhafter Atemzug, der beinahe einem Sichaufbäumen des Körpers glich, belehrte mich eines Besseren.
Freilich blieb es bei diesem einen ruckartigen Einatmen, und meine Angst, diese Bewegung könnte die allerletzte Lebensäußerung des neuen Opfers bisher ungeklärter Teufeleien sein, war nicht ganz unbegründet.
Bevor ich noch meine Untersuchung über den wahren Zustand der Fremden fortsetzen konnte, vernahm ich von der Haupttreppe her laute Stimmen, die mich schleunigst hinter die Vorhänge der nächsten Fensternische trieben.
Infolge meiner hastigen Bewegungen flog der fingerdicke Staub in tanzenden Wölkchen empor, und ich war froh, daß die Beleuchtungskörper des Saales gleichfalls derart verschmutzt waren, daß sie nur ein recht mattes Zwielicht spendeten, dessen Lichtwirkung in dem riesigen Museumssaale völlig verpuffte.
Lady Doris Sromwell, des toten Afrikaforschers zweite Gattin, hatte den Raum an der Seite des halbbuckligen uralten Gregorell, der wie ein scheußlicher Gnom aussah, betreten. Gregorell war es, der das Licht einschaltete, und schon seine nächsten Sätze beruhigten mich über all das, was mir hier unter ungünstigeren Umständen gedroht hätte. Seine heisere Stimme, die Freund Bick mit dem Krächzen einer höhnischen, frechen, diebischen Dohle verglichen hatte, sagte spottend und rachsüchtig:
„Mylady sehen, die Arbeit an den Baumästen hat sich bezahlt gemacht, und meine Hündchen hätten den beiden Gaunern, die nun geflüchtet sind, wohl nicht nur den Hosenboden übel zerfetzt, sondern auch …“
„Schweigen Sie von den entsetzlichen Bestien!“, rief Lady Sromwell, eine hagere verschleierte Frau von imponierender Haltung, mit größtem Widerwillen. „Im übrigen brauche ich Sie nicht mehr, Gregorell … Ich danke Ihnen.“
Der Hausmeister, dessen „bessere“ Hälfte nach Bicks zuverlässigen Angaben mindestens ebenso abstoßend war wie Gregorell selbst, kicherte vertraulich und nahm aus seiner geräumigen Schnupftabakdose eine geräuschvolle Prise.
„He … he, – mich nicht mehr brauchen!! Wie das klingt!! Sie brauchen mich täglich, stündlich, bei Tag und bei Nacht, Mylady, und ohne meine anatomischen Kenntnisse hätten wir mit den beiden gewissen Damen die allerärgsten Scherereien gehabt! Tote sind nicht so leicht beiseite zu schaffen. Und Lebende erst recht nicht. Genug Lärm hat es damals in den Zeitungen gegeben, als …“
Myladys brüske Stimme wies weitere plumpe Vertraulichkeiten dieser Art energisch zurück … „Verschwinden Sie!! Die Hunde bleiben eingesperrt, Gregorell. Ich habe an dem einen Male, als diese Untiere selbst mich überfielen, gerade genug …!“
Der Alte verbeugte sich und seine vor der Brust baumelnde Laterne machte die Verbeugung mit.
Dann entfernte er sich mit eigentümlich tänzelnden Schritten, die wieder nur an Freund Bicks Vergleich, „höhnische, hüpfende Dohle“ erinnerten.
Mylady hatte den grauen Schleier emporgeschoben, und ich sah zum ersten Male ihr unverhülltes Gesicht.
Sie war mir ja sonst eine wohlbekannte Erscheinung, nur eben ihre Gesichtszüge zeigte sie niemandem, und bei uns in Norwood nannten die Leute sie daher „das Gespenst“, zumal sie ihre bescheidenen Einkäufe nur immer nach Eintritt der Dunkelheit erledigte.
Diese Frau, die heute erst vierunddreißig Jahre zählte, mußte einst blendend schön gewesen sein. Jetzt war dieses Antlitz wie versteinert und verriet nichts als eine starre, erbarmungslose Gefühlslosigkeit.
Auch sie trug eine sehr hell brennende Laterne, und als sie sich nun langsam von der Seite her den Mumiensärgen näherte, wurden die harten Falten um den verkniffenen Mund noch tiefer. Furcht kannte sie wohl kaum, und wie ihr spähender Blick jetzt die reglose Gestalt gewahrte, hob sie lediglich den Kopf etwas höher und ein grausames Lachen umspielte flüchtig ihre dünnen Lippen.
„Also die dritte!“, sprach sie halblaut vor sich hin …
Das war alles …
Sie ging weiter, bückte sich und leuchtete der Leblosen ins Gesicht.
Minutenlang stand sie so, als könnte sie nicht genug Einzelheiten des grausigen Bildes in sich aufnehmen, dann wandte sie sich kopfschüttelnd ab und begab sich mit denselben gemessenen, sicheren Schritten in die andere Saalecke, wo ein riesiger Diplomatenschreibtisch vor einem Erkerfenster seinen Platz hatte.
Als sie sich in den Schreibsessel setzte, quollen wiederum Wolken von Staub in die Höhe, und sie saß da wie eine finstere Gottheit, deren Thron von Weihrauschschwaden umgeben ist.
Erst nach einer Weile entnahm sie einem Geheimfach der Mittelschublade ein dünnes Heftchen und schob es in ihren grauen Mantel.
Eine Metallfeder knipste klirrend, die Schieblade knarrte und quietschte beim Schließen, Schlüssel klirrten, und Lady Doris hatte alle Mühe, die sich klemmende Lade zuzuschieben.
Kurz vorher hatte ich wieder einmal sekundenlang die leblose Gestalt neben dem Götzenbilde beobachtet.
Ich täuschte mich nicht: Da war es wieder, dieses krampfartige Einatmen, – wieder nur ein einziger Atemzug, aber auch wiederum dieses bedeutungsvolle Aufbäumen des Leibes, als ob die Fremde mit dem Erstickungstode ränge.
Ich zauderte nicht länger. Ich wagte sehr viel, ich hatte jedoch den verquollenen Schreibtisch und Mylady selbst als Verbündete, – ich kroch auf die junge Fremde zu, nahm sie in die Arme, öffnete lautlos die Balkontüren, – die sich klemmende Schieblade übertönte die geringen Geräusche, – ich legte die Bewußtlose draußen auf den Balkon nieder und wollte nun die Eisentür hinter mir verschließen.
Durch die innere Glastür warf ich einen letzten Blick über den ägyptischen Saal. Gewiß, die Scheiben waren verstaubt, trotzdem: – – Ein Frösteln ging mir über den Leib …
Ich bin nicht schreckhaft …
Aber daß sich da in einem der morschen, uralten Mumiensärge jetzt einer der hohen pharaonischen Größen, einer ohne Goldmaske, halb aufgerichtet hatte, jagte mir doch Eiseskälte über den Rücken.
Tote sind tot. Sie tun niemandem mehr etwas zuleide.
Doch der da war ein ganz schlauer Spion, war ein lebender Mensch, und wir drei Freunde hatten nichts so sehr zu fürchten als die Polizei oder Leute, die gern fünftausend Pfund recht schnell verdienen wollten.
Die lebende Mumie hatte nur kurz den Kopf nach meiner Balkontür gedreht, um zu sehen, wo ich geblieben, und dann wieder ihre liegende Stellung eingenommen.
Wer es auch war: Der Mensch war kein zu unterschätzender Gegner! Es gehörten schon eiserne Nerven dazu, sich in so tadelloser Aufmachung als ägyptische Mumie in einen Sarg zu legen und vielleicht stundenlang diese Rolle zu spielen.
Nun, für’s erste war der Mann durch Lady Sromwells Anwesenheit an sein eigentümliches Ruhebett gefesselt. Ich hatte ihn bei meinem Rückzuge nicht zu fürchten, ein Spion Myladys konnte es nicht sein, Mylady hatte alle Ursache, nur die beiden Gregorells einzuweihen, Freund Bick und auch Sheffield wußten außerdem genau, daß Lady Doris mit niemandem zusammenkam: Für die Öffentlichkeit weilten Ihro Gnaden, Mylady Doris Sromwell-Batterkamp, seit Jahren in Italien.
Ich beeilte mich.
Dieses Abenteuer konnte doch noch durch unvorhergesehene Zwischenfälle eine kritische Wendung nehmen.
Ich ließ die Bewußtlose an dem Lasso in den Park hinab, kletterte hinterdrein und richtete es so ein, daß ich den Lasso mitnehmen konnte.
Minuten später stand ich auf der nebligen Straße in der Nische der Parkmauerpforte, und als ein leicht angeheiterter älterer Nachtschwärmer, der sehr leise und sehr falsch ein paar Takte des Bajazzoliedes vor sich hin pfiff, an mir vorübertorkelte, genügte ein noch leiseres Signal, und der Bummler war urplötzlich nüchtern wie ein Stockfisch, neben mir.
„Was hast du da?“, fragte der Baronett Roger Sheffield nicht sonderlich überrascht.
Ein paar aufklärende Sätze genügten.
Eine dunkle Limousine rollte heran, die Fremde wurde in den Wagen geschoben, Freund Bick, der am Steuer saß, warnte mich noch eindringlichst, doch ja nicht zu viel zu riskieren, und das Auto glitt davon.
Schon unserer Sicherheit wegen, ganz abgesehen von anderen ausschlaggebenden Gründen, war es unumgänglich nötig, daß wir sowohl diese lebende Mumie uns näher ansahen als auch erfuhren, wie das jähe Verschwinden der scheinbar toten Frau von Mylady und ihren beiden Vertrauten hingenommen werden würde.
Das abermalige Eindringen in den Sromwell-Palast gestaltete sich weit gefährlicher, denn den Balkon durfte ich nicht wieder benutzen, und der Haupteingang, neben dem die mit eingebaute, jetzt von dem Ehepaar Gregorell benutzte Pförtnerbehausung lag, war sogar von Freund Bick sehr selten gewählt worden. Die Nähe der drei äußerst bissigen Doggen hatte Bickfort Tomsen mehrfach verscheucht. Andererseits hatte ich nicht mehr genügend Zeit, den vielleicht zuverlässigsten Weg über das Dach zu nehmen.
… Blieb noch eine Frage offen, ob Gregorell vorhin, als er seine zweifelhafte Herrin verließ, die Schlüssel der beiden Kunstschlösser von innen hatte stecken lassen … War es der Fall, so mußte ich letzten Endes doch Fassadenkletterer spielen.
Ich stand nun also vor der mächtigen, kunstvoll verzierten eichenen Flügeltür, durch die bereits so und so viele Generationen der Sromwells ein- und ausgegangen waren. Das Geschlecht war bis auf Lady Doris erloschen. Mylords drei Töchter waren dem abenteuerlichen Blute ihrer Ahnen gefolgt und irgendwo in fernen Erdteilen verschollen, – – sagte man …
Man sagte auch, daß Lady Doris für immer ihren Wohnsitz nach dem sonnigen Süden verlegt hätte, – und auch das stimmte nicht.
Wir wußten es besser. Und die Gregorells. Und vielleicht auch die lebende Mumie.
Von den winterkahlen Parkbäumen fielen die Tropfen des dicken Nebels klatschend oder raschelnd auf die steinerne Freitreppe und in die Häuflein welker Blätter … Von der nahen Straße ertönte der in dieser Nebelnacht stark gedämpfte Lärm des Weltstadtgetriebes …
Ich hatte Glück … Gregorell war so liebenswürdig gewesen, mir die Arbeit zu erleichtern, und den zweifachen Kniff, wie man die Alarmglocken von außen unschädlich machen konnte, hatte Freund Bick mir sogar auf einer Zeichnung erklärt.
Gut geölt war alles, – geräuschlos öffnete ich, zunächst nur handbreit, und horchte. – In der Vorhalle brannte Licht. Da jedoch Mutter Gregorell den Kronleuchter aus Hirschgeweihen genau so wenig abgestäubt hatte wie droben die Lüster im ägyptischen Saal, herrschte auch hier nur Zwielicht.
Ich war drinnen …
Sechs lange Schritte, und ein hoher Sessel deckte mich.
Es war nur die erste Etappe …
Das Schlimmste kam noch … Drüben lag die Haupttreppe aus Marmor mit zerschlissenen, staubbedeckten Läufern, links die winzige Tür der Pförtnerwohnung. Mutter Gregorell hatte wieder mal ihren frommen Tag und plärrte fromme Lieder. Einzelne Töne drangen an mein Ohr, zuweilen hob sie die Stimme, und dann jaulten die Doggen ganz piano mit. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Wer singt um Mitternacht auch Choräle in einem Hause wie hier, wo Verbrechen so frech in Mumiensärgen unter Goldblechmasken verhüllt werden?!
Mutter Gregorells fromme Anwandlungen waren auch Bickfort auf die Nerven gefallen.
Immerhin: Die Doggen waren nicht etwa oben im Saal, und dies genügte mir, – ich flog die Treppen hinan, und wenn auch einige jäh überraschte Mäuslein und Ratten wütend aufquiekend auseinanderstoben, – ich war oben, drückte mich hinter einer der Säulen des Vorraums und hatte nun das edle Paar Mylady-Gregorell keine zehn Schritte vor mir.
Mylady saß wieder im Schreibsessel, der triefäugige Alte mit der verdächtig roten Nase und dem struppigen Ziegenbart lehnte am Schreibtisch und hatte seine große Schnupfdose in der Linken und fütterte gerade sein Riechorgan.
Lady Doris schaute regungslos auf ein Bild, das nebst anderen Dingen auf der Schreibtischplatte – alles Grau in Grau, alles Staub – ein nicht erkennbares Etwas darstellte.
Beide schwiegen …
Gregorell schnäuzte sich diskret in sein großes geblümtes Taschentuch, klappte die Dose zu, und Mylady schien aus finsteren Träumereien zu erwachen.
Sie beugte sich vor und fuhr mit dem behandschuhten Finger über das Bild, so daß der nun staubfreie Streifen des Glases im Laternenlicht hell aufblitzte.
„Sie war es“, sagte die Lady geistesabwesend. „Ich habe sie sofort erkannt, Gregorell …!“
Der Alte hob zweifelnd die vorgeneigten Schultern. „Erkannt?! Wohl kaum … – Die Gesichter waren stets so verzerrt, daß niemand mit Gewißheit hätte behaupten können, es sei eine bestimmte Person. Nein, Mylady, – – Sie sehen Gespenster … Es wird sich um eine Ähnlichkeit gehandelt haben, es gibt auch weibliche Einbrecher, und natürlich gehörte das Frauenzimmer zu den beiden Kerlen, die ich verscheucht habe … Sie ist durch die Balkontür geflüchtet, auch dorther gekommen, die Spuren im Staube beweisen es, sie war eben nicht tot, leider nicht tot … – Morgen bringe ich neue Schlösser an und werde auch auf den Balkons Alarmvorrichtungen befestigen …“ Er kicherte scheußlich … „Und die Doggen lasse ich nun jede Nacht frei im Hause umherlaufen … Wäre ja noch schöner, wenn die Londoner Gauner dem alten Gregorell einen Streich spielen wollten! Die sollen sich wundern!! – – Nein, Mylady, nur keine überflüssigen Gedanken! Ich möchte den sehen, der uns etwa einen Strick drehen wollte! Noch besser!! Über diese Angst, man könnte uns zwei nette kleine Morde nachweisen, sind wir doch längst hinaus …! Immer nur mit Ruhe, Mylady! Und keine Unüberlegtheiten – – wie das da!!“ Er deutete auf den staubfreien Strich auf dem Bilde … „Wenn wirklich mal so ein Schnüffler von Scotland Yard hier die Nase hereinstecken sollte, muß alles schön gleichmäßig mit Staub bedeckt sein … – Ich werde das Bild nachher verbrennen und den Rahmen und das Glas zerschlagen und in den Müllkasten tun … Hier soll alles Müll sein, Müll und Staub … und Ratten, Mäuse und Ratten und Verwesung und – – tote Vergangenheit! So soll es sein!“
Seine krächzende Dohlenstimme schrillte plötzlich hell und energisch, und mit einer Handbewegung, in der sich heimliche Wut und Haß und doch auch Tatkraft klar ausprägten, schob er das Bild unter seinen schäbigen Livreemantel und knöpfte ihn wieder zu.
Seine genau so unheimliche und geheimnisvolle Herrin, um deren grausam-harten Mund jetzt ein seltsam hilfloser Zug lag, drehte etwas den Kopf und blickte den alten buckligen dürren Gnom wie zaudernd an.
Gregorell spürte mit dem Instinkt des stets bedrohten und daher überaus mißtrauischen Menschen das Besondere in diesem zögernden Augenausdruck seiner Mitwisserin und neigte sich erwartungsvoll etwas vor.
„Doch noch etwas Neues?“, fragte er lauernd. „Verschweigen Sie mir nie die geringste Kleinigkeit!! Nur das nicht! Meine Frau betet schon jeden Abend, daß ja nichts geschähe, was …“
„Ich habe einen Brief erhalten, Gregorell“, stieß die bleiche Frau überstürzt hervor …
„Einen … Brief?“ – Der Alte neigte sich noch tiefer … Sein Gesicht war mit einem Male zur noch abstoßenderen Fratze jäh aufflackernder Angst geworden.
„Einen Brief … von … von … dem Warner“, sagte Lady Doris matt und gequält.
„Warner?!“, kreischte der Alte … „Von einem von den dreien also?! Und … und das … das … haben Sie mir nicht sofort mitgeteilt?! Ich … ich …“, – die Sprache versagte ihm … Sein erdfahles Gesicht zuckte, seine Gichthände hoben sich und schlossen und öffneten sich dicht vor dem blassen Antlitz seiner Herrin wie die Krallen eines Raubvogels …
Sein Atem flog, sein Atem pfiff und röchelte. Eine unbeschreibliche Erregung hatte sich seiner bemächtigt … Sein runder Schädel mit der vorspringenden Kinnpartie schlackerte auf dem dünnen Halse hin und her, seine Augen flackerten weit aufgerissen vor Schreck und Wut, und ohne jeden Respekt schrie er die verängstigte Frau barsch an:
„Zum Teufel, – und das verschweigen Sie mir! Das!! Einen Brief von dem Warner!! Was stand darin? Haben Sie ihn hier? Her damit!! Sitzen Sie nicht da, als ob Ihnen plötzlich das Grauen ins Herz gefahren wäre!! Sie haben genau so viel oder so wenig Herz wie ich, Sie haben nur Hirn im Kopf, und – – also her mit dem Wisch!“
… Ich war vier Säulen weitergehuscht. Ich wollte mir nichts von dieser Szene entgehen lassen …
Ich schaute zweimal in das ferne Zwielicht des großen Saales hinüber, und beide Male sah ich, daß die lebende Mumie sich wieder in ihrem Sarge halb aufgerichtet hatte …
Lady Sromwell war unter den groben, anklagenden Worten des alten Mannes immer mehr in sich zusammengesunken.
„Der Brief … ist zu Flocken zerfallen“, erklärte sie verschüchtert. „Ich fand ihn heute nachmittag in meinem Briefkasten – gegen drei Uhr. – Abends um sieben wollte ich damit zu meinem neuen Hauswirt, einem sehr ernsten, gebildeten und liebenswürdigem Herrn gehen, denn … die wahnsinnige Angst ließ mir keine Ruhe … Und da … da war der Brief nur noch Asche, Flocken, unleserlich …“
Gregorell lachte heiser. „Gott sei dank! Das hätte gerade noch gefehlt, daß Sie einen Fremden auf sich aufmerksam machten! – Was also stand in dem verfluchten Wisch dieser drei Halunken?“
Lady Doris hatte sich jetzt ebenfalls etwas gefaßt und setzte sich aufrecht. Gregorells rüder Ton mußte sie empören.
„Der Inhalt“, sagte sie merklich ablehnend und hochmütig, „war an sich belanglos … Nur die Unterschrift erschreckte mich, eben „der Warner“. Es hieß in dem kurzen Schreiben lediglich, daß die ganze Albemarle-Street mich bereits das graue Gespenst nenne und daß es vielleicht richtiger von mir sei, nicht so spät abends meine Besorgungen zu erledigen. Das war alles …“
„So, – das war alles!“, höhnte Gregorell mit geradezu verletzendem Spott. „Das – – war alles!! Ich danke, das genügt …! Merken Sie denn nicht, daß die drei Burschen bereits hinter Ihnen her sind?! Was heißt da „Graues Gespenst“, was heißt da „Besorgungen“ …?! Jetzt geht mir ein Licht auf, wen wir heute im Parke verscheuchten! Die drei natürlich! Und das Mädel gehörte mit zu ihnen. Also so steht die Sache – – so!! – Mylady, so leid es mir tut, – – jetzt halte ich nicht länger mit. Mit den dreien will ich nichts schaffen haben … Sie wissen, Mylady: Seit Monaten sucht man diese schlauen Herren, seit Monaten kleben da Plakate an den Anschlagsäulen, seit Monaten bringen auch die Zeitungen immer wieder Steckbriefe und Bilder und verheißen hohe Belohnungen. Was hat es geholfen?! Die drei sind wie vom Erdboden weggefegt. Die Polizei macht sich lächerlich mit ihren Bemühungen. Und nun bekommen Sie ausgerechnet einen der berüchtigten Warner-Briefe! – Nein, Mylady, – daß ich alter siebzigjähriger Mann noch meinen Kopf in die Schlinge stecken soll die man allzu scharf anzieht, das können Sie wirklich nicht verlangen. Meine Frau und ich verlassen morgen den Palast … Suchen Sie sich einen anderen Hausmeister … Auf die Polizei pfeife ich, – – vor den drei habe ich Angst, und das will viel heißen, das wissen Sie am allerbesten …“
Lady Doris, nun wirklich vollkommen wieder sie selbst, erwiderte nur:
„Das weiß ich, Gregorell. Hier sind dreihundert Pfund … Ich kenne Sie und Ihre vielfachen Beziehungen. Halten Sie uns die drei vom Leibe, und ich erhöhe die Summe auf tausend Pfund.“
Der Alte sah das Bündel Banknoten und zögerte eine geraume Weile. Dann erst nahm er das Geld und sagte traurig und vorwurfsvoll: „Es ist bei mir besser aufgehoben … Der, der von Ihnen bereits Unsummen erpreßt hat – und auch das haben Sie mir verschwiegen, Mylady –, wird Ihnen auch den letzten Schilling abnehmen. – – Gehen Sie nun getrost heim … Wenn die Leute, die man die Feme der drei nennt, erst die volle Wahrheit enthüllt und diesen Erpresser entlarvt haben, werden wir ruhiger schlafen können … Immerhin, nach den heutigen Vorfällen kann auch das Gegenteil eintreten, und die Feme der drei folgert vielleicht genau so falsch, wie es den Umständen nach nur allzu nahe liegt. Da will ich doch besser den Kessel der Zentralheizung gründlich füllen … Warum sollen es unsere Ratten und Mäuse nicht auch mal schön warm haben?! Warum soll der Sromwell-Palast nicht zum Krematorium werden?! Es muß eben sein …!“
Lady Doris erhob sich schnell und ließ mit zitternder Hand den Schleier fallen.
„Gregorell, – – Sie sind entsetzlich kaltblütig und gefühllos“, flüsterte sie mit abgewandtem Kopf.
„Mag sein, Mylady, – aber dabei unbedingt ein ehrlicher Mensch. Weshalb ich gerade Ihnen bei alledem geholfen habe, wissen Sie. Der Hauptgrund war Dankbarkeit. Ihr Vater, dieser berühmte Chirurg, hat es stets gut mit mir gemeint, nachdem man mich von Scotland Yard weggejagt hatte, weil ich den Fall Tudor zu rasch und zu gründlich aufgeklärt hatte. Wäre Tudor nicht ein Herzog gewesen, wäre ich heute zumindest pensionierter Oberinspektor und nicht ein rausgeekelter Detektivsergeant und ein früherer Anatomiediener und zur Zeit Hausmeister und Mumienfabrikant. Ich bin zäh, meine Frau ist zäh, und wir können noch sehr lange leben und müssen für unser Alter sorgen, unser Traum ist ein Häuschen und ein Garten droben an der Themse und Blumen und Kaninchen und Milchziegen … Viel verlangen wir nicht vom Leben. Wir haben nie betrogen oder bestohlen, und wenn Sie nicht gekommen wären, Mylady, hätte ich weiß Gott mein Gewissen rein erhalten … – – So, und nun fahren Sie nach Hause … Überlassen Sie alles Weitere nur mir. Ich bin treu … – Kommen Sie …“
Ein merkwürdig widerspruchsvoller Charakter, dieser Gregorell! Was sollte man nur von ihm halten?! Seine stille Sehnsucht nach einem Themse-Häuschen, nach Blumen, Kaninchen und Ziegen hatte fast kindlich-naiv geklungen. War der Mann doch anderen Schlages, als wir ihn bisher auf Grund von Bicks Schilderungen beurteilt hatten?! Dankbarkeit und Treue sind sehr rare Artikel auf dem Lebensmarkt, und daß Gregorell mit diesen Eigenschaften nicht lediglich sich in ein besseres Licht hatte rücken wollen, hatte schon der völlig veränderte, schlichte und halbgerührte Ton seiner Stimme bewiesen.
Er schaltete nun die Saalbeleuchtung aus und tänzelte hinter seiner Herrin die Treppe hinab … Allmählich erlosch für mich der Lichtschein ihrer Laterne, ich befand mich in völliger Finsternis, und nach dem soeben Erlebten und Erlauschten legte sich die dumpfe, verpestete Luft des nie gelüfteten großen Raumes doppelt beklemmend um Brust und Stirn.
Ich befand mich in einem Zustande, den ich weit lieber daheim in meiner kleinen Wohnung überwunden hätte als hier. Was ich soeben gehört hatte lieferte ja so viel neue Aufschlüsse und so zahlreiche Anstöße zu spürender Gedankenarbeit, daß mir der Rest meiner Aufgabe hier zumindest zur Zeit nicht eben verlockend erschien.
Trotzdem mußte gehandelt werden. Die lebende Mumie bedeutete eine Gefahr für uns drei, – der Mann mußte unbedingt preisgeben, wer er sei und was er hier wollte.
Ich wies den Ballast unnötiger Grübeleien von mir. Ich war nur mehr Ohr, – – ich horchte …
Und obwohl die frechen Mäuse und Ratten nun bereits wieder von ihrem ureigensten Reiche in Scharen Besitz ergriffen und lärmten und rumorten und pfiffen und quiekten, glitt ich ohne Licht mit vorgestreckten Händen, mich völlig auf meinen Orientierungssinn verlassend von der Säulenhalle auf die Mumienecke zu, fühlte mit den Fingerspitzen den ersten Sarg, huschte weiter, fand den fünften der Reihe, vor dem eine indische Götzenstatue mit seltsamem Strahlendiadem aufgestellt war, und tastete mich zum Kopfende weiter – – alles ohne Licht …
Ich berechnete genau die Entfernung, – – hier mußte der Kopf liegen, – – ich horchte wieder, ob ich nicht wenigstens Atemzüge vernähme, – – nichts …
Dann packte ich zu.
Meine gespreizten Finger waren über die Brustbinden hinweggekrabbelt wie Rattenbeine, – da war der Hals, – – ein eiserner Griff, ich fühlte die eisige Kälte und die Härte einer echten Mumie, und sofort wieder loslassend wagte ich es nun doch, die Laterne einzuschalten.
Es war der richtige Sarg …
In dem Sarg lag ein hoher Würdenträger, mindestens zweitausend Jahre alt, und so alt wird kein Mensch!
Der Unbekannte war mir also doch entwischt, er war flinker gewesen als ich, er hatte die echte Mumie wieder zurückgelegt, – – und all das in wenigen Minuten!
Wo hatte er sie bis dahin verborgen gehabt?!
Meine Laterne erlosch wieder …
Den Mann hier zu suchen, hätte Stunden gekostet. Es war zwecklos.
Ich konnte mich getrost zurückziehen und heimwärts fahren, ich hatte meine Aufgabe gründlich verpfuscht. Und das ärgerte mich nicht nur, das konnte auch die unangenehmsten Folgen haben.
Ich stand noch im Dunkeln neben dem Sarge, als ich mit dem feinen Instinkt des Halbwilden, des Mannes aus dem Abseits, die Nähe eines lebenden Wesens spürte.
Der Mann war noch in der Nähe.
Der Mann beabsichtigte dasselbe wie ich: Er wollte wissen, wer ich bin.
Rasch huschte ich zur Seite … nur vier Schritt, – völlig lautlos …
Die Ratten lärmten gerade besonders toll.
Und da fühlte ich, wie mir warmer Atem über das Gesicht strich.
Ich mußte unmittelbar vor dem Fremden stehen …
Ich bog den Oberkörper zurück, schätzte die Höhe, wo sein Oberkörper sich befinden mußte, und schlug mit der geballten Faust blitzschnell zu und … schlug ins Leere.
Die Wucht des fehlgegangenen Hiebes riß mich nach vorn, ich taumelte, und mein Gegner, der die Gefahr doch rechtzeitig erkannt hatte, sprang mich von hinten an, ein paar Hände von eiserner Muskulatur versuchten es bei mir mit dem niederträchtigen Halsschlagadergriff, die Sinne schwanden mir halb, aber mein Feind beging einen Fehler, indem er mich mit sich zu schleifen suchte, dabei lockerte sich der Griff, und als er mich nun mit aller Macht zur Seite schleuderte und dabei völlig losließ – eine Handlungsweise, die ich erst später begreifen sollte –, fiel ich zwischen zwei Glasschränke, deren Inhalt metallisch klirrte, war im Nu wieder auf den Beinen und schaltete die Laterne ein, die ich genau wie Gregorell vor der Brust trug.
Ein windschneller Schatten eilte der Seitentreppe zu, – ich wollte hinterdrein, ich hörte unten in der Vorhalle die Doggen kläffen, mein Gegner wandte den Kopf: Es war ein Neger oder Inder!
Dann raste er weiter, und auch für mich wurde es allerhöchste Zeit, das wenig ruhmvolle Schlachtfeld zu räumen.
Noch ein Blick über die Särge hin …
Seltsam: Die indische Gottheit stand jetzt mindestens fünf Meter weiter nach rechts, und dieser Platzwechsel im Verein mit der Tatsache, daß der Farbige mich wahrscheinlich auf die spitzen Zacken des Strahlendiadems des Götzen hatte werfen wollen (auch die Handgelenke und die Füße der Metallfigur besaßen ähnliche kleine Strahlenkränze), regte mich zu eiligsten zwangläufigen Schlußfolgerungen an, die mich dann doch noch einige Minuten verweilen ließen.
Gerade als ich die innere Balkontür schloß, stürmten die riesigen Hunde in den Saal.
Mit Hilfe des Lassos gelangte ich wieder in den Park und dann auf die Straße, wechselte mehrmals die Autotaxe und betrat in Norwood eine öffentliche Fernsprechzelle.
Eine brummige verschlafene Stimme meldete sich. „Hallo, hier Thomas Gregorell … Wer ist dort?“
„Der Mann, der in den Steckbriefen der Richter genannt wird. – Gregorell, Sie werden die beiden Mumien nicht verbrennen und sie, falls ich es verlange, mir oder meinen Beauftragten aushändigen. Frau Doris, die als Frau Doris Mallison in Norwood im Hause eines verschrobenen Junggesellen wohnt, darf hiervon nichts erfahren. Sie kennen uns drei, Gregorell, wir lassen nicht mit uns spaßen. Sie haben zu gehorchen – blindlings!! – Schluß!“
Ich hörte noch einen wilden Fluch, dann hängte ich ab. Mein Blick fiel dabei zufällig auf den Ärmel meines Mantels, und ich gewahrte einen fettigen, schmierigen Fleck, – – es war braune Schminke! Ich wußte, woher sie stammte: Von dem Manne, der mich auf die vergifteten, spitz gefeilten Strahlen des indischen Götzen hatte werfen wollen, damit auch ich stürbe, wie das fremde Mädchen hatte sterben sollen, das nun in der Albemarle-Street hoffentlich durch Roger und Bicks Bemühungen wieder ins Bewußtsein zurückgerufen werden würde. Von dem Manne aus dem Mumiensarge konnte dieser dunkelbraune Fleck nicht herrühren. Die altägyptischen Mumien besitzen eine weit hellere Färbung. Nein, die „lebende Mumie“ hatte den Götzen beiseite gerückt, um mich vor dem Mörder zu schützen, und auch Lady Sromwells scheinbare Verbrechen zeigten sich mir nun in völlig anderem Lichte.
Der südwestlichste Vorort Londons, der die Ehre hatte, drei vielgesuchte Männer zu beherbergen, ist recht ausgedehnt, und nur deshalb hatten wir vor Monaten, als die Polizei noch weit eifriger hinter uns dreien her war, Freund Bicks Vorschlag angenommen und in der Albemarle-Street die alten Häuser 16, 17 und 18 erworben und waren dort in die ersten Stockwerke nach einigen baulichen Veränderungen eingezogen. Bickfort Tomsen hatte ja früher in West-Norwood die sogenannte Tsad-See-Insel besessen, trotzdem konnten wir es bei unserem völlig veränderten Aussehen getrost wagen, hier die Hausbesitzer, Sonderlinge, Junggesellen und stillen Wohltäter zu spielen, denn Bick war im alten Norwood wenig bekannt gewesen.
Daß wir drei uns auf der Straße nicht grüßten und gleichgültig aneinander vorübergingen, braucht kaum erwähnt zu werden. Wir hielten uns auch jeder nur für die Morgenstunden eine Aufwärterin, lebten ganz unauffällig, waren zu unseren Mietern freundlich und entgegenkommend und hingen im übrigen jeder seinen eigenen Neigungen nach – das heißt, für die Außenwelt.
Bick, der als Mr. Bason Territt in Nr. 16 hauste, beschäftigte sich mit Astrologie, Freund Roger Sheffield, unser Original, behandelte als Naturheilkundiger in Nr. 18 alle Patienten gratis (daß er Doktor der Medizin und Arzt war, ahnte niemand, er hatte auch nie nötig gehabt, eine Praxis auszuüben), und an meiner Flurtür stand
Arthur Elsen,
Präparator.
Der Baronett hatte sich übrigens in Mr. Hamilton Seym umgetauft. –
Es war gegen drei Uhr morgens, als ich mich zu Fuß meinem Hause Nr. 17 näherte. Hier in Norwood war der Nebel nicht ganz so zäh wie in der City, und nur diesem Umstand war es zuzuschreiben, daß ich mich nochmals vergewissern konnte, ob mir auch wirklich niemand gefolgt war.
Ich stand vor der Haustür. Das neue, gute Schloß, keine Dutzendware, hatte ich anbringen lassen. Plötzlich hörte ich zu meinem Befremden, daß von innen offenbar mit Dietrichen an dem Schloß gearbeitet wurde. Blitzartig kam mir der Gedanke, daß es das blonde Mädchen sein könnte, das heimlich entschlüpfen wollte. Roger und Bick hatten sie ja in meine Wohnung schaffen sollen.
Ich vernahm auch schon das Zurückschnappen des Riegels, drängte mich schleunigst in die nächste Haustürnische, eine Gestalt schlüpfte ins Freie, über den Arm einen Mantel und in der Hand einen Hut, den sie nun schnell über das wirre blonde Haar zog. Auch den Mantel streifte sie über und entfernte sich so eilig, daß sie sich nicht einmal Zeit ließ, meine Tür zu schließen oder nach der Hausnummer zu sehen oder gar das Gebäude in Augenschein zu nehmen.
Vorsichtig und doch mit beflügelten Schritten eilte sie von dannen, wohl nur von dem einen Wunsche getrieben, ihre bisher geglückte Flucht nicht durch überflüssiges Verweilen wieder in Frage zu stellen.
Blindlings irrte sie durch Gassen und Gäßchen, ich blieb hinter ihr, und erst im neueren Teile von Norwood fand sie eine Taxenhaltestelle, bestieg einen Wagen, und ein zweiter rollte mit ihr ins Ungewisse hinein.
Es ging nach Norden zu, und erst nach einer Fahrt von fast einer Stunde hielt das vordere Auto in einer breiten Allee, deren Bäume im Nebel andauernd tropften.
Das Mädchen schritt noch um eine Ecke in eine engere Straße und blieb vor einem größeren Gebäude stehen.
Auch hier waren uralte Linden und Kastanien vorhanden, auch hier sollte der Baumschmuck am Rande des Bürgersteiges der Straße die kahle Nüchternheit nehmen, und einer besonderen dicken Kastanie und den grauen Nebelmassen hatte ich es zu danken, daß ich auch der Männergestalt ausweichen und doch in der Nähe bleiben konnte: Der Mann hatte die Unbekannte hier erwartet, und schon seine ersten Worte, die er vor Freude überlaut hervorstieß, gaben mir Aufschluß über seine im übrigen gut vermummte Person.
„Gott sei Dank, – – Sie leben!! Sie glauben nicht, welche Angst ich um Sie ausgestanden habe, als ich Sie umsinken sah und die Staubwolken emporwirbelten und dann ein Mann durch eine Balkontür auftauchte und ich mich nicht rühren durfte …“
Das Weitere der hastig geflüsterten Unterhaltung entging mir.
Der Mann verabschiedete sich, das Mädchen schloß die Haustür – offenbar mit dem richtigen Schlüssel – auf, und für mich war es schwer, mich sofort zu entscheiden, was ich nunmehr tun sollte.
Ich blieb. Ich sagte mir mit Recht, daß, wenn ich die Wohnung des Mädchens kannte, mir auch der Fremde wieder begegnen würde.
Die Straße war leer und totenstill.
Ich trat dicht an die Haustür heran, an der ein großes Messingschild befestigt war. Ich schaltete meine Laterne ein und las erstaunt:
Heim für verwaiste Mädchen.
Wohltätige Stiftung.
Ein kühner Entschluß ward zur Tat … Ich mußte Gewißheit haben, ob die Fremde wirklich hierher gehörte.
Das Türschloß war trotz der protzigen Beschläge billigste Dutzendware, und Freund Bick hatte mir auch im Gebrauch von Dietrichen praktischen Unterricht erteilt, schon des Ratten-Palais wegen …
Die Tür knarrte nicht. Ich hatte im hohen Erdgeschoß zwei Fenster aufblinken sehen, und meine Vermutung stellte sich als richtig heraus: Ich hörte Stimmen!
Die eine klang hell und leidenschaftlich und erregt, die andere sehr ruhig, tröstend und fast mütterlich.
Ich vernahm durch die Tür nur Teile der nächtlichen Unterhaltung …
„Wir müssen die beiden Ärmsten nach Batterkamp schaffen“, rief die helle Stimme äußerst energisch. „Den alten Gregorell werde ich schon zwingen, sowohl die Mumien herauszugeben als auch Lady Doris gegenüber zu schweigen …“
Das Gespräch wurde lebhafter und lauter.
Die andere Stimme erwiderte sehr kühl.
„Und die Geldkosten?! Wir alle sind arm, die Hälfte von uns ist arbeitslos, und unser Direktor Gatherston bewilligt keine Taschengeldvorschüsse. Du selbst willst dein Inkognito nicht preisgeben und kannst von der Bank kein Geld abheben. Bedenke, daß wir ein Auto brauchen, daß …“ – mehr verstand ich nicht. Erst als die helle Stimme noch leidenschaftlicher sich meldete, horchte ich doppelt scharf auf …
„Die armen Opfer sollen auf Batterkamp beigesetzt werden, und wir werden vorher den ganzen Fall nochmals gründlich erörtern. Ich will es!! Gregorell werde ich, bestimmt eine erfolgverheißende Idee, als „Warner“ anrufen, als einer der Feme der drei …“
„Leiser!“, mahnte die ruhige Stimme. „Du weckst ja die anderen auf, und im übrigen tätest du besser, meine Liebe, mir alles anzuvertrauen, wirklich alles … Wer zum Beispiel …“
Abermals entging mir das Folgende. – Nun, ich war trotzdem befriedigt, ich entnahm im Dunkeln meiner Brieftasche ein paar Banknoten, schob sie unter der Tür hindurch und wollte mich entfernen.
Im selben Augenblick, als ich mich aufrichtete, hatte ich genau dasselbe Gefühl wie vor Stunden im ägyptischen Saal, – der Instinkt sagte mir, daß außer mir noch ein Mensch sich in dem dunklen Flur befände, ich hörte nun auch Atemzüge, aber das Geräusch wurde schwächer, nachdem eine benachbarte Tür vorsichtig eingeklinkt worden war.
Irgend jemand hatte aus dem nächsten Zimmer die Mädchen gleichfalls belauscht.
Dieser Jemand glaubte wohl, genug gehört zu haben, er entschwand nach der Haustür zu, Kleider raschelten, und auch ich entschloß mich, das Gebäude zu verlassen und den neuen Mitspieler dieser Tragödie zu verfolgen, die sich immer geheimnisvoller gestaltete.
– Jene Nacht wird mir mit ihrem bunten, überreichen Geschehen nie aus dem Gedächtnis schwinden.
Ich hatte Glück, – der Mann, der genau so vermummt wie die lebende Mumie war, hatte eine elegante Limousine in der Nähe stehen, er chauffierte selbst, er ahnte nicht, daß hinten auf dem Gepäckhalter sich ein ungewünschter Fahrgast festhielt, – – die Marter dieser endlosen Fahrt im Nebel wurde überreich belohnt, denn die Limousine (die Nummer war falsch, wie sich später herausstellte) hielt in der Parallelgasse unserer Albemarle-Street in Norwood, und der Fremde, der größer und hagerer als die lebende Mumie war, hatte es zweifellos auf Frau Mallisons Mansarde abgesehen, auf das bescheidene Heim des „grauen Gespenstes“, das als Doris Mallison bei Freund Roger im Hause wohnte.
Über Höfe und Zäune schlich der Unbekannte, kletterte schließlich an einer Regenrinne empor und hatte bereits droben in der Mansarde ein Fenster fachmännisch eingedrückt, als er wie ein Blitz wieder an dem Zinkrohr herabsauste und mit verblüffender Geschwindigkeit im Nebel untertauchte und mir leider entschlüpfte. Nur sein Auto hörte ich noch davonfahren …
Was in aller Welt mochte ihn so jäh verscheucht haben?! Freilich, – ich glaubte droben auf dem Dache eine dritte Gestalt gesehen zu haben, beschwören konnte ich es nicht.
Etwas enttäuscht begab ich mich nun endlich heim, innerlich fest überzeugt, daß der Einbrecher nur der geschminkte Mörder aus dem ägyptischen Saal gewesen sein konnte, der „Frau Mallison“ das kleine Heft hatte stehlen wollen, das sie heute dem Geheimfach des Schreibtisches entnommen hatte.
Meine Wohnung fand ich dunkel vor, weder Bick noch Roger waren anwesend, aber sowohl im Schlafzimmer als in meinem Arbeitszimmer merkte man, daß meine Freunde die Bewußtlose sorgfältigst behandelt und in der sogenannten Beratungsecke an Mokka und Zigarren und Likör gestärkt hatten. Der Tisch war noch gedeckt, der Mokka noch warm, und nachdem ich durch die geheimen Schrankrückwandtüren sowohl drüben bei Mister Bason Territt, dem Astrologen, als auch bei Mr. Seym mich umgeschaut hatte, setzte ich mich in die Klubecke, trank voller Behagen zwei Tassen Mokka und lebte bei einer Zigarre nach all den Anstrengungen allmählich wieder auf.
Wir drei von der Feme waren gewiß seltsame Käuze.
Jeder stellte einen Typ für sich dar, und das Amüsanteste und Merkwürdigste unserer Zusammenarbeit lag hauptsächlich darin, daß wir zumeist auf eigene Faust einzeln in Tätigkeit traten und von unseren Erfolgen zunächst nur das unbedingt Notwendige preisgaben. Des Lebens unberechenbarster Wirbelwind hatte uns zueinander geführt, und unsere Freundschaft beruhte auf dem Dauerfundament ernstester, trübster Erfahrungen und tragischer Abenteuer, wie ich sie im vorigen Band geschildert habe.
Ich schlief in der Sofaecke ein. Die Müdigkeit hatte mich doch übermannt.
Mit einem Male schreckte ich hoch, da lautes Schnarchen meinen doch nur leisen Schlummer störte.
Verwirrt und geblendet blinzelte ich meine Freunde an, die in aller Stille neben mir Platz genommen hatten. Der Baronett schlief ganz fest, Bick dagegen rauchte eine Zigarette und lächelte mich seltsam verschmitzt an.
Dann rief er übermütig, – er war der Jüngste von uns und trotzdem der berüchtigte Warner:
„Hallo, Roger!! Es ist sechs Uhr morgens!“
Der stämmige Baronett mit dem kantigen, harten Gesicht, der nie einem Menschen merken lassen wollte, daß in seiner Brust das wärmste, mitfühlendste Herz schlüge, war sofort munter.
„Entschuldigt“, sagte er in einem Tone, als führte er nur ein begonnenes Gespräch fort, „ich bin als Letzter heimgekehrt und habe mich für Seifenfabrikation interessiert.“
„Wofür?! Seifenfabrikation?!“, meinte Bickfort herzlich auflachend. „Und ich habe ein nur zu flüchtiges Wild gejagt, keinen Hasen, nein, einen Glasermeister …“, fügte er ganz ernst hinzu.
„Ja, und ihr beide habt die blonde Fremde entwischen lassen“, sagte ich genau so doppeldeutig und unklar. „Das arme Ding muß nun in einem Heim übernachten … – Ich möchte nun noch schnell einige Einzelheiten berichten … Einige … Über die Vorfälle im ägyptischen Saal.“ Ich gab das Gespräch zwischen Mylady und Gregorell möglichst wörtlich wieder und knüpfte daran die ausschlaggebende Erklärung: „Meines Erachtens verhält sich die Sache so …: Genau wie ich heute unsere „Fremde“, haben Mylady und Gregorell droben im ägyptischen Saal auch die beiden anderen Mädchen gefunden und zwar kurz nacheinander, und beide waren tot. Um nun der Öffentlichkeit nicht noch mehr Stoff zu übler Nachrede zu liefern, wurden die beiden Frauenkörper heimlich als Mumien beigesetzt. Die von mir belauschte Unterhaltung zwischen Lady Doris und Gregorell enthielt keinerlei Mordgeständnis. Der wahre Mörder ist der Mann, der mich würgte und von sich schleuderte. Es ist kein Farbiger, auf meinem Mantel klebt braune Schminke. Der andere Mann aber, der Spion, die lebende Mumie, hatte während meines Kampfes mit dem Geschminkten den indischen Strahlengötzen weit zur Seite gestellt, und nur deshalb flog ich nicht auf die nadelscharf zugefeilten, vergifteten Spitzen der Bronzestrahlen, – – und das wollte der Mörder: Durch Gift sollte ich sterben, und ich wäre gestorben. Die lebende Mumie war mein Retter.“
Meine Freunde blieben lange Zeit stumm.
Dann sagte der Baronett, der außer mit genialen Tricks auch gern mit Überraschungen aufwartete: „Vor fünf Monaten gehörte ich noch dem hohen Adel Englands an und kannte all meine Standesgenossen. Unsere Patientin war die verschollene jüngste Tochter Lord Sromwells. Letzten Endes handelt es sich ja nur um drei Fragen: Weshalb verließen die drei Töchter des Lords nach Bekanntwerden seiner nie völlig aufgeklärten Ermordung durch Hereros in der Kalahari-Wüste England bei Nacht und Nebel, zweitens, wo sind die beiden älteren Töchter geblieben, und drittens: Weshalb läßt Mylords zweite Gattin den Palast seit zwei Jahren so scharf durch den pfiffigen Gregorell bewachen und ihn anderseits so furchtbar verwahrlosen und lebt hier in Norwood seit langem unter dem Namen ihrer Mutter als verwitwete Frau Doris Mallison? – Begreifst du nun, Freund Olaf, weshalb Frau Doris mit dem Finger über das verstaubte Bild fuhr und weshalb Gregorell das Bild vernichtet hat? – Es war May Sromwell, die dort nebenan wie durch ein Wunder dem Tode entgangen ist. Sie war es! – Und wo sind ihre Schwestern?!“
Keiner von uns wußte darauf zu antworten.
Der Schluß unserer Unterredung, bevor Roger und Bick sich in ihre Wohnungen hinüberbegaben, drehte sich um die wichtige Frage, ob May Sromwell uns drei etwa als die Männer der Feme erkannt. Bei näherer Prüfung der ganzen Umstände (wobei ich nichts von dem Waisenheim verriet) durften wir uns sagen, daß selbst der leiseste Argwohn unmöglich bei May Sromwell aufgekeimt sein könnte. Belauscht konnte sie Roger und Bick nicht haben, dazu hatten sie zu leise gesprochen, sogar ihre Gesichter hatte sie nicht gesehen, – nein, es lag wirklich kein Anlaß zur Beunruhigung vor. Wahrscheinlich würde unsere Patientin nicht einmal das Haus wiederfinden, in dem man sie ins Leben zurückgerufen hatte. – Daß wir trotzdem äußerst vorsichtig in den nächsten Tagen jede Neuerscheinung in der Albemarle-Street kritisch prüfen würden, war hiernach noch selbstverständlicher als bisher. Wir waren sehr mißtrauische Herren, wenn wir auch nach außen hin so taten, als ob wir uns um keine Seele kümmerten und nur jeder seinem eigenen Wohlbehagen lebte.
Auf die laue Wetterperiode folgte bitterste Kälte, und in einer besonders eisigen Nacht flog eine gut geheizte Limousine ohne Lichter den geschlängelten Klippenweg entlang, der vom Dorfe Batterkamp in halber Höhe der felsigen Südwestküste Englands schließlich vor dem Inselgewirr der gefürchteten Batterkamp-Bucht endet, deren Riffe und Strömungen und öde Umgebung selbst die Fischer abzuschrecken pflegten.
In dieser frostklaren Nacht war die Bucht jedoch zahm geworden und zugefroren, der Inselgürtel schützte sie vor jedem Wellengang, und trotz Ebbe und Flut hatten die einundzwanzig Grad Kälte auch hier eine spiegelglatte Eisfläche geschaffen.
Freund Bick, wie immer unser unübertrefflicher Chauffeur, hatte das Auto zuletzt in eine der vielen Höhlen hineingelenkt, die das hohe Steilufer überall geheimnisvoll durchzogen und vor deren Betreten weiße Tafeln strengstens warnten, da häufig größere Einstürze ganz unvermittelt erfolgten. Diese Gefahr mußten wir mit in Kauf nehmen. Wir hatten schon ganz andere Dinge riskiert.
„Verdammt hell!“, sagte der Baronett mißmutig, als wir mit unseren Schlittschuhen und Eisstöcken wieder vor der Höhle standen. „Die verrückten Mädels haben doch sicherlich Wachen ausgestellt, Olaf, und so lange die Wolke drüben nicht heraufzieht, können wir Whist spielen, oder sonst was …“
Links vor uns lag die Hauptinsel Batterkamp, nach der die Lords Sromwell den Zusatznamen „Batterkamp“ führten. Sie bildete eigentlich nur einen ungeheuren Haufen von Felsen, und nur vom Flugzeug aus hätte ein Unkundiger die erstaunliche Feststellung machen können, daß inmitten dieses Naturzaunes von Felsmassen ein winziger Garten Eden von naturfreudigen Sromwell-Ahnen hergerichtet worden war.
Plötzlich horchte ich auf. Ich stand am weitesten außerhalb des Höhleneinganges neben der vorspringenden Felswand, die jeden Schall auffing.
Es herrschte leichter Südost, und was ich da hörte, war eine besondere Art Propellergeräusch, das zuweilen verstummte, wieder auflebte und abermals erstarb.
Ich hatte den Kopf etwas gehoben.
Sofort fragten Roger und Bick:
„Was gibt es?!“
„Luftschiff!“ sagte ich nur.
Bick lachte leise.
„Das ist der Kerl, der das Reklameluftschifflein der Sunlicht-Seife gemietet hat. Der wird schön frieren!!“
Ich schaute mir meine Freunde genauer an. – Es waren Originale. – „Was soll das alles, Roger?“, fragte ich den stämmigen Baronett.
„Lieber Gott“, gähnte er, „Bick verfolgte den erfolglosen Dieb, und ich verfolgte beide, traf einen dritten und kam zur Luftschiffhalle von Sunlicht … Sehr einfach. Nun scheint der schlaue Bursche mit seinem Gaskahn da oben in der Wolke zu segeln und will wahrscheinlich auf die Art auf Batterkamp landen. Ein moderner Mensch, auch darin, daß er alle drei Stunden anders ausschaut, davon weiß auch Bick ein Lied zu singen.“
Bick nahm sein Fernglas. Das Propellergeräusch war gänzlich verstummt.
„Akrobat!“, sagte er … „In der Schneewolke schwebt die Sunlicht-Seife ohne Lichter … Ich bin neugierig.“
Er gab Roger und dann mir das Glas. Es stimmte: Das kleine Reklameluftschiff segelte in der Wolke nur mit dem Winde.
„Genial!“, knurrte der Baronett. „Kostet aber eine Stange Miet- und Schweigegeld und angefrorene Zehen. – Bick, wo ist die Whiskyflasche?“
Bei dieser Kälte halfen unsere Sportpelze und Pelzhosen gar nichts.
Die große Wolke kam näher.
Sheffield und Bickfort krochen hinter mir zum Wasser hinab, und wir schnallten die Schlittschuhe im Schutz überhängender Felsen an.
Es begann zu schneien …
Die Flocken wirbelten immer dichter herab.
„Vorwärts!“, kommandierte ich. „Anseilen! Los!!“
Die Eisfläche war blank, und wir wären noch rascher dem Ziele nähergekommen, wenn nicht offene Wasserstellen uns zu Umwegen gezwungen hätten.
Ich lief voraus, prüfte mit dem Eisstock das Vorgelände und kümmerte mich um nichts anderes.
Bei dieser eisigen Kälte ins Wasser fallen, kostete mindestens eine Lungenentzündung.
Der Schneefall wurde zum Schneetreiben.
Meiner Schätzung mußte die Insel dicht vor uns liegen.
Da – – links von uns ein Platschen im Wasser, ein halb unterdrückter Schrei, Splittern von dünnem Eise und ein leiser Hilferuf …
Wir standen still …
„Die Dohle?!“, flüsterte Bick ungläubig. „Es war sein Krächzen!“
„Der hüpfende Kaninchenliebhaber Gregorell ist ins Wasser geraten, es wird ihm wenig schmecken, er trinkt lieber schärferes Zeug“, meinte Roger Sheffield bissig. – Er glaubte immer noch nicht an Gregorells bessere Charakterseite.
„Nach links!“, kommandierte ich …
Da war wirklich eine große sogenannte Blänke, eine nur ganz dünn zugefrorene Stelle, und ein Mensch suchte verzweifelt den festen Eisrand zu erreichen. Das kalte Wasser preßte ihm die Kehle zu, sein Stöhnen war mehr ein Wimmern, und seine Todesangst trug mit dazu bei, seine Stimmwerkzeuge zu lähmen.
„Bleibt zurück!“, befahl ich Roger und dem Warner.
Ich glitt auf dem festen Eise weiter, beugte mich dann vor und hielt dem armen Teufel von Gregorell den langen Stock hin.
„Festhalten! Ich ziehe!!“
„Ich … kann … nicht … festhalten“, winselte er und schob sich auf das dünne Eis, das abermals unter ihm zusammenbrach.
Er sank bis zum Kinn ins Wasser, und da hier nur mit dem Lasso etwas auszurichten war, warf ich ihm die Schlinge um den Kopf. So schnell würde er ja nicht ersticken, und wenn er das Bewußtsein verlor, konnte es uns nur recht sein.
Ich zog ihn näher, half mit dem Eisstock nach, und als ich den kleinen buckligen Gregorell schließlich Bick in die Arme legte, war der Gerettete bereits so steif wie ein Brett gefroren.
„Bick, ins Auto mit ihm! Massiere ihn …“
„Wird gemacht!“ Und Bickfort Tomsen verschwand im Schneegestöber.
Sheffield sagte ungläubig: „Sollte der Alte etwa aus der Sunlicht-Seife gekommen sein, Olaf?!“
„Bestimmt! – Weiter …!“
Wir erreichten die ersten Felsen der Insel. Ob Freund Bick mit seiner Last das Auto erreichen würde, war eine andere Frage. Wir hatten ihn jedoch unbedingt allein lassen müssen. Hier stand zu viel auf dem Spiel.
Ich wollte nicht umsonst drei Tage und drei Nächte geopfert haben, bis ich endlich festgestellt hatte, wer die beiden toten Mädchen aus dem Sromwell-Palast waren und wohin man sie geschafft hatte.
Ich mußte auch wissen, was die Insel Batterkamp mit alledem zu tun hatte.
Der Baronett schnallte seelenruhig seine Schlittschuhe ab und blickte zum Himmel empor. „Es wird sofort wieder klar werden, Olaf … Das Schneegewölk ist vorüber.“
Ich hörte leises Surren … „Roger, das Reklameluftschiff, das Gregorell und den anderen brachte, kehrt um … Dort ist es … Es fährt im Bogen nach London zurück.“
„Hm – den Anderen?! Und wer ist das?“
„Frage eine Sterndeuterin … Jedenfalls ein Freund Gregorells.“
„Das muß eine feine Sorte sein, dessen Freunde!! – Los also!!!“
Wir begannen die Kletterpartie nach Batterkamp-Cottage. –
Jener naturfreudige Lord Sromwell, der einst dieses Landhaus errichtet hatte, war zweifellos ein ganz geriebener Fuchs gewesen, denn für einen Mann, der sich mit Alchemie, mit der Suche nach der „Grünen Tinktur“ und nach dem Stein der Weisen beschäftigte, gab es wohl kaum ein versteckteres, verschwiegeneres Plätzchen als diese unwirtliche kleine Insel. Bick hatte aus alten Urkunden im Dorfe Batterkamp mühsam alles Wissenswerte über diesen Goldmacher herausgefunden, hatte dabei auch einen uralten Grundriß des Hauses entdeckt und „aus Versehen“ eingesteckt. Im Wegfinden von Gegenständen war Bickfort Tomsen genau so geschickt wie als Chemiker, Schlosser und Briefschreiber.
Die Nordecke des Hauses lehnte sich an einen mächtigen Felsen, dicht dabei stand die sogenannte „Gedächtniseiche“, – an jener Stelle war nämlich jener Adept Sromwell im Alter von achtzig Jahren bei einem unvorsichtigen Experiment in Stücke gerissen worden.
Außer der Eiche gab es im Inseltale noch ein Dutzend ebenso alter Linden, ferner Gebüsch, Blumenbeete und an der schmalen Bucht, die den Felsenzaun durchbrach, ein neueres Bootshaus.
Die Insel war jetzt ausschließliches Eigentum May Sromwells, und diese hatte, bevor sie mit ihren Schwestern in die Ferne zog, ihr kleines Inselreich einigen armen Freundinnen notariell zur Benutzung überlassen, – auch das hatte Bick ausgekundschaftet, ohne jedoch die Namen der derzeitigen Nutznießerinnen in Erfahrung bringen zu können.
Freund Roger war angenehm überrascht, wie flink wir von dem Felsen durch die Äste der Eiche in eine Dachluke und damit ins Haus gelangten. Natürlich schimpfte er sanft über die neue Kletterpartie. aber er meinte es nie so, es liegt in seiner Natur, doch ja niemandem merken zu lassen, welch ein famoser Mensch er ist.
Er schimpfte auch auf die knarrende Treppe, als wir dann aber durch eine Lüftungsklappe in das ehemalige große Laboratorium des Goldmachers hinabschauen konnten, riß selbst er, den nichts erschüttern kann, den energischen Mund etwas auf und verstummte im übrigen gänzlich.
Genau unter uns in dem nun als Speisesaal eingerichteten Raume saßen im Halbkreis auf hohen Lederstühlen elf junge Damen in Schwarz mit schwarzen Tüllhäubchen. Vor diesem Halbkreis standen zwei schwarz verhängte schmale Tischchen, auf denen – ohne die Goldblechmasken – die aus dem Sromwell-Palais entführten Mumien des blonden und des dunkelblonden Mädchens lagen. Den Mittelplatz in dem Halbkreis hatte May Sromwell inne, und ihr Sessel stand etwas erhöht und vorgerückt. – Zwei Kronleuchter und acht fünfflammige Wandleuchter spendeten eine Überfülle von Licht. Jede Einzelheit war zu erkennen, und das Gesamtbild wirkte etwa wie eine Geschworenensitzung, die über Schuld und Sühne, Todesursache und Milderungsgründe ein entscheidendes Votum abgeben will.
Offenbar waren wir gerade während einer Pause der Verhandlung erschienen.
May Sromwell, gesund, frisch und hübsch und noch immer mit der Bräune der Tropensonne auf den Wangen, hatte das Kinn in die linke Hand gestützt und schien angestrengt nachzudenken.
Wir wußten nun seit zwei Tagen, wer die Mumien waren. Das Verschwinden zweier Insassinnen des Waisenheims war in den Zeitungen genau so eifrig und endlos erörtert worden wie die eilige Abreise der drei Sromwell-Töchter zu einer streng geheim gehaltenen Expedition. Es hatte mich wenig Mühe gekostet, besagte Namen bei einer Zeitungsredaktion unter einem Vorwand zu erfahren.
Lilian Dorvester
und
Leslie Pollingham.
In dem riesigen alten Kamin brannte ein mächtiges Feuer aus Buchenklötzen und Steinkohlen, und hier oben unter der Saaldecke war es so heiß, daß wir, obwohl im kalten Bodenraum auf dem Bauche liegend, nicht zu frieren brauchten.
In einer Ecke des Saales waren all die uralten alchemistischen Gerätschaften des verunglückten Goldmachers auf zwei Holztischen schön blank geputzt aufgebaut, und Mittelalter und Neuzeit verschmolzen hier zu einem phantastischen Ganzen, – auch ohne die ernsten regungslosen Gestalten der elf schwarzen jungen Damen und ohne die Anwesenheit zweier Mumien, die Thomas Gregorell, Sergeant a. D., präpariert hatte.
Miß May hob etwas den Kopf. Ihr Blick haftete fest auf den beiden verfärbten Gesichtern.
„Es ist Mord“, sagte sie kalt und beherrscht. „Meine Stiefmutter, die mein armer Vater gegen unseren Willen heiratete und die uns alle haßte, hat sowohl Lilian sowie Leslie als auch meinen Vater und meine Schwestern getötet.“
Am linken Flügel des düsteren Halbkreises saß ein hageres, etwas älteres Mädchen mit einer Hornbrille. Sie allein hielt ein Stenogrammbuch auf den Knien, sie allein, hier zweifellos eine Art Verteidiger, erklärte nun mit derselben gütigen, fast mütterlichen Stimme, die ich schon im Waisenheim für bedürftige oder arbeitslose Mädchen vernommen hatte:
„Meine liebe May, so sehr wir auch deine Warmherzigkeit für die Notleidenden und insbesondere deine Stiftung unseres Heims und deine ehrliche Freundschaft mit uns, die wir doch aus einfachsten Verhältnissen stammen und uns mit dir zu dem sogenannten „Klub der fünfzehn“ zusammentaten, dankbar anerkennen, müssen wir doch deine Anklagen auch auf die Beweise hin genauestens prüfen. Ein Unbekannter, der genau wie du und deine verschollenen Schwestern, die mit zu unserem Kreise gehörten, es offenbar sehr gut mit uns meinte, hat uns dreihundert Pfund Sterling unter der Tür hindurch in mein Zimmer geschoben, so daß wir aller Geldsorgen überhoben waren. Professor Gatherston, den du als Kurator und Direktor der Stiftung eingesetzt hast, hätte in seiner pedantischen Gewissenhaftigkeit uns niemals Geld vorgeschossen, obwohl er sonst ein sehr gütiger Mann ist. Wir hätten ihm ja auch nicht mitteilen dürfen, wozu wir das Geld brauchen. Und daß am übernächsten Tage nach dem unverhofften Geschenk der dreihundert Pfund an meine Adresse nochmals fünfhundert Pfund „für die Freundinnen im Heim“ eingingen, dürfte auf denselben heimlichen Spender zurückzuführen sein. – Dies so nebenbei … Denn die Hauptsache bleibt für diesen Abend, daß wir, die wir nur noch elf Klubmitglieder sind, heute über Lady Doris Gericht halten sollen.“
Sie machte eine kurze Pause, überlegte, und fuhr kurz und bedächtig fort: „Ich frage dich, May, weshalb sollte deine Stiefmutter, die freilich um fünfundzwanzig Jahre jünger war als dein Vater, all diese Verbrechen begangen haben?! – Erörtern wir die Dinge absolut unparteiisch und gründlich. Deine Stiefmutter hätte vielleicht Grund gehabt, deinen Vater in der Kalahari-Wüste durch bestochene Hereros ermorden zu lassen, wenn er ihr, weil sie einen Liebhaber gehabt hätte, lästig gewesen wäre. – Bitte, May, lasse mich aussprechen. Ich kenne deine Stiefmutter nur von der besten Seite. Nicht sie hat euch gehaßt, sondern umgekehrt: Ihr drei Sromwell-Töchter mochtet die schöne, elegante, junge zweite Gattin nicht leiden, da ihr bereits erwachsen wart. Also die uralte Familientragödie taucht hier wieder auf: Ein Vater mit Töchtern aus erster Ehe heiratet, und die Töchter sind empört und … verscheuchen den eigenen Vater in die Fremde, weil er daheim nur Haß und Unfrieden sieht. – So ist es, May. – Und auch das Hauptmotiv für Morde, Geldgier, scheidet hier aus. Dein Vater hat bei Abschluß seiner zweiten Ehe zwischen euch drei Kindern und der zweiten Gattin das große Millionenvermögen gleichmäßig verteilt. Niemand kam dabei zu kurz. Sein Testament betont dies. Eure Stiefmutter erbte genau wie jede von euch Töchtern anderthalb Millionen Pfund. Die geborene Mallison kann von diesem Vermögen selbst bei verschwenderischster Lebensführung kaum die Zinsen verbrauchen, – Also – – wo sind die Gründe zu diesem Verbrechen?! – Bitte, lasse mich fortfahren, May. Als ihr euren Vater aus dem Hause wieder auf eine seiner Expeditionsreisen gehetzt hattet, blieb er volle neun Monate der Heimat fern, kehrte eines Nachts mit seiner Motorjacht zurück, die an den Londoner Docks an versteckter Stelle ankerte, zeigte sich niemandem und reiste in der drittnächsten Nacht wieder ab und … fand in der Kalahari-Wüste ein offenbar gewalttätiges Ende. Was er während dieser drei geheimnisvollen Tage in London getrieben hat, wurde nie aufgeklärt …“
Das kluge Mädchen mit der Brille, die Verteidigerin, schwieg abermals kurze Zeit. Dann sagte sie mit erhobener Stimme: „Es wurde nie aufgeklärt, weil es meines Erachtens, und diese Ansicht teilen viele, nicht aufgeklärt werden sollte. Er hat euch, seine drei Töchter, nicht gesprochen, aber ich bin überzeugt, daß er mit seiner Gattin Doris, geborenen Mallison, zusammentraf. Er, der alternde Mann, liebte sie, und dieses Liebesglück an der Seite der intelligenten Frau Doris habt ihr ihm zerstört.“
May Sromwell begann plötzlich bitterlich zu schluchzen. Ihr Gewissen regte sich.
„Ich war die Jüngste“, verteidigte sie sich mit erstickter Stimme, „und Ruth und Elsie haben mich nachteilig beeinflußt …“
In dem Klub der fünfzehn, der hauptsächlich wissenschaftliche Bestrebungen und Fortbildung der Mitglieder zum Ziele hatte, waren alle Standesunterschiede von vornherein durch die Gründerin May Sromwell ausgeschaltet worden, und nur so war es zu erklären, daß all die jungen Mädchen tröstend und beruhigend ihre Wohltäterin umdrängten und ihr durch herzlichste Zärtlichkeit über die bittere Erkenntnis hinwegzuhelfen suchten, daß sie ihre Stiefmutter zu Unrecht so schwer verdächtigt hatte.
Nur das intelligente Mädchen mit der Brille wollte diese Gerichtssitzung nicht vorzeitig durch eine gefühlsmäßige Äußerung unterbrechen lassen.
„Meine liebe May, ich habe es längst gewußt, daß du nicht böswillig handeltest“, sagte sie mit einer wahren mitfühlenden Innigkeit, die stets den Weg zu fremden Herzen findet. „Als ihr dann die Nachricht vom Tode eures Vaters erhieltet, wurdet ihr vor Trauer und Schmerz nicht schwerkrank wie eure Stiefmutter, sondern euer unvernünftiger, beklagenswerter Haß gegen diese Frau schrie nur nach Rache, ihr kamt in das Heim, wo ja stets unser Klub tagte, und selbst ich unterlag damals deiner Schwester Ruth fein aufgebauten Anschuldigungen. Wir beschlossen, daß ihr drei Schwestern in aller Heimlichkeit nach Afrika gehen solltet, um dort die näheren Umstände des Todes eures Vaters nachzuprüfen, während wir hier Frau Doris beobachten wollten. Aber sie verschwand aus London, lebte in Süditalien, hatte den alten Gregorell als Hausmeister eingesetzt und ließ euer Palais einen Tummelplatz von Ratten und Mäusen werden. Als von euch keinerlei Nachrichten mehr eintrafen, wagte sich Lilian Dorvester als erste in den Palast hinein und – – ward nicht mehr gesehen. Drei Wochen darauf traf Leslie Pollingham dasselbe Schicksal. Die Polizei und die Presse erhielten von uns anonyme Briefe, daß man im Sromwell-Palais suchen solle, und da ereignete sich das Unbegreifliche, daß, wie ich zuverlässig erfahren habe, erging, diese anonymen Schreiben nicht zu beachten und sie totzuschweigen. Unser Klub hatte jetzt fünf Mitglieder verloren, euch drei und Lilian und Leslie. Wir waren eingeschüchtert, wir unternahmen nichts mehr, fast anderthalb Jahre gingen hin, und dann – – tauchtest du urplötzlich wieder auf, meine liebe May, und tatest sehr geheimnisvoll und verlangtest, daß wir dir hülfen, zwei Mumien aus eurem Palais nachts hierher zu schaffen. Es gelang uns, freilich nur mit fremder Unterstützung.“
Wieder ließ das Mädchen mit der Brille eine Pause eintreten.
May Sromwell, nun wieder völlig gefaßt, trocknete sich schnell die Augen und erklärte mit allem Nachdruck:
„Diese fremde Unterstützung glaube ich zu kennen. Ich habe über diesen Punkt und über manches andere bisher geschwiegen. Es muß einer der Feme der drei gewesen sein, der mich aus dem ägyptischen Saal rettete. Ich darf diese Vermutung nicht näher begründen, denn ich habe Rücksichten zu nehmen auf zwei Männer, von denen keiner der Feme angehört, die aber ebenfalls vollständig auf unserer Seite stehen und denen ich dennoch nichts von unserer heutigen Zusammenkunft hier auf Batterkamp verriet. Leider kennen auch sie den wahren Mörder nicht, genau so wenig wie die Feme der drei ihn kennt, – keiner kennt ihn! Ich war in das staubige Rattenpalais eingedrungen, im ägyptischen Saal fand ich Lilian und Leslie in Mumiensärgen unter Goldmasken, vor Entsetzen taumelte ich zurück, ließ die Taschenlampe fallen und wurde in den Finger gestochen, ein giftiger Stich, – ich sank bewußtlos zu Boden und erwachte auf dem Diwan eines Herrenschlafzimmers und … entfloh …“
Kaum hatte May Sromwell den Satz beendet, als neben Roger und mir Freund Bickforts schneidige Gestalt auftauchte … Er war völlig außer Atem, konnte kaum zusammenhängend flüstern und warf nur einen schnellen Blick in den Saal hinab.
„… Ich habe … Gregorell … mit dem Auto zum nächsten Bauerngehöft geschafft und die Leute dort geweckt“, stieß er keuchend hervor. „Unterwegs zur Höhle sah ich unten am Strande mindestens zwanzig Leute, – Detektive von Scotland Yard unter Führung des Kriminaldirektors Sir Morstan … Die Polizei will den Klub ausheben. – Wir müssen die Mädchen retten … Hier spielen irgendwie wieder genau wie im Falle Doktor Willow höchste Staatsinteressen mit … Das ist auch euch längst klar … Ich fürchte, das Haus ist bereits umzingelt. Was tun wir, Olaf?“
„Das, was uns der von dir entwendete Grundriß dieses Hauses rät …! – Legt die Masken an … schnell …!“
Dicht neben der Lüftungsklappe hing einer der Kronleuchter. Es war ein älteres, sehr kräftiges Modell aus Kupfer.
Als ich jetzt nach unten hinabrief, die Mädchen sollten sich vor uns nicht weiter fürchten, erstarb jeder Laut. Aber die derart Überraschten bewiesen, daß sie gute Nerven hatten. Wir kletterten hinab, und kaum hatte ich der Miß mit der Brille die Gefahr erklärt, als sie sofort herzlich erwiderte: „Wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, meine Herren! Nur um eins bitte ich Sie: Bergen Sie auch die Mumien unserer Freundinnen dort!“
Die eine Flurtür flog auf …
Auf der Schwelle stand ein Mann im dunklen Sportpelz und Wollkappe, vor dem Gesicht ein Taschentuch, das nur seine lebhaften Augen sehen ließ.
Diese lebhaften Augen überschauten mit rascher Kopfdrehung den ganzen Saal und verweilten auch auf uns dreien nur eine Sekunde länger. Dann ruhten sie still auf May Sromwells erregtem Gesicht, – er verneigte sich, und sagte mit einer frischen, angenehmen Stimme:
„Miß May, bestätigen Sie bitte den drei Herren, daß ich ihr Verbündeter im ägyptischen Saale war, wo Sie nur zu schnell wie tot umsanken und ich Ihnen nicht beispringen konnte, da gleichzeitig einer der Herren durch die Balkontür eindrang. Seitdem haben wir uns nicht wieder gesprochen, Miß May, – ich hatte meine Gründe, unsichtbar zu bleiben.“
May Sromwell eilte sichtlich erfreut auf ihn zu und streckte ihm beglückt beide Hände hin. „Mr. Rello, ich habe so große Angst um Sie ausgestanden! Ich besitze ja keinen uneigennützigeren Freund als Sie! Ihre Stimme würde ich nie vergessen, genau so wenig wie das entsetzliche Kläffen der Bestien und den tiefen Orgelton der Löwen in der Kalahari …“
Sie gab seine Hände etwas verschämt wieder frei.
„Uns droht Gefahr“, fügte sie unmittelbar hinzu. „Die Polizei soll in nächster Nähe sein, und …“
Rello winkte begütigend. „Eine zweite Schneewolke hält draußen alles in weiße tanzende Flocken … Wir haben Zeit. Die Polizei befindet sich noch auf dem Eise.“
Er trat näher, schloß hinter sich die Tür und wandte sich uns dreien zu. „Wer von Ihnen, meine Herren, ist Mr. Abelsen, Ihr Führer? Wir wollen hier bitte, soweit angängig, mit offenen Karten spielen. Sie sind die Feme der drei, und die Damen sind der Klub der fünfzehn, und ich bin Edgar Rello, ein Nichts, ein Name, der natürlich falsch ist, aber ein Wahrheitsforscher, ein Mensch, der nie vorschnell urteilt. – Mr. Abelsen, wie gedachten Sie hier helfend einzugreifen?“
Das also war „die lebende Mumie“, – nun wußten wir es! Edgar Rello, ein Nichts, ein Name …! – Und wer verbarg sich dahinter?! – Das also war derselbe Mann, der mich dadurch vor dem Tode rettete, daß er in aller Stille den gefährlichen indischen Götzen zur Seite rückte.
Ich reichte ihm herzlich die Hand. „Wer Sie auch sein mögen, Mr. Rello, zunächst habe ich Ihnen zu danken …“
„Oh, nicht der Rede wert …“
„Darüber denke ich anders. – Was nun hier die Sachlage betrifft, so dürfte es genügen, wenn wir vier Männer und die beiden Mumien verschwinden. Die Polizei könnte gegen die jungen Damen nur vorgehen, wenn sie hier die Mumien fände. Ich bin überzeugt, daß der Mörder Miß Lilians und Miß Leslies anonym Scotland Yard benachrichtigt hat, daß zwei Mumien gestohlen und hierher geschafft worden seien. Sobald wir Männer also die Mumien mitnehmen – und ich kenne hier ein ausgezeichnetes Versteck –, ist dem Klub der fünfzehn nichts mehr vorzuwerfen. Immerhin würde ich auch Miß May vorschlagen, uns zu begleiten. In dieser ganzen Tragödie sind bestimmt Kräfte am Werk, die irgend etwas um jeden Preis vertuschen wollen, und offen gestanden fürchte ich für Ihre Sicherheit, Miß Sromwell. Kommen Sie also mit uns … – Roger, du trägst die eine Mumie, Bick nimmt die zweite … – – Hallo, – – doch schon die Polizei, – – die Flurglocke schrillt, man donnert gegen die Haustür …! – Licht aus! Jetzt flink, – – folgt mir …! Und Sie, meine Damen, erfinden irgend eine Ausrede für diese Zusammenkunft.“
„Das überlassen Sie nur mir“, sagte das ältliche Mädchen mit der Brille äußerst kaltblütig.
Das einsame Inselhaus war durch dickste Eichenläden, durch Eisengitter und schwere Fenstervorhänge nach draußen hin aufs sorgfältigste abgedichtet und geschützt.
Nur beim Scheine von zwei Taschenlampen wandten wir uns dem nördlichen Erdgeschoßzimmer zu, – nach dem Grundriß mußte die Täfelung dieser kleinen Bibliothek einen Durchschlupf in den hohen Randfelsen des winzigen Tales enthalten.
May Sromwell, die sich neben mir hielt, wußte nichts von einem verschiebbaren Paneelstück, – es war jedoch vorhanden, und der Mauerdurchbruch führte ohne Übergang in eine Grotte hinein, deren Innenausstattung uns auf dem ersten Blick zeigte, daß der Alchemist Lord Sromwell diese Höhle als sein eigentliches Laboratorium benutzt hatte.
Roger und Bick legten die Mumien auf einen der großen Tische, und Rello und ich besichtigten den östlichen Winkel der Grotte, wo wir draußen das Plätschern von Wasser vernahmen. Eine zackige, einem Felsloch genau eingepaßte Steintür ließ sich leicht öffnen.
Vor uns lag das Bootshaus und eine schmale Bucht, die in die offene See mündete und die nicht zugefroren war.
May Sromwell war bei Bick und Roger geblieben und sorgte dafür, daß die Mumien der für sie in den Tod gegangenen Freundinnen würdig aufgebahrt würden. Wir sahen, daß sie einer Truhe uralte kostbare Gewebe entnahm, und damit den einfachen Holztisch schmückte.
„Ich muß Sie verlassen“, sagte Rello plötzlich. „Es muß sein … Ich schlage mich schon durch, Mr. Abelsen.“
„Kennen Sie den Mörder?“, fragte ich geradezu.
„Genau so wenig, wie Sie drei ihn kennen.“
„Ich werde ihn finden“, erklärte ich genau so kurz. „Die heutige Nacht war aufschlußreich genug …“
Er blickte mich prüfend an.
„Haben Sie eine Spur entdeckt?“
„Ja – in Gedanken, Mr. Rello. – Entschuldigen Sie, – kamen Sie mit dem gemieteten Reklameflugschiff?“
Er hob überrascht den Kopf.
„Oh, – Sie verstehen es, alles zu ermitteln!“
Ich ging noch einen Schritt weiter. „Wir haben Thomas Gregorell gerettet … Sie haben sich da einen sonderbaren Verbündeten ausgewählt, Mr. Rello.“
„So, glauben Sie?! – – Gute Nacht … Grüßen Sie Miß May von mir … – Auf Wiedersehen …“
„Halt!“
Ich bekam ihn noch am Ärmel zu packen.
„Mr. Rello, eine ehrliche Antwort: Kennen Sie die Wohnung der Feme der drei oder kennt Miß May sie?“
„Mein Wort: Nein!“
„Dann bin ich beruhigt … – Gute Nacht …“
Er schlüpfte in das Schneetreiben hinaus, ich schloß die Tür, und als ich mich nun allein dem Vorderteil der Höhle näherte, sagte May Sromwell mit schwerer Stimme:
„Rello ist natürlich wieder auf und davon … Er verschwand bisher stets, wenn irgend eine Gefahr bestand, das Geheimnis seiner Persönlichkeit lüften zu müssen … Er ist der geheimnisvollste und trotzdem aufopferndste und vertrauenswürdigste Mensch, den ich je kannte, und ich kenne ihn nun fast ein halbes Jahr …“
„Ein halbes Jahr sind Sie schon in London?!“, rief Bick ungläubig.
„Nein … Vor einem halben Jahre befand ich mich im ödesten, verrufensten Teile der Kalahari-Wüste, und dort rettete mich Edgar Rello zum ersten Male …“ Ihre schönen Augen strahlten vor Genugtuung und Freude. „Es gibt keinen tapfereren Mann als ihn, und er ist ebenso klug und schlau und wird schon feststellen, ob ich meiner Stiefmutter so sehr viel abzubitten habe …“
„Das werden Sie allerdings wohl tun müssen“, meinte Bick, „und es wird Ihnen sicherlich nicht schwerfallen, Miß Sromwell. Wer so viel warmherzige Dankbarkeit gegenüber Edgar Rello aufbringt, dürfte auch einer vielleicht sehr schwer geprüften Frau gegenüber das nötige Maß Gerechtigkeitsgefühl finden.“
Hinter uns auf dem Tische ruhten die bedeckten Mumien der beiden jungen Mädchen als Wahrzeichen des Ernstes dieser nächtlichen Stunde. Zunächst schwiegen wir, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, und als ich nun die entscheidenden Fragen an May Sromwell richten wollte, vernahmen wir zunächst vom Durchschlupf nach dem Hause her ein taktmäßiges Pochen. May horchte eine Weile beklommen, sprang dann auf und flüsterte beklommen, daß dies das Klopfsignal des Klubs der fünfzehn sei.
Ich eilte zu dem dicken Eichenpaneel, das auf unserer Seite noch durch Eisenplatten verstärkt war, und ganz leise zog ich die kleine Tür auf und spähte hinein in den finsteren Raum, in dem ein einziges Licht in einem Leuchter nur sehr schwach das Gesicht der „Verteidigerin“ beleuchtete.
Ich rief sie an. Sie huschte flink herbei. „Ein Glück, daß Sie mich gehört haben“, flüsterte sie in höchster Erregung. „Die Polizei hat sich entfernt, nachdem sie nichts Verdächtiges entdeckt hatte, aber unten am Hafen ist den Beamten Edgar Rello in die Arme gelaufen, und Sir Morstan, der Kriminaldirektor, hat ihn verhaftet und mitgenommen … May wird außer sich sein …! Der arme Rello!!“
Ihre Bedenken Mays wegen waren berechtigt.
May flehte uns an, Rello zu befreien, und da auch auf mich dieser Unbekannte einen sehr günstigen Eindruck gemacht hatte, ganz abgesehen davon, daß ich ihm unendlich Dank schuldete, verließen wir drei Männer schleunigst die Insel und erreichten nach einem bei diesem Schneetreiben wahrhaft tollkühnen Schnellauf über die unzuverlässige Eisdecke der Bucht unser verborgenes Auto. Einen Plan, und zwar den einzig möglichen für Rellos Befreiung, hatte ich bereits entworfen.
Edgar Rello saß mit Handschellen im Überfallwagen vorn zwischen dem sehr mißmutigen Sir Morstan und dem Chauffeur. Das Auto mußte sehr langsam fahren, der Schnee hatte große Schanzen aufgeweht, und die sehr dicht fallenden Flocken setzten sich an der Windscheibe fest, und der Wischer mußte dauernd in Tätigkeit bleiben. – Sir Morstan qualmte eine dicke Giftnudel und schaute zuweilen verstohlen von der Seite seinen Nachbar an, der seinen Namen durchaus nicht nennen wollte und der auch nichts bei sich trug, was über ihn hätte Auskunft geben können.
Als das Polizeiauto bei diesem fürchterlichen Winterwetter sich der Stelle näherte, wo die Chaussee nach London in einem scharfen Tale zwei Landstraßen kreuzte, blieb der schwere Wagen in einer geradezu mauerähnlichen Schanze stecken. Daß dieses Hindernis von einem flinkeren Auto geschickt aufgetürmt und fest zusammengedrückt worden war, ahnten nur drei Männer.
Kaum hatte sich der lange Dienstwagen mit seiner steifgefrorenen Bemannung unrettbar festgefahren, als jenseits der Schanze aus der Finsternis des Flockenfalls jämmerliche Hilferufe ertönten.
Morstan war als erster draußen, – die Hilferufe klangen so schrill und heiser, daß es für den diensteifrigen Beamten kein Besinnen gab. Seine halb erstarrten Leute kamen nur schwerfälliger in Bewegung. Es herrschte fast völlige Dunkelheit, und Morstan, der bis zur Brust sehr bald in einer Schneewehe versank, konnte unmöglich sehen, daß dem Chauffeur plötzlich ein Riesenschneeball ins Gesicht geflogen war und ich den Verhafteten ebenso schnell aus dem Wagen gerissen und im Bogen um die Schanze herum zu unserer Limousine geführt hatte, wo Freund Bick nun prompt sein Jammergeschrei einstellte und unser flinker Rolls Royce, ohne Lichter zunächst, in die Finsternis hineinschoß.
Daß einige der Beamten im letzten Moment doch noch Unrat gewittert hatten, war lediglich ein harmloses Privatvergnügen.
Sheffield öffnete Rellos Handschellen und warf sie zum Fenster hinaus. „Bedanken Sie sich bei Abelsen … Die Idee stammt von ihm. Für gewöhnlich ersinne ich die Tricks, und Olaf leistet die Arbeit.“
Rello, den wir im jetzt erleuchteten Wagen ohne das verhüllende Taschentuch sahen, hatte ein bartloses, stark gebräuntes Gesicht von energischer Prägung. „Ich danke Ihnen, Mr. Abelsen. Allerdings wäre ich auch ohne Ihr kluges Eingreifen freigekommen, denn als einzelner Kämpfer gegen eine solche Übermacht muß ich stets auf alles vorbereitet sein …“ Er hielt seine Hände empor, drückte die Finger zusammen und zeigte uns, daß er seine Hände durch Training genau so gelenkig gemacht hatte, wie jeder Entfesselungskünstler dies tut. – „Es hätte mich also nur zwei Boxhiebe und einen Sprung zur Tür hinaus gekostet, und Sir Morstan, übrigens einer der klügsten und anständigsten Beamten von Scotland Yard, hätte das Nachsehen gehabt. Schauen Sie zu, – – so …!!“
Und wie ein Blitz hatte er die Tür aufgestoßen, sprang hinaus, und die Schneeflocken umhüllten ihn, – – er war auch uns entwischt.
Der Baronett lachte. „Ein patenter Kerl, Olaf!! Den sehen wir nicht wieder!!“ –
Als wir gegen sieben Uhr in Norwood-West anlangten, wo wir eine abgelegene Garage gemietet hatten, war auch ganz Norwood unter Schnee begraben. Einzeln begaben wir uns in unsere Wohnungen, wir waren ehrlich müde, aber ich hatte noch mancherlei Pläne für diese frühe Stunde, und kaum hatte ich mich umgekleidet. als ich nebenan in Nr. 18 in der Mansarde bei Frau „Mallison“, die als Frühaufsteherin bekannt war, läutete und Mylady mich, den harmlosen Präparator Elsen, etwas erstaunt näherzutreten bat.
„Ihr Papagei soll gestorben sein, und ich möchte das Tier gern ausstopfen, ich bin ja Präparator.“ – Es war eine platte Lüge, das alles, – – desto verblüffter war ich, als die beklagenswerte Frau totenbleich wurde und mich ungläubig anstarrte.
„Jocko lebt noch, – – zum Glück … – – Aber woher wissen Sie, daß er heute früh verwundet war, Mr. Elsen?!“, stieß sie immer erregter werdend hervor und brach dann in einen Strom von Tränen aus, der erst durch meine tröstenden Worte verebbte.
„Sie haben wohl von Jockos Mißgeschick in der Apotheke gehört“, meinte sie, als sie sich wieder gefaßt hatte. „Ich habe Jocko selbst verbunden, – ich stamme aus einer Arztfamilie.“ – – Wäre sie nicht so vollkommen verstört gewesen, hätte sie kaum so viel ohne Besinnen ausgeplaudert. „Ich lief selbst zur Apotheke, Mr. Elsen, denn meine Aufwärterin habe ich abbestellt, – ich kann mir diese Ausgabe nicht mehr leisten …“
„Sind Sie so arm?“, fragte ich mitfühlend. – Trafen meine letzten Schlußfolgerungen zu, so mochte es mit der bitteren Armut schon stimmen.
„Ja“, erwiderte sie leise. „Ich besitze nichts mehr als ein paar Schillinge … Ich kann nicht einmal einen treuen Menschen, dem ich für einen Dienst noch Geld schulde, bezahlen … Ich habe alles hingegeben, alles … alles …! Mein Ende wird der Freitod durch Gas sein, – – ich hätte dieses Ende längst diesen unerhörten Qualen vorziehen sollen, aber ich war eine Kämpfernatur …“
„Und all Ihr Geld raubte Ihnen ein Erpresser“, sagte ich weich und streichelte ihre zuckende Hand, deren Handrücken voller frischer Kratzspuren war. „Erschrecken Sie nicht, daß ich das Richtige errate, Frau Mallison. Ich habe zufällig gehört, daß letztens bei Ihnen ein Dieb einzudringen suchte, und ich glaube fast, auch heute früh war ein Einbrecher bei Ihnen und hat etwas gesucht, was in Jockos Käfig verborgen war, und dabei mag der Papagei die Verletzungen erhalten haben.“
Wieder traf mich ein erschreckt-fragender Blick aus den gramvollen Augen Doris Mallisons.
„Es sind das Kombinationen meinerseits“, erklärte ich schlicht. „Ich beschäftige mich nebenbei auch mit dieser Art geistigen Trainings, liebe Frau Mallison, und ich merke, meine Schlußfolgerungen sind richtig, nicht wahr?“
Sie schaute mich noch immer groß an, und dann flüsterte sie hastig und scheu: „Sie … sind der Warner!! Geben Sie es nur zu, – Sie sind es!!“
„Ein Irrtum – mein Wort darauf …“, sagte ich ohne jede Verlegenheit. „Wie kommen Sie auf den Warner?“
Ich sah, wie sie mit sich kämpfte, wie gern sie sich jemandem anvertraut hätte. Ich erleichterte ihr dies, indem ich herzlich hinzufügte: „Hinter mir liegen überreiche Lebenserfahrungen, Frau Mallison. Nur persönliches Erleben gibt uns jenen scharfen, treffsicheren Blick, den man auch Menschenkenntnis nennen kann. Ich bedauere Sie aufrichtig. Schon allein die Tatsache, daß Sie weder den ersten Einbruchsversuch noch den heutigen Kampf mit dem Diebe – bitte, Ihre frisch zerkratzten Hände! – der Polizei meldeten, beweist, daß in Ihrem Leben ein Geheimnis im dunklen Hintergrunde lauert und Ihnen den Mund verschließt.“ – Ich erhob mich – mit voller Absicht. „Entschuldigen Sie die Störung … Ich freue mich, daß Ihr Jocko lebt, der sicherlich ein teures Andenken an einen Toten ist …“
Sie drückte mich rasch auf den Stuhl zurück. „Bleiben Sie, Mr. Elsen, – – bleiben Sie … Ich habe bereits viel Gutes von Ihnen gehört, die Kinder unserer Straße lieben Sie, Sie helfen insgeheim den Armen und Ärmsten, genau so handelte mein Vater, der ein berühmter Arzt war und doch nie ein Vermögen erwarb, weil er ein zu gütiges Herz hatte, genau so wurde ich erzogen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! – Mister Elsen, – – ich kann diese Last nicht mehr allein tragen … Ihnen will ich mich anvertrauen … nur Ihnen …! Ich hatte einen treuen, verschwiegenen Helfer, aber er hat sich sehr verändert in den letzten Tagen … – Weshalb zögere ich noch?!“, rief sie leidenschaftlich. „Ich bin Lady Doris Sromwell, – – so, nun wissen Sie es!! Dieselbe Lady Doris, der ein Schurke von namenloser Brutalität alles, alles genommen hat!! Erpreßt hat er mich, Unsummen hat er von mir erhalten, Millionen!! Nichts genügte ihm, nichts!!“ Sie war aufgesprungen und schritt mit starren Augen und halb erhobenen Fäusten in unbeschreiblichem seelischen Aufruhr hin und her …
„Mr. Elsen, ich heiratete Lord Sromwell, diesen noch immer so stattlichen Mann, aus Liebe … Seine drei Töchter aus erster Ehe, besonders Ruth, die zweitälteste, verfolgten mich mit Haß und Niedertracht, trieben meinen Gatten in die Fremde, zerstörten unsere glückliche Ehe … Richard, mein Gatte, ging für endlose Monate nach Südafrika. Eines Nachts kehrte er heimlich zurück, aber er war völlig verändert. Gewiß, er begrüßte mich überaus zärtlich, aber ich fühlte, daß ihn etwas bedrückte, daß er irgend etwas befürchtete. Dann begab er sich ganz allein und ebenso heimlich in den ägyptischen Saal und nahm nur seinen großen Reisekoffer mit. Er wollte nachher wieder zu mir kommen, aber – – ich sah ihn nie wieder. Seine letzten geflüsterten Worte werde ich stets in der Erinnerung behalten: „Meine liebe Dorette, über uns schwebt ein finsteres Verhängnis … Ich werde uns zu schützen suchen.“ – – Ich wartete, umsonst, er hatte mit seiner Jacht London wieder verlassen … Monate später wurde er in der Kalahari ermordet. Das heißt: Die englischen Behörden behaupten dies! Ich selbst kann nicht daran glauben. Sowohl die Polizei als auch die Ministerien benahmen sich zu seltsam. – – Genug, – ich wurde vor Aufregung schwerkrank, und als ich genesen war, hatten sich meine Stieftöchter nach Südafrika begeben, und die Ärzte verlangten, ich sollte mich in Süditalien erholen. Zum Schein reiste ich ab, kehrte zurück, mietete mich hier als Frau Mallison ein und bestellte als Hausmeister für den Palast den treuen Anatomiediener Thomas Gregorell. Ich wußte, daß das Geheimnis um den Tod meines Gatten nur im ägyptischen Saale irgendwie aufzuhellen war, und fast Nacht für Nacht brachte ich dort zu und suchte, bis ich dort einmal zu meinem Entsetzen eine Tote vorfand, die ich kannte: Lilian Dorvester! Die einzige Erklärung für ihr Eindringen in den Palast ist die, daß sie als Freundin meiner verschollenen Stieftöchter den Verdacht hegte, ich hätte meine Stieftöchter beseitigt, – – sie suchte also genau wie ich ein dunkles Geheimnis zu enthüllen. – – Ersparen Sie mir Einzelheiten … Jene Nacht, Mr. Elsen, entschied mein Schicksal. Im ersten Schreck beschwor ich Gregorell, die Leiche zu beseitigen … Er weigerte sich, – heute weiß ich, daß er mich zunächst halb und halb für schuldig hielt. Er balsamierte die Leiche ein, und er legte sie in einen Mumiensarg als Mumie … – Drei Wochen darauf stieß ich auf eine zweite Tote …!“ – Sie war vor mir stehen geblieben … Sie flatterte vor Aufregung, ihr Gesicht war totenblaß. „Mr. Elsen, – – auch dieses Mädchen wurde von Gregorell als Mumie beigesetzt. In der nächsten Nacht trat mir im ägyptischen Saal ein Mann entgegen, der mich der Polizei anzuzeigen drohte. So begannen seine Erpressungen. Ich kenne den Menschen nicht, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer es sein könnte. Er … hat mir alles genommen … Und auch Gregorell traue ich nicht mehr, denn … die beiden Mumien sind gestohlen worden. Und heute früh …“, – – urplötzlich war es mit ihrer Widerstandskraft zu Ende, und als ich die Ärmste nach langen Bemühungen ins Leben zurückgerufen hatte, vertraute sie mir auch an, weshalb ihr Papagei beinahe sein Leben eingebüßt hatte.
Ich wußte es längst: Der zweimalige Einbrecher war der unbekannte Mörder, und ihm war es um das Heft zu tun, das die Unglückliche damals dem Geheimfach entnommen hatte. Er mochte gefürchtet haben, Lady Doris könnte doch ahnen, wer er sei, und hierüber irgendwelche Aufzeichnungen gemacht haben.
Er war derselbe Mann, der im Waisenheim damals nachts die Mädchen belauscht hatte, an mir vorübergehuscht war und die Haustür mit einem richtigen Schlüssel sehr schnell geöffnet hatte.
Er war mithin auch derselbe Mann, der heute nacht anonym die Polizei nach der Batterkamp-Insel bestellt hatte! –
Frau Doris und ich schieden als beste Freunde.
Als ich gegangen, fand sie auf ihrem Tisch ein Päckchen Banknoten, tausend Pfund …
Tränen rannen der gequälten Frau vor tiefer Rührung über die hageren Wangen. Sie, die einstige Millionärin, war ja nun bettelarm geworden, und am meisten beglückte sie die zarte Unauffälligkeit, mit der Mr. Elsen ihr dies Geschenk hinterlassen hatte.
Wir, die Feme der drei, waren nicht gerade Millionäre, aber besonders der Baronett verfügte doch über ein großes Vermögen, das sowohl uns wie den Ärmsten der Armen sehr zustatten kam.
Der Warner, der Richter und der Henker berieten. Ich hatte über meinen Besuch bei Frau Mallison Bericht erstattet und erklärte abschließend, daß ich für einige Zeit in das Hotel Esplanade übersiedeln würde.
Es war so recht kennzeichnend für Freund Bick und Roger, daß sie nicht mit einer Silbe fragten, was ich dort im Esplanade zu entdecken hoffte.
Die Feme der drei verlor nie ein überflüssiges Wort. Nachdem ich meinen so grundverschiedenen Freunden noch einige Winke und Anweisungen erteilt hatte, verabschiedeten sie sich wieder. Nur Bick als Spezialist für derartige Dinge mußte an mir noch einige kleine Veränderungen vornehmen. –
Im Esplanade, das auch Zimmer für Dauermieter abgab, erschien ich nachmittags zwei Uhr mit reichlichem Gepäck und sehr echtem, trotzdem falschem Paß als Professor Doktor Sauerberg, Berlin. Die Fremdenliste zeigte mir als Eintragung vor sechs Tagen einen Mr. Edgar Rello, worüber ich sehr erstaunt war. Ich hatte Rello hier nie vermutet, ich jagte ein anderes Wild.
„Bringen Sie Professor Gatherston, der hier bei Ihnen als Dauermieter wohnt, meine Karte“, befahl ich dem Zimmerkellner.
Gatherston war einer der bekanntesten Geologen, die im Dienste der Regierung standen.
Nach einer halben Stunde klopfte ich bei Gatherston, der im Seitenflügel vier Luxusräume bewohnte, als deutscher Kollege an und wurde sehr herzlich empfangen. – Gisberth Gatherston war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, tadellos angezogen und in allem vollendeter Gentleman. Er bot mir eine Zigarre an, und ich sah, daß sein rechter Zeigefinger zwei Heftpflaster trug. – Das konnte Zufall sein und genügte mir nicht.
Was ich ihn fragen wollte, hatte ich mir sehr genau überlegt. Ich mußte auch jedes Wort sorgfältig abwägen, und hierbei störte mich der im Nebenzimmer angestellte Lautsprecher, der Tanzmusik spendete. Ich durfte auf keinen Fall auch nur den leisesten Verdacht bei Gatherston aufkeimen lassen, denn dieser schlanke, kräftige Mann mit dem ewig lächelnden Gesicht war bestimmt, wenn meine Vermutungen zutrafen, ein in jeder Hinsicht sehr gefährlicher Gegner. – Da mir bekannt war, daß in der früheren Kolonie Deutsch-Südwestafrika ebenso wie am Rande der Kalahari vor Jahren bedeutendere Diamantenfundstellen entdeckt worden waren, gab ich mich für den Beauftragten eines deutschen Syndikats aus, der die Abbaufähigkeit neuer Fundstellen nachprüfen sollte.
Kaum hatte ich die Worte „Diamanten“ und „Kalahari“ über die Lippen gebracht, als mit Gatherston blitzartig, wenn auch nur für Sekunden, eine höchst verdächtige und ebenso erschreckende Veränderung vor sich ging. Er fuhr halb aus dem Sessel empor, wurde aschfahl, umkrallte die Sessellehnen und stierte mich so wild an, als ob er mich erwürgen wollte. – Aber er besaß ein ungewöhnliches Maß von Selbstbeherrschung. Genau so schnell hatte er sich wieder völlig gefaßt und lachte herzlich. „Haben Sie mir einen Schreck eingejagt, Mr. Sauerberg …!! Nein – keinen Schreck …! Nur trübe, traurige Bilder haben Sie wachgerufen! Erinnerungen an meinen liebsten Freund Lord Sromwell …“
„Sromwell? – Cromwell kenne ich wohl, aber Sromwell … Verzeihung, wer ist der Herr …?“
Gatherston bedeckte seine Augen mit der Hand und senkte seufzend den Kopf. „Er ist tot … Er wurde in der Kalahari von Hereros ermordet und verbrannt … Ich fand die Reste seiner Leiche. – Nun begreifen Sie wohl, weshalb mich schon das Wort Kalahari so sehr mitnimmt.“
„Allerdings, – – verzeihen Sie …“ – Ich wußte genau, daß er log. Er war schon bei dem Wort „Diamanten“ zusammengezuckt und erblaßt.
Im Laufe der weiteren Unterhaltung zeigte sich Gatherston merkwürdig zerstreut. „Entschuldigen Sie, ich muß einmal schnell einen Bekannten anrufen – eine Theaterverabredung“, sagte er plötzlich und verließ das Zimmer, lehnte die Tür nur wieder an und schritt weiter, – ich vernahm das Klappen einer anderen Tür.
Wenn Gatherston mich nicht ein paarmal so heimlich und lauernd gemustert hätte, würde ich hier in eine böse Falle geraten sein.
Als ich das leise Anschlagen des Telefons auf dem Schreibtisch vernahm, hob ich schnell den Hörer ab.
„Hier Gatherston … Mr. Belmont, schicken Sie sofort die Hoteldetektive zu mir, alarmieren Sie auch …“
Genau so schnell legte ich den Hörer weg, lief durch die angrenzende Bibliothek, wo der Lautsprecher spielte und riß die Tür zu Gatherstons Schlafzimmer auf …
„… Hier bei mir ist einer der drei …“ – soweit kam er, dann ließ er den Hörer sinken …
„Sagen Sie sofort, daß Sie sich geirrt haben!“, zischte ich ihm zu. „Oder – – Sie sind ein toter Mann!“
Er starrte ängstlich in die Mündung meiner Pistole, auf der ein Schalldämpfer saß, hob langsam den Hörer und rief in die Muschel: „Mister Belmont, – hallo, – – es war ein Irrtum … Ich glaubte jemand im Nebenzimmer zu sehen, einen Einbrecher … Die Sache ist erledigt.“
Dann hängte er ab.
„Arme hoch!“, kommandierte ich. „Gehen Sie voraus … Bis in die Bibliothek …! – Wenn Sie wissen, wer ich bin, werden Sie mir auch glauben, daß ich bestimmt abdrücke!“
Er gehorchte. – In der Bibliothek mußte er die Türen von innen verriegeln.
„Gatherston“, sagte ich nun und beobachtete, wie über sein bleiches Gesicht der kalte Schweiß rann, „der Papagei der Frau Mallison hat Sie heute früh zweimal gebissen …! Wo ist das Heft mit dem blauen Deckel, das im Boden des großen Papageienkäfigs verborgen war?“
Die Beine trugen ihn nicht mehr … Aufstöhnend fiel er in einen Sessel.
„Das blaue Heft enthält nur Myladys Aufzeichnungen über die beiden Mumien und sein Inhalt hat Sie wohl bitter enttäuscht“, fuhr ich unbarmherzig fort. „Oder auch nicht enttäuscht, denn Mylady kennt den Mörder nicht … – Eine Enttäuschung muß ich Ihnen trotzdem bereiten, Gatherston … Als ich soeben hier durch die Bibliothek stürmte, vernahm ich Töne, die nicht aus dem Lautsprecher kamen … Da – – hören Sie! Öffnen Sie dort den Schrankkoffer, und wehe Ihnen, wenn Edgar Rello etwa tot ist oder stirbt! Die Feme der drei kennt kein Mitleid! Sie sind ein vielfacher Mörder und ein Erpresser …! – Öffnen Sie!!“
Angstvoll schlotternd gehorchte er. – Auch diese meine Schlußfolgerung traf zu: In dem aufrecht stehenden Koffer lehnte der Mann, der sich Edgar Rello nannte.
Aber in welcher Verfassung befand er sich!! Er glich einem Sterbenden! Er war gefesselt, stand in dem Schrankungetüm frei da, jedoch fast splitternackt, und überall waren in die Innenwände des Koffers feine Nadeln mit den Spitzen nach dem gefolterten Manne hin eingedrückt, und daß diese Nadeln vergiftet waren, daß Rello zu irgendeinem Geständnis hatte gezwungen werden sollen, reimte ich mir unschwer zusammen. –
Ich nahm Rello den Knebel aus dem Munde.
„Mr. Rello“, sagte ich mahnend, „dieser Gatherston ist schlauer als Sie! Aber jetzt – – haben wir ihn!!“
Gleich darauf wurde der Hoteldirektor Mister Belmont von dem plötzlich sehr heiseren Gatherston nochmals angerufen. „… Ich muß plötzlich verreisen, und habe meinen Schrankkoffer schon gepackt und auch ein Auto und zwei Dienstmänner bestellt, die den Koffer abholen werden … Sagen Sie dem Portier Bescheid, daß er die Leute durchläßt … Mein Koffer ist ihm bekannt … Danke. Schluß …“
Daß neben Gatherston ein Mann mit einer Pistole stand, konnte Mr. Belmont nicht wissen. – Professor Sauerberg verließ schon abends mit seinem Gepäck das Hotel Esplanade, ebenso Mister Rello …
Sie reisten ab …
Gatherston war schon vorher abgereist, glaubten der Hoteldirektor und der Portier, obwohl niemand ihn hatte das Hotel verlassen sehen.
Genau um Mitternacht bot die Fensterecke des ägyptischen Saales, wo der Schreibtisch stand, ein ganz ungewohntes verändertes Bild dar.
Eine Menge von Sesseln, die Mutter Gregorell sauber abgestaubt hatte, standen in weitem Halbkreis vor einem riesigen Schrankkoffer und einem indischen Götzenbilde mit scharfen Zackenkronen.
Vor dem Halbkreis wieder waren drei frühere Prunksessel aufgestellt.
Alle Lichter im Saale brannten. Der alte Gregorell eilte geschäftig hin und her, geleitete elf verschleierte junge Mädchen zu den Stühlen und empfing mit besonderer Feierlichkeit Lady Doris, drückte dann auch Rello vertraulich die Hand und schaute mehrmals nach der Uhr.
Genau um viertel Eins öffnete sich eine der eisernen Balkontüren, und drei Männer in Sportpelzen, Sportmützen und schwarzen Masken führten einen vierten herein, der sich nur wenig sträubte.
Sir Morstan hatte eingesehen, daß Widerstand zwecklos sei. Er war leicht gefesselt und saß nachher mit finsterem Gesicht in einem Sessel neben Miß May Sromwell.
Die Feme der drei hatte gleichfalls Platz genommen.
„Gregorell, öffnen Sie den Koffer und nehmen Sie dem Mörder den Knebel und die Fesseln ab“, befahl eine harte, unerbittliche Stimme.
Kriminaldirektor Morstan beugte sich weit vor und glaubte, sich verhört zu haben, aber es war wirklich der ihm wohlbekannte Gatherston, der freilich kaum fähig war, sich auf den Koffer zu setzen, den Gregorell umgekippt hatte.
Von einem der drei Stühle der Feme her ertönte eine sonore, ruhige Stimme, die sehr feierlich klang.
„Im Namen der Gerechtigkeit, die wir drei vertreten, eröffne ich die Verhandlung gegen Professor Doktor Gisberth Gatherston wegen mehrfachen Mordes, Mordversuches und Erpressung. Ich beginne mit dem Aufruf der Zeugen: Erstens Lady Doris Sromwell, geborene Mallison, zweitens Miß May Sromwell, drittens Mr. Edgar Rello, viertens Sir Morstan vom Scotland Yard, fünftens Miß Lilian Dorvester, sechstens und letztens Miß Leslie Pollingham. – Thomas Gregorell, bringen Sie die stummen Zeugen herbei und legen Sie die Mumien der Opfer dort auf den schwarzen Tisch neben den Angeklagten.“
Gregorell verschwand, und Sir Morstan beobachtete mit verkniffenen Zügen, wie hier nun jene Mumien auftauchten, die er auf der Insel Batterkamp hatte beschlagnahmen und auf höheren Befehl in aller Stille ins Meer versenken sollen. –
„Ankläger“, sprach dieselbe leidenschaftslose Stimme, „tragen Sie vor, was gegen den Mörder vorzubringen ist.“
Eine jüngere, hellere Stimme begann: „Gatherston war Lord Sromwells bester Freund, und als May Sromwell das Waisenheim gründete, bestellte sie ihn als Direktor und Kurator der Stiftung. Daher konnte er in dem Heim leicht den Klub der jungen Mädchen belauschen. Um nun Lady Doris erpressen zu können, hat er die Zackenspitzen des indischen Götzen nadelscharf zugefeilt und mit Gift bestrichen, sobald er erfuhr, daß Miß Lilian Dorvester den ägyptischen Saal durchsuchen wollte. Die Ärmste starb hier, und ebenso fand hier Leslie Pollingham den Tod. Dann begannen die Erpressungen. Gatherston hat Lady Doris vollkommen ausgeplündert, und als er merkte, daß Miß May Sromwell in London aufgetaucht war, wäre ihm beinahe ein dritter Mord gelungen. Außerdem hat er den, der Miß May hier auffand, auf die Zacken schleudern wollen, Mr. Rello hatte jedoch den Götzen zur Seite gerückt. – Ich werde nun die Vorgänge im einzelnen beleuchten, und …“
„Das erübrigt sich“, erklang aus dem dritten Lehnsessel der Feme eine tiefe, sehr harte Stimme. „Gatherston, – ich, den man den Henker nennt, frage Sie: Gestehen Sie Ihre Verbrechen ein?“
„Alles … ist … Lüge …!“, kreischte der Angeklagte in schrillen Fisteltönen. „Man kann mir nichts beweisen, gar nichts, und die Polizei wird mich schützen …! Sir Morstan, Sie haben die Pflicht, hier …“
„Ich bin gefesselt“, sagte Morstan kalt und ablehnend. „Ich würde Sie schützen, denn ich kenne meine Befehle – – leider!“
Gatherston weinte vor Todesangst und preßte die Fäuste in die Augen.
Plötzlich schnellte er halb von seinem Koffer empor.
„Das … das … Bajazzolied … das Todeslied …!“, lallte er kraftlos und fiel wieder zurück.
Aus dem einen Sessel ertönte leise, auf einer Ziehharmonika vorgetragen, das Lied des Bajazzo aus der gleichnamigen Oper …
Gatherston stierte jetzt wie in wilder Verzückung den indischen Götzen an. Dann taumelte er in augenblicklicher Geistesverwirrung vorwärts, breitete die Arme aus, und als ob die Götzenfigur ihm auch ihrerseits verlangend entgegenkäme, neigte sich die große Bronzestatue wie durch einen Zufall nach vorn und sauste auf den Mörder hernieder, dem die Strahlenspitzen des Kopfes tief in die Brust eindrangen, und Götze und Mörder, Werkzeug und Täter, rollten auf die staubigen Teppiche und wirbelten dickste Staubwolken empor …
Professor Gatherston lag im Sterben. Das Gift wirkte nur zu schnell. Um Gatherston herum standen wir drei und Sir Morstan, Edgar Rello und der alte Gregorell. Der Sterbende lächelte jetzt, – es war ein Lächeln voll erhabener Ironie. Gatherston hatte die Todesangst überwunden, und seine letzten, kaum mehr verständlichen Sätze ließen uns alle voll ungläubigen Staunens aufhorchen …
„Ja, ich mordete, ich erpreßte … Ich gestehe alles ein. Aber wer Lord Sromwell töten ließ, wer die Töchter Sromwells in der Sahara trennte, damit sie einzeln umkämen, und wer schützend und aufpeitschend hinter mir stand, – – das ahnt ihr nicht!! Es war … der … Mephisto …“
Ein letztes höhnisches Lachen, und Gatherston war tot. Fast gleichzeitig erlosch das Licht im Saale, und nichts regte sich mehr, bis die Ratten und Mäuse sich wieder aus ihren Schlupfwinkeln herauswagten und Sir Morstan frech über die Stiefel huschten. Morstan streifte seine Handfesseln ab, schaltete seine Laterne ein und betrachtete eine Weile die Leiche Gatherstons und die beiden Mumien der Mädchen und schritt nachdenklich die Treppe zur Vorhalle hinab. Gerade er, der schon im Tsad-See-Fall insgeheim die Feme der drei niemals als Mörder betrachtet hatte, empfand plötzlich eine heftige Abneigung gegen seinen Beruf, da er sehr wohl ahnte, daß hinter Gatherston tatsächlich noch einflußreichste Persönlichkeiten als treibende Kräfte gestanden hatten. Er fand die Wohnung Gregorells leer, sogar ein Teil der Möbel war verschwunden.
Um dieselbe nächtliche Stunde kniete May Sromwell vor dem bescheidenen Plüschsessel ihrer Stiefmutter und hielt Frau Doris fest umschlungen. Sie weinte leise, und das ärmliche Zimmer der Frau „Mallison“ wurde Zeuge aufrichtiger Reue, besserer Einsicht und liebevollster Harmonie.
„Mutter“, fragte das Mädchen leise, „kennst du die drei von der Feme? Weißt du, wo sie wohnen mögen?“
„Nein, mein Kind …“ Frau Doris sprach hier bewußt die Unwahrheit. Aber keine Macht der Welt hätte sie dazu zwingen können, gerade diese drei Männer zu verraten.
In der halbdunklen Tür zum Nebenzimmer stand wie ein Schatten ein horchender Mann, der jetzt schnell verschwand und lautlos die Haustreppe hinabglitt.
Nebenan in Nr. 17 in einem Zimmer saßen Bick und ich bei einer Tasse Mokka. Der Baronett trat ein … „Sie wird nichts verraten, das war ja selbstverständlich“, meinte er und nahm Platz.
Bickfort Tomsen, der Warner, hüstelte und fragte zögernd: „Roger, kippte die Statue wirklich von selbst um?“
Der Baronett schnitt bedächtig einer Zigarre die Spitze ab. „Nehmen wir es an“, erwiderte er kurz. „Olaf, etwas Wichtigeres … Weshalb mußte Lord Sromwell sterben? Weißt du es?“
„Nein. Ich vermute nur einiges, und das werden wir nachprüfen. – Bick, wie steht es mit der Druckpresse? Können wir beginnen?“
Der Warner nickte. „Und – wer ist Edgar Rello, Olaf?“, stellte er eine letzte Frage.
„Gregorells einziger Enkel, – das war nicht schwer herauszufinden, lieber Bick. Rello ist hier in London unter dem Namen Edgar Gregor als vielgesuchter Armenarzt in den Hafenvierteln besser bekannt … Daß der alte Gregorell als weggejagter Kriminalbeamter seinen Enkel nicht mit dem Namen Gregorell behaften wollte, ist verständlich …“
Um die neunte Vormittagsstunde wandelten Gregorell – Doktor Gregor Arm in Arm durch einen verschneiten Garten, der sich bis zur Themse hinzog und zu dem auch ein blitzsauberes Häuschen gehörte. „Nun, Großvater, wie gefällt dir dein neues Heim?“, fragte Rello vergnügt. „Dort steht der Stall mit den Kaninchen und Ziegen und Hühnern … Nichts fehlt, nichts!“
„Die Kaninchen sind mir mit die Hauptsache“, sagte der alte Mann gerührt.
„So?! – Und mir ist die Hauptsache, daß Mylady und Miß May uns nachmittags besuchen kommen …“
Ein Flugzeug, das Flugblätter abwarf, strich dicht über den Garten hinweg. Doktor Gregor hob ein Blatt auf und las die fettgedruckte Überschrift:
Die Wahrheit über Professor Gatherstons Tod.
von der „Feme der drei“ der Öffentlichkeit unterbreitet.
In der City von London schlugen diese Flugblätter wie Bomben ein. In den Elendsvierteln, in den düsteren Gassen der Ärmsten und Armen standen überall dichte Gruppen beieinander, und das einstimmige Urteil dieser Enterbten, die durch keine guten Beziehungen und durch keine Millionen vor dem schamlosen Ausbeutersystem der oberen Schichten geschützt wurden, war ein einziges, lautloses Frohlocken, daß es nun endlich auch denen an den Kragen ging, die frech und unbesorgt die Gesetze mißachteten, weil kein Ankläger sich gegen sie aufzulehnen wagte. Sogar in den Kreisen des bescheidenen Bürgertums schlug die Stimmung vollständig um: Die Feme der drei wurde gelobt, gepriesen, bewundert! Und jedermann wartete nun voller Spannung darauf, was die nächsten Wochen bringen würden, denn der Schlußsatz des Flugblattes war vielsagend genug: „Nun kommen die an die Reihe, die in Wahrheit für diese Verbrechen verantwortlich sind!“ –
Nachmittags schritten Rello und May eng umschlungen im Gregorell-Paradies auf und ab.
„…Weißt du noch, Liebster“, sagte May träumerisch, „wie du mich damals in der Kalahari im letzten Augenblick vor den Löwen rettetest …? Es war eine ebenso sternenklare Nacht wie heute.“
Doktor Edgar Gregor-Gregorell drückte seine Verlobte noch zärtlicher an sich … „Vergiß das alles, May … Wir lieben uns, wir haben uns, und die Zukunft wird uns ein sonniger Traum werden.“
May Sromwell erschauerte. „Ich … fürchte mich … Ich ahne, daß wir noch bittere Stunden durchmachen müssen … Wir haben Feinde, mächtige Feinde …“
„Und drei Freunde, mein Liebling, die auch mit diesen Feinden aufräumen werden, falls diese sich rühren …!“
May blickte zum sternenklaren Winterfirmament empor … Zwei Sternschnuppen fielen am Horizont hernieder und erloschen.
„Ob meine Schwestern Ruth und Elsie noch leben?“, flüsterte May traurig. „Vielleicht waren jene Sternschnuppen ihre irrenden Seelen …“
…Sie verschwanden im Hause, und hinter einem nahen Gebüsch richteten sich drei Männergestalten auf und schritten die Straße entlang ihrem Auto zu.
„Beneidenswerter Rello!“, sagte der Baronett still lächelnd. „Nicht wahr, Olaf, May hat doch wundervolle Lippen …!“
„Entzückend!“, rief der junge Warner begeistert.
… Dann fuhren wir heim in die Albemarle-Street und die neue Arbeit begann.
Zweiter Teil
Auf einer Brücke des Molo Riva dicht am Hafen von Venedig saß an einem warmen Märztage ein eleganter Ausländer in der strahlenden Sonne und fütterte aus einer großen Papiertüte die ihn umflatternden Tauben.
Unweit von ihm am Bollwerk schaukelte eine Gondel, deren Führer, ein bärtiger, mittelgroßer Mann, gelangweilt seine Pfeife rauchte.
Vom Markus-Platz her kam über die großen Steinplatten eine elende, bucklige Jammergestalt herbeigeschlurft, deren Krücken mit dumpfem Ton auf die uralten Steinquadern aufstießen. Der Bucklige trug vor der Brust einen Rahmen mit Ansichtskarten, und mit kläglicher Stimme bot er nun dem vornehmen Fremden seine Karten an.
Mit frohem Grinsen sah er, daß der Ausländer mit den scharfen Zügen mindestens ein Dutzend Karten auswählte.
Plötzlich flüsterte er in gutem Englisch: „Ich habe nichts ausrichten können, Olaf … Ich fürchte, wir sind auf falscher Fährte … Ich war in der verflossenen Nacht in dem Palazzo Trebani, aber von May Sromwell fand ich keine Spur …“
Ich reichte Bickfort eine Münze. „Mag sein, daß die Fährte falsch ist. Wir stehen ja erst im Anfang aller Dinge“, flüsterte ich zurück. „Also dann heute abend acht Uhr, Bick … Wiedersehen … Sei vorsichtig. Hier gefällt mir vieles nicht.“
„Ich bin immer vorsichtig“, sagte der junge Warner noch gedämpfter und humpelte davon.
Es war um die Mittagsstunde, und der Molo Riva war ebenso belebt wie der nahe Markusplatz.
Meine Blicke schweiften dauernd unauffällig hin und her, während mein Hirn genau so unablässig die letzten Ereignisse nochmals überprüfte.
Plötzlich fuhr ich ganz leicht zusammen. Ich hatte Doktor Gregorell-Gregor erkannt, der blaß und müde langsam an mir vorüberschritt. Der noch vor Wochen so überaus frische und kraftvolle junge Engländer war kaum mehr der Schatten seiner selbst. Das Verschwinden seiner Braut, mit der ihn nicht nur innige Liebe, sondern auch eine Fülle bunter und trüber Erlebnisse verband, hatte ihn förmlich dahinwelken lassen. Ich war entsetzt über das Aussehen, ich hatte ihn wochenlang nicht gesehen, und sein Auftauchen hier in der alten Lagunenstadt blieb mir zunächst vollkommen unerklärlich.
Nachdem ich mich mit dem stämmigen Gondolieri durch einen vielsagenden Blick verständigt hatte, schlenderte ich hinter Doktor Gregor unauffällig über den Markusplatz und stellte fest, daß unser hilfreicher Freund von London her, wo er doch gewiß erstaunliche Kaltblütigkeit und ebensoviel Schlauheit bewiesen hatte, das bekannte Hotel Bauer-Grünwald betrat, dessen Portier ihn so devot begrüßte, daß ich mit Sicherheit annehmen konnte, daß Gregor dort abgestiegen sei. Mehr wollte ich nicht wissen.
Ich wandte mich der nächsten Sackgasse zu, die hinab zum Canal Grande führte. Hier lag linker Hand mit breiter Wasserfront und Palmengarten der Palazzo Trebani, vorläufig das Ziel unserer behutsamen Bemühungen, den Verbleib Miß Mays und noch anderer Dinge restlos aufzuklären, und die Schuldigen, die offenbar von höchster amtlicher Stelle irgendwie gedeckt wurden, zur Rechenschaft zu ziehen.
Vor dem Seitenausgang des Palazzo bemerkte ich eine kleine Schar erregter Menschen, daneben einen Berg von Möbelstücken und eine weinende, ärmlich gekleidete Venetianerin mit auffallend klassisch-reinen Zügen.
Ein alter Gondolieri, der etwas abseits stand, erteilte mir bereitwilligst Auskunft.
„Der Engländer Skarmy, dem der Palazzo gehört, hat die Familie Durbatti einfach auf die Straße gesetzt“, erzählte er ehrlich ergrimmt … „Denken Sie, Signore, die Durbattis wohnen dort zwanzig Jahre als Pförtner, nun sind sie ohne Obdach, ohne Geldmittel, können nichts gegen diesen Skarmy unternehmen, da sie keinen Vertrag mit ihm geschlossen haben … Ein hartherziger Mann, dieser Engländer!! Die Heilige Jungfrau strafe ihn!“
Ich wandte mich wieder an den alten Gondelführer. „Fragen Sie den Pförtner, ob er sofort eine andere ähnliche Stellung mit freier Wohnung annehmen will, dann mag er sich unverzüglich im Palazzo Albergo melden, den ich gemietet habe. Hier haben Sie fünf Lire für Ihre Bemühungen. – Schon gut, – keinen Dank, also Palazzo Albergo, nicht weit von hier …“
Ich schritt gemächlich davon, bog um die Ecke und entzog mich so den weiteren Dank- und Segenswünschen des Gondelführers.
Gewiß, allzuviel würde auch Durbatti in dem von uns längst beobachteten Palazzo Trebani über Mr. Skarmy und über dessen Untermietern nicht erfahren haben. Trotzdem konnte ich hier hoffentlich eine an sich selbstverständliche Wohltat – bei mir stand die Pförtnerwohnung leer – mit einigen Vorteilen für unsere Zwecke verknüpfen.
Zwei Stunden später war die Familie Durbatti bereits eingezogen.
Als mein Diener Fred eine Stunde darauf mein Zimmer im ersten Stock betrat, das sich stolz „Herrenzimmer“ nannte, drückte er die Tür sorgfältig ins Schloß und warf sich dann, immer noch in seiner Gondolieretracht steckend, nachlässig in einen Korbsessel und fragte gedämpft, obwohl er über eine überaus kräftige Stimme verfügte: „Die Sache mit den Durbattis war ein Glückszufall, aber du hast sie trotzdem fein befingert, mein lieber Olaf. Leider muß ich dir nun sofort hinterher eine recht eisige Dusche verabfolgen: Soeben fuhr auf dem Canal Grande Sir Morstan mit viel Gepäck in einer Gondel des Hotel Bauer-Grünwald vorüber. Mithin hat auch Scotland Yard ein großes Interesse an Venedig, denn wenn Kriminaldirektor Sir Morstan persönlich hierher kommt, muß es schon sehr gewichtige Gründe haben.“
„Mein lieber Roger“, sagte ich sorglos lächelnd, „daß Scotland Yard hier auftauchen würde, war infolge Edgar Gregorell-Gregors Anwesenheit hier in Venedig selbstverständlich. Du weißt, wie scharf Edgar all die Wochen in London überwacht wurde. Man hoffte, durch ihn uns drei aufzufinden.“ – Ich schnippte die Asche von der Zigarre und fügte weit nachdenklicher hinzu: „Immerhin, Sir Morstan, der alte schlaue Fuchs, ist unbequem, zumal wir endlich mit der ganzen Geschichte über den toten Punkt hinwegkommen müssen. Unsere Hauptaufgabe ist durch May Sromwells gewaltsame Entführung, und die liegt zweifellos vor, völlig in den Hintergrund gerückt.“
Ich muß hier einfügen, daß der kleine Palazzo Albergo, den ich gemietet hatte, seit Jahren von der gänzlich verarmten Familie des Grafen Albergo an Fremde abgegeben wurde und daß die stolzen Albergos nun im Seitenflügel hausten. Von meinen großen Fenstern aus konnte ich sowohl den Seitenflügel, den winzigen Garten und ein Dutzend Pinien und Palmen überschauen und blickte auch bequem den schmalen Albergo-Kanal entlang, der in den Canal Grande mündete. Meine Augen hafteten starr an einer Gondel, in der Freund Bick, der Bettler und Postkartenhändler, ganz allein hinten stand und mit einer Hand ruderte und mit der anderen die seltsamsten Bewegungen vollführte.
„Roger!!“
„Ich sehe …! – Was signalisiert Bickfort?“
„Einen Augenblick … – Ah, jetzt weiß ich es … Edgar Gregorell ist gleichfalls entführt worden! – Wie ist das möglich?! Am hellen lichten Tage bei Sonnenschein?!“
Der Baronett sagte mit der ihm eigenen, oft fast unerträglichen Gelassenheit: „Du vergißt, daß viele Gondeln mit Baldachinen versehen sind. Ich möchte wetten, man hat Gregorell in eine solche Gondel gelockt. Ein Jammer, daß wir Bicks Bericht erst abends um acht hören werden. Er rudert bereits wieder eiligst davon, und diese verdammte Contessa Maria steht schon wieder drüben auf der Treppe zu ihrem Vogelkäfig im Seitenflügel und schaut ihm nach. Die Contessa Maria Albergo mag der Teufel holen …!“
„Das wäre schade, – dazu ist sie doch zu schön und zu traurig und …“
Ich brach mitten im Satze ab. Es hatte geklopft, und mein Diener Fred beeilte sich, eine vorschriftsmäßige Haltung anzunehmen.
Luzia Durbatti, des neuen Pörtners hübsche Tochter, trat ein.
„Signore Elsen, der Signore Skarmy ist da und bittet vorgelassen zu werden.“
Skarmy aus dem Palazzo Trebani?! Das konnte sehr Übles bedeuten.
Mr. Josua Skarmys unangenehme Erscheinung war mir durchaus nicht fremd. Dieser kleine aufgeschwemmte Herr mit dem roten, gedunsenen Gesicht, dem spitzen Kahlkopf, den wässerigen Äuglein und einer lächerlichen Geckenhaftigkeit und Geziertheit in jeder Bewegung spielte in der Hochfinanz Londons eine ausschlaggebende Rolle. Sein Bankhaus Skarmy und seine Stellung als Generaldirektor des Südafrikanischen Diamantminen-Syndikats machten aus Josua Skarmy einen Beherrscher der Börse und einen Geldfürsten von internationaler Bedeutung.
„Nehmen Sie Platz, Mr. Skarmy … Womit kann ich Ihnen dienen?“, begrüßte ich ihn förmlich-höflich und studierte dabei seine Züge zum ersten Male aus nächster Nähe.
„Wie ich hörte“, begann er mit seinem schleimigen Baß, „haben Sie, Mr. Elsen, die Familie Durbatti als Pförtner eingestellt. Ich wollte, da wir beide Londoner sind, Sie vor den Leuten warnen. Die Tochter Luzia, die ich als Stubenmädchen beschäftigte, hat klebrige Finger, und der alte Durbatti genau so …“ Sein Lächeln ward zum heimtückischen Feixen. „Sie verstehen: Klebrige Finger!! Ich vermisse verschiedene Wertsachen, aber beweisen kann ich nichts …“
Was wollte der Mann in Wahrheit?! Hatte er gegen mich Verdacht geschöpft?! Kam er als Spion?
Doch nein! – Ich fühlte, ich selbst war ihm gleichgültig. Er hatte in seinem unangenehmen Blick nichts Lauerndes.
„… Die Polizei hier …,“ – er zuckte die Achseln – „die würde bei den Durbattis nichts finden. Unnötig und zwecklos also, die Polizei zu bemühen … Das sind alles Idioten, Schwachköpfe, Fremdenhasser. Man muß sich selber helfen. Würden Sie die Luzia mal rufen, Mr. Elsen? Ich habe da eine hervorragende Idee!“
Ich läutete. Erst nach einer geraumen Weile erschien mein Diener Fred, jetzt in schlichter Halblivree, verbeugte sich tief und fragte nach meinen Befehlen.
„Holen Sie die Luzia Durbatti her, Mister Skarmy wünscht sie zu sprechen.“
„Sehr wohl, Mr. Elsen“, – und dann verneigte sich Fred noch tiefer vor dem Generaldirektor, faßte in die Tasche und hielt ihm einen dicken Platinring mit einem mindestens fünfkarätigen wasserklaren Brillanten hin. „Mr. Skarmy, Sie dürften diesen Ring unten in der Vorhalle verloren haben, als Sie Luzia begrüßten … Ich fand den Ring auf dem Teppich halb unter einer der dort stehenden Truhen.“
So, wie Freund Roger das alles äußerst respektvoll und scheinbar uninteressiert vorbrachte, konnte kein Mensch auf den Gedanken kommen, hier liege einer der bekannten netten Kniffe des unerschütterlichen und erfindungsreichen „Fred“ vor.
Skarmy machte ein ungeheuer enttäuschtes Gesicht.
„Es ist allerdings mein Ring“, erklärte er zögernd und musterte Fred voll heimlicher Wut. Trotzdem lächelte er. Seltsam, daß ein Gesicht ein halbes Lächeln beibehalten kann und trotzdem die wahren Empfindungen für ein scharfes Auge durchschimmern.
Skarmy steckte den Ring wieder an den Finger, reichte Fred als Dank eine Fünfpfundnote und meinte leichthin: „Die Sache ist erledigt, wir brauchen Luzia nicht mehr, sie wird den Ring aus Angst über meinen Besuch hier weggeworfen haben.“ – Er hatte eine scheußliche Art, sich die dicke Unterlippe zu belecken, und ich begriff es immer weniger, daß dieses kleine Scheusal die Weltpreise für Diamanten bestimmte und nebenbei noch Finanztransaktionen von phantastischem Ausmaß glücklich durchführte und somit ein Musterbeispiel eines Aussaugers der breitesten Volksschichten sein könnte.
Fred entfernte sich, und Skarmy sagte plötzlich: „Haben Sie diesen Diener schon längere Zeit, Mr. Elsen?“
„Nein. Erst ein paar Wochen. Er kam mit den allerbesten Empfehlungen zu mir, und ich zog auch noch Erkundigungen über ihn ein.“
Skarmy hüstelte. „Hm, – leider habe ich noch etwas vorzubringen, Mr. Elsen … Es betrifft ebenfalls Luzia Durbatti … Wie gesagt, sie war Stubenmädchen bei mir, und sie wird den ihr gezahlten Lohnvorschuß abdienen müssen. Ich verlange, daß sie wieder in meine Wohnung zurückkehrt …“ Er grinste sardonisch. „Wir sind Gentlemen, Mr. Elsen, – – das Mädchen ist ein Leckerbissen, und – na, wir verstehen uns.“
„Das geht mich nichts an“, sagte ich kühl. „Die Durbattis, Vater und Mutter, sind meine Pförtner, nicht die Tochter, Mr. Skarmy.“ Ich mußte mich wirklich zusammennehmen, fernerhin höflich zu bleiben. Aber dieses ekle fette Reptil sollte uns schon noch kennen lernen. „Vielleicht bemühen Sie sich zu den Durbattis hinab und bringen die Sache mit Luzia persönlich in Ordnung“, fügte ich noch eisiger hinzu, und jeder andere hätte sich nun verabschiedet.
Skarmy war dickfällig. „Wir sind Landsleute, Mr. Elsen“, flüsterte er vertraulich. „Helfen Sie mir ein wenig … Werfen Sie das Mädchen hinaus, indem Sie erklären, Sie wollten es nicht zulassen, daß Luzia einen Engländer einfach um vorausgezahlten Lohn betrügt …“
In der letzten Minute hatte ich an Josua Skarmy, dem Milliardär, eine neue, mich zunächst verwirrende Beobachtung zu allem bisherigen vermerken können. Der Mann zeigte zuweilen in Kleinigkeiten eine plötzliche Unsicherheit und Befangenheit, die zu seinem schleimig-anmaßenden Durchschnittsbenehmen in schroffem Widerspruch stand. In diesen Augenblicken, wo er gleichsam aus der Rolle fiel, verwischte er das Gesamtbild des rücksichtslosen, mit einem Lächeln Millionen von kleinen Existenzen vernichtenden Großfinanziers vollkommen und sank auf die klägliche Stufe eines lüsternen, genußhungrigen und dabei erbärmlich feigen Durchschnittsschiebers herab.
„Ich will sehen, was ich für Sie tun kann“, erwiderte ich mit frostiger Gemessenheit und erhob mich, da auch er endlich aufgestanden war und sich nun wortreich verabschiedete. Ich läutete wieder, Fred trat sofort ein, zweifellos hatte er an der Tür gehorcht, und gleich darauf sah ich Josua Skarmys elegante Gondel den Canal Grande entlanggleiten.
Freund Roger erschien, lachte hart, warf sich wieder in den Sessel und meinte nur: „Er hatte ihr den Ring in die Schürzentasche gleiten lassen. Der Kerl muß Zauberkünstler gewesen sein. Trotzdem hat gerade er, der sich nun hier Erholungsurlaub gönnt, den weiteren Sturz des englischen Pfundes aufgehalten, und die Minister kriechen dieserhalb vor ihm auf dem Bauche, obwohl die Skarmy-Bank bei der famosen Stützungsaktion Millionengewinne einheimst. – Übrigens wollte ich etwas anderes mit dir besprechen, Olaf … Die Contessa Maria Albergo wird mir allgemach unheimlich, und dazu gehört doch weiß Gott recht viel, daß ich ein Weib als lästig und unbequem und undurchsichtig betrachte … Hier ist es der Fall … – Sir Morstan vom Scotland Yard entlockt mir nicht den geringsten Seufzer, – diese Contessa, Olaf, könnte mich veranlassen, zur Ziehharmonika zu greifen und mein Henkerlied aus dem Bajazzo zur eigenen Beruhigung mir selber vorzuspielen.“
Diese Äußerungen überraschten mich nicht weiter. Die junge Grafentochter mit dem Oliventeint, den Märchenaugen und der so überaus bescheidenen und doch geschmackvollen Kleidung bezeigte für uns Mieter des kleinen väterlichen Palazzo eine Anteilnahme, die auch mir längst zu denken gegeben hatte. Dabei war sie genau wie ihre Eltern außerordentlich zurückhaltend und fast hochmütig-verschlossen und hatte sogar für mein gutgemeintes Anerbieten, ihre gelähmte Mutter solle getrost den Garten nach Belieben benutzen, nur ein sehr knappes Kopfneigen als Antwort übrig gehabt.
„Glaubst du, Roger, daß sie etwa ahnt, wer wir sind?“, fragte ich noch gedämpfter unseren Freund Bajazzo-Henker, der trotz seiner aristokratischen Herkunft ein so warmes Herz für die Armen und Unterdrückten und ein so steinernes gegenüber allen vornehmen oder vornehm tuenden Schurken besaß.
„Nein, das nicht, Olaf“, entgegnete er genau so leise. „Aber diese Albergos haben irgend ein Skelett im Schrank, also etwas sehr Belastendes zu verbergen. Das ist es. Und das möchte ich gern herausbekommen. Die Contessa Maria ist zu mißtrauisch, argwöhnisch und verschwiegen. – Hallo, Telefon, ich werde mithören …“
Es war Josua Skarmys heisere, jetzt völlig verängstigte Stimme. „Mr. Elsen, ich bitte Sie dringend, wegen Luzia Durbatti nichts mehr zu unternehmen … Der alte Durbatti hat mir soeben den seiner Tochter gezahlten Lohnvorschuß zurückgezahlt, wahrscheinlich haben Sie ihm bereits ein Monatsgehalt gegeben … Bitte, vergessen Sie die ganze Geschichte, – ich werde mich auch der kleinen Diebereien wegen geirrt haben. Versprechen Sie mir auch, die Sache mit dem Brillantring zu verschweigen …“ Seine Stimme wurde immer flehender und krächzender. Es machte ganz den Eindruck, als ob der Mann sich in wahrer Todesangst befände … „Ich kann mich also auf Ihre Diskretion verlassen, Mr. Elsen. Wir sind ja Landsleute und Gentlemen“, lautete seine widerliche Schlußbemerkung.
„Ob ich ein Gentleman bin, weiß ich nicht“, sagte ich kühl. „Die Sache ist abgetan, Mister Skarmy … – Schluß …“
Roger Sheffield pfiff leise durch die starken Oberzähne.
„Olaf, unsere Arbeit kommt endlich in Fluß! Ein sonderbarer Kerl, dieser Josua!! Der redete ja am Apparat, als ob der leibhaftige Teufel neben ihm stände. Ein Milliardär, ein Mensch, vor dem alle Börsenschieber und höchsten Senatsbeamten zittern!! Unverständlich!! Und all das Luzia Durbattis wegen?! Gewiß, sie ist eine Schönheit, sie ist heimlich verlobt, aber …“ – er schüttelte nur wieder den Kopf … „Unverständlich!!“
Eine sternenklare, milde Nacht mit Mondschein hatte sich über die Zauberstadt Venedig herabgesenkt.
Von der Rialto-Brücke durchschritt ein schlanker Herr im leichten Ulster und breitkrempigen Malerhut die engen, winkligen Gassen und blieb zuweilen auf einer der kleineren Brücken stehen, von denen die Seitenkanäle überspannt wurden, bewunderte scheinbar das schillernde Mondlicht auf der trüben Flut und bog dann lautlos und flink, nachdem er die Gassen hinter sich leer gefunden, auf einen der Plätze vor einer der uralten Kirchen ein und drückte sich geschwind hinter einen der viereckigen Granitwürfel, deren Zweck niemand so recht kannte.
Bickfort Tomsen, in den Steckbriefen nebenbei der „Warner“ genannt, besuchte uns im Palazzo Albergo stets nur nach Eintritt der Dunkelheit.
Als er nichts Verdächtiges hatte feststellen können, wandte er sich dem Canal Grande zu und wurde von Roger wie üblich durch die zweite Eingangstür eingelassen. Die reich verzierte Haupttür lag nach der Wassertreppe des Canal Grande hin.
Die berüchtigte Feme der drei saß nun vor dem elektrischen Ofen im Halbdunkel und sprach die letzten Ereignisse durch. –
Sheffield, der eine Anzahl alter italienischer Briefmarken mit der Lupe prüfte – er war und blieb eifriger Sammler –, sagte achselzuckend: „Daß Gregorell heute verschwand, beweist uns, daß Olaf mit seiner Behauptung recht behält: Der Mann, auf den der sterbende Gatherston hinwies, steckt hier in Venedig, und wir werden ihn finden. – Erzähle, Bick, was geschah mit Doktor Gregorell?“
Bickfort Tomsen, der Warner, setzte endlich seine Zigarette in Brand. „Auch ich wurde auf den zum Schatten seiner selbst gewordenen Doktor aufmerksam und stellte mich vor das Portal des Hotel Bauer-Grünwald. So bemerkte ich denn einen Dienstmann mit einem Brief, der für Gregorell bestimmt war. Gleich darauf stürzte Gregorell aus dem Hotel und schritt hastig und aufgeregt dem nahen Hafen zu, wobei er den Brief nochmals las. Als er ihn in die Tasche stopfte, verlor er den Umschlag, ich hob ihn auf und beobachtete weiter, daß eine Gondel mit Verdeck auf Gregorell wartete. Die Gondel hatte zwei Ruderer, und kaum war Gregorell hinter den Vorhängen des Baldachins verschwunden, als die Ruderer abstießen. Ich konnte nicht folgen. – Hier ist das, was von dem Briefumschlag übrig blieb.“ Er öffnete eine Blechschachtel, die nur braune Flocken enthielt. „Ihr seht – meine Methode!!“, fügte er belustigt hinzu. „Ein Warner-Brief, chemisch präpariert, nach Stunden nur noch Asche …!“
Sheffield legte seine Briefmarken weg. „Die Sache wird interessant“, brummte er mit halbem Lächeln. „Gregorell wurde also durch einen gefälschten Warner-Brief weggelockt, und in dem Baldachin werden noch zwei Kerle auf ihn gelauert haben. – Plumper Trick!“
Bickfort schmunzelte. Er war eine so heitere, liebenswürdige Natur, daß er nichts so recht ernst nahm. „Und du, Roger, tischst uns hier vollkommen selbstverständliche Schlußfolgerungen auf. – Olaf, es ist nun an der Zeit, daß du uns erklärst, weshalb wir uns hier seit Wochen in Venedig langweilten, – jetzt langweile ich mich nicht mehr. Man hat Doktor Gregorell natürlich auch durch einen Warner-Brief gen Italien gelockt, und Sir Morstan folgte ihm. Wir sind nun hoffentlich alle schön beieinander, und der Tanz kann losgehen.“
Ich beugte mich vor, um mehr Licht zu haben, und entnahm meiner Zigarettentasche, die ein doppeltes Seidenfutter hatte, zwei etwas zerknitterte Zeitungsausschnitte aus Londoner Tagesblättern. „Es dürfte nichts schaden, Roger und Bick, wenn wir unser Gedächtnis etwas auffrischten. Ich lese vor … Gebt genau acht. Ihr habt zu flüchtig gelesen.“
„27. Januar. – Die Vorfälle im Sromwell-Palais haben nunmehr dadurch eine neue Note erhalten, daß der dort im ägyptischen Saal durch die Giftstacheln der indischen Götzenfigur verstorbene Geologe Professor Gatherston, den die Feme der drei zum Tode verurteilt hatte, tatsächlich eingestanden hat, zwei der Freundinnen der Töchter des in Afrika umgekommenen Lord Richard Sromwells ermordet und dessen zweite Gattin Doris, geb. Mallison, durch Erpressungen völlig ausgeplündert zu haben. – Um unseren Lesern die Vorgänge nochmals ganz kurz zu schildern, sei folgendes gesagt. Nachdem Lord Richard in der Kalahari-Wüste von Hereros ermordet und verbrannt worden war, begaben sich seine Töchter aus erster Ehe, Elsie, Ruth und May nach Südwestafrika, wollten das Grab der Überreste ihres Vaters besuchen und dessen Tod genauer aufklären, wurden jedoch überfallen, flohen und galten für verschollen. Zwei Freundinnen der kühnen jungen Damen, die ihrerseits Verdacht geschöpft hatten, weil die Stiefmutter Lady Doris den Palast mit allen seinen Schätzen verfallen und verkommen ließ, drangen in den Sromwell-Palast ein und wurden nie wieder gesehen. Erst nach anderthalb Jahren griff die Feme der drei, die irgendwie auf Lady Doris aufmerksam geworden war, energisch ein, und das Endergebnis war, daß plötzlich die jüngste der drei Töchter, May, zusammen mit dem Neffen des Palasthausmeisters wieder auftauchte: Doktor Edgar Gregorell hatte May in der Kalahari gerettet und heimlich nach London gebracht. – Der Führer der Feme der drei, der ehemalige Abenteurer Olaf Abelsen, entdeckte den wahren Mörder, und Professor Gatherston starb angesichts der Leichen seiner Opfer, die der alte Gregorell zu Mumien präpariert hatte. Er war bekanntlich Anatomiediener gewesen. – Die Polizei, die sich bereits gegenüber dem Verschwinden der beiden im Sromwell-Palais Vergifteten äußerst lässig gezeigt hat, wird nunmehr wohl infolge des Geständnisses des sterbenden Mörders, das Sir Morstan von Scotland Yard mit anhören mußte, etwas energischer gegen die Hintermänner Gatherstons vorgehen müssen, die dieser sehr summarisch als „Mephisto“ bezeichnete, den er selbst der wahren Persönlichkeit nach nie gekannt haben wollte. Die einfacheren Volksschichten und somit der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung billigt das Vorgehen der Feme der drei vollkommen und fordert eine nachdrücklichste Suche nach Gatherstons einflußreichen Beschützern, denn daß die ganze Angelegenheit „Sromwell“ vertuscht werden sollte und daß hier ein Fall krassester Rechtsbeugung vorliegt, leuchtet jedem Kinde ein. Auch wir, die Presse, als die Stimme der öffentlichen Meinung, erheben dieselbe Forderung, obwohl wir nach wie vor die Feme der drei als für einen Kulturstaat untragbar ebenfalls als Rechtsbrecher ansehen müssen.“
Das war der eine Ausschnitt aus einem freisinnigen Blatt.
„Das Verschwinden Miß May Sromwells, deren Verlobter Doktor Gregorell-Gregor völlig zusammengebrochen ist, hält nach wie vor alle Welt in Atem. Lady Doris Sromwell, die jetzt das Palais säubern und in Stand setzen läßt, ist genau so niedergedrückt wie ihr Schwiegersohn, mit dem sie auf allerherzlichstem Fuße steht. Sie hat bekanntlich durch Zeitungsaufrufe die Feme der drei um Hilfe gebeten, und sie hat auch durchgesetzt, daß der Hausmeister Gregorell, dem man wegen der Mumifizierung der beiden Ermordeten den Prozeß machen wollte, außer Verfolgung gesetzt wurde, weil fast die gesamte Öffentlichkeit sie hierbei unterstützte. Von Elsie und Ruth Sromwell ist leider bisher in der Kalahari auch nicht die geringste Spur entdeckt worden. Dagegen hat man seltsamerweise den Koffer Lord Richards, den dieser bei seinem letzten geheimnisvollen Besuch in London nach Angabe Lady Doris’ mit in den ägyptischen Saal nahm, leer und oben in die Kaminöffnung hineingezwängt gefunden, und die Arbeiter, die mit der Säuberung des Saales beschäftigt waren und den verstaubten Koffer öffneten, sahen darin lediglich zwei schmutzige Glasstücke, die sie nachher der Kriminalpolizei aushändigten. Da Lady Doris nun behauptet, daß der Koffer mit irgendetwas gefüllt und sehr schwer gewesen sei, kann man nur vermuten, daß Lord Richard, der hinterher niemals mehr von seiner Gattin lebend gesehen wurde, den Inhalt dieses geheimnisvollen Koffers irgendwo im Palast verborgen hat, bevor er mit seiner Jacht wieder nach Südwestafrika zurückkehrte. – Es erübrigt sich wohl, in diesem Zusammenhange zu erwähnen, daß die Behörden die Belohnung für die Ergreifung der Feme der drei auf zehntausend Pfund erhöht haben, und daß sogar dieser Eifer, die ganze Welt zur Treibjagd auf die drei Männer anzufeuern, gar nichts genützt hat. Leute dieses Schlages wie Baronett Sheffield, Abelsen und den Warner Bickfort Tomsen fängt man nicht so leicht. Wahrscheinlich befinden sie sich längst irgendwo in einem anderen Erdteil und warten nur auf die Gelegenheit, das nachzuholen, was ihnen bisher nicht geglückt ist: Professor Gatherstons einflußreiche Hintermänner gleichfalls auf ihre Art kaltzustellen. Schaden könnte dies nichts … Die Erregung im Publikum wächst, man hat das Vertrauen zur Polizei verloren, und das nur zu wahre Wort „Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen“ wird allmählich zu einem einzigen Schrei der Empörung werden. Trotzdem sind wir gerecht genug, zuzugeben, daß die Behörden, an der Spitze Kriminaldirektor Morstan, sich die ehrlichste Mühe geben, den Fall „Sromwell“ mit seinem dunklen, schon mehr finsteren Drum und Dran rücksichtslos aufzuklären. Viel Glück!! Wir fürchten nur, die Feme der drei wird flinker sein, und wir glauben, wir werden auch darin recht behalten.“
Sheffield und Bick hatten sehr genau aufgepaßt, hatten sich, zumal ich ganz langsam vorgelesen hatte, kein Wort entgehen lassen und schauten mich nun trotzdem ziemlich hilflos an.
Sie hatten das Wichtige wiederum nicht herausgefunden.
Wären wir drei nur Durchschnittsnaturen gewesen, würde entweder Roger oder der „Warner“ jetzt nochmals gefragt haben, worin das Bedeutungsvolle der Zeitungsausschnitte liege und was mich veranlaßt habe, unser Heim in London-Norwood, Albemarle-Street 16, 17, 18 gegen den Palazzo Albergo zu vertauschen und Josua Skarmy hier zu beobachten.
Sie fragten nichts. Sie waren Männer, die tadellose Nerven und ungeheuer viel Geduld besaßen, dazu den Ehrgeiz aller klugen Menschen, die aus eigener Kraft eine unklare Frage lösen möchten.
Bickfort, der Jüngste, füllte schließlich die Gläser mit feurigem Chianti und sagte humorvoll: „Freund Roger, weißt du, was mir zur Zeit auf dem Magen liegt?! – Ein verstaubter Koffer!!“
Roger Baronett Sheffield nickte. „Ja, mir auch … Außerdem werde ich Mr. Josua Skarmy noch diese Nacht eine Serenade mit Ziehharmonika darbringen: Bajazzolied! Ich glaube, er ist Gatherstons Hintermann!“
Ich hatte ein Zündholz angerieben, und die beiden Zeitungsausschnitte flammten auf und wurden Asche. Es war sicherer so.
Plötzlich klopfte es leise … Vater Durbatti trat ein, schloß leise die Tür und flüsterte scheu: „Signori, ich habe eben beim Rundgang durch die unteren Räume einen Dieb überrascht und in der fensterlosen Abstellkammer eingeschlossen … Luzia und mein Sohn halten jetzt vor der Tür Wache … Ich begreife nicht, wie der Mensch sich eingeschlichen haben kann. Alle Türen sind versperrt, alle Fenster verschlossen und vergittert …“
Roger Sheffield, der schnell wieder „Fred“ spielte, sagte zu mir als tadelloser Lakai: „Wenn Sie gestatten, Mr. Elsen, werde ich den Dieb heraufholen, falls es die Herren nicht langweilt … Ich kann ja auch die Polizei anrufen.“
„Bringen Sie den Burschen her, Fred“, sagte ich gähnend. „Es ist mal eine Abwechslung.“
Und Bickfort sagte, noch gleichgültiger tuend: „Ich habe noch nie in meinem Leben einen Einbrecher gesehen … Her mit dem Kerl!“ –
Als der Kerl seine lange Seidenmaske vor der Feme der drei abnehmen mußte, erkannten wir das mit Ofenruß beschmierte Gesicht der Contessa Maria Albergo.
Fred rückte ihr sofort einen Sessel an den elektrischen Ofen. „Bitte Contessa … Darf ich Ihnen Seife, warmes Wasser und ein Handtuch bringen?“
Die junge Gräfin Albergo stand mit hochmütig zurückgeworfenem Kopfe da. „Mr. Elsen, wenn Sie ein Gentleman sind, werden Sie mich nichts fragen und mich gehen lassen. Ich bin keine Diebin.“
Ich betrachtete die schlanke Gestalt in den schäbigen Lumpen mit gut gespielter höflicher Ironie. „Contessa, heute appellierte bereits Mr. Josua Skarmy an mich als Gentleman … – Oh, – – was haben Sie?! Fühlen Sie sich so schlecht? – Fred, rasch, ein Glas Wein …“
Während Bick und Roger sich um die Contessa zart und eifrig bemühten, während sie fast gierig das Weinglas leertrank und sich bequemer zurücklehnte, behielten ihre Blicke stets mein Gesicht wie umsponnen und suchten aus meinen Mienen herauszulesen, ob meine Bemerkung über den „Gentleman“ in Verbindung mit dem Namen Skarmy absichtlich gefallen sei. Dies wurde mir sehr bald klar.
Daß sie Skarmy sehr gut, vielleicht zu gut kannte, stand nun außer Zweifel. Ich war auch überzeugt, daß ich hier abermals ein dünnes Fädchen gefunden hatte, das durch ein Labyrinth von Irrwegen zur endgültigen Wahrheit führen konnte.
Die Contessa hatte sich nun vollends erholt und war wieder Herrin ihrer selbst. Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück, ihr Blick verlor dies Starre, Forschende, Belehrende, und plötzlich umspielte ein Lächeln ihren Mund, das vielleicht so manchen getäuscht hätte. Es war das verlegene Lächeln eines Kindes, das bei einer harmlosen Unart ertappt wird.
Ich lehnte am Tische, ich trug Smoking und Lackschuhe, ich wollte hier unbedingt den Engländer der besseren Gesellschaftskreise, die sich zum Abend umzuziehen pflegen, auch in dieser Äußerlichkeit vollkommen echt darstellen. Auch Bickfort war genau so gekleidet, Freund Roger allerdings hatte wie zumeist sein dunkles Halblivree an.
„Contessa gestatten, daß ich Ihnen meinen Freund Bert Farling vorstelle…“, und der berühmte Warner verbeugte sich elegant. „Es tut mir unendlich leid, Sie derart erschreckt zu haben“, fuhr ich liebenswürdigst fort. „Sie wollen zweifellos ein Kostümfest besuchen und die Wassertreppe nach dem Canal Grande benutzen. Der alte Durbatti nimmt es mit seinen Pflichten als Pförtner zu ernst. Allerdings hätten Sie sich ihm besser zu erkennen gegeben. Darf ich Sie hinabgeleiten, – Sie haben doch sicherlich eine Gondel an die Wassertreppe bestellt …“
Contessa Maria nickte leicht. „Sie haben es erraten, Mr. Elsen … Ja, ein Kostümfest, – – und ich habe Schlüssel zu den Erdgeschoßtüren … Die Räume stehen ja ohnedies bis auf die abgeteilte Pförtnerwohnung leer …“
Fred entfernte sich plötzlich. Als Diener war er hier überflüssig geworden.
„… Für Ihre Begleitung danke ich, Mister Elsen, ich finde mich ohnedies zurecht … Ich habe es auch sehr eilig …“ Die Contessa erhob sich. „Ich fühle mich auch wieder ganz kräftig, – der Schreck, von Durbatti eingesperrt worden zu sein, mußte wohl hinterher eine kleine Nervenkrise auslösen.“ Sie lächelte wieder harmlos-verlegen und streckte mir freimütig die Hand hin. „Gute Nacht, meine Herren … Und bitte – – schweigen Sie meinen Eltern gegenüber. Besonders meine Mutter wäre entsetzt, wenn sie erführe, wenn ich in einem solchen Kostüm das heutige Fest der Nobili in der Oper besucht habe … Aber zu einer anderen Maske fehlte es mir an allem … – Also – gute Nacht … Bemühen Sie sich nicht …“
Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen, als Bickfort Tomsen zum Eckfenster huschte und hinter den schweren, verblichenen Vorhängen verschwand. Von diesem Fenster aus konnte man auch die Wassertreppe überschauen, und es bedurfte gar nicht Bicks leisem Zuruf, – ich war schon neben ihm, und nach einer Weile tauchte drunten die zerlumpte Gestalt auf, eine Gondel schoß herbei und die Contessa sprang hinein. Das Boot hatte zwei Ruderer und einen Baldachin, und es entfernte sich so eilig, daß wir trotz des Streifens leuchtenden Mondlichts, den es passieren mußte, bestimmte Einzelheiten nicht feststellen konnten. Immerhin bemerkten wir eine zweite kleine Gondel, die von einem Manne im Schlapphut und Radmantel allein gerudert wurde, und wir hatten nun die Gewißheit, daß Roger Sheffield dieses schöne Wild nicht aus den Augen verlieren würde, wohin es sich auch immer wenden mochte.
Freund Bick setzte sich wieder. „Olaf, sie kennt Josua Skarmy, darüber besteht wohl kein Zweifel“, sagte er einfach. „Es ist das eine Selbstverständlichkeit, die ich gar nicht erst zu erwähnen brauche. Das Kostümfest der Nobili-Gesellschaft findet erst morgen statt, du hast ja selbst drei Karten dazu besorgt, weil wir dort gewisse Herrschaften treffen werden, die bei Skarmy als Saisonmieter wohnen und sich ebenfalls hier erholen wollen: Ich meine das Ehepaar Building nebst Tochter Miß Honoria Building, deren reizlose Hagerkeit unbedingt durch eine Maske gewinnen wird.“ Er verzog sehr säuerlich und sehr komisch den eigenen hübschen Mund in Erinnerung an diese angejahrte Jungfrau, die den ganzen Tag durch Kirchen und Museen lief und stets mit einem Paket Literatur über Venedigs Kunstschätze bewaffnet war.
Mr. Cecil Building war übrigens Prokurist der Skarmy-Bank, aber Generaldirektor Josua Skarmy hatte seinen Angestellten zwar als Mieter bei sich aufgenommen, hielt sich aber sonst sehr offensichtlich von ihm fern und hatte den Buildings, die im Erdgeschoß des Palazzo Trebani hausten, die Benutzung der Wassertreppe nach dem Canal Grande, also den Haupteingang, strengstens verboten. Dies war eine der wenigen und wenig wertvollen Mitteilungen, die mein Diener Fred heute dem alten Durbatti entlockt hatte.
Wenn wir den drei Buildings überhaupt einige Aufmerksamkeit schenkten, so geschah es hauptsächlich nur Frau Grace Buildings wegen, deren imponierende Länge und auffallend strenge, finsteren Züge unwillkürlich den Eindruck erweckten, als handelte es sich hier um einen äußerst herrschsüchtigen, tatkräftigen und rücksichtslosen Charakter. Der dazu gehörige Gatte war neben ihr nur ein bedauernswertes notdürftiges Übel, – der Mann sah stets so aus, als wollte er jedermann um Verzeihung bitten, daß er überhaupt existierte.
„So schweigsam, Olaf?“, munterte Bickfort mich auf.
„Durchaus nicht. Ich habe soeben mit Mr. Elsen aus London-Norwood Zwiesprache gehalten, und da Mr. Elsen zuweilen ebenso merkwürdige Einfälle hat wie der Bajazzo-Henker, wollen wir doch einmal die Abstellkammer durchsuchen, in der die fragwürdige Contessa eingesperrt worden war.“
Bick grinste frech. Auch das kann er. „Komisch, Olaf, daß die Gedanken von uns drei so oft dieselben Pfade laufen. Es stimmt: Durbatti hat die Contessa durch mehrere Zimmer verfolgt … Weshalb entschlüpfte sie nicht, da sie doch Schlüssel hatte, wieder in den Garten oder zur Wassertreppe?! Frauen sind stets unlogisch. Gehen wir.“
Wir stiegen die billig beläuferten Marmortreppen hinab und taten dies möglichst leise. Die Abstellkammer lag am Ende des Hauptflures rechter Hand, und hier war auch von späteren Generationen der Albergos der unschöne Seitenflügel an den Palazzo angebaut worden, das jetzige Heim der gräflichen Familie.
In der fensterlosen Kammer standen nur ein paar zerbrochene Stühle, ein leeres Schränkchen und Eimer und Besen. Zunächst fanden wir nichts irgendwie Auffälliges. Nur hinter einem der Stühle war ein nasser Fleck auf den rötlichen Steinplatten zu sehen, und als ich den Finger in die breite Fuge steckte, wohin die Hauptmenge der Flüssigkeit abgeflossen war, und dann an dem Finger roch, der eine nasse Schmutzkruste zeigte, sagte ich nur ganz leise: „Bick, – – Kakao, und noch warm! Fühle hinein!“
Tomsen, der Warner, machte die Probe.
„Stimmt, – – Kakao!!“
Wir schauten uns lange an.
Die Röte stieg uns in die Gesichter. Wir dachten beide dasselbe.
„Wer?“, flüsterte Bick noch leiser.
„May Sromwell“, entgegnete ich mit aller Bestimmtheit.
„Sofort, Olaf?“
„Nein. Die Contessa Maria wird wohl noch einen Pflegling erhalten. Warten wir ab.“
Geräuschlos, wie wir gekommen, kehrten wir in mein Arbeitszimmer im ersten Stock zurück. Ich ging voran, öffnete die Tür, und in meinem Sessel saß die mir nur zu gut bekannte untersetzte Gestalt des knurrigen, aber biederen und doppelt schlauen Sir Morstan.
Die Pistole, die er auf seinen dicken Schenkel gestützt hatte, zeigte mit der Mündung auf uns zu, und sein Wink war so herrisch, daß wir beiden hocheleganten Gentlemen gehorsam eintraten.
Scotland Yard hatte uns also doch gefunden!
Wie war das möglich gewesen?! – Die Neugier war bei mir stärker als jedes andere Empfinden, und ich war desto verblüffter, als der berühmte Kriminaldirektor plötzlich eiligst seine Waffe einsteckte, sich erhob und sich vorstellte …
„Sir Morstan, Polizeidirektor Scotland Yard. Entschuldigen Sie, meine Herren … Ich sehe, keiner von Ihnen ist der, den ich suche …“
Die Situation blieb kritisch. Zum Glück spendeten die Leuchtspiralen des elektrischen Ofens das einzige Licht, und daß Morstan uns wiedererkennen würde, besonders mich, hielt ich für wenig wahrscheinlich. Auch das verräterische meiner Person, die Stimme, ließ sich bei einiger Übung vollständig verwandeln, wobei gerade die englische Sprache mit ihrer Eigenart gewisser Quetschlaute wesentlich hilft.
Als Bickfort der Höflichkeit halber sich kaum erst mit seinem neuen Namen Farling dem unliebsamen Gast vorgestellt hatte, öffnete sich die Tür und Herr Fred mit seinen würdig angegrauten Bartspitzen und dem fest angeklebten Lakaienscheitel trat ein, verbeugte sich steif, schaltete den Kronleuchter ein und schritt mit seinem Teebrett auf dem noch ein Weinglas und zwei Flaschen Chianti standen, auf den Tisch zu.
„Mr. Elsen, Sir Morstan läutete an der Haupttür“, sagte er gleichmütig. „Haben Sie sonst noch Wünsche, Mr. Elsen?“
Der prachtvolle Baronett hatte mit einem Schlage die Sachlage so etwas geklärt.
„Bleiben Sie in der Nähe, Fred, vielleicht sollen Sie uns noch einige Erfrischungen servieren“, befahl ich genau so kaltblütig. – Fred verließ das Zimmer, und wir nahmen Platz. Eine gewisse Unruhe beherrschte mich noch immer, aber der kritische Moment war bereits vorüber, denn Morstans Blicke und Benehmen bewiesen, daß er zwei ihm fremde Landsleute gegenüber zu haben glaubte.
„Mr. Elsen“, begann er höflich, „mein später Besuch hat bestimmte Gründe, über die ich mich im einzelnen nicht auslassen kann. Jedenfalls fiel mir eine kleine Gondel in der Nähe eines benachbarten Palazzo auf, und da der Gondelführer im Radmantel hier anlegte, erlaubte ich mir, Einlaß zu begehren. – Wer wohnt hier außer Ihnen?“
Ich hatte aufgehorcht. Morstan hatte mir hier soeben wertvolle Aufschlüsse geliefert, und ich war überzeugt, daß auch er von einer Gondel aus den benachbarten Palazzo Trebani beobachtet und so auf Sheffield-Fred aufmerksam geworden war. Nun wußte ich auch, wohin die Contessa einzig und allein sich gewandt haben konnte.
Ich nannte Morstan die Bewohner: Die gräfliche Familie Albergo, die Durbattis und Fred und mich. „Der Mann im Radmantel dürfte Graf Albergo gewesen sein“, erklärte ich kühn. Albergo trug nämlich einen solchen Mantel und auch einen breitkrempigen Hut, und Freund Roger hatte sich dies schlauerweise zunutze gemacht.
Morstan trank mir völlig unbefangen zu, lobte den Wein und sagte bedächtig: „Aus dem Hotel Bauer-Grünwald ist heute ein junger Engländer namens Doktor Gregorell verschwunden, der Verlobte der gleichfalls verschwundenen Miß May Sromwell, – den Fall Sromwell werden Sie aus den Zeitungen kennen, meine Herren …“
„Natürlich, nickte Bickfort mit halbem Gähnen. „Man müßte diese Feme der drei aufknüpfen, Sir Morstan … Die Leute tragen nur Unruhe und vollkommen verkehrte Rechtsbegriffe in die Massen …“
Morstans hartes, unbewegtes Gesicht umwölkte sich.
„Hierzu möchte ich schweigen, Mr. Farling … Nur eine gewisse Oberschicht wünscht die Beseitigung dieser drei Männer, während die weniger bemittelten Klassen …“ – er horchte auf, war mit einem Sprung auf den Füßen und lauschte nach dem Eckfenster hin …
„Hören Sie!!“, rief er erregt. „Bei Gott, es ist das Lied des Henkers, das Bajazzolied …!! Und gespielt auf einer Ziehharmonika …!“
Er stürzte zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. In demselben Moment verstummte die Serenade des Todes.
Wir starrten auf den Canal Grande hinab. Dort trieb eine führerlose Gondel, nach einer Weile schaukelte sie träge in den Mondscheinstreifen, und wir erkannten auf dem Bretterboden eine Männergestalt, die mit wilden Bewegungen irgendwie dem in die Barke eindringenden Wasser, das bereits bedrohlich hoch die Gondel füllte, zu entgehen suchte.
„Der Teufel auch, – – das ist ja Skarmy!“, keuchte Morstan noch erregter. „Hinab, meine Herren, retten wir ihn!“
Als wir das Zimmer verlassen hatten, saß da auf dem geräumigen Vorplatz der Marmortreppe an einem Tischchen mein tadelloser Diener Fred bei einer Kerze und einem Buche, blickte überrascht auf, erhob sich diensteifrig und fragte erstaunt:
„Ist etwas geschehen, Mr. Elsen?“
Morstan war schon die halbe Treppe hinabgestürmt.
Fred blinzelte mir vielsagend zu.
„Die Schlüssel zur Vordertür – – schnell, – kommen Sie mit!“, befahl ich überlaut.
Unten sprangen wir in eine Gondel, erreichten die andere, schnitten den durch Todesangst gefolterten und durch einen Knebel am Schreien verhinderten Josua Skarmy los und stellten dabei fest, daß gerade unter ihm ein Loch in den Boden der Barke geschlagen, daß er am Boden festgebunden war, und daß er sein Leben nur dem Umstand zu danken hatte, daß seine äußerste Rückgratverlängerung dieses Loch etwas verstopft hatte.
Als wir den triefenden, zitternden Milliardär in unsere Gondel hoben, bemerkten wir auf seiner Brust einen getippten Zettel, der mit einer Sicherheitsnadel befestigt war. Morstan nahm ihn an sich, und droben in meinem Zimmer goß Skarmy schnell drei Gläser Wein hinab und sagte dann noch heiser und schleimiger als sonst: „Ich danke Ihnen, Mr. Elsen …! Denken Sie, die verruchte Feme der drei, diese Mörder, hatten mich in diese entsetzliche Lage gebracht …!“ Seine Stimme überschlug sich vor ohnmächtiger Wut, seine Todesangst war nun, da er sich sicher wußte, in jenen unvernünftigen Haß umgeschlagen, der das Kennzeichen aller erbärmlichen Feiglinge ist.
„Für diese Dinge, Mr. Skarmy, dürfte Sir Morstan zuständig sein“, meinte ich kühl-ablenkend, glättete nachlässig meine schneeweiße Hemdbrust und zupfte den schwarzen Binder zurecht.
Morstan beäugte den Milliardär, der in seinen nassen, zerknitterten Kleidern noch näher an den elektrischen Ofen herangerückt war, mit verkniffenen Augen.
Skarmy schien Morstans Anwesenheit sehr peinlich zu sein. Er wurde immer nervöser, zumal der berühmte Detektiv beharrlich schwieg, und platzte dann unaufgefordert heraus: „Es war der reinste Teufelsspuk, – urplötzlich waren die drei Halunken in meinem Zimmer, und sie waren es bestimmt, trotz der Masken … Sie sprachen nicht ein Wort, ich kam gar nicht erst zur Besinnung, sie schleppten mich hinaus in die durchlöcherte Barke und versetzten ihr einen Stoß und verschwanden … Mehr weiß ich nicht … Nur das verdammte Todeslied des Henkers der drei hörte ich noch, – – und dann erschienen Sie, meine Herren, und retteten mich …“
Seine aufgeregte, knappe Erzählung trug unverkennbar den Stempel der Wahrheit. Der Mann log nicht. Er irrte sich nur in einem Punkte: Drei Unbekannte hatten hier Feme gespielt, und dies war zweifellos das Interessanteste an Skarmys ernsthaftem Abenteuer, das so manche meiner Schlußfolgerungen schwer erschütterte.
Morstan sagte nichts, holte nur den Zettel aus der Tasche hervor, der auf Skarmys Brust befestigt gewesen, und las vor:
Josua Skarmy, Sie sind für schuldig befunden. – Der Warner.
Morstan verzog seine markanten Züge zu einem geringschätzigen Lächeln. „Nun, Mister Skarmy, inwieweit sind Sie schuldig?“
Schon als er zu sprechen begann, veränderte das Papier mit den getippten Zeilen seine Farbe, lief graubraun an, und Morstan legte es schnell auf den Aschbecher.
„Es zerfällt“, meinte er achselzuckend. „Der Warner hat Chemie studiert, das wissen wir … Sein alter Trick, den er von dem Baronett übernommen hat, der anfänglich auch mit solchen Briefen operierte, bevor die drei sich zusammenfanden durch die Wunderinsel im Tsad-See …!“
Skarmy rief jetzt mit sehr falschem Pathos: „Ich bin mir nicht der geringsten Verfehlung bewußt …! Ich verlange von Ihnen, daß Sie mich schützen, Sir Morstan!“
„Das werde ich, weiß Gott!! Dazu bin ich ja hier“, sagte der Detektiv mit merkwürdiger Betonung. „Als Doktor Gregorell-Gregor, den wir stets beschattet haben, London heimlich verließ, sollten wir ihm folgen, da die hohen Herren wohl fürchteten, er wollte Ihnen hier an den Kragen, Mr. Skarmy. Ich habe noch sechs meiner besten Untergebenen mit, und fortan werden wir Ihnen die Feme der drei vom Leibe halten, es ist meine Pflicht.“
Mein unübertrefflicher Diener Fred, der soeben eine Platte mit Erfrischungen servierte, sagte bescheiden:
„Mr. Skarmys Kleider sind naß … Ich stelle Mr. Skarmy gern meine neue Unterwäsche und meinen neuen Anzug zur Verfügung. Nebenan liegt Mr. Elsens Schlafzimmer. Soll ich die Sachen holen?“
Josua Skarmy zitterte vor Kälte. All diese alten venetianischen Paläste sind im Frühjahr trotz der angenehmen Außentemperatur ungemütlich kühl.
„Ziehen Sie sich um“, sagte Morstan befehlend. „Aber die Tür zum Nebenzimmer bleibt offen. Ich brauche Sie ohne Lungenentzündung, Mr. Skarmy, ein sterbender Milliardär hat vor einem Bettler gar nichts voraus.“
Auch diese Bemerkung war höchst auffallend. Aus Skarmys Schweinsaugen traf den Kriminaldirektor ein so scheuer Blick, daß es mit dem guten Gewissen Skarmys nicht weit her sein konnte. – Fred entfernte sich, und geradezu unheimliches Schweigen herrschte, während das Papier immer mehr zu Flocken zerfiel. Morstan rauchte geistesabwesend seine Importe, Bickfort gähnte diskret, und Skarmy starrte in die rötliche Helle der wärmespendenden glühenden Drahtspiralen. Ich selbst spürte in Gedanken immer nachdrücklicher der wichtigen Frage nach, wer die unechte Feme der drei gewesen sein mochte. Ich hatte gewisse Anhaltspunkte, aber sie genügten mir nicht und schienen auch nur Trugschlüsse zu sein.
Der mustergültige Fred, über dem Arm einen Haufen Kleidungsstücke, trat wieder ein. „Wenn ich bitten dürfte, Mr. Skarmy …“, – er öffnete die Tür zu meinem Schlafzimmer und schaltete das Licht ein. Morstan schwenkte mit seinem Sessel herum und schaute andauernd in mein Schlafzimmer, wo wir Skarmy fluchend die nassen Sachen abstreifen hörten. Freds Hilfe hatte er abgelehnt, und der erstklassige Diener war lautlos auf den Vorplatz der Treppe zurückgekehrt.
Bickfort Tomsen, der Warner, betrachtete gelangweilt und mit belustigtem Augenzwinkern die flockigen Reste des Zettels, der nicht von ihm herstammte. Der vielseitige, intelligente Bick hatte sein Briefpapier stets so präpariert gehabt, daß es nach gewisser Zeit sich in grauweiße Flocken auflöste, nicht in dunkelbraungraue.
Skarmy zog jetzt die trockenen Kleider an und rief uns zu: „Es ist eine Wohltat!! Ich darf Ihren Kamm und Ihre Bürste benutze, Mr. Elsen …?“
„Aber bitte …“
Skarmy blieb für uns unsichtbar. Wir hörten ihn nur.
Er zog jetzt eine Schieblade des Waschtisches auf und klapperte mit meinen Toilettesachen.
Dann schien er seinen Kahlkopf zu bearbeiten, – viel Haare besaß er nicht mehr.
Es wurde still
Nochmals ein leiser Fluch … Eine Bürste polterte zu Boden …
Und dann ertönte von nebenan auch nicht mehr das geringste Geräusch. Inzwischen hatte sich Bickfort nach einem kräftigeren Gähnen seiner großen Müdigkeit wegen entschuldigt und war gegangen. Fred hatte ihn durch den Garten zum Seitenkanal hinabbegleitet, wo Bicks Gondel lag. – Morstan hatte Mr. Bert Farling zum Abschied kräftig die Hand geschüttelt und mich nachher nur harmlos-beiläufig gefragt: „Kennen Sie diesen abgeklärten Herrn schon länger, Mister Elsen?“
„Nein … Eine Zufallsbekanntschaft hier in Venedig, Sir Morstan … Ein reicher, liebenswürdiger Nichtstuer …“
„Wie Sie!“, lächelte Morstan …
Und dann polterte im Schlafzimmer die Bürste auf den Steinboden, und wir hörten nichts mehr.
Morstan wurde genau so stutzig wie ich.
Er schaute mich fragend und vielsagend an.
Mit drei Sätzen war er an der offenen Tür.
Das Zimmer war leer, ein Fenster stand offen, und am Fensterkreuz hing eine neue Strickleiter.
Ich rief Fred. Auch er lehnte sich weit hinaus … Wir drei horchten …
Zwei Gondeln mit singenden Touristen glitten den Canal Grande entlang. Das war alles, und das war unverdächtig.
Morstan schlug das Fenster zu. Vor dem Schrankspiegel lagen Kamm und Bürste.
„Mr. Elsen, die Feme der drei hat wieder einmal sehr saubere Arbeit geleistet“, knurrte er wütend. „Das wird mich meine Stellung kosten, fürchte ich, falls ich Skarmy nicht auffinde, und die drei dazu. Ich muß mich schleunigst verabschieden und mich mit der italienischen Kriminalpolizei in Verbindung setzen.“ – In der Tür drehte er sich nochmals um. „Glauben Sie übrigens, daß Skarmy bestimmt ertränkt werden sollte?“
„Nein, – ich kann es allerdings als Laie schwer beurteilen, Sir Morstan. Der Canal Grande ist um diese Stunde sehr belebt. Hätten wir Skarmy nicht herausgefischt, hätten es andere getan. Wie gesagt, ich bin Laie, und das Treiben der Feme der drei und der Milliardär sind mir gleichgültig. Mag sein, daß die drei dem Generaldirektor des Minensyndikats nur einen Schreck einjagen wollten … – Gute Nacht, Sir Morstan. Es war mir ein Vergnügen …“
Morstan nahm von meiner höflichen Verbeugung keine Notiz. „Mir war es kein Vergnügen“, brummte er derb und ehrlich. „Sie in Ihrem feudalen Smoking und als reicher Privatmann sind zu beneiden! Ich dagegen?! Eine ewige Hetzjagd ist es, – – der Teufel hole …“ – ich glaube, er wollte sagen, die Feme der drei, aber ich irrte mich – „… Der Teufel hole diesen Skarmy, auf den man mehr Rücksicht nimmt als nötig!!“
Fünf Minuten darauf, als wir drei uns nach gründlicher Durchsuchung des Palazzo Albergo sicher fühlen durften (Bick war urplötzlich wieder aufgetaucht), saß die rechte Feme der drei vor dem elektrischen Ofen bei verschlossenen Türen und besprach das Vorgefallene mit jener knappen Gründlichkeit, die dem geistig weniger Beweglichen gewiß wie Orakelsprüche klingen mag.
„Es war kein Zufall, daß ich mein Henkerlied ertönen ließ und schleunigst wieder in das Haus schlüpfte, es sollte Skarmys feuchter Fahrt erst die richtige Weihe geben“, meinte Sheffield ernst.
„Wo blieb die Contessa?“, fragte Bick ohne besonderes Interesse und fügte sofort hinzu: „Sie fuhr natürlich zum Palazzo Trebani … – Was hast du dort beobachtet, Roger?“
Der stämmige Baronett warf seine Zigarette weg. „Eigentlich nichts. – Eigentlich ist ein törichtes Wort. Etwas habe ich beobachtet, Contessa Marias Schatten zeichnete sich auf den Vorhängen eines Erdgeschoßfensters ab, und ihre Bewegungen verrieten Verzweiflung und flehentliches Bitten und überreiche Tränen …“
Bick war erstaunt. „So?! Also bei den Buildings war sie?! Und ich nahm an, dieses fette Walroß Skarmy besorgte die schmutzigen Geschäfte allein. Überhaupt, dieser Josua Skarmy …!! Milliardär, Generaldirektor, Börsenbeherrscher, Pfundstützer, Schützling der höchsten Herren, – eine lächerliche Figur alles in allem!“
„Schürzenjäger!“, ergänzte ich diese Charakteristik.
„Ja, Luzia Durbatti!“, nickte der Baronett in Erinnerung an den Ring und an Skarmys ängstliche telefonische Bitte, die Sache totzuschweigen. „Ich möchte nur wissen, weshalb er die Durbattis heute vormittag hinausgeworfen hat?!“ Er blickte mich dabei an. „Olaf, – – weshalb?“
„Weil Edgar Gregorell hier eingetroffen war und im Palazzo Trebani keine Zeugen gebraucht wurden, als man dort Doktor Gregorell ablieferte – – sehr einfach!“
„Sehr einfach!“, wiederholte Bickfort ironisch …
Was wir noch weiter besprachen, drehte sich um den verschütteten warmen Kakao und um den Abstellraum im Erdgeschoß. –
Nach Mitternacht war im Palazzo Albergo nirgends mehr ein Lichtschimmer zu bemerken … Auch der Mond hatte sich hinter den Türmen einer nahen Kirche versteckt, von Osten war leichtes Gewölk heraufgezogen, und unten im Erdgeschoß des Palazzo des verarmten Grafen war nicht ein Laut zu hören. Nur aus der Wohnung des Pförtners Durbatti erscholl unmelodisches Schnarchen, und unter den Steinplatten der Fußböden arbeiteten unzählige Ratten und lärmten und pfiffen und quiekten, als ob sie frisch aus dem alten Sromwell-Palais hierher übergesiedelt wären.
In einem der halb in die Mauer eingelassenen Wandschränke des Hauptflurs standen drei Männer, die angespannt auf jedes außergewöhnliche Geräusch lauschten. Sie waren dunkel und einfach gekleidet, trugen schwarze Ganzmasken und weiche Reisemützen und besaßen alle drei die hervorragende Eigenschaft, niemals die Geduld zu verlieren. – Der Schrank war handbreit offen, die Gelenke der Flügeltüren waren gut geölt, und als plötzlich ein Lichtschein über den Boden huschte, öffnete sich die Tür etwas weiter, und wir drei erkannten in dem nächtlichen Eindringling zu unserem größten Erstaunen Doktor Edgar Gregorell, der mit seiner Laterne auf die Tür der Abstellkammer zuschlich.
Er war allein.
Dies verblüffte uns am meisten. Auch ich fand hierfür zunächst nur die eine Deutung, er sei seinen Feinden entwichen, aber schon im nächsten Augenblick korrigierte ich diese Annahme. So einfach lag die Sache doch nicht.
Gregorell, der Neffe des Hausmeisters des Sromwell-Palais und Verlobter der entführten Miß May Sromwell, öffnete nun die Tür der Kammer, leuchtete hinein und schritt der Rückwand zu.
Wir wollten uns von dem, was nun folgen würde, auch nicht das Geringste entgehen lassen, schlüpften aus dem Schranke und stellten uns so auf, daß wir Gregorell weiter im Auge behalten konnten.
Er rückte die Stühle beiseite, betastete die rissige Mauer, und mit einem Male drehte sich ein großer Teil der Wand nach außen und zeigte dahinter eine verrostete eiserne Tür.
Gregorell horchte mißtrauisch, zog einen Schlüssel hervor und schloß die Eisentür behutsam auf, wobei seine ganzen Bewegungen eine gewisse erwartungsvolle Ängstlichkeit ausdrückten.
Kaum hatte er die Eisentür halb geöffnet, als ein leiser Schrei aus weiblicher Kehle ertönte, der uns diesmal in keiner Weise überraschte. Eine schlanke Mädchengestalt in einem lilaseidenen Schlafanzug flog Gregorell aufschluchzend an die Brust, und May Sromwell beruhigte sich erst, als ihr Verlobter sie immer wieder glückselig und feurig geküßt und ihr versichert hatte, sie würden nun sofort nach London abreisen, es sei ja wieder alles gut und die Gefangenschaft für immer beendet.
„Liebling, hole deine Kleider, deinen Mantel und Hut … Ziehe dich notdürftig an … Draußen wartet ein Motorboot, das uns zum Festland hinüberbringt, und das uns noch den Nachtzug gen Norden erreichen läßt.“
Die reizende blonde May, die mit seltener Tapferkeit alles Bisherige erduldet hatte, eilte in ihre steinerne Kerkerzelle zurück und war im Augenblick reisefertig.
Gregorell versperrte die Türen wieder, das so glückselige Paar verließ die Kammer, und dann kam für die beiden die grausame Enttäuschung. Gregorells Laternenlicht fiel auf drei düstere Gestalten, er prallte zurück, und May umklammerte ihn in jähem Entsetzen.
„Fürchten Sie nichts!“, sagte eine leise tiefe Stimme, „wir werden Ihnen beiden nichts in den Weg legen. Wir wollen nur einige Fragen an Sie richten. Bitte, treten Sie hier ein …“
Gregorell zauderte.
Derselbe Sprecher der drei fügte alle Zweifel bannend hinzu: „Ich denke, Doktor, wir kennen uns. In London lagen Sie in einem Mumiensarg, um endlich gewisse Morde aufzuklären. Damals nannten Sie sich Rello und rückten ein indisches Götzenbild mit vergifteten Strahlenkronen so weit abseits, daß Professor Gatherstons Mordversuch mißlang.“
Doktor Gregorell fuhr leicht zurück. „Ist es möglich?! Der Richter der Feme der drei?! Sie hier?!“
„Wir sind immer dort, wo es nötig ist. Also bitte, Doktor … Und Sie, Miß May, haben uns ja ebenfalls noch in gutem Andenken, hoffe ich.“
May Sromwell eilte freudig auf mich zu und streckte mir beide Hände entgegen. „Zu Ihnen habe ich grenzenloses Vertrauen …! Nun erst glaube ich, daß ich wirklich gerettet bin!“
Dann saßen wir in einem kleinen, dicht verhängten Erdgeschoßzimmer, und ich nahm abermals das Wort, leider nicht, um die Wahrheit zu sagen, das durfte ich nicht.
„Doktor, wir sind Ihnen nach Ihrer Entführung gefolgt. Der Warner-Brief war eine Fälschung, der Sie in die Gondel lockte. Merken Sie sich: Die echten Warner-Briefe hinterlassen weißgraue Flocken. – Wer waren nun Ihre Entführer?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete Gregorell offen. „Ich wurde in dem Baldachin der Gondel von einem Maskierten niedergeschlagen, betäubt, gefesselt und geknebelt und unter dem Sitz versteckt. Dort lag ich hilflos bis vor einer halben Stunde. Dann erschien ein wiederum maskierter Mann und nahm mir das Ehrenwort ab, daß ich seine Befehle blindlings befolgen würde, täte ich dies, so dürften May und ich sofort nach England heimreisen. Ich gab ihm mein Wort, er brachte mich in der Gondel zu diesem mir unbekannten Palazzo und erteilte mir genaue Anweisungen, wo ich May finden könnte.“
Ich hatte kaum erwartet, daß die Dinge sich anders abgespielt haben könnten. Josua Skarmy hatte eben seinerseits die Anordnungen der falschen Feme der drei blindlings aus Todesangst ausgeführt.
„Miß May“, wandte ich mich der befreiten jüngsten Tochter des in der Kalahari ermordeten Lords zu, „auch wir kennen diesen Palazzo nicht. Wer versorgte Sie mit Lebensmitteln? Erhielten Sie heute Kakao zum Abendbrot?“
„Ja, – aber die Frau, die meine Gefangenwärterin spielte, ist mir fremd, sie war stets verkleidet, jedoch sehr rücksichtsvoll und lieb. Auch ich weiß nicht, wo ich mich befinde. Erst Edgars Worte bewiesen mir, daß ich nach Venedig gebracht worden war, nachdem man mich abends in London auf ein Schiff geschleppt hatte, das dann sehr lange auf hoher See war.“
Doktor Gregorell schienen inzwischen Zweifel aufgestiegen zu sein, ob er nicht abermals mit einer Heimtücke seiner Entführer rechnen müßte. Ich zerstreute seine Bedenken.
„Die Person, die ein Interesse daran hatte, Ihre Braut und Sie verschwinden zu lassen, hat jetzt nur noch das entgegengesetzte Bestreben: Sie schleunigst aus Venedig zu entfernen. Diese Person ist im übrigen dieselbe, die Professor Gatherston stets den Rücken deckte. Diese Person ist der wahre Schuldige! Ich kenne sie nicht, noch nicht, aber wir, die Feme der drei, werden sie aufspüren und bestrafen. – Gehen Sie nun in Frieden zu Ihrem Motorboot und – – schweigen Sie! In London sehen wir uns vielleicht zu einer Stunde wieder, wo Sie es am wenigsten vermuten.“
Nach überaus herzlichem Abschied schlichen Gregorell und May davon, die Haustür klappte, und der Palazzo Albergo versank wieder in Finsternis …
Aber droben im ersten Stock am Eckfenster standen drei Männer und beobachteten still die Abfahrt des flinken Motorbootes, an dessen Steuer eine völlig vermummte Gestalt saß. Das Boot glitt der Rialto-Brücke zu, und Sheffield flüsterte mit seiner rauhen, bissigen Stimme:
„Josua Skarmy!!“
„Der?! Das wäre merkwürdig!“, flüsterte Bickfort zurück. „Skarmy ist doch sicherlich hier aus Olafs Schlafzimmer durch unsere neu aufgetauchte Konkurrenz, durch die unechte Feme der drei, entführt worden.“
„Ja, es ist so“, erklärte ich gedämpft. „Sowohl Skarmy als diese Konkurrenz sind sehr seltsame Leute, und sie werden uns noch viel zu schaffen machen. Für heute ist hiermit unsere Arbeit getan … Freund Bick, entferne dich unauffällig, und Roger und ich gehen dann zu Bett.“
Gegen ein Uhr nachts schien der Palazzo Albergo nun wirklich allseits in tiefsten Schlummer gesunken zu sein.
Doch im Erdgeschoß bewegte sich soeben lautlos eine Tür, ein Lichtstrahl blitzte kurz auf, und am Türrahmen der Abstellkammer lehnte kraftlos und verzweifelt die schöne Contessa Maria Albergo, und ihr leises Weinen drang deutlich bis zu dem großen Schranke, in den ich der Bequemlichkeit halber einen Stuhl gestellt hatte …
Die kleine Laterne der dicht verschleierten Contessa erlosch plötzlich.
Das Mädchen hatte von der Gartentür und gleichzeitig vom Haupteingang Geräusche vernommen. In ihrer blinden Angst huschte sie auf den Schrank zu, erblickte mich, wollte schreien, aber meine Hand verschloß ihr den Mund, und hastig raunte ich ihr zu: „Fürchten Sie nichts, Contessa! Ich bin einer der drei von der echten Feme, und die Steckbriefe nennen mich nur den Richter …“
Sie starrte auf meine schwarze Larve, – – dann schaltete ich meine Lampe aus und flüsterte eindringlich: „Verhalten Sie sich ganz still! Man … kommt …!“
Über die Steinplatten des Flurs glitten weiche Gummisohlen …
Und wieder blinkte ein Lichtstreifen auf …
Ich sah eine hagere, mittelgroße Männergestalt mit einem dunklen, leichten Umhang, mit einem Schlapphut und einem totenblassen Mephistogesicht, schwarzem Spitzbart und ruhelos schillernden Augen.
Der Fremde verriet in jeder seiner überaus vorsichtigen Bewegungen die Geschmeidigkeit und Kraft eines blitzschnell zupackenden Panthers, und als er nun die Kammer betrat und meinen Blicken entschwand, stieg ich rasch aus dem Schranke heraus, um mir dieses Wild nicht entgehen zu lassen. Der schwarze Mephisto stand jetzt vor der Eisentür und hatte seine Laterne vor die Brust gehakt, so daß er die Hände frei hatte und ungehindert eine Flasche hervorziehen konnte, deren Verschluß dem eines Syphons glich.
Dann öffnete er die Steintür und die Eisentür und schlüpfte in May Sromwells düsteren, wenn auch wohnlich ausgestatteten Kerker.
Ich schlich hinterdrein, und ich hatte die Eisentür noch nicht erreicht, als neben mir die Contessa erschien und mir in wilder Erregung ins Ohr zischelte:
„Das ist er!! Retten Sie die beiden, – – ich kenne Sie nicht, aber ich vertraue Ihnen!“
Ihre Hände umspannten meinen Arm, und ihre Fingernägel bohrten sich in mein Handgelenk ein …
Sie befand sich in einem Zustand, der einen jähen Nervenzusammenbruch befürchten ließ.
Sie war mir in dieser Verfassung nur ein Hindernis, und erst, als ich ihr schnell einige Sätze ins Ohr geflüstert hatte, gab sie meine Hand frei und lehnte sich abwartend an die Mauer.
Ich schlich weiter. Ich wußte, was ich sehen würde, und nichts konnte mich überraschen. – – Die linke Wand des Kerkers May Sromwells, der in den neueren, trotzdem recht alten Seitenflügel geschickt eingebaut worden war, zeigte eine viereckige Öffnung. Die Mauer war sehr dick. Die Laterne des Mephisto war abgeblendet, und mit der linken Hand stellte der unheimliche Fremde nun die Flasche auf den Steinboden des Nebenkerkers, aus dem ich tiefe Atemzüge zu hören glaubte.
Mord!! – Mit einem Male war mir die Bedeutung der Flasche klar, und ich schnellte vorwärts, stieß jedoch an einen Schemel, der Mephisto fuhr herum, in seiner linken Hand blinkte die Flasche, ein sanftes Zischen ertönte und ein kalter Luftstrom und ein eigentümlicher Geruch umwehten meinen Kopf. Gleichzeitig spürte ich, wie mir die Sinne zu schwinden drohten, ich taumelte, und blitzartig floh ein wehender Schatten mit einem Umhang an mir vorüber, ich hörte die Contessa aufschreien, hörte noch im Flur einen besonderen Pfiff, und tastete mich halb betäubt in den Abstellraum, wo die Contessa Maria halb bewußtlos am Boden lag. Sie erholte sich bald, und dann spielten sich im Palazzo Albergo Szenen ab, die vorläufig nicht hierher gehören, – ich berichte später darüber.
Jedenfalls saß Contessa Maria nach etwa einer Stunde droben in meinem Arbeitszimmer, und ich als Mr. Elsen bat sie um eine ehrliche, rückhaltlose Beichte, nachdem mein Diener Fred angeblich auch den anderen Fremden, das Mitglied der Feme der drei, verscheucht hatte.
Ich war wieder Mr. Arthur Elsen, den Fred geweckt hatte, und ich merkte, daß die Contessa Maria keinerlei Verdacht schöpfte.
Ihre Leidensgeschichte läßt sich mit wenigen Worten wiedergeben. – Ihr Vater war stark verschuldet, ihre Mutter gelähmt und pflegebedürftig, und da war vor etwa drei Jahren Mister Skarmy, dem der Palazzo Trebani schon längere Zeit gehörte, zu ihr gekommen und hatte ihr erklärt, daß er vollständig unter dem Einfluß eines Unbekannten stünde, der noch reicher sei als er selbst und der ihn jeden Tag vernichten könnte, falls er nicht gehorche. Dieser Unbekannte böte ihr eine große Summe, falls sie die Geheimräume im Palazzo Albergo ihm zur Verfügung stellen wollte. „Wie er von diesen Räumen Kenntnis erhalten hat, weiß ich nicht. Meine Mutter war damals infolge ungenügender Pflege dem Tode nahe, und da mein durch Armut völlig stumpf gewordener Vater sich um nichts kümmerte, willigte ich ein. Ich war entsetzt, als der Mephisto Monate später zwei Mädchen nachts in einen Raum brachte, die aus Todesfurcht nie wagten, ihre Namen zu nennen, genau so wie später auch die dritte Gefangene, die ich verpflegen mußte, mir nie gesagt hat, wer sie sei. Mein Leben glich fortan einer Hölle, zumal ich immer wieder von dem Unbekannten Briefe erhielt, die meinen Willen völlig lähmten und die stets sehr bald zu braungrauen Flocken zerfielen. Mr. Skarmy ist bestimmt nicht dieser Mephisto, Mr. Elsen. Auch er muß ihm gehorchen, ich habe Beweise dafür. Ich sollte den Palazzo wie bisher an Fremde vermieten, jedoch stets die Bedingung stellen, daß das Erdgeschoß leer bliebe.
Ich tröstete die unglückliche Contessa, so gut ich es konnte, sprach ihr Mut zu und überreichte ihr noch eine Geldsumme, die all ihre Sorgen beseitigen würde, stellte allerdings die Bedingung, daß die Familie Durbatti die Pförtnerstelle behalten müsse und erklärte ihr auch, daß sie den Mephisto oder Skarmy nicht im geringsten mehr zu fürchten brauche.
Wahrhaft erlöst und beglückt verließ sie mich, und mein Diener Fred, der inzwischen allerlei anderes zu besorgen gehabt hatte, erschien gegen vier Uhr morgens mit einer Schreibmaschine bei mir und wenig später stellte sich auch Freund Bick ein, der uns die Neuigkeit überbrachte
„Die Familie Building reist ab! Sie packen bereits die Koffer … Alle Fenster sind hell …“
Sheffield spannte einen Bogen in die Maschine und bat Freund Bick, gefälligst Platz zu nehmen. Den Inhalt des Warner-Briefes, durch den Frau Building noch heute früh kurz vor Abfahrt überrascht werden sollte, hatten wir drei bereits besprochen. Daß ich dabei eine Fassung vorschlug, die auch für Roger und Bick Bluff bedeutete, war mir nicht zu verargen.
Sowohl der Baronett als auch Bick hatten mich oft genug durch ihre Tricks täuschen wollen.
Frau Grace Building,
zur Zeit auf der Flucht nach London.
Sie haben die Unverfrorenheit besessen, meine Warner-Briefe zu imitieren. Es hat Ihnen nicht viel genützt, denn aus Angst haben Sie May Sromwell freigelassen, ebenso Edgar Gregorell, nachdem Mr. Josua Skarmy sich zu arge Blößen gegeben hatte und Sie ihn aus dem Palazzo Albergo sehr kühn weggeholt hatten, damit er nicht noch mehr verriete. Das Weitere haben wir besorgt, und wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Feme der drei wieder spurlos verschwunden. Hüten Sie sich!! Noch eine zweite Feme ist hinter Ihnen her!!
Der Warner.
Einzeln reisten wir auf Umwegen heim. Nur May Sromwell und Edgar Gregorell als Brautpaar hatten eine Ehrenwache von zwei verschleierten Damen bei sich.
Und Sir Morstan?! Er war mir nicht mehr zu Gesicht gekommen, und als ich drei Tage später wieder in der Albemarle-Street in London-Norwood abends vor acht Uhr in meinem Heim in Nr. 17 eintraf, das von meiner ständigen Aufwärterin Frau Gerron auf telegrafische Anweisung gründlich gesäubert und geheizt worden war, befleißigte ich mich schon auf der Straße all jener Vorsichtsmaßregeln, die ich nach den Erlebnissen in Venedig noch weit notwendiger hielt als wie bisher. Der als Tourist so elegante Mr. Arthur Elsen hatte sich inzwischen wieder in den mehr schlichten und unauffälligen Hausbesitzer und Präparator zurückverwandelt, – meine Koffer trug ich selbst in meinen Wohnungsflur, schloß hinter mir ab und hängte Mantel und Hut an den Kleiderständer, öffnete die Tür meines Arbeitszimmers und blieb wie gebannt stehen. Mit einem Blick überflog ich das seltsame Bild, das man hier für meinen Empfang (Frau Gerron beschäftigte ich nur vormittags) als etwas zu lächerlich-aufgeputzte Nachahmung der echten Feme der drei aufgebaut hatte.
Hinter dem schwarz verkleideten Mitteltisch, auf dem zwei Leuchter mit je sechs Kerzen brannten, saßen in schwarzen Dominos und Masken drei Leute, während vor dem mittelsten der drei ein Totenkopf, eine Bibel und – auch das noch! – ein Kruzifix ein etwas phantasieloses Stilleben bildeten.
Trotzdem war die Sache bitterster Ernst … Jeder der drei hielt in der auf die Tischplatte gestützten Hand eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer, und eine harte, dumpfe Stimme gebot mir, die Tür hinter mir abzuriegeln und auf dem Stuhle vor dem Tische Platz zu nehmen.
Ich gehorchte, ich verriegelte die Tür, setzte mich, und war lediglich sehr gespannt darauf, was die Herrschaften vorbringen würden.
„Sie wissen, wen Sie vor sich haben, Arthur Elsen, und Sie kennen unsere Methoden. Jede Lüge kostet Ihnen das Leben.“
Ich nickte nur. – Es stimmte schon, – ich wußte, wen ich vor mir hatte, nur – – die „Methoden“ imponierten mir nicht.
„Wir sind die berüchtigte Feme der drei“, fuhr der Sprecher mit gut verstellter Stimme fort.
Diese unverschämte und alberne Lüge beantwortete ich mit einer stummen ernsten Verbeugung. Mochten die drei nur glauben, mich bluffen und einschüchtern zu können.
„Ihnen ist bekannt, daß wir in Venedig ein Versehen begangen haben“, sprach der Mittlere wohlüberlegt weiter.
„Ein Versehen?“, fragte ich, den Erstaunten spielend. „Meinen Sie etwa Mister Skarmys feuchte Gondelfahrt?“
„Ja. Was hat Skarmy Ihnen erzählt?“
„Nicht viel …“, erwiderte ich, rasch überprüfend, was ich sagen durfte und was geheim bleiben mußte. „Mr. Skarmy wurde von der Feme der drei überfallen und in der Gondel festgebunden. Trotz seiner Milliarden ist er offenbar nur das blinde Werkzeug einer noch höheren, stärkeren Macht, die er nicht kennt.“
„Wirklich nicht?!“, die Frage kam überhastet und ängstlich über die Lippen des vermummten Sprechers.
„Nein, er kennt den sogenannten Mephisto genau so wenig wie ihn die Contessa Maria Albergo ahnt, wer diese Person sein könnte.“
„Ah, – das rettet Ihnen und anderen das Leben“, sagte der Fremde sichtlich erleichtert. „Wo haben Sie Ihren Diener Fred gelassen?“, wechselte er dann das Thema.
„Abgelohnt, – Fred ist Diener bei meinem Zufallsbekannten Mr. Farling geworden, und die beiden wollten nach Nordafrika reisen. Ich war mit Farling nur oberflächlich befreundet …“
„Und – – die Gefangenen, die die Contessa verpflegte und bewachte?“, fragte der Sprecher etwas lauernd.
„Die sind samt Doktor Gregorell heimgereist und haben der Contessa versprochen, sie nicht zu verraten und über den geheimnisvollen Mephisto zu schweigen.“
„Sehr gut“, erklärte die verstellte Stimme merklich befriedigt. „Und Sie selbst, Ihr früherer Diener und jener Mr. Farling?!“
„Müssen ebenfalls aus Rücksicht auf die Contessa schweigen“, meinte ich achselzuckend. „Ich wünsche auch nicht, daß mein beschauliches Dasein als Rentner irgendwie gestört wird, mich interessieren fremder Leute Angelegenheiten absolut nicht.“
„Das freut uns“, erklärte die tiefe, verstellte Stimme fast höflich. „Wir, die Feme der drei, wünschen keine Einmischung anderer. Wenn Sie uns jetzt, Mr. Elsen, versprechen, uns ungehindert gehen zu lassen, wollen wir Ihnen die Fesseln und den Knebel ersparen.“
Ich tat sehr erfreut. „Gehen Sie, wohin Sie wollen … Ich rühre mich nicht, ich bin ein menschenscheuer Junggeselle, und nur eins ist mir eine große Beruhigung: Daß Mr. Skarmy am Leben blieb und daß Sie, meine Herren, sich so eifrig darum bemühen, das dunkle Geheimnis um Lord Richard Sromwells Tod aufzuklären.“
„Was uns auch gelingen wird!“, sagte der Sprecher allzu feierlich und mit allzu theatralischer Geste. – Fünf Minuten später hatten sich die drei mit einer Strickleiter samt ihren Feme-Utensilien durch das nach dem Hofe hinausgehende Fenster entfernt und waren im Dunkel des trüben regnerischen Frühlingsabends verschwunden. –
Noch am Fenster stehend, drehte ich mich um. – In der gemütlichen Klubecke, die uns so oft zu ernsten Gesprächen vereinigte, saßen still und gleichmütig meine beiden unschätzbaren Helfer im Kampf für eine unerbittliche Gerechtigkeit, und der Baronett, der gerade seine Pfeife mit aller Sorgfalt stopfte, sagte nur mit leichtem Nicken: „Guten Abend, Olaf … – Bick hatte mich benachrichtigt, daß man dir an den Kragen wollte, wir standen in deinem Schlafzimmer, hörten alles und nahmen an, daß du diese drei Herren kennst, sonst wäre Bick ihnen gefolgt.“
Die unnachahmliche Ruhe des Baronetts und das heitere Lächeln des Jüngsten von uns waren mir nun erst wahre Heimatsgrüße. Wir drückten uns die Hände, dann sagte ich genau so gelassen:
„Ich glaube die drei zu kennen … Einer davon ist der Mephisto.“
Da unsere Wohnungen in unseren Häusern Nr. 16, 17, 18 insgeheim miteinander verbunden waren, hatte das urplötzliche Erscheinen meiner Freunde weiter nichts auf sich.
Auch jetzt wieder zeigte sich Rogers und Bicks ausgesprochene Eigenart ihrer komplizierten Naturen darin, daß keiner von beiden mich über meine Vermutungen hinsichtlich des „Mephisto“ auszuforschen suchte. Im Gegenteil, Bick sagte mit dem ihm eigenen liebenswürdigen Schmunzeln: „Hast du dir die heutigen Londoner Abendzeitungen mitgebracht, Olaf? Sie sind lesenswert …“
„Ja. Dort liegen sie, ich habe jedoch noch nicht hineingeschaut.“ –
„Tue es, – du wirst deinen Spaß haben“, meinte der Diener „Fred“ wieder etwas bissig. „Der Fall Sromwell wird nun allmählich zu einer Posse …!“
„Ihr gestattet“, – und ich nahm die Zeitungen zur Hand.
„Generaldirektor Josua Skarmy stellt sich unter Polizeischutz“,
sprang mir eine fettgedruckte Überschrift sofort ins Auge.
Dann hieß es weiter:
„Während die Polizeibehörden eifrigst, jedoch erfolglos nach den drei Leuten fahnden, die sich „die Feme der drei“ nennen lassen, haben die Gesuchten urplötzlich in Venedig abermals einen Gewaltakt gegen einen Mann unternommen, der in der Finanzwelt an allererster Stelle steht …“ – Es folgte eine kurze, und natürlich unrichtige Schilderung der Vorgänge in der Lagunenstadt. – „Mr. Josua Skarmy gelang es, nach seiner gewaltsamen Entführung aus dem Palazzo Albergo der Feme zu entfliehen und sich unter den Schutz Sir Morstans von Scotland Yard zu stellen. Die Kriminalpolizei hat seinen Angaben, daß er selbst seit Jahren von einem Erpresser und äußerst gewalttätigen unbekannten Manne verfolgt werde, vollen Glauben geschenkt. Das palastartige Haus Josua Skarmys und er selbst werden jetzt von Detektiven strengstens bewacht, und wenn die Kriminalpolizei sich vorläufig über gewisse Einzelheiten der Ereignisse in Venedig ausschweigt, scheint dies im Interesse des glatten Verlaufs der Ermittlungen wirklich geboten. Eins dürfte bereits feststehen: Die Feme der drei hat Mr. Skarmy irrtümlich einen Todesschreck durch das kalte Bad in der Gondel eingejagt, und dies ist umso bedauerlicher, als die drei Männer bisher nur der Gerechtigkeit dienen und offenbar lediglich jene Persönlichkeit herauszufinden suchten, die Professor Gatherston kurz vor seinem Tode als den wahren Schuldigen bezeichnet hat. – Erfreulich ist, daß Mr. Josua Skarmy trotz seiner nervenaufreibenden Abenteuer in Venedig doch noch der Stimme seines vereinsamten Herzens nunmehr gefolgt ist und sich gestern mit der hochintelligenten, durch viele schriftstellerische Arbeiten und wissenschaftliche Vorträge über die Kulturepoche des früheren Mittelalters rühmlichst bekannte Miß Honoria Building, einzigen Tochter des durch seine Gewissenhaftigkeit, durch Fleiß und bescheidenes Auftreten überall geschätzten Prokuristen der Skarmy-Bank, überraschend verlobt hat.“
Dicht darunter stand folgende, ebenso dick gedruckte Notiz:
„Bedauernswerte Spekulanten in südafrikanischen Diamantminen-Aktien. Wie noch in aller Erinnerung sein dürfte, trat vor etwa zwei Jahren ein stetes Absinken der Kurse der genannten Aktien ein, die sich zum Teil im Besitz von wenig bemittelten alten Kleinrentnern als scheinbar goldsichere Kapitalanlage befanden. Trotz der Warnungen Generaldirektor Skarmys stießen die kleinen Aktienbesitzer aus übertriebener Angst ihre Papiere ab. Nunmehr sind die Aktien erheblich gestiegen, und die Leidtragenden bei diesem völlig undurchsichtigen Börsenmanöver sind jene kleinen Existenzen, die einst so fest auf die Beständigkeit der Kurse gebaut hatten. Einige besonders schwer Betroffenen sollen in allerdürftigsten Verhältnissen leben. Generaldirektor Skarmy hat immer wieder vor Verkäufen eindringlichst gewarnt, und er hat recht behalten. Die Verzweiflung jener Voreiligen wird nun nach dem heutigen Börsentag, wo die Aktien geradezu rapide hochschnellten, um so größer sein.“
Ich gebe zu, manches in diesen Zeitungsmeldungen setzte mich in Erstaunen.
Ich legte langsam das Blatt auf den Tisch und blickte meine Freunde etwas forschend an … Ahnten sie die Wahrheit, die wirklichen Zusammenhänge?! Mir hatten diese Notizen fast völlige Gewißheit gegeben, obwohl die geheimnisvolle Gestalt des „Mephisto“ noch immer insofern zweideutig blieb, als ich die Auswahl unter drei Personen hatte.
Bickfort und der Baronett erwiderten meine forschenden Blicke mit einem unmerklichen Blinzeln … –
Sheffield sagte dann etwas brummig wie zumeist: „Josua Skarmy wohnt im Hyde-Park, und die Buildings hausen in einem schmalen, alten Gebäude einer ärmlichen Parallelgasse. Diese Verlobung ist der beste Witz, den ich seit langem gelesen habe, aber die armen Geschädigten, die Kleinspekulanten, dämpfen meine Heiterkeit. – Olaf, dein von Frau Gerron im Eßzimmer aufgebautes Abendbrot wartet … Wir leisten dir Gesellschaft. Deine brave Frau Gerron hatte heute sehr verweinte Augen, und meine Aufwärterin hatte von ihren ersparten paar Pfund zusammen mit Frau Gerron einst eine Aktie gekauft und allzuschnell wieder verkauft. Die Tränen dieser Betrogenen sollen zu Diamanten erstarren und beim letzten Gericht in die Wagschale jener Betrüger gelegt werden, damit diese Wagschale die Vampire der Ärmsten erdrücke.“
„Woher hast du diese Sätze, Roger?“ fragte ich erstaunt, denn der Baronett gebrauchte selten poetische Vergleiche.
„Oh, ich war heute nachmittag draußen beim alten Thomas Gregorell in seinem Flußhäuschen als Diener Fred des eleganten Mr. Farling und erkundigte mich nach dem Ergehen Miß May Sromwells und Doktor Gregorells … Dabei las mir Miß May etwas aus einem zerfetzten Buche vor, das sie aus der Kalahari als Andenken an die furchtbarste Stunde ihres Lebens mitgebracht hat … Das Buch gehörte einmal ihrem Vater, und er hat die Stelle von den erstarrten Tränen dick angestrichen. –
Ich blieb stumm, – wir gingen ins Eßzimmer, und hier erst sagte ich nach dem ersten Bissen:
„Freund Warner, du könntest ein paar gleichlautende Anzeigen für die größten Londoner Zeitungen schreiben und noch heute samt der Bezahlung befördern.“
Der junge Bickfort war sofort im Bilde und entwarf den Text der Anzeige persönlich, ein Beweis, daß er genau wußte, worum es ging.
„Alle die, die sich in bedürftigen Verhältnissen befinden und durch den Sturz der Diamantminenaktien ihre letzten Ersparnisse eingebüßt haben, mögen sich unter genauer Angabe der Einzelheiten und Beweise unter F. D. 3 postlagernd Postamt London, Hyde-Park, melden, da Aussicht besteht, ihnen ihre Verluste zu ersetzen. Nur wirklich Bedürftige kommen in Betracht. Unwahre Angaben haben die Ausschaltung des Betreffenden zur Folge“
„Wird gemacht!“ nickte Bickfort höflich. „Es ist doch ein besonders erhebendes Gefühl, das Geld wieder in jene Taschen zurückfließen zu lassen, aus denen es aus den Tresors der Skarmy-Bank heimtückisch abgeleitet wurde. – Ich werde dann also die Annoncen besorgen … Wo treffen wir uns nachher? Du hast doch für diese Nacht noch sicherlich war vor, Olaf?“
„Allerdings …!“
Und Sheffield ergänzte, sich an Bickfort wendend: „Wir werden Mr. Cecil Building, dem glücklichen, bescheidenen Brautvater herzlichst gratulieren. Warte mit unserem Auto in der Gasse, man kann ja nie wissen, was passiert …“
– Gegen elf Uhr – es regnete leicht, und ein hohler Wind pfiff um die Dächer – schritten zwei Herren mit hochgeklappten Mantelkragen vom eleganten Hyde-Park-Viertel gemächlich in die armselige Gasse hinein, deren Häuser einen Schandfleck für diese Gegend bedeuten. An der Bordschwelle des ausgetretenen Bürgersteiges hält eine dunkle Limousine, deren Chauffeur ganz leise und melancholisch ein paar Operntakte pfiff. Als die beiden harmlosen Fußgänger an ihm vorüberkamen, flüsterte er schnell: „Vorsicht … Nr. 32 wird bewacht!“ – In Nr. 32 wohnen die Buildings.
Roger und ich machten erst vor Nr. 39 halt. Ich öffnete die klapperige Haustür, und als wir droben auf dem Dache angelangt waren, wandten wir uns Nr. 32 zu. Der Weg war bequemer, als wir geglaubt hatten, und wenn wir auch die letzte Strecke kriechen mußten, machte uns das nicht viel aus.
Ich arbeitete an der Dachluke, die mit Zink benagelt war. Endlich konnte ich sie emporklappen, leuchtete hinab und sah eine angelehnte Leiter und einen Bodenraum, in dem Leinen gespannt waren und Wäschestücke hingen – zum Trocknen. Der Baronett, voreiliger als sonst, schwang sich in die Luke hinein, war jedoch kaum die Sprossen hinabgestiegen, als – und das war das zunächst Unbegreifliche – die Leiter lautlos zusammenknickte und samt Sheffield auf eine der Wäscheleinen stürzte. Ein helles Knistern erklang, ein paar bläuliche Funken blitzten auf, und Freund Roger hing an seinem Gummimantel bäuchlings über der verhängnisvollen Wäscheleine, die sich unter seiner Last in tiefem Bogen senkte.
Nur einen Augenblick war ich mir darüber im Unklaren, was hier geschehen. Mephisto hatte sein Heim auf recht teuflische Art geschützt, und als ich mich nun mit meinen Schuhen mit Gummisohlen vorsichtig hinabfallen ließ, war ich froh, daß auch ich einen leichten Gummimantel trug und daß Freund Rogers zuckende Armbewegungen nur auf eine Betäubung hindeuteten. Ich beleuchtete die Wäscheleine, es war heller, dicker Draht, elektrisch geladen, und Sheffield hätte sich hier zweifellos selbst hingerichtet, wenn er nicht den Gummimantel getragen hätte. Ich streifte Handschuhe über, hob ihn herab und legte ihn auf die Dielen. Er kam sehr bald wieder zu sich und fragte matt, was mit ihm eigentlich geschehen sei. Da er für mich vorläufig als Begleiter ausgeschaltet war, bat ich ihn, mich hier zu erwarten. Die Segenswünsche, die er dem Mephisto spendete, sind nicht recht druckfähig.
Ich wußte nun wenigstens, was meiner hier an liebenswürdigen Überraschungen noch weiter blühen konnte, und richtete mich danach. Dieses Haus Nr. 32 erinnerte lebhaft an den Sromwell-Palast, der ja auch seiner Zeit von Vater Gregorell in eine niederträchtige Festung umgewandelt worden war. Heute freilich erfreute sich der Palast mit seinen Kunstschätzen eines völlig veränderten Aussehens, und Lady Doris und May Sromwell und noch jemand wohnten dort mit zuverlässiger Dienerschaft ohne Ratten, Mäuse und Motten. –
Die Treppe vom Bodenraum zum obersten Stockwerk war mit einem Läufer belegt, und das fiel mir besonders auf. Unten schloß eine eiserne Gittertür die Treppe ab, und ich zog es daher vor, auf dem derben, einfachen Holzgeländer hinabzurutschen, hatte jedoch noch nicht die Hälfte des Geländers hinter mir, als ich schleunigst bremste.
Der Lichtstrahl meiner Taschenlampe hatte mir auf dem billigen Kokosläufer in dem Stufenwinkel neben der Messingstange, die den Läufer straff hielt, einen anderen kleinen matt blinkenden Gegenstand gezeigt: Die Hälfte des einen Glases eines goldenen Klemmers samt Goldrand, und das Glas war zerbrochen und hatte Risse.
Sir Morstan hatte nun ja tadellos scharfe Augen, nur zum Lesen benutzte er einen Kneifer mit Goldeinfassung, und zumeist baumelte ihm dieser Klemmer sehr gemütlich und unbenutzt an einer Schnur auf dem kleinen Bäuchlein. – Mein nächster Gedanke war der, daß die Treppe, wie ich auch vermutet hatte, eine genau so niederträchtige Falle sei wie die Lukenleiter droben mit den Scharnieren, und daß der Kriminaldirektor aus allzu starker Neugier hier in eine Versenkung gerutscht war. Ich nahm also den Lasso unter dem Mantel hervor, knotete ihn am Geländer fest und betrat die verdächtige Stufe, die erst versank, als ich mit einem Fuß auf das beläuferte Stück kräftig drückte. Im ganzen waren es sechs Stufen, die als Falltür sehr geschickt hergerichtet waren. Ich kniete nieder, drückte mit der linken Hand noch stärker und konnte nun in den Raum unter der Treppe hinabschauen. Meine Taschenlampe zeigte mir dort unten ein paar Bündel Stroh, zwischen denen die Hälse mehrerer Glasballons mit eigentümlichen Metallverschlüssen hervorragten. Auf dem Stroh lag mit dem Gesicht nach unten die stämmige Gestalt Sir Morstans, dessen abgerissenen Kneifer ich übrigens vorsorglich zu mir gesteckt hatte.
Ein eigentümlicher, eisiger Hauch und ein gewisser fader Geruch, die aus der Tiefe emporstiegen, weckte in mir aufs lebhafteste eine Szene aus jener Nacht in Venedig, als der Mephisto die beiden anderen Gefangenen durch die Flasche mit dem Syphonverschluß hatte töten wollen.
Hier gab es kein Zaudern. Ich mußte hinab. Mit angehaltenem Atem glitt ich am Lasso abwärts, nachdem ich durch meine eingeklemmte Pistole das Zuschnappen der Treppenfalltür verhindert hatte. Es war ein fast übermenschliches Stück Arbeit, den schweren Sir Morstan emporzuschaffen. Ich trug ihn nach oben, und überließ ihn Freund Roger, der nur achselzuckend flüsterte: „Gasvergiftung!! Aber er lebt noch! Und er hat eine Pferdenatur. Sehr lange kann er dort nicht gelegen haben. Wieviel von den verteufelten Glasballons standen denn in dem Stroh, Olaf?“
„Acht … Und Morstan hatte Glück, er hat nur den Verschluß der einen beim Absturz für kurze Zeit niedergedrückt. – Entschuldige mich … Ich muß nach unten. Mephistos Zimmer interessiert mich zu sehr“
Im ersten Stock von Nr. 32 lag der Salon der Familie Building. Soeben war das Brautpaar von der Villa her über den Hof im Hause Nr. 32 erschienen und hatte am Sofatisch in den Sesseln Platz genommen.
Miß Honoria sah in der hellen, übereleganten Abendtoilette vielleicht noch reizloser aus als sonst.
Und dann der unglückselige Bräutigam im Frack!! Auch überelegant nach letzter Mode angezogen, aber niemals auch nur in bescheidenstem Maße dem Bilde entsprechend, das man sich von einem Milliardär und Börsenfürsten macht … Gewiß, noch vor kurzem war Josua Skarmy mit frecher Sicherheit aufgetreten, – um so anmaßender vielleicht, um die eigene innere Unausgeglichenheit zu verbergen.
Heute?! – Fahl und schlaff, mit müden abgehetzten Augen lehnte er im Sessel und stierte geistesabwesend ins Leere. Als seine Braut zu sprechen begann, schrak er nervös zusammen, Honoria Building gab sich auch nicht die allergeringste Mühe, in ihre etwas gezierte Stimme einen wärmeren Ton zu legen. „Josua“, sagte sie mit kühler Bedächtigkeit wie zu einem Fremden, „wir haben bisher keine Gelegenheit gehabt, unter vier Augen all das zu besprechen, was unsere gewiß ungewöhnliche Lage erfordert. Man wird uns drüben in deiner Villa nicht vermissen, und wir dürfen hoffen, daß gerade diese Stunde und die polizeiliche Bewachung beider Häuser unseren Peiniger fernhält. – Gestern abend erhielt ich seinen Befehl von ihm selbst, und kurz darauf dürfte er bei dir erschienen sein. Er verlangte, daß wir uns verlobten, und wir haben gehorcht … Gegen ihn gibt es kein Sich-Auflehnen, – – ich bin genau wie du seit Jahren seine Sklavin, und was es für ein intelligentes Mädchen bedeutet, einem ungreifbaren Phantom untertan zu sein, wirst du nie voll erfassen, denn du, – – nun, er hat mir die Geschichte deines märchenhaften Aufstiegs erzählt, ich weiß, daß du …“
Josua Skarmy trocknete sich schwer atmend die mit Schweiß bedeckte Stirn. Er schaute das Mädchen hilflos an, beleckte sich nervös die dicke Unterlippe und sagte mit seltsam spröder Stimme: „Honoria, – – wie gewann er diese Macht über dich?! Bei mir liegen die Dinge anders, er kannte mich als gerissener Hehler und …“ – er zögerte scheu – „… und als Anführer der bestorganisierten Bande im Hafenviertel, aber du …?! Gerade du, ein gelehrtes, gebildetes Mädchen, das studiert hat, das …“
„Ich habe gestohlen“, sagte sie klar und hart. „Gerade die Bildung verleitete mich zu Diebstählen aus der Staatsbibliothek, und er drohte mir mit Anzeige, und ich war ihm verfallen. Doch lassen wir diese Erinnerungen ruhen … Ich fühle mich elend und krank, deshalb trafen die Eltern und ich auch erst nach halb Zehn bei dir ein, Josua. Nun nenne mir das Versteck, – – und dann habe ich vorläufig meine Pflicht erfüllt …“
Skarmy nickte schwerfällig. „Gut, – – der Pavillon, Honoria … Und in dem Pavillon …“ – seine Stimme war nur noch ein leises heiseres Krächzen – „… die Marmorfigur, … der Sockel hinten … Platte …“ – er stöhnte kläglich … „Der Teufel muß es ihm zugeraunt haben, daß ich meine eigene Sparkasse habe!!“ Urplötzlich schlug seine weinerliche Stimme um, sein gedunsenes Gesicht rötete sich, und er sprang empor und reckte die geballten Fäuste hoch. „Erwürgen würde ich ihn, kaltblütig erwürgen!!“, zischte er, seiner selbst kaum noch mächtig. „Zum Mörder hat er mich gemacht, jedes nur erdenkliche Verbrechen mußte ich begehen, – – der Schuft, der feige Schuft!! Was bin ich in Wahrheit?! Generaldirektor Skarmy?! Lächerlich!! Eine Gliederpuppe bin ich, an Schnüren zappele ich, und seit diesen Unglückstagen in Venedig, wo auch noch die Feme der drei sich einmischte, bin ich vor Angst dem Wahnsinn nahe, – – nahe?!, – nein, ich bin bereits halb von Sinnen, ich kann nicht schlafen, ich sehe überall Gespenster, ich höre überall Geräusche, und ich würde lieber wieder wie einst …, – – Honoria, was war das?! Da – – man klopft … man läutet an der Haustür!“
Er krümmte sich halb zusammen vor grauenvoller Furcht.
„Honoria, wenn sie es sind, die drei … die Feme der drei!“, keuchte er atemlos.
Ein unergründliches, geringschätziges Lächeln umspielte des Mädchens dünne Lippen.
Sehr elastisch und kraftvoll erhob sie sich, öffnete das eine Fenster und lehnte sich hinaus … Von unten antworte ihr eine ärgerliche Stimme: „Miß, wir haben von Sir Morstan Befehl, ihm ins Haus zu folgen, falls er nicht in einer Stunde wieder bei uns sei. Die Zeit ist längst um.“
Honoria Building verfärbte sich etwas, wurde jedoch nicht einen Augenblick verlegen. „Sir Morstan ist, glaube ich, vorhin durch den Hof in den Garten der Villa Skarmy gegangen … – Nicht wahr, Josua, es war doch wohl Sir Morstan?“
Eine undeutliche Antwort folgte, die Beamten gaben sich zufrieden, und Honoria schloß das Fenster und die Vorhänge.
Skarmy blickte sie stier an. „Was ist mit Sir Morstan?!“, sagte er totenbleich.
„Wünschest du, daß ein Spion uns verrät?!“, sagte Honoria kalt. „Warte hier … Ich möchte nur einmal nachsehen, ob, … aber das kann dir gleichgültig sein …“
Zehn Minuten später legte das Brautpaar seine Mäntel an und entfernte sich wieder … Das Licht im Salon erlosch, und wieder nach einer Weile entfernten wir uns mit einem noch immer bewußtlosen Manne, dessen Transport uns manchen Tropfen Schweiß kostete. Unsere Limousine trug dann drei Leute gegen Südwest, und ich selbst schlich im strömenden Regen durch den Garten Josua Skarmys und stieg in den Marmorpavillon empor, dessen Rückwand eine hohe Statue mit scheinbar festem, aus einem Marmorblock gehauenen Sockel schmückte. Ich wollte mich hier nicht allzu lange aufhalten, ich hatte auch das ganze Gespräch des Brautpaares belauscht, und der einfache Verschluß, der Josua Skarmys „Sparkasse“ schützte, war bald gefunden. Ich leuchtete in die Höhlung des Sockels hinein und erblickte zu meiner Überraschung nichts als eine ältere, mittelgroße Reisetasche, aber ihr Inhalt entsprach durchaus dem Gewicht, und oben auf den sauber verschnürten Banknotenbündeln lag ein Paß mit einem Bilde Skarmys, aber mit anderem Namen. Der Generaldirektor, der nur das blindergebene Werkzeug eines anderen war, hatte alles für seine Flucht vorbereitet. Ich verschloß die Deckplatte wieder, und als ich gerade den offenen Pavillon verlassen wollte, blinkte mir durch den Regen ein weißer Fleck entgegen, und ich fand kaum noch Zeit, mich samt der Reisetasche hinter die in eine Ecke aufgeschichteten Gartenmöbel zu drücken, als Josua Skarmy im Frack und mit bloßem Kopf völlig durchnäßt die Stufen emportaumelte und mit einem jämmerlichen Ächzen vor der Marmorstatue der Göttin Juno wie ein erschöpfter Büßer zusammensank.
Skarmy war dem Zusammenbruch nahe, seine wirren Reden glichen denen eines Geisteskranken, und selbst in mir regte sich etwas wie Mitleid, da ich genau wußte, daß der Unselige lediglich das Opfer eines vollkommen herzlosen, dafür aber umso intelligenteren Geschöpfs geworden war … Schließlich rutschte er auf den Knien um den Sockel herum, – ich hörte den Metallverschluß der Platte knacken, ein Zündholz wurde angerieben, und eine zitternde Hand tastete in das Versteck hinein …
Ein grausiges, heulendes Wimmern folgte, das Zündholz erlosch, und der betrogene Betrüger, der noch in letzter Minute hatte fliehen wollen, zerrte mit einem schrecklichen Lachen einen Gegenstand aus seiner Hüfttasche hervor, ein dünner Knall folgte, ein Körper schlug schwer zu Boden, und da ich Stimmen im Garten vernahm, trat ich eiligst den Rückzug an, blieb jedoch im Hause der Familie Building, das von den Detektiven bereits vom Boden bis zum Keller durchsucht worden war. Ich kannte mich jetzt hier in den Räumen gut aus, und mir lag daran, die Heimkehr der Buildings abzuwarten, die sich durch die Auffindung der Leiche Skarmys noch eine Weile verzögerte. Die wertvolle Reisetasche hatte ich in Sicherheit gebracht, und eine allerletzte Frage sollte nun geklärt werden, was schon durch des kleinen, schmächtigen Herren Buildings erste Worte, als er im Salon in seinen Sessel sank, vollauf geschah. Seine große, hagere Frau weinte bitterlich, nur Honoria stand stolz, kalt und unberührt dabei. Ihr scharfes Männerprofil verriet eisigste, brutalste Gleichgültigkeit, als Mr. Cecil Building händeringend hervorstotterte: „Nun ist alles aus – – alles! Niemals hat ein kinderloses Ehepaar mit der Annahme eines Mädchens dunkler Herkunft an Kindesstatt schlechtere Erfahrungen gemacht als wir Ärmsten!“
Der kränkliche, blasse, unbedeutende Mann warf Honoria dabei einen Blick zu, als hätte er sie morden können.
Ein kurzes, schrilles, höhnisches Auflachen war das letzte, das ich, schnell mich entfernend, von dem Mephisto vernahm … –
Der neue Pförtner im Sromwell-Palais war höchst entrüstet, als er nachts um drei von einem Mr. Elsen herausgeklingelt wurde, der unbedingt sofort Lady Doris Sromwell zu sprechen wünschte.
„Wenn Mylady meinen Namen hört, wird sie mich unbedingt empfangen“, erklärte dieser Mr. Elsen mit einer Sicherheit, die den Pförtner schleunigst zur Höflichkeit zwang. „Ich bin ein alter Bekannter Myladys, und ich habe nur die Absicht, mir den nunmehr so gründlich gereinigten Palast etwas anzusehen …“
Ich behielt recht, Lady Doris erschien nach zehn Minuten in einem kostbaren Schlafrock, und ihre Begrüßung fiel so überaus herzlich aus. Sie ließ mich dann eine volle Stunde im ägyptischen Saal allein, und nach zunächst ergebnislosem Suchen hatte ich dann das gefunden, was den wahren Anstoß zu der Ermordung Lord Sromwells in der Kalahari gewesen war. Nachher ging Mylady auch auf all meine Vorschläge ein, und als ich nun endlich heimkehrte, fand ich Sir Morstan auf meinem Diwan bei Bewußtsein, aber noch sehr matt vor. Niemand war bei ihm. Ich selbst spielte den völlig Überraschten, und Sir Morstan schaute mich genau so verblüfft an, als ich ihm beiläufig erzählte, die Feme der drei habe mich gestern bei meiner Rückkehr aus Venedig empfangen, und nur diese Leute könnten ihn mir ins Haus gebracht haben. Anfänglich hegte er wohl Zweifel, nachher mußte er mir notwendig glauben, daß ich bei Lady Sromwell gewesen sei, und sehr vorsichtig veranlaßte ich ihn, vorläufig unsichtbar zu bleiben. – Über das, was mit ihm im Hause Building geschehen war, verlor er kein Wort.
Die Morgenzeitungen brachten die bewußte Annonce, und beim Frühstück schüttelte Sir Morstan als mein Gast darüber genau so erstaunt den mächtigen Schädel, wie über den telefonischen Anruf Lady Sromwells, die ihn bat, abends um neun zu ihr zu kommen.
Etwas später gab es auch bei den Buildings einige Aufregung, da Mylady an alle drei Buildings dieselbe Aufforderung richtete, hier unter dem Vorwand, den dreien insgeheim wichtige Aufschlüsse über den Tod Josua Skarmys und über das leere Sockelversteck geben zu können. – Inzwischen suchte die gesamte Polizei noch immer fieberhaft nach Sir Morstan. Extrablätter wurden ausgegeben, und als der Kriminaldirektor eins davon las, sagte er mit grimmiger Ironie zu mir – wir saßen gerade beim Mittagessen: „Mr. Elsen, da ist der Feme der drei ein Bursche durch die Lappen gegangen, der mir mehr Scherereien bereitet hat als ein Dutzend Schwerverbrecher! Dieser Börsenfürst war gegen Gesetz und Recht geradezu gepanzert, keiner traute sich an ihn heran, und … – – schweigen wir! Das sind sehr unappetitliche Amtsgeheimnisse!“
Ich merkte, Sir Morstan wußte doch nicht alles, noch nicht einmal die Hälfte. – Um halb neun Uhr abends verabschiedete er sich von mir. „Bin neugierig, Mr. Elsen, was Mylady von mir wünscht … – Und Sie?!“
„Ich werde arbeiten, Sir Morstan … Man hat mir heute eine tote Katze geschickt, die ich ausstopfen soll … – Gute Nacht, Sir Morstan …“
Kaum war er mit einer Autotaxe im neuen Anzug, Mantel und Hut, die meine brave Frau Gerron hatte besorgen müssen, davongefahren, als Freund Roger und Bick mein Arbeitszimmer betraten. „Schnell“, meinte Bickfort ernst, „die Limousine wartet, und wir müssen als erste an Ort und Stelle sein.“
Mylady hatte die ganze Dienerschaft für den Abend beurlaubt. Der ägyptische Saal, jetzt ein peinlich sauberes Museum, erstrahlte in vollem Lichterglanz. Vor dem einen mächtigen Kamin saßen im Halbkreis mehrere Personen, darunter die drei Buildings, – soeben führte Lady Doris auch Sir Morstan herein und wies ihm seinen Sessel zu, ein altertümliches, wertvolles und eigenartiges Möbel, das einst wohl besonderen Zwecken gedient hatte. Lady Doris nahm dicht neben ihm Platz, links von ihm saßen May Sromwell, dann folgten zwei tief verschleierte Frauengestalten, und ihnen schlossen sich die drei Buildings an.
Sir Morstan musterte argwöhnisch die stumme Versammlung und sagte dann ganz laut zu Lady Doris: „Diese Szenerie erinnert mich aufs unangenehmste an ein ähnliches Bild vor zwei Monaten. Damals starb hier Professor Gatherston und legte sterbend noch ein Teilgeständnis ab, aber damals waren die Feme der drei mit vertreten, und …“, – er brach jäh ab, hinter einem der großen Schränke waren drei Herren in tadellosen Abendanzügen hervorgetreten, schritten auf den Kamin zu und verneigten sich knapp. Sie trugen schwarze Ganzmasken vor den Gesichtern und spiegelblanke Zylinder, die sie vor den Anwesenden höflich-gemessen gelüftet hatten.
„Also doch zur Stelle!“, rief Sir Morstan, aber Mylady drückte ihn sanft in den Sessel zurück. „Warten Sie ab, Sir Morstan …!“
Der eine der drei begann zu sprechen. „Wir müssen hier einen der ungewöhnlichsten Fälle aufrollen“, sagte er mit gut verstellter Stimme, „in dem die Regierung eines Landes sich gezwungen sah, schwerste Verbrechen in Rücksicht auf die Allgemeinheit, auf die Stabilität der Währung, zu vertuschen. Wir, die Feme der drei, haben alle Einzelheiten restlos aufgeklärt. Die Hauptschuldige, auf die Gatherston hinwies, ist eine Person, die den anscheinend Hauptschuldigen, Josua Skarmy, nur als Strohmann benutzte. In Wahrheit wurden das Minensyndikat und die Skarmy-Bank von einer ebenso intelligenten wie gewissenlosen Frau geleitet. – Miß Honoria Building. Sie sind diese Person. Als Lord Richard in der Kalahari in einem trockenen Flußbett ungeheure Mengen von Diamanten gefunden und einen damit gefüllten Koffer mit heimgebracht hatte, zwangen Sie durch Josua Skarmy die Regierung, weil ein in seinen Folgen unabsehbarer Preissturz auf dem Diamantenmarkt eintreten mußte, dem Lord die Ausbeutung der neuen Mine zu verbieten. Lord Richard verbarg die Diamanten hier im ägyptischen Saal, und Gatherston und andere haben danach gesucht. Da Lord Richard sich in London nicht mehr sicher fühlte, kehrte er nach Afrika zurück. Als einzigen Hinweis auf seinen Fund in der Kalahari strich er in einem Buche eine Stelle über „Erstarrte Tränen“ an. Miß May hat dieses Buch aus Afrika später mitgebracht. Sie, Honoria Building, ließen den Lord ermorden und bemächtigten sich nachher auch der beiden ältesten Töchter und sperrten sie in Venedig insgeheim ein. Nur Miß May entging Ihnen zunächst. – Als die Dinge in Venedig für Sie durch Skarmys Dummheiten gefährlich wurden, spielten Sie mit Ihren Pflegeeltern, die Sie völlig beeinflußten, die Feme der drei und jagten Skarmy durch das nasse Bad in der Gondel einen solchen Schreck ein, daß er jetzt hier in London blindlings die Befehle des „Mephisto“ befolgte, das heißt: Ihre Befehle! Er verlobte sich mit Ihnen, er wollte und sollte sein ganzes Vermögen Ihnen übereignen, und er mußte Ihnen auch verraten, wo er sein verheimlichtes Vermögen verbarg. Dann erschoß er sich. Sie hatten seinen Nerven zu hart zugesetzt. Die Reisetasche mit Skarmys „ersparten“ Millionen liegt übrigens dort, wo noch jetzt eine Puppe liegt, die Sir Morstans Kleider und Hut trägt … – Verantworten Sie sich, wenn Sie es können …!“
Honoria Building lachte leise. „Und, – wie wollen Sie all dies beweisen?!“
Der Richter der Feme der drei sagte streng: „Dort sitzen Lord Richards Töchter … alle drei! Und hier ist das zerlesene Buch, das Miß May mitnahm, nachdem Doktor Gregorell sie vor den Tieren der Wüste gerettet hatte … Und hier …“ – ich schob meine Freunde beiseite und klappte das Stück des marmornen Kaminsimses herab, „hier rieselt nun der Inhalt des Koffers Lord Richards auf den Boden, – – Diamanten jeder Größe …“
Ein wahrer Strom von Edelsteinen floß wie ein Quell sprühend und glitzernd und leise klirrend auf die Steinplatten.
„Dies hier“, rief ich mit erhobener Stimme, „ist der Grund zu Lord Richards Ermordung: Eine Überfülle von Diamanten! Sie aber, Honoria Building, verurteilen wir, die Feme der drei, zum Tode … Ihre Verbrechen würden vertuscht werden, genau wie die Skizze vernichtet wurde, die der Lord von seiner Fundstelle anfertigte, deren Lage nun niemand mehr kennt. Sie haben den Tod verdient, – – wählen Sie, hier ist eine Waffe, finden Sie den Mut, sich selbst auszulöschen, und sollten Sie …“
Sir Morstan hatte plötzlich eine Pistole in der Hand und wollte aufspringen.
„Halt!“, rief er … „Halt, – ich als …“
Doch der alte Sessel zeigte nun seine noch immer tadellos arbeitenden Eigentümlichkeiten. Stahlbügel schnellten aus den Polstern hervor, und Sir Morstan suchte sich umsonst aus dieser mehrfachen eisernen Umklammerung zu befreien.
Eine flinke Mädchengestalt benutzte diesen Augenblick, wo alles nur auf den wütend tobenden Sir Morstan achtete, zu blitzschneller Flucht.
Bickfort und ich wollten hinterdrein, aber der Baronett hielt uns fest.
„Wir finden sie schon, – – verschwinden wir …“
Eine dunkle Limousine jagte der Gasse unweit des Hyde-Parkes zu, und als Sie vor Nr. 32 stoppte, stand die Haustür weit offen …
Wir stiegen aus, Freund Roger eilte die Treppen empor, – dann über uns auf der Bodentreppe ein Schrei, und die gewandte kräftige Mädchengestalt glitt in die Tiefe. – – Glas splitterte, und die beweglichen Stufen schnappten geräuschlos wieder nach oben.
„Olaf, es hat keinen Zweck“, sagte Sheffield eisig. „Bemühe dich nicht … Ich habe heute an dieser Falltür einige Veränderungen vorgenommen … Sie öffnet sich nicht mehr … Nicht ohne Grund bat ich dich, zu erklären, Josua Skarmys Sparkasse läge hier. Mephisto wollte diese Handtasche holen und fliehen … Mephisto ist geflohen – in ein anderes Jenseits …
Am nächsten Morgen meldeten die Zeitungen, daß Miß Honoria Building offenbar einem Anschlag der Feme der drei zum Opfer gefallen sei. Näheres könnte nicht mitgeteilt werden, da die Polizei sich in Schweigen hülle.
Inzwischen waren auf dem Postamt am Hyde-Park ganze Stöße postlagernder Briefe eingetroffen, und tagelang hatten wir damit zu tun, sie genau zu prüfen und eine Unmenge Wertbriefe versandfertig zu machen, im übrigen eine Arbeit, die uns voll befriedigte und uns sehr glücklich stimmte.
Dann kam ein Morgen, an dem meine Aufwärterin Frau Gerron freudestrahlend in mein Zimmer stürzte und mir stotternd und weinend berichtete, sie habe heute früh einen Wertbrief erhalten, der den dreißigfachen Betrag ihres Verlustes ihrer Ersparnisse enthalten habe.
„Begreifen Sie das, Mr. Elsen?! Keine einzige Zeile lag dem Gelde bei, nur auf die Rückseite des Umschlages war eine 3 gemalt … Ich wollte, das Geld kommt von der Feme der drei! Ach, wenn ich doch nur einen der drei kennen würde, Mister Elsen, ich würde ihm herzlichst die Hand drücken. Josua Skarmys Handtasche ist ja noch immer nicht gefunden … Die drei werden die Millionen an die armen Geschädigten verteilt haben.“
Ich lächelte still und streckte ihr die Hand hin. „Liebe Frau Gerron, nehmen Sie meinen Glückwunsch und meinen Händedruck als Ersatz hin … – Und jetzt decken Sie mir den Frühstückstisch, ich habe einen richtigen Frühjahrsappetit … Sehen Sie nur, wie prächtig draußen die Aprilsonne scheint …“
Bereits die Mittagsblätter brachten das Allerneueste: Daß Josua Skarmys „Ersparnisse“ nun wieder in jene bescheidenen Quellen zurückgeflossen seien, daß es in England eine Unmenge Beglückte gebe und daß wohl kein Zweifel darüber bestehe, daß die Zahl 3 auf der Rückseite der Umschläge etwas zu bedeuten habe.
Nachmittags ruderte ein von drei Herren besetztes Boot bei strahlendem Sonnenschein an dem Themse-Häuschen des alten Gregorell vorüber, und im Garten wanderten Arm in Arm Lady Doris mit ihren beiden ältesten Stieftöchtern und das Brautpaar sowie Gregorell hin und her.
Ganz langsam fuhr das Boot vorüber, Mylady blickte scharf hin, nickte Mr. Elsen heimlich zu und … schwieg.
Freund Bickfort ließ die Ruder schleifen und sagte neidisch-ernst: „Glückliche Menschen!! Die kennen nicht unsere Sorgen und Pflichten, die nie aufhören. Kaum haben wir ein Vampirnest ausgehoben, stößt man schon auf ein neues!“
Der Baronett drehte sich um. „Bist du etwa bereits auf einer neuen Fährte, Bick?!“, brummte er scheinbar mißmutig.
Ich lachte Sheffield vielsagend an. „Bick war die letzten drei Nächte irgendwo außerhalb. Und wenn Freund Bick seine Nachtruhe opfert, bedeutet das stets Arbeit …“
„Eine sehr, sehr dunkle Sache“, murmelte der junge Warner nachdenklich. „Abends wollen wir beraten … Bis dahin – – freuen wir uns dieses prächtigen Frühjahrstages! Und wenn du auch noch so neugierig bist, Roger, du mußt dich schon gedulden … – Hallo, drüben am Ufer das Wäldchen, – dort wollen wir lagern und unseren Picknickkorb öffnen …“
Verlagswerbung:
An unsere Leser!
50 Bände der „Erlebnisse abseits des Alltags“ von Max Schraut liegen vor. Sie haben das gebracht, was sie bringen sollten: eine Entspannung für den Leser und eine Ablenkung von den Sorgen und Mühen des Alltags.
In den folgenden Bändchen, die jetzt unter dem Titel
Drei von der Feme
(Band 1: Das Schlangenhaupt der Medusa.)
erscheinen werden, geht Olaf K. Abelsen andere Wege. Aber auch diese Wege werden interessant und handlungsreich sein, gelten sie doch dem Kampf gegen Unsauberkeit und strafbarem Eigennutz in jenen Formen, die von den Gesetzen nicht erfaßt werden.
Der Preis der neuen Ausgabe beträgt 20Pfg.
Vierzehntägig ein neuer Band.
Wir bitten unsere Leser herzlichst, unserer neuen Ausgabe treu zu bleiben und diese bei ihrem Buchhändler zu verlangen.
Der Verlag.