Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 11 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Der dumpfe Schrei, der durch die schweigende Nacht der Wüste wie ein Peitschenhieb mein ahnungsloses Ohr erreichte, war der schreckhaft verzerrte Name, den mir Sussik, phantasievoll wie all diese Nomaden der Einsamkeit der Libyschen Wüste, in kritikloser Überschätzung meiner weltabgewandten Person in letzter Zeit zugelegt hatte.
Der Schrei war so eigentümlich verzerrt und brach so urplötzlich ab, daß sogar mein Hund die Ohren spitzte, der doch an Sussiks Stimme und schrille Jagdrufe gewöhnt war.
Unser Lagerplatz befand sich in einem steinigen Flußbett, das nur zur Zeit der gewaltigen Regengüsse im fernen Abessinien lehmige Fluten kannte. Jetzt war es nichts als ein Teil der Sandwildnis, die sich ringsum in Dürre und Trostlosigkeit bis zu dem fruchtbaren Landstreifen am Nilufer hinzog.
Ich war aufgesprungen, die Hand hatte in selbstverständlicher Bewegung nach der Büchse gegriffen, und nur das glatt anliegende braune Rückenhaar Wrangels und seine Teilnahmlosigkeit beruhigten mich ein wenig. Der Hund, Abkömmling polarer und südlicherer Arten, besaß einen so sicheren Instinkt für drohende Gefahr, daß ich gemächlich dahinschlenderte …
Sussik würde ein Tier in der Schlinge gefangen haben, sagte ich mir. Die Schußwaffen konnten wir aus bestimmten Gründen nicht benutzen.
Es herrschten seit gestern mittag, wo wir die sauber getilgte Elefantenfährte mühsam unendliche Meilen weit bis hierher verfolgt hatten, bei uns Fleischknappheit und Durst. Die Nacht hatte uns gezwungen, die Verfolgung derer, die hier nur in unlauterer Absicht wieder erschienen waren, vorläufig aufzugeben. Zwei unserer Schläuche waren undicht geworden, und das Lastdromedar hatte die Dusche, die ihm über die Rippen rieselte, wohl nur als angenehm empfunden und nicht weiter durch irgendwelche Anzeichen erhöhter Lebendigkeit verraten.
Sussik hatte dann im Südteil des Tales die Spuren von Hasen entdeckt und vor den Sandlöchern Schlingen aufgestellt. Die Hasen waren fett und gut im Pelz, ihre geringe Intelligenz führte sie leicht in die verderblichen Hanfschnüre.
Möglich, daß ich damals nicht so ganz auf der Höhe war, weder geistig noch körperlich. Gewiß, die Trennung von all den lieben Freunden, mit denen ich in der Oase zwischen den Dünenbergen so freudige und traurige Stunden verlebt hatte, lag viele Wochen hinter mir. All das, was mit James Cordy und seiner Gattin an buntem Erleben zusammenhing, all das, was durch Gussy Gollans zierliche Schönheit an mein Herz gerührt hatte, war vergessen, verschmerzt. Aber ein stumpfes Grübeln war dennoch geblieben. Mochten auch Gold und Reichtümer, die noch von den Pharaonenzeiten aufgespeichert sein konnten – damals, als die alten Ägypter das Goldland Nub noch nach Edelmetall durchwühlten, mir genau so gleichgültig sein wie die ganze fadenscheinige Zivilisation der Neuzeit, – kein Mensch geht an einem ungeklärten Geheimnis mit geschlossenen Augen vorüber, wenigstens keiner meines Schlages, dem das Abenteuer fernab den Pfaden des Alltags Bedürfnis geworden, Lebenselixier und Kraftquelle. Vielleicht hatten in meinem Unterbewußtsein diese spürenden Gedanken ärger an mir genagt, als ich es selbst empfand. Ich befand mich in einem Zustande der Unausgeglichenheit, und als Sussik, der Bischarin, mir die Patronenhülse gebracht und mir von dem sorgsam bedeckten Elefantenunrat berichtet hatte, als wir dann in Erinnerung an die Rüsselträger der trügerischen Filmexpedition schleunigst aufgebrochen waren, da die Herren Howard Houston und Owen Darß sich doch eines Schlechteren besonnen haben konnten und die vermuteten Schätze der Oase die Angst vor einigen bitteren Bleipillen abgeschwächt haben konnten, – als wir mit unseren drei prächtigen Bischarin, diesen Elitetieren einer glänzenden Dromedarzucht, das verborgene grüne Paradies verlassen und die eindeutige Elefantenfährte aufgespürt hatten, da war ich doch nicht in jener glutvoll-beseelten Abenteurerstimmung gewesen, die die Sinne bis zum äußersten schärft und aus dem friedlichen einstigen Ingenieur den Halbwilden mit den Instinkten der Wilden formte.
Wrangel, der Hund, lief mit halb gesenkter Rute drei Schritt vor mir her.
Armer Kerl …
Wenn der Wind von Süd gekommen wäre, lebtest du noch. Deine feine Nase hätte trotz des Aasgeruches, der uns zwischen den weißen Klippen der Kalksteine entgegenquoll, die Schurken gewittert.
Der doppelte harte Peitschenschlag zweier Büchsenschüsse, das kurze Aufheulen Wrangels und der schmerzhafte Ruck in den meine Remington umklammernden Fingern machte mir die drohende Gegenwart bewußt.
Wrangel war zu meinen Füßen zusammengebrochen, meine Waffe war mir weggeschleudert, meine Augen starrten stier auf den zuckenden Körper des treuen Begleiters so mancher pfadlosen Wanderung.
Schmerz, Wut, Kampfgier, – – raus mit der Pistole – – Sprung zur Seite, – – zwei neue Kugeln dort aus den Klippen gehen fehl – – Deckung nehmen, angeschmiegt an spitzes Geröll, vorwärts wie die giftige Kobra, die nachts aus ihrem Loche schlüpft und sich dahinwindet wie graugrünes schleifendes Tau mit dickem Kopfknoten, – – dann freier Blick über den südlichen Talwinkel, – ein trabender Koloß, ein Elefant, auf dem Halse zwei feige Jämmerlinge, und … Dromedare. –
So verlor ich Wrangel, so stahlen die Schurken mir die Dromedare, narrten mich, lockten mich eine Strecke hinter sich her …
Die Mondsichel schien höhnisch zu grinsen.
Olaf, alter Buschläufer, – du rennst dem Dickhäuter nach wie besessen, – du mit deiner Pistole!
Ein Narr warst du!
Die Besinnung kam, ich kehrte um, keuchend, erschöpft, mit mir selbst zerfallen, meine Torheit verwünschend, bedrückt von dem aufrichtigen Schmerz um meinen Hund, in Sorge um Freund Sussik, in einer Stimmung, die den Menschen herabdrückt zur primitiven Bestie, die irgendwie das jagende Blut kühlen möchte – – in fremdem Blut …
Nichts von Sussik, umsonst mein Rufen, – nur schrille Echos in den düsteren Schieferfelsen, die den nubischen Wadis ein so eigenartiges Aussehen verleihen, – Kalkstein neben zermürbten Schieferschichten, heller Sand neben Schutthalden, – – und kein Sussik mehr, kein lautes Gekläff des braven Hundes …
Nur die Töne der Wüstennacht, ständig sich gleichend, sanfte Sinfonie der Einsamkeit, – rieselnder, klingender, windbewegter Sand, ferner Schrei von Nachtvögeln, Füchsen, Schakalen …
Schließlich das Schlimmste, das Todesurteil: Die Dromedare verschwunden, entführt … Nichts mehr am Lagerplatz als die glühende Asche des Feuers, ein paar traurige benagte Knochen, die runden tellerförmigen Eindrücke von Elefantenfüßen. Todesurteil ohne Wort und Papier, Todesurteil durch das eherne Gebot: Stirb durch den Durst!!
Meine Büchse am Schloß durch die Kugel so beschädigt, daß der Mechanismus versagte, – die Pistole ein Spielzeug bei diesem Kampf um das bißchen Leben …
So sah mich diese Nacht, und meine Uhr zeigte die zweite Morgenstunde.
So saß ich am verglimmenden Feuer, ein blinder Tor, ein Todgeweihter inmitten des ödesten Teiles unendlicher Steppen.
So hatte ich noch nie im Sande gehockt und vor mich hin geschaut und mit mir gehadert und die eigene Kurzsichtigkeit in grimmem Aufbegehren verwünscht.
So hatte ich noch nie das Tageslicht herbeigesehnt, um mit brennenden Blicken die letzten Zeichen dessen zu deuten, was sich hier abgespielt hatte, bevor der flüchtige Sand alles verdeckte.
Lange saß ich so – so lange, bis abermals die Reaktion kam, das innere Aufbäumen, das knirschende Zusammenbeißen der Zähne und das erlösende Bewußtsein, daß der Tod mich bereits in so mannigfacher Gestalt umschlichen hatte und doch immer die scharfe Sense zurückgezogen und das Stundenglas mit dem rieselnden Rest des Lebenssandes im oberen Glasoval barmherzig umgewendet und mir neue Frist gewährt hatte.
Ich stand nicht auf, ich fuhr hoch, beschämt über den eigenen Kleinmut, meinen Hund holte ich, wühlte eine Vertiefung an steiniger Stelle, deckte eine Felsplatte über ihn, häufte Steine darüber, die keine Tierklaue bewältigen konnte. In Frieden, ungestört, unberührt sollte des Hundes Leib zerfallen, zu Staub werden – – wie wir Menschen, wenn unsere Pilgerfahrt vorüber und das allerletzte Bett uns aufnimmt und die Ewigkeit uns umarmt hat. – –
Die Nacht kroch vor dem grauen Morgen in finstere Klüfte zurück.
Der Tag war da.
Ich schritt zu den Klippen.
Sie schwiegen … Sie waren hart und gefühllos, sie hatten nichts von Sussiks weichen Sandalen in ihrer harten Oberschicht vermerkt.
Kein Tropfen Blut …
Vier Patronenhülsen …
Drei Hasenschlingen …
Das war alles.
Warten – – harren?!
Nein – vorwärts – – durch!!
Die mäßige Kühle der Morgenstunden ausnutzen …
Als Ziel unsere Oase … Der Kompaß einziges Mittel, die Durststrecke abzukürzen.
Ich marschierte … allein … zu Fuß. Vor mir die wellige Ebene, vor mir Berge, kahl, nackt, trostlos …
Und die Sonne stieg – wie jeden Tag.
Lichtblau der Himmel …
Nur ein Begleiter neben mir …
Mein Schatten …
Erst lang gereckt, so lange die Sonne noch tief stand.
Mein Schatten, schrumpfend …
Und das Schrumpfen bedeutete Hitze, Glut, brennenden Durst, rinnenden Schweiß, schleifende Füße, keuchende Lungen … –
Mittags drei Stunden Rast in einer Felsenwildnis, die ich verzweifelt nach einer natürlichen Zisterne durchsuchte, nach einer Vertiefung, in der sich das belebende Naß eines ergiebigen Regens angesammelt haben könnte.
Könnte …
Eitle Hoffnung …! Vergeudung letzter Kraft, Qual für die des Fußmarsches ungewohnte Haut. Blasen unter den Sohlen, wund die Zehen, – verwöhnt die Stützen des Leibes durch den bequemen Dromedarsattel, durch den langen schlanken Trab der edlen Bischarin, die keine Ermüdung kennen, die hochmütig dreinblicken und den Kopf so stolz tragen …
Lager auf hartem Gestein, Hindämmern in halbem Schlaf, – unsinnige Traumbilder, Aufschrecken, Erkenntnis der verzweifelten Lage …
Und doch: Weiter!!
Leer der Magen, leer das Hirn, Lippen spröde, Mundhöhle nur mehr wie Leder …
Nicht mehr marschieren, nur noch taumeln, – der Körper ohne Feuchtigkeit, ohne Schweißabsonderung, die Augen vorgequollen, nicht mehr Organe des Sehens, nur noch Vermittler trügerischen Spuks …
Dann – – wie ein haltloser Sack Sturz in die Tiefe, Knistern von Zweigen, menschliche Stimmen, Schreie, – –
… und tiefe, friedvolle Bewußtlosigkeit.
… Neben mir in dem gelblichen Leinwandzelt saß ein kleiner Mann mit einem riesigen Tropenhelm. Aus einem stoppelbärtigen, verkniffenen, zerknitterten Gesicht blickten mich ein paar blanke Augen hinter gelben Gläsern einer Sonnenbrille blinzelnd an. „Es war höchste Zeit,“ sagte Doktor Reginald Forrester. „Hätte der Zufall Sie nicht gerade in diese Schlucht geführt, würden Sie jetzt wohl draußen irgendwo als … – na, die Hauptsache, so weit ist es nicht gekommen … – Wie fühlen Sie sich?“
„Den Umständen nach sehr gut …“
„Zäh scheinen Sie zu sein … Ihre Füße waren in beklagenswerter Verfassung. Ich kann Ihnen nicht dringend genug jeden Morgen ein Fußbad mit etwas Salz darin empfehlen, nachher Massage der Wunden und dann ganz leichte wollene Socken.“
„Geben Sie mir bitte, falls vorrätig, einen Becher Tee mit Whisky, nein, Whisky mit Tee. Ihre sonstigen Rezepte sind, verzeihen Sie, hier nicht gut anwendbar und daher für die Katz’.“ Ich konnte schon wieder lächeln, und er lachte mit.
Jetzt erst bemerkte ich links neben mir einen hellbraunen Fellachen in einem tadellosen weißen Anzug. Der Mann mischte sorgfältig das Erbetene. Aber mit dem Whisky war er zu sparsam.
„Mehr Alkohol,“ – und meine heisere Stimme klang schon menschenähnlicher.
Dies war meine erste Begegnung mit Reginald Forrester und seinem Reisemarschall Mehmed Said. Daß sie mir das Leben gerettet hatten, – ich dankte es ihnen von Herzen, – daß Sir Forrester unter nicht endenwollendem Gerede von mir bis ins einzelne zu wissen wünschte, woher ich käme, weshalb ich eine demolierte Remington mit mir herumschleppte – und vieles andere, paßte mir wenig. Es gab nur ein Mittel, seinen bohrenden Fragen zu entgehen: Müdigkeit vortäuschen! Denn was sollte ich antworten?! Jeder Satz wollte überlegt sein … Unsere Oase war tabu. Die Wahrheit bedeutete hier, unendliche Neugier wecken.
Ich schlief ein, und das war die einfachste Lösung. Mein Erwachen vollzog sich unter Umständen, die wenig friedfertig waren. Es war längst dunkel geworden, und eine äußerst lebhafte Debatte außerhalb des Zeltes, dazu ein zeitweise kräftig einsetzender Chor von brüllenden Stimmen deuteten auf gewisse Differenzen zwischen Forrester und Said einerseits und seinen Trägern anderseits hin. Der Engländer hatte mir bereits kurz erzählt, daß er Privatgelehrter sei und die Absicht habe, durch Nubien, den Sudan und die Gebiete der großen Seen bis Britisch-Ostafrika vorzustoßen. Er mußte reich sein, denn er hatte einen Troß von etwa vierzig Farbigen bei sich. Seine Safari (Trägerkolonne) bestand nicht nur aus Fußgängern, sondern auch aus Berittenen. – Mehr wußte ich vorläufig nicht.
Ich erhob mich, lockerte meine beiden Pistolen und schlug den Vorhang hoch.
Das Bild draußen war das übliche für die vorliegenden Umstände: Vier helle Feuer, ruhende Kamele, ein Haufe mehr oder weniger bekleideter wilder Gestalten und ihnen gegenüber der kleine Doktor und der schlanke, fast vornehm aussehende Fellache.
Mein Erscheinen änderte nichts. Die Kerle, die hier Sir Forrester in die Enge zu treiben suchten, waren eine Elitesammlung aller Couleuren und aller Orientgaunervisagen. Der „Sprecher“ entpuppte sich als Armenier, war ein ungeschlachter Kerl in hellem Haik mit roter Schärpe und einem Waffenarsenal, das ihm jeder Antiquitätenhändler freudig abgenommen hätte.
Dieser Held hieß Selim.
Er schielte links, und eine Schmarre, die vom linken Ohr bis zum Kinn lief, deutete auf unangenehme Erfahrungen mit einer Nilpferdpeitsche hin.
Herr Selim unterstützte seine drohenden, stolpernden Sätze durch sehr lebhafte Armbewegungen. Die ganze Sache lief darauf hinaus, daß die Safari-Schufte das Doppelte des in Bir Schikr vereinbarten Trägerlohnes forderten und mit sofortiger Umkehr und eigenmächtiger Begleichung ihrer ungerechtfertigten Ansprüche durch „Beschlagnahme“ der Kamele drohten.
Ich besitze nun selbst für die schwer auseinanderzuhaltenden Gesichter von Farbigen ein recht gutes Personengedächtnis, und ein Blick über diese halb bes… trunkene Rotte Korah erinnerte mich sofort an die edlen Begleiter eines gewissen anderen Engländers.
Ich hatte die Lagerfeuer im Rücken, Selims Visage war vom Flammenschein noch rotbrauner getüncht, und der Rest der Leute, Araber, Fellachen, Neger und zwei Mongolen, sekundierten seiner Hetzrede durch immer lebhaftere Brüllchöre.
Mehmed Said stand scheinbar teilnahmlos dabei: Er gefiel mir. Er hatte stille, verschlossene Züge von fast europäischem Schnitt, seine Hautfarbe zeigte ein lichtes Braun, und unter seinem turbanähnlich geschlungenen weißen Kopftuch kam eine graue, ungekräuselte Haarfülle zum Vorschein. Seine rechte Hand lag zwanglos an der Schnalle seines Ledergürtels, aber neben dieser Schnalle hingen die neuen braunen Futterale zweier Repetierpistolen. Er war offenbar in Kleidern schlafen gegangen, während Sir Reginald ein hochmodernes gestreiftes Seidenpyjama trug.
Selim stellte schließlich sein Ultimatum: Entweder Vorauszahlung des doppelten Lohnes für vierzehn Tage oder … Beschlagnahme der zehn Dromedare.
Forresters Antwort überraschte mich.
Er holte aus und versetzte Selim eine Ohrfeige, – versetzte ihm aber gleichzeitig mit der Linken einen so genau abgepaßten Kinnhaken, daß ich Reginalds Boxlehrer nur loben konnte.
Selim flog rückwärts zwischen seine Kumpane, – Mehmed hatte plötzlich seine Pistolen in der Hand, – ich auch, und Mehmed rief der Bande ohne sonderliche Erregung zu:
„Fesselt den Kerl! Wer nicht gehorcht, stirbt!“
Das war eine Radikalkur.
Angesichts von vier automatischen Pistolen verflüchtigen sich freche Wünsche und Alkoholdünste gleichmäßig schnell.
Auch Sir Reginald brachte jetzt einen Kugelspucker aus der aufgebauschten Pyjamatasche zum Vorschein, trat vier Schritte vorwärts und zielte auf Selims etwas verschobene Kinnlade.
Die Vorbeter der Brüllchöre waren – wie immer – die ersten, die sich der veränderten Lage wortlos fügten und ihren Freund Selim schmählich im Stiche ließen. Selim wurde an eine nahe Felszacke gebunden, und Mehmed sammelte derweil die Schießprügel der Safari ein. (Die Schreibweise Saffari mit ff ist falsch, es sei denn, daß damit nicht eine Trägerkolonne, sondern die persische Herrscherdynastie bezeichnet würde, deren Begründer Saffar, „der Schmied“, war.) All das vollzog sich lediglich unter dem überlauten Protest des pockennarbigen, schielenden Armeniers, den ich mir dann zu weiterer Zwiesprache ein wenig vornahm, indem ich ihm unter Schonung der halb verrenkten Kinnlade die Pistolenmündung in die Rippen bohrte.
„Wo steckt Mr. Houston?“
Die Frage wirkte stärker als der Kinnhaken. Sein Unterkiefer sank vor Schreck herab, und plötzlich schrie er angstschlotternd:
„Oh, – – Mr. Lensen!!“ – Unter dem Namen kannte er mich.
„Es stimmt, Selim, – derselbe Lensen, der euch eine Kugel zusagte, wenn je wieder einer von euch das Gebiet der Bischarin betreten sollte. Lady Jane versprach euch sogar noch übleres …“
Seine Gesichtsfarbe spielte ins Kittgrau, seine Augen zeigten das Weiße, und sein Mund schrie mit allerhand Zahnstummeln nach einem Plombenschmied und Dr. med. dent.
„Herr, ich … ich …“
Seine Zunge zeigte bedenkliche Lähmungserscheinungen.
Der Lump tat mir leid. Er war doch schließlich nur Werkzeug. Die Drahtzieher saßen anderswo – auf einem Dickhäuter, der mit dem Rüssel Bäume ausreißt. Selim war wohl Dickhäuter, abgebrüht, aber Bäume ausreißen, die eigene pockennarbige Haut zu Markte tragen?! Das nicht!
„Wo ist Mr. Houston?!“
„Herr, ich …“
„… ich lüge schon deshalb, weil ich ein Armenier bin,“ ergänzte ich mit klarer Ironie. „Und ich, Selim, lüge selten … Wenn du lügst, lüge ich nicht, dann liegst du mit einer Kugel im Brustkasten da, und – mir liegt nichts daran, Ägypten um einen schieläugigen Ehrenmann ärmer zu machen. Du bist der Obmann der Safari, – Said sagte es, – du erbotest dich an der großen Karawanenstraße, zuverlässige Leute bis Chartum anzuwerben. Sie sind genau so zuverlässig wie du, und ihre lieben Gesichter erinnern mich an eine gewisse wilde Flucht einer Filmexpedition vor den Speeren der Bischarin. Selim, Selim, du wirst gespeert werden, und wenn du erst einmal mit einer Lanze in den Sand gespießt bist, wie eine Aasfliege an den Pappkarton eines Sammlers, ist es zu spät. Gestehe, daß Houston und der Börsenschieber Owen Darß dich bestochen haben. Ihr steht miteinander in Verbindung, vielleicht weißt du auch, was aus meinem Freunde Sussik geworden ist.“
Es ist stets verfehlt, Leuten, denen man ein Geständnis entlocken oder erpressen möchte, allzu langatmige Vorträge zu halten.
Seine Maske ängstlicher Biederkeit trug zu krasse Striche. Er gab zu, daß Howard Houston in Bir Schikr den Versuch gemacht habe, ihn zu bestechen, – aber er habe aus Furcht vor Lady Jane und ihren wilden Reitern abgelehnt, er wisse nur, daß Houston und Owen Darß mit drei Nubiern wieder in die Wüste gezogen seien.
List gegen List, dachte ich.
„Ich glaube dir, Selim …“ und ich band ihn selbst los. „Du hättest ja keinen Grund, mich anzuschwindeln, die Wahrheit hätte dir nur Vorteile gebracht.“
Das Lager kam wieder zur Ruhe. Mehmed nahm die leider zumeist schon leeren Whiskyflaschen mit ins Zelt, und Sir Forrester spielte bei den Tieren erste Wache. Die Safari-Leute hüllten sich in ihre flohreichen Decken, ruhevolles Schnarchen erklang, und ich stand im Zelt und hatte mit dem Messer die eine Zeltbahn ganz wenig lädiert.
Selims Schlafplatz, sehr schlau ausgewählt, befand sich abseits im Schatten hoher, überhängender Schieferplatten, die der nagende Sand unten im Laufe von Jahrtausenden weggenagt hatte. Daß der Armenier noch in dieser Nacht sich ohne Abschied empfehlen würde, war mit ziemlicher Gewißheit anzunehmen.
Ich knöpfte die hintere Zeltbahn auseinander, schob mich hindurch und in das Geröll hinein, kroch an der Schluchtwand entlang, fand eine lehmige Rinne und überquerte die Schlucht, näherte mich wieder dem Lager und kam bis dicht an Selims Schlafplatz heran.
In demselben Moment, als ich die Wolldecke wegriß und des Armeniers raffinierten Betrug in Wahrheit „enthüllte“, denn unter der Decke lagen nur drei trockene Büsche und der Sattel, war Sir Reginald mit einem Warnungsruf emporgeschnellt, hatte die Waffe an die Schulter gepreßt und feuerte …
Dort, wo die Dromedare unter der Obhut zweier Wachen ruhten, gab es ein wildes Getümmel, – ein einzelnes Tier preschte nach Süden davon, und eng an den Hals geschmiegt hob sich von dem hellen Fell die Gestalt eines Mannes ab …
Selim …!
Er hatte mich überlistet, er gewann hunderte von Metern Vorsprung, bevor ich ein anderes Tier gesattelt hatte, – eine störrische Bestie ausgerechnet, die boshaft um sich schlug, gräßlich schrie und erst nach einem Fausthieb zwischen die Ohren leidlich in Gang kam.
Alles im Leben ist Bestimmung.
Später habe ich diese magere, unendlich hochbeinige Kanaille gestreichelt, und Lizzie hat ihr die besten Datteln herausgesucht und sie – es war ja ein „er“ – zärtlich Baschuka getauft.
Baschuka ist dem Bischarindialekt entnommen und bedeutet etwa „Engelchen“ …
Daß dies ruppige Vieh mal ein Engel werden würde, hätte ich mir damals auf seinem Buckel nicht träumen lassen.
Nubien bietet nichts. So liest man’s in den gedruckten Anweisungen zur geistigen Fortbildung im Umherziehen. Nubiens Wüsteneien seien von Nomaden bewohnt, die zum Teil noch heimlich dem Räuberhandwerk huldigen. – Stimmt. – Stimmt. Karawanenüberfälle a la Karl May sind noch heute in der Glanzepoche technischen, kulturellen Aufschwungs durchaus keine Seltenheit. Nur daß sie sich etwas weniger romantisch abspielen, als der Erfinder des Hadschi Halef Omar dies dem Papier anvertraute. Was und wie Nubien ist, schrieb ich vor Monaten in unserer Oase nieder, im bequemen Zelt, an einem Steinschreibtisch, der so alt war, daß man mit Jahrtausenden rechnen mußte.
Heute?!
… Auch ein Zelt … Aus stärkstem Tropenleinen … Dazu ein Klapptisch, geliefert von Broderson, London, Großfirma für Afrikabedarf. Klappstuhl dito. Sogar Füllfederhalter, Reginalds Eigentum.
Und wenn ich vom Papier aufblicke, sehe ich zuerst Lizzies feines Profil im Liegestuhl und dann durch den offenen Zelteingang die ostafrikanische Steppe … In endloser Ferne dunkelt am Horizont ein Gebirgsmassiv … In der Steppe bewegen sich Pünktchen – – alles Tiere, Antilopen, Gnus, Hartebeeste … Es ist das große, große Wildschonrevier, in das man mit der Eisenbahn so bequem hineingondelt und das doch noch völlig unberührte Natur geblieben.
Lizzie liest. Reginald, Sussik und die meisten Safari-Leute sind drüben am Sumpfrande und versuchen das Flußpferd aus dem zähen Schlamm herauszuziehen. Es duftet schon, und sein Leib gleicht einem prall gefüllten Ballon. Ich kenne das schon. Wenn der Kadaver nachher abgehäutet werden soll, und der riesige Somali Afra den Speer in den Ballon stößt, entweichen die Gase unter scheußlichem Brozeln, und alles reißt vor dem Parfüm aus …
Lizzie schielt zuweilen zu mir herüber und seufzt sehr diskret. Ich fühle ihren Blick, aber ich meide ihn. Unser Onkel-Nichten-Verhältnis verdient manches Fragezeichen. Mir bleibt es unbegreiflich, daß Lizzie an den alten guten Onkel Olaf, der doch schon an den Schläfen Eselshaare trägt, ihr blutjunges Herzchen verlieren konnte.
Es ist leider so. Alle Anzeichen sprechen dafür, und es gibt Stunden, in denen ich meine Onkelrolle beinahe hasse.
Wie viele tausend Kilometer zwischen „unserer“ Oase im Lande der hammelfettliebenden Bischarin und dieser Oase im Gebiet der reinblütigen Neger liegen, habe ich bisher nicht nachgemessen. Aber es muß eine ganze Menge sein.
Lizzie hüstelt …
„Onkel Olaf, – hörst du bald auf?“
„Hm, ich habe eigentlich soeben erst angefangen, Kind …“
„Hast du schon den Brief erwähnt?“ – Ihr Interesse für mein Tagebuch ist rührend, aber zweifellos nicht ohne Selbstsucht.
„Es war ja gar kein Brief, Kind … Es war doch nur …“
„Ich weiß schon, du … du redest um die Sache immer herum, und Sir Forrester und der gute Mehmed behandeln mich erst recht als Küken, das noch in die Brutmaschine gehört …“
„Am Tage ist es ja auch sehr heiß,“ werfe ich ein.
Oh – sie hat Temperament …
Diesmal fährt sie aus der Haut – bildlich.
Ihre graublauen Augen funkeln mich böse an. Ihre kleine braune Faust schlägt auf den Deckel des unschuldigen Buches.
„Ich bin kein Kind mehr, – ich bin achtzehn, ich könnte längst verheiratet sein und ein …“
Sie wird feuerrot und beendet den Satz sehr geschickt …
„… und ein anderer Onkel würde mich nicht dauernd an der Nase herumführen und mir endlich erklären, weshalb Lady Jane mit ihren Bischarin bis in diese Wildnis vordringen sollte und …“
Sie sieht mich noch böser an, und sobald sie dieses kitzliche Thema anschneidet, gibt es nur ein Mittel, sie hinzuhalten …
Lügen!
Es sind fromme Lügen. Entschuldbar …
„Ich weiß nichts,“ sage ich mit dem demütigen Bewußtsein eines frechen Stümpers im Schwindeln.
Ihr Buch fliegt in den Sand, und ihre helle Gestalt entschwindet. Jetzt klettert sie drüben die Felsen hinan – ich kenne das schon – und sitzt hoch oben auf der Klippe und starrt nach Südwest in die bläuliche Ferne.
Mit einer mißmutigen Miene greife ich zu Zigarre und Feder, – Zigarre links, Feder rechts, – jeder Hand das ihre. – –
– Nein, ohne Engelchen hätte ich Lizzie nie gefunden, und es war allerhöchste Zeit, daß jemand ihr beisprang. Die Dibs hatten bereits einen engen Kreis um sie geschlossen, und das tote Dromedar und das bewußtlose Mädchen hätten den Wüstenwölfen kaum Widerstand leisten können.
Das Engelchen war ausgepumpt, als ich tief unter mir in einem steinigen Wadi das spitzschnäuzige, vierbeinige Parlament und in diesem Kreise futtergieriger Parlamentarier das Opfer bemerkte.
Ein Zügelruck …
Engelchen stand wie ein Lamm. Ein paar Schieferfelsen deckten uns, ich stieg aus dem Sattel und zählte die Gruppe, es waren an die zwanzig Dibs, mehr im Hintergrund lauerte als Galeriebesuch eine Unmenge Fenneks. Dieser Überzahl von nagenden Bestien gegenüber war friedliches Paktieren ein Wagnis. Eine Kugel machte Beine … Aber Mehmeds Remington-Geschenk litt an der so häufigen Krankheit danebenzuschießen. An mir lag es nicht. Die zweite Bleiinjektion saß … Der Dib heulte, strampelte, – vier, fünf der Seinen packten ihn, und im Nu war das Wadi leer. Daß die Dibs den Genossen gesund gepflegt haben, nehme ich nicht an. Im Gegenteil.
Da lag sie nun vor mir, die bleiche, aschblonde junge Fremde in ihrem bereits etwas schäbigen Reitanzug … Neben ihr der Tropenhelm, zerbeult, beschmutzt, – neben ihr auch das arme Tier … Der Bauch bereits gedunsen … Auf der Seite lag sie … Vor ihr ein flaches großes Stück grauen Schiefers … Die Schieferfelsen, die die Sandschicht durchdringen, sind ja derart verwittert, daß die einzelnen Schichten, zumeist dünne Platten, sich leicht mit dem Jagdmesser lösen lassen.
Um die Schieferplatte neben der Bewußtlosen kümmerte ich mich zunächst nicht. Das Mädchen – ihre Jugend sprach gegen die Annahme, daß sie verheiratet sei – war zweifellos halb verdurstet. Die drei Wasserschläuche des Dromedars waren leer. Die Spuren erzählten mir die tragische Geschichte einer Wanderung zu Fuß mit dem Dromedar am Leitseil und ein Zusammenbrechen von Mensch und Tier infolge gänzlicher Erschöpfung. Wahrscheinlich waren beide gestern mittag an dieser Stelle umgesunken und liegen geblieben.
Mein Engelchen hatte ich trotz des eiligen Aufbruchs mit einem sehr großen Wasserschlauch belastet. Niemand wird in diesen wasserarmen Gegenden ohne das lebensnotwendige Naß sich ins Ungewisse hinauswagen.
Schon der zweite Becher Wasser mit einem Zusatz von Whisky tat Wunder. Das Mädchen – ich hielt sie bestimmten Anzeichen nach für eine Engländerin – schlug die Augen auf und gähnte krampfhaft. In ihrem matten Blick lag noch keinerlei Verständnis für die Umwelt, sie sah mich wahrscheinlich gar nicht, schloß die Lider und atmete nur kräftiger. Obwohl nun die Nacht keineswegs warm war, griff ich zu einem Mittel, das stets bei Verschmachteten am besten wirkt: Ich goß ihr zwei volle Becher Wasser in den Halsausschnitt der grüngrauen Leinenbluse! Diese aufzuknöpfen und Massage anzuwenden, hinderte mich ein Gefühl von vielleicht zu prüder Rücksichtnahme gegenüber diesem knospenden jungen Geschöpf.
Ich legte sie auf meine Decke, hüllte sie ein und gab ihr einen Schluck reinen Whisky. Sie hustete, schüttelte sich, und die tränenden Augen – an Alkohol war sie kaum gewöhnt – dankten mir bereits durch ein lustiges Blinzeln. Dann knabberte sie ein wenig Hartbrot aus einer frisch geöffneten Konservenbüchse und schlief ein.
Ich band Engelchen am langen Weidestrick in nächster Nähe an und begab mich zu dem toten Tiere zurück, um Sattel, Zaum und der Fremden sonstige im Sande verstreute Sachen zu holen. Dabei fiel mir abermals die Schieferplatte auf. Ich sah, daß sie mit einem spitzen Schieferstück beschrieben war.
Ich entzifferte lediglich die Namen Sherman, Durst, Flucht und die Unterschrift Lizzie Neworld. Wichtig erschien mir bei diesen englischen Brocken lediglich das Wort Flucht. –
Ich nahm die Büchse und suchte das Wadi im Umkreis nach Spuren ab. Das Tal bog nordwärts in scharfem Winkel ab, verringerte sich hier, hatte steile Wände, und zu meiner Überraschung gewahrte ich in einem Winkel ein paar Palmen, Büsche und Gras. Zierliche helle Fenneks huschten bei meinem Anblick davon, der Boden zeigte vielfache Fährten, Reste von Dromedarunrat, unter den Palmen hatten Zelte gestanden, ich sah noch die Löcher der Pflöcke und die schwarzen Stellen der Lagerfeuer. Nur Bischarin konnten hier gelagert haben. Schafmist gab es überreich, und die eigentümliche Anordnung der Pflocklöcher deutete mit Bestimmtheit auf Schobaken, Bischarinzelte, hin. Die ganzen Fährten mochten drei Tage alt sein, die Zahl der Trupps schätzte ich auf zwanzig Krieger. Die Bischarin pflegen ihre Lanzen mit den breiten Eisenblattspitzen vor den Zelten in den Boden zu stoßen, und ich zählte zwanzig solcher Löcher. Rechnete man die Frauen und Kinder dazu, mußte die Schar mindestens sechzig[1] Personen stark gewesen sein. Daß einige Knaben dabei gewesen, verrieten mir die abseits in den Klippen errichteten Fanghütten für Fenneks. Der Krieger gibt sich mit derlei Spielerei nicht ab. Das ist Knabensache.
Ich habe von den Fenneks in meinen Tagebüchern bereits manches erwähnt. Der Fennek ist klein, zierlich, ockerfarbig oder isabellgelb, – seine Hauptmerkmale sind die ungeheuren Lauscher (Ohren), die großen Augen und das zierliche Schnäuzchen und die sehr buschige Standarte. Die Ohren verleihen ihm ein fledermausartiges Aussehen. Die unterhalb des Schwanzansatzes vorhandene Drüse (Viole), bei ihm von einem dunkleren Haarring umgeben, duftet nach Rosen.
Tatsache.
Die Fanghütten errichten die Knaben aus Zweigen und Gras, lassen an einer Stelle ein kleines Schlupfloch frei, legen als Köder Datteln in das Hüttchen, befestigen vor dem Loch eine Hanfschlinge, die sich nachher gerade nur so weit zuziehen kann, das der Fennek nicht erwürgt wird, denn tote Fenneks sind kein Handelsartikel. Nur lebende werden in Bir Schikr oder sonstwo in festen Siedlungen von Händlern aufgekauft – für Zoologische Gärten und als Käfiginsassen für die Parke der Reichen in Kairo, Chartum, Assuan und anderen Nilstädten.
Der Fennek ist schlau. Ein satter Fennek meidet die Fanghütten. Selbst die feinsten Datteln locken ihn nicht in die Schlinge.
Hier nun fand ich in einem Hüttchen einen bereits halbtoten Fennek, der wohl erst nach dem Abzug der Bischarin in die Schlinge geraten war. Was er alles versucht hatte, um freizukommen, zeigte der aufgewühlte Boden und das zernagte Holzrohr, das die Knaben über den Hanfstrick schieben, damit der Fuchs die Schlinge nicht zerbeißt. Das zierliche Tierchen lag regungslos da, japste erbärmlich und schnappte nur matt nach meiner Hand, als ich es beim Genick packte und zum Lagerplatz trug. Ich hatte nun zwei Patienten zu versorgen. Das Mädel schlief, der Fennek leckte gierig das Wasser, in das ich Hartbrotbröckchen getan hatte.
Zuweilen folgt man – und man sollte es immer tun – inneren Eingebungen, die man zunächst für sinnlos hält. Der Gedanke, den Fennek (es war ein jüngeres Männchen) zu zähmen, lag ja allerdings nicht so weit fern, denn ganz junge Fenneks werden überraschend schnell zutraulich und besitzen ein stark entwickeltes Anhänglichkeitsgefühl.
Mein Fennek, den ich zur Vorsicht an einen Lederriemen gelegt hatte, mußte ein besonders intelligentes Tier sein. Als ich nachher mit Sussik wieder vereinigt war, wunderte mein Bischarinfreund sich außerordentlich, daß der kleine ockerfarbene Kerl absolut keine Neigung mehr zum Ausreißen zeigte.
Der Morgen graute, Lizzie erwachte, und was sie mir dann berichtete, war so erstaunlich, daß ich darüber Müdigkeit und Freund Sussik und den Schelm Selim vergaß.
Ich hatte über einem Reisigfeuer Tee gekocht. Wir aßen und tranken, und Lizzies frische Lippen strömten von Dankbarkeit über. Ihre Zutraulichkeit setzte mich in Verlegenheit. Sah ich wirklich schon so greisenhaft aus, daß sie mich nur als gütigen, ihr von der Vorsehung in letzter Minute gesandten braven „Onkel“ betrachtete?! Sie hatte sich an mich gelehnt, ihr Händchen ruhte in meiner fast kaffeebraunen Pfote, und so erzählte sie … und verschwieg vieles. Mochte sie auch noch so jung sein: Sie war vorsichtig, sie hatte wohl mancherlei zu verbergen, ich hörte deutlich heraus, daß sie gewisse dunkle Punkte ihrer Vergangenheit und ihrer Pläne ängstlich mied … Als von ihren Lippen die Namen Bir Schikr, Sherman und Sraffon fielen, dazu Selim und noch ein paar Bezeichnungen für bestimmte Dinge, als sie mir Sherman und Sraffon beschrieb, da wußte ich, daß sie ahnungslos ein paar ganz üblen Schuften in die Hände geraten war und reimte mir bereits den Rest – ihre Flucht – zusammen.
Es war meine Schuld, daß diese Banditen uns dann hinterrücks überfielen. Man soll sich nicht durch ein Paar graublaue freundliche Augen und ein warmes Händchen und eine süße Stimme allzu sehr von der Pflicht notwendigster Vorsichtsmaßregeln ablenken lassen.
Ich hatte Selim verfolgen wollen, Engelchen war seine eigenen Wege gegangen, ich mußte mit, und Selim hatte den Spieß umgekehrt und war mir gefolgt, holte dann seine Verbündeten herbei, und die Sachlage war vollständig klar. Gegenüber einem halben Dutzend Gewehren zieht man stets den kürzeren, wenn das eigene abseits am Sattel lehnt und die Zeit zu knapp ist, die Pistolen zu gebrauchen.
Die ersten Strahlen der Sonne belächelten ein beschämendes Bild. Ich stand mit erhobenen Armen da, vor mir flegelte sich der dürre Houston auf einem Natursessel, schlug die Beine übereinander und probierte, ob seine verlebte Gaunervisage durch ein teuflisches Hohngrinsen noch abstoßender wirken könnte.
„Ein sehr erfreuliches Wiedersehen, Mr. Abelsen …!“
Ihm antworten?!
„Für Sie kaum,“ sagte ich nur. „Wenn Lady Jane Sie erwischt, wird es einige Patronen kosten.“
Er lächelte schallend. „Lady Jane ist weiß der Satan wo, nur nicht hier …! Im übrigen haben Sie ungeheures Schwein gehabt, mein Lieber. Sie sollten den Wüstensand durch Ihr Skelett zieren, ausgerechnet fielen Sie diesem Halbidioten von Forrester in die mildtätigen Arme. – Bindet ihn!“
Diesen Befehl hätte er früher erteilen sollen, nicht erst jetzt, als ein riesiger Somali unsere Bischarindromedare, den Elefant und, auf dem Dickhäuter festgebunden, Freund Sussik herbeiführte. Und die Hauptsache: Lizzie Neworld war von den Herrschaften gar nicht beachtet worden. Sie saß noch am Lagerfeuer, die Wolldecke halb um die Hüften geschlungen, – sie war bleich, ich hatte sie jedoch sehr unterschätzt.
Was Houston ihr angetan hatte, ahnte ich nicht. Aber wenn ein so junges, reines Wesen so kaltblütig plötzlich unter der Decke eine automatische Pistole zum Vorschein bringt, und so ohne Zögern zielt, abdrückt, hochschnellt und mich hinter einen Stein schiebt und mir meine Büchse reicht, kann man nur die schäbigste Handlungsweise dessen voraussetzen, der mit einem üblen Schläfenschuß nach vorn ins Geröll gekollert ist.
In solcher Situation, solchen Kerlen gegenüber gibt es kein von übertriebener Menschlichkeit angekränkeltes Zaudern.
Mr. Darß war der zweite, der hier die unangenehmen Wirkungen eines Stahlmantelgeschosses zu spüren bekam. Er zielte, – ich schoß, und meine Kugel war flinker, fuhr am Lauf entlang, nahm zwei halbe Finger mit und schlug Mr. Darß den Kolben in die Zähne.
Der Rest waren zwei Farbige, denen der Schreck und der klügere Teil der Tapferkeit den guten Gedanken eingab, ihre Schießprügel fallen zu lassen.
Der dritte Farbige, der Somali-Herkules mit dem edlen, hochmütigen, mehr braunen als schwarzen Gesicht kam nicht in Frage, da er schon nach Houstons Kniefall vor Lizzie meinen Sussik einfach losgebunden hatte, er sagte jetzt nur, und seine gedrängte Redeweise gab noch oft Anlaß zu Mißverständnissen:
„Herr, diese Leute betrogen mich.“
Um diesen Worten ohne weiteres Glauben zu schenken, mußte man schon Afras Züge gleichzeitig studieren können. In diesem Antlitz aus dunkler Bronze lag die stolze Würde einer kraftstrotzenden Natur, die jede Lüge verachtet.
Lizzie trat lächelnd auf mich zu. Ihr Lächeln war wie der Glanz der Sonne auf einem unnahbaren Gebirgssee. Ihr Lächeln enthüllte ihre Seele. Jetzt war es verlegen, schuldbewußt, – ihr Blick streifte Howard Houston, den Sussik soeben aufrichtete. Es war nur ein Streifschuß gewesen, und Lizzie schien wie erlöst von der Pein des für ein Weib wohl doppelt schweren Gedankens, ein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben.
„Sie sind also … Abelsen,“ sagte sie leise und zog mich in holder Vertraulichkeit etwas abseits. „Ich habe von Ihnen gehört …“
Leider waren wir in den Bereich des Lederstrickes meines Fenneks geraten, und das Tierchen, das in dem Menschen bisher nur den verderbenbringenden Feind kannte, schnappte nach Lizzies Beinen. Ein sanfter Hieb strafte es für die Unart, einige strenge Worte ließen die großen Augen fragend meinen Blick suchen, und dann geschah das für den Wildling ebenso Unfaßbare wie für mich: Der Fennek kroch tief geduckt auf mich zu – wie ein reumütiger Hund, Auge in Auge mit mir, und rieb dann seine Schnauze an meinen weichen Ledergamaschen. Ich bückte mich, streichelte ihn, – sein Instinkt sagte ihm wohl, daß es sich um eine Liebkosung handelte, er legte sich vollends zu meinen Füßen nieder, und seit jener Minute war zwischen uns das Band treuester Freundschaft so fest geknüpft, daß er bei einer späteren Gelegenheit, – – doch das gehört nicht hierher.
Lizzie war es, die ihn Mukki taufte, – sie sagte, sie hätte als Kind ein Hündchen mit genau so ausdrucksvollen Augen besessen, und Mukki sei dann gestorben und bitter beweint worden. –
Wie es möglich war, daß wir alle Selims Entweichen erst so spät bemerkten, war lediglich der raschen Aufeinanderfolge von aufregenden Szenen zuzuschreiben. Jedenfalls: Der Somali Afra, der doch die Tiere herangeführt hatte, konnte nur angeben, daß Selim blitzschnell zwischen den Beinen des Elefanten hindurchgeschlüpft und in den Felsklippen der Schluchtwand verschwunden war. Sussik und Afra suchten nach Fährten, blieben zwei Stunden weg, – der Armenier war nirgends aufzustöbern.
Nachdem wir den Lagerplatz nach der kleinen Oase hinter dem Talwinkel verlegt, die Tiere versorgt, die Zelte aufgeschlagen und die Gefangenen in eine Felsgrotte gebracht hatten, nachdem auch Sussik und Afra sich wieder eingefunden hatten, sank ich gänzlich erschöpft auf meine Decke und schlief im Augenblick ein. Ich konnte mich auf Sussik unbedingt verlassen.
Ich schlief bis die Sonne sich wieder neigte. Eine liebere Hüterin neben meiner Lagerstatt habe ich kaum je gehabt. Lizzie, erzählte mir Sussik, sei rührend grob geworden, sobald nur irgend jemand meinen Schlummer zu stören suchte. Zu diesen Rücksichtslosen hatte in erster Linie Mr. Owen Darß gehört. Gewiß, der Verlust des halben Zeige- und Mittelfingers der linken Hand, dazu die Schmerzen und ein Notverband mochten seine Gereiztheit bis zum äußersten getrieben haben, er hatte wie ein Unsinniger gebrüllt und geflucht, und auf Lizzies Befehl war er schließlich mit einem Maulkorb versehen worden, – so fand ich ihn, als ich nach schnellem Imbiß die beiden Herren mir zu peinlichem Verhör vornahm.
Houston, entschieden der Beherrschtere, verhielt sich still. Darß überhäufte mich mit einer Schmutzflut von Schmähungen, die um so lächerlicher wirkten, als er nebenher die größte Angst für sein kostbares Leben verriet.
Lizzie saß dabei und spielte Zuschauerin. Gerade sie hätte Ursache genug gehabt, sich einzumischen. Ahnungslos hatte sie dem gleißnerischen Gerede Houstons in Bir Schikr ihr Ohr geliehen, ahnungslos hatte sie sich dem kleinen Trupp angeschlossen, bis Houstons eindeutige Zudringlichkeit ihr bewiesen hatte, was sie von diesen Gentlemen zu erwarten hätte. Da war sie geflohen, war sogar noch verfolgt worden, und wenn der Somali Afra nicht ihre Fährten heimlich getilgt hätte, damals schon von tiefstem Widerwillen gegen die beiden schäbigen Kerle erfüllt, würde das arme Mädel niemals entkommen sein.
Darß hatte seinen Vorrat an Gemeinheiten erschöpft. Das Letzte, das er mir ins Gesicht fauchte, war sein Haupttrumpf gewesen: „Sie Zuchthäusler, Sie …!!“
Da begann ich. In aller Ruhe. Mich über diese kleine Kanaille aufzuregen, – ach nein!
„Ich werde Sie beide Lady Jane ausliefern!“
Das war alles.
Die Wirkung genügte mir. Sie war sogar eigentlich allzu kräftig und sollte sich durchaus nicht auf die stumme Zuhörerin erstrecken.
Houston und Darß wurden erdfahl. Ihr Entsetzen war so groß, daß ihnen die Unterkiefer sanken und daß sie mich ganz blöde anstierten.
Lizzie Neworld dagegen, die aus meinem Munde „Lady Jane“ zum ersten Male hörte, rief atemlos:
„Meinen Sie Lady Jane Cordy?!“
„Allerdings, Miß Lizzie …“
Was Lizzie und ich bisher miteinander besprochen hatten, war kaum ein Rückgriff in die Vergangenheit gewesen, sondern lediglich Gegenwartsnot.
Sie starrte mich lange an.
„Es ist … meine Tante, Mr. Abelsen …“ erklärte sie. „Ihretwegen kam ich nach Ägypten … Ich habe sonst keinen Menschen auf der Welt, der mir nahe steht, und das Gefühl der Verlassenheit bedrückte mich derart, daß ich …“
Da fand Owen Darß die Sprache wieder.
„Mr. Abelsen …“ – der kalte Schweiß lief ihm über das Gesicht – „… Mr. Abelsen, – – das ist Mord!!“
Ich mußte lächeln. „Viele Leute haben eigentümliche Ansichten über das Leben anderer … Sie, Mr. Darß, haben mich dem Dursttode überantworten wollen, Sie hätten mich auch hier kaltblütig niedergeknallt, Sie haben dasselbe vor Wochen versucht, – und nun verlangen Sie meinerseits Schonung?!“
Wir, Lizzie und ich, verließen die flache Grotte und durchschritten das Gestrüpp. Hinter uns her erklangen Darß’ geifernde Flüche. Lizzie hatte sich in meinen Arm eingehängt … Ihr Gesichtchen war mir voll zugewandt.
„Mr. Abelsen, sind Sie mir sehr böse, weil ich Ihnen vorhin so viel verschwieg, weil ich sogar log und so tat, als ob lediglich Abenteuerlust mich hierher geführt hätte?!“
„Ihnen böse sein?! Sie Kindskopf, Sie!! Als ob ich nicht gemerkt hätte, daß da in Ihrer Erzählung so allerhand nicht stimmte!“
Ich blieb stehen. Wir hatten von unserem Platze aus den ganzen Südteil des Wadis vor uns, das steinige Tal mit schroffen Felsrändern, über die stellenweise der Wüstensand in bauschigen hellen Wogen hinwegragte, – mit Geröllstreifen, gelblichen Sandflecken und vereinzelten Grasbüscheln, mit phantastisch geformten Felsen, die einen heller Kalkstein, die anderen dunkler Schiefer, – – über alledem der lichtblaue Himmel und die grelle Sonne.
Und über uns selbst die Palmen, die grünbraunen Lederblätter der Büsche, – – dicht vor uns die Dromedare, abseits der Elefant …
Dazu Sussiks und Afras braune straffe Gestalten, die soeben ihre Büchsen reinigten, – ein kleines Feuer, dessen dünner Qualm kerzengerade in die Luft stieg …
„Kind, das ist meine Welt,“ sagte ich leise. „Nennen Sie mir den Maler, der dieses Bild naturgetreu mit all seinen intimen Reizen wiedergeben könnte … Den Maler gibt es nicht, wird es nicht geben … Und deshalb liebe ich diese Einsamkeit, diese Pfade abseits des Alltags!“
Eine Stunde später ritten Sussik und Afra mit den beiden Gefangenen davon. Houstons Farbige bekamen eine Vorderladerflinte und drei gefüllte Wasserschläuche sowie als Reittiere Engelchen und ein ähnlich angenehmes Tierchen von Dromedar mit.
„Kommt ihr mir noch einmal vor die Büchsenmündung,“ erklärte ich ihnen zum Abschied, „wird es Löcher im Fell geben – nicht in meinem!“
Sie trabten davon …
„Und wir?“ fragte Lizzie begierig.
Ich zeigte auf den Rüsselträger und die beiden uns noch verbliebenen Bischarindromedare.
„Morgen früh werden Sie Sir Reginald Forrester kennen lernen …“
Der Horizont glühte in Rot und Violett, als wir uns in Marsch setzten. Ich hatte bisher keinen Elefant gelenkt … Ich fand mich auch in der Kunst zurecht.
Um Mitternacht rasteten wir auf einer Hochebene inmitten dorniger Büsche neben einem tiefen natürlichen Brunnen. Lizzie schlief in Houstons Zelt. Ich saß allein zehn Schritt ab unter dem klaren Sternenhimmel, die Büchse auf den Knien …
Nach Süden zu dehnte sich die Wüste – endlos – grenzenlos …
Es war eine frische, windige Nacht, und in dieser Nacht sah ich die leuchtenden Funken, die in kleinere zerplatzten und in mir die Sorge um Reginald Forrester lebendiger machten als die kritischen Gedanken, die mir einreden wollten, daß eine Rakete nicht immer ein Hilferuf zu sein brauchte.
Ich hätte die Rakete nie bemerkt, wenn ich nicht gerade mit dem Fernglas eine Herde Antilopen beobachtet hätte, die hier auf dem Plateau heimisch waren. Ihr Standort war eine Vertiefung, in der die mit besenartigen Reisern versehenen Bytadeniensträucher ein krauses Wäldchen bildeten. Nie hatte ich hier oben Raubzeug gesehen. Die Antilopen scheinen hier ihr Schonrevier zu haben, leider auch die Giftschlangen und die schwarzen Skorpione, deren Vorhandensein in Nubien so oft bestritten wird.
Die Rakete stieg kerzengerade über dem Horizont hoch, zerplatzte in viele schwebende, sinkende Sterne, und – alles war wie vordem.
Die helle Nacht täuschte einen Frieden vor, der durch einen einzigen Feuerwerkskörper kaum gestört werden konnte, – wollte ich mir einreden. – Hatte Doktor Forrester Raketen bei sich?! Ich wußte es nicht. Es war kaum anzunehmen.
Neben mir lag der Fennek, Mukki getauft, Lizzies Wunsch. Das Tier an seinem Lederriemen hatte sich wie ein Hund zusammengerollt, die Schnauze auf den vier eng vereinten Beinen, die Augen halb geschlossen, die Ohren nach vorn gestellt, die Standarte wie ein wolliger Strich seitwärts weggestreckt.
Die Unruhe in mir schien sich dem Tiere mitzuteilen. Zuweilen öffneten sich die übergroßen Lichter ganz weit, zuweilen zog sich die Nase kraus, und Freund Fennek schnüffelte hörbar.
Die Rakete …!
Und Lizzie mußte schlafen. Sie war so blutjung, so rank und schlank, sie hatte in London bei einer braven Bürgerfamilie als Fremdling gelebt, und die Tante Jane hatte alles bezahlt und das Kind trotzdem gemieden. Von ihren Eltern wußte Lizzie nichts … Droben an der Grenze Schottlands sollten sie einen Pachthof gehabt haben …
Armes junges Ding, im Grunde ohne Heimat wie ich, im Herzen den Drang in die Ferne und die Sehnsucht nach der einzigen Frau, die ihr blutsverwandt.
… Die Rakete …!
Und der Fennek Mukki hebt das Köpfchen, wittert, setzt sich aufrecht …
Man ist eingestellt auf solche Zeichen, die Hände gleiten von selbst zum Büchsenkolben, die Linke schiebt sich am Laufe vor, die Rechte drückt das Schloß zurück, – ein metallisches Knacken, und die erste Patrone des Rahmens gleitet in die Kammer.
Der Fennek hat feinere Sinne. Zwischen den Zacken der Schieferbuckel erscheint eine Gestalt, nackt bis auf den Lendenschurz aus Gras, – ein uralter Farbiger, der Bart lang und weiß wie das wallende Haupthaar …
Eine Gestalt voll unbewußter Würde, vorsichtig schreitend, in der Linken eine Lanze als Stecken.
Ich ahne, daß mir hier das Geheimnis naht, dem Sussik aus Ehrfurcht stets auswich. Vielleicht ist es ein Heiliger, ein Marabut, ein ganz in Gott Versunkener.
Er kommt, und unter den dicken weißen Strichen der Augenbrauen blicken helle klare junge Augen, deren gütevolles Strahlen nur einem Heiligen gehören kann.
Diese Augen sind nicht die eines Afrikaners, das Ebenmaß der hageren Gestalt, der ganze Gesichtsschnitt erinnert an einen Briten.
„Major Mac Oldyn von der Sudanarmee,“ sagt die Erscheinung im fließenden Englisch und neigt den Kopf zum Gruß. Der Nachtwind weht ihm die weißen Strähnen ins Gesicht, er streicht sie zurück und fügt hinzu: „Mac Oldyn, der vor die Schlacht bei Omdurman gegen die Mahdisten die große Patrouille führte und in einen Hinterhalt geriet, weil der Trunk seine Sinne umnebelt hatte. Ich habe gebüßt, die Welt hat nie mehr von mir gehört, ich mußte fliehen, und die Feigheit und die Scham jagten mich hierher. Viele Jahrzehnte gingen hin, nur Lady Cordy weiß, daß ich lebe. Sie ist meine Enkelin.“
Das besagte alles.
Lady Cordy, Missionarin, doch nicht Missionarin, weit mehr Königin der Bischarin, hatte dieses Plateau vor jeglicher Neugier geschützt. Ein Verfemter hauste hier, ein Büßer. Ich kannte die Geschichte der Mahdistenkämpfe zu wenig, um mir darüber ein Urteil bilden zu können, inwieweit Major Mac Oldyn mit Schuld war an der verlustreichen Schlacht gegen die fanatischen Horden.
Ein Menschenschicksal stand hier vor mir, und es rührte an mein Herz mit stillem Mahnen.
Der Greis übersah die ihm herzlichst entgegengestreckte Hand.
„Sie sind nicht allein,“ sagte er mit einem Blick auf das Zelt. „Ich möchte das Mädchen sprechen, sie ist von meinem Blut, Mr. Abelsen.“
Ich war über nichts überrascht. Jane Cordy stand sicherlich dauernd mit ihm in geheimer Verbindung. Er kannte meinen Namen, vielleicht auch den Lizzies.
Bisher war ich nicht zu Wort gekommen, – auch jetzt redete er weiter, und seine Stimme war mild und klar wie der laue reine Morgenwind der Wüste, der die Lerchen als Verkünder der nahenden Sonne emporsteigen läßt.
„… Ich sah ihr Gesicht, Mr. Abelsen, und es war das der Seitenlinie unseres vielverzweigten Geschlechts. Alle die Frauen mit dem aschblonden reichen Haar haben diese kurze eigenwillige Oberlippe und diese schmale kecke Nase und doch den sanften fraulichen Liebreiz … Ich will sie sprechen. Meine Enkelin ist Jane Cordy, aber Lizzie steht mir noch näher.“
In den Felsspalten schrien und klagten gedämpft die nirgends fehlenden Käuzchen: Klagegesänge von trauriger Art, die mich oft beunruhigt hatten.
Er hob seinen Speer und deutete auf eine ferne einzelne Sykomore, die hier als kleines Wunder Wurzel geschlagen hatte. „Dorthin soll sie kommen, Mr. Abelsen … nach einer Stunde. – Sahen Sie die Rakete?“
Ich wunderte mich wirklich über nichts.
„… Sie kämen ohnedies zu spät,“ erklärte er mit einem Gedankensprung, der zu Doktor Forrester überleitete. „Ich erfahre sehr viel … Ich erfahre alles. Reiten Sie nachher nach Ihrer Oase zurück, Sie sparen dadurch Zeit … Sie wissen, wenn es sich um schnödes Gold handelt, werden Menschen, die sonst trägen Sinnes dahinvegetieren, zu schlauen Schurken. – Leben Sie wohl … Wir werden uns niemals wiedersehen. Vergessen Sie mich, streichen Sie mich aus Ihrem Gedächtnis, ich bin nur ein lebender Leichnam, meine Beziehungen zur Welt sind dünne, zahlreiche Fäden.“
Er wandte sich langsam um und schritt davon, – die Felsen verschluckten seine von der Sonnenglut dunkel gefärbte Gestalt.
Später sagte mir Sussik in einer Stunde, in der ihm die Zunge überfloß, daß das Schieferplateau bei den Bischarin „Der Berg des alten Mannes“ hieß.
Ich saß wieder wie vorhin auf dem harten Stein, neben mir das Wollbündel von Fennek, und die Benommenheit des Geistes, die dieses Zusammentreffen erzeugt hatte, wich von mir und ließ mich die nackten Tatsachen kritisch überprüfen. Unzweifelhaft stand das eine fest, daß Sir Reginald und sein Reisemarschall Mehmed nun doch von den Safari-Leuten überwältigt worden waren. Die Rakete konnte hiermit nur insofern etwas zu tun haben, als sie ein Signal für den Greis gewesen war. – Weiter: Wir sollten die Oase aufsuchen. Mithin war diese wie einst bedroht, aber die Verteidiger, in diesem Falle Lady Jane, würden rechtzeitig zur Stelle sein.
Und dann: Lizzies Person! – Nach einer Stunde wünschte der Mann, der hier irgendwie alle Geschehnisse in weitem Umkreis gleichsam überwachte, sie zu sprechen. Es bestanden zwischen Lizzie und ihm und Lady Jane verwandtschaftliche Beziehungen, es mußten noch andere als diese Verbindungen mit unbekannten Zwecken und Zielen vorhanden sein, die man jedoch sogar mir nicht anvertrauen mochte, und ich schmeichelte mir, Lady Janes Vertrauter zu sein! Wie ernst und folgenschwer mußten mithin diese Dinge ausschauen, wenn man mich dabei ausschaltete!
Ein flüchtiger Gedanke – ich verwarf ihn sofort wieder – rief mir die Erinnerung an jenen Goldbarren ins Gedächtnis zurück, den Jane Cordy einem lieben pikanten Mädel in die ferne Heimat mitgegeben hatte. Ich hatte die kleine zierliche Gussy Gollan nicht vergessen … Aber der sagenhafte Schatz der Pharaonen, – nein, ich konnte nicht recht daran glauben, ich wollte nicht daran glauben, es war zu viel gedruckte, immer wieder literarisch ausgeschlachtete Romantik dabei.
Der neue Gedanke war besser. Ich nahm das Glas und suchte die sternenhelle Wüste mit ihren Wellen und Tälern ab. Wenn der Greis hier, wie er selbst zugegeben, so gut und schnell von fernsten Ereignissen unterrichtet wurde, konnte das nur durch Dromedarreiter und Signale geschehen. Die Bischarin hätten vielleicht aus sich selbst heraus eine solche Art schleunigster Nachrichtenübermittlung nicht ausgeklügelt. Lady Jane sicherlich.
Im runden Gesichtsfeld des Glases, das ich langsam im Bogen bewegte, gewahrte ich plötzlich einen einzelnen Reiter, der gerade eine Kuppe emportrabte. Er hielt an. Seine Umrisse hoben sich gegen den Himmel scharf ab. Es war ein Bischarin, schon die Bubikopffrisur mit dem abgebundenen Turban und der Mantel verrieten es. Der Mann hielt, reckte den Arm hoch, und aus seiner Hand sprühte ein feiner Funkenregen. Dann tauchte er hinter der Kuppe unter.
Was ich sonst bemerkte, war ohne Bedeutung: Wild, einige verwilderte Esel, eine Schar von Raben, die sicherlich ein Aas umschwärmten.
Es wurde Zeit, Lizzie zu wecken. Als ich den Zeltvorhang hob, war das Lager des Mädchens leer. Die kleine Karbidlampe brannte, an einem Halm hing ein Zettel:
„Lieber Onkel Olaf, Sie sind mir nicht böse, ich war wach, ich hörte die Worte dessen, der mir die Wahrheit sagen wird, ich bin bei ihm. Rüsten Sie nur alles zum Aufbruch. Ich freue mich auf „Ihre“ Oase. – Lizzie.“
Onkel Olaf!!
Hätte ich einen Spiegel gerade zur Hand gehabt, würde Onkel Olaf sich sein Onkelgesicht gründlich beschaut haben … –
Arbeit lenkt ab. – Ich brachte das Zelt auf den breiten Rücken des Elefanten, ich füllte die Wasserschläuche, ich habe vielleicht noch nie so flink gearbeitet. Die Sorge um die Oase stand hinter mir, beflügelte meine Bewegungen und stählte meine Muskeln. Als alles vorbereitet, streckte ich mich auf meine Decke, schlief ein und wußte genau, daß auch nur eine halbe Stunde Schlaf mir für den langen Ritt genügen würde.
Als Mukkis heiseres Bellen, das stets aus einem überstürzten Kack Kack Kack Kack besteht, mich weckte, fand ich vor mir eine sehr stille, melancholische Lizzie. Über ihre Unterredung mit dem Greise erwähnte sie nichts, daß diese jedoch für sie wenig befriedigend verlaufen, sah ich ihr an.
Wir führten die Tiere in die Ebene hinab. Der Elefant Mango (er soll jetzt in Kairo als öffentlicher Pensionär leben – armer Mango) vertrug sich mit den Dromedaren sehr schlecht. Wenn er ihnen einen Hieb mit dem Rüssel versetzen konnte, geschah dies nur zu gern.
Es wurde ein sehr stiller, langweiliger Ritt. Am liebsten hätte ich den Dickhäuter laufen lassen, mit den edlen Bischarin wären wir schneller vorwärts gekommen.
Gegen Morgen stießen wir auf eine breite Fährte, die ein Trupp von etwa vierzehn Dromedaren und etwa zwanzig Fußgängern zurückgelassen hatte. Die Spuren waren nur wenige Stunden alt. Nach Sonnenaufgang, und wir sahen die hohen Sanddünen „unserer Oase“ bereits vor uns, stieß von Südost eine andere Fährte auf diese Karawanenspur, die zweifellos von Doktor Forresters Safari herrührte. Der zweite Trupp mußten Bischarin sein – alles Dromedarreiter, mindestens sechzig. Noch eine Stunde, und wir kamen durch das steinige Tal, das sich bis zu den ersten Staubdünen hinzieht. Die beiden vereinten Fährten zeigten hier das Bild, das ich zu finden erwartet hatte: Das Geröll, die Sandstreifen waren kreuz und quer von Spuren durchfurcht, rötliche Flecken schimmerten überall, verdächtige flache Hügel bewiesen, daß dort Tote für immer ruhten. Einige zerbrochene Vorderladerflinten, geknickte Speere, Zeugfetzen und liegen gelassene leere Konservenbüchsen ergänzten nur den bestimmten Eindruck eines Überfalls und Kampfes. Wer die Sieger waren – überflüssige Frage. Die Safari-Leute waren gen Westen weitergezogen, also dem Nil entgegen, die Bischarin nach Nordost – zur Oase.
Lizzie Neworld hatte mit stillem Grauen die Blutflecken betrachtet. Aber sie sagte nichts, sie war ein tapferes Mädel, und ihre gute Laune und ihre Neugier auf die Oase überwogen sehr bald diese ernsten Eindrücke und die Erinnerung an die Aussprache mit dem Greise. Ich hatte ihr sehr viel von der Oase berichtet, von den Sanddünen, die jeden Zugang sperrten, von der Treppe aus Steinplatten und dem uralten Stollen sowie der grünen Baumpracht, dem buschumwucherten Teiche, dem Marabu, der keine Federn mehr hatte, und der Steinmauer mit den Inschriften und der salzhaltigen Quelle im fernsten Oasenwinkel, in der Freund Tübbicke immer gebadet hatte.
Lizzie war im übrigen bei dem vertraulichen „Onkel Olaf“ geblieben, eine Rolle, die mir gar nicht gefiel. Lizzie war sehr lieb zu mir – zu lieb, sie hatte eine reizende Art, mich zu necken, zu reizend – zu aufreizend für einen Mann, der noch nicht einmal die Mitte der Dreißig erreicht hatte. Sie war ein kleiner Schelm, sie besaß jene glückliche Veranlagung, die das Schlimme leicht beiseite schiebt – nicht aus Oberflächlichkeit, sondern aus der weisen Erkenntnis heraus, daß Geschehenes nicht zu ändern ist …
Gegen die elfte Stunde hatten wir den Eingang des Stollens in dem engen Dünental vor uns. Die Tür stand offen. Zahllose frische Fährten ließen mich vermuten, daß ich die Bischarin hier noch antreffen würde – und Lady Jane.
Wir führten die Tiere bei Fackellicht durch den gemauerten Stollen. Der Ausgang zur Oase war ebenfalls geöffnet, Sonnenlicht fiel in den Gang, und Lizzie rief entzückt ein kindlich-frohes „Oh – wundervoll …!“
Der greise Marabu stand wie immer auf einem Bein und wendete jetzt nur den Hals und den Riesenschnabel und warf dem vorlauten Mädel einen entschieden mißbilligenden Blick zu.
Ich begrüßte ihn schweigend, denn die Stille unter den Palmen und den Büschen erschien mir verfänglich.
Kein Laut außer den hier gewohnten der Vogelwelt …
Drüben die Zelte – alles unberührt, aber – überall frische Fährten von Dromedaren und Sandalen der Bischarin.
Wir pflockten die Tiere an, – ich beeilte mich, ich hatte Fieber im Blut, ich ahnte, daß hier irgend etwas geschehen war, das selbst meine phantastischsten Vermutungen übertraf.
Wir liefen zu den Zelten, – wie vertraut war mir hier jeder Schritt, obwohl die Oase als Dünental zwei Meilen maß, – ich schlug den Vorhang meines Zeltes hoch …
Ein schweigendes Quartett saß gefesselt und mit verbundenen Augen um den Brettertisch, nicht um meinen Steintisch:
Doktor Forrester, Mehmed Said, Sussik und Afra.
Als ich ihnen die Binden entfernte, lächelte Sir Forrester ganz vergnügt.
„… Sie sind früher gekommen, als wir dachten, Mr. Abelsen,“ sagte er nur. „Lady Cordy läßt grüßen …“
Zum Glück blieb Lizzie nachher im zweiten Zelt, als wir uns nach Houston und Darß umschauten.
An dem Ast einer mächtigen Sykomore am Ostende des Oasenwaldes hing das, was die Aasgeier noch von zwei erbärmlichen Kerlen übriggelassen hatten.
Lady Jane hatte den beiden nicht umsonst seiner Zeit gedroht.
Sir Forrester putzt umständlich seine Brille und erzählt, während wir langsam das Tal hinabschreiten, immer den frischen Fährten der Bischarin folgend.
„Sie werden sich das meiste selbst zusammenreimen können, lieber Abelsen … Natürlich war meine Bande von Safari-Leuten nur scheinbar so zahm geworden. Bei der ersten günstigen Gelegenheit fielen sie über Mehmed und mich her und nahmen uns als Gefangene mit. Unterwegs stießen wir auf den Armenier Selim. Der Bursche hätte uns am liebsten sofort kalt gemacht, aber die Mehrzahl des Gesindels fühlte sich doch wohl nicht so ganz sicher und wollte die Nachtgeister nicht heraufbeschwören. In dem steinigen Wadi erfolgte dann der Angriff durch die Bischarin, die uns in aller Stille umzingelt hatten. Selim wurde erschossen.“
Er sog krampfhaft an seiner Zigarre …
„… Ich sage Ihnen, Abelsen, – es war für mich ein scheußliches Bild, ich bin bisher doch nur Schreibstubengelehrter gewesen, ich hatte von solchen blutrünstigen Szenen wohl gelesen, – sie aber nie mitgemacht, – woher auch?! Die größte Überraschung bildete für mich Lady Jane Cordy. Sie hatte Sussik und Afra unterwegs getroffen, und Houston und Darß sahen wohl ihr Schicksal voraus, denn diese merkwürdige Frau mit dem starren Gesicht, die mich höflich, aber durchaus kühl begrüßte, schien in wenig angenehmer Stimmung zu sein. Als ich ihr gegenüber meiner Besorgnis Ihretwegen Ausdruck gab, machte sie nur eine unbestimmte Handbewegung … „Das ist in Ordnung, Sir Forrester … Abelsen hat Gesellschaft …“ – dann kamen wir hier in die Oase. Ich staunte. Abelsen, hier könnte ein Altertumsforscher jahrelang arbeiten … Die uralte Mauer mit ihren Hieroglyphen, der ebenso alte Stollen und vieles andere: Eine Fundstätte seltenster Art. Leider ließ mir Lady Jane keine Zeit zu irgendwelchen näheren Untersuchungen, sie hatte es sehr eilig, sie erklärte uns, daß sie uns beide im Zelt festbinden müsse, – Sie würden uns sehr bald befreien. Sie hätte hier etwas zu erledigen, das keinerlei Zeugen dulde. Wir duldeten natürlich ohne Widerspruch, was sie befahl, wir haben auch kaum zwei Stunden in der unbequemen Lage zugebracht. Bevor wir gebunden wurden – mit aller Rücksicht, nahm Lady Jane mich beiseite und übergab mir einen verschlossenen Briefumschlag, den ich Ihnen überreichen sollte, sobald wir allein wären.“
Er blieb stehen und reichte mir den stark zerknitterten Brief, dessen Umschlag mit Bleistift flüchtig hingeworfen die Aufschrift trug:
Am heutigen Abend zu öffnen.
J. C.
„… Ich weiß natürlich nicht, was der Umschlag enthält,“ sagte Forrester achselzuckend.
„Ich erst recht nicht …“
„Sie erklärte nur noch, daß sie nicht wünsche, daß ihr jemand folge.“
Wir gingen weiter. Die frische Fährte lief immer geradeaus auf Tübbickes Badewanne zu – auf die Quelle, deren Reichtum an Salzen im Laufe der Jahre ein ovales weißes Becken abgesetzt hatte.
Die Frage, die ich dann an Sir Forrester richtete, erschien ihm sicherlich sehr nebensächlich.
„Hatten die Bischarin Lastkamele mit?“
„Gewiß, mindestens zwanzig,“ – sein Blick besagte genug. „Ist Ihnen der Brief nicht wichtiger als die Anzahl einiger …“
„… einiger mit Goldbarren beladener Dromedare?! – Nein, im Augenblick interessiert mich das, was Lady Jane hier so in aller Heimlichkeit erledigte, wirklich weit mehr, obwohl ich persönlich auf irdische Besitztümer pfeife. Seitdem ich Weltenbummler bin, habe ich noch nie Hunger gelitten …“
Sein maßlos erstauntes Gesicht nötigte mir ein Lächeln ab.
„Gold?!“ Ihm kam das Wort sehr schwer über die Zunge. „Sie machten mir gegenüber allerdings mal einige unklare Andeutungen hierüber, die ich jedoch niemals ernst nahm.“
„Sie werden sehen …“ – ich kehrte um, ich hatte nicht Lust, in dieser sengenden Hitze den Weg bis zur weißen Quelle zu Fuß zurückzulegen. – Der Somali Afra versorgte gerade die weidenden Tiere. „Sattle zwei!“ befahl ich. Vielleicht klang meine Stimme ungewohnt scharf. Afras lichtbraunes Gesicht zeigte einen hochmütigen Ausdruck, daß es der unmißverständlichen Geste seiner Hand gar nicht mehr bedurft hätte.
„Ich bin ein freier Somal,“ sagte er und kehrte uns den Rücken und warf dem Dickhäuter einen Arm grüner Zweige und Gras zu.
„Afra, bitte, sattele uns zwei Tiere …“ – ich war wieder um eine Erfahrung reicher geworden.
Da nickte er. „Gern, Herr, – sofort …“
Und diesen Menschen, diesen Somal, wagen eingebildete Narren einen Nigger zu nennen, nur weil ihre Haut weiß ist und wahrscheinlich unter dieser Haut eine jämmerliche, kriecherische Seele wohnt?! – Für mich gibt es kein Rassenproblem mehr. Mensch ist Mensch. Kanaillen leben ebenso gut in den Ländern der blonden Haare wie in denen der schwarzen, gekräuselten oder strähnigen.
Sir Forrester war Engländer. England hält seine Kolonialuntertanen nur dadurch im Zaum, daß es die Grenze zwischen Weiß und Farbig möglichst scharf innehält. Ob das heute noch der richtige Weg ist?!
Als wir der Quelle zutrabten, sagte Reginald Forrester wegwerfend: „Eine Frechheit von diesem Schwarzen!! Ich wunderte mich, daß Sie zu diesem unglaublichen Benehmen schwiegen!“
„Und ich würde mich nicht wundern, wenn die Faust dieses Schwarzen imstande wäre, Ihre Schädeldecke wie eine Eierschale zu knicken und wenn er Ihnen eines Tages vielleicht dank seiner Kräfte und seiner fraglos ebenso hochentwickelten Intelligenz, die freilich auf anderen Gebieten sich betätigt, das Leben rettet,“ erwiderte ich so eindeutig ablehnend, daß Sir Forrester das Thema nie mehr berührte. Später wurde er dann auch gänzlich kuriert.
Wir erreichten die Quelle. Ich hatte schon von weitem gesehen, daß Tübbickes Naturbadewanne nur noch zur Hälfte vorhanden war. Überall lagen mächtige Salzklötze umher, und dort, wo sie eine Abflußrinne gebildet hatten, war das Wasser durch einen neuen Graben abgeleitet worden und an der alten Stelle klaffte in dem bloßgelegten Felsboden eine quadratische Öffnung, deren Steindeckel mit verwittertem Pech an den Rändern umgeben war und der sicherlich einst wasserdicht geschlossen hatte. Der Deckel war hochgeklappt, – in der Tiefe brannten noch wie schwache Pünktchen die Reste von Harzfackeln.
Die warme Quelle, die bisher diesen Zugang in ewigem sanften Plätschern überflutet und auch mit einer Salzschicht zugemauert hatte, war ihrer langjährigen Pflicht enthoben worden.
Sir Forrester murmelte nur: „Diese alten Ägypter waren doch verflucht schlaue Kerle!!“
Dann packte ihn der Forscherdrang.
„Abelsen, eine Steintreppe führt hinab … Abelsen, dort gibt es sicherlich noch so allerhand, das mein Herz höher schlagen läßt …“
„Zweifellos – nur kein Gold mehr! Das ist so sicher unterwegs zu den Weideplätzen der Bischarin, wie wir erst Laternen holen müssen, bevor wir uns dort hinabwagen.“
Aber mit dem Doktor war nicht zu reden.
„Es liegen unten fraglos noch Harzfackeln …“ – er kletterte schon die Stufen abwärts, stieß einen schrillen Triumphschrei aus, – es waren Fackeln da, – – leider!
In diesem Falle ließ ich mich durch Forresters Übereifer anstecken. Ich gebe zu, auch ich war gespannt, was wir finden würden. Unwillkürlich dachte ich an ein Königsgrab ähnlich dem Tutanchamons – mit prächtigem Doppelsarg, mit einer wundervoll erhaltenen Mumie, deren Gesicht vergoldet war, mit heiligen Katzenmumien, seltenen Bildwerken, – vielem anderem!
Es lagen da neben der Treppe auf einem Podest eine ganze Menge uralter Harzfackeln … Zwei lohten auf, aromatischer Qualm stieg empor, – wir stiegen tiefer. Die Treppe hatte ein Steingeländer und drei breite Absätze. Geländer und Podeste zeigten reichen Figurenschmuck, der den guten Forrester rein aus dem Häuschen brachte. Von seinen streng wissenschaftlichen Erläuterungen verstand ich kein Wort, – ich achtete auch nicht darauf, ich hatte nur Augen für die ungeheure Hallengrotte, die hier, eingebettet in Schiefergestein, eine unterirdische Welt von phantastischem Zauber bildete …
Eine Halle, eine Höhle, von Menschenhänden zum Tempel umgestaltet, geglättet, gefärbt, mit schillernden Ornamenten versehen …
Mitten in dem geringen Lichtkreis der Fackeln, schon umgeben von geheimnisvollem Dämmer, zwei Götterstatuen aus Kalkstein, mindestens sieben Meter hoch, ebenfalls bunt gefärbt, vergoldet, mit Kupferbelag einzelne Teile versehen: Isis und Osiris!
Ich begann allen Ernstes für Forresters klaren Verstand zu fürchten. Kreischend rannte er die Treppe wie ein Besessener hinab …
„Abelsen – mehr Fackeln – – mehr Licht – –, Abelsen, dies hier übertrifft alle Pyramiden, die ganzen Gräberfelder von Theben, die …“
Ich tat ihm den Gefallen, – er würde sich schon wieder beruhigen, – ich holte noch sechs Fackeln, steckte sie in die Kupfertüllen der Wände.
Knisternd flackerten sie hoch – – lohten, tropften, sprühten, – Qualm sammelte sich unter der Decke, immer neue Schönheiten der Tempelhalle enthüllte das heller brennende Licht der knisternden Harzstöcke.
In dieser Umgebung ging mir zum ersten Male das Verständnis dafür auf, wie die Priesterkaste des alten Pharaonenreiches und einer noch weiter zurückliegenden Epoche eine so ungeheure Macht hatte entfalten können, wie sie das Volk der Ägypter, vielleicht das älteste Kulturvolk der Erde, derart nach ihrem Willen lenken konnte, denn die damaligen Herrscherdynastien waren ja im Grunde auch nur Hohepriester und Gottheiten in eins gewesen.
Diese Halle hier, die sicherlich viele tausend Personen faßte, mußte schon allein durch ihre Abmessungen, durch den Glanz ihrer bunten Wandflächen, durch die sprühenden Ornamente ihrer gewölbten Decke die Sinne verwirren. Rechnete man hierzu noch den Isiskult mit seinen geheimen Gebräuchen, seinen dunklen Mysterien hinzu, so erstand ein Einflußfaktor, wie ihn nur noch die Pracht indischer Tempel und türkischer altersgrauer Moscheen aufzuweisen haben dürfte.
Doktor Reginald Forrester als Gelehrter betrachtete das alles von einem weit gekünstelteren Standpunkt aus. Ihm fehlte die Fähigkeit, das Gesamtbild geistig zu verarbeiten, er verlor sich in Kleinigkeiten, er befühlte die Sockel der Statuen, er redete in einem fort, wie ein Wasserfall, Kathedergelahrtheit[2].
Die Ernüchterung kam …
Über uns, wo das quadratische Loch nur noch matt sich abhob und nur noch Rauchfang für den Fackelqualm war, ein dumpfer Krach …
Das Quadrat war verschwunden, der viele Zentner schwere Deckel war zugefallen – genau in die für ihn bestimmte Öffnung hinein.
Möglich, daß diese Steinplatte nicht vollständig senkrecht und gut ausbalanciert hochgeklappt gewesen war, – möglich, daß eins unserer Dromedare sie umgestoßen hatte, – jedenfalls, sie war umgekippt, und wir waren eingesperrt, an sich wohl kein Unglück, da man sehr bald nach uns suchen würde und auch herausfinden mußte, wo wir steckten.
Forrester schaute nach oben.
„Hm – Pech, Abelsen …! Schadet aber nichts, und wenn ich hier verhungern müßte, – der Gedanke, etwas gesehen zu haben, das noch kein Enropäerauge vor mir schaute …“
„… stopp, – rechnen Sie Lady Jane zu den Farbigen?!“
„Das nicht gerade, aber ein Laienauge rechnet hier nicht, nur wir Leute vom Fach können für diese einzigartigen Werke einer Kulturepoche, die etwa um das Jahr …“
„… Hören Sie auf, – mein Laienauge, Sir Forrester, stellt soeben fest, daß leider auch die Quelle durch einen Zufall in ihr altes Bett zurückgeglitten ist, – da, sehen Sie, wie das Wasser zwischen den nicht mehr dichten Fugen des Steindeckels herabläuft – in ganzen Rinnsalen … Und das stimmt mich bedenklich!“
Seine Begeisterung verpuffte jäh.
„Sie meinen …?!“ – und sein Gesicht ward bänglich.
„Ich meine, daß die Quelle vielleicht von der zertrümmerten Salzschicht so viel Stückchen über die Platte häuft, daß unsere Freunde droben die Platte gar nicht bemerken werden …“
„Wir klopfen – sehr einfach, das müssen sie hören …“
„Hoffentlich. – Zunächst können wir uns hier noch weiter umsehen, denn vor ein bis zwei Stunden wird man uns kaum vermissen …“
Sir Reginald hatte den Schreck schon überwunden. – Er konnte auch witzig sein, er konnte so ganz zarte Andeutungen in fein gewählter Form anbringen, – er blinzelte mir zu …
„Lizzie wird kaum eine Stunde verstreichen lassen, – dazu ist ihr der Onkel Abelsen doch zu lieb! Hm ja – zu lieb …!“
Dann wandte er sich den Statuen wieder zu.
Ich ließ ihn allein, ich schritt auf gut Glück dorthin, wo die Halle meines Erachtens am weitesten sich ausdehnte. Ich hatte noch zwei Reservefackeln unter den linken Arm geklemmt, ich fühlte mich hier durchaus sicher, – woher sollte hier auch irgendeine Gefahr nahen?!
Ich kam in einen breiten, sauber geglätteten Stollen, der sich meinem Kompaß nach gen Südost allmählich senkte. Der Boden war mit bunten Steinfliesen belegt, die Wände zeigten grellbunte Malereien, Inschriften, ganze Szenen aus Ägyptens Vorzeit.
Dann stand ich vor fünf strahlenförmig sich abzweigenden schmaleren Hängen, ich wählte den am weitesten rechts, – nach kaum dreißig Meter teilte auch der sich in fünf noch engere Stollen, wieder wählte ich den rechten, traf auf Quergänge, wanderte hin und her, ziellos, gedankenlos, bis mir in diesem Labyrinth doch etwas bänglich zu Mute wurde. Ich hatte früher einmal die berühmtesten Katakomben Italiens besucht, ich wußte, daß sich dort ein Unkundiger nie mehr herausfand, und daß dieses Gewirr von Stollen absichtlich angelegt war, erkannte ich nun erst, als ich den Rückweg suchte – – und ihn nicht fand.
Man weiß, daß die unterirdischen Gräberstädte Ägyptens sich meilenweit hinziehen, – – hier handelte es sich gleichfalls um Gänge, die mich narrten und kein Ende hatten und plötzlich in scharfem Bogen in eine neue Verästelung mündeten.
Wären die Schieferfliesen mit einer Staubschicht bedeckt gewesen, hätte ich meinen Spuren rückwärts folgen können.
Es gab hier kein Stäubchen …
Totenstille umlauerte mich. Die Kälte in diesen Stollen kroch mir zum Herzen, meine Nerven rebellierten, meine Ohren täuschten mir Geräusche vor, sogar der kleine Kompaß zeigte merkwürdige Ausschläge der Nadel: Es mußten hier im Erdinnern gewaltige Metallmassen lagern!!
… Und so irrte ich, trotz der fast eisigen Luft mit schweißtriefender Stirn volle drei Stunden umher …
Drei Stunden …
Eine Ewigkeit für einen Suchenden, ein Nichts für einen, der bereits gefunden hat – – irgend etwas Ersehntes, ein Glück, ein Scheinglück vielleicht nur.
Ich … suchte.
Ich rief …
Ich brüllte …
Schließlich feuerte ich Pistolenschüsse ab …
Das Echo in den Gängen dröhnte mir wie Donner in den Ohren, und nach Sekunden kam der Widerhall irgendwoher ebenso krachend zurück … so, daß ich glaubte, Forrester antworte mir durch Schüsse. Doch er hatte keine Waffe bei sich, das wußte ich.
Meine Uhr zeigte die sechste Stunde, – sechs Uhr nachmittags … Ich war erschöpft, ich wollte mich eine Weile ausruhen, niedersetzen …
Ein Schüttelfrost trieb mich hoch …
Wieder rief ich …
Wieder äffte mich ein vielfaches Echo …
Und dann …
Das Schlimmste …
Der letzte Rest der letzten Fackel versengte mir die Fingerspitzen – fiel auf die Fliesen, flackerte noch Minuten, erstarb, erlosch …
Ich stand in völliger Finsternis.
Totenstille, Dunkelheit, – nur das Keuchen der eigenen Brust … Das jagende Pochen des eigenen Herzens, das Rauschen des Blutes in den Ohren …
Ich lehnte an dem kalten, unbarmherzigen Gestein …
Schüttelfrost, Siedehitze, sprühende Funken vor den Augen, Fieberschauer, Spukgestalten, – langsames Umsinken, tiefste Gleichgültigkeit …
Bis … etwas Kühles, Feuchtes über meine Wange fuhr …
Bis das keifende, frohe Kack Kack Kack Kack meines kleinen Fennek mir die dankbare, zärtliche Tierzunge verriet, die mich liebkoste.
Kleiner fledermausohriger Mukki, deine Augen lachen mich aus der Finsternis wie kleine grüngelbe Leuchtkugeln an, – an deinem Lederstrick, von dir geleitet, fand ich mich zurück zu denen, die nach mir gesucht hatten …
Lizzie Neworld flog mir mit einem Jubelruf in die Arme und küßte mich in überströmender Freude.
Seitdem nennt sie mich du, – seitdem ist der kleine Fennek mein unzertrennlicher Freund.
… All das ist nun viele Wochen her.
Von dem Lande der Bischarin bis zum Lande der großen gelbbraunen Katzen mit stolzen Mähnen ist es ein sehr weiter Weg gewesen. –
Lizzie und alle anderen sind auf der Jagd … Nur Mukki und ich bewachen das Lager. Ich habe seit Tagen Forresters Tinte und Füllfederhalter geschont und das Papier desgleichen. Es gab so allerhand zu tun …
Wir sind mit unserem Troß inzwischen den Bergen nähergerückt, und alles, was vielleicht noch an Anfänge von Zivilisation erinnerte, ist dahingeschwunden. Diese Pfade der ostafrikanischen Steppe wandelte noch kein Weißer, meint Reginald, – er übertreibt gern. Ich weiß genau, daß hier zumindest vor Jahren fünf Ochsenwagen in die ferne Verlassenheit sich hineinwagten, aber ein Ehepaar in diesen afrikanischen Savannen suchen, das heißt das Sprichwort von der Stecknadel und dem Heuhaufen in die Tat umsetzen. Ohne Lady Janes Brief wäre ein solches Unterfangen von vornherein Wahnwitz gewesen. Die Freunde ahnen kaum, daß wir durchaus nicht planlos unsere Zelte jede Woche anderswo aufbauen. Es liegt System in dieser großartigen Wanderung, die schon jetzt eine Überfülle von Überraschungen brachte, die Sir Reginalds trockene Tagebücher genau so füllte wie die Zinkkästen für seine photographischen, entwickelten Filme und die schweren Holzkisten mit allerlei merkwürdigen Dingen.
Der kleine vierbeinige Freund und ich haben soeben die Runde durch das Lager gemacht. Obwohl es bereits zehn Uhr ist und die Sonne hoch steht, spürt man nicht allzu viel von der Hitze. Die Hochlandluft ist frisch, der Wind fegt durch große Waldungen, durch Palmenhaine und drückt die Zeltwände nach innen. Unser Lager liegt auf der spitzen Nase einer Felsterrasse, die beiderseits schroff abfällt. Die ungeschützte Grundlinie dieses Dreiecks hat eine breite aufgeschichtete Steinmauer und davor einen Wall von Dornen – nicht gegen zweibeinige Feinde, nein, gegen die dem Tierreich angehörigen, und davon gibt es hier alle Arten im Überfluß. Wie grundfalsch die Annahme ist, daß in Afrika das Wild im Aussterben begriffen sei (man liest es so häufig in Zeitungen und Büchern von Salonglobetrottern), das sahen wir schon von der Eisenbahn aus.
Ich will nichts vorwegnehmen. Jedes zu seiner Zeit.
Daß man mich in dem Felsenlabyrinth des Isis und Osiris-Höhlentempels schließlich doch fand, war Sussik zu danken. Nachdem die Freunde die Verschlußplatte unter dem rieselnden Wasser der Quelle doch entdeckt hatten, nachdem es Afras Gigantenarmen geglückt war sie zu lüften, kam Sussik auf den Gedanken, den kleinen Fennek zu holen und ihn in die hundertfach verzweigten und endlos langen Stollen hinabzuschicken. Mukki trabte auch sofort davon, eine bange halbe Stunde verstrich für die Ratlosen, dann erschienen wir, und Lizzies warmherziger Empfang war mir übergenug Entschädigung für die schweren Stunden und die böse Erkältung. Eine Dosis Chinin brachte den streikenden Leib wieder einigermaßen auf die Beine.
Der Abend kam, und gegen halb zehn, als im Osten der Himmel in glühenden Farben lohte, öffnete ich am Ufer des Teiches, nur den weisen, stillen Marabu als Zuschauer, den Briefumschlag.
Lady Jane schrieb:
„Lieber Freund, Sie werden sich bereits selbst gesagt haben, daß ich nunmehr die Goldbarren, die doch vorhanden waren, weggeschafft habe. Ich bin nicht die einzige Europäerin, die den unterirdischen Tempel kennt. Es gibt noch zwei Engländer, die vor mir den Zugang entdeckten, da der eine die Hieroglyphen der alten Mauer richtig zu deuten wußte. Diese beiden ließen die Barren unberührt. Es waren Flüchtlinge, und sie standen mir sehr nahe. Ich habe von ihnen in den letzten fünfzehn Jahren nur eine einzige Nachricht erhalten. Sie leben irgendwo an einem Flüßchen des Nordteiles Britisch-Ostafrikas – als Farmer in vollständiger Einsamkeit. Ihre Nachbarn sind Somalineger.
Lizzie hat das größte Interesse daran, die beiden zu finden, – ich auch. Ich bitte Sie, zusammen mit Sir Forrester, der ohnedies jene Gegenden zu bereisen gedachte, die entlegene Farm zu suchen. Ich kann Ihnen für die Reiseroute nur geringe Anhaltspunkte geben. Jedenfalls verschweigen Sie Lizzie Zweck und Ziel der Fahrt. Das Kind soll nicht enttäuscht werden. Benutzen Sie von Mombasa die Eisenbahn bis Nairobi, lassen Sie das große Wildschutzgebiet südlich liegen und wenden Sie sich nach Nordost in die Galla-Länder. Es muß dort in der noch unerforschten Steppe einen Fluß geben, der am Rande eines Höhenzuges sich entlangschlängelt. Die bewußte Farm dürfte dort in der Nähe zu suchen sein. Die Farmer unterhalten keinerlei Beziehungen zu irgendeiner Siedlung, Erkundigungen in Nairobi oder Isavo als den Hauptorten wären zwecklos und auch unangebracht. Sollten Sie finden, was auch ich auf dem Landwege zu erreichen hoffe (und dies dürfen Sie Lizzie mitteilen), so ergibt sich alles Übrige von selbst. Ich warne Sie nur vor dem neu aufgetauchten Propheten im Somaliland, dessen Anhängerschaft beständig wächst. Es handelt sich um einen Somal namens Koneni, der unter der Bezeichnung „Der verrückte Mullah“ in den Kolonialberichten der letzten Zeit eine bedrohliche Rolle spielt. – Ihnen, lieber Freund Abelsen, jetzt schon Einzelheiten zu verraten, verbieten die ganzen Umstände. – J. C.“
Ich habe damals dieses Schreiben wiederholt gelesen, mir das Wichtige genau eingeprägt und es dann durch Sussik nach Bischarinart wasser- und schweißdicht in Leder einbinden lassen. Ich trage es auf der bloßen Brust, und wer diesen Brustbeutel findet oder raubt und darin Schätze vermutet, entdeckt nichts als eine Spezialkarte von Ostafrika und vielleicht ein paar Zettel mit flüchtigen Notizen von meiner Hand. Der Brief selbst liegt zwischen doppelter Lederschicht, die mit Harz abgedichtet und mit roten Fasern vernäht ist. Für alle Fälle habe ich noch Reginald ins Vertrauen gezogen. Es könnte mir etwas zustoßen, – und es wäre mir zweimal auch beinahe aus Leben gegangen.
Jedes zu seiner Zeit. –
Abschied von unserer Oase, scharfer Ritt bis zur Hafenstadt Suakim am Roten Meer, fünf Tage Rast, bis ein Dampfer uns aufnahm, Fahrt durchs Rote Meer, um die Ostspitze Afrikas, weiter gen Süden, – dann Mombasa, Ausgangspunkt der tadellosen Bahnlinie bis zum Viktoria-Nyansa-See …
Fünf Männer, ein junges Mädel, innige Kameradschaft trotz verschiedenartigster Veranlagungen. Der Fennek als sechster mit die Hauptperson, zahmer als ein Hündchen, frecher als ein Teckel, schlauer als ein Pudel, – an Bord allgemeiner Liebling, in Mombasa im Hotel Gegenstand allgemeinen Staunens, genau wie ich über diese saubere, moderne Hafenstadt staunte, in der alle Völker der Erde sich ein Stelldichein geben, in der genau wie in dem kleineren, fast noch sauberen Nairobi elektrisches Licht, Wasserleitung, große Läden mit strahlender Abendbeleuchtung, tadellose Straßen, Promenaden, Kaffees, Basare es unfaßbar erscheinen lassen, daß zum Beispiel dieses selbe Nairobi von doppelten Zäunen, Dornverhauen, Stacheldrähten und Steinmauern wie eine Festung umgeben ist!
Gegen Feinde?!
Ja – aber gegen vierfüßige, die nachts die Außenbezirke, die Felder und Äcker heimsuchen, so ganze Zebraherden, Trupps von Gnus, Hartebeesten, Antilopen …
So zahlreich ist hier immer noch der Wildbestand!
Und – er vermehrt sich, behaupten die Ansässigen, die für das Wildschutzgesetz nur ein ärgerliches Kopfschütteln haben.
„Löwen?!“ sagte der Hotelbesitzer in Nairobi zu mir … „Löwen, Sir, – die nehmen schon überhand!! Von den Zebras ganz zu schweigen! Sie werden es ja vom Zuge aus gesehen haben, wie stark die Zebraherden sind!“
Da hatte der Mann vollkommen recht. Wir hatten es nicht für möglich gehalten, daß dicht neben den Schienen derartige Mengen von Wild sich aufhielten, wir hatten anfänglich gedacht, es handele sich um Tiere, die in großen Kraalen unfrei grasten. Ein Irrtum! Sie waren frei, – genau so frei, wie die fast nackten Schwarzen, die dem Straßenbilde Nairobis die echt afrikanische Note verliehen. Da waren Massaiis[3], Wakambas, Somali, – da waren bis auf den Lendenschurz unbekleidete Weiber mit Sprößlingen in Bastkörben auf dem Rücken, da war so viel Gegensätzliches, daß wir die englische Verwaltung nicht begriffen, die all diese schwarzen Krieger mit Waffen in die Stadt hineinläßt, – Massaiis mit gefährlichen Lanzen und kurzen Wurfspeeren, Wakambas mit Bogen und Pfeilen, Somali mit Vorderladerflinten und Pistolen von Anno dazumal …
So ist dieses Nairobi, Bahnstation, Stadt, Handelsplatz, Ausgangspunkt zahlloser Wege ins Innere.
Derselbe Hotelbesitzer, der in der Vorstadt einen großen Garten besaß, zeigte mir eines Morgens, als wir noch mit der Zusammenstellung unserer Safari zu tun hatten, einen durch eine Zebraherde eingedrückten Zaun …
„Sir, die Biester verstehen es tadellos, in geschlossener Linie gegen einen Bretterzaun Sturm zu laufen … Hier können Sie sich mit eigenen Augen überzeugen, was sie für Schaden anrichten … Kein Wunder, daß wir sie abknallen, wo wir nur irgend können. Aber – das hilft nicht viel. Nach Südwesten zu erstreckt sich ja das Wildschonrevier, eine Fläche von 25 000 Quadratkilometer – 25 000!! Dieses Gebiet ist der unerschöpfliche Quell, aus dem all dies schädliche Viehzeug sich über die Steppen ausbreitet, – kein Schuß darf in diesem Territorium fallen, es sei in Notwehr. Es ist ein Wildpark, Sir, wie die Erde ihn nirgends mehr aufzuweisen hat! Es ist – von unserem Farmerstandpunkt betrachtet – ein Unfug!! Und wenn Sie erst einige Meilen von der Stadt entfernt sind, werden Sie mir recht geben: In diesem Falle sind die Herren dort am Grünen Tisch in London allzu tierfreundlich!“
Dann kam er auf die Kehrseite der Medaille zu sprechen … „Und gerade die wilden Büffel, Sir, an denen uns schon zu Kreuzungszwecken so sehr viel liegt, sind durch die Rinderpest vor einigen Jahren fast ausgerottet worden. Da griff die Regierung zu spät ein, da hätte manches geschehen können, die Seuche einzudämmen. Nichts geschah. So gut wie nichts. Was hilft jetzt das allgemeine Abschußverbot für Büffel?! Sie werden nicht einen zu sehen bekommen! Was von ihnen noch übrig, steckt in den dichten Wäldern, Sümpfen und buschreichen Mooren … An den Zebras liegt uns nichts. Sie sind sehr schwer zu zähmen, Kreuzungsversuche mit Pferden oder Eseln schlagen fehl, die Viecher sind faul, störrisch, ermüden leicht, – – genug davon, Sir …! Sie wollen ja gen Nordost in die Steppe hinein, Ihr Freund Forrester hat glänzende Empfehlungsschreiben, Sie werden tun und lassen können, was Sie wollen: Schießen Sie ab, was Ihnen vor die Mündung kommt, und die Farmer werden Sie segnen!“
So sprach ein Ortskundiger zu mir. Und – er übertrieb in nichts.
Der gute Reginald hat all dies viel eingehender aufgezeichnet als ich. Er ist Gelehrter, er will mit Zahlen belegen, was ich hier nur andeute, er hat verschiedentlich Zebraherden bis zu hundert Stück photographiert, er hat Antilopentrupps abgeschätzt, – es kamen dabei zumeist dreistellige Zahlen heraus, er hat eine Tabelle für Begegnungen mit Löwen angelegt, und nicht ein Tag verging, an dem er diese Rubrik nicht ausfüllen konnte.
Was mich betrifft: Ich kann nur wiederholen: Ich staunte immer wieder, – bis mir diese Bilder der von Großwild belebten Steppe eben etwas Alltägliches wurden. –
Von unserem neuesten Lagerplatz habe ich vorhin berichtet. Ich möchte noch einiges über unsere zwanzig Safari-Leute hinzufügen, – nein, nicht mehr zwanzig, nur noch achtzehn, zwei Massaii sind in eine bessere Welt hinübergewandert, ein Nashorn hat sie buchstäblich zertrampelt, und daß ich nicht mit der Dritte wurde, dankte ich nur Afra, der dem blindwütigen Untier die auf den Boden gestützte Lanze entgegenhielt und es derart aufspießte, daß Sussiks und meine Kugeln sich erübrigten.
Achtzehn Träger haben wir also noch, davon zehn Wakambas, fünf Massaiis und drei Wakikus, alles prächtige, junge Kerle, die mehr Wert auf die tägliche Ration Tabak legen als auf ihre persönliche Sicherheit. Sie haben eigentlich nie versagt, diese zähen Burschen, die singend auf ihren Köpfen pro Mann etwa drei Viertel Zentner schleppen und pro Mann täglich mindestens vier Pfund Fleisch verschlingen, dazu Reis und … Whisky.
Unser Somalifreund Afra ist Häuptling dieser achtzehn, Lagerverwalter, Vorbeter, Polizist (stehlen tun sie wie die Raben!) und Wiegemeister für das Tabakquantum.
Oberhaupt unserer Karawane ist dem Namen nach Sir Reginald. Aber – diesmal „Aber“ ganz groß geschrieben – Oberhaupt de fakto bin ich. Und mich kommandiert wieder ganz heimlich und zart die blonde Lizzie. – Sussik und Mehmed Said haben andere Pöstchen, ersterer versorgt unsere sechs Pferde, nein, Pferdchen, denn es sind nur Ponys, und Mehmed, der würdige Graukopf, ist Koch und Photographengehülfe und … Arzt.
Wie so ganz anders als in der Nubischen Wüste ist hier unser Leben! Trinkwassermangel gibt es nicht, Fleischmangel erst recht nicht, wilde Ritte nur selten, dazu sind die dicken Ponys zu faul, – Schießereien kommen jeden Tag vor, zumeist gelten die Kugeln den erstaunlich unverschämten, aber auch sehr gewitzten Löwen, die im übrigen von selbst einen Menschen kaum angreifen werden, so lange es … hell ist.
Es gäbe hier ja so unendlich viel Einzelheiten zu berichten. Wenn man jedoch wie ich nur nach langen Pausen immer wieder zur Feder greift (ich bin ja nicht Reginald, der mit pedantischer Sorgfalt Abend für Abend seine Rubriken ausfüllt), dann rutscht die Hälfte des Erlebten, Erschauten unter den Tisch und ich notiere nur das, was nicht lediglich Äußerliches war, sondern auch die Seele, das Herz packte, und ich glaube fast, dieses Übersehen von Kleinigkeiten ist kein Fehler, sondern nimmt meinen Aufzeichnungen vielleicht das Trockene, Gekünstelte. Lizzie ist in dieser Beziehung sehr kühler, sachlicher Kritiker. Sie liest jede Zeile, sie hat sehr das Näschen gerümpft, als sie die Seite überflog, in der ich ihre Freude über meine Errettung aus dem Labyrinth sehr vorsichtig geschildert habe. Ich muß mir, was ihr liebes Persönchen angeht, überhaupt eine noch schärfere Bremse anschaffen. Sie ist ein kleiner Racker, die Lizzie, und sie wird empört sein, wenn sie morgen abermals entdeckt, daß aus dem Manuskript einzelne Blätter des heute Niedergeschriebenen fehlen. Der Inhalt des Briefes Lady Janes muß ihr ja vorenthalten werden. –
Der Abend ist da.
Ich bin soeben mit Mukki, der mir nie von der Seite weicht, draußen auf der äußersten Spitze der Terrasse gewesen und habe mit dem Glase die Steppe abgesucht.
Steppe …
Die Bezeichnung könnte falsche Vorstellungen erwecken. Diese Steppe ist bunt und voller Abwechslung, Sandflächen, mannshohe Graspartien, kleine Wälder, Felsgruppen, tief eingeschnittene Bäche, weite Buschflächen und wellige Savannen mit kurzem Grase drängen sich im Blickfeld des Fernglases zusammen. Über grüne Büsche ragen bewegliche Tierköpfe hinweg: Giraffen, wohl das scheueste Wild. – Durch sumpfige Bodenfurchen ziehen dunkle, plumpe Kolosse: Nashörner! Meist sind es Familien, Vater, Mutter, Kind. – Die einzeln hausenden Tiere dieser Gattung, die alten Bullen, sind die bösartigsten Gesellen. Ihre dicke Schwarte mit den tiefen Falten wimmelt von Ungeziefer, und ihre geflügelten Freunde und Warner, die Madenhacker, sind ihre treuesten Wächter. Ein alter Bulle ernährt nach Reginalds Statistik etwa zehn dieser aufmerksamen Vögel. – Dann sind da die Hauptzier der Steppe, die graziösen Antilopen, von denen es eine ganze Menge Arten gibt. Gnus, Zebras, Hartebeeste vervollständigen das abendliche Gemälde.
Ich habe von den Freunden nichts bemerkt, obwohl der Marsch einer solchen Kolonne das Wild stets beunruhigt und man daher schon durch die flüchtig abgehenden Rudel etwa die Stelle erraten kann, wo die Störenfriede dieser Einsamkeit, die Menschen, dahinziehen. Leise Sorge beschlich mich. Die Dunkelheit mußte in einer halben Stunde hereinbrechen, und da außerdem von Westen her, wo das weiße Schneehaupt des Kilimandscharo jetzt im rosigen Glanz erstrahlte, finsteres Gewölk aufzog, war mit Regen und Gewitter zu rechnen.
Mukki, bemerke ich, ist seltsam ruhelos. Er wechselt dauernd den Platz, schnüffelt, schiebt die Nase durch den Vorhang ins Freie, kehrt zu mir zurück und setzt sich auf meine Stiefelspitzen – sein Lieblingsplatz trotz der Härte dieses Sessels. Die Paviane, die drüben an der Felswand und in den riesigen Sykomoren hausen, sind ihm bereits gleichgültig geworden und können dieses auffällige Benehmen meines Freundes kaum verschuldet haben. Was hat der Fennek nur?! Er rennt hinaus, und sein helles Kack Kack Kack Kack treibt mich aus dem Klappstuhl hoch. Ich greife nach der Büchse und trete ins Freie …
Hinter Lizzies Zelt verschwindet eine dunkle Gestalt …
Ich springe vor, – ein Speer saust haarscharf an meiner Achsel vorüber, – eine Wurfkeule trifft meine Brust wie ein schwerer Stein, ich taumele, schlage mit der Elefantenbüchse, Kaliber 10,4, blitzschnell zu, und der Somalineger bricht in die Knie.
Bevor er seine fünf Sinne wieder beisammen hat, ist er mit Riemen gefesselt, – ich eile zu der Pforte des Dornenwaldes, Mukki steht in der Öffnung und hat die Riesenohren nach vorn gerichtet, – das Brett mit den vier dichten Dornbüschen, das Tor, ist zurückgeschoben, ich kann es gerade noch schließen und wieder mit den Pflöcken befestigen, dann springen auch schon sechs – sieben behende Gestalten zwischen dem Geröll draußen empor und flüchten in die Büsche …
Auch Somali, auch Leute mit dem weißen Viereck auf der Stirn …
In Nairobi hatten wir erfahren, daß der „Verrückte Mullah“, der weiter nach Somaliland hin so eine Neuauflage von Mahdistenaufstand gegen die Engländer inszeniert hatte, seine Anhänger mit dem weißen, scharfen Milchsaft einer Sumpfblume zeichnete: Ein Viereck auf der Stirn schrägliegend, etwas schief … Man sagte, das Viereck solle die Umrisse der heiligen Kaaba in Mekka bezeichnen.
Mit dem friedlichen Suchen nach der ungewissen Farm war es hiermit vorbei. Wir hatten niemals damit gerechnet, daß die Scharen des Mullah bereits hier in die Gallaländer eingedrungen sein könnten. Es war so. Mein Gefangener bestätigte es.
Es war ein jüngerer Krieger, ein Prachtkerl, nur die Beule an der Stirn verunzierte ihn jetzt. Eine Elefantenbüchse ist halt kein Staubwedel.
Der Mann wollte zunächst natürlich nichts aussagen. Daß er das Englische leidlich beherrschte, war mit Sicherheit anzunehmen. Zu Kundschaftern benutzen diese farbigen Rebellenführer nur sprachkundige Leute.
In solchem Falle löst man eine widersetzliche Zunge am leichtesten durch einen zarten Wink mit einem Pistolenlauf. Ich konnte hier nicht lange friedfertige Überredungskünste anwenden. Meine Freunde waren sicherlich diesen braunen Fanatikern in die Finger geraten, und meine Angst um Lizzie machte mich hart.
Der Somal, Hochmut, Haß, Verachtung in Miene und Blick, fühlte die Mündung an der Stirn und er sah wohl aus meinem drohenden Gesicht, daß mit mir nicht recht zu spaßen sei.
„Herr,“ erklärte er finster, „wir sind zu hunderten in der Steppe, und deine Leute sind in unserer Gewalt. Tötest du mich, so töten wir euch alle …“
Daß er übertrieb und log, merkte ich schon seinem durchaus nicht allzu zuversichtlichen Tone an.
Nach einigen Minnten, die ihn sehr eindrucksvoll davon überzeugten, daß ein an einem Riemen festgebundener und über dem Steilabhang mit dem Kopf nach unten hängender Mann unweigerlich von irgendeiner Bestie, entweder Löwe oder Leopard, zerfleischt werden würde, rief er mir zu:
„Herr, wir sind nur eine durch die Engländer versprengte Abteilung … Deine Freunde haben sich drüben im Walde auf die hohen Bäume geflüchtet.“
„Wieviel seid ihr im ganzen?“
„Etwa siebzig, Herr …“
Jetzt log er nicht.
Kurz vor unserer Ankunft war in Nairobi ein englisches Expeditionskorps gegen den verrückten Mullah in Marsch gesetzt worden.
Ich zog den Somal wieder empor und fesselte ihn an einen Stein.
Zunächst konnte ich mich mit ihm nicht länger beschäftigen. Ich mußte den Wall verstärken, mußte Feuer anzünden, Waffen bereit legen, Mukki am Eingang festbinden, damit er mich rechtzeitig warnte, und unsere wertvollste Habe verbergen.
Ich hatte dem Somal deshalb auch eine Decke über den Kopf geworfen, er sollte nicht sehen, wohin ich Kisten und Büchsen und Säcke schleppte. – Die Terrasse, ein spitzwinkliges Dreieck, maß von dem Dornenverhau (der Grundlinie) bis zur Spitze etwa hundertfünfzig Meter. Die Seitenwände fielen senkrecht ab, der Fels war glatt und unmöglich zu erklimmen, die Steilwandhöhe betrug durchschnittlich zwölf Meter. Der einzige gefährdete Punkt war eben die Grundlinie, die Barrikade[4]. Die Oberfläche der Terrasse zeigte Büsche, Gräser, Felsen, Geröll, Sandflecken und – das wichtigste – die glitzernde Bahn einer Quelle, die als Gießbach nach Norden zu über den Abhang strömte. Inmitten einer Felsgruppe hatte Afra schon gestern früh eine schräge Vertiefung entdeckt, deren kühler Innenraum uns als Fleischkammer diente. Afra hatte eine Steinplatte darüber gelegt.
Ich entfernte das Fleisch, stapelte alles Wertvolle in dieser Grotte auf und häufte nachher über die Steinplatte noch Geröll. Um jedes Anzeichen, daß hier ein Versteck vorhanden, gänzlich zu tilgen, brannte ich auf dem Geröll ein Feuer an. Holz gab es genug. Unsere Safari-Leute hatten ein paar Stöße Vorrat aufschichten müssen. Ich behielt für mich nur die Großkaliberbüchse und meine Remington und zwei Pistolen mit je fünfzig Patronen. Alle anderen Waffen und Patronenkästen hatte ich gleichfalls versteckt.
Inzwischen war das Gewitter weit nördlich vorübergezogen, ich hörte den Donner, sah die Blitze, aber kein Tropfen Regen fiel, nur … Nebel kam, dicker, grauer, kalter Nebel, von dem jeder Ostafrikaner ein Liedlein zu singen weiß.
Nein, – dies hier war nicht Nubien, dies war ein Land mit kalten Nächten, Morgennebeln, unheimlichen Gewittern und unheimlichem Viehzeug.
Es wurde finster wie im Sack. Meine vier Wachtfeuer schmolzen zu kläglichen Lichtfunzeln zusammen.
Und draußen lauerten die Mullah-Kerle!
Das zeigte Freund Fennek mir an …
Er keckerte immer erregter … Dann überstürzten sich seine Warnungsrufe …
Zweimal hörte ich es im Dornverhau rascheln und feuerte auf gut Glück. Als Antwort flogen ein Dutzend Speere über den Wall.
Ich sah ein, daß ich hier in kurzem überrannt werden würde. Die Dornbüsche würden sehr leicht Feuer fangen, dann war ich erledigt. Es wurde mir nicht leicht, die Ponys preiszugeben. Es mußte sein. In aller Eile packte ich ein Bündel, befestigte es mir auf dem Rücken, nahm mehrere Riemen und ließ zunächst Mukki an der Dreieckspitze in die Tiefe hinab. Ich horchte. Er blieb still. Dann kletterte ich hinterdrein. Es war auch die höchste Zeit. Die Somali griffen an, brennende Reisigbündel flogen wie verschwommene Leuchtkugeln über die Barrikade, die Dornenwand knisterte und prasselte bereits, – aber der Nebel, den ich vorher verwünscht hatte, ward mir jetzt zur Tarnkappe. Ich hatte den kleinen Freund am Riemen, ich ließ mich von ihm führen, seine feinen Sinne brachten uns aus der Gefahrenzone hinaus. Zuerst waren wir lautlos Schritt für Schritt vorwärts getappt, dann gaben wir Fersengeld, ich wußte ungefähr die Richtung, wo wellige, kurzgrasige Steppe sich bis zum nächsten Tropenwald hinzog, wo wir ungehindert laufen konnten.
Der Nebel hüllte alles, alles in ein gleichmäßiges Grau. Er war so dicht, daß ich von Mukki nichts sah. Der straff gespannte Riemen in meiner Linken war die Verbindung zwischen uns. Lizzie hatte ihn mit Sussiks Hilfe – der Bischarin konnte als kleiner Künstler in Lederarbeiten gelten – ein Halsband hergestellt, das reich mit Glasperlen verziert war, außerdem hatte es aber auch spitz gefeilte Nägel als Stacheln, und ein schwarzer Leopard, der vor Tagen Freund Fennek von einem Baumast überraschend auf den Rücken sprang, mußte mit blutigem Maule und einem Speer im Rücken diese Frechheit büßen. – Ich sagte: Schwarzer Leopard! Das mag widerspruchsvoll erscheinen, da Leoparden doch gelb und gefleckt sind. Es gibt schwarze Leoparden, wobei freilich unter „schwarz“ nicht etwa ein glänzend schwarzes gleichmäßiges Fell wie das der Panther zu verstehen ist, sondern nur eine ganz dunkle Haarfärbung, auf der die Flecken nicht mehr auffallen. Diese Spielart der Leoparden ist sehr selten. Ich besinne mich nicht, in irgendeinem Zoologischen Garten ein solches Tier hinter Gittern angetroffen zu haben.
Nach diesem Dauerlauf, bei dem Mukki ausschließlich die Richtung angab, verlangsamte ich das Tempo, band mir des Fenneks Riemen vorn an den Patronengurt, um beide Hände frei zu haben, und schritt ganz gemächlich dahin. Verfolger hatte ich nicht mehr zu fürchten, mir lag jetzt alles daran, die Freunde zu finden.
Einem so alterfahrenen Savannenläufer wie mir mußte es notwendig auffällig erscheinen, daß Mukki nicht etwa aufs Geratewohl vorwärtsstrebte, sondern häufig zur Seite abbog, mitunter auch stehen blieb, das Gras beschnüffelte und dann weitertrabte. Meine Vermutung, daß er die Spur unserer Freunde gefunden haben könnte, ward zur Gewißheit, als wir nach etwa zwei Stunden die Nebelwolken passiert und die mondhelle Steppe vor uns hatten.
Ich sah die Fährte nun ganz deutlich im Grase. Sie lief als breiter Strich vor mir hin, – drüben ragte ein langes Waldstück als dunklere Wand empor, es war derselbe Wald, in dem wir die Bienenkörbe der Neger in den Zweigen gefunden hatten – – und geplündert.
Der Reichtum an Insekten ist in diesen Gegenden erstaunlich, Bienen gibt es in Unmengen, Moskitos nur in der Nähe von Sümpfen mit Papyrusstauden, aber Tsetse-Fliegen kommen leider überall vor, und was deren Stich für die Rinder und Büffel bedeutet, ist bekannt genug.
Lizzie hatte diesen Wald sehr poetisch Honighain getauft. Mit dieser Poesie war es nun leider aus: Dicht vor dem Walde stieß ich auf die erste Leiche eines erschossenen Somal mit weißem Viereck … Zwei Hyänen hatten sich bereits an den Toten herangewagt und flohen nun in plumpen Sprüngen in das Buschwerk.
Der Tote warnte mich. Ich beschrieb einen Bogen, umging den Wald und stieß auf der Ostseite wieder auf die klare Fährte, hier war es jedoch eine Doppelspur, – die Freunde hatten denselben Rückweg gewählt, steckten also in dem Honighain.
Ich wartete, bis der Mond hinter den Wolken verschwunden war, und überließ mich dann abermals beim Vordringen in den Wald den feineren Instinkten meines Mukkis. Die Spur mieden wir, ebenso buschreiche Stellen, machten immer wieder halt und horchten.
Von nächtlicher Stille konnte hier keine Rede sein. Nashörner schnaubten im Gestrüpp, rechts dröhnte das dumpfe Knurren eines Löwen, Kleinwild ging flüchtend, vor uns, hoch auf einer Lichtung standen fünf Giraffen, verschwanden wie langgereckte Gespenster. Die Anwesenheit der Tiere in diesem Waldteil gab mir die Gewißheit, daß die Somali, falls sie die auf Bäume Geflüchteten belagerten, nicht in der Nähe sein konnten.
Es blieb ein gefährliches Unternehmen, dieses Suchen unter breitästigen Stämmen, die jeden Lichtstrahl der Himmelslampen absperrten, es hätte ergebnislos enden müssen, wenn nicht so ein kleines hellgelbes vierbeiniges Bürschlein neben mir gewesen wäre mit einem winzigen Schnäuzchen und Riesenohren und Riesenaugen und sogenannten „Instinkten“, auch eine jener „Erfindungen“ aus verstaubten Gelehrtenstuben, in denen unbedingt die scharfe Trennlinie zwischen Mensch und Tier aufrecht erhalten werden sollte.
Der tropische Wald lebt nachts. Die Steppe aber schläft. In der Steppe bewegt sich das Getier selbst im hohen Grase fast lautlos. Nur das Zebra macht eine Ausnahme. An Wasserlöchern trockener Flußbetten hört man sie von weitem.
Im Walde verraten knackende Zweige, rauschende Büsche, Knistern des Humusbodens das schleichende Wild. Aber – man sieht wenig, man ahnt nur alles, man erspäht vielleicht glühende Lichtpunkte, hellere schattenhafte Umrisse, – dann ein paar Geräusche, der Spuk schwindet …
Das kostet Nerven.
Man hebt unzählige Male die Büchse mit dem mit Leuchtfarbe gekennzeichneten Visier, man spannt alle Muskeln, wartet – wartet …
Und nichts geschieht …
Ein ewiges Spiel von Anspannen und Entspannen der Kräfte und Sinne.
Dabei duften Bäume und Büsche doppelt kräftig, der Wald ist erfüllt von fast betäubendem Aroma, – – oder man spürt den ekelhaft süßlichen Gestank eines Kadavers, den vielleicht ein Löwe, ein Leopard nach kurzer Mahlzeit liegen ließ und an den sich die Hyänen, diese Allesfresser, Feiglinge, diese Abdecker der Steppe erst nach Tagen heranwagen …
Hyänen …
Kapitel für sich. Schon ihr scheues Schleichen, die Zeichnung ihres hinterlistigen Gaunergesichtes, ihre ewige Angst, ihre grenzenlose Feigheit zeichnet sie genügend. Jeder Frosch erschreckt sie. Jene winzigen Kröten, die sich an den Wasserstellen in den Sand einwühlen und dann nach einem Insekt emporschnellen, treiben sie in die Flucht. Jedes Geschöpf meidet sie. Höchstens der Schakal, auch Leichenfresser, hält einmal mit ihnen trügerische Gemeinschaft. Überall in der Steppe stößt man auf seltsame, innige Tierfreundschaften. Die Gazelle und der Pavian halten oft innig zusammen, warnen einander vor Gefahr. Hartebeeste und Zebras weiden friedlich nebeneinander, und der Augenblick der Gefahr vereint sie zu einem Rudel. Das Nashorn hat seinen Madenfresser, das Flußpferd seinen gleichen Insektentöter und Warner. Nur die gefleckte Hyäne ist verfemt. Daß sie den Negern hier die Arbeit der Begräbnisse „teurer Verwandter“ abnimmt, – der Schwarze liebt sie trotzdem nicht, trägt aber seine Schmorbraten abseits in den Busch, und … das Dorf ist um eine Person ärmer. – Auch Tatsache. –
Mein Fennek-Freund hat soeben wieder halt gemacht und windet scharf. Seit einer Viertelstunde sah ich kein Tier mehr. Ich bin daher doppelt vorsichtig. Ich schaue durch die dunklen Baumsäulen hindurch auf eine silberweiße, geisterhafte Lichtung, in der ein Dutzend Sykomoren dem Sternenhimmel sich entgegenrecken. Auf dieser Lichtung mit prächtigem Gras, das von Wildfährten durchkreuzt ist, ebenfalls nicht ein lebendes Wesen …
Nur drüben am anderen Rande schnattert und schimpft eine Pavianherde.
Freund Fennek hebt die feinen Pfötchen und tut acht Schritt vorwärts, geht wie auf Eiern …
Dann sehe ich vor mir hinter einem Busch eine glatte dünne Stange: Ein Lanzenschaft …
Im selben Moment blitzt es in den Kronen der Sykomoren auf, Knall und Klatschen des Geschosses sind eins, – ein Schrei … Der Lanzenschaft sinkt, ein Körper fährt hoch und kracht zur Seite.
Nun weiß ich, wo Freund und Feind stecken.
Sussik hätte gar nicht zu brüllen brauchen:
„Gut so, Sir Forrester …!!“
Nein, – nicht gut so! – Gerade das, was ich hatte vermeiden wollen, nämlich blutigen Zusammenstoß mit den Anhängern des verrückten Mullah, – gerade das, was mich bewogen hatte, unser Lager kampflos preiszugeben, das war nun doch besorgniserregende Tatsache geworden. Ich hätte die Terrasse verteidigen können, – mit vier Repetierbüchsen, fünf Pistolen hätte ich hinter einem Steinverhau hervor jeden Angreifer wegputzen können. Ich wollte es nicht. Rebellionen mit Glaubensfanatismus verquickt, haben in Afrika schon wiederholt ungeheure Opfer gefordert. Die Mahdistenkriege stehen da obenan, nicht viel ungefährlicher waren die Kämpfe der Italiener gegen die Scharen des Cyreneika-Propheten, und wie sich dieser Aufstand hier in Ostafrika entwickeln würde, konnte niemand voraussehen. Damals nicht. Damals begann dieser Aufruhr der Farbigen erst, – daß Englands unerschöpfliche Machtmittel ihn nachher so schnell dämpften, daß Englands uralte bewährte Politik, durch Geld Zwietracht zu säen und das Gold mehr als das Pulver zu benutzen, wiederum sich bewähren würde, dies ergab sich erst später.
Wir hier außerhalb der Zivilisation, fünf Männer, ein Mädel, achtzehn Safari-Leute, mußten unsere eigene Politik treiben, und – die war von vornherein verpfuscht durch die Umstände, durch vielleicht voreiliges Abdrücken einer Büchse. Es hatte Tote gegeben, sicherlich auch Verwundete, und damit war eine friedliche Verständigung unmöglich gemacht. Nicht etwa, daß ich den Freunden, die dort oben sich in den Wipfeln eingenistet hatten, irgendwie Vorwürfe machen wollte. Das lag mir fern. Ohne Not hätte schon Reginald niemals auf die Somali gefeuert, ohne Not hätte auch Afra, der doch selbst ein Somal war, diese Schüsse nicht geduldet, denn seine gewichtige Persönlichkeit hätte in solchem Falle kaum Widerspruch geduldet. Selbst Sussik ordnete sich dem Riesen stillschweigend unter, und Doktor Forrester ging ihm am liebsten aus dem Wege, nur Lizzie hatte Einfluß auf Afra, und mir gehorchte er aufs Wort. Ob jetzt auch noch, das blieb dahingestellt. Wie Afra sich seinen Landsleuten gegenüber verhalten würde, war eine peinliche Frage. Und genau so unklar war es mit unseren Safari-Leuten …
Ich betrachtete die ganze Situation als recht verfahren, – das unbekannte Ziel, das ich mir gesteckt hatte, trat nun völlig in den Hintergrund vor diesen bedrohlichen Gegenwartsfragen, die mehr als nur Abenteuer bedeuteten.
Blitzschnell arbeiten die Gedanken in so ernster Minute, blitzschnell huschen sie durch das Hirn, losgelöst von allem, was für den Augenblick an äußerlichen Eindrücken sich dem vor wichtige Entscheidungen Gestellten aufdrängt. Um mich her war wieder nur der jetzt schweigende Urwald, – in seinem Dunkel lauerte das Verderben, Haß, Rachgier, jener alte Haß zwischen Weiß und Farbig, der nie schwinden wird, bis eines Tages die überlegene Anzahl der dunklen Völker die Herrschaft an sich reißen wird …
Was also tun?! Wo war hier der richtige Weg, das richtige Mittel, noch Ärgeres zu verhüten?!
Freund Mukki reibt sein Schnäuzchen an meiner Ledergamasche, und ich, der in diesen Sekunden des Überprüfens unserer Lage niemals die Umgebung unbeobachtet gelassen habe, erblickte gleichfalls drüben unter den Sykomoren, zwischen Dornengestrüpp und trockenen Schilfstengeln, die hier stets feuchten Boden verraten, eine gigantische Gestalt in hellem Überwurf mit einem hellen, eng geschlungenen Turban.
Afra!
Afras Stimme dröhnt in einer mir fremden Sprache durch die Stille der Mondnacht, Afra tritt ins Freie hinaus, und wie durch Zauberspruch beleben sich die Ränder der Lichtung, Gestalten wachsen empor, den Speer, die Büchse in der Hand, stehen still und lauschen, und Freund Afra spricht.
Ich zähle flüchtig die Zahl der Feinde, – ich stehe im Schatten, noch hat mich niemand bemerkt, – ich zähle und gebe es auf … Es sind bestimmt an die hundert Gegner.
Unser Somal redet zu denen, die das weiße Zeichen der heiligen Kaaba an der Stirn tragen. Er redet nicht als einer, der sich abwendet von den bisherigen Gefährten, er redet als Unterhändler, seine Worte sollen versöhnen, wo der Tod bereits geerntet hat.
Ich beobachte die Gegner, ich wittere Verrat, ich ahne das Kommende voraus.
Links von mir, keine zwanzig Schritt entfernt, bemerke ich vier Leute, – ein fünfter halb hinter einem Busch, in den Händen eine moderne, irgendwo erbeutete Büchse. Der Kerl trägt den Khakianzug eines englischen Kolonialtommys, dazu eine jener merkwürdigen Ledermützen, die sich einzelne Völker hier aus einem Nashornmagen herstellen.
Der Kerl hebt ganz allmählich die Büchse, – für ein kundiges Auge verrät er schon durch diese ruhige Bewegung den geübten Schützen.
Blitzschnell arbeiten die Gedanken in so ernster Minute, blitzschnell werde ich vor einen harten Entschluß gestellt.
Der Kerl wird schießen …
Afra wird fallen …
Das ist Heimtücke, das ist niederträchtiger Mord …!
Knallte ich den Burschen nieder, dann habe ich die ganze Bande auf dem Hals, dann sind Mukki und ich in Sekunden ausgelöscht …
Ich bückte mich, die tastende Hand findet das Gesuchte, und ein faustgroßer Stein fliegt dem Meuchler gegen die Lende, – der Knall des Schusses, der die Worte Afras übertönt, – die Verwirrung der Schwarzen über den jähen Knall geben mir Gelegenheit zu raschem Durchbruch …
Ich stürme vorwärts und reiße Freund Fennek hinter mir her, ich höre die Speere sausen, die bleiernen Bienen summen und das schwirrende Geräusch fliegender Wurfkeulen …
Die eine trifft, aber dort wo sie aufschlägt, hat das Ende des Rückens sein feistes Sitzpolster.
Eine Hand zerrt mich hinter die erste Sykomore, es ist Afras Hand, und aus den Ästen über uns blitzt und knallt es, – – dann wird es wieder still, und nur das heisere Schreien einer über den Kampfeslärm empörten Waldeule begleitet Afras hastige Worte:
„Herr, wir waren deinetwegen in Sorge …“
Ein Baststrick baumelt mir vor dem Gesicht, ein zierlicher Fuß trifft im Herabgleiten meine Nase um Lizzie Neworlds Arme umklammern mich …
„Du – die Angst, die Angst … um dich!!“
Die Stimme versagt ihr, und wie einst dort droben im Norden Afrikas in den Sanddünen Nubiens, aber tief unter der Erde fühle ich Lizzies Lippen und vergesse alles ringsum … Der Onkel Olaf vergißt auch seine Onkelrolle, und erst Afras warnendes Rütteln und seine allzu kurze, unklare Bemerkung: „Herr, – später dies!!“ trennt ein doppeltes Lippenpaar.
Es ist hier sehr dunkel im Baumschatten, und das ist gut, denn ich glaube, Lizzie ist sehr rot geworden und ihre wirren Reden über die Baumfestung droben klingen mehr wie verlegenes, ablenkendes Stammeln. –
Baumfestung …
Mehmed Saids ruhige Würde spricht mit einigem Stolz von dieser seiner Idee. Zunächst freilich vermag ich kaum zu prüfen, ob diese Idee so überaus glänzend ist. Der Mond hat sich leider verkrochen, und ich finde die Freunde und die Safari-Leute vollzählig auf einer Art Plattform in den oberen Zweigen versammelt. Zu dieser Plattform lieferte die durch einen Sturm kurz abgeknickte Spitze einer Sykomore das Fundament … Man hatte Äste darüber gelegt, man hat Taue aus Baststreifen geflochten und hängende Brücken zu den anderen Stämmen hergestellt. In jedem Baume sitzen zwei Wachtposten, und wenn sie auch zumeist nur Vorderladerflinten haben, die mehr durch ihr Getöse, als durch ihre Rehposten[5] wirken: Ein überraschender Angriff war bisher unmöglich.
Bisher …
Nun hat sich der Mond versteckt, nun lagert das Dunkel über der Lichtung, und selbst Reginalds erhabene Gleichgültigkeit schmilzt dahin, als in unser Baumnest von unten her die erste Kugel hineinfährt und ausgerechnet Sir Forresters Stiefelsohle lädiert. Zwei Zentimeter weiter links, und die große Zehe wäre glatt amputiert gewesen.
Zwischen uns fünf Hauptpersonen und Lizzie besteht eine wundervolle Ergänzung der Gedanken. Was dem einen entgeht, bemerkt der andere, was der eine vorschlägt, wird nutzbringend ergänzt. Wir sind ganz aufeinander abgestimmt, und diese drei Wochen seit dem Aufbruch von Nairobi haben die seelischen Fäden noch enger geknotet.
Die zweite Kugel der im Schutze der Finsternis in den kleinen Sykomorenhain eingedrungenen Somali zersplittert lediglich einen Ast.
Sussik, Bischarin mit Bubifrisur und Hammelfettduft, hat nach kurzer Beratung zwei Bündel entzündet, zwei riesige Nester von Kranichen, trocken wie Zunder, ausgepolstert mit Gräsern … Zwei Feuerbälle fliegen abwärts in die Schilfstengel, – und wie leicht diese auflohen, haben wir schon einmal erfahren, als Reginalds Blitzlichteinrichtung allzu feurige Funken sprühte und dann im Augenblick ein ganzes Flußtal eine einzige Feuerwand bildete.
Auch hier war es so. Alles, was unter den Sykomoren irgendwie brennbar war, flammte auf, und die Somali mußten schleunigst den Platz wieder räumen, – wir hätten bequem mehrere abschießen können, wir unterließen es und waren zufrieden, daß die Kranichkolonie übergenug Brennstoff lieferte, das Gelände zu beleuchten. Der Qualm belästigte uns kaum, der Wind wehte gen Ost, und daß die Lichtung mit in Flammen aufging, daß sogar der Brand sich im Walde fortsetzte, war uns nur angenehm.
Für die Nacht waren wir in Sicherheit. Wie der Tag sich dann für uns gestalten würde, – – spätere Sorgen haben mich nie gequält. Es würde schon irgendwie Rat werden.
Reginald saß im Lichte der überall zuckenden Flammen sehr mißvergnügt auf einem Ast und betrachtete seine Stiefelsohle, ein Stück Oberleder war ebenfalls flöten gegangen … Reginald hörte höchst gleichgültig meinen Bericht mit an. Neben mir saß eine weit interessierte Partnerin, und in deren Schoß hatte sich Mukki ganz eng zusammengerollt – beneidenswert! – und eine braune Mädchenhand streichelte sein seidiges Fell … – beneidenswert.
Mehmed, wie stets verkörperte Würde und Abgeklärtheit, rauchte seine Pfeife, Sussik und Afra holten Kranichnester, und die Safari-Leute hockten in großartiger Gemütsruhe da und schmauchten gleichfalls.
„Die Ponys sehen wir niemals wieder,“ sagte Reginald mißmutig. „Nur gut, daß Sie meine entwickelten Filme so sorgfältig versteckt haben – – Frechheit!!“
Letzteres galt einer Kugel, die über uns hinwegfegte …
„Haben Sie auch meinen Rasierapparat in Ihrem Bündel, lieber Abelsen …? Der Gedanke, tagelang wieder mit den Anfängen eines Vollbartes umherlaufen zu müssen, ist mir unerträglich …“
Sein Blick streifte dabei Lizzie, – was häufiger geschah …
„Vielleicht,“ sagte ich rücksichtslos, „vielleicht brauchen Sie ab morgen nie wieder eine Rasierklinge … Hyänen würden an Ihrem Stoppelbart keinerlei Anstoß nehmen.“
Lizzie lachte leise und sorglos. „Er will Sie nur foppen, Sir Forrester … Die Hyänen können warten … Aber ich“ – und sie wurde sehr ernst – „ich warte nun nicht länger. Ich wünsche den Inhalt des Briefes zu erfahren, Onkel Olaf … Man kann nie voraussehen, was geschieht …“
„Das stimmt, mein Kind … Zuvörderst möchte ich dann aber wissen, was dir Major Mac Oldyn damals auf dem Plateau mitgeteilt hat … bitte!“
Eine Rauchwolke strich über uns hinweg, Lizzie hustete, dann erwiderte sie sehr ablehnend:
„Darüber spreche ich nicht!“
Ich war verletzt. In ihrem Ton hatte etwas geradezu Herausfordernd-Scharfes mitgeklungen.
Reginald gähnte diskret. „Laßt das doch jetzt. Es wäre vernünftiger, wir würden uns niederlegen. Sobald es hell wird, können die verrückten Mullah-Kerle uns drüben aus den Baumkronen beschießen, dann gibt es keine Minute Ruhe, fürchte ich.“
Sussik kam schwer beladen die eine Strickleiter hinab. Er warf das Brennholz nieder, drückte seine Patentfrisur zurecht und sagte mit der ihm eigenen Bestimmtheit:
„In einer Stunde wird es regnen und gewittern, Olaf … Dann fliehen wir, wir werden die Somali über die Richtung, die wir wählen, schon täuschen können …“
Als Wetterprophet war Sussik unerreicht. In diesem Falle konnte uns ein Gewitter nur schaden.
„Sussik, sie werden uns einkreisen, sobald die ersten Tropfen fallen und unsere Beleuchtung erlischt,“ meinte ich achselzuckend. „Denke dir etwas Besseres aus … Flucht wäre nur möglich durch die Luft, und da wir weder einen Ballon noch ein Flugzeug oder etwas Ähnliches haben, werden wir gut tun, unser Hirn nach einer anderen Richtung hin anzustrengen …“
„Ich wünsche den Brief zu lesen!“ warf Lizzie noch gereizter ein …
Sussik, der diesen milden Zankapfel schon kannte, sagte zu unserer kleinen Tyrannin, indem er gen Himmel deutete:
„Miß, es ist zu dunkel, als daß Olaf die Ledertasche öffnen könnte … Da – es regnet schon!“
Regnen?!
Nein, – es war wie immer hier bei nächtlichen Gewittern: Es goß, es goß so urplötzlich aus Eimern, daß wir im Moment völlig durchweicht waren, – nicht nur das: Blitze fuhren herab wie lohende Schlangen, das Krachen schien das Firmament spalten zu wollen, – wir sahen nicht mehr die Hand vor Augen.
Es war das dritte derartige Gewitter, das wir erlebten, aber auch das schwerste, – da halfen keine imprägnierten Decken, – der Sturm schlug uns die Zipfel nur in die nassen Gesichter, der Wald stöhnte und ächzte, unsere Sykomoren pendelten wie trunken hin und her, unsere sogenannte Festung, doch nur eine durch Zufall festgeklemmte Baumkrone, kam plötzlich ins Rutschen, sie hatte den Halt verloren, wir fielen abwärts, wir purzelten übereinander, wir landeten in einem neu entstandenen Tümpel, ich konnte gerade noch Lizzie in die Arme nehmen und blindlings davonstürmen, – – hinter uns gellte schon das tierische Brüllen der Feinde, knallten Schüsse … –
Zwei Stunden drauf, als der Morgen graute, saß ich müde und zerschlagen, frierend und zitternd vor dem Felsloch, in dem Lizzie neben dem Fennek-Freund auf einem Graslager schlief.
Ich sah nichts von dem heraufziehenden Tage – ich sah nur wirre, formlose Gestalten …
Meine Zähne schlugen wie Kastagnetten aneinander.
Auch mich hatte die Malaria gepackt.
Zum ersten Male …
In einer Pause des lähmenden Schüttelfrostes kroch ich in das Tal hinab, wühlte den Sand auf, grub tiefer und tiefer, bis das Loch sich mit trübem Wasser füllte, schöpfte es mit der hohlen Hand und spülte die große Chinintablette hinunter.
Zum Emporklettern der Talwand reichten die Kräfte nicht mehr. Ich kollerte wieder zurück, ich rollte in ein Gestrüpp hinein, und mir schwanden die Sinne.
… Ich blättere in Reginalds Taschenkalender und stelle so fest, daß zwischen jenem Tage, an dem ich unsere Terrasse kampflos preisgab, und dem heutigen, wo ich in dem Zelte des Heiitsch Gabara sitze und wir Gäste dieses Häuptlings der Guasasso-Galla sind, genau drei Wochen und zwei Tage verstrichen sein müssen, falls eben dieser durchweichte, verlaufene, unleserliche Kalender von mir richtig entziffert wird.
Der Heiitsch Gabara gehört zu jenen Steppenfürsten, die wohl dem Namen nach die englische Oberhoheit anerkennen, im übrigen jedoch tun und lassen, was ihnen behagt. Gabara besitzt sogar einen englischen Orden, den er jedoch nicht selbst trägt. Er hat ihn seinem Lieblingsdromedar um den Hals gehängt, und da ein Dromedar immerhin ein einhöckeriges Kamel bleibt, nahm mir Reginald meinen Scherz über das dekorierte Kamel etwas übel.
Drei Wochen zwei Tage …
Und seit einer Woche leben wir hier im Nomadenlager der Guasasso-Galla, die vielleicht unter all den Galla-Völkern (auch die Somali gehören dazu) die kriegerischsten, räuberischsten und reichsten sind.
Der Heiitsch, ein älterer Mann mit hellbraunem Gesicht, durchaus kaukasischen Zügen und einem dünnen schwarzen Bart, ist das Ideal eines vornehmen, rücksichtsvollen Gastgebers. Wenigstens uns gegenüber. Wo die in seinem Riesenzelt hängenden Beutestücke mit englischen Fabrikmarken herstammen, danach frage ich nicht. – Gabara hat alle Ursache, uns nicht auszuplündern. Wie alle Wüstenräuber besitzt er seinen besonderen Ehrenkodex. Er ist dankbar und treu. Beides ist ihm etwas Selbstverständliches.
Die Galla-Völker sind Mischlinge von Hamiten und Negern. Man rechnet zu ihnen auch die Massaii, obwohl diese bereits weit ausgeprägter den Negertyp aufweisen. Die sogenannten freien Galla sind Nomaden und Heiden, nur einige Stämme sind strenggläubige Mohammedaner. Gabaras Untertanen wollen nichts vom Islam wissen und verehren die alten Gottheiten, nämlich Waka, den Gott, und die Göttin Oglie und ihren Gatten Atete, denen sie Schafe opfern, ohne sich sonst viel um diese erhabenen Herrschaften zu kümmern. Religion ist ihnen mehr Gewohnheit als inneres Bedürfnis, und die Raubzüge bleiben wie einst einträglicher Sport, der mit Begeisterung getrieben wird. Trotzdem stehen die Priester in hohem Ansehen, aber wohl mehr ihrer medizinischen Kenntnisse wegen.
Auch als Natur-Veterinärärzte sind sie berühmt, und derartige vererbte genaueste Erfahrungen im Behandeln von kranken Tieren müssen bei einem Volke, dessen Reichtum in Schafen, Rindern und Kamelen besteht, großen Einfluß gewinnen.
Das Gebiet der Guasasso-Galla erstreckt sich vom Guasasso-Fluß nordwärts bis zur Livin-Wüste und zum Marzabit-Berg, umfaßt noch Teile des riesigen, unerforschten Lorian-Sumpfes und besitzt natürlich keine festen Grenzen. Der Heiitsch Gabara schätzte die Zahl seiner Untertanen auf rund zehntausend Köpfe. Mir erscheint diese Zahl zu klein. Möglich, daß Gabara ein Interesse daran hatte, sein Volk auf dem Papier zu dezimieren, – er kann lesen und schreiben und er ist ein Feind jeglicher Steuer, die in englische Säckel fließen soll. Man versteht …
Gabaras zerlegbarer Palast ist aus Tierhäuten zusammengenäht. Die Innenwände sind Bastmatten, die Türen sind dicke Wolldecken, meist sehr bunt, eigene Produktion der Galla. Ein gewisser Luxus herrscht hier, der Boden ist mit zum Teil kostbaren Teppichen belegt (Herkunft unbekannt: Nie sollst du mich befragen!), die Karbidlampen dürften auch „gefunden“ sein, die Klapptische und Stühle und Schemel desgleichen. Das Zelt hat sechs Abteilungen. Mein Gemach liegt mit dem Fenster nach den Bergen zu, – ich sage Fenster und meine eine in das Leder eingenähte durchsichtige farbige Zelluloidscheibe. Im Nachbarzelt hausen die Freunde. Einer fehlt. Hinter seinen Namen muß ich ein ehrenvolles † setzen. – Davon später. –
Ich bin mit meinem Tagebuch etwas aus dem Zusammenhang gekommen. Mein Malariaanfall soll nun wieder die Verbindung mit den weiteren Ereignissen herstellen.
Ich rollte also in das Gestrüpp, und ich fiel verhältnismäßig weich. Ausgerechnet hatte hier ein Warzenschwein sein Lager hergerichtet, besser eine Sau nebst sechs ganz jungen Sprößlingen, – das Muttertier entfloh, und als ich in Schweiß gebadet erwachte, krabbelten sechs Frischlinge auf mir herum und lutschten ergebnislos an meinen Jackenknöpfen, was mir trotz des brummenden Schädels und Ohrensausens ein Lächeln entlockte.
Ich hatte drei Stunden in dieser innigen Gemeinschaft mit den Tierchen zugebracht, inzwischen war die Sonne emporgestiegen und es war sehr heiß geworden. Als ich mich aufrecht setzte, quietschten die Frischlinge empört auf, und drüben irgendwo im Papyrusdickicht grunzte die sorgende Mama. Auf allen Vieren kroch ich den Abhang empor und fand in dem Felsloch ein trautes Bild des Friedens: Lizzie und Freund Fennek schliefen noch, Lizzie hatte frische Wangen vom erquickenden Schlummer, und Mukki-Fennek begrüßte mich mit freundlichem Ohrenwedeln. Seine Standarte ist bei ihm nicht Mittel zum Ausdruck seiner innigen Gefühle. Nur bei brenzlichen Gelegenheiten pendelt sie hin und her oder wird zwischen die Beine geklemmt.
Ich aß etwas angeräuchertes Fleisch, ohne Lizzie zu wecken, ging zum Wasserloch hinab und nahm eine zweite Portion Chinin.
Meine Flucht aus dem Honighain bereitete mir weiter keine Gewissensbisse. Ich hatte nicht anders handeln können. Hätten die Mullah-Leute Lizzie gefangen genommen, würden sie in ihrer Person uns gegenüber ein Zwangsmittel besessen haben, das jede Aussicht auf Flucht oder friedliche Verständigung oder unfriedlichen Waffengebrauch unmöglich gemacht hätte. – Ich fühlte mich kräftiger, der Anfall von Malaria hatte mir nicht viel anhaben können, und meine Gedanken beschäftigten sich schon wieder mit allerlei Plänen, zunächst einmal über das Schicksal der Gefährten Gewißheit zu erlangen.
Ich weckte Lizzie. Unser Frühstück ward durch die Erinnerung an Lizzies allzu schroffes Benehmen beeinträchtigt, eine gewisse Fremdheit und Verlegenheit bannte die offene Aussprache, bis das Prachtmädel nach langer nachdenklicher Pause dem Onkel Olaf einfach einen Kuß gab und Abbitte leistete.
„Kind, ich muß dich nun hier allein lassen,“ bereitete ich sie auf mein Vorhaben etwas behutsam vor. „Du hast deine Büchse, deine Pistole, ich vertraue dir auch noch hier die 10,4-Büchse an sowie Freund Fennek. Ich werde den Eingang der Höhle verrammeln, du rührst dich auf keinen Fall von hier weg und wartest bis morgen früh auf mich. Sollte ich dann nicht zurück sein, wanderst du genau nach Südwest und wirst sehr bald auf Ansiedlungen stoßen …“
„Ausgeschlossen!“ sagte sie kurz. „Ich komme mit.“
„Ausgeschlossen, – du bleibst!!“ Und diesmal gab ich nicht nach. „Kind, du wärest mir wirklich nur hinderlich … Es kann zu sehr unangenehmen Reibereien zwischen mir und den Somalis kommen. Dann hätte ich auch noch dich zu schützen. Dein Einwand, es passe dir nicht, dich hier zu verkriechen, wird sofort entkräftet, wenn ich betone, daß auch du hier keineswegs außer Gefahr bist. Unten im Sande des ausgetrockneten Flußbettes sah ich zahlreiche Löwenfährten. Mein Warzenschwein ist allerdings geschützt, denn der Dornbusch dort hält die Bestien fern …“
Lizzie war einverstanden. Die Löwen gaben eben den Ausschlag. Sie war längst erpicht auf ein Löwenfell, sie hoffte … Wir alle hatten schon „gehofft“, jeden Tag, jede Nacht, aber einen Leu vor die Büchse zu bekommen, ist sehr schwer, die Bestien sind zu schlau. Reginald hatte bisher nur mit seiner Fernkamera einige Löwen geknipst, alle nächtlichen Versuche mit Köder und Blitzlicht waren fehlgeschlagen.
Lizzie wurde also „eingemauert“. Vor die Mauer türmte ich Dornen auf. Ich hatte Lizzie nur ein schmales Schlupfloch freigelassen. Mukki wurde angeseilt. Durch das Schlupfloch tauschten wir noch einen Händedruck, – ich blickte schnell zur Seite, denn Tränen sind mir gräßlich.
Ich wanderte allein durch die einsame Steppe – immer auf unserer Fährte entlang. Nirgends war ein Stück Großwild zu sehen – ein schlechtes Zeichen. Nur Imgalla-Antilopen weideten sehr scheu in der Ferne, drei Grevy-Zebras sah ich, und ein Nashornbulle witterte mich und zog schnaubend ab. (Die Zebras sind verschieden gezeichnet, das Grevy-Zebra hat schmalere und engere Streifen, das Grant-Zebra, das häufigere, breitere, dunklere und schräg liegende.)
Zwei Stunden Marsch, dann lag der Honighain[6] vor mir. Ich benutzte jetzt jede Deckung, mich näher heranzupirschen, und ich hatte Glück: Unbemerkt gelangte ich in den Wald, horchte, glitt von Stamm zu Stamm, traf zu meiner Überraschung dicht vor der Lichtung eine Nashorn-Familie und sagte mir daher, daß der Wald bestimmt nicht mehr besetzt sei, denn die scheuen, argwöhnischen Nashörner können zwar keine hundert Meter weit sehen, haben aber ein vorzügliches Gehör, erstaunlich scharf, vielleicht das schärfste aller Großwildarten. Sie wissen sehr gut verdächtige von unverdächtigen Geräuschen zu unterscheiden. Der Löwe wieder verläßt sich ganz auf Auge und Nase, er sieht im Finstern tadellos, er wittert Menschen auf hundert Meter gegen den Wind, keine Bewegung der Grasspitzen entgeht ihm, zumeist wird er allzu früh flüchtig, nur wenn mehrere Löwen gemeinsam jagen und einander eine Herde Zebras zutreiben, sind sie frech und angriffslustig. Die Hartebeeste (etwa unseren Hirschen vergleichbar) schätzt er als Fleisch sehr wenig. Giraffen entgehen ihm meist, an das Nashorn wagt er sich nicht heran, es zertrampelt ihn oder drückt ihn, sich umherrollend, platt.
Der Wald war leer von Menschen.
Aber die niedergebrannte Lichtung verriet mir durch ihre Spuren so allerlei. Ich fand fünf frische Erdhügel, in jedem steckte ein Somalispeer: Gräber!
Jedenfalls konnte ich erleichtert aufatmen, denn daß hier englische Kolonialtommys noch rechtzeitig eingegriffen hatten, zeigten mir die Marschfährten einer Truppe, die von Süden gekommen war.
Als ich diese Fährten draußen in der Steppe ein Stück verfolgte und dabei an einigen dicht bewachsenen Felsen vorüberkam, wurde ich angerufen. Es war Mehmed Saids dunkles, beherrschtes Organ …
„Ich habe auf Sie gewartet, Mr. Abelsen.“
„Sehr freundlich, Mehmed. Und die anderen?“
„Holen die Ponys und die Kisten.“
Der würdige Ex-Dragoman stieg von den Felsen herab und drückte mir die Hand. Er rauchte natürlich, und er klärte die Lage durch die nüchternen Sätze:
„Es waren dreißig Tommys und ein Offizier. Die Mullah-Leute ergaben sich, wurden entwaffnet und heimgeschickt. Ich denke, daß Sir Forrester mit den Safari sehr bald eintreffen wird.“
Das Abenteuer mit den weiß geviereckten Somali hatte also ein sehr unromantisches Ende gefunden. Wenn ich an meine Jugend und an meine Karl-May-Lesewut mich erinnere, – – was hätte Karl May aus diesem Erlebnis herausgezaubert!!
Die Wirklichkeit ist denn doch prosaischer. Hier stand der tadellos angezogene grauhaarige Mehmed Said vor mir und tat das ganze Abenteuer mit vier Sätzen ad acta.
Eigentlich war es schade um diese trockene Prosa. Ich hätte sehr gern etwas mehr erlebt, – in Lizzies Interesse war mir dieser Ausgang nur angenehm.
„Bleiben Sie also hier, Mehmed,“ entschied ich. „Ich will zu Miß Neworld zurück. Meine Fährte wird Sie und die Freunde unschwer zu dem Flußtal führen.“
„Gut, Mr. Abelsen,“ – und er zog sich wieder auf seinen Felsen zurück. Er und Afra sind die wortkargsten von uns, der größte Schwätzer ist Sussik, die Tyrannin ist Lizzie, und Reginald, fürchte ich, ist in Lizzie arg verschossen.
Wesentlich leichteren Herzens marschierte ich abermals durch die Steppe, wurde Zeuge eines Kampfes zwischen zwei Nashornbullen um eine stumpfsinnig zuschauende Nashornmaid, beobachtete mit dem Fernglas den hinkenden Abzug des einen Rivalen und das Liebesspiel des einsamen Pärchens.
Ich kann nur nochmals betonen: Der Wildreichtum dieser Gebiete überrascht, verblüfft! In Nairobi erklärte mir ein höherer Regierungsbeamter, daß zum Beispiel der Abschuß von Löwen unbedingt gefördert werden müsse, da die Bestien in der Nähe der Galla-Dörfer[7] und Farmen immer frecher würden. Tatsache ist, daß damals in den Straßen von Nairobi ein waidwunder Löwe in einen Laden flüchtete und daß eines Nachts ein Rudel Hartebeeste aus den Bahnhofsanlagen verscheucht werden mußte, – die Zäune und Dornenwälle helfen also nicht viel. Und dies in einer vorbildlich sauberen, modernen kleinen Stadt, deren Verwaltung bereits ein Gesetz vorbereitet, daß kein nackter Neger mehr die Straße betreten darf! – Gegensätze, Widerspruche, nur in Ostafrika möglich!
Als ich mich auf meiner alten Fährte dem Flußtal näherte, hörte ich plötzlich erst einen, dann noch drei Schüsse. Ich begann zu laufen … Vom Talrande aus erblickte ich folgendes Bild. Neben dem von mir gegrabenen Wasserloch lag ein totes Grant-Zebra, nicht weit davon das Warzenschwein, während drei Löwen nach Osten zu verschwanden. Der eine blutete stark, taumelte zuweilen und tat sich schließlich neben einem Gestrüpp nieder.
Ich konnte von oben das Schlupfloch der Felsengrotte überschauen, – der Büchsenlauf der 10,4 ragte heraus, und auch ein braunes Händchen war sichtbar.
„Hallo – Mädel!!“
Da trat sie ins Freie …
Etwas blaß war sie …
„Onkel Olaf, – das hättest du mit erleben sollen!!“
„Scheint so …“ – Ich kletterte abwärts, und sie lehnte sich an mich …
„Ich habe furchtbare Angst gehabt, du … Die drei Löwen verfolgten das arme Zebra, da hatte der eine schon die Warzensau niedergeschlagen, ich schoß noch dreimal … vorbei …“
„Ein Irrtum! Nicht vorbei! Drüben liegt einer, einer, nur von hier ist er nicht zu sehen …“
Sie wurde blutrot vor Freude.
„Mein Löwe also!!“
„Ja – deiner! – Hast du etwa mit dem Schwerkaliber gefeuert, – dann wird deine Schulter wohl sehr bald recht bunt werden, Kind.“
„Nein, mit der Remington, aber mit Dum-Dum … – Wir wollen uns den Löwen ansehen, Onkel Olaf …“
Das hatte Zeit. Zunächst verlangte Mukki durch wütendes Keckern, von mir begrüßt zu werden. Dann krabbelten die verwaisten Frischlinge aus dem Dickicht hervor und umschnüffelten ihre tote Mama. Arme kleine Warzenferkel, – abends schmortet ihr am Spieß!
Wir schritten das Tal hinab. Der Löwe lebte noch. Als wir uns näherten, richtete er sich schwerfällig auf und knurrte und fletschte die gelbweißen Zähne.
Lizzie fieberte …
„Ziele zwischen die Augen – etwas höher,“ mahnte ich leise.
Dreimal setzte sie die Büchse ab. Dann feuerte sie, und der Wüstenkönig, leider ein älterer Herr mit schäbiger Mähne, war erledigt.
Das Dum-Dum-Geschoß hatte das Rückgrat gestreift und das Fell handbreit weggerissen, – das Fell war wertlos.
Die Benutzung von Mantelgeschossen ohne Spitze mag im Notfall entschuldbar sein. Sonst ist es Aasjägerei. Es ist wahrlich kein Kunststück, mit einer Repetierbüchse, die im Ausschuß handgroße Löcher reißt, eine Bestie niederzuknallen. Gegen ein Nashorn ist das Dum-Dum angebracht, ebenso gegen Krokodile, Flußpferde und Elefanten. (Nebenbei, der Elefant ist hier Rarität, wir sahen nicht einen!)
Lizzie war natürlich untröstlich. „Ihr“ Löwe war sehr verstimmt, und lediglich meine aufmunternden Worte, die ihr die Rückkehr der beiden anderen Löwen verhießen, tröstete sie etwas.
Wir zogen uns in die Höhle zurück und warteten der Dinge, die da kommen sollten. Die Frischlinge, die so doch umgekommen wären, starben schnell und schmerzlos.
Es war jetzt ein Uhr mittags. Im Flußbett flimmerte die Luft vor Hitze. Kein Lüftchen regte sich. Das tote Zebra und das Schwein schwollen an, streckten die Beine gerade, lagen dann steif und still. Die Verwesung, die bei solcher Hitze sehr rasch beginnt, ändert stets die ursprüngliche Stellung toter Tiere. Nashörner rollen von selbst auf den Rücken und recken alle Viere hoch – kein schöner Anblick.
Es sollte etwas kommen …
Kam auch … Nur nicht Löwen, sondern Sussik und Afra als Vortrupp unserer Safari.
Sussik erzählte ununterbrochen … Die Somali, die die Terrasse gestürmt hatten, waren von den Tommys abgefangen worden. Unser ganzes Gepäck war unangetastet geblieben, nur das eine Zelt war von den Mullah-Kerlen zu Umhängen zerschnitten worden. Das ließ sich verschmerzen.
Als die Safari eintrafen, wollte der gute Reginald mir so ganz zart meine Flucht mit Lizzie aus dem Honighain unter die Nase reiben. Ob nicht ein klein wenig Eifersucht dabei war?! Reginald gab jetzt stets so überaus viel auf seinen äußeren Menschen, umschwänzelte Lizzie dauernd und gab jeder ihrer Launen nach.
Ich fertigte ihn etwas kurz ab.
Es ist nie gut, wenn zwei Europäer in der Steppe in Gesellschaft eines jungen hübschen Weibes reisen, es sei denn, der eine wäre bereits Mummelgreis, und das traf hier nicht zu. Im Gegenteil, Sir Forresters Erscheinung hatte entschieden gewonnen, er sah nicht mehr nach Stubenhocker aus, und auch seine Ansichten über vieles hatte er gründlich gesiebt.
Auf meinen Vorschlag wurde das Lager in der Steppe aufgeschlagen – zwischen Bäumen und Felsen und die Höhle am Talabhang richteten wir für die Nacht als Boma her.
Was eine Boma ist?
Ich werde sie genau beschreiben auch die denkwürdige Nacht, in der wir nicht Löwen bei Blitzlicht photographierten, sondern ganz andere Dinge erlebten.
Die gebratenen armen Ferkel schmeckten übrigens tadellos.
Reginald besaß drei Kameras, eine für Fernaufnahmen, ein Riesenapparat, zwei kleinere für Nah- und Blitzlichtphotographien. – Über diese Art unserer Tätigkeit Näheres zu berichten, wäre Tintenvergeudung. Es gibt meines Wissens fünf Spezialwerke über „Jagden mit der Kamera“. Des Deutschen Schillings „Mit Blitzlicht und Büchse“[8], des Engländers Wartons ähnliches Buch, Dugmores vorzügliche Photographien und des Italieners Raspallis abessinische Nachtaufnahmen sind so ziemlich gleichwertig. – Reginalds Apparate, das Beste vom Besten, liefern noch schärfere Bilder. Nur – wir sind auf die Sache noch nicht genügend gedrillt, wir haben bisher bei Magnesiumlicht nur Hyänen, Schakale, Zebras, Hartebeeste und Gazellen auf den Film bekommen, obwohl wir uns nicht damit abzuplagen brauchen, die Patronen zu ergänzen oder die Kassetten zu wechseln. – Das besorgt alles der elektrische Auslöser, der nächste unbelichtete Film rollt automatisch vor, die nächste Magnesiumpatrone ist zündbereit, – man braucht nur auf den Kontakt zu drücken. –
Reginald hatte sich mit mir wieder ausgesöhnt, und als es dunkelte, krochen wir beide und Lizzie in die „Boma“ hinein.
Hier war die Boma das löwensichere Versteck für den Photographen, die Höhle an der Talwand, deren Dornenverhau wir noch verstärkt hatten. Unten neben den Kadavern des Zebras und der Warzensau standen, durch Büsche maskiert, die beiden Apparate.
Da wir am Spätnachmittag in der Steppe nicht weniger als fünf Löwen beobachtet hatten, mußten wir diesmal wohl Erfolg haben.
Wir hatten Decken, Büchsen, Taschenlampen und Hartzwieback und kalten Tee mitgenommen. Es war vereinbart worden, daß Lizzie nach der ersten gelungenen Aufnahme den Löwen schießen dürfe.
Die Nacht war mondhell, klar und kühl. Schon nach einer Stunde erschien lautlos wie ein Gespenst eine gefleckte Hyäne, sicherte lange und trabte ab. Irgend etwas kam ihr hier nicht ganz geheuer vor.
Lizzie murmelte verächtlich: „Feigling!“
Reginald stimmte ihr bei, und ich machte mir so meine besonderen Gedanken, als kurz nach der Hyäne zwei Schakale auftauchten und gleichfalls schleunigst verdufteten.
Der Wind kam von der anderen Talwand herüber durch eine tiefe Schlucht, die vollständig zugewachsen war.
Es wurde Mitternacht. Wir hörten Löwen brüllen, wir sahen auch Schatten, die drüben im Dunkeln entlangglitten, – und plötzlich, es kam selbst mir überraschend, was die Tollkühnheit dieses Vorgehens betraf – brachen aus der Schlucht an die achtzig Somali hervor, jeder mit einem unförmigen Schild, einer Steinplatte sich deckend … Sie rasten auf unsere Höhle zu, – wir hatten die Büchsen zwar neben uns, wären jedoch nie zum Schuß gekommen, so schnell ging alles.
In diesem kritischen Moment drückte ich auf beide Kontakte, – zwei Magnesiumpatronen knallten dumpf, – ich drückte nochmals, – blendende Blitze beleuchteten die Angreifer, die augenblicklich stockten, zauderten … und ausrissen!
Ohne Frage war den Mullah-Kerlen das Blitzlicht neu. Ich habe noch nie ein so panikartiges Flüchten beobachtet, – die Leute fielen hin, rafften sich auf, kollerten übereinander, sausten drüben den Abhang empor, – – weg waren sie.
Trotzdem gab ich, wie mit Sussik verabredet, drei Signalschüsse für das Lager ab, um dort die Safari zu warnen, – wir packten schnell unsere Apparate ein, marschierten schleunigst zum Lagerplatz und wachten bis zum Morgen. Aber die Kerle – es waren natürlich die entwaffneten Somali, denen der englische Offizier nur drei Lanzen und eine Flinte gegen Raubwild belassen hatte, griffen nicht an, ließen sich auch nicht sehen.
Reginald war durchaus meiner Ansicht, daß wir unter diesen Umständen klüger täten, diese Gegend zu verlassen. Wir wollten es auf keinen Fall verderben, da wir nunmehr in Gebiete vorzudringen gedachten, die nach den in Nairobi umgehenden, freilich ziemlich unkontrollierbaren Gerüchten sich in vollem Aufstande befinden sollten. Auch der Offizier hatte uns vor dieser Marschroute gewarnt, wußte jedoch nichts Sicheres. Das Wagnis war anderseits nicht so groß, wie es nach alledem scheinen mochte, denn die Besiedlung dieser Steppen ist so dünn, daß man bei einiger Vorsicht den Galla-Dörfern leicht ausweichen kann. Reginald besaß eine Spezialkarte, die von der Regierung herausgegeben war, – jede noch so kleine Siedlung war vermerkt, jede Wasserstelle, jeder Bach mit genauen Angaben versehen, wann man dort bestimmt Trinkwasser vorfände. Wir entschieden uns für eine direkt östliche Richtung, die uns allerdings tagelang durch baumlose Wüsteneien führen würde, aber auch auf hunderte von Kilometern keinerlei Negerkraal aufwies.
Den versäumten Nachtschlaf holten wir am Tage nach. Am Spätnachmittag brachen wir auf, Afra und Sussik wieder wie stets als Vorhut voran, Mehmed und Reginald hoch zu Pony als Seitendeckung fünfzig Meter von den Safari ab zu beiden Seiten, Lizzie und ich vor den Trägern, auch zu Pferde. Das fast mannshohe Gras und sehr willkommene Täler ließen uns hoffen, daß wir bei der rasch zunehmenden Dunkelheit den Spähern der Somali aus den Augen kommen würden. Die kritischste Zeit war die Stunde zwischen Dämmerung und Mondaufgang. Vorhut und Seitendeckung rückten näher auf, jeder hielt die Waffe bereit, jeder spannte alle Sinne an und beobachtete und lauschte. Zeigte sich irgend etwas Verdächtiges, so zum Beispiel eine auffällige Unruhe von Wildrudeln, machten wir stets halt, und Fennek und ich suchten das Gelände erst einmal gründlich ab. Mein vierbeiniger Freund, den ich dann an langem Riemen führte, hatte sich allmählich in diese spezielle Aufgabe vollständig eingewöhnt, er wußte ganz genau, was ich von seinen feinen Sinnen verlangte, – trotzdem blieb ein solcher Kundschafterritt stets eine überaus kitzliche Geschichte. In niederem Grase war die Gefahr gering, in den hohen dürren Halmen, die an sich schon das Vordringen erschwerten, oder in Buschland und felsigen Strecken mußte ich jeden Moment mit einem unerwarteten Angriff rechnen, da Mukkis Patentnase hier versagte, wo so zahlreiche frische Wildfährten sich kreuzten und vielleicht vor Minuten erst irgendein Großwild vorübergewechselt war. Am bösesten sind ja stets die Nashörner als unerwartete Angreifer, – sie sind faul und dumm, aber jede Kleinigkeit kann sie in blinde Wut versetzen, und ist ein solcher Fleischklumpen mit seinen kurzen Beinen erst einmal in Fahrt, entwickelt er auch eine verblüffende Geschwindigkeit. Flucht oder Schießen im Halbdunkel ist unmöglich, das einzige Mittel, dem Koloß zu entgehen, ist ein Sprung zur Seite, – – falls man sich auf seinen Gaul, oder wenn man zu Fuß ist, auf seine eigenen Nerven verlassen kann. Der Löwe ist – immer wieder betont, – weit harmloser. Er wird zumeist schleunigst davonrennen, brüllt zwar wütend über die Störung, aber ist durchaus nicht die kühne Bestie, als die er vielfach der Sensation wegen hingestellt wird. Wir haben es später erlebt, daß ein Löwenpaar sogar ein halberwachsenes, angeschossenes Junges einfach im Stiche ließ. Wir haben freilich auch recht peinliche Augenblicke kennen gelernt, in denen unser Leben lediglich von der sicheren Hand und dem Nichtversagen der Büchse abhing.
All diese Unterbrechungen des Marsches stellten sich als unnötig heraus. Wir waren nervös geworden, unsere Träger, sonst brave Kerle, hatten seit der etwas bedenklichen Nacht im Honighain das Herz wohl mehr in den kurzen Leinenbuchsen als auf dem rechten Fleck. Diese Hosen mißfielen ihnen übrigens gründlich, aber wir hatten nun mal eine junge Dame bei uns, und die Lendenschurze, die jeder Windstoß hob, genügten nicht recht den gemäßigsten Anforderungen des Anstandes.
Der Mond erschien, wir kletterten bergan, und vor uns lag nun eine Grassteppe, die der Karte nach nur fünf Wasserlöcher auf eine Entfernung von 230 Kilometer aufwies. Das Gras war kaum kniehoch, weite kahle Sandflächen wechselten mit dunklen Felspartien und Buschstreifen ab, hin und wieder ein einzelner Baum, – eine trostlose Gegend. Ein kalter Wind fuhr über die Savanne, die Safari-Leute hüllten sich in ihre Decken, wir Reiter zogen gleichfalls die sehr praktischen ärmellosen Wollmäntel über, Vorhut und Seitendeckung waren unnötig, da wir nur eine Richtung wählten, die jeden Felsen und Busch, also jede Möglichkeit zum Hinterhalt vermied.
Um Mitternacht trafen wir auf die erste Wasserstelle, ein tiefes trockenes Flußbett mit hellem Sand und hellen Kieseln. Bisher waren wir nicht einem einzigen Stück Wild begegnet, – ausgerechnet hier fanden wir in dem Tale etwa zwanzig Büffel an. Wir machten sofort halt, die Safari-Leute warfen die Lasten ab und waren blitzartig auf zwei verkrüppelten Bäumen verschwunden.
… Was verständlich war …
Es gibt kein Tier in Ostafrika, das so gefürchtet wird wie der wilde Büffel. Es ist ein Märchen, daß der Löwe sich an eine Büffelherde heranwagt, nicht einmal Einsiedler wird er anfallen, er zieht dabei stets den kürzeren. Sir Forrester hat einmal mit der Fernkamera solch’ eine Attacke gefilmt, wir beobachteten sie durch die Gläser, – der Löwe hatte eine Büffelkuh angesprungen, die sich schützend vor ihr Kalb gestellt hatte. Im selben Moment, als der Löwe der Kuh im Nacken saß und das Genick zerbeißen wollte, hatte die Büffelmama den Schädel geneigt und schlug einen regelrechten Purzelbaum. Als sie sich wieder erhob, lag der Löwe halb zerquetscht im Grase, die Kuh nahm ihn auf die Hörner und schleuderte ihn mehrere Male hoch in die Luft, zertrampelte ihn, und das, was wir nachher von dem Leu noch vorfanden, waren … Fetzen …
Kein Wunder, daß die Eingeborenen den Büffel wie den leibhaftigen Satan fürchten. Seine Augen sind scharf, sein Gehör tadellos, seine Nase noch besser, seine Beweglichkeit einfach verwirrend. Einem anstürmenden Büffel entgeht kein Mensch durch einen Seitensprung, das Tier wirft sich im Moment herum, – – und selbst eine Kugel vor der Stirn ist nicht immer letzter erfolgversprechender Rettungsversuch. –
Die Büffel sollten durch die Rinderpest sehr dezimiert sein, – hatte man in Nairobi erzählt. Das stimmte für diese Steppe keineswegs. Hier stießen wir auf die erste Herde, es sollte leider nicht die letzte sein. Ganz abgesehen davon, daß wir diese zwanzig Tiere nicht sämtlich niederknallen konnten, um an das Trinkwasser zu gelangen, – ganz abgesehen davon, daß diese Schießerei für uns sehr üble Folgen hätte haben können, da die Büffel sofort angegriffen hätten, – Afra als Landeskundiger erklärte uns, die Wasserlöcher seien durch die Tiere nun für Tage so verschmutzt, daß es zwecklos sei, hier zu rasten.
Also – weiter!
Die Safari-Leute von den Bäumen herunterzubekommen, war nicht leicht. Die Büffel hatten uns gewittert, der Leitbulle kam bis an die Talböschung und sicherte und schnaubte. Wir gaben regelrecht Fersengeld. Noch nie haben unsere Träger so flott den Weg unter die Beine genommen wie damals. Eine Stunde drauf erreichten wir ein kleineres Tal, hinter einer Felsgruppe schlugen wir das Lager auf, die Leute gruben metertiefe Löcher, – was sich darin an Wasser sammelte, war ungenießbar, schmeckte gallenbitter. Reginald hatte diese Wasserart, soweit er es konnte, später (wir fanden sie leider häufiger) analysiert und behauptete, sie enthielte Bittersalz und Schwefel. Der „Duft“ schien ihm recht zu geben. Ich selbst bin kein Chemiker.
Unsere letzten Wasserschläuche wurden also entleert, sie reichten zur Not für die Ponys und zum Teekochen. Ich verteilte die Wachen, wir hatten auch wieder einen Dornenverhau angelegt, alles schien in bester Ordnung – schien!!
Daß in den Felsklüften der Talwand über uns eine Horde kleiner Teufel hauste, ahnten wir nicht. Wodurch wir die Herren Paviane gereizt hatten, blieb unerfindlich. Ich hatte mich gerade niedergelegt, als das Steinbombardement begann. So urplötzlich, daß wir erst an einen Angriff der Mullah-Leute dachten.
Man sollte es nicht für möglich halten, daß diese doch nur mittelgroße Affenart so ungeheure Kräfte besitzt und so tadellos Steine zu schleudern weiß. Unsere Ponys brachen aus, Reginald sank bewußtlos um, die Safari-Leute brüllten, es entstand eine heillose Verwirrung …
Leider war Lizzie so töricht, vier oder fünf Schuß abzugeben … Was tat dies gegenüber etwa siebzig Pavianen?!
Und dann das ärgste Pech: Plötzlich tauchten im Mondlicht hinter einer Krümmung mindestens dreißig Büffel auf, nicht etwa im Schritt, sondern in flottem Trab, vorne drei riesige Bullen mit ganz hellen, mächtigen Hörnern …
Arme Ponys!! Sie rannten den Büffeln gerade in den Weg, – – wir rannten auch, aber nach oben in die Felslöcher, wir mußten Reginald und drei Leute mit emporziehen, wir, Lizzie und ich, gerieten ausgerechnet in eine Pavianbehausung, einer der bissigen kleinen Kerle flog mir ins Gesicht, Lizzie feuerte mit der Pistole, der Erfolg waren lediglich Verletzungen durch Bleispritzer an unseren eigenen Gesichtern.
In diesem grenzenlosen Wirrwarr benahm sich der stolze, hochgewachsene Afra wie ein antiker Held. Hätte ich nicht Lizzies wegen diese beschämende Flucht mitmachen müssen, wäre ich niemals in diesen Affenstall eingedrungen, dessen Gestank schlimmer war als der Verwesungsgeruch irgendeines Kadavers. Afra war als einziger im Lager geblieben, hatte das brennende Reisig des einen Feuers in den Dornenverhau geschleudert, die stets trockenen Dornen lohten auf, die Büffelherde stutzte, zumal eine schmale Grasfläche gleichzeitig Feuer fing und der Wind den Tieren die Flammen entgegentrieb …
Im Nu verschwanden die Kolosse wieder um die Ecke, auf dem Schlachtfeld aber lagen unsere Ponys, – nur drei konnten wir noch leidlich zusammenflicken, die anderen erlöste eine gnädige Kugel.
Es war ein übler Beginn unseres Marsches durch diese Einöde.
Es sollte noch schlimmer kommen.
… Seine Hoheit Gabara, Heiitsch, der Räubergalla vom Guasasso, hat soeben die Liebenswürdigkeit gehabt, mir in meinem Gemach einen Besuch abzustatten. Der Oberbandit und tadellose Gastgeber interessiert sich außerordentlich für meine Schreiberei. Ob dieses Interesse nicht auch anderen Dingen gilt, weiß ich nicht recht. Mitunter stellt er in seinem keineswegs einwandfreien Englisch keineswegs einwandfreie Fragen. Vieles ist hier in dem großen Nomadenlager nicht einwandfrei. Ich habe mitunter das unklare Gefühl, daß Gabara und seine Helden uns dauernd aufs schärfste beobachten. Reiten wir einmal in die Steppe hinaus, gibt er besonders Lizzie und mir stets eine Ehrenwache, die uns recht überflüssig dünkt, denn – – wir sind aus dem „Onkelstadium“ so langsam in das weit verfänglichere einer gewissen zärtlichen Neckerei geraten, und Mukki hat allen Grund zur Eifersucht, Mukki ist auch eifersüchtig, und es kommt vor, daß er Lizzie böse anfaucht und nach ein paar tadellos geformten Waden schnappt …
Gabara sitzt neben mir, und sein heutiger weißer Tropenanzug sowie Hemd mit weichem Kragen, dazu freilich plumpe Gazellensandalen und bloße Enkel, macht aus ihm einen älteren Gentleman von überlegener Verschlagenheit, – die Verschlagenheit bleibt, das Kostüm wechselt.
Seine Hoheit raucht nur erstklassige Zigarren – Herkunft, Erwerb unbekannt.
„Mr. Abelsen,“ sagt er nach höflichen Fragen nach dem Fortschritt meines Tagebuchs, „meine Leute haben mir heute früh eine Nachricht gebracht, die mich beunruhigt …“
– Wie verkehrt ist es doch, diese Nomadenfürsten von heute sich etwa so vorzustellen, wie dies vielleicht Karl-May-Erinnerungen als trügerisches Gemälde vortäuschen. – Gabara war ein Wüstenbandit, seine Raubzüge galten hauptsächlich seinen Todfeinden, den Abessiniern, – stehlen tat er, wo und was er konnte. Wenn er von „Beunruhigung“ redete, konnte das nur Ironie sein, denn seine dreitausend Krieger stellten eine Heeresmacht dar, die er binnen zwölf Stunden an jedem beliebigen Punkte zusammenziehen konnte.
Das wußte ich von ihm selbst, und er renommierte nie. – Kamen mal englische Beamte in sein Lager, um höflichst anzufragen, ob die Guasasso-Galla vielleicht aus Versehen eine englische Proviantkolonne überfallen hätten, so war er die personifizierte tiefgekränkte Unschuld. Dann waren aus den Lagerzelten alle die Dinge spurlos verschwunden, die vielleicht … und so weiter. Dann bewirtete Gabara die Herren aufs allerbeste, dann erklärte er unter tausend Eiden (dein Eid ist Mein Eid – und so!!), daß die Galla-Völker sich leider so ähnlich sähen wie eine Gazelle der anderen … Und wenn dann noch nach Stunden im Lager einige hundert Krieger „zufällig“ eintrafen, hatten die Herren samt ihren vielleicht dreißig Mann Bedeckung jegliche Lust zu weiteren Fragen verloren und … zogen ab, sicherlich heilfroh, daß sie mit dem Leben davonkamen. – Ich habe solch eine „Strafexpedition“ einmal miterlebt, und ich habe nachher Tränen gelacht …
Gabara war für Englands Ansehen unter den farbigen Völkern das schädlichste Insekt, schlimmer als die Tsetse-Fliege, schlimmer als ein Malariamoskito. Wenn dieser Räuberhauptmann je auf den Gedanken gekommen wäre, so einen kleinen Aufstand anzuzetteln, – was dann geschehen wäre – nicht auszudenken.
Übrigens hatte damals der Führer der „Untersuchungsblamage“ mit Sir Reginald eine längere Unterredung, deren Inhalt darauf hinauslief, daß der Herr Kommissar seinem Landsmann Reginald Forrester durch die Blume zu verstehen gab, daß es höchst überflüssig gewesen sei, dem Heiitsch Gabara das Leben zu retten …
Dabei deutete der Herr auf das mit dem Orden dekorierte Lieblingsdromedar.
Worauf Sir Reginald, der mit allerhöchsten Herrschaften in London eng verwandt war, schrecklich grob wurde …
Das alles so nebenbei. Das alles hat auch Reginald sicherlich in seinem Tagebuch viel eingehender geschildert, – oder auch nicht … Die Engländer halten nun mal zusammen wie Pech und Schwefel, und die „größeren“ Gesichtspunkte mögen Forresters Feder etwas gelähmt haben. –
„Sie – – beunruhigt?!“ – und ich feixte den Heiitsch sehr zwanglos an. „Was könnte Sie wohl beunruhigen, Gabara?!“
Seine Augen schlossen sich halb … „Meine Krieger haben eine fremde Karawane beobachtet, Mr. Abelsen, die von einer Europäerin geführt wurde. Es waren sechzig Männer, alle mit Repetierbüchsen bewaffnet, alle mit demselben Haarschmuck, wie ihn Ihr Freund Sussik trägt … also … Bischarin!“
Ich hatte mich zum Glück sehr gut in der Gewalt …
„Bischarin – hier?! Sechzig?! Das muß wohl ein Irrtum sein …“
Gabara ließ sich täuschen. „Ich glaubte schon, Sie hätten sich mit diesen Bischarin hier irgendwo verabredet, Mr. Abelsen …“
Das war eine Dummheit von ihm. Er zeigte mir seine bisher verdeckten Karten ziemlich offen. Ich hatte ihn ja wiederholt sehr vorsichtig nach der bewußten Farm ausgehorcht – sehr vorsichtig. Sie mußte hier irgendwo in der Nähe liegen … Und seine „Ehrengarde“, die er uns so regelmäßig mitgab, waren nur Aufpasser.
Ich deckte meine Karten nicht auf.
„Verabredungen über ein Viertel Erdteil hinweg dürften denn doch allzu aussichtslos sein – wenigstens hier in Ostafrika“ – und ich lachte vergnügt. „Wer weiß, was Ihre Krieger da gesehen haben, Gabara …!“
Er rauchte eine Weile und schwieg hartnäckig. Er betrachtete Freund Fennek, der wieder halb auf meinen Stiefelspitzen zusammengeringelt lag.
Nach etwa fünf Minuten, die ich zu eingehender Durchsicht der letzten Manuskriptseiten benutzte, stand er unvermittelt auf und legte mir seine braune Hand schwer auf die Schulter.
„Mr. Abelsen,“ sprach er mit allem Nachdruck, „Sie sind meine Gastfreunde, wir Guasasso-Galla halten die Gastfreundschaft heilig, aber … ein Gastfreund, der zu lügen versucht, zerstört die heiligen Fäden, Mr. Abelsen! – Auf Wiedersehen …“
Als ich allein war, hatte ich das deutliche Empfinden, daß wir hier mehr Gefangene seien als Ehrengäste. Ich mußte mich unbedingt schleunigst mit meinen Gefährten verständigen, die seit dem Morgen unterwegs waren – – auf vielleicht zweckloser Suche.
Wie ich dann zum Lager hoch zu Dromedar hinaustrabte, neben mir Freund Mukki, fehlte die übliche Begleitung … Auch das war kein günstiges Zeichen, denn mein Glas verriet mir sehr bald, daß Gabara rechts und links von mir in weiter Entfernung einen Trupp Krieger beordert hatte.
Ich traf die Gefährten, ich warnte sie, wir hatten eine sehr erregte, sehr leise Aussprache, und nur Lizzie ritt arglos mit einem der Galla weit voran, einem sehr hellhäutigen, hübschen Burschen.
Es war Gabaras ältester Sohn und der … Thronfolger.
Nun sitze ich wieder mit der Füllfeder zwischen den Fingern da und will den vorhin unterbrochenen Gang der Ereignisse wieder aufnehmen. Es fehlt mir zwar die Stimmung, denn hinter mir steht Mutter Sorge in Gestalt Gabaras und seines Herrn Sohnes, dem meine Lizzie allzu gut gefällt … –
– Es sollte noch schlimmer kommen …
Einen Tag drauf um die Mittagszeit wühlten wir nach endlosem Marsch bei drückender Hitze den Sand eines anderen Flußbettes auf …
Und fanden wieder nur Bitterwasser.
Unsere Träger waren völlig erschöpft, unsere Fleischvorräte verbraucht, kein Stück Wild zu sehen, nur auf den armseligen Bäumen der Talwand horsteten einige Dutzend Geierperlhühner, jene seltsamen Vögel, die leider ungenießbar sind, weil ihr Fleisch wie Leder ist.
Safari-Leute verlangen unbedingt reichliche Fleischkost. Es mußte also das jüngste der Ponys daran glauben. Sussik erschoß es, das Fleisch wurde sofort verteilt und angeräuchert, die Stimmung der Träger hob sich wieder, die doppelte Portion Tabak förderte ihre Laune, und als wir gegen Sonnenuntergang aufbrachen, als wir dann nach vier Stunden ein bewaldetes Plateau, eine Quelle, zahlreiche Wildfährten und Löwenspuren antrafen, herrschte im neuen Lager glänzende Stimmung.
Reginald hatte ein Zebra geschossen, unsere beiden Ponys mußten den halb ausgeweideten Kadaver bis zur Quelle schleppen, im Mondlicht bauten wir dort in aller Eile eine feste Boma aus Pfählen und Dornen, Reginald und ich stellten die Kameras auf und blieben in der Hütte. Lizzie verzichtete auf die Nachtwache in der Boma, sie meinte, wir würden doch wieder kein Glück haben. – Das Lager befand sich tausend Meter nordwärts in einem Dornendickicht.
Keiner von uns ahnte, was der Rest dieser Nacht uns bringen würde.
Wir beide hatten kaum eine Viertelstunde in der Boma arglos auf den Decken und den jedes Geräusch dämpfenden Graspolstern gelegen, als von Westen her, wo der Schneewipfel des Kenia[9] jetzt bei klarer Sicht regelmäßig zu sehen war, ein Gewitter aufzog. Es wurde stockdunkel, der Sturm heulte durch die enge Schlucht, – zum Glück hatten wir die Stative der beiden Kameras tief in das feine Geröll gedrückt, – Blitze lohten auf, aber der Regenkern des Unwetters zog nordwärts vorüber und ersparte es uns, die Apparate zu bergen. Im grellen Licht der gewaltigen elektrischen Entladungen, deren Getöse Steine von der Böschung löste und jegliches Getier in seine Schlupfwinkel scheuchte, sahen wir lediglich ein Nashorn mit zwei stark entwickelten Hörnern, das in aller Ruhe am Quellfluß seinen Durst stillte und sich nachher noch im Wasser umherwälzte.
Das Gewitter verzog sich, aber der Himmel blieb bewölkt, die Finsternis nahm eher noch zu, gegen zwei Uhr morgens hörten wir von allen Seiten das Brüllen von Löwen, die offenbar eine große Treibjagd auf Zebras veranstalteten … Wir sahen neben dem Kadaver, unserem Köder, auch huschende Gestalten, – zu erkennen war nichts. Es konnten Hyänen sein, vielleicht auch Löwen, obwohl diese sich gegenseitig anzuknurren pflegen … –
Reginald wurde ungeduldig. Er wollte durchaus wenigstens einmal den einen Kontakt lösen. Ich flüsterte ihm zu, daß dies verfrüht sei, zumal das dumpfe dröhnende Brüllen sich immer mehr näherte.
Dann hörten wir gleichzeitig das harte Aufschlagen eilender Hufe, – ein Gepolter, einen heiseren Ruf, ein paar schrille Angstschreie …
Beide Magnesiumpatronen gingen hoch, die Schlucht war in blendendes Licht getaucht, – Sekunden nur … Es genügte, – wir drückten nochmals die Kontakte, wieder dieselben Explosionen, dasselbe unnatürliche Licht …
Wir sahen ein Dromedar am Boden, halb unter ihm zwei Männer, – – dicht dabei fünf prächtige Löwen, die vollkommen geblendet waren.
Ich richtete den Strahl der großen Karbidlampe auf die Gruppe, Reginald feuerte, ich feuerte, – die Löwen gingen flüchtig ab, wir stürmten hinaus, wir zogen einen noch Lebenden unter dem gestürzten Dromedar hervor, – der zweite Mann war tot, ein Prankenschlag hatte ihm das Genick gebrochen …
Der Lebende war der Heiitsch Gabara.
In solchen Momenten fragt man nicht viel, – nur in Romanbeilagen liest man verblüffend tiefsinnige Unterhaltungen zwischen Retter und Gerettetem, – wir trugen den lendenlahmen Fremden schleunigst in die Boma, das Dromedar erhielt, da sein Maul stark blutete, einen Gnadenschuß, – dann verrammelten wir den Eingang der Boma abermals, und im Nu hatte ich die 10,4 an der Schulter, – vier Nashörner sausten wie Rammböcke, durch den Lichtschein gereizt und auch wohl durch die Löwen und den Blutgeruch beunruhigt, gerade auf uns zu … Das einzige Hindernis waren das tote Zebra und das Dromedar und der tote Galla, – mein Schuß krachte, – Reginald feuerte sofort hinterher, – – dann brach auch schon die Boma zusammen, wurde einfach zur Seite gepreßt, und die Dickhäuter, durch die plötzliche Dunkelheit verwirrt, trollten sich schnaubend von dannen.
Diesmal war auch an uns der Tod haarscharf vorübergegangen, – einen halben Meter weiter seitwärts, und die Nashörner hätten uns zertrampelt.
Wir lagen zunächst noch ganz still unter der Last der Pfähle und Dornen, wir wagten kaum zu atmen, jeden Augenblick konnten die Ungetüme zurückkehren.
Nichts geschah mehr.
Dann krabbelten wir ins Freie, zerstochen, zerquetscht, blutend, – und standen kaum minutenlang ängstlich lauschend da, als wir bei rasch zunehmender Entwölkung des Himmels vom Lager her Schüsse hörten, deren rasche Aufeinanderfolge zweifellos auf einen Angriff durch eine größere Anzahl menschlicher oder vierbeiniger Feinde schließen ließ.
Der Gerettete, der sich ein wenig erholt hatte, mußte den Dauerlauf bis zum Lager mitmachen, – ganz außer Atem langen wir dort an, in dem Dornendickicht brannten zwei helle Feuer, neben dem einen lag der treue Afra, drei Speere noch in der Brust, nicht weit davon Lizzie, durch einen Keulenhieb betäubt, – die Safari-Leute, die beiden Ponys und Sussik waren verschwunden.
Aber mehr außerhalb des Lichtscheins sah ich dann vier von unseren Trägern – halb in den Dornen hängend, tot … ein fünfter lebte noch, – er hatte die Verräterei der anderen nicht mitmachen wollen …
Unsere Safari-Leute waren mit dem Dauerproviant und den Waffen, die sie irgend hatten mitnehmen können, entflohen.
Der Sterbende beichtete: Die bisher so braven Kerle hatten bereits nach dem Zusammenstoß mit den Mullah-Anhängern Angst bekommen, – sie fürchteten ein weiteres Vordringen nach Nordost, sie fürchteten die Büffel, die Guasasso-Galla und die Rache des Mullah.
Verrat also …!
Und Sussik?!
Beim ersten Morgengrauen kehrte er mit Freund Fennek und einem Pony zurück …
Er redete stundenlang von dieser Verfolgung, er war kein Prahlhans, es war nun einmal seine Art, recht breit alles zu schildern und sich dabei immer von neuem zu wiederholen.
So wurden wir die Safari-Leute los, – so fand Afra den Tod, so lernten wir Gabara kennen.
Gabara, Heiitsch der Guasasso-Galla, der von Süden her in dieser Nacht zufällig in die Schlucht geraten war, dessen zehn Krieger durch einen Nashornangriff zerstreut worden waren, der uns als seinen Rettern würdevoll dankte …
Am Morgen fanden wir auch Mehmed Said in der Steppe unter einem schrägen Felsen noch lebend auf. Sein Schulterschuß war ungefährlich. Trotzdem wurde unser Lager ein großes Lazarett, da auch drei von Gabaras Kriegern sehr übel zugerichtet worden waren.
Sechs Tage schwebte Lizzie Neworld in Lebensgefahr, sechs Tage wich ich nicht von ihrer Seite, sie hatte hohes Fieber, und in ihren zügellosen Fieberdelirien zerrann mein Glaube an meine … Onkelschaft.
An dem Tage, als sie mich wieder mit klarem Blick anschaute, legte sie mir matt die Arme um den Hals … und lächelte glücklich.
Freund Fennek keckerte wütend.
Seit dem Tage war es mit der Freundschaft zwischen Lizzie und ihm aus, und wenn er mich mit seinen großen Augen anblickte, lag in diesem Blick stets ein klarer Ausdruck des Vorwurfs, – – wenn Lizzie dabei war. –
Gabara erklärte uns ganz offen, daß er eine Zusammenkunft mit dem Mullah gehabt hätte, daß er jedoch eine Beteiligung an dem Aufstand abgelehnt habe …
„Ich würde mich niemals gegen die Engländer empören,“ sagte er mit einer Art Verneigung zu Reginald, die vielleicht reinster Hohn war. „Ich kenne England, und ich bin ein treuer Untertan des großen Königs dort auf der fernen Insel.“
Den Orden dieses großen Königs aber hatte er seinem Lieblingsdromedar um den Hals gehängt.
Eine Woche drauf trafen wir als seine Gäste in dem großen Nomadenlager ein.
Afra, der Treue, ruht in dem Dornendickicht unter Steinen und Felsplatten, damit die Hyänen nicht an ihn herankönnen. Die übrigen Toten, bis auf zwei Guasasso-Galla, werden die Abdecker der Steppe wohl herausgescharrt haben.
Gabaras ältester Sohn heißt Habiru. Dieser wahrscheinlich vierundzwanzigjährige Thronfolger – sein Alter läßt sich nicht einwandfrei feststellen, da Gabara in all den anderen Nomadenlagern gleichfalls Unterfrauen besitzt und schätzungsweise zweihundert Nachkommen haben dürfte – dieser Habiru ist, befürchte ich, noch gerissener als sein Vater, da er mit der westlichen Zivilisation weit häufiger in Berührung gekommen ist. Er spricht das Englische, Italienische und Französische fast fließend, in seinem Zelt fand ich eine Menge englischer Bücher, er kann lesen und schreiben, seine Verachtung, sein Hochmut gegenüber Europäern sind unverhüllt und lediglich uns gegenüber aus Höflichkeit gemildert. Die Galla-Völker verfügen zweifellos über eine ungewöhnliche Intelligenz, die allerdings bei einem reinen Nomadenstamm wie den Guasasso-Galla durch die Eintönigkeit und grob gesagt Faulheit niedergehalten wird. Daran ändert die Tatsache nichts, daß sie außerordentlich kriegerisch, eben Banditen sind.
Habirus Interesse für Lizzie hatte mir nie so recht behagt. Er war zu klug, aufdringlich zu werden. Das verboten ihm schon die altüberlieferten Gesetze der Gastfreundschaft, die in unserem Falle noch durch die widerliche Zeremonie des Bluttrunkes besiegelt worden war. Reginald, dieses wandelnde Nachschlagewerk, hatte mir erklärt, daß bei den Massaii[10] (ich halte die Schreibart Massai mit einem i für unrichtig) ähnliche Sitten – Unsitten – beständen. Zum Beispiel klagen alle Farmer im Massaii-Lande über das „Anzapfen“ ihrer Rinder durch die braun-schwarzen Nachbarn, denen frisches Rinderblut eine Delikatesse ist, während sie im allgemeinen Fleischkost verachten. Das Vieh geht durch das Anzapfen nicht gerade ein, wird jedoch sehr geschwächt. Bei den Guasasso-Galla „besiegelt“ man jedes Abkommen, jede Freundschaft durch einen Becher Blut. Lizzie war von dieser feierlichen Zeremonie befreit geblieben, wir anderen würgten nur mit Ekel, aber mit feierlicher Miene diesen Schluck Blut hinab, und ich glaube, daß der gute Reginald hinterher stark an Seekrankheit hinter einem diskreten Busche litt. – Das so nebenher …
Ich fürchtete Habiru als heimlichen Gegner außerordentlich. Er ahnte wohl, daß meine Beziehungen zu Lizzie die verschwommene Grenze trügerischer Freundschaft zwischen Mann und Weib längst überschritten hatten. Wir waren nun unserer vier, die jeder auf seine Art dem lieben Mädel Aufmerksamkeiten erwiesen. Sussik tat dies in aller Ehrfurcht und Wunschlosigkeit, Reginald schon eindeutiger und mit allen Anzeichen aufrichtiger Zuneigung, Habiru mit versteckter Leidenschaft, ich mit vorgetäuschter Biederkeit des „nur“ guten Freundes.
So standen die Dinge bis zu dem Tage, an dem Seine Hoheit der Heiitsch die denkwürdige Unterredung mit mir hatte und ich den Freunden entgegenritt und sie warnte.
Auch Lizzie hatte ich nachher genau informiert, damit ja niemand von uns verriete, daß uns Lady Janes Erscheinen hier in den Galla-Ländern durchaus nicht unerwartet käme.
Wir mußten jetzt vorsichtiger denn je sein, und wir mußten unbedingt … fliehen, das war mir von dem Moment an klar, als der Heiitsch mir die Hand so schwer auf die Schulter gelegt und so versteckt gedroht hatte.
Ich vermied es absichtlich, am Abend dieses Tages mit den Gefährten mich irgendwie abzusondern. Scheinbar nahm das Leben im Lager seinen gewohnten Gang. Nach Sonnenuntergang wurden die Tore der Dornenverhaue geschlossen, die Wachen begaben sich zu den Herden hinaus und wir saßen mit Gabara, Habiru und dem Oberpriester wie üblich vor dem Riesenzelt auf Teppichen und führten gleichgültige Gespräche. Es wäre aufgefallen, wenn ich die „Europäerin“ und den fremden Trupp Dromedarreiter nicht mehr erwähnt hätte. Aber Gabara schien dieses Thema nicht weiter erörtern zu wollen, er redete von Reginalds neuesten Blitzlichtaufnahmen und fragte nur, ob wir noch mehr Flußpferdphotographien herzustellen gedächten.
Ich muß die Örtlichkeit um das Lager etwas eingehender beschreiben.
Das Zelt des Heiitsch (man wird hier leicht die ähnlichen arabischen Ausdrücke für Häuptling herausfinden, ebenso dürfte auch Kosakenhetmann mit „Heiitsch“ noch irgendwie zusammenhängen) erhob sich in der Mitte des Lagers, anderseits auch an dessen nördlicher Peripherie unweit einer sanft gekrümmten, langen Felsengruppe, die als Rückendeckung für die Behausungen des Heiitsch, seines Sohnes und der Priester kaum geeigneter sein konnte. Es handelte sich um dunkle, kahle, zerklüftete, nur schwer ersteigbare Granitmassen, die nur einzelne Büsche und Grasflächen trugen. Rechts von unserem Zelt stand das meiner Freunde mit vier Abteilungen, dann kam Habirus Wohnung, nach links wieder schlossen sich die Zelte der Priester an. Gen Norden, also zwischen den Zelten und den Felsen, erhoben sich wohl ein Dutzend jener riesigen, mit Gras bedeckten Ameisenhügel, die kein Steppengalla vernichten wird. Die Ameisen gelten ihnen als Säuberer des Sandes sehr viel. – Mein Zelluloidfenster lag leider für meine nächtlichen Pläne sehr ungünstig.
Dann die weitere Umgebung des Lagers … Etwa zwei Meilen nach Süden zu begannen tiefe, morastische Schluchten als Anfänge des sehr ausgedehnten Lorian-Sumpfes, in dem es von Riesenkrokodilen, Flußpferden und Wasservögeln wimmelte. Dort hatten wir, in der Boma versteckt, glänzende Flußpferd-, Krokodil- und Vogelaufnahmen gemacht, auch Flußpferde erlegt und die Schädel durch die Ameisen präparieren lassen. Legt man solch einen gigantischen Kopf in den Ameisenbau und bedeckt ihn mit Gräsern, so hat man bereits nach fünf Tagen eine völlig weiße, prächtige Trophäe.
Wie gesagt: Wir mußten fliehen, und mein Plan war auch bereits fix und fertig. Ich machte mir keinerlei Gewissensbisse daraus, an diesem Abend bei der gemeinsamen Teestunde (die Guasasso-Galla „beziehen“ den Tee von ihren abessinischen „Freunden“) in den Riesenkürbis mit dem stark gesüßten (Honig!) Getränk aus Reginalds Reiseapotheke einige Tabletten hineinzuzaubern, die unweigerlich den Schlaf unserer zweifelhaften Gastgeber sehr vertiefen mußten. Not kennt kein Gebot. Die Freunde waren gewarnt und schütteten ihre Becher heimlich aus.
Bei Mondaufgang sagten wir uns gute Nacht. Bisher hatte mein Programm geklappt. Gabara und Habiru waren ohne Argwohn, wir zogen uns in unsere Zelte und Gemächer zurück.
Ich schrieb noch, hörte nebenan Gabara schnarchen und packte leise alles zusammen, was mitgenommen werden mußte.
Als meine Uhr zwölf zeigte, zerschnitt ich die Zeltwand unten und kroch ins Freie. Freund Fennek hatte ich noch in meinem Gemach festgebunden.
Oben auf den Felsen standen zwei Posten, die sehr bald abgelöst werden mußten. Ich wartete hinter einem Ameisenhügel, die Ablösung kam, kletterte den einzigen gangbaren Pfad empor, und dicht hinter ihnen kroch im Mondschatten ein Mann, der einst von einem unvergeßlichen Araukaner alle Schliche und Kniffe gelernt hatte. Nur hinter der Ablösung, die doch allerlei Geräusch machte, konnte ich unbemerkt die Höhe erreichen. Ich ließ nachher die beiden abgelösten Wachen an mir vorüber, – das alles war nicht schwierig, das Schlimmste kam erst. Ich mußte die beiden neuen Posten lautlos unschädlich machen. Töten wollte ich sie nicht. Es blieb nur der betäubende blitzschnelle Schlag mit einer Wurfkeule aus Hartholz.
Mögen die Galla nun auch glänzende Reiter und zumeist auch vortreffliche Schützen sein: Sie sind keine Kinder der Einsamkeit mit geschärften Sinnen, keine Fährtensucher, keine Wilden, die der Instinkt vor einer Gefahr warnt. Sie besitzen wohl die große Linie der Tollkühnheit aller Banditen, sie besitzen ein gewisses Anstands- und Ehrgefühl, aber sie sind träge, stumpf, sobald es heißt, eine gleichbleibende Pflicht zu erfüllen.
Und dieser allnächtliche Wachtdienst war ihnen lästige Gewohnheit.
Als sie – diese beiden schlanken Kerle, hinter einem Felsen hockten und über die endlose Steppe blickten, in der ihre Herden wie tief ziehende Wolken sich regten, genügten zwei rasche Hiebe, ein paar Riemen und zwei Knebel.
Ich hatte mit Sussik den Ruf des Käuzchens vereinbart …
Sussik war zuverlässig. Ich beobachtete, wie er mein Bündel und meinen Fennek holte, wie die Freunde durch die Zeltschnitte hervorkrochen und den steilen Pfad sich emporwanden.
Wir redeten nichts, wir nickten uns im Liegen zu und krochen an der anderen Seite abwärts.
Reginald, Mehmed, Lizzie blieben zwischen den unteren Felsen, Sussik und ich nahmen den nächsten Wächter der nächsten Dromedarhürde aufs Korn. Der Mann hockte am lodernden Feuer, neben sich drei ruppige Köter … Wir gingen ganz offen zu ihm, die Hunde knurrten, er musterte uns erstaunt.
„Wir wollen zum Sumpf,“ erklärte ich.
Er wußte, daß wir dort photographierten. Sussik nahm ihn bei der Kehle, und die Dromedare wurden gesattelt.
Der prickelnde Reiz der Gefahr störte mir nicht die Ruhe der Nerven. Der ungestüme Tatendrang rächt sich stets bitter. Kaltes Blut bleibt Vorbedingung des Gelingens.
Wir hatten die besten Tiere ausgewählt. Ich wollte zunächst nach Süden weiter, ich hatte meine besonderen Gründe dafür. Ich rechnete mit baldiger Verfolgung. Ein Zufall konnte uns mit heimkehrenden Jägern zusammenführen, ein einziger mißtrauischer Wächter brauchte nur einen einzigen Alarmschuß abzugeben, und die Hölle wird hinter uns her sein.
Wir ritten im Schritt immer an den Felsen entlang, dann scharf gen Westen in ein sandiges Tal hinein, dann wieder nach Süden.
Wir trabten, wir hofften …
Eine Stunde ohne Zwischenfall weckte trügerisches Sicherheitsgefühl. Wir schonten die Tiere, wir waren erfahren genug, wir – – blickten zurück, und hinter uns her kam ein einzelner Reiter, während vor uns eine Herde Giraffen im hohen Grase verschwand.
Der Reiter war … Habiru. Selbst mit dem Glase konnte ich hinter ihm keine weiteren Verfolger bemerken.
Habiru ritt ein Dromedar aus der Landschaft Baran, ein sehr großes, hochbeiniges Tier, freilich mit den edleren Bischarin-Zuchtergebnissen nicht zu vergleichen.
Er kam schnell heran, hielt neben uns und sagte nur:
„Kehrt um, befiehlt mein Vater. Lady Jane Cordy und ihre Bischarin sind in unserer Gewalt. Sie werden erschossen, falls ihr nicht gehorcht.“
Mit allerlei bösen Neuigkeiten hatte ich gerechnet. Hiermit nicht.
Habirus Worte klangen so eisig wie der kalte Steppensturm in den kühlen Monaten. Seine Worte waren versteckter Hohn und Triumph.
Mein Schreck verebbte schnell. Mir kamen allerlei Zweifel. Ein warnender Blick verschloß Reginalds Mund …
„Weshalb kommen Sie allein, Habiru?“ fragte ich. „Flüchtlinge fängt man anders ein …“
„Meines Vaters Befehl genügt,“ meinte er hochmütig.
„Ihr Vater schläft, und – du lügst, Bursche!“ fuhr ich ihn an. „Du wirst wahrscheinlich wieder trotz deiner Müdigkeit an Miß Lizzies Zeltwand gehorcht haben, und da sahst du den Schnitt im Lederüberzug der Stangen. Deine Krieger zu sammeln, erschien dir nur Zeitverlust – mit Recht –, und du erfändest die Lüge von Lady Janes Gefangennahme. Ich glaube dir nicht. Dein Vater hätte dich begleitet … dir liegt nur an Miß Neworld etwas, und deine Gier hat dich verblendet.“
Sussik vereinfachte die Lage, indem er mit unheimlicher Sicherheit dem stattlichen Galla die Wurfkeule vor die Brust schleuderte.
Habiru schnappte nach Luft, wir packten zu, und als er erst gefesselt war, wurde dieser Steppendiplomat, der mit seinem Trick bei besserer Regie zweifellos Glück gehabt hätte, sehr klein und bescheiden. Wir nahmen ihn mit, Sussik hielt ihm eine sehr energische Standpauke, Lizzie machte sich über diesen „Verehrer“ ein wenig lustig, und Sir Reginald drohte mit allerhand unangenehmen Dingen, die selbst einem Guasasso-Galla wohl ein kühles Rieseln auf dem Rücken bereiten konnten. Die Kolonialtommys hatten nämlich gegen den verrückten Mullah auch zwei Bombenflugzeuge eingesetzt, und die verheerende Wirkung solch einer Bombe hatte sich bis zu den Guasasso-Räubern herumgesprochen und mochte mit dazu beigetragen haben, den Heiitsch Gabara ein Bündnis mit dem Mullah ablehnen zu lassen.
Ich hatte Habirus Dromedar neben mir am Leitseil, und nach Sussiks ergötzlicher Standpanke fragte ich den Herrn Thronfolger, ob er vielleicht in meiner Abwesenheit mein Mannskript mal aus dem verschlossenen Kasten hervorgeholt und gelesen hätte. Meine Muttersprache beherrschte er nicht, aber ich hatte einzelne Abschnitte englisch niedergeschrieben, – nur so konnte er meines Erachtens den Namen Jane Cordy und unsere Beziehungen zu der ungekrönten Fürstin der Bischarin erfahren haben. – Ich sagte [es][11] ihm, als er Ausflüchte machte, auf den Kopf zu.
Lizzie, rechts neben mir trabend, kam auf einen noch besseren Gedanken. Sie legte Habiru so arg hinein, daß er das Lügen aufgab. Ganz harmlos fragte sie, ob sich Lady Jane denn so ohne weiteres ergeben hätte.
Als Habiru hastig bejahte, lachte sie schallend.
„Lady Jane hätte euch wie Schafe zusammengeknallt … Ihre Krieger haben sicherlich sämtlich Repetiergewehre, und – was habt ihr?! Zumeist alte Donnerbüchsen, die Hinterlader sprechen gar nicht mit, und die sind außerdem im großen Lager, nicht dort irgendwo im Nordosten bei einer anderen Abteilung!“
Habiru hielt es hiernach für ratsam, eine friedliche Verständigung anzubahnen.
Ich schickte Lizzie nach vorn zu Reginald, denn mir lag daran, daß sie nicht alles hörte. Ich fragte kurz:
„Leben hier in euren Weidegründen Farmer?“
Er zögerte. „Ich darf darüber nicht sprechen, Mr. Abelsen … Geben Sie mich frei … Ich werde meinen ganzen Einfluß aufbieten, daß Sie unbelästigt bleiben.“
Sein Einfluß war für die Katz. Sein Vater führte ein so strenges Regiment, war ein so ausgesprochener Selbstherrscher, daß er sich nicht einmal um den „Rat der Alten“ kümmerte, der bei den Nomaden-Gallas neben dem Häuptling regieren soll.
„Du würdest deinen Einfluß nur gegen uns gebrauchen,“ sagte ich sehr grob und fügte hinzu: „Ich habe dreimal nachts im Nordteil des Lorian-Sumpfes Rauchsäulen aufsteigen sehen … Ich habe im Sumpfrande die Eindrücke eines Kahnes bemerkt, – ihr selbst gebt euch nicht die Mühe, Kähne zu bauen, ihr seid noch nie in die Sümpfe eingedrungen. Sir Forrester weiß, daß dies ein paar Engländer versuchten, aber umkehren mußten. Es wohnen Leute dort, Habiru, und ihr wißt das.“
Er blieb stumm.
Wir hatten auch keine Gelegenheit mehr, diese Unterredung fortzusetzen.
Vor uns senkte sich der Boden zu einer breiten Schlucht hinab, in der dichtestes Gebüsch, trübe Tümpel, hohe Bäume und zerklüftete Felspartien ein buntes, geisterhaftes Gemälde im Mondenschein darboten.
Wir … rissen leider die Tiere zu spät zurück.
Zu spät merkte ich, daß Habiru oder der Heiitsch Gabara doch die Klügeren gewesen waren.
Buschinseln bedeckten hier die Steppe …
Reiter brachen hervor …
Im Nu war uns der Rückweg in die offene Steppe abgeschnitten …
Im selben Moment flammte vor uns an einem Tümpel in der Tiefe der fast meilenbreiten Schlucht ein grelles Licht auf. Eine Feuersäule schoß gen Himmel, sank wieder in sich zusammen, erhob sich abermals mit ohrenbetäubendem Krachen, – verschwand, flammte wieder empor …
Ein Zuruf, – vier Schüsse, – wir brachen durch …
Habiru mußte mit …
Es war ein halsbrecherischer Ritt bis zum Tümpel … bis zu den dort emporragenden Steinklippen …
… Ohne Unterlaß aus dem Sumpfe die Explosionen, die Feuersäule, die zusammensinkende Feuerfontäne …
Die Guasasso-Galla wagten nicht einmal zu schießen. Das seltsame Bild und Getöse der hochschießenden Flamme betäubte, verwirrte sie.
Wir hatten gute Deckung hier, der Schluchtrand und die Böschung waren kahl … Noch ein paar Schüsse, und droben zeigte sich auch nicht eine Lanzenspitze mehr.
Es war doch nicht zu spät gewesen.
… Wenn ich über dieses Land hier hinschreite und den Überreichtum der Vegetation bewundere, wenn ich durch die Oase des Todes droben auf den Hügeln wate, denn dort hat sich der Sand verzweifelt gegen alles Grün bis auf ein paar Palmen gewehrt, – wenn ich in den Wäldern drunten am breiten Seering die zahllosen schillernden, bunten Vögel höre und sehe, denn wie verkehrt ist es doch, den tropischen Vögeln die Kunst des Gesanges abzusprechen, dann erinnern mich die halb im Wasser auf rötlichen Schlammbänken stehenden Marabus (ein Marabut ist ein mohammedanischer Einsiedler oder Heiliger) und vieles andere an einen fernen See auf einer fernen großen Insel, an dem einst meines Freundes Chi Api verborgenes Reich lag. Dann glaube ich, wenn ich die Augen schließe, zwei behaarte Arme um meinen Hals zu spüren und das zärtliche Zwitschern Peter-Mauglis zu vernehmen, der mich so sehr geliebt hat, so treu und innig, wie vielleicht nur Affen lieben können, eben die kleinen, langschwänzigen Kapuzineräffchen …
Mein Freund Fennek kann nicht so zärtlich sein. Das hat ihm die Natur versagt. Genau wie es herbe, kühle Seelen unter den Menschen gibt, die aber vielleicht mehr inneren Gehalt haben als die allzeit überschwänglichen[12] und mit Wort und Gebärde verschwenderischen.
Peter-Maugli, du lieber kleiner Kerl, du warst nicht überschwänglich, dein Herzchen sehnte sich nach Liebe.
Und du, kleiner spitzschnäuziger Mukki mit den Fledermausohren, – wenn du dich auf meinen Fußspitzen oder in meinem Schoße zusammenringelst und deine großen Augen mich anstrahlen und aus der Kehle der sanfte, sanfte Seufzer des Wohlbehagens kommt und deine kühle Zunge meine Hand leckt oder dein Köpfchen sich wie jetzt an meinem Bein scheuert, dann weiß ich, was ich an dir habe, ich weiß es so fest, wie deine Treue ist.
Mau sagt immer: Jung zu jung, alt zu alt …! – Das passe zueinander …
Bin ich so alt..?! – Für dich, Fennek-Freund, bin ich es nicht …
Nein, nur jemand anders hat das plötzlich herausgefunden und hat tagelang ein schlechtes Gewissen gehabt. Ich bin auch darüber hinweggekommen und spiele wieder den …
Doch, alles zu seiner Zeit.
Durch mein Fenster weht ein ganz feiner Geruch von Petroleum, der hier für diese Insel kennzeichnend ist. Ohne diesen Geruch und das dazu gehörige Erdöl, das drüben jenseits des Felswalles auf den Sumpflachen schwimmt und die spärlichen Insekten vernichtet, würden auf den Weideflächen dieser Musterfarm wohl kaum die Rinder so prächtig gedeihen. –
Auf unserem wochenlangen Marsche von Nairobi bis hierher hatte ich mich stets gewundert, daß die Hütten der Massaii – nur wenige trafen wir – nie an Wasserstellen lagen und daß die Eingeborenen sich lieber der Mühe unterzogen, das Trinkwasser in Schläuchen und Kalabassen zu ihren Wohnplätzen zu schleppen, als ihr Vieh an die Wasserstellen zu treiben.
Die Tsetse-Fliege ist der Grund. Sie liebt die Feuchtigkeit, sie tötet Rinderherden, sie ist der kleine Unhold Ostafrikas heute wie einst trotz Serum und sonstiger Abwehrmittel. Der Reichtum der Massaii ist ihr Vieh, sind ihre Buckelrinder …
Hier auf dieser Insel gibt es keinen Moskito, keine Tsetse. Das Petroleum vernichtet die Brut, das Petroleum speist abends meine Lampe, – es stinkt, aber daran gewöhnt man sich.
Und jetzt ist es abend, hoch über mir blinken die Laternchen des Himmels, die Mondsichel aber steht noch tief über den endlosen Büschen des ungeheuren Sumpfgebietes.
Ich höre das unheimliche Röcheln der Krokodile, den schrillen Schrei der Nilgänse, das Pfeifen der Nachtfalken, das Kreischen der Affen, die in ihren altgewohnten Bäumen einander die Astplätze zur Nachtruhe streitig machen …
Es sind stets dieselben Abendkonzerte, – wir sind bereits zwei Wochen hier und in meinem Blute ist auch schon wieder jene Unruhe, die mich abdrängt von den vielbetretenen Wegen des Alltags. – Was ich hier erlebe, ist nicht mehr Erleben, sondern lediglich der Trott harmloser friedlicher Tage. Die Kämpfe und die Ungewißheit liegen hinter uns. Sir Reginald und sein würdevoller Hofmarschall sind sehr zufrieden damit, Lizzie ist noch zufriedener, Sussik hat mich schmählich verlassen und ist auf dem Heimwege nach Norden, nach Nubien.
Was blieb mir?! – Eigentlich nur der kleine Fennek … Eines Tages, glaube ich, werden wir beide in aller Heimlichkeit in dem großen Flachboot zum Steppenufer rudern und … verschwinden.
Es sind mir bereits so viele Menschenschicksale durch die Finger geronnen wie buntfarbige Wasser, die nachher das Wasser des Lebens wieder wegspült und die Trösterin Zeit trocknet …
So viele …
Ich könnte sie herzählen, einen nach dem andern, beginnend mit Coy Cala, Chubur, Chico, – die letzte rieselnde Farbe erstrahlte im Rot der Liebe, wurde zum Blau der Freundschaft und … verblaßt schon allmählich …
Lizzie Neworld, die gar nicht Neworld hieß, sondern …
Nun, sehr bald wird sie wieder anders und doch nicht anders heißen, in Nairobi wird ein steifleinener Regierungsbeamter etwas in ein Buch eintragen, – – und eine Ehe wird geschlossen werden …
Auch eine Seifenblase …
Ich glaube, ich schrieb einmal etwas über schillernde Seifenblasen. Ich glaube, ich werde auch dies überwinden und hinterher sehr froh sein, daß der Kelch an mir vorüberging.
Ich eigne mich nur zu Onkelrollen … –
Mukki stößt energischer mit dem Schnäuzchen. Er sehnt sich nach dem Bett. Er schläft am Fußende, und wenn einmal nachts eine Schwalbe – es gibt hier sehr viele Nachtschwalben und freche Fledermäuse – durch das offene Fenster eindringt, dann fliegt er hoch und tanzt auf den Hinterbeinen im Mondlicht und schämt sich nachher, weil er die Schwalbe doch nicht erwischt hat – die Fledermäuse erst recht nicht. Dann liegt er wieder im Bett halb auf meinen Füßen und schläft und träumt und wartet auf den Morgen … Morgens, das ist feststehendes Programm, spiele ich mit ihm … Er ist dann wie ein übermütiges Hündchen, schnappt zart nach meinen Fingern und spielt zuletzt Fellkragen und schmiegt sich um meinen Hals.
Ich werde trotzdem noch aufbleiben, denn drüben im großen Verandazimmer sind die Herrschaften noch sehr lebendig.
Percy Mac Oldyn hat mit dem Empfänger von Bombay oder von Java her Jazzmusik – Schallplatten – aus dem Äther eingefangen, und es fehlt hier nur noch elektrisches Licht, Warmwasserversorgung und ein vornehmer Hotelportier, um den Zauber der Einsamkeit gänzlich zu vernichten. Ich werde die Geschichte der Oase der Toten beenden.
Und … vielleicht werde ich um Mitternacht mein Ränzel schnüren und auf den Tisch ein paar Abschiedszeilen legen und … verduften … –
– Die Feuersäule sank und stieg …
Immerfort.
Die Panik unter Gabaras Wüstenräubern mußte sehr groß sein …
Hätten sie gewußt, daß es sich lediglich um brennbare Erdgase handelte, die aus einer Felsspalte emporquollen und nur in Zwischenräumen stoßweise emporgedrückt wurden, wären sie wohl kaum so vorsichtig gewesen, einen sofortigen Angriff zu unterlassen.
Daß sie ihn unterließen, war unser Glück.
Sie hatten uns hier einen regelrechten Hinterhalt gelegt, der alte schlaue Kunde Gabara hatte trotz des Nachttrunks seine besonderen Vorbereitungen getroffen, und sein ihm ebenbürtiger Sprößling hatte geschauspielert wie ein gewiegter Botschafter einer friedlichen Großmacht mit drei Milliarden Rüstungsetat.
Wir mußten zunächst die Dromedare gegen Schüsse von oben irgendwie sichern. Die Tiere bockten und wollten sich nicht niedertun. Die Felsen wieder waren nicht hoch genug, auch die Köpfe der Dromedare zu decken, also mußten oben noch Steinbarrikaden errichtet werden. Wir waren auf engem Raum zusammengedrängt, wir hofften, daß vom Sumpf her irgendwie Hilfe erscheinen würde, denn von selbst konnten sich die Erdgase nicht gerade im kritischen Moment entzündet haben. Dies hatte zweifellos jemand von den bisher unsichtbar gebliebenen Bewohnern dieses wasserreichen ostafrikanischen Dschungels getan. Weshalb zeigte sich niemand von ihnen?!
Der gute Reginald war in scheußlich gereizter Stimmung. Habirus höhnisches Grinsen entlockte ihm erneute Drohungen, – der Sohn des Heiitsch lachte ihn nur aus, jetzt erst entblößte er sein wahres Gesicht. Auf ihn machte die flackernde Gassäule keinerlei Eindruck, er war zu zivilisiert, um noch an Dämone, böse Geister und den Hokuspokus der Priester seines Stammes zu glauben.
„Ihr werdet alle sterben,“ sagte er kalt. „Niemand wird die Nachricht von eurem Tode in die Siedlungen bringen, unter uns gibt es keine Verräter, und die, die dort in den Sümpfen hausen, werden wir nun auch fangen und ersäufen.“
Sussik, wie stets in bedrohlicher Lage ein mustergültiger Kamerad, hatte mit Lizzie und mir die Steinbarrikaden errichtet. Mehmed raufte jetzt auf meinen Befehl Gras aus, wir fertigten aus dürrem Holz und Gras Wurfkugeln an, die wir brennend überall dorthin schleuderten, wo hohe Grasstellen dem Gegner das Anschleichen ermöglicht hätten. Das Flugfeuer griff bei dem frischen Nachtwind sehr rasch um sich und erfaßte auch Teile der Steppe. Wir hier in der Schlucht konnten nur an der Färbung des Himmels erkennen, wie weit der Brand sich nach Süden ausdehnte.
Wir verstärkten unsere kleine Festung, wir wagten uns ins Freie und schleppten vom Wasserrand Dornen herbei, wir machten uns auf eine Belagerung gefaßt, aber wir hofften auf Lady Jane, die sicherlich ebenfalls hierher kommen würde. Ich vermutete mehr denn je, daß sie die Lage der geheimnisvollen Farm besser kannte, wie sie dies in ihrem Briefe eingestanden hatte.
Allmählich trat dann auch bei uns wieder Ruhe ein. Die Tiere taten sich nieder, sie hatten sich an wechselnde Beleuchtung und den Donner der Gasexplosionen gewöhnt. Diese ließen an Heftigkeit nicht nach. Die Flammenfontäne hatte durchschnittlich fünfzehn Meter Höhe, ihr Durchmesser betrug gut zwei Meter, die Entfernung von unserem Schlupfwinkel etwa hundertfünfzig Meter. Der Platz, an dem sie emporschoß, war von sehr dichtem Papyrusgebüsch, Dornendickichten und Bäumen umgeben. Unbedingt gab es dort eine Felseninsel im Sumpf, und die Gase mußten seit undenklichen Zeiten aus einem Loche hochgequollen sein, bis dann eben in dieser Nacht ein Wissender sie entzündet hatte.
Wer?!
Reginald und ich beobachteten das unheimliche Phänomen, und er meinte schließlich in seinem gedrechselten Kathederenglisch: „Ich halte es vom wissenschaftlichen Standpunkt für ausgeschlossen, daß im Lorian-Sumpf sich Menschen ansiedeln könnten. Diese Sümpfe erstrecken sich der Karte nach genau von Nord nach Süd über hundert Kilometer weit, der Guasasso Niro bildet ihren einzigen Abfluß, noch keinem ist es bisher geglückt, in diese Wasserwildnis einzudringen, und schon die Malaria allein würde jeden Europäer daraus vertreiben. – Abelsen, Sie sind stets allzu phantastisch veranlagt, Sie schließen nun aus den Rauchsäulen und aus dem einen Einbaum, den Sie sahen, auf das Vorhandensein bebaubaren Bodens inmitten der Sümpfe … Das ist, verzeihen Sie, Utopie!“
Der harte Knall einer Vorderladerflinte, die irgendwo oben am Schluchtrande abgefeuert worden war, beendete diese zwecklose Auseinandersetzung.
Ein Hagel von Bleikugeln prasselte gegen die Barrikade, und Sussik und Lizzie, die oben auf dem größten Felsblock lagen, erwiderten den Schuß durch eine kleine Salve aus den Repetierbüchsen. Dann wurde alles wieder still. Nur von den blanken Tümpeln her erscholl das wütende Schnauben und Gurgeln gereizter Flußpferde, die hier ein wahres Dorado gefunden hatten. Krokodile stießen ihre abscheulichen Brüllrufe aus, Vogelschwärme kreisten aufgeregt in der Luft, und im äußersten Schluchtwinkel keifte eine große Pavianherde.
So lange noch der Mond am Himmel blieb, hatten wir weder von Mensch noch Tier etwas zu fürchten. Selbst Wasserbüffel, und auch die gab es hier, hätten uns nichts anhaben können. Bedrohlich wurde die Lage erst um die dritte Morgenstunde, dann traten hier stets Nebel auf, das wußten wir von den langen Stunden in der Boma her, wenn wir auf photographisch wertvolle Objekte gelauert hatten.
Mit Reginald war in solchen Fällen wie diesem nichts anzufangen. Er war lediglich Gelehrter, er überließ es stets mir, uns irgendwie herauszuhauen. Ich beriet mich mit Mehmed Said. Der alte Fellache hatte so manches erlebt, er verbarg hinter steifer Würde ein mutiges Herz und eine rasche Auffassungsfähigkeit.
Daß wir Habiru als Geisel bei uns hatten, galt ihm nichts. „Gabara kennt uns, Mr. Abelsen. Er weiß, daß wir seinen Sohn nicht töten werden, falls wir angegriffen werden. Er rechnet auf unser vornehmeres Gefühl, und er hat recht damit.“
Sein Blick schweifte nach der Gasfontäne hinüber. „Die muß viele Meilen weit sichtbar sein. Lady Jane wurde im Nordosten beobachtet, und wir befinden uns hier am Nordwestrand der Sümpfe … Vielleicht …“
Und dann schwieg er.
Die Untätigkeit, das Abwarten ging mir gegen den Strich. Längst verklungene Erinnerungen an den gellenden rauhen Jagdruf der Araukaner wurden in mir wach. Was hätte wohl Coy in diesem Falle getan?!
Das da am Gallegos waren eisenharte unbarmherzige Helden gewesen. Etwas von ihrem Geiste flog mir wieder zu …
„Sussik, rauf mit dem Habiru auf den großen Felsen!! Binden wir ihn der Länge nach an der Barrikade fest!!“
Reginald protestierte entsetzt.
Wir gerieten nicht zum ersten Mal aneinander.
Mehmed pflichtete mir höflich bei:
„Sir Forrester, der alte Gabara muß sehen, daß wir nicht spaßen!!“
Habiru lächelte verächtlich, als Sussik und ich ihn über die Steine schoben und die Riemen dann straff zogen.
Und der Geist, der dort in den Pampas am Gallegos das harte Dasein erträglich gestaltet hatte, der uns damals durch Eisschlünde und Schluchten und brandende Wogen begleitet hatte, riet mir noch härter zu sein. Wir durften den Nebel nicht abwarten.
Ich kroch ebenfalls über die Steine und setzte mich vor Habiru nieder, formte die Hände zum Schallrohr und brüllte in die Steppe hinein:
„Gabara, zeige dich!“
Ihn noch weiter mit dem höflichen „Sie“ zu beehren, – ich dachte nicht daran!
Kein Schuß fiel.
Aber droben hinter einem versengten, noch glühenden Busch erhob sich die stolze Gestalt des Heiitsch der Räuber-Gallas.
„Gabara, falls ihr nicht sofort in euer Lager zurückkehrt, wird Habiru erschossen! Ich gebe dir Bedenkzeit. Beeile dich mit deinem Entschluß.“
Gabara bildete in den weiten Steppen nordwärts des Guasasso-Flusses als Stammeshäuptling in allem eine Ausnahme.
Er kam ganz langsam die Schluchtwand herab, – sein Gesicht ward in Pausen durch die hochschießende Flammensäule grell beleuchtet. Drohende Falten zeigte dieses dunkelbronzene Antlitz.
Er, der alles verhöhnte, was irgendwie von England her als Bedrohung seiner Willkürherrschaft zu deuten gewesen wäre, mußte diese Situation als tiefste Demütigung empfinden.
Er blieb dicht vor dem Felsen stehen, er schaute flüchtig auf die Büchse, die ich halb auf das Knie gestützt hatte, er war ohne Waffen gekommen.
„Mr. Abelsen, Sie werden meinen Sohn sofort herausgeben,“ sagte er ohne jedes Anzeichen von Erregung. „Wir werden in das Lager zurückkehren und weit nach Norden ziehen. Wir wünschen nicht, mit den Leuten der Sümpfe zu kämpfen … Wir wollen in Frieden mit ihnen leben.“
Ich war geradezu verblüfft. Ich musterte seine Züge, – was ich vorhin für drohende Falten eingeschätzt hatte, waren nur die tiefen Kerben einer unbestimmten, schlecht verhehlten Angst.
So hatte ich Gabara noch nie gesehen.
Er sprach weiter bevor ich noch antworten konnte.
„Mr. Abelsen, es gab eine Zeit, in der ich mich gegen die Leute des Sumpfes aufzulehnen suchte, in der ich erkennen mußte, daß dort auf den fernen Inseln dieser Wasserwildnis der Tod in vielfacher Gestalt lauert. Sie haben uns das große Rindersterben geschickt, sie haben unsere Dromedare hinsiechen lassen, – bis wir die Sümpfe mieden. Es ist nichts Neues für mich, daß eine solche Flammensäule emporschießt, – es war stets eine Warnung für mich. Ich will mit ihnen im Frieden leben, Mr. Abelsen … Ich lüge nicht, ich wollte auch dies alles verheimlichen, ich weiß mehr, als ihr glaubt. – Zwischen uns möge die alte Gastfreundschaft wieder aufleben, – ich schwöre es!“ Er streckte mir die gespreizte rechte Hand entgegen, schloß sie langsam und öffnete sie abermals …
„Lebt wohl, gebt mir meinen Sohn zurück!“
Er wandte sich langsam um und stieg langsam die Böschung wieder empor.
Ein Galla aus der großen freien Steppe hält eine Zusage, die er auf solche Art bekräftigt. Es sind Räuber, aber ihre Ehrbegriffe sind in mancher Beziehung unanfechtbar.
Ich nahm Habiru die Fesseln ab.
Wenn schon das Verhalten seines Vaters mich in Erstaunen gesetzt hatte: Des Sohnes Benehmen erschien noch unergründlicher. Er reichte mir die Hand …
„Mr. Abelsen, mein Vater hat vielleicht schon zu viel eingestanden, aber er ist alt und weise. Möge Miß Lizzie wohlbehalten dorthin gelangen, wo sie nur noch Sandhügel und vielleicht das Skelett eines Dromedars vorfindet.“
Dann glitt er am Felsen hinab, – Sussik führte sein Dromedar ins Freie, gab ihm seine Waffen, und Habiru entfernte sich still und ernst wie einer, der keinerlei Haß mehr zu hegen wagt.
Reginald war natürlich auch mit dieser Lösung nicht zufrieden.
„Abelsen, das war meines Erachtens ein ganz grober Fehler – verzeihen Sie schon …“
Wir hatten nicht auf die Wasserseite unserer Festung geachtet.
Eine helle, heitere Männerstimme sagte hinter uns: „Es war durchaus kein Fehler … Sie gestatten: Percy Mac Oldyn heiße ich, und der alte Gabara hält mich für den leibhaftigen Teufel … Sehe ich wirklich so aus?!“
Nein, er sah nicht so aus. Im Gegenteil, ich hätte jeden Backfisch verstehen können, der sich in diesen liebenswürdigen, hübschen, flotten, schlanken Gentleman auf den ersten Blick verliebt hätte, der wie aus dem Boden gezaubert in seiner peinlich sauberen Khakikluft, seinem kecken Schlapphut und dem schillernden Einglas vor uns stand, – eine glänzende Romanfigur, äußerlich vielleicht zu sehr Salon-Afrikaner, aber – – die Augen!
Sie blitzten lustig, spöttisch, übermütig. Sie hatten trotzdem jene feinen Fältchen an den Winkeln, daß ich mir sofort sagte: Dieser Percy ist ein ganzer Kerl!
Und das war er auch.
„… Sie dürfen auf keinen Fall hier länger bleiben,“ erklärte er in merklich verändertem Tone. „Hier gibt es Moskitos, – lassen Sie die Dromedare nur ruhig laufen, die schließen sich schon von selbst dem alten Herrn Gabara an … Mein Boot faßt nur drei Personen, – dort hinter jenen Büschen beginnt jedoch bereits der Kanal, dort liegt mein großes Flachboot … Beginnen wir!“
Seine selbstbewußte Art duldete keinen Widerspruch. Er sprach sehr abgehackt und etwas zusammenhanglos, wie dies Menschen tun, die sehr schnell denken und voraussetzen, daß andere ihre Gedankenlücken auszufüllen vermögen. Der erste Eindruck, den ich von ihm gewonnen hatte, ward immer mehr verwischt. Dies war nicht nur ein ganzer Kerl, sondern ein stahlharter, zielbewußter Charakter mit der äußeren Abgeschlossenheit des wahren Gentleman, – kein schleimiger Phrasendrechsler, kein hohler Schwätzer, keine feige Kreatur, die sich aufpustet und mit der ihr von der Natur verliehenen glatten Zügen irgendwie prunkt.
Er trat auf Lizzie zu …
„Bitte, Miß, die Damen und das Alter zuerst …“ Er deutete auf Mehmed Said, und Lizzie und der grauhaarige Fellache folgten ihm – wie behext.
Unten am Rande des Tümpels lag ein dunkler schmaler Bretterkahn.
Er half Lizzie hinein, Mehmed setzte sich auf eine der Bänke, und Percy Mac Oldyn stieß vom Lande ab.
„Wer ist das?!“ fragte Reginald halb entrüstet. „Der junge Mann kommandiert hier wie ein General, wartet nicht einmal ab, ob wir …“
„Ein Mann ist es!“ meinte ich amüsiert. – „Sussik, – also weg mit den Dromedaren! Führe sie nach oben in die Steppe …“
Reginald hüstelte ärgerlich. „Abelsen, ich finde, ich werde hier denn doch allzu stark ausgeschaltet, ich …“
„Packen Sie lieber unsere Sachen in die Decken, Verehrtester … Percy Mac Oldyn ist einfach einer der Bewohner der Lorian-Sümpfe …“
Sir Forrester brummte … „Miß Neworld starrte ihn an wie bezaubert, – ein sehr eitler Mensch, dieser Namensvetter des Einsiedlers, des greisen Majors …“
„Sie rasieren sich jetzt auch jeden Tag, Reginald, – aber ich fürchte, daß all das nun zwecklos ist … dieser Percy wäre auch unrasiert ein Bursche von einzigartigem Schlage … – da kommt er schon mit dem Kahn zurück … – Hallo, Mr. Oldyn, verfrachten Sie jetzt zunächst unseren Herrn Chef, Sir Reginald Forrester, Doktor der Philosophie, Ehrenmitglied von drei Gesellschaften für Naturforschung, Vetter zweiten Grades des Herzogs von Kent, – – und so weiter …“
Percy war mit einem Satz an Land.
„Hohe Ehre …“ – er verneigte sich … „Sehr hohe Ehre … Also – rinn in das Boot, Sir Forrester … Hängen Sie aber nicht die Beine über Bord … Die Eidechsen von drei bis vier Meter Länge nehmen keine Rücksicht auf Doktortitel und so …“
Wieder stieß der Nachen ab, verschwand zwischen den Büschen, und mein Sussik meinte grinsend und seinen Hammeltalgschädel streichelnd:
„Olaf, das müssen da feine Kerle sein, da in den Sümpfen … Der eine schon gefällt mir … Miß Lizzie machte Augen wie … wie …“
„Packe den Rest der Sachen zusammen!“ – ich wurde ungemütlich … Sussik brauchte mir es wirklich nicht unter die Nase zu reiben, daß ich wahrscheinlich verspielt hatte.
Gedankenvoll streichelte ich Freund Fennek den Kopf. In meinem Herzen gab es da plötzlich solch ein schmerzlich-leeres Gefühl …
Ich dachte an meine leicht ergrauten Schläfen, an die Falten und Fältchen im braungebrannten Gesicht …
Jugend zu Jugend …! Es stimmte schon …
Dann landete der Bretterkahn wieder, Percy Mac Oldyn stand vor mir und preßte mir die Hand.
„Mr. Abelsen, ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen … Miß Janes Nachricht erreichte mich vor acht Tagen. Der Bischarin, der den Brief brachte, ist wieder leidlich bei Kräften … Die beiden Kugeln der Guasasso-Gallas trafen keine edleren Teile …“
Seine herzliche Art zwang zu gleicher Liebenswürdigkeit.
„Mr. Oldyn, Sie sprechen da so ziemlich in Rätseln … Alles ist noch so unklar … Wissen Sie, daß Lady Jane hier irgendwo in der Nähe ist?“
Sussik schleppte die letzten Kisten ins Boot.
Percy war überrascht.
„Wie – schon hier, wirklich?! Armer alter Gabara, dann wird es noch böse Stunden für dich geben …“ Seine Stimme klang hart. „Ich habe es ihm ja bereits heimgezahlt, dem Herrn Heiitsch! Aber Lady Jane, sie ist meine Tante zweiten Grades, nebenbei bemerkt, scheint strenge Justiz üben zu wollen …“ Er zuckte die Achseln … „Man muß an diese Räuber-Gallas nicht den Maßstab westlicher Strafbestimmungen anlegen … Auch ich habe mich umgestellt. Als ich vor vier Jahren hierher kam, glich auch ich einem blutdürstigen Tiger. Ich hatte Grund dazu, Rache zu üben, aber ich hielt mich damit in mäßigen Grenzen. – Los denn, fahren wir ab … Ich werde die Wachen nachher günstiger postieren …“
Er hatte nur eine lange Stoßstange im Boot, aber er leitete es damit so flink und gewandt, als hätte der Nachen Steuer und Motor.
Daß ich den kommenden Dingen mit größter Spannung entgegensah – kein Wunder!
Das Boot bog in einen breiten Kanal ein, in dem ein flaches, plumpes Fahrzeug lag. Außer den Gefährten befanden sich drei Neger mit Wollköpfen darin, jeder in blauen Leinenhosen, jeder mit Ledergurt und zwei Pistolen daran.
Auf den Sandbänken einer nahen Insel ruhten Krokodile, – in einem sumpfigen Loch ruhten Flußpferde, die nur die viereckigen Schädel sehen ließen.
Die Gasfontäne puffte jetzt keine fünfzig Meter links von uns. Der Boden und das Wasser zitterten bei jeder Explosion …
Die Wollköpfe vertäuten den Nachen an einen Baum. Einer von ihnen blieb zurück. Percy warf den Heckmotor des großen Flachbootes an, und das plumpe Ding schob sich vorwärts. Vorn standen zwei Neger mit Stangen und bogen Büsche und Baumäste zur Seite. Percy steuerte, wir anderen saßen still da, Fennek-Mukki lag auf meinem Schoß, und Lizzie beobachtete Percy mit blanken Augen. Wir alle spürten das Ungewöhnliche, Geheimnisvolle dieser letzten halben Stunde, – wir befanden uns in der Lwin-Steppe und glitten hier durch Busch und Dornen und Ranken in einem ratternden Flachboot einem unbekannten Ziele entgegen.
Die Mondsichel stand bereits tief, einer der Neger setzte einen Karbidscheinwerfer in Brand, der Strahlenkegel tastete in das Dunkel dieser Wasserwildnis hinein und zeigte uns die drohenden riesigen Saurier, die Schweinsäuglein der Flußpferde, das schillernde Gefieder emporflatternder Vogelscharen und das Labyrinth schmaler Wasserstraßen.
Wir wußten nichts zu reden.
Das Ungewöhnliche, vereint mit wachsender Neugier, bedrückt die Seele. Mehmed rauchte krampfhaft, Reginald sog an einer erloschenen Zigarre, Sussik half jetzt den Wollköpfen, da die Passage immer enger wurde, und Fennek-Freund und ich starrten ins Weite und wichen Lizzies scheuen Blicken aus, – wenn Lizzie uns mal ansah, wenn … selten.
Äste und Ranken streiften über uns hin, wir duckten uns, – zuweilen lief das Boot auf, dann gab es mühsame Arbeit mit den Stoßstangen, – dann wieder rochen wir zum ersten Mal das Erdöl, und Percy rief uns zu: „Nicht aus Tonnen – unverfälscht aus dem Sumpf!“
Das braune schlammige Wasser zeigte bläulich-violetten Glanz, das Getier ward seltener, und das Petroleum schwamm in dickerer Schicht auf der Oberfläche, Gestrüpp und Büsche hatten gelblich-ungesunde Blätter, Bäume reckten schwach belaubte Zweige hoch, – die Felsgruppen mehrten sich, und das Flachboot landete an einer steilen Böschung mit viel Geröll und langen Dornendickichten.
Der schweigsame Gentleman mit dem fest eingeleimten Einglas stoppte den Motor, die Wollköpfe sprangen mit Seilen aufs Trockene und befestigten die Bretterschute.
„Wenn ich bitten darf, verehrteste Kousine …“ – Percy reichte Lizzie beide Hände …
Lizzie schaute ihn geradezu strahlend an.
„Also doch!!“ sagte sie leise … „Oh Percy, daß ich dich nicht gleich erkannt habe!! Weißt du noch, wie du mir das Reiten beibrachtest und ich solche Angst vor dem Pony hatte! War ich nur ein kleines dummes Mädel!“
„Sechs Jahre warst du, Lizzie …“ Sie standen noch immer Hand in Hand, er auf einem Stein am Ufer, sie aus dem Bootsrand …
Dann zog er sie mit leisem frohen Lachen hinüber, sie streifte seine Brust, lachte auch …
Jugend zu Jugend …
Ich schaute in Fenneks Augen, und ich wußte wieder einmal: Nur das Tier ist treu und irrt sich nie in seinen Gefühlen!
Dann schritten wir den Abhang hinan, drängten uns durch Büsche, erreichten eine Art Felsenkanzel, und unter und vor uns lag ein See von gut dreihundert Meter Breite mit hellen sandigen Ufern, mit Schilf und Binsen und Bäumen und blühenden Büschen und ruhenden schwimmenden Vogelscharen.
Drüben lag die Insel …
Drüben in einem Ausschnitt der Bäume zeichneten sich die Konturen von vier Gebäuden ab, – hinter Fenstern schimmerte Licht, aus Schornsteinen wirbelte Rauch empor …
Links, wo nur Weideland sich hinzog, waren Tiere aller Art in großen Mengen in steter Bewegung: Rinder, Büffel, Giraffen, Zebras, Schafe.
Was wir so anstaunten, verschlug uns die Rede.
Dann sagte Percy Mac Oldyn, indem er Lizzies Hand streichelte:
„Lizzie, dies alles schuf dein Vater …“
Seine Stimme klang unsicher.
„… Dein Vater, Lizzie … Und – – dort rechts, wo der helle Hügel mit den Palmen in der Ferne wie eine Oase sich erhebt, – – dort, Lizzie, liegen deine Eltern begraben. – Das ist ein Teil der Wahrheit, Lizzie …“
Wir anderen hielten den Atem an.
Lizzie schluchzte leise …
„Ich,“ fügte Percy noch sanfter, tröstender hinzu, „ich habe sie die Oase der Toten genannt … Außer deinem Vater, deiner Mutter und mir hat noch kein Europäer dieses Inselland betreten … Es ist die Oldyn-Farm, Lizzie, – dein Vater hieß in Wirklichkeit Austin Howard Mac Oldyn.“
– Ein großes Boot kam über den See und holte uns ab. Vier Wollköpfe ruderten …
So landeten wir denn an der Oldyn-Farm, als gerade die ersten Morgennebel aufstiegen und alles in grauen Dunst hüllten.
Das Wohnhaus, groß, geräumig, bewies in jedem Zimmer, daß Howard Mac Oldyn stets insgeheim Verbindung mit den fernen Siedlungen unterhalten haben mußte. Behaglichkeit ohne Luxus überall, – ich erhielt mein eigenes Zimmer an der Westecke, ich hatte das Bedürfnis allein zu sein und schützte Müdigkeit vor. Ein grauköpfiger Vollblutneger von der Sansibarküste, der Hausmeister, brachte mir einen Imbiß. Im Flur knurrten große Rüden an der Tür, witterten Freund Fennek, der wütend keckerte und die blanken Zähne zeigte.
Der Graukopf mit dem gemessenen Auftreten eines gutgeschulten Dieners wünschte mir gute Nacht.
„Sie werden müde sein, Sir … Um neun Uhr steigt der Nebel, um neun pflegt unser Herr zu frühstücken.“
„Wecken Sie mich eine halbe Stunde vorher, Ali … Gute Nacht.“
Er verbeugte sich tief und zog sich lautlos zurück.
Ich saß noch eine geraume Weile auf dem Rohrsofa, neben mir lag Fennek, meine Finger krauten sein Fell.
Es war wie ein Traum, dies alles.
Aber ein anderer Traum war zerronnen …
Dann lag ich seit genau zwei Monaten zum ersten Male wieder in einem Bett und trug einen ganz neuen weichen halbseidenen Schlafanzug auf dem Leibe, der unbedingt auch zum Schlafen „verpflichtete“. Fennek rollte sich zu meinen Füßen zusammen, ich schaltete alle törichten Gedanken aus, und als Herr Ali morgens halb neun an die Tür pochte, hatte ich gerade davon geträumt, daß Lizzie mich im Nomadenlager nie mehr Onkel Olaf, sondern ganz anders genannt hatte …
„Kann man im See baden?“ fragte ich Ali durch die Tür hindurch.
„Gewiß, Sir … Der Badestrand ist eingezäunt. Wenn Sie links durch den Garten gehen wollen … Ich bitte trotzdem, ein wenig achtzugeben. Zuweilen zwängt sich doch ein Krokodil durch die Pfähle …“
Ich nahm meine Kleider und Freund Fennek in den Arm – der Hunde wegen – und wanderte auf gut Glück durch die bereits schwindenden Nebelschleier. Die Sonne schimmerte durch den Nebel wie ein rötlicher Fleck, – aus dem Küchenbau des Hauses drangen allerlei Geräusche und Düfte, im Garten tropften die Blätter, der Boden war feucht, und Freund Fennek setzte die Pfötchen so vorsichtig auf wie ein Altjüngferlein. Er liebt keine Nässe.
Ich fand den Badestrand, den Steg, das Badehäuschen, sogar ein Sprungbrett war vorhanden, und auf dieses wippenden Brettes Spitze saß … Lizzie …
Ihr Badeanzug genügte nicht gerade den Ansprüchen einer Dame von Welt, aber das Lagerleben, zwei Monate in engstem Nebeneinander mit halbnackten Schwarzen, – sie war nicht prüde, ihre Verlegenheit galt wohl mehr ihrem inneren Menschen.
„Morgen, Onkel Olaf …“
„Guten Morgen, kleine Lizzie … – Auch schon auf?“
„Sogar schon im Wasser …! Es riecht nur etwas nach Petroleum …“
Ihre Hand lag in der meinen, ihr Blick schweifte zur Sonne empor.
„… Sussik war auch schon hier, Onkel Olaf. Ich habe mich gewundert, ich hielt ihn für wasserscheu, er hat sich am Ufer mit Sand abgerieben, viel gesprochen haben wir nicht, ich war ein Stück hinausgeschwommen … Da ist leider ein Zaun, Onkel Olaf …“
„Warst du etwa außerhalb der eingezäunten Stelle?!“ – Ich erschrak, – ich fühlte, wie sehr sich dieses Mädel in mein Herz eingenistet hatte – ein kleines, scheues Vöglein zu Anfang, nun – – Weib, und welch prächtiges Weib!
Sie lachte nervös. „Ach, die Krokodile!! Ausgerissen sind sie, – Kinder packen sie wohl, einen Erwachsenen doch höchst selten … Und … wenn es geschehen wäre, – – ich hätte mich nicht bedauert …“
Ihre Stimme zitterte …
„Kind, was fehlt dir?!“ Ich setzte mich neben sie … Das Brett war mit einer Bastmatte benagelt, es bog sich herab, und Lizzie lehnte sich an mich.
„… Ich … habe wenig geschlafen in dieser Nacht … Du wirst das verstehen, Olaf … Ich wollte von Percy noch Näheres über meine Eltern erfahren, aber er weigerte sich. Er müsse auf Lady Jane warten, sagte er … Und nichts ist doch schrecklicher als die Ungewißheit … Man hat mich ja stets … belogen, nicht einmal meinen Namen wußte ich, jetzt heiße ich Oldyn …“ Sie weinte still in sich hinein. „Lady Jane hat wohl geglaubt,“ fügte sie bitter hinzu, „daß meine Eltern noch lebten … Weshalb überließen sie mich Verwandten und Fremden?! Weshalb zogen sie ohne mich hier in die Wildnis und gaben ihr einziges Kind auf und ließen sie Neworld nennen?! – Olaf, es war zu viel des Neuen, Unerwarteten in der verflossenen Nacht … Percy fand ich wieder, – ich habe ihn immer sehr gern gehabt. Er war später Offizier in Kapland, wir hörten nichts mehr voneinander … Findest du Percy nett, Onkel Olaf?“
„Sehr nett …“
Die Sonne hatte nun den Nebel besiegt. Ganz plötzlich schossen die ersten hellen Strahlen über uns hin … Der feuchte Dunst zerflatterte, die Uferpartien traten klar hervor, und die eigenartigen Schönheiten dieser Insel und dieses Ringsees und des Felsenkranzes drüben, der Sumpf und See trennte, entlockten Lizzie den schmerzlichen Ruf:
„Mein Besitz, meine Insel, meine Farm, Onkel Olaf …! – Das hat Percy so stark betont: Mir gehört dies alles, meine Eltern schufen es in harter Arbeit, und ich bin ihre einzige Erbin. – Ist das nicht sehr merkwürdig, Onkel Olaf?! Würdest du dich so leicht in den Gedanken eingewöhnen, daß ein … Mann deinetwegen, um dir dein Erbe zu unterhalten, hier mehrere Jahre so einsam unter seinen Schwarzen und in nächster Nachbarschaft der kriegerischen Gallas gelebt hat, – – würdest du ihm dann nicht auch sehr, sehr dankbar sein und … und … er war doch schon als Junge so lieb zu mir, … und … dich will ich auch nicht verlieren, Onkel Olaf …“
Ich wußte bereits Bescheid, und dieses junge Geschöpf dauerte mich. Ich fühlte die Zerrissenheit ihrer Seele, ich verstand ihre Verlegenheit, ihr Schuldbewußtsein.
„Percy ist ein sehr lieber Mensch,“ sagte ich etwas gezwungen heiter. „Aber daß du hier Tränen vergießt, Kind, – – sei doch glücklich, daß nun alle Unklarheiten aus deinem Leben schwinden werden, gedenke deiner Eltern in stiller Wehmut, nicht in Bitterkeit, noch kennen wir die Gründe nicht, die deinen Vater in diese Wildnis scheuchten … Nein, nicht weinen, Lizzie, und was uns beide angeht, wir … wir … waren doch nur immer sehr sehr gute Freunde, und mehr … hätte aus dieser Freundschaft niemals entstehen können, ich bin alt – vorzeitig alt geworden, – vor dir liegt noch ein ganzes Leben, das dir hoffentlich nur Gutes beschert …“
Die Sonnenstrahlen hatten den See mit einem Schlage aus seiner Schläfrigkeit aufgerüttelt … Vogelschwärme fielen ein, das Wasser spritzte und rauschte unter hurtigen Flügeln, ehrwürdige Marabus stelzten im Flachen umher, Nilgänse schwammen streng ausgerichtet dahin, – in den Bäumen lärmte anderes Getier, Affen kreischten, eine ganze Pavianherde kam drüben über die Felsen zur Tränke, Affenmütter schleppten ihre Jungen, grellrote Enten, schwarze Kraniche, – – es gab hier zu viel zu sehen.
„Dein Reich, kleine Lizzie …!“
Sie schaute mir in die Augen, erst noch zaghaft, dann mit leisem Erröten …
„Das von unserer Freundschaft, Onkel Olaf, – das hast du sehr hübsch gesagt …“
Sie küßte mich flüchtig, und dann lachte sie und sauste ins Wasser hinab, tauchte sofort wieder auf, strich das nasse Haar aus dem Gesicht …
„Schwimmen wir, Onkel Olaf …! Das Bad ist herrlich!“ – –
Frauen …
Immer wieder dasselbe Bild, immer wieder dieselbe entzückende, berauschende Oberflächlichkeit, – glückliche Geschöpfe, von der Natur zu so Ernstem bestimmt und doch so tändelnd diese Pflicht der Naturgesetze mit immer wechselnden bunten Blüten umkränzend …
Wir schwammen …
Es war unser erstes und letztes gemeinsames Bad … Als wir am Strande in der Sonne lagen und uns trocknen ließen und Freund Fennek seinen Pelz leckte, denn er hatte mit hineingemußt in das erfrischende Naß, da tauchten drüben Wollköpfe auf und eine überschlanke Frau in derbem Reitanzug, die Büchse über der Schulter, hinter ihr zehn Bischarin, die den Heiitsch Gabara und seinen Sohn Habiru bewachten.
Das Bild brachte uns schnell auf die Füße, und Lizzie entfloh mit einem sanften Kreischen, – ihr Badeanzug konnte auch durch den durch eine Decke ergänzten Bademantel nicht recht salonfähig genannt werden, und Lady Jane hatte in diesem Punkte vielleicht sehr strenge Schicklichkeitsbegriffe.
Während das große Ruderboot die Ankömmlinge herüberholte, fand sich auch schon Percy ein, heute in tadellosem Weiß mit Bügelfalten, Tropenhelm und Ehreneskorte von Herrn Ali, Majordomus, sowie sechs Wollköpfen in prall sitzenden Khakiuniformen.
Percy Mac Oldyns Brust war mit drei Tapferkeitsorden geschmückt, die er zweifellos nicht aus einem einschlägigen Geschäft erworben hatte. Er drückte mir mit ein paar liebenswürdigen Worten die Hand und ließ dann einige Teppiche über den Landungssteg breiten, – ich schlüpfte schleunigst in meine Kleider und schlug mich genau wie Lizzie seitwärts in die Büsche, weil Percys tadellos frisch rasierte Wangen und mein zweitägiger Stoppelbart sich für einen groß aufgelegten Begrüßungsakt nicht recht miteinander vertrugen. In der Nähe des Hauses stellten mich vier große Hunde, ich konnte Freund Fennek gar nicht schnell genug in die Arme nehmen, sonst hätten die Köter ihn zerrissen, – Sussik erschien mit seiner Lanze als rettender Engel, es gab ein großes Jammergeheul, und als ich dann in meinem Zimmer eingeseift vor dem Spiegel stand, dessen Glas jedes Gesicht lächerlich verzerrte, klopfte es auch schon und Herr Ali trat ein und bat höflichst, den Herrschaften zur Oase zu folgen, wo Lady Jane Cordy über den Heiitsch Gabara und Sohn zu Gericht sitzen wolle.
Durch das Fenster und einer Baumlücke sah ich den Zug nach dem Innern der mir noch unbekannten Insel zu verschwinden.
Voraus schritten Lady Jane, Lizzie und Percy, hinter ihnen Sir Reginald und sein Reisemarschall Mehmed Said, es folgten die zehn Bischarin mit den beiden Gefangenen, und den Abschluß machten Herr Ali nebst Suite von Wollköpfen und das niedere, weniger festlich gekleidete Volk.
Wie das einem so ergeht: Ausgerechnet brachte ich mir heute am Kinn einen stark blutenden Hautschnitt bei, – ich rief nach Sussik, der schräg gegenüber wohnte, er sollte mir die Reiseapotheke und die blutstillende Watte bringen, – kein Sussik war da, das ganze Haus wie ausgestorben, – schließlich fand ich in Reginalds Zimmer das Nötige und beendete meine Toilette, mich im Stillen sehr darüber wundernd, daß Lady Jane es mit dieser „Gerichtssitzung“ so überaus eilig gehabt hatte.
Ich verließ das Haus über die Veranda, war noch keine zehn Schritt über den Vorplatz hinweg, als ich auch schon aus der Richtung meines Zimmers einen Höllenlärm vernahm. Ich rannte zurück, ich ahnte schon an dem Heulen der Hunde, was da vorging, – die Tür stand offen, mein kleiner Fennek war auf den Schrank geflüchtet, und die großen Rüden schnellten wie die Gummibälle empor und suchten Mukki herabzuholen. – Ich liebe Hunde. Diesmal liebte ich sie nicht, als Plantagenwächter mochten diese mächtigen Tiere, Kreuzungen zwischen Dogge und Bluthund, recht geeignet sein, als Angreifer waren sie gefährlich, und nur ein handfester Stuhl belehrte sie, daß der neue Gast gehörig zuzuschlagen wußte. Der Lärm lockte Sussik herbei, wie ein Blitz vollendete er mit seinem Lanzenschaft erneut die schmerzhafte Belehrung, daß Fennek hier tabu sei. Er war sehr außer Atem, der brave Bischarin, und als der letzte Köter etwas lahm davonflüchtete, rief er mir mit keuchender Brust zu:
„Die … Guasasso-Galla, Olaf …! Sie kommen über den See …!“
Wenn irgend etwas dazu angetan war, uns Beine zu machen, dann war es dieser freche Angriff, der ohne Zweifel irgendwie vorbereitet gewesen sein mußte, da ein so plötzliches Auftauchen der Nomaden und so kurz nach Lady Janes Ankunft sich unmöglich ohne Zurüstungen der schwer passierbaren Sümpfe wegen kaum zu bewerkstelligen war.
Ich sperrte Fennek in den Schrank, die Tür war undicht, er konnte nicht ersticken, – wir rafften alles an Schußwaffen und Patronen zusammen, was im Augenblick erreichbar war, – wir rannten durch den Garten und warfen uns oben am Rande der Uferhöhe nieder.
Es stimmte: Drüben wimmelte es von Kriegern, es mußten mindestens zweihundert sein, – sie hatten das Flachboot aus dem Moorgebiet über die Felsen geschleppt, und das große Boot und zwei Nachen befanden sich bereits mitten im See. – Zum Glück sind die Gallas des Schwimmens unkundig, zum Glück wußten sie erst recht nicht mit dem Flachboot umzugehen, das Heck mit dem Motor lag nach uns zu, – sie hatten sich Äste als Paddelruder zurechtgemacht, einige arbeiteten mit Stoßstangen …
In dem Flachboot mochten sich dreißig Leute befinden, in jedem Nachen vier, – die Fahrzeuge waren überfüllt, und als ich erst einmal die Gesamtlage überschaut hatte, taten mir die strammen, kaffeebraunen stolzen Kerle fast leid.
„Nicht schießen, Sussik!“ mahnte ich, als ich neben mir das Einschnappen eines Büchsenschlosses hörte.
Ich nahm die schwere 10,4-Büchse, ich wußte, daß die Dum-Dum-Kugel auch in das Holz böse Löcher riß, ich zielte genau auf die Wasserlinie des Flachbootes, drei Schuß etwa an dieselbe Stelle mußten das plumpe Ding leck machen.
Außerdem hatte die 10,4 den Vorteil, daß ihr Knall bis zur Oase hin gehört werden mußte.
Ich drückte ab. Dreimal.
Der Rückstoß der 10,4 hat Lizzie einst einen blauen Fleck an der Schulter und einen Purzelbaum nach hinten eingetragen. Daran mußte ich denken, als auch ich die Elefantenkanone nicht fest genug eingezogen hatte.
Die Gallas im Flachboot wurden wild, rannten hin und her, das Boot schöpfte Wasser, – – die Kerle gaben den Angriff auf und ruderten zurück.
Wie unheimlich nahe mir damals der Sensenmann im Rücken stand, – erst ein schrilles, vertrautes Kack Kack Kack Kack und ein leiser Schrei ließen Sussik und mich herumschnellen …
Zwei Gallas hinter uns, die Speere mit langen, breiten Spitzen und den bunten Federtroddeln schon zum Wurfe erhoben …
An des einen nackten Oberschenkel hing fest verbissen der Fennek, – und hat ein Fennek erst mal zugeschnappt, läßt er nicht mehr los …
Durch die Büsche brachen im selben Moment die Hunde, – ein kurzes Aufheulen, – die Gallas wurden niedergerissen, und wir hatten allerlei zu tun, daß sie nicht zerfleischt wurden.
Minuten später jagten auch schon Percy, die Bischarin, Herr Ali und die Wollköpfe auf ungesattelten Dromedaren herbei …
Hinterdrein kamen Lady Jane, Lizzie und Gabara und Habiru. Der Heiitsch schritt sofort zur Landungsbrücke hinab und brüllte seinen Leuten etwas zu, drohte mit der Faust, brüllte nochmals und gesellte sich wieder zu uns, entschuldigte sich in aller Form bei Mac Oldyn, – der Angriff sei gegen seinen Willen erfolgt, er selbst und sein Sohn hätten ja auch mehr freiwillig Lady Jane begleitet.
Ihm war der ganze Zwischenfall, der so leicht zu Blutvergießen hätte führen können, sichtlich sehr unangenehm.
„Ich habe mein Wort verpfändet,“ sagte er mit stolzer Ruhe. „Ich wollte, daß das, was hier einst geschah, restlos geklärt würde. Wir Guasasso- Galla sind schuldlos an dem Tode des Farmers und seiner Gattin, – ich habe das bereits Lady Cordy auseinandergesetzt, – es war eine Verkettung von Zufällen, Sie wissen es bereits, – ich lüge nicht.“
Dieser Heiitsch Gabara war der geborene Selbstherrscher. Er mochte seine Schwächen haben, – seine Kühnheit, sein offener Blick, sein ganzes Auftreten imponierten.
Am Ufer blieb nur eine Wache zurück. Meinen Fennek, der einfach das Schrankschloß gesprengt hatte, nahm ich mit zur Oase der Toten, mit unter die hohen Palmen im gelben Sande, deren Kronen so scharfe Schatten warfen …
Unter den Palmen neben dem Skelett des Dromedars, neben den beiden flachen Hügeln, auf denen nur schlichte, plumpe Steinkreuze lagen, saß dann im Halbkreis die ernste Versammlung von Männern, – Lady Jane und Lizzie lehnten an einer Palme.
„Dieser Nordteil der Sümpfe,“ begann der Heiitsch, „gehört mit zu unseren Weidegründen. Ich war noch jung, als hier vor vielen Jahren zum ersten Male im Sumpfe Rauchsäulen aufstiegen und meine Krieger am Rande der Sümpfe Spuren von Ochsenwagen und Stiefeln von Europäern fanden. Aber wir konnten in die Sümpfe nicht eindringen, und da wir nur selten hier so weit nach Süden die Zelte aufschlugen, ließen wir die Fremden unbeachtet. Viele Jahre verstrichen wieder, – die Rinderpest kam, und unsere Priester verkündeten, die unbekannten Bewohner der Sümpfe seien daran schuld. Ich und dreißig Krieger bahnten uns einen Weg durch die Wasserwildnis, wir gelangten nach tagelangen Kämpfen gegen Krokodile, Flußpferde, Dornen und Dickicht an den See und sahen drüben die Insel und die Häuser, bauten nachts ein Floß und wollten die Fremden vertreiben. Sie hatten uns bemerkt und flohen mit ihren Arbeitern und Dienern, und erst hier an diesem Erdenhügel kreisten wir sie ein, – sie feuerten zuerst, meine Krieger sanken im Mondlicht nieder wie der Mais unter der Sichel, – und als auch hinter uns Schüsse knallten, flohen wir und ließen Tote und Verwundete zurück.“
Gabara deutete auf Percy Mac Oldyn. „Sie griffen uns an, Sie waren soeben hier erst angelangt, – Sie riefen mir noch – über den See zu, daß Sie unser sämtliches Vieh vernichten würden …“
Percy nickte. „Du sprichst die Wahrheit, Heiitsch. Ich fand hier meinen Onkel Mac Oldyn, den einzigen Bruder meines Vaters, sowie seine Gattin und einige ihrer Neger und zwölf Gallas tot auf. Ich war hierher gekommen, weil auch ich nicht länger in der Armee in Kapland Dienst tun mochte. Unser Name Mac Oldyn war durch unseren Großvater, der dort im fernen Nubien als Einsiedler lebt, wie mit einem Fluche belastet worden. Major Mac Oldyn mit seiner Patrouille entfloh vor den anrückenden Mahdistenscharen, und die blutige Schlacht von Omdurman kostete durch ihn dem Vaterlande unerhörte Opfer. Deshalb auch verkroch sich Lizzies Vater mit diesem bemakelten Namen in diese Einsamkeit, deshalb ließ er dich, Lizzie, unter anderem Namen aufwachsen … Das ist die volle Wahrheit. Es mag von ihm übertriebenes Ehrgefühl gewesen sein – vielleicht. Er war Engländer, ich bin es, – dort ist sein Grab … – Lady Jane hat stets heimlich über dir gewacht, Lizzie, – ihr Wille war es, daß du dieses Erbe nun antreten solltest. Dir übergebe ich die Farm, – es ist ein reicher, schöner Besitz. Und solltest du den Wunsch äußern, hier das Werk deiner Eltern fortzuführen, so will ich dir helfen, – gern tue ich es, sehr gern …“
Zwei junge Menschen schauten sich an, und dieser lange, tiefe, heimlich-zärtliche Blick war das erste stumme Eingeständnis gegenseitiger Liebe.
Jugend zu Jugend …!
… Meine grauen Schläfen und Falten und Fältchen passen nicht zu einem so lieben frohen Geschöpf.
Der leise Schmerz des Verzichtens ist auch bereits Wehmut geworden. – –
Das ist die Geschichte der Oase der Toten. Nur ein Ausschnitt aus dem Rade meines Lebens, aus diesem bunten Rade, das dahinrollt ohne Ziel und Heimat über die dornigen, doch schönen Pfade abseits vom Alltag.
– – Ich habe eine Weile still da gesessen und in mich hineingelauscht, und eine Stimme raunte mir zu: „Es ist Zeit, Olaf Karl!!“
Ich habe einen Brief geschrieben, nein, nur einen Zettel:
An alle, die ich liebgewann!
Lebt wohl, werdet
glücklich!!
O. K. A.
Mehr nicht …
Ich habe das Bündel geschnürt, ich habe nicht viel mitzunehmen.
Ich weiß, daß Gabaras Lager noch am alten Platze sich befindet und daß ich dort jederzeit willkommen bin.
Vielleicht werde ich, wenn ich an den anderen Fenstern vorüberschleiche, Lizzie ein letztes Mal sehen, vielleicht wird sie gerade ihrem Percy die Arme um den Hals gelegt haben und ihn küssen.
Vielleicht sehe ich auch den fleißigen Reginald noch an seinem Tische bei seinen getrockneten Pflanzen und seinen Aufzeichnungen … Er hat Lizzie lieb gehabt, auch er – auf seine Art … Er hat sehr schnell vergessen, er rasiert sich nur noch jeden dritten Tag.
Fennek-Freund und ich werden allein im Mondlicht durch die Sümpfe rudern und dann allein durch die große herrliche nächtliche Steppe wandern.
Ich werde Gabara bitten, sofort nach Norden aufzubrechen, damit mich niemand von den Freunden mehr zurückholen kann.
Ich glaube, sie alle haben mich etwas gern.
Und dann werden wir mit Gabara auf hochbeinigen Tieren durch die Steppe fliegen, und das ferne Gebrüll der Löwen wird mir die Nächte ins Gedächtnis zurückrufen, in denen ein blondes Mädel in der dornengeschützten Boma neben mir ruhte und mich im Dunkeln heimlich und lautlos küßte, – Reginald hat nie etwas gehört.
* * *
Heiitsch Gabara hat mich freudig in die Arme geschlossen …
Die Zelte werden schon abgebrochen, die Sonne scheint, und ich schreibe die letzten Zeilen auf einem der großen Ameisenhügel …
Dort nach Südwest sehe ich mit dem Fernglas dünne Rauchsäulen aufwirbeln … Dort wird man mich jetzt wohl vermissen, den Zettel finden, und Reginald wird empört sein über meine … Flucht.
Lizzie wird mich verstehen … –
Ein Schnäuzchen reibt sich an meinem Bein. Freund Fennek bringt sich in Erinnerung.
… Du hast recht, kleiner lieber Kerl, – ich habe dich, und wenn du dich an meinen Hals schmiegst, werde ich nie ganz einsam sein. –
Gabara steht vor mir.
„Mr. Abelsen, wir werden nach den hohen Bergen reiten, – ich werde dir etwas mitteilen, und dein Auge wird wieder leuchten …“
Er nennt mich Mr. Abelsen und du, aber das schadet nichts … Er wird Olaf sagen, und dann habe ich wieder einen Gefährten – – wie lange?!
Die Geschichte, die der Heiitsch mir erzählte, klang mir zu abenteuerlich. Immerhin, man könnte den Dingen auf den Grund gehen …
Fennek blickt mich starr an. In seinen großen Augen ist der klare Glanz der Treue des Tieres. Ich hebe ihn empor und zeige ihm die fernen Rauchsäulen …
„Dort, Fennek-Freund, – dort lebt Lizzie, die du nicht recht leiden mochtest … Dort wird Lizzie dem Anderen gehören … Jetzt hast du mich ganz allein … ganz allein für dich, kleiner Kerl!“
– Wir werden sofort aufbrechen. Gabara winkt …
Weshalb sollte es dort im Norden nicht wirklich ein so riesiges Höhlengebiet im Gebirge geben und eine Herrin der Unterwelt?! Im schwarzen Erdteil ist alles möglich …
Anmerkungen: