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Malmotta, das Unbekannte

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Malmotta, das Unbekannte

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 13 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

1. Kapitel.

Der Nachlaß eines Toten.

Freund Patumengi, und hier trifft die Bezeichnung Freund zu, hob warnend die winzige sehnige Hand und deutete durch das Gestrüpp auf die offene Steppe hinaus, wo ein alter Bursche auf einem mageren Dromedar dahergetrabt kam.

„Das ist er, Olaf …“ flüsterte der Zwergenhäuptling grinsend.

Er hatte Grund zum besonderen Lächeln.

Was da nahte, war ein Unikum, ein Original, eine Rarität. Ich hätte mir den Mann weit eher in die Gefilde Karl May’scher Indianerromantik hineingewünscht als hier in die Urwaldregion der südöstlichen Grenzgebiete Abessiniens.

Ich nahm mein Fernglas und beäugte das Wunder.

Also das war Peter Bolk, Eigentümer eines jämmerlichen Küstenfahrers, Deutscher von Geburt, längst verniggert, längst herabgesunken zum schnapsfrohen Dauergast elender Hafenspelunken, nebenbei – auch ein Freund Patumengis, den er regelmäßig alle drei Monate besuchte.

… Ein hagerer greisenhafter Mensch mit einem ungepflegten weißen Patriarchenbart, mit einer dicken blauroten Nase im tiefgebräunten, tiefgekerbten fleischlosen Gesicht: Ein mit Haut und Haaren überzogener Totenkopf.

Anzug?!

… Ein längst ausgedienter blauer Jackenanzug mit goldenen Ankerknöpfen, ein Gummikragen, eine speckige schwarze Schleife, hohe Schaftstiefel, in denen die zerknüllten Hosen staken …

Und doch …

Selbst die Kapitänsmütze, mochte sie noch so verwittert sein, saß keck auf einem Ohr, und der Gesamteindruck Peter Bolks verbesserte sich entschieden bei kritischer Würdigung der Einzelheiten seiner Erscheinung.

Daß er um die doppelreihige Jacke einen Ledergurt geschnallt hatte, an dem die Futterale zweier Pistolen hingen, – daß er vor sich am Sattelknopf eine kurze Winchesterbüchse griffbereit baumeln ließ, – daß er auf dem Rücken am Riemen ein Messingfernrohr von museumsreifer Antike sehen ließ … – – Nebensachen alles …! –

Patumengi trat ins Freie.

Patumengi ist etwa 1,10 Meter groß, aber sein Kopfputz aus Federn läßt ihn dreißig bis vierzig Zentimeter dazumogeln.

Er, intimer Vertrauter eines abessinischen Kaisers, er, so alt, daß er seine Jahre nur mehr schätzen kann, er, Gebieter von tausend Doko-Zwergen, verteilt auf sechs Baumsiedlungen, – er mit seinem durch Silberspangen zusammengehaltenen Leopardenfell, mit dem zerknitterten, mehr gelblichen als braunen Gesicht, begrüßte den Ankömmling mit der natürlichen Würde eines Greises, dessen Vergangenheit mehr Abenteuer aufweist, als in einem Dutzend Romane sich zusammendrängen ließe, – er sprach zu Käpten Bolk in seinem seltsamen Kauderwelsch, das vielleicht an das Englische erinnerte:

„Sei willkommen in meinem Reiche, du Sohn des Meeres! – Hier ist mein Freund Abelsen, – schenke ihm deine Seele, denn seine eigene Seele ist wie die weite Steppe, die im Sonnenlicht daliegt und keine Schatten besitzt.“

Peter Bolk schien jedoch dieser blumigen Empfehlung nicht recht zu trauen. Aus seinen klaren blauen Augen traf mich und meinen Fennek ein nadelscharfer Blick.

„Seit wann hast du dir den Gentleman als Prunkstück zugelegt, alter Patu?!“

Patumengi nahm diese kühle Abweisung gelassen hin. „Dein Herz ist hart,“ sagte er nachsichtig. „Ich kenne dich … Ich kenne auch Olaf Abelsen. Er war mit im Berge der Affen, o Sohn des Meeres.“

Peter Bolks Mißtrauen war nicht so leicht zu zerstreuen. „Mister Abelsen,“ meinte er grob-ehrlich, „was sind Sie von Beruf?“ Er hatte sein Tier niederknien lassen und war abgestiegen.

Er hielt sich gebückt, seine Gestalt wirkte schlaff und altersgebeugt, er schien ohne geistige und körperliche Spannkraft zu sein, er hatte die trägen Bewegungen eines Menschen, der vom Leben nichts mehr erwartet, dem alles gleichgültig ist, dem das Schicksal mißlaunige Nackenschläge verabfolgte, bis der davon Betroffene eben zusammenbrach.

Aber – – seine Augen!

Sie waren jung, fast zu jung, sie leuchteten in einem Feuer, das entschieden alles andere an dieser Persönlichkeit Lügen strafte, in ihnen schimmerte die klare Weite der Ozeane, funkelte der Nachglanz toller Orkane mit zuckenden Blitzen.

„Mein Beruf, Mr. Bolk …?“ erwiderte ich belustigt. „Einst Ingenieur, dann Sträfling, zur Zeit steckbrieflich Verfolgter, Weltentramp, Abenteurer, Nichtstuer, akademischer Vagabund, meinetwegen auch Opfer der irrenden Dame Justitia, die man vorsichtshalber stets mit einer Binde vor den Augen darstellt, – ein dickes Brett wäre besser. – Wünschen Sie noch mehr?“

Seine Blicke durchforschten mein Gesicht.

„Patumengi ist Menschenkenner,“ murmelte er. „Und – alle zwanzig Jahre kehrt sie wieder, – die Tatsachen sind nicht wegzuleugnen …“ Seine Züge bekamen etwas Träumerisches. „Alle zwanzig Jahre – es stimmt schon …“ Er wandte den Kopf zur Seite, dann aufwärts. Er starrte in den lichtblauen Himmel, der vom Sonnenglast erfüllt war. Ein paar Aasgeier schwebten träge über einer fernen Baumgruppe …

Patumengi raunte mir zu: „Du siehst, er hat seine Anfälle, er ist krank …“

Peter Bolks Gesichtsmuskeln zuckten wie im Krampf. Er bemerkte nicht einmal, daß mein Mukki-Fennek, echter nubischer Wüstenfuchs, schlauer als ein Pudel, anhänglicher als der treueste Hund, seine hohen, stark gefetteten Schaftstiefel beschnupperte. Fenneks buschige Rute reckte sich langsam hoch, die Fledermausohren richteten sich auf, und Mukki stieß ein ganz sanftes, leises Kack Kack Kack Kack aus.

Mukki ist mir sicherster Charakterdeuter. Peter Bolk mochte geisteskrank, verkommen, entgleist sein: Ein übler Wicht war er niemals. Der Fennek „riecht“ die Abgründe der Seele.

Nun senkte der Käpten den Kopf, sein Gemurmel erstarb, er bückte sich, streichelte Fenneks gelbliches Seidenhaar und sagte dazu:

„Sie lieben Tiere, Abelsen …“

„Ja.“

„Das spricht für Sie … – Habt ihr eure Dromedare in der Nähe?“

Der Zwergenkönig spähte in die Ferne. „Ich hörte drei Schüsse, o Sohn des Meeres, und dort kreisen die Geier …“

Peter nickte. „Sie waren wieder hinter mir her, die Schufte … Und dann waren sie vor mir, alter Patu. Aber mit solchen Schlichen fängt man Käpten Bolk nicht … Reiten wir hinüber. Sie sind tot. Lebend wollten sie mich haben. Die Würfel fielen gegen sie. Es war ein ehrlicher Kampf von meiner Seite, Abelsen.“ Er schaute mich an. „Die drei kämpften unehrlich. Einer mag Pferdedieb in Texas gewesen sein. Er warf den Lasso wie ein Jongleur, aber meine Kugeln waren flinker.“

Patumengi hatte unsere Dromedare durch einen Pfiff herbeigelockt. Wortlos trabten wir zu den fernen Büschen. All das war sehr seltsam.

Wortlos betrachtete ich die Toten, drei Kerle wie Strauchdiebe. Jedem saß die Kugel im Hirn.

Bolk sagte kalt: „Das sind sie … Vor zwanzig Jahren waren sie jung … Sie wußten viel, und sie klebten sich an meine Fährte, bis sie mich fanden … Narren!! Als ob’s auf Malmotta Gold gegeben hätte!“ Er lachte bitter. „Gold?! Immer wieder dieser verfluchte blanke Dreck, Abelsen! Immer noch werden die Menschen zu Halsabschneidern dieses jämmerlichen Metalls wegen! – Buddeln wir sie ein … Der da hieß Joicker, der da Mortison, der da Petersen … um den tut’s mir leid, um den Petersen, das war noch der anständigste. Aber auch sein Herz war nur noch ein Spritfaß, die Kerle hatten den Alkoholwurm im Schädel – wie ich, denken Sie nun, Abelsen, und Sie lächeln sicherlich ironisch … Mein Würmchen, ja, das nährt sich nur in den Stunden banger Zweifel.“ Ein nadelscharfer Blick traf mich. „Glauben Sie an die periodische Wiederkehr gewisser Erdumwälzungen? Sie sind doch ein Studierter …“

Der ganze Mann und sein zusammenhangloses Gerede und seine unbegreifliche Kaltblütigkeit als Vernichter dreier Menschenleben waren mir ein Rätsel.

Ich kam nur zu der betrübenden Schlußfolgerung, daß es mit Peter Bolks Geisteszustand doch weit schlechter bestellt war, als Freund Patumengi mir dies ebenfalls sehr geheimnisvoll angedeutet hatte.

Er blickte mich noch immer durchdringend an.

„… Vielleicht,“ fügte er hinzu, „vielleicht könnte ich Sie brauchen … Hätten Sie Lust zu einer Seereise ins Unbekannte, Abelsen?! Ihr Gesicht gefällt mir. Mein Würmchen darf Sie nicht stören. Jeder hat einen Gehirnknacks. Die Grenzlinien zwischen Gehirn und Irrsinn sind ziemlich verschwommen. Ich bin kein Genie, auch kein Verrückter. Ich … warte nur. Nein, ich wartete. Denn die Zeit ist um, und dieser Besuch beim alten Patu ist mein letzter. Heute über zwölf Tage sticht mein frisch gepinselter Schoner in See. Ich habe alles genau berechnet … Wir kommen dann gerade zur rechten Zeit an.“

Er hatte bereits begonnen, ein natürliches Sandloch zu vergrößern. Patumengi half ihm.

Irgendein dunkler Trieb zwang mich dazu, gerade des toten Petersens Taschen zu durchsuchen. Peter Bolk verlangte keine Antwort von mir, kümmerte sich auch nicht weiter um mein Tun, – und Petersen sollte Deutscher gewesen sein. In meinen Adern floß zur Hälfte deutsches Blut. Das Wort „Mutter“ war für mich noch immer wie ein Gebet.

Petersen war in grünen Kord gekleidet. Sein fahles Gesicht zeigte mir klare Linien einer besseren Vergangenheit.

Ich steckte seine Brieftasche, seine billige Nickeluhr und ein Medaillon, das er um den Hals auf der Brust trug, zu mir. Als ich den Jackenzipfel, der stark gewölbt war, befühlte, fand ich noch ein Ledersäckchen. Es war schwer und enthielt zu meinem Erstaunen tropfenförmige Goldklümpchen in Erbsengröße.

„Käpten, sehen Sie her …!“

Bolk zuckte die Achseln. „Weiß ich …!! Gestohlen, geraubt! Schmeißen Sie das Zeug in das Sandloch – vorwärts!“ Seine Stimme war hart, seine Augen funkelten.

Patumengis kleine schmierige Hand griff nach dem Säckchen. „Freund Olaf, aus der Erde kam’s, die Erde erhält es zurück. Es klebt Unheil an diesen Körnern!“

Ich wandte mich ab, als sie die Toten einscharrten und Sand und Steine zum Hügel wölbten. Mir war seltsam beklommen zumute. Vielleicht ist es das innige Vereintsein mit der Natur, das mir nun bereits seit Jahren beschieden ist und das meine feinsten Sinne geschärft und jenes „Unterbewußtsein“ wachgerufen hat, von dessen Vorhandensein nicht nur der exakte Wissenschaftler, sondern ebensosehr der unzivilisierte Naturmensch Zeugnis ablegen kann. Ich ahnte irgend etwas Bedrohliches voraus. Ich kannte die drei Erschossenen nicht, ich kannte erst recht nicht ihre Beziehungen zu Peter Bolk. Ich sagte mir, daß der Kapitän doch sehr triftige Gründe für diesen letzten Besuch bei Patumengi gehabt haben müsse. Von der Küste hierher waren es gut acht Tagesritte. Aus rein freundschaftlichen Gefühlen würde Bolk wohl kaum in diese Einöde sich hineingewagt haben, – nur um dem Zwergenkönig die Hand ein letztes Mal kameradschaftlich zu drücken. Acht Tage Dromedarreise, hier vielleicht zwei Ruhetage, – dann wieder zurück zur Küste, – – wer nimmt diese Strapazen ohne triftigen Grund auf sich?!

… Und dann Bolks drei Verfolger! Wirklich nur drei?!

Sie hatten ihn hier überholt, hatten ihm hier in den Büschen aufgelauert … Es stimmte schon, was er von dem Lassowurf angedeutet hatte. Er hatte darüber nicht viel Worte gemacht, das war wohl überhaupt nicht seine Art, aber mir war der rote dicke Streifen rund um seinen Hals dicht über dem wenig dekorativen zerplatzten Gummikragen nicht entgangen. Sie mußten ihn beinahe erwürgt haben, die drei, und seine Schüsse waren zweifellos in Notwehr abgegeben worden, – ich sah seine Handlungsweise nun doch in weit milderem Lichte an.

Rätsel … viele Fragen … – Und die Antworten darauf?! Die mußte ich mir wohl selbst suchen, Patumengi und der Käpten würden mich kaum so leicht in ihre Geheimnisse einweihen.

Dort, wo die Büsche eine lange grüne Zunge nach Norden in die Steppe vorstreckten, fand ich die drei Dromedare der Toten. Ich war sehr einfach den nur schlecht verwischten Fährten der Leute gefolgt. – Es waren ziemlich elende Kreaturen, diese drei Reittiere, sie hatten auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem schlanken vornehmen Wuchs meines eigenen Bischarin, das noch ein Andenken an verflossene Tage darstellte, als hier in den ostafrikanischen Ebenen und Wäldern eine stolze herrische Frau mit ihren Bischarin-Kriegern aufgetaucht war.

Vorbei …!

Auch das … war einmal! Wie so vieles andere …! Menschen kreuzten meinen Weg, Menschen gewann ich lieb, Menschen zerrannen mir wie Nebelschwaden vor dem Wind des Schicksals.

Ich betrachtete die drei abgehetzten Kreaturen, die wiederkäuend im Grase ruhten und mich hochmütig anglotzten. Seltsam, daß gerade im Auge der Dromedare so viel dummer Hochmut liegt …

Sie waren gesattelt, gezäumt, in der Erde staken die Weidepflöcke mit den Halsriemen, das Gras war rund um die Tiere bis auf einzelne Büschel abgerupft. Wie übermüdet mußten sie sein, daß sie im Liegen gefressen hatten!

Mit dem Sattelzeug war auch nicht viel Staat zu machen. Die Wasserschläuche waren leer, in den beschabten Satteltaschen entdeckte ich nur armseligen Kram, nur das Tier des Deutschen Petersen brachte mir einen geringen Aufschluß über diesen Mann. Seine Papiere hatte ich noch nicht durchgesehen, – hier stieß ich auf eine lederne Kartentasche, in der ich vier sehr genaue Seekarten eines bestimmten Teiles des Stillen Ozeans fand. In die linke obere Ecke jeder Karte war mit Tintenstift geschrieben:

John Friedrich Petersen,
Hamburg.

Also ein Seemann …! riet ich.

Ich steckte auch die Karten zu mir. Fennek-Freund stupste mich in demselben Moment mit dem Näschen. Im Nu hatte ich die Büchse halb erhoben … Ein Blick auf Mukki … Er starrte sprungbereit auf einen dunklen dichten Strauch jenseits der Tiere … Ich sah etwas, das mich veranlaßte, mich sofort niederzuwerfen: Es war ein Büchsenlauf und – – und eine Hand … Nur das!

Mithin ein vierter Wegelagerer …! – Ich hatte es ja geahnt … Und dieser Vierte würde wohl nicht der einzige Überlebende sein …! – Sollte ich Patumengi und Bolk warnen?!

Wieder ein prüfender Blick auf Fennek-Freund. Aber der hatte seine Haltung geändert, er saß neben mir, die buschige Rute lang nach hinten gedrückt, die Riesenohren zur Seite gestellt, und sein Interesse galt lediglich noch einem Stein, unter dem das Loch einer Mäusefamilie lockend hervorgähnte. Wenn Mukki für solche Leckerbissen Neigung verspürte, war jede Gefahr beseitigt. Auf Fennek konnte ich mich unbedingt verlassen. Sein Geruchsinn war so glänzend, daß dagegen selbst der mir als bestes „Nasentier“ bekannte Leopard nicht aufkam.

Ich erhob mich, – zwei Sprünge brachten mich in Deckung hinter einen dicken kurzstämmigen Feigenbaum, – ein Blick in die Steppe zeigte mir den davonjagenden Fremden, der einen scheinbar sehr guten Gaul ritt und einen dunkelgrünen Anzug trug, dazu hellgelbe Schnallgamaschen und einen breitrandigen hellen Filzhut.

Sollte ich hinter ihm drein?! Hatte es Zweck, ihn zu verfolgen?! Würde nicht sein Vorsprung allzu groß werden, wenn ich erst mein Bischarin herbeiholte?!

Holen?!

Ich pfiff, ich steckte den gekrümmten Zeigefinger in den Mund, der schrille Ton durchschnitt die Luft, – die Dromedare der Toten spitzten die Ohren, dann ein Rauschen der Büsche, mein Bischarin jagte herbei, – und dann hinaus in die wellige sonnige Steppe, deren Buschinseln und Waldstreifen über dem gelbgrünen Grase wie Wolken im Nebelmeer zu schwimmen schienen.

Nebel?!

Nebel?!

Nein – nur Blütenstaub all dieser unzähligen Katsa-Kriechpflanzen, die zweimal im Jahre an ihren vielverzweigten Ästen gelbe Äpfel treiben, – Äpfel, die man nicht berühren darf, die nichts sind als feinster Staub, den schon ein schärferer Lufthauch in ganzen Streifen gleich Nebelfetzen hochtreibt, – und diese eigentümliche Erscheinung, die der Uneingeweihte stets für Sandwolken halten wird, steigerte sich noch zu richtigem dicken Nebel, als ein paar fauchende Sturmfanfaren über die Savanne jagten und das Heraufziehen des im Westen drohenden Gewitters anzeigten.

Der Reiter war verschwunden …

Mein Bischarin trabte weit ausholend in dieses treibende Gewölk des Blütenstaubes hinein, – und ich riß das Tier nicht zurück, zu spät fiel mir ein, daß Freund Patumengi mich vor diesen Stellen, wo die Katsa so zahlreich vorkommt, eindringlich gewarnt hatte, – erst meine tränenden Augen, der Hustenreiz in der Kehle, das immer stärker werdende Brennen der Augen und ein Seitensprung meines Dromedars mahnten mich an die nicht geringe Gefahr dieser übereifrigen Hetze.

Die Tiere waren klüger als ich. Fennek-Mukki hatte längst kehrtgemacht, der arme kleine Kerl hatte ja den verderblichen Staub am allerstärksten schlucken müssen, – ich so hoch zu Dromedar bekam den unwillkommenen Segen nur verdünnt zu kosten, – aber es genügte!

Fennek, Bischarin – beide entflohen dem gelben Nebel, beide führten mich dorthin zurück, wo Patumengi einem Halbblinden dann aus dem Sattel half und ihn mit Vorwürfen überschüttete.

So endete dieses Abenteuer.

Es war zugleich der Anfang der seltsamen Geschichte von Malmotta.

 

2. Kapitel.

Jan Terpe, der Flüchtling.

… Und nun sitze ich, über den Augen eine feuchte Binde, auf der Veranda des Palastes des Zwergkönigs, und neben mir hockt Patumengis Urenkelin, die kleine zierliche Doko-Prinzessin, ein Püppchen in klarem Leinen mit feuerroter Seidenschärpe, und erneuert beständig die kühlenden Kompressen.

Wenn sie sie wechselt, wenn ich die Augen zu öffnen wage, dann sehe ich vor mir durch die blattlosen Zweige des Mbuju-Baumes, in dessen Wipfel dieses Bambushaus hineingebaut ist, eine Anzahl anderer Mbujus und kleinerer Hütten, sehe ich die leichten Leitern, auf denen die Doko hinab- und hinaufsteigen zu ihren luftigen sicheren Behausungen, – und senke ich den Blick hinab zur Baumlichtung, so gewahre ich die Ziegen, Schafe, Hunde, Dromedare des Zwergvolkes, bewacht von kleinen gelbbraunen Dokos mit überlangen Bogen und vergifteten Pfeilen …

Dann ist das alles mir immer wieder aufs neue wie ein Traum …

Wer ahnt draußen in den riesengroßen Steinhaufen der Weltstädte mit ihrem Gestank und ihrem Lärm und ihrer Verlogenheit einer übereifrigen habgierigen Bevölkerung etwas von diesen Doko-Siedlungen?! Wer sah je Mbuju-Bäume wie diese hier, einen ganzen Wald, – Stämme, deren Alter nachweislich mehrere tausend Jahre beträgt, – Baumriesen, bekannt vielleicht dem Namen nach als Baobab in Westafrika, als Mowana in Südafrika, als Tabaldie im Sudan …

Mit einem Stammdurchmesser von mindestens zwölf Meter, – mit riesigen weißen Blüten, die sehr rasch wieder abfallen, die dann die halbmeterlangen melonenähnlichen Früchte hervorbringen, deren säuerliches Fruchtmark die Doko in tonnenförmige Tongefäße tun, gären lassen und nachher trinken, – ein Zaubersaft, erquickend, leicht berauschend …

Viele der Mbujus sind innen hohl und dienen den Zwergen als Ställe für das Vieh. Alle aber haben die Eigentümlichkeit, daß die halbkugelige gigantische Baumkrone sich unten bis zur Erde hinzieht, sich auf den Boden stützt, – also Säle oder Gemächer bilden, in die nur vereinzelt ein verlorener Sonnenstrahl dringt …

Das hier ist Patumengis Reich, dieser ferne, große, unbekannte Mbuju-Wald, – hier hausen die kleinen Menschlein unter Freund Patus strengem Regiment, abgeschlossen gegen die Außenwelt durch einen öden Steppengürtel, und doch wieder nicht abgeschlossen genug vor der Raubgier wilder, ziehender Somalihorden, die frech über die Grenze kommen und stehlen und morden möchten.

Patu hat das ihnen so ziemlich abgewöhnt. Patu hat hundert Krieger, die ganz modern bewaffnet sind, – Patu besitzt Winchesterbüchsen, Pistolen, Patronen – und kennt kein Erbarmen! Wehe dem braunschwarzen Somal, der das Doko-Gebiet betritt … Späher schützen das kleine Reich, riesige Signaltrommeln melden jeden verdächtigen Fremden, und drüben in der Steppe sah ich die langen Erdhügel, unter denen die Feinde der Doko den ewigen Schlaf gefunden.

Das ist Patumengis Reich.

Als ich es zum ersten Male durchquerte, als wir damals von dem Berge der Affen kamen und Freund Patu mir die Überraschung nicht verderben wollte und alles nur in kargen Worten vorher angedeutet hatte, da habe ich gestaunt, da habe ich still und tief bewegt des Gnomenkönigs Hand gedrückt und mich nicht mehr darüber gewundert, daß gerade er der Vertraute eines abessinischen Kaisers gewesen …

Jetzt?!

Patus Urenkelin legt mir Kompressen auf, und ihr Puppengesichtchen strahlt vor Freude, mir dienen zu können …

Blaues Leinen und feuerrote Seidenschärpe regt sich …

Prinzessin Matugira schiebt mir die Zigarre zwischen die Lippen und lacht und streichelt meinen Stachelbart. Seit vier Tagen unrasiert … Sie lacht und kichert und reibt mein Luntenfeuerzeug an und sagt in ihrem Urgroßvater-Kauderwelsch, ich solle nur ziehen …

Ich ziehe …

Die Zigarre brennt, und wir setzen unser vorsichtiges Gespräch fort.

Patu und Peter Bolk sind in die Steppe hinaus – irgendwohin …

Wohin?! – Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Auch die zierliche Matugira, die zwölf Jahre alt ist und sehr bald heiraten wird, gibt stets vor, nichts zu wissen …

Sie schwindelt.

Sie schwindeln hier alle, alle, die mich halbblinden Kranken hier besuchen kommen und mir die Zeit vertreiben wollen und … die alle nicht ahnen, daß Olaf Karl Abelsen in diesem Falle der größte Schwindler ist.

Es ist ja gar nicht mehr so schlimm mit meinen Augen. Ich kann sie getrost minutenlang offen halten, – gewiß, sie tränen, aber das rührt wohl mehr von dem Küchendunst her, der hier in der Baumkrone bei dieser abendlichen Windstille zäh zwischen den Ästen, Zweigen und Früchten hängen bleibt.

Es ist ein unehrliches Spiel, dessen ich mich schämen müßte, wenn ich nicht immer an den Gefangenen dort drüben dächte, – an den Fremden, den ich verfolgte, der auch in die Katsa-Nebel geriet, dessen armes Pferd zusammenbrach in schwerer Atemnot und den Patumengis Leibwache herbeischleppte und da unten in dem einen hohlen Mbuju einsperrte …

Nur ein einziges Mal habe ich das Gesicht dieses Fremden erblickt, und ich war betroffen von der weichen Schönheit dieses gebräunten Antlitzes und dem hellen Glanz des blonden Haares.

Soll dieser Ärmste, blutjung, mehr Jüngling als Mann, ewig hier im Dokoreiche festgehalten werden?! Was haben sie mit ihm vor?!

Ich weiß es nicht. Patu und Bolk reden nie über ihn, und gerade das erscheint mir verdächtig und bedrohlich. –

Die kleine Prinzessin plappert und redet, Fennek-Mukki liegt mir zu Füßen, die Abendsonne vergoldet den riesigen Wald, die Tiere unten in den Lichtungen drängen sich zusammen, – Feuer der Hirten flackern auf, Leoparden und Wildhunde lieben das Ziegenfleisch, und der Urwald hat Schluchten und Dornendickichte, murmelnde Quellen, Bäche und alle Wunder dieses seltsamen Grenzlandes, das noch zum Reiche Abessinien gehört und doch ein Reich für sich ist …

Der Abend ist da.

Die Nacht ist da.

Matugira holt mir die Mahlzeit, es kommen zwei Unterhäuptlinge, reden, reden …

Ich wünsche anderes.

In dieser Nacht werde ich mein luftiges Gemach des großen Bambuspalastes heimlich verlassen und den Fremden sprechen.

Matugira füttert mich mit Hirsekuchen und Taubenfleisch und gibt mir Mbuju-Wein zu trinken. Ich habe das ekle Gefühl, daß ein Judas Ischariot hier Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Anderseits: Man treibt hier auch mit mir kein ehrliches Spiel! Ich glaube einigen Anspruch auf Patumengis Dankbarkeit zu besitzen. Er hätte mir über Peter Bolk längst reinen Wein einschenken können. Weshalb diese Geheimniskrämerei?! Er kennt mich doch. Ich dränge mich niemandem auf und dränge mich in fremde Angelegenheiten nicht hinein. Ich verlange nur das, was man als Freund vom Freunde fordern kann. Sollte ich nun auch durch den alten Patu enttäuscht werden?!

Die Puppenprinzessin und die höflichen Unterhäuptlinge reden und reden, und meine Gedanken sind in dem Baumgefängnis bei dem blonden Gefangenen mit dem zarten feinen jungen Gesicht.

Ich antwortete und gähne, – und die Herren empfehlen sich, und Matugira führt mich in mein Gemach.

Wie gesagt, das Haus ist groß, sehr groß, ist zierlich gebaut, überreich geschmückt, die Türpfosten sind geschnitzt und die Zwischenwände noch mit bunten Bastmatten behängt. Der Palast ist in der Krone des ältesten Mbuju errichtet worden. Der Stamm hat einen Durchmesser von etwa fünfzehn Meter, der Dom der Krone ist ein Riesensaal, durch festgestampftem Lehm, durch den sich rote Tonstreifen ziehen, sauber gedielt, – er ist der Versammlungsraum der Doko-Führer, ihr Parlamentsgebäude. Unten in dem hohlen Baumkoloß wohnt der Oberfetischmann des Gnomenvolkes, ein ebenfalls uralter Knabe mit einem listig-freundlichen, zerknitterten Gesicht.

Mambi heißt er. Er ist mir sehr gewogen, denn ich begegne ihm mit allem Respekt und ausgesuchter Höflichkeit.

Mein Gemach hat drei Meter im Quadrat, eine Tür aus Baumrinde, eine große Fensteröffnung und einige Prunkmöbel europäischen Ursprungs: Einen Plüschsessel mit drei Beinen, einen Regulator, der nicht geht, und einen runden Tisch mit zersprungener Glasplatte, unter der sich eine grellbunte Stickerei befindet.

Das Bett ist ein Rahmen aus Bambusstangen, mit Fellen bespannt, – feine wollene Decken bilden das Bettzeug, und eine Petroleumhängelampe, die sogar brennt, erhöht den Kulturluxus ins ungemessene.

Die Doko gehen sehr früh zur Koje. Gegen neun Uhr ist im Hause alles still.

Nur neben mir, wo Matugiras Großmutter jede Nacht wie ein Nashorn prustet und schnarcht, wird es nie ruhig. Die alte Zwergendame hat sich dem heimlichen Trunk ergeben, und ihre Nachtkonzerte werden von schrillem Traumgeschnatter und gelegentlichen angstvollen Schreien unterbrochen. Das stört.

Zum Glück hatte ich nur die eine Nachbarin. Mein „Zimmer“ liegt an der Ostecke dicht am Haupteingang.

Matugira ist gegangen, hat mir die Hand gedrückt, hat Fennek mitgenommen, damit er sich draußen im Walde noch ein wenig auslüfte – und so weiter. Meine Uhr zeigt halb zehn, als sie ihn lautlos zurückbringt, – ich liege bereits und täusche Schlaf vor, sie verschwindet, Fennek springt wie stets auf das Bett und rollt sich an meiner Brust zusammen. Was nicht immer angenehm ist, denn ich liebe allzu starken Rosenduft nicht, und Fenneks Afterdrüse, Viole genannt, riecht tatsächlich nach Rosen wie bei allen afrikanischen Fenneks. Die Natur liebt solche Duftscherze.

Ich liege und grübele und lausche dem fernen Grollen eines Gewitters. Es ist die Zeit, wo sich in den Vorbergen des Tafellandes Abessinien die Kanonaden des Himmels jeden Tag vernehmen lassen und die ungeheuren Regenfälle sogar dem dürstenden Boden der Steppe ihr fruchtbares Naß spenden. Es ist die Zeit, wo aus den Schluchten der nördlichen Gebirge wütende schäumende Flüsse werden und ihre Wassermassen sogar bis nach den nubischen Wadis (Tälern) die ersehnte Feuchtigkeit tragen.

Fennek schläft. Er liegt zusammengerollt als gelblicher Haarring da, seine feinen Härchen kitzeln mein stoppeliges Kinn, und ich erinnere mich an die dringende Notwendigkeit, meinen Rasierapparat einmal wieder zu benutzen.

Fernher kommt das Stimmengewirr der Tiere der Doko, verschlafenes Blöken und Meckern und heiseres Kläffen, auch wohl ein dumpfer Krach zuweilen: Ein Blitz, der meilenweit nordwärts niederfuhr und seine Schallwellen bis hierher sandte.

Dann setzte das leise feine Tröpfeln ein. Regen klatscht auf das Rindendach des Palastes, das mit Rindenstückchen von drei Meter im Quadrat belegt ist. Auch diese spendet der heilige Mbuju, dessen Holz so weich ist, dessen faustdicke Rinde sich lockert, wenn sie die Doko mit Holzhämmern tagelang klopfen. Dann schneiden sie mit den schwertähnlichen Messern die losen Stücke heraus, bestreichen die große Stammwunde mit nassem Ton und schnüren Bast darüber. Ein alter Mbuju verträgt vier bis fünf solcher „Wunden“, – aber, wie gesagt, sie müssen verbunden werden.

Rasieren …

Man kommt doch nicht los von diesem Kulturzwang der Sauberkeit. Ich habe mich an einen Vollbart nie gewöhnen können, und ich habe neue Rasierklingen, Seife, vieles andere mit aus dem Zauberberg der Affenkönigin, der Herrin der Unterwelt, hierher genommen.

Ich zünde die Lampe an … Fennek beobachtet mich sehr mißbilligend. Gestörte Nachtruhe.

Ich seife mich ein, und ich werde wieder ich selbst. Ich prüfe meine Augen, – die Entzündung ist zurückgegangen. Es wird schon werden …

Ich schnalle den Ledergurt um, und leise öffne ich die Tür, schleiche zur Leiter, klettere hinab. Fennek wollte mit. Er ist gehorsam. Seine großen blanken Augen beäugten mich noch mißbilligender.

Die Bambusleiter knarrt, aber das Grollen und Tröpfeln übertönt die verräterischen Geräusche.

Der hohle Baumgigant, das Gefängnis des blonden Fremden, hat eine Pforte aus Balken und Latten und Leder und drei Riegel. Ich bin die letzte Strecke gekrochen, und das nächste Hirtenfeuer trifft den Mbuju von der anderen Seite, – hier ist Schatten, Dunkelheit.

Ich öffne die Riegel und ziehe die schwere Pforte etwas auf. Ein Glück, daß ich nie allzu vertrauensselig bin. Der Hieb mit einem schweren Tonkrug, der für meinen Kopf bestimmt war, geht daneben.

„Lassen Sie den Unsinn!“ – mein Flüstern findet Antwort …

„Entschuldigen Sie … Ich glaubte …“ – die rauhe Stimme verstummt, ich schlüpfe hinein, und der Fremde fügt hinzu: „Ich wollte fliehen …“

Ich sehe nichts von ihm. Es ist hier stockdunkel.

„Wer sind Sie?“

Eine Weile schweigt er.

„In welcher Absicht kommen Sie, Mr. Abelsen?!“

„In guter … Brauchen Sie Hilfe?! Was hat man mit Ihnen vor?!“

Wieder eine Pause. „Man wird mich später freilassen, Mr. Abelsen. Patumengi versprach es mir.“

„Wann?“

„Gestern. – Man behandelt mich nicht schlecht, aber der Waffenschmuggel wird schwer bestraft, und der Schuft Bolk will erst das Hafennest hinter sich haben.“

Bisher hatte ich der heiseren Stimme des Fremden keinerlei Erregung angemerkt. Jetzt, als er über Peter Bolk redete, war der Ton erfüllt von Haß und finsterer Feindseligkeit. Noch anderes schwang in diesem schrillen Ton mit: Eine eisige Ruhe, eine kalte Entschlossenheit.

„Gehörten Sie mit zu den dreien, die den Käpten überfielen?“ fragte ich geradezu.

„Ja und nein.“ Die Antwort kam ohne Zaudern. „Bolk ist ein Schurke, – vielleicht waren auch Joicker und Mortison nichts Besseres, aber der Deutsche Petersen kann nur als Verführter gelten.“

Wir standen hier in der Finsternis des Bauminnern dicht voreinander. Ich spürte den Atem des Fremden trotz der Moderluft der faulenden Holzwände, und dieser Atem wehte mich an wie etwas ganz Besonderes.

„… Ich folgte den dreien, – ich war allein,“ fuhr der junge Mensch bitter fort. „Ich hätte früher eingreifen sollen … Sie ahnen nicht, was ich hier gelitten habe und noch leide – nicht durch die Zwerge, denn sie sind sanft, gut, hilfsbereit, so weit man das von diesen Wilden verlangen kann. Aber Bolk …“ – die Stimme versagte ihm, – ein Laut wie ein kurzes Aufschluchzen traf mein Ohr, ebenso jäh kam der finstere Nachsatz: „Bolk wird es büßen, so wahr ich Jan Terpe heiße!!“

„Jan … Terpe …“ wiederholte ich. „Ein Deutscher, junger Mann?!“

Er lachte eigentümlich schrill.

„Auch das …! Aber mehr ein Südseeinsulaner, Mr. Abelsen, einer von Malmotta … Kennen Sie die Insel?!“

„Nein.“

Wieder da das eigentümliche kurze Auflachen. „Glaube ich Ihnen gern …! Ich dachte, Bolk hätte sie erwähnt.“

„Das tat er wohl, aber er ist etwas wirr im Kopf, glaube ich, – aus seinen Reden wird niemand klug …“

Der Fremde schwieg.

Ich fand sein Verhalten zumindest recht sonderbar. Ich gewann von ihm denselben Eindruck, den auch das Verhältnis zwischen Patumengi und Bolk auf mich gemacht hatte: Geheimnisvoll! – Bolks Beziehungen zu dem Dokokönig waren nun ja geklärt: Waffenschmuggel! Aber dieser Jan Terpe?!

Ich sagte eindringlich: „Junger Mann, Sie kannten also Petersen genauer? Reden Sie ganz offen mir gegenüber. Ich verrate nichts. Ich will nur Klarheit haben.“

Draußen erhob sich gedämpfter Lärm. Ich vernahm das Schnauben von Dromedaren, Patumengis scharfe Stimme rief irgend etwas, – für mich war es höchste Zeit, zu verschwinden.

„… Ich komme wieder, “ flüsterte ich …

Schon war ich draußen, schloß die Riegel, schlüpfte geduckt davon und erreichte atemlos mein kleines Gemach, – dicht hinter mir erklommen Patumengi und Bolk die Leiter, sie hatten doch wohl noch gemerkt, daß jemand in den Bambuspalast schlüpfte, – ich riß mir förmlich die Kleider vom Leibe, kroch unter die Wolldecke und kehrte das Gesicht der Wand zu.

Ich hörte Patus hastiges Wispern, Bolks melancholischen Baß, – dann knarrten die Stämme des langen Flures, das Knarren verebbte … Die beiden hatten offenbar Bolks Kammer betreten. Die Gefahr, daß mein kurzer Ausflug entdeckt sei, war vorüber.

Fennek leckte mir die Hand, beschnüffelte mich und kuschelte sich an meinen Rücken. Ich streichelte ihn, und durch mein Hirn zogen Gedankenbilder in bunter Reihe … Namen, Menschen, Ereignisse.

Malmotta?!

Was war es mit dieser Insel?! Erst hatte der Käpten sie erwähnt, nun hatte Jan Terpe sich als gebürtiger Malmottaner bekannt. Joicker, Mortison, Petersen mußten die Insel gleichfalls einst besucht haben … einst! – Wann?! Und weshalb waren sie dann so eifrig hinter Käpten Bolk her gewesen?!

Gold etwa?!

Goldgier?!

… Mir fiel das Ledersäckchen ein … Patumengi hatte es in das gemeinsame Grab der drei geschleudert …

Da waren überall die Enden von Fäden … Aber es waren nur kurze Stücke, und sie ließen sich nicht aneinander knoten …

Ich schlief ein.

Im Nebenraum schnarchte die uralte trunkfeste Großmutter des Püppchens Matugira …

War ich über ihrem röchelnden Sägen erwacht?!

Ich fuhr hoch …

Durch die Fensteröffnung fiel das Morgenzwielicht in die enge saubere Kammer und auf Peter Bolks hagere gebeugte Gestalt.

„Ich nehme Sie mit, Abelsen,“ sagte er kurz. „Wollen Sie?! Kennen Sie die Südsee?“

Traumbefangen murmelte ich nur:

„Malmotta?!“

„Ja.“

Und er richtete sich straff auf.

„Ja!! – Geloben Sie mir als anständiger Kerl hier in die Hand, daß Sie schweigen werden, – – dann sehen Sie Malmotta, nur dann! Es ist nichts Unehrenhaftes bei alledem – auch mein Wort darauf!“

Unsere Hände fanden sich in kräftigem Druck.

„Wir reiten in einer Stunde,“ erklärte der Käpten dann. „Ziehen Sie sich an … Packen Sie Ihre Sachen …“

Er ging hinaus, und jetzt erst gewahrte ich auch Patumengi, der still in dem alten Plüschsessel kauerte.

„Freund Olaf, mein Herz wird leer werden,“ meinte er klagend. „Und doch lasse ich dich gern gehen, Freund Olaf. Peter Bolk ist ein Mann des Meeres, und seine Seele ist rein wie die Luft an den steinigen Ufern von Batimar …“ –

Der plötzliche Aufbruch hatte die ganze Doko-Siedlung auf die Beine gebracht. Es gab zahlloses Händeschütteln, es gab blumenreiche Reden.

Und – die Pforte des Gefängnisses Jan Terpes hing schief in den Angeln.

Ich sah es und schwieg.

Das Fehlen meines Jagdmessers aus der Lederscheide erklärte manches. Jan Terpe mußte es mir entwendet haben, als wir im Finstern im hohlen Mbuju so rasch Abschied genommen und ich dabei gegen die Pforte mich gelehnt hatte … –

Bolk, Patu und ich trabten in die Steppe hinaus.

 

3. Kapitel.

Die Herzogin von Bellcastle.

… Es ist für heute genug. Ich lege die Feder weg und greife nach der erloschenen Zigarre. Gedankenvoll reibe ich das Zündholz an und rauche still und blicke durch das kleine Fenster der Heckkajüte auf die schlanken Palmen und zerrissenen nackten Felsen, die diese schmale Meeresbucht, gleichzeitig Mündung eines armseligen Flüßchens, einrahmen. Sie türmen sich hier am Nordufer hoch empor, sie schwellen an zu einem von Kugelkakteen und anderen ungemütlichen Pflanzen dicht bedeckten Berge. Er hat keinen Namen, und auch das Flüßchen ist namenlos. Wir befinden uns hier mit dem Schoner „Astarte“ in dem gottverlassensten Küstenstrich des südwestlichen Roten Meeres. Das nächste Hafennest heißt Batimar. – Nehmen wir an, es heißt so. Ich habe Käpten Bolk Diskretion zugesichert, und ich will selbst in diesen Tagebuchblättern Peter Bolks Vertrauen nach Möglichkeit gerecht werden. Also … Batimar. Hafennest.

Gestern abend sind wir in diesem Versteck der Astarte angelangt. Zwei abgehetzte müde Reiter, sechs Dromedare, ein Fennek. Es war kein Vergnügungsritt von Patumengis fernem Reich bis hierher. Es war Erleben, Leben, Wagen, Jagen, – es war doch ein Vergnügen!

Meine Zigarre brennt, und wenn ich in die Rauchwölkchen emporstarre, formen sie sich zu gelbbraunen Zwergengesichtern, zu riesigen Bäumen und Bambushütten, die wie Nester in den Kronen hängen.

Patumengis Reich …

Es war.

Auch das liegt hinter mir. Wochenlang dort Gast, wochenlang dort die Schönheiten der weiten Steppen genossen und die Gastfreiheit der Doko, die meine Freunde sind – noch immer.

In all diesen Wochen hat meine Feder geruht. Zum Schreiben gehört Tinte. Tinte war nicht da, aber … Trägheit auf meiner Seite. Ich faulenzte voll Behagen, ich ließ mir von Patumengi alles zeigen, was die Umgebung bot, wir ritten, jagten, redeten, und wenn ich wollte, könnte ich hier aus dem Sagenschatz des Zwergenvolkes manches so recht Ursprünglich-Schönes berichten. Es ist erstaunlich, wie ein so kleines Völkchen von Gnomen an seinen Märchen festhält und wie die Fetischmänner, die Herren Priester, den neuen Generationen diese Märchen und Sagen geradezu einhämmern, damit nichts in Vergessenheit gerate.

Und dann kam eben Peter Bolk, der Waffenschmuggler.

Der Punkt ist geklärt. Der kleine uralte Patumengi als weitsichtiger Herrscher wollte seine Untertanen mit den neuesten Erzeugnissen der Waffenindustrie versehen, lernte Bolk in Batimar kennen und zeigte ihm heimlich einen Sack voll tropfenförmiger Goldkörner. Auch der Käpten brauchte Geld, und Peter wartete – – volle zwanzig Jahre.

Worauf?!

… Das hängt mit Malmotta zusammen.

Mehr weiß ich nicht. –

Wie gesagt – Ruhepause in dieser Arbeit des Niederschreibens unvergeßlicher Erinnerungen. Hinaus ins Freie, empor auf den Berg mit dem Fernrohr, damit ich mir Batimar auf diese Weise anschaue.

Fennek trabt vor mir her durch die Dornen. Auf dem Schoner lümmeln sich nur Chinesen herum, – Peter und die übrigen sind heimlich hinein nach Batimar, den Proviant zu ergänzen. Nachts wollen sie zurück sein, – – wenn alles gut geht.

Fennek-Mukki findet diese Bucht ideal. Es ist ein Mäusequartier. Fennek stört dieses Paradies und mordet und frißt. Datteln sind ihm ja lieber. Mäuse sind nicht sein Hauptgericht. Er ist halb Vegetarier, halb Fleischfresser. Wie alle Wüstenfüchse aus Ägypten.

So erreichen wir dann den Bergzipfel. Wir nehmen uns nicht weiter in acht, denn diese öde Landschaft birgt keine Gefahren. Nur im Süden, wo des abessinischen Herrschers Polizei und Zöllner und Spürnasen in Batimar sich breitmachen, ist windiger Boden.

Desto erstaunter bin ich, als ich, um ein letztes Gestrüpp biegend, durch Mukki energisch gewarnt werde.

Ich pflege nie und nirgends hart aufzutreten. Ich bin kein Leisetreter. Aber die Wildnis, meine Heimat, fördert das Federn des Schrittes und das stete Wachsein.

Ich luge um den Busch, ich sehe zehn Schritt vor mir auf einem Stein im Schatten einer verkrüppelten Palme eine Frau in Weiß, nur ihren Rücken.

Sie sitzt gebeugt, die Hände um die Knie geschlungen, neben ihr liegen vier Dinge, die allerlei erraten lassen: Eine kleine Pistole im Futteral, eine Reitgerte und … eine Thermosflasche, deren Becherdeckel abgeschraubt ist.

Eine rasche Ideenverbindung bringt diese Miß mit der eleganten Privatjacht in engste Beziehung, die in Batimar ankern soll, wie Li, der Koch der Astarte, uns gestern nacht gleich nach der Ankunft erzählt hat.

Immerhin: Eine Kühnheit für eine Dame, sich hier in diese Einsamkeit zu wagen. Das Küstenland von Abessinien ist keine Luxuspromenade der Riviera.

Ich hüstele …

„Entschuldigen Sie die Störung, Miß …“

Man bleibt doch immer noch Kulturmensch, und der neue weiße Anzug nebst Zubehör, den ich seit heute früh trage, macht mich zum Gentleman.

Äußerlich.

Sie dreht langsam den Kopf, greift aber sehr flink nach der Pistole …

Unter dem hellen Strohhut mit Nackenschleier blickt mich ein stark gepudertes, stark getuschtes, trotzdem hübsches und vielleicht junges Wesen an und mustert mich lange und … lächelt.

Ihr Blick – die Augenbrauen sind nur getuschte Striche – ruht auf Mukki.

„Was ist das für ein Tier, Sir?“

Die Stimme ist weich … die englische Sprache klingt näselnd, – es ist schade, daß diese wundervoll geformten Lippen so knallrot, so aufdringlich herzförmig gefärbt sind. Noch mehr bedauere ich, daß die Miß so außerordentlich hochmütig dreinschaut und für meinen Fennek mehr Interesse zeigt als für mich.

Sie ist hübsch.

Sie hat einen weichen Glanz in den dunklen Augen …

„Es ist ein Fennek, Miß …“ erklärte ich ihr, und dann fügte ich, Gentleman, hinzu: „Mein Name ist Lensen, Miß …“

Namen sind billig. Mancher Name wird im Steckbrief allerdings je nach Sachlage höher bewertet.

„Ein Fennek?“ – Ich kam nicht in Frage, „ist er verkäuflich? Er gefällt mir, Sir.“

Jetzt lachte ich. „Und wenn Sie mir Millionen bieten würden …! Mukki ist für nichts zu haben – es sei denn, ich stürbe …“

Sie erhob sich … Ihre prächtige schlanke Figur zeigte gegen den glasklaren Himmel jeden Umriß …

„Wie töricht, Mr. Lensen … Geld ist Macht. Sind Sie so reich?!“

Sie spottete meiner.

„Allerdings … Reicher als ein Milliardär, denn – ich bin frei, Miß, mich bindet nichts, die Welt ist meine Heimat, die Einsamkeit mein Palast, die Wildnis mein prunkvolles Gemach … – Sie werden das nicht verstehen …“ setzte ich achselzuckend hinzu. „Ich bin eben … Abenteurer aus Neigung.“

„Schade!“ Ihre Blicke streiften abermals meinen Mukki … Dann erschienen um ihren Mund, auf der Stirn ein paar harte Falten. „Nur ein Tier – wie lächerlich!! Überlegen Sie es sich … sofort!“

Das war ein sehr merkwürdiges Gebaren. Das war beinahe eine Drohung.

„Sofort?!“ Ich bückte mich und nahm meinen Freund in die Arme. „Gut – sofort, nämlich – – nie!!“

Zwischen den halbgesenkten Lidern traf mich ein noch drohenderes Aufblitzen dieser dunklen Rätselaugen.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

„Zwei Minuten …“ sagte sie kühl. „Hundert Pfund, Mr. Lensen, – das sind zweitausend Mark. Zwei Minuten – bitte!“

Ich konnte nur den Kopf schütteln. „Miß, Sie scheinen mich sehr wenig zu kennen, ich …“

Sie hatte sich schon wieder gesetzt, drehte mir den Rücken zu und blickte gen Osten auf das Rote Meer hinab.

Ich war Luft.

Seltsame Dame!! Mir war doch bereits so manches rare Exemplar des anderen Geschlechts über den Weg gelaufen … dies hier?! Englische Lady in Reinkultur, aber Lady mit etwas Asphaltduft …

Ich hatte meinen Freund Mukki noch immer im Arm. – Ich – mich von ihm trennen?! Das Tierchen war im Verlauf von abenteuerlichen Jahren ein Stück meiner selbst geworden.

Ich streichelte ihn, setzte ihn auf die Erde, nahm mein Fernrohr, lehnte mich an einen spitzen Steinblock und zog das Rohr auseinander, stellte es auf die fernen Häuser von Batimar ein, sah den Turm der uralten Jesuitenkirche, sah die helle Linie der gekrümmten Mole und die ankernden arabischen Küstensegler, einen kleinen Frachtdampfer und die weiße schöne Jacht …

Ich sah die elenden Hütten, ein paar Steingebäude, Wellblechschuppen …

Das war das Hafennest, in dessen Kneipen Peter Bolk sich das lohende Hirn durch Fusel betäubt hatte … –

Und dann … legte sich eine Hand auf meine Schulter …

„Mr. Lensen, vier Minuten, – hier ist das Geld!“

Ich schnellte herum … Das war denn doch eine Anmaßung, eine Frechheit, die …

Meine Gedanken stoppten …

Wo war Fennek?!

Und dort hinter der Frau – – zwei Kerle in Matrosentracht, zwei stämmige Kerle … grinsend, in den Pfoten die Pistole …

Oho!! War’s so gemeint?!

Die Frau wiederholte kühl: „Hier ist das Geld!“

Sie streckte mir die Scheine hin. Und ich – – packte zu …

Hatte ihr Handgelenk packen wollen, hatte mich verrechnet … Aalglatt war sie, blitzschnell war sie hinter ihren Leuten …

„Mr. Lensen,“ sagte sie ohne jede Erregung, „Ihr Fennek ist bereits unterwegs nach Batimar. Wollen Sie ihn wiederhaben, finden Sie sich samt Ihrem Gepäck Punkt sieben Uhr abends auf der Molenspitze ein …! Sie verstehen mich: Punkt sieben Uhr – – Molenspitze!! Und sollten Sie vielleicht die Absicht haben, die Polizei zu verständigen, – ich rate Ihnen entschieden ab. Ihr Freund Bolk wird gesucht, das wissen Sie …“ –

Mir war doch in all diesen Jahren, seit zwei schwankende Drähte mich über eine Zuchthausmauer ins Freie, in die Freiheit getragen hatten, schon so manches begegnet. Im Grunde gab es nichts, was ich nicht schon kennen gelernt hatte – – so glaubte ich bisher.

Dies hier: Was sollte es?! Der Frau kam es ja gar nicht auf meinen Fennek an! Mich wollte sie haben! Mit Gepäck – sieben Uhr – – Molenspitze!! – Das war eindeutig genug. – Was lag ihr an mir?!

Mir?!

Ich …

Olaf Karl Abelsen, Freund eines Coy Cala, Freund von Kerlen mit Eisennerven und stählernen Seelen …!

Mich – – so fangen?!

„Ich … werde kommen, Miß,“ erklärte ich höflich. „Ich nehme an, daß Sie ein ganz besonderes Interesse an meiner Person haben … Weshalb soll ich einer Dame nicht gefällig sein?! Nur – ließe sich das nicht schon hier erledigen, Miß?!“

Ich lächelte harmlos …

Und mit diesem Lächeln schoß ich vorwärts …

Meine Fäuste können Schmiedehämmer sein. Meine Fäuste trafen, – zwei Matrosen flogen hintenüber in das dornige Gestrüpp, – meine Hände schnellten zur Seite, umkrallten die Gelenke der Frau, – sie schrie leise auf, aber der Schrei war noch nicht verhallt, als sich auch schon der Riemen ihrer Thermosflasche um dieselben Gelenke wand …

„So, Miß …!“

Ein Blick traf mich … Flammen lohten aus diesen Augen …

Ich … lachte, hob die Pistolen der armen Schächer auf, befahl den Japsenden, nach Luft Ringenden:

„Vorwärts, – geht vor mir her! Und – wer zu fliehen wagt, – – ich schieße wirklich nie daneben!“

Stark zerschunden krochen sie aus den Disteln.

Ich … lachte …

„… Ihr hättet erst anderswo in die Lehre gehen müssen, – – marsch, – auch Sie, Miß!!“

Der kleinere der beiden flüsterte stockend:

„Mr. Lensen … die … die Dame ist die Herzogin von Bellcastle …!!“

„… Und wenn es die Königin von England in Person wäre: Mit mir spielt man nicht!!“

„Bravo!“ sagte da halb hinter mir eine vergnügte Männerstimme. „Bravo, Mr. Lensen …! Die Frau Herzogin liebt kleine Scherze mit Männern … Gestatten Sie: Alfred Eversam ist mein Name, Doktor Alfred Eversam, bis heute mittag Schiffsarzt der Jacht „Star of London“, heute mittag fristlos entlassen mit halbem Jahresgehalt, weil ich mich weigerte, dieses Banditenstückchen mitzumachen. Von mir haben Sie nichts zu fürchten, im Gegenteil, Ihre Hoheit die Frau Herzogin sieht mich nun auf der Gegenseite …“

Alfred Eversam war ein Prachtkerl. Auch äußerlich. Ein Gentleman, den das Monokel im braungebrannten Gesicht tadellos kleidete, ein überschlanker junger Mann, vielleicht Nähe der dreißig, – überschlank, weil kein Lot Fett vorhanden.

In der Linken hielt er seine Zigarette, in der Rechten eine kleine Momentkamera. Er hielt sie vor die Brust, visierte, – es knackte …

Das Bild hebe ich mir auf,“ meinte er belustigt. „Ihre Hoheit mit gefesselten Händen, die Stewards John und Jack als zahme Hündchen, man wird sich in London totlachen!“

Jane Bellcastle kniff die Lippen ganz schmal.

„Sie … Sie sind ein …“

„… ein Mitglied der schottischen Linie der Eversams von Grandballay – stimmt!“ kam er ihr zuvor. „Ein Sohn Lord Eversams, ein Sohn Lady Eversams, geborene Lady Farferlan-Wendnoor … Das ist alles, amtlich abgestempelt. Neues brauchen Sie nicht hinzuzufügen … Es genügt vollauf.“

Jane Bellcastle drehte ihm schroff den Rücken zu …

„Auch die Teilansicht ist schön,“ nickte er bissig. „Mr. Lensen, ich verhalte mich hier natürlich vollkommen neutral. Was beabsichtigen Sie zu tun?“

„Meinen Fennek zurückzuholen, Mr. Eversam,“ und ich lächelte ihn an. „Zunächst werde ich diese drei Herrschaften auf den Schoner nötigen, das weitere findet sich schon … Kommen Sie mit?“

„Gern, sehr gern …“

„Dann – – vorwärts John und Jack, – – keine Dummheiten!! – Bitte, Hoheit, schließen Sie sich freundlichst an … Es bleibt Ihnen wirklich nichts anderes übrig. Die Partie haben Sie endgültig verloren.“

„Es scheint so,“ nickte Eversam todernst. „Es scheint durchaus so …“

Die beiden Stewards, sicherlich Vertraute dieser sehr unternehmungslustigen Dame, marschierten unter dem sanften Zwange zweier Pistolenmündungen voraus.

Jane Bellcastle sprach kein Wort mehr.

So langten wir unten am Buchtstrande an, schritten über die Laufplanke, und Li und Fu, Koch und Steuermann, versorgten die Stewards gleichfalls mit einigen haltbaren Stricken und sperrten diese Gäste vorn in die Segelkammer ein.

Jane durfte in die Heckkajüte, und mit einem „Entschuldigen Sie meine Härte“ nahm ich ihr den Flaschenriemen ab.

Sie war von grenzenlosem Hochmut – auch jetzt, – sie setzte sich in den einzigen Korbsessel und sagte nur: „Schicken Sie John nach Batimar zur Jacht … Unsere Pferde stehen an der Südseite des Berges. John wird meinen Kammerdiener Aristide noch einholen, hoffe ich, Aristide soll den Fennek zurückbringen …“

Ich stand so, daß ich durch die offene Tür das Deck übersehen konnte …

„Hallo, Li!!“

Der Koch wackelte herbei.

„Li, bringe den Gefangenen her, der John heißt – etwas fix!“

John kam, und die schöne eigenwillige Dame mußte ihm ihre Wünsche vortragen. Ich fügte hinzu:

„Halt, John, – noch etwas … Solltet ihr das Versteck des Schoners verraten, so seht ihr Ihre Hoheit nicht wieder! Merkt euch das, Bursche!“

„Sehr wohl, Sir …“ Dieser John hinkte noch immer stark.

Eversam hatte sich in die Sofaecke gesetzt. Aber Jane Bellcastle erklärte, daß sie unsere Gegenwart entbehren könne … „Verlassen Sie beide die Kajüte – bitte!! Ihr Anblick langweilt mich … Wir haben uns nichts mehr zu sagen …“

Von mir aus, – ich war einverstanden, ich winkte Eversam, wortlos gingen wir an Deck, drückten die Tür zu und nahmen unter dem Sonnensegel Platz. Der Schoner Astarte besaß zwei Bordstühle, und Eversam wählte bedächtig den bequemeren, hielt mir dann sein Zigarettenetui hin und meinte leise:

„Es ist das erste wirklich komische Abenteuer, das ich erlebt habe, Mr. Lensen. – Bitte, hier ist Feuer …“

„Danke … – Finden Sie es wirklich nur komisch?!“

„Ja, – wenn ich Sie und mich ausschalte, das heißt, wenn die Dinge von einem Außenstehenden beurteilt werden könnten. Es war sehr komisch, wie John und Jack in die Dornen flogen und wie Sie diese Frau, die ungeheuer trainiert und kräftig ist, gleichfalls abfertigten. Ein Dämpfer schadet ihr nichts …“

Alfred Eversam betrachtete mich eingehend.

„Sie … sind ein Prachtkerl, Mr. Lensen!“

„Hm – wollen Sie mich anpumpen?!“

„Nein. Aber warnen …“

„Wovor?!“

„Vor dieser Frau und …“ – er zögerte … „und ihrem Haß …! Jane Bellcastle haßt Sie aus irgendeinem Grunde.“

„Da müssen Sie sich doch wohl irren, Herr Doktor. Ich habe noch nie von ihr gehört, sie nie gesehen – bis heute. Woher da Haß?!“

Er rauchte bedächtig, machte eine unbestimmte Handbewegung und erwiderte: „Trotzdem kennt sie Sie sehr genau, Mr. Lensen, das ging aus der Szene von heute vormittag auf der Jacht hervor, als sie mich bat, ihr zu helfen, Sie an Bord zu locken oder zu … zwingen. Sie hatte einen längeren Jagdausflug unternommen, kehrte erst heute früh nach Batimar zurück.“ Er zögerte abermals … „Als ich mich weigerte, warf sie mich hinaus, verbot mir an Bord zu bleiben … Was sie von Gefühlen für Sie verriet, war … kalter Haß, glauben Sie mir. Und noch eins: Kapitän Bolk und seine Leute sitzen im Gefängnis in Batimar, Jane hat sie angezeigt, Jane muß hier sehr viel bezahlte Spione haben.“

Ich setzte mich aufrecht …

„Bolk verhaftetet?“

„Es stimmt leider … Die alte Jesuitenkirche ist jetzt Gefängnis geworden, – ich wollte mir den uralten Bau ansehen, der Herr Gefängnisdirektor zeigte mir gegen eine Fünfpfundnote seine neuesten Pensionäre: Bolk und sechs Mann vom Schoner Astarte! Er flüsterte mir noch zu, daß Peter Bolk wegen Waffenschmuggels harte Strafe erhalten würde … Leider wüßte niemand, wo der Schoner steckte …“

Ich war mit einemmale sehr nachdenklich geworden.

„Wie lange war denn Jane Bellcastle auf der Jagd?!“ fragte ich gespannt.

„Etwa drei Wochen – mit eingeborenen Führern – mit einer ganzen Karawane, die sie weiter im Innern in der Stadt Ali Baggo zusammengestellt hatte …“

Ich überlegte einiges, rechnete etwas, verglich und fragte schließlich nochmals:

„Hat Jane Bellcastle je die Namen Joicker, Mortison und Petersen erwähnt?“

Eversam nickte eifrig. „Aber natürlich … Das waren ja die Kerle, die sie hier auftrieb und die die Jagdexpedition vorbereiten mußten …“

Ich pfiff leise durch die Zähne.

„So … so. – Und – – kennen Sie auch den Namen Jan Terpe, Doktor?“

„Nein, Lensen, den habe ich nie gehört.“

Das war für mich eine große Enttäuschung. –

Steward John erschien am Ufer mit Fennek am Riemen.

Ihre Hoheit Jane Bellcastle verließ gleich darauf die Astarte ohne jeden Gruß mit ihren beiden Getreuen, nachdem sie ihr Wort verpfändet hatte, uns hier nicht weiter zu behelligen und uns nicht zu verraten.

Ich glaubte damals, ich würde sie niemals wiedersehen.

Es war der größte Irrtum, dem ich je anheimgefallen war. –

Eversam blieb bei mir.

 

4. Kapitel.

Die Goldwäscherei

… Wir schauten den dreien nach, – Fennek saß auf meinem Schoße, seine Wiedersehensfreude rührte mich, aber Janes geschmeidige Gestalt erschien mir diesmal wertvoller.

„… Wenn Sie sich nur nicht derart schminken wollte!“ sagte ich mehr für mich.

Eversam seufzte. „Stimmt, – aber sie muß es tun … Keine Heirat hat in London so viel Sensation gemacht wie die des Herzogs mit dieser … „Farbigen“, – so schrieben die Zeitungen, obwohl Miß Jane reich genug war, sämtliche Schulden Seiner Hoheit zu bezahlen … Sie wurde dann Witwe, am Tage der Hochzeit, drei Stunden nach der Trauung … Der Herzog, ein liebenswürdiger Nichtstuer, verunglückte mit seinem Auto, als er seine Gattin zur Flitterwochenreise zum Bahnhof abholen wollte, – – sehr tragisch, sehr romantisch. Jane Pers, so hieß sie vordem, soll die Tochter eines reichen Plantagenbesitzers und einer Javanerin sein – – soll, – – es wird bezweifelt, sogar der Name Pers soll nur erkauft sein, – niemand weiß Gewisses, – Geld deckt alles zu … Sie lebte als Waise in London, betreut von einer angeblichen Tante, – sie hatte ungezählte Millionen, sie war hübsch, sie zählte erst siebzehn, als sie den Antrag Seiner Hoheit annahm, – – daß sie eine farbige Mutter gehabt hat, ist sicher, denn ihre Haut verrät es … Das goldblonde Haar stammt von dem Vater, die Glutaugen von der Mutter … Eine sehr schöne Frau, ohne Zweifel …“ Er seufzte abermals. „Und … das Rätselhafte, Lensen,“ fuhr er dann fort, „diese Frau reist nun seit drei Jahren andauernd mit ihrer Jacht von Hafen zu Hafen, als ob sie irgend etwas sucht. Ich kam vor einem Jahr als Schiffsarzt zu ihr …“ Er hüstelte … „Und in diesem einen Jahr …“

Ich blickte ihn forschend an. „… haben Sie sich … verliebt, Doktor, gestehen Sie es nur ein!“

„Ich … hatte mich verliebt,“ erklärte er hart. „Das … war einmal, das schlug ich mir aus dem Sinn, obgleich es mir sehr, sehr schwer wurde. Jane kann sehr liebenswürdig sein … Ehrlich, Lensen: Diese Frau muß jeden fesseln! Sie hat etwas unnennbar … Verwirrendes an sich …“

Meine Gedanken waren bereits wieder auf anderen Fährten. Ich dachte an die blutigen Ereignisse im Reiche Patumengis, – – das alles war nur mehr wie ein Traum, – ich schloß die Augen und ich sah wieder die drei Toten in den Büschen liegen, sah mich selbst, wie ich Petersens Brieftasche, Uhr, Medaillon und Seekarten zu mir steckte …

„Eversam,“ fragte ich überstürzt, „hat Jane Bellcastle je den Namen Malmotta vor Ihnen erwähnt, war sie mit der Jacht auch in der Südsee?“

Der Doktor beugte sich weit vor …

„Malmotta?! Malmotta …?! Es klingt mir so bekannt … Lassen Sie mich nachdenken. Jedenfalls – in der Südsee waren wir, wir kamen vor zwei Monaten von den Samoa-Inseln zuerst nach dem Südriegel des Roten Meeres, nach dem kanonengespickten Aden, dann nach Batimar drüben. Hm – Malmotta?! Malmotta …?! – – Halt, jetzt habe ich es! Jetzt steht mir die nächtliche Szene deutlich vor Augen … Es war eine jener wundervollen Tropennächte, windstill fast, wir befanden uns nördlich der Baker-Insel, jenes weltfernen einsamen Eilands, in einem Meeresteil also, den kaum je ein Schiff besucht …“

„Schneller, Doktor, schneller …!“ Ich fieberte. „Und da entdeckten Sie ein in keine Seekarte eingezeichnetes unbekanntes Inselchen?!“ Ich dachte an John Friedrich Petersens, des Hamburgers, vier Seekarten …

Alfred Eversam blickte mich erstaunt an. „Nein, davon ist keine Rede … Wir entdeckten nichts, aber Jane stand gedankenverloren neben mir, Jane flüsterte mehrmals einen Namen …: Malmotta, – ja, Malmotta! Nun weiß ich es, es war „Malmotta“! – Aber woher kennen Sie Malmotta?!“

Ich holte tief Atem. Ich war wiederum enttäuscht worden, ich hatte gehofft, der Lösung des Geheimnisses einen Schritt näher zu kommen …

Wieder nichts!!

Sollte ich mich Eversam anvertrauen?! – Ich kannte ihn erst wenige Stunden, und das Leben, das ich führe, hat mich vorsichtig gemacht.

Sinnend strich ich über Fenneks seidenweiches Rückenhaar. Er lag wieder in meinem Schoße, er ließ die Ohren spielen, seine Augen wanderten dauernd vom Ufer zum Berge, vom Berge zum Ufer. Er war noch erregt von der kurzen Gefangenschaft. Vielleicht hatte man ihn roh behandelt, und dann schnappte er nach rohen Händen …

„Es soll eine Südseeinsel Malmotta geben,“ warf ich scheinbar gleichgültig hin. „Ich glaube, Bolk sprach davon …“ – Das war meine ganze Antwort.

Der sympathische Doktor nickte. „Mag sein … Wer kennt all diese Inselchen, diese Atolle, diese Ringinseln mit den klaren Lagunen in der Mitte?!“

Meine Gedanken waren schon wieder anderswo …

Peter Bolk!! Er durfte nicht dort in dem steinernen Kerker bleiben … Ich war ihm zu Dank verpflichtet, ich war an seiner Seite durch die Steppe, durch Berge und öde Sandstrecken geritten, – mit ihm hatte ich den stets unsichtbaren heimtückischen Gegnern standgehalten, mit ihm Durst und Hunger ertragen, – und das kittet zusammen, selbst wenn der Kamerad so verschlossen und schweigsam bleibt wie der Käpten.

„Bolk muß befreit werden!“ sagte ich zu Eversam. „Er steht mir nahe, er …“

Der Doktor fiel mir ins Wort.

„Das ist lediglich eine Geldfrage, Lensen … Haben Sie Geld?“

„Nein. Aber Gold.“

„Noch besser,“ lachte er. „Der Herr Gefängnisdirektor drüben in Batimar hat eine offene Hand – zum Nehmen! Leider auch zum Festnehmen. Gingen Sie hin, würden Sie Bolks Schicksal teilen. Auch Sie stehen auf der schwarzen Liste … Er deutete es an. – Ich möchte gern neutral bleiben.“ Er überlegte. „… Ich habe mir in Batimar einen Gaul gemietet und bin Jane Bellcastle gefolgt,“ sagte er zögernd. „Der Gaul steht dort an der Ostseite der Berge in einer Schlucht … Also – her mit dem Golde, Lensen! Ich will! Aber eine Frage zuvor: Wohin segelt die Astarte, wenn der Käpten freikommt?“

„Nach der Südsee …!“

Sein frisches Gesicht wurde ernst. „Genau wie die Jacht also! – Ich weiß es, die Herzogin will ebenfalls wieder dorthin. – Holen Sie das Gold. Ich werde von mir aus noch ein paar Geldlappen hinzufügen, denn … ich bin reich, Lensen, fast lächerlich reich … Wir Eversams brauchen nicht zu verdienen, mein Studium, mein Doktortitel – – Laune, halb Neigung, und meine Stellung als Schiffsarzt bei Jane … leider nicht nur Laune, sondern Zwang des Herzens … Mein „Gehalt“ überweise ich stets einer Armenkasse, – jetzt soll Janes Geld, das sie mir heute als Abfindung zahlte, dem Käpten nebst Anhang die Türen öffnen …! Ich mache das Spiel mit, Lensen, – ich wittere hier Geheimnisse, und den Engländer möchte ich sehen, der nicht schon aus Sport einem Geheimnis auf den Grund gehen will. Wir sind nicht nur Krämer, wir waren allzeit Abenteurer, und gerade das hat uns die halbe Welt erobern helfen. – Holen Sie das Zeug!“

Ich ging in die Kajüte und zog die Tür zu. Ich kannte Bolks Tresor seit der verflossenen Nacht. Er hatte ihn mir gezeigt, als er mit den Seinen nach Batimar aufbrach. „Olaf,“ hatte er gesagt, „es kann sein, daß man uns dort schnappt … Sparen Sie in diesem Falle nicht. Hier ist mein Banksafe …“

Mitten durch die Heckkajüte lief der Unterteil des Treibers, des hinteren kleinen Mastes. Der Mast war hier mit dünnen Eisenplatten benagelt und grün gestrichen. Eine der untersten Platten ließ sich verschieben. In dem Loche dahinter lagen Lederbeutel. All das Gold stammte von Patumengi: Zahlung für die Waffen! Wo die Doko ihre Goldquelle gehabt, wußte ich nicht. – Das wußte ich: In diesem tiefen Versteck, das bis in den Laderaum hinabging, ruhte ein großes Vermögen, und den Treiber hatte der schlaue Käpten nur einsetzen lassen, weil er eben einen „Safe“ brauchte.

Dumm war Peter Bolk nicht.

Ich nahm einen Beutel, wog ihn in der Hand. Er würde genügen!

Eversam verabschiedete sich. „Ich befingere die Sache schon, Lensen … Keine Sorge! Nachts sind die sieben Leute frei, und dann gehen wir sofort in See. Mein Gepäck bringe ich mit.“

Er drückte mir die Hand, – er war ein Mann nach meinem Geschmack. Er redete nicht viel … Er handelte.

Ich schickte den Steuermann Fu, der am Kinn einen Bart wie einen alten Besen trug, auf den Berg. „Fu, du nimmst das Fernrohr mit … Beobachte gen Batimar …“

Er verstand mich. Seine Faulheit wurde zu überraschender Beweglichkeit. Bolk hielt auf ihn große Stücke. Wohl mit Recht. Alle Leute des Käptens waren sorgfältig ausgewählt. Ich kannte sie bisher nur flüchtig, aber es mochte schon sein, daß sie für den alten Mann durchs Feuer gingen.

Li, ein schmächtiges Kerlchen, wirtschaftet vorn in der Kombüse herum, klappert mit Töpfen, pfeift dazu sehr falsch den Sternenbanner-Marsch. Er wird mir wohl das Abendessen herrichten, der Schlingel … Meine Zigarren raucht er auch. –

Nun sitze ich also wieder am Tisch in der Kajüte vor meinen papiernen intimsten Vertrauten und überfliege die Einleitung zu „Malmotta, das Unbekannte“ … Mein würdiger Lehrer am Göteborger Gymnasium – Friede seiner Asche, er starb nicht am Wasser – würde krähend gesagt haben: „Abelsen, Ihr Aufsatz über ein freies Thema ist mangelhaft … Abelsen, es heißt: Malmotta, das unbekannte, – unbekannte also klein geschrieben.“ Und ich würde sagen: „Es heißt „Unbekannte“, groß geschrieben, denn hier soll „Unbekannte“ gar nicht zu Malmotta gehören, sondern einen Begriff für sich bilden.“

Ich schreibe also wieder … Li’s Sternen-Marsch stört mich nicht, auch Fennek nicht, der Fliegen fängt.

Es ist sehr heiß. Sehr. Das Rote Meer und seine Küstenstriche sind verrufen. In der prallen Sonne werden Eier allzu schnell ausgebrütet. Sie stinken dann. Aber Li ißt sie. Käse ißt er nicht.

… Meiner Zigarre Wölklein sind die einzigen Wolken weit und breit. Li kocht auf Spiritus. Rauch könnte uns verraten.

Ich werde nun das nachholen, was ich bisher überging: Bolks und meinen Ritt zur Küste.

Patumengi wurde der Abschied sehr schwer. Er begleitete uns noch bis in jenes Felsental, wo der Käpten die Lastkamele versteckt hatte, die die Waffen hatten tragen müssen.

Die Steppe war feucht vom nächtlichen Regen. Die Sonne brach durch den Dunst, und in den Gräsern funkelten die nassen Diamanten … Einzelne Antilopen gingen vor uns flüchtig hoch. Gazellen hoben nur die Köpfe, windeten …

Ich war mißtrauisch, vorsichtig. Jan Terpe konnte sehr wohl irgendwo uns auflauern.

Der uralte Patu begann plötzlich ganz von selbst über den Flüchtling zu sprechen.

„Wenn er das Versteck deiner Lasttiere kennt, o Sohn des Meeres, wird er ein Dromedar rauben. Sein Pferd und seine Waffen mußte er zurücklassen, – trotzdem, hüte dich vor ihm. Die Steppe ist unsicher, meldeten unsere Späher und Posten. Sie fanden verwaschene Fährten in steinigen Bächen, und die Vogelscharen und das Wild sollen unruhiger als sonst sein.“

Ebenso unvermittelt wandte sich der Zwergenkönig an mich. „Olaf, was sprachst du mit dem Fremden?!“ Es lag keine Schärfe in dem Ton seiner stets etwas schrillen Stimme, es lag kein Vorwurf darin.

Er schaute mir in die Augen, und ich erwiderte das, was ich zu sagen hatte. „Ich fürchtete, ihr würdet ihn töten, Patumengi. Er haßt den Käpten, das merkte ich. Dann hörte ich euch zurückkehren, er stahl mein Messer und floh.“

„Wir wußten es,“ nickte der greise Bolk und deutete vorwärts. „Hinter jenem Waldstreifen liegt das Tal. – Ich möchte wissen, wer der Mann wirklich war … Ich sah ihn niemals vordem. Zu den dreien, die mir auflauerten und die mit ihrem Leben zahlten, gehörte er doch wohl kaum.“

„Er nannte sich Jan Terpe,“ erklärte ich wieder. „Vielleicht hätte er mir mehr anvertraut, wenn ich häufiger mit ihm zusammengewesen wäre. Er war sehr jung …“

Peter Bolk änderte die Richtung. – Wer ihn so schlaff im Dromedarsattel hängen sah, hätte in ihm nie jene zähe Kraftentwicklung und Behendigkeit vermutet, die trotz seiner Jahre ihm eigen geblieben. „Reiten wir mehr nach Westen,“ sagte er mit seiner matten Stimme. Diese Stimme verstärkte nur den Eindruck tiefster Melancholie, die auf ihm lastete wie ein trübes beklemmendes Rätsel.

So war Peter Bolk.

Wir trabten eiliger dahin, bogen um das Waldstück und sahen die Reihe kahler zerrissener Felshügel vor uns.

Ich war neugierig auf Bolks Versteck. Fünf Lastkamele zu verbergen – so zu verbergen, daß sie Nahrung und Wasser fanden und doch vor Raubwild sicher waren, – – das Tal mußte seine Besonderheiten haben!

Wir hielten vor einer glatten hohen Felswand. Ringsum lag Steingeröll, einzelne Blöcke, – von einem Eingang war nichts zu sehen.

Patumengi trieb sein Tier ganz dicht an die Felswand, stellte sich im Sattel aufrecht und ergriff eine armdicke Liane, die weiter oben Wurzel geschlagen hatte und wie ein rotes Tau mit ihren kleinen Blüten senkrecht herabhing. An diesem Tau klomm der alte Patu flink empor, verschwand in einer Spalte, und Peter Bolk winkte mir …

„Mehr zurück, Abelsen … Das Tor schlägt nach außen …“

Ein Teil der Wand drehte sich.

Das, was der Käpten so nichtssagend mit „Tal“ bezeichnet hatte, war ein Abgrund mit senkrechten Wänden, dessen Boden in grasreichen Terrassen nach Norden zu bis zu einem kleinen Bächlein abfiel, das aus dem Gestein hervortrat und im Gestein wieder verschwand.

Hier weideten die Tiere, hierher konnte selbst ein Leopard nicht gelangen.

Die Südseite des fast viereckigen Tales lag im Schatten, die anderen Teile lagen im grellen Sonnenlicht da. Ich bemerkte zwei Bambushütten, daneben ein großes Schöpfrad und eine durch Balken gestützte Rinne, deren Ende über einem Holzbottich lag. Neben diesem sah ich Haufen von grobem Sand.

„Goldwäscherei!“ dachte ich. Aber ich sagte nichts, und Patumengi hatte es auch sehr eilig, wieder ins Freie zu kommen. Vielleicht sollte ich nicht zu viel sehen.

Wir sattelten die Tiere, banden sie aneinander, führten sie hinaus, – das Tor schloß sich, und ich habe diesen Platz nie mehr betreten.

Patus Abschied von uns war kennzeichnend für die reiche Seele des winzigen Oberhäuptlings der Doko. Wiederum sprach er die Worte, die schon einmal über seine Lippen gekommen waren.

„… Mein Herz wird leer werden, aber ich lasse euch gern ziehen! Möget ihr finden, wonach ihr verlangt, ein jeder das, was ihm am wertvollsten.“

Seine kleine runzlige Hand ruhte lange in der meinen. „Olaf, du bist in vielem erfahrener als Peter Bolk … Halte die Augen offen! Und wenn ihr auf dem großen Meere schwimmt, das ich nur dreimal gesehen habe, dann vergeßt nicht den, der euer Freund bleibt. Solltet ihr je eine Stätte suchen, wo ihr allzeit willkommen seid, – ihr kennt sie!“

Selbst meinen Fennek streichelte er noch. Dann trat er mit dem Käpten abseits, und Peter Bolks Augen wurden feucht.

Noch lange sahen wir den grellbunten Federnkopfputz des alten Patu und seine winkende Hand.

Nicht lange mehr, und wir spürten die Feinde. Ich mied buschreiche Strecken, aber schon nach einer Stunde pfiffen uns von einer steinigen Kuppe urplötzlich Kugeln um die Ohren …

So fing dieser Ritt zur Küste an, – ein dauerndes Geplänkel mit einem zähen unsichtbaren Gegner, mit Leuten, die offenbar unter einem sehr schlauen Führer standen. Nur zweimal glaubte ich bei nächtlichen Angriffen im Mondschein Jan Terpes schlanke Gestalt zu erkennen – glaubte! Ich hätte es nicht beschwören können.

Wir wurden gehetzt, bedrängt, – und wäre ich nicht Coys Schüler gewesen, erfahren in allen Listen und Schlichen, – – unsere Gebeine bleichten sicherlich irgendwo im Sande der Wildnis.

Dreimal hatten sie uns nachts eingekreist, – aber unsere Kugeln verscheuchten sie … Einmal brannte ringsum die ausgedörrte Steppe, – nichts ließen sie unversucht, – hinter alledem steckte ein unheimlicher Vernichtungswille. –

Das wollte ich nachholen in diesen Blättern. Ich glaubte Jan Terpe zu erkennen …

Daß er’s gewesen, dessen Haß vor nichts zurückschreckte, erfuhr ich erst später. …

So kamen wir auf dem Schoner an – halbtot, übermüdet, nachdem wir die Bande endlich abgeschüttelt hatten.

Und all das – – um Malmotta, das Unbekannte. – –

Li bringt mir das Essen … Ich werde die Blätter wegpacken in meinen praktischen Lederrucksack …

Ich packe sie weg …

Und da erst stutze ich …

Aus einer Ecke des Sackes sind John Friedrich Petersens Sachen verschwunden – alles: Uhr, Brieftasche, Medaillon, die vier Karten!

Jetzt weiß ich, weshalb die Herzogin Jane Bellcastle uns so hochmütig aus der Kajüte wies.

Sie stahl diese Dinge … Weshalb?!

 

5. Kapitel.

Der Mann, der Aristide heißt …

… Die Nacht ist da. Ich war mit Fennek am Ufer des Flüßchens, und wir sind durch Gestrüpp und über Felsen bis zur Mündung vorgedrungen, haben, da es Ebbezeit war und ein breiter Steg von Korallenriffen freilag, auf diesem zackigen Pfade uns weit hinausgewagt und allerlei Wassergetier, das in kleinen Löchern noch umherplätscherte, beobachtet. Fennek hat Krebse und seltsame schleimige Gebilde mißtrauisch beschnuppert und nichts davon gefressen.

Weshalb man diesen mörderisch heißen Meerbusen, der die Halbinsel Arabien von Afrika trennt, ausgerechnet Rotes Meer benannt hat (die Wasserfarbe ist blaugrün), weiß so recht niemand. Man hätte es besser Korallenmeer nennen sollen, denn die öden Ufer, über denen beständig eine drückende trockene Hitze lastet, schicken oft meilenweit ihre gefährlichen Ausläufer der kalkerzeugenden Korallentierchen in die Flut hinein, und sich zwischen diesen heimtückischen Kalkinseln und -streifen hindurchzufinden, bedarf schon der Ortskenntnis eines eingeborenen Lotsen. Die großen Seedampfer halten sich daher auch stets in der Mitte dieses vielbesuchten Durchgangsweges nach Ostasien, nur Küstensegler wagen es, bei Nacht die kleineren, gleichsam verbarrikadierten Häfen anzulaufen.

Daß das Rote Meer auch jene seltene Art von Korallenbauten aufzuweisen hat, die bei Dunkelheit ein fahlgrünes Licht ausstrahlen, davon konnte ich mich jetzt selbst überzeugen. Während dicht vor meinen Füßen die auslaufenden Wellen plätscherten und Fennek, sehr wasserscheu, ihnen tänzelnd auswich und sich ängstlich an meine Stiefel schmiegte, erblickte ich vor mir in den Tiefen des Wassers helle Streifen und Zacken, die dauernd ihre Form änderten, je nachdem ein Wellenberg das Licht stärker oder schwächer brach. Es war ein wunderschönes Bild – noch schöner unter diesem sternenübersäten Nachthimmel, noch eigenartiger durch das Aufblitzen der Laternen waghalsiger Schiffer, die zwischen den Reihen der Riffe ihre seltsamen arabischen Fahrzeuge tapfer gen Batimar steuerten. Die Rufe der Leute erklangen wie Geisterstimmen, die Ungewißheit der Konturen der Fahrzeuge, dazu die grünlichen Striche der leuchtenden Unterseebänke, das verschlafene Geschrei von Wasservögeln, das Knarren von Masten und Rahen, – – welch ein greller Kontrast zu der Umgebung, an die ich nun monatelang gewöhnt gewesen – zur afrikanischen Steppe, zu den Gebirgsmassen Abessiniens, zu dem anderen Zauber jener Savannen, in denen Löwe, Nashorn, Antilope die Landschaft belebt hatten! –

Ich wollte umkehren …

Hier von der Flut überrascht werden, – das wäre eine böse Flucht vor den steigenden Wassern geworden! – Wollte … An mein Ohr drang da das auffällige gleichmäßige Puffen eines kleinen Motors – von rechts her, und dort lag Batimar, dort ankerte der Star of London hinter einer dicken Riffbariere! – Ein Motorboot?! Sollte Jane Bellcastle ihr Wort doch nicht halten und dem verübten Diebstahl noch ein neues, schäbigeres Verbrechen hinzufügen wollen?!

Ich horchte … Zu sehen war noch nichts.

Das Puffen kam näher, und aus der milchigen Dämmerung löste sich ein kleiner Bootskörper, eine kleine Pinasse, hell gestrichen, vorn gedeckt, schlank in den Linien …

Zweifellos eins der Rettungsboote der großen Luxusjacht.

Ich kehrte um, ich lief, sprang, duckte mich, erreichte das feste Gestade, erreichte den Schoner, wo der hagere Li faul an der Reling lehnte und an seiner Pfeife sog.

„Li, man will uns entern!“ erklärte ich etwas atemlos …

Li fletschte die gelben Zähne im Sternenlicht.

„Wer, Mr. Abelsen?!“

„Leute der Jacht …“

Der Chinese spuckte verächtlich ins Wasser. „Wir haben Waffen …!“

„Und dürfen nicht schießen,“ betonte ich. „Der Wind würde den Schall bis Batimar tragen, und der Käpten warnte uns!“

Li dachte nach. Ich war neugierig, was er vorschlagen würde. Wir waren jetzt nur zwei Mann an Bord, und für den immerhin dreißig Meter langen Schoner war das denn doch etwas wenig. – Mein Entschluß stand bereits fest. Möglich, daß Li auf einen noch besseren Gedanken kam. Er war auf dem Wasser groß geworden, die Sonne aller Erdteile hatte ihn ausgedörrt, und ein halbes Menschenleben als Seefahrer häuft eine Menge Erinnerungen an, zumal wenn man wie Li sicherlich auch auf Schmuggler- und Piratenschiffen Dienst getan hat.

Er sagte bedächtig: „Die Spritze, Mr. Abelsen … Wir haben unten im Raum noch ein Fäßchen Farbe, die so schlecht ist, daß sie nicht trocknet, schöne hellgrüne Ölfarbe, aber Dreck … Und die Spritze läßt sich an den Motor anschließen, Mr. Abelsen. Das hat der Käpten so in Bombay herrichten lassen. – Wie wär es damit? Das Faß bringen wir nach oben, und wenn Sie mir ein Zeichen geben, lasse ich den Motor an, und Sie handhaben das Strahlrohr des Schlauches … Wer die Sose im Gesicht hat, sieht eine Stunde lang nichts.“

Wir holten das Faß. Aber wir machten auch den Schoner vom Ufer los und ließen ihn nur mit einer langen Leine vertäut, so daß die Strömung ihn mitten in den Fluß drückte.

Ich stand am Heck und wartete. Ich horchte – horchte … Kein Laut … Nur das Murmeln des Wassers und Li’s leises Pfeifen unten im Maschinenraum, – was sich so hier Maschinenraum nannte.

Es war dabei so hell, daß ich sogar einen einzigen Kahn bemerkt hätte … – Wo blieb also die Pinasse?!

Ich wurde etwas nervös … Ich witterte geradezu einen hinterlistigen Streich. Ich ließ die Augen umherschweifen, musterte die buschreichen Uferpartien, – horchte wieder …!

Es mochte jetzt zehn Uhr sein.

Die Mondsichel stieg empor, sie war klar umrissen wie aus Silberpapier geschnitten und mitten unter die Sterne geklebt. Auch nicht ein Lufthauch war zu spüren. Das Hemd klebte mir am Leibe, die Trockenheit der Luft förderte noch die Schweißabsonderung, und unwillkürlich schob ich den breiten Strohhut tiefer in den Nacken.

Auf einsamem Posten!! Wie oft schon hatte ich mich in ähnlicher Lage befunden! Zu oft, um dieser Stille ringsum zu trauen.

Fennek lag zu meinen Füßen. Li’s reichliches Abendessen hatte ihn faul gemacht. Er schlief.

Ich stieß ihn leise an, – sofort war er auf den Beinen, ein lockendes Schnalzen mit der Zunge, und er sprang an mir empor, mir in den Arm wie eine Feder, ich setzte ihn auf die Reling …

„Achtung, Mukki!!“

Seine Ohren spielten, sein spitzes Schnäuzchen wandte sich hierhin, dorthin, – dann starrte er mit gesenktem Kopf in das Wasser hinab …

Also so war es gemeint!!

Ich mußte lächeln …

Der Trick war zu alt …

Kein Grasbüschel schwimmt gegen die Strömung. Hoheit, eure Kerle sind blutige Anfänger …!

Fünf Krautbüschel – fünf Köpfe …

Ich riß an der langen Schnur, die wir nach unten bis zu Li gespannt hatten …

Aus dem Strahlrohr schoß eine klebrige Masse heraus – der Motor ratterte – unten im Wasser spritzte die Ölfarbe sausend auf „harmlose“ Grasbüschel …

Viel Vergnügen, Hoheit!!

Die Büschel trieben plötzlich mit der Strömung dem Meere wieder zu … So eine Spritze, auch zum Deckwaschen sehr geeignet, hat einige Kraft, und daß die fünf Kerle verkleisterte Augen hatten, darauf hätte ich schwören mögen.

Ich ruckte abermals an der Schnur, – Li tauchte auf, der Motor schwieg, die Spritze tropfte nur noch.

„Mr. Abelsen, – waren sie hier?“ fragte der Chinese feixend.

„Mach’ die Leine los … Die Brüder fangen wir … Dann an den Motor, Li, – gut aufpassen!“

Das Programm hätte vielleicht glatt erledigt werden können, wenn nicht vom Südufer eine Stimme uns angerufen haben würde.

„Hallo!! Hier Bolk! Schicken Sie das Boot, Olaf!“

Das kleinere Boot war am Heck vertäut. Li kletterte geschwind hinein und ruderte hinüber. Es faßte gerade die acht Mann, und Doktor Alfred Eversams Gepäck.

Peter Bolk stand vor mir – lang, hager, weißbärtig, – drückte mir die Hand … „Da sind wir wieder!“

„Ja – und da sind auch andere, Käpten …“ Ich erzählte.

Eversam schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen, daß das eine Pinasse von der Jacht war, – Jane hält ihr Wort!“

„Scheint nicht so, Doktor …“ – aber diese Frage war jetzt zu nebensächlich.

„Wir müssen verschwinden,“ meinte der Käpten achselzuckend. „Die Flut hat bereits eingesetzt, – in zehn Minuten schwimmen wir auf offenem Wasser, ich kenne draußen jede Korallenbank. Vorwärts, Boys, – rum mit dem Kahn, dann halbe Kraft voraus …“

Die Leute zerstreuten sich, – Eversam und ich ruderten ans Ufer und erkletterten den Berg, pfiffen dann nach Fu, eilten mit ihm zurück, waren wieder an Bord. Der Doktor hatte nur kurz angedeutet, wie die Geschichte mit dem Herrn Gefängnisdirektor abgelaufen war. Der Mann mit der offenen Hand hatte sich schlau den Rücken gedeckt, und ein paar Feilen und eine betrunkene Wache hatten dabei auch eine Rolle gespielt.

Nun, als wir beobachteten, wie Bolk seine Astarte geschickt dem Meere zusteuerte, kam Eversam doch wieder auf Jane zu sprechen. „Ich kenne sie besser,“ verteidigte er sie. „Sie würde niemals eine Zusage irgendwie umgehen, Abelsen.“

„Die Tatsachen reden anders,“ meinte ich nur. „Nachher können Sie das lesen, was als Vorgeschichte unserer Bekanntschaft zu bewerten ist, Doktor … Sie werden staunen. Ihre Hoheit Jane Bellcastle hat ihre Jagdexpedition aus den übelsten Strauchdieben aus Ali Baggo zusammengestellt gehabt und hat nicht Tiere, sondern Menschen gehetzt, und ihr Hauptgehilfe dabei war ein gewisser Terpe, nach dem ich Sie schon fragte, und die Gehetzten waren Bolk und ich … So liegt die Sache, Doktor. Wenn Sie dann noch hinzuaddieren, daß Ihre Hoheit Sie wegjagte, weil Sie ein zu anständiger Kerl sind, und wenn Sie weiter zu Janes Lasten schreiben, daß sie mir meinen Mukki stahl und so eine Art Banditenoper aufführte und nachher hier an Bord aus meinem Rucksack verschiedene Dinge mitgehen hieß, – was kommt dann als Charakterbild heraus?! – Ich danke!!“

Eversam starrte mich groß an.

„Sie nahm etwas mit?!“

„Ja … Aber das können Sie alles lesen. Ich führe Tagebuch … so zu meiner Kurzweil. Es wird Sie interessieren, denke ich. Sie stahl mir Andenken an einen Toten, den Bolk etwas vorschnell mit niederknallte, – Petersen hieß der Mann, und er war Stammgast in Batimars übelsten Spelunken, vielleicht war er nicht ganz gesunken … Eine dunkle Frage neben vielen anderen …“

Der Schoner schlängelte sich bereits vorsichtig durch die Riffe. Von der Pinasse war nichts mehr zu sehen.

Peter Bolk stand unweit von uns am Steuer, neben ihm Fu, an der Reling vorn ein brauner schmalschulteriger Kanake, der die Fahrrinne beobachtete und Zeichen gab.

Bolk hatte das meiste mit angehört. Er kannte den Inhalt von Petersens Brieftasche, er kannte die Karten, das Medaillon, die Uhr …

„Gut, daß das Zeug von Bord ist,“ meinte er brummig. „Hatte doch keinen Wert … Jane Bellcastle mag es sich sauer kochen, – der Henker hole alle Weiber!!“

Der Kanake vorn rief schrill: „Stopp – – ein Mann!! Stopp!!“

Wir beugten uns weit über die Reling.

Auf einer der letzten Korallenzacken, die von der steigenden Flut noch nicht überspült war, stand ein halbnackter Mensch … Er stand nach vorn gelehnt und stützte sich schwer auf eine Stange, es konnte ein Bootshaken sein … Daß er bereits mit seinen Kräften am Rande war, bewies sein häufiges Schwanken, seine schlaffe Kopfhaltung, das Einknicken seiner Beine …

Jeden Augenblick konnte er abrutschen, – er mußte verwundet sein, – sank er in die Tiefe, dann war er auch verloren, denn gerade hier in den äußeren Riffreihen hatten die Haie ihr Jagdgebiet, und aus der vielgestaltige Familie dieser Meereshyänen ist es hauptsächlich der bis zu neun Meter lange Jonashai, der hier wie in allen warmen Meeren das flachere Wasser bevorzugt und gerade deshalb Fischern und Badenden so überaus gefährlich wird. –

Im allgemeinen sind gerade über die Haifische recht irrtümliche Vorstellungen verbreitet. Ich habe noch später mit Käpten Bolk häufig über dieses Thema gesprochen, ihm verdanke ich meine Kenntnis über diese Fischgattung, die zu den ältesten der Erde gehört. Hier interessieren lediglich die Menschenhaie, das heißt jene spindelförmigen Ungeheuer, die den Menschen mit äußerster Frechheit angreifen, – zu ihnen rechnet man lediglich den Blauhai und den Jonashai, ersterer nur vier bis fünf Meter lang, jedoch sogar im Mittelländischen Meer noch sehr zahlreich. Weit gefürchteter ist der Jonashai, – völlig harmlos ist merkwürdigerweise die längste dieser Bestien, der im Eismeer vorkommende Riesenhai, von den Menschenhaien schon durch die kurze Schnauze scharf getrennt. Was sonst noch zu dieser unangenehmen Familie zählt, sind kleinere Geschöpfe bis zu ein Meter Länge, die niemandem etwas zuleide tun, die nur gefräßige Fischräuber und Netzplünderer sind. Aber die anderen, die Carcharidae, die Menschenhaie, – in jedem Seeroman spielen sie eine Rolle – vielleicht mit Recht! Daß sie lebendige Junge gebären oder Eier in Form von vierzipfeligen Hornkapseln legen (sogenannte Seemäuse), auch das war mir neu. Daß ihre mehrfachen Reihen von Zähnen niemals im Kiefer sitzen, sondern nur am Gaumen angewachsen sind, – – dem Durchschnittsgebildeten wohl auch eine Überraschung! Mit dem schönen Märchen, daß ein Haifischkinnbacken sich als Säge benutzen läßt, ist es also nicht weit her. Gewiß, beim lebenden Hai können diese Zahnreihen, oft vier nebeneinander, beim Zuschnappen entsetzliche Wunden verursachen, – aber kein Hai vermag durch einen Biß ein Glied, etwa einen menschlichen Fuß, glatt vom Körper zu trennen. Und dann: Die Menschenhaie haben Augenlider! Sie sind also imstande, die Augen zu schließen, – schon dies gibt ihnen in der großen Familie der Fische eine besondere Stellung. Daß ihre körnige Haut als Handelsartikel ebenso begehrt ist, wie ihre tranreichen Lebern, daß schließlich der Hai seines tief gelegenen Maules wegen sich beim Zuschnappen halb drehen muß, dürfte bekannt sein. –

„Also Jonashaie zwischen den Riffen …!“

Peter Bolk deutete schräg in die Tiefe …

An den grünleuchtenden Korallenwänden schossen lange dunkle Schatten dahin …

„Haifische!“ brüllte der Käpten … „Runter mit dem Boot! Der Mann ist erledigt, wenn er ins Wasser gleitet …!“

Im Nu war das kleine Boot ausgeschwungen, im Nu saßen Eversam, der Kanake Matauo und ich auf den Bänken … Zwei Riffreihen trennten uns von dem Fremden, – das Boot schrammte über Korallen hinweg, – Matauo ruderte wie besessen, – Eversam hielt eine Harpune in der Hand, ich verließ mich mehr auf das neue Jagdmesser, das Käpten Bolk mir gespendet hatte, ein langes, breites, arabisches Messer mit leicht gebogener Klinge … Ich rief dem Manne aufmunternd zu … Er hob kaum den Kopf, er schwankte immer bedenklicher …

„Aristide!“ schrie Eversam da … „Es ist Aristide, der Kammerdiener Janes, – – da – er blutet, seine Jacke ist zerfetzt, – – Aristide, wir kommen!“

Aber der Franzose Aristide d’Oly hörte das nicht mehr …

Seine Kräfte hatten versagt, – er sank nach hinten über, klatschte ins Wasser …

Mit langem Sprung schoß ich über Bord, – ich bekam ihn noch zu packen, doch einer der Haie war ebenso flink gewesen …

Ich sah das Untier, ich tauchte, ich sah den offenen Rachen der Bestie, – mein Messer fuhr blitzschnell über die Kehle hin … dann wurde ich zurückgerissen, taumelte über den Bootsrand, neben mir sackte Aristide zusammen, und vor uns fuhr der Schädel des Ungeheuers hoch – wohl zwei Meter über die Wasseroberfläche, – – ein dicker Strahl Blut fegte uns in die Gesichter, – dann fiel der Hai zurück, seine wütenden Schwanzschläge warfen unser Boot zur Seite, – – in der Tiefe der Riffe kam der letzte Akt des Dramas: Das wunde Tier ward Beute der übrigen, – wir beobachteten dieses Todesringen nicht mehr, wir hatten einen Sterbenden unter uns …

Quer über Aristides dunklem Kopf klaffte eine entsetzliche Wunde.

 

6. Kapitel.

Nächte auf der Astarte.

… Das alles liegt nun acht Tage zurück, aber Aristide d’Oly ist noch immer nicht erwacht, kämpft noch immer mit dem Sensenmann, wird gehegt und gepflegt, Eversam weicht kaum von seinem Lager. Nachts wachen wir abwechselnd. Aristide darf nicht sterben, nur Aristide kann uns das erklären, was sich zwei Tage nach jener Nacht ereignete, – was uns drei Leute kostete. Li ist tot, auch tot. Armer Li. Der neue Koch leistet nichts … –

Es ist Nacht, – nachts halb eins … Der Schoner nähert sich dem Bengalischen Meerbusen, – wir haben guten Wind gehabt, schnelle Fahrt gemacht, Ceylon liegt hinter uns, in der Palck-Straße überraschte uns ein Orkan, und der Treiber ging über Bord. Wir haben ihn wieder aufgefischt, ausgeflickt und verkürzt.

Es ist die Nacht meiner Wache bei Aristide. Er liegt in der Kammer neben der Heckkajüte, ein schmaler Tisch steht an der Wand, davor sitze ich bei halb verhüllter Lampe und habe all das in diesen Blättern nachgetragen, was erwähnenswert war. Auf dem Stuhl neben mir ruht ein gelbliches Fellbündel, – aufgerollt heißt es Mukki und ist ein Fennek.

Armer Li, armer Fennek.

Li büßte bei dem nächtlichen Kampf das Leben ein, Mukki ein Stück seines linken Ohres. Aber Li leidet nicht mehr, nie mehr an Seekrankheit, während Mukki bei starker Brise sich verkriecht und jede Nahrung verweigert. Ich glaube, er wird sich mit dem Meere nie aussöhnen, er leidet an Heimweh nach den Sandwüsten seiner Heimat, er ist mürrisch und träge, und er wird, fürchte ich, Malmotta niemals sehen … er wird an Sehnsucht sterben, und dann werde ich wieder ganz arm und einsam sein.

Ich sitze und rauche kalt. Ich sauge an der Zigarre, die nicht brennt, und ich spüre den vielen Fragen nach, die immer noch ungelöst sind.

Malmotta?!

Insel?! – Ja. – Aber sonst?! …: Das Unbekannte!!

Peter Bolk schweigt nach wie vor. Wenn er einmal seine Anfälle bekommt, dann redet er in genau so unklaren Andeutungen wie damals im Reiche Patumengis. Zuweilen hier an Bord habe ich ihn allen Ernstes für geistesgestört gehalten. Einmal, als es um Aristide d’Oly am schlechtesten stand und der Ärmste wild phantasierte und dabei flehend urplötzlich das Wort Tubana gellend mehrmals hervorstieß, wurde der Kapitän, der uns half, den Tobenden festzuhalten, kreidebleich, taumelte zurück und rannte wie ein Verrückter aus der Kammer.

Nachher fand ich ihn weinend an der Reling. Er schluchzte wie ein Kind, aber all meine zarten Ermahnungen, mir doch endlich die Wahrheit anzuvertrauen, blieben ergebnislos, er wies mich fast grob ab, entschuldigte sich freilich am nächsten Tage bei mir und redete verlegen von seinen angegriffenen Nerven.

Und noch etwas: Peter Bolk ist weit jünger, als ich es je ahnte! Seinem Äußeren nach könnte er siebzig sein. Aber in seinen Papieren, die mir zufällig in die Hände gerieten, auch in seinem Kapitänspatent steht als Geburtsdatum der 1. 7. 1878 angegeben.

Er ist noch nicht fünfzig!!

Ich habe ihn dieserhalb nie befragt, nie ausgeforscht. –

… Meine Gedanken eilen sprunghaft, und die Feder folgt ihnen getreulich. Ich hätte diese Dinge besser der Reihe nach anführen sollen.

Hinter mir atmet Aristide auf seinem Schmerzenslager schwer und keuchend. Sein Gesicht ist voller Bartstoppeln, eingefallen, fahl, gelb, die Schläfen sind eingesunken, aber Eversam hofft ihn durchzubringen.

Der Schoner Astarte gleitet still durch die langen Wogen des Ozeans, dem man hier den unpassenden Namen eines Meerbusen von Bengalen gegeben hat. Ein Meerbusen zwischen Vorder- und Hinterindien?! Nein – ein Meer für sich, vielleicht ein Teil des Indischen Ozeans! Wozu verkleinern die Geographen das Große in so unsinniger Art?! Weshalb reden sie anderswo von dem „Stillen Ozean“?! Als ob dieses Weltenmeer besonders friedlich wäre!! –

… Wir hatten also damals Aristide an Bord gebracht, der Doktor hatte ihn verbunden, wir segelten eilends davon, – zwei Tage geschah nichts …

Dann kam jene andere Nacht.

Es war weit jenseits Aden, jenseits aller Küstenstriche Asiens oder Afrikas auf offener See. Es war elf Uhr, Eversam wachte bei Aristide, und ich war mit dem Käpten an Deck, wir lehnten an der Kajütwand, wir beobachteten die Positionslichter eines Dampfers, der denselben Kurs hielt.

„… Er rückt auf,“ sagte Peter Bolk dumpf. „Damit Sie es wissen, Olaf, – – es ist der Star of London!“

Mir fiel die Zigarre aus dem Munde.

„Die Jacht?!“

„Ja, sie ist nachts stets dicht hinter uns gewesen, Olaf … Am Tage blieb sie zurück … Mir gefällt das nicht.“

Ich hob meine Zigarre auf. „Glauben Sie, daß Jane Bellcastle uns etwa … angreifen will?“

„Sie wird es tun. Bisher war das Meer ihr noch zu belebt. Wir hätten Raketen abschießen können, es hätte uns ein Dampfer zu Hilfe eilen können. Sie ist vorsichtig, Olaf. Sie will ganze Arbeit tun, – ich fürchte, wir alle werden wohl ihrem unsinnigen Haß zum Opfer fallen, und – das bedrückt mich, denn dieser Haß gilt wohl nur mir allein. Das Weib ist ein Teufel, – Sie sehen’s an Aristide, auch der muß ihr Gefolgschaft verweigert haben, und die Quittung war ein Hieb mit einem eisenbeschlagenen Bootshaken, denke ich. So lege ich mir wenigstens die Dinge aus. Wenn Aristide sprechen könnte, wüßten wir vielleicht zu viel …“

Ich konnte hierauf nichts erwidern. Auch ich hatte mir längst, was Aristide d’Oly betraf, dasselbe zusammengereimt. Wir hatten auch mit Eversam das Thema erörtert, aber der Doktor war dabei fuchsteufelswild geworden und hatte Jane wortreich verteidigt.

Der Käpten blickte wieder nach den drei fernen Lichtern hinüber: Grün, rot, weiß … – „Wir werden ihnen die Zähne zeigen, Olaf, wir sind nicht wehrlos, meine Leute haben Waffen, und unten im Kühlraum zwischen den Ballastsäcken ruhte so ein verrostetes Ding von kleinem Gebirgsgeschütz, das ich mal früher einhandelte … Ruhte!! Jetzt ist es in Ordnung, gereinigt, geölt, und Sie werden staunen, wie gut unser Matauo mit dem Granatenspucker umzugehen weiß. Das Schlimme ist nur, daß wir abwarten müssen. Ich möchte meinerseits den Kampf nicht eröffnen … Und das hat seine Nachteile. Die Jacht läuft sechzehn Knoten mindestens, wir vielleicht vierzehn, und die Jacht wird uns zu rammen versuchen …“ Er kaute an dem Mundstück seiner Pfeife und blinzelte abermals zum Gegner hinüber. Seine Stimme war hart und erbarmungslos, sein Gesicht noch faltiger, noch düsterer. „Da – unsere Leute schleppen schon die Sandsäcke nach oben. Aber wir werden uns mit zwei Schutzwehren an der Reling begnügen müssen … Nehmen wir dem Schoner zu viel Ballast, dann schlingert er wie ein besoffener Maurer … Sagen Sie nur Eversam Bescheid … Mich würde er angrobsen, wenn ich diese Vermutung ausspräche. Verliebte Leute sind nicht gescheit, – Narrheit all das Getue mit den Unterröcken, aber im Grunde sind wir nicht anders, Olaf … Wir alle haben einmal gefühlt, was einem ein Weib sein kann … ich wahrhaftig, ich will daher nicht mit Steinen werfen, wo ich selbst doch mal im Glashaus saß … und glücklich war, vielleicht zu glücklich … Malmotta war der Glaskasten … Alles ist vergänglich, und man darf nur hoffen … hoffen … Es muß eine periodische Wiederkehr geben, und das Schicksal wird gütig sein …“ Er murmelte noch irgend etwas, – ich verstand es nicht, ich sah nur seine feuchten Augen, er wandte sich ab und schritt nach vorn, wo der kleine Ladekran kreischend die Sandsäcke durch die Luke hißte. –

Alfred Eversam saß neben Aristides Bett und las in einem uralten Kalender. Als ich leise eintrat, blickte er auf. Aristide röchelte wie ein Sterbender. Es ging mir an die Nerven …

Eversam flüsterte: „Hätte er nicht eine Natur wie ein Nigger, wäre er längst hinüber, Olaf … Ein halber Nigger ist er ja – zum Glück. Der Mann war mir schon auf der Jacht ein Rätsel und Studienobjekt, – ein sehr verschlossener Mensch, dabei gebildet … Über seine Beziehungen zu Jane war ich mir nie recht klar. – Was haben Sie, – Sie sehen so ernst aus?!“ Er rückte die Lampe anders, ihr Schein fiel mir ins Gesicht … „Was gibt’s?! Reden Sie!“

„Kampf. Die Jacht ist hinter uns her.“

Zu meinem Erstaunen nickte er nur. „Ich ahnte es … Heute früh putzte Matauo im Laderaum an einem kleinen Geschütz herum, und vorige Nacht sah ich die Lichter … Jane Bellcastle muß wahnsinnig sein. Aber auch Peter Bolk verdient es, gehörig angeschnauzt zu werden. Ist das eine Art, uns so im Dunkeln herumtappen zu lassen?! Ich las ja Ihre Niederschrift, ich bin kein Grübler und Rätselrater. Es gibt keine Insel Malmotta … Wir waren doch mit der Jacht auch bei den Gilbert-Inseln, wir waren bei der einsamen Baker-Insel weit ostwärts, wir kreuzten acht Tage im Norden der Baker-Insel, – – alles Unsinn, Olaf! Keine Spur von Malmotta, keine Seekarte kennt sie …“

„Nur Petersens vier Karten hatten achtzig Meilen nordwärts ein Kreuz mit Tintenstift, Doktor. Das bleibt bestehen. – Lassen wir das jetzt … Ob wir den Kranken nicht besser hinab in den Laderaum schaffen? Diese Bretterbude von Kajüte ist nicht kugelfest.“

Eversam nickte. „Vielleicht ist’s besser … Packen Sie mit an … Tragen wir ihn samt der Matratze hinab.“ –

Eine halbe Stunde später ging der Tanz los. Die Jacht war dicht hinter uns … Der Doktor, ich, Li und der Japaner Hiruto, unser Maschinist (klingt sehr großartig für einen ausgeleierten Vierzylinder!) lagen am Heck hinter der Sackbarrikade. Rechts von uns hockte Matauo an dem Gebirgsspucker. Die handlangen Zylinder der Granatpatronen lagen griffbereit. Peter Bolk stand am Steuer – ohne jeden Schutz.

Plötzlich ließ er den Schoner scharf wenden, das Großsegel klatschte, – und für drüben war’s wie ein Signal zum Feuern … Schüsse blitzten auf. Bolk warf sich nieder, eine Kugelsaat fegte über uns hin, – – neben mir hörte ich ein dumpfes Klatschen, ein Stöhnen, und Li kollerte zur Seite.

Der Kanake feuerte.

Der scharfe grelle Knall des kleinen Geschützes übertönte das klägliche Heulen meines Mukki …

Drüben gerade mittschiffs funkte ein kurzes Aufleuchten …

Die Granate saß, – die zweite auch, und atemlos beobachteten wir, wie die Jacht in kurzem Bogen davonjagte.

Sie hatte genug. Mehr als zwei dieser Pillen wollte Ihre Hoheit nicht schlucken.

Li lebte noch. Aber die Kugel war ihm durch den Hals gegangen, er verblutete, er starb bei vollem Bewußtsein, während der Käpten neben ihm kniete und seine Hand hielt.

Zwei andere von uns hatten Kopfschüsse erhalten. Fenneks linkes Ohr hatte die Spitze verloren – wie wegrasiert, und als Eversam die Blutung durch Eisenchlorid zu stillen suchte, schnappte Mukki und verriet seine Raubtiernatur durch böses Fauchen.

… Das war jene Nacht, in der Jane Bellcastle der Appetit auf weitere Angriffe verging, – jene Nacht, in der drei eingenähte Tote in die See glitten und Käpten Bolk das wenig passende Gebet sprach: „Ihr wart treu, – ihr sollt gerächt werden, – das Weib und der Schuft, der sich Jan Terpe nannte, werden baumeln! Amen!“

Es waren nicht diese rachsüchtigen Worte – der Ton war’s! Noch nie hatte ich Peter Bolk ein paar Sätze derart zischen gehört … Es klang wie das Zischen eines Reptils, und sein Gesicht war steinern und ohne Erbarmen, die drohend erhobene Faust paßte gut zu alledem …

Mich fröstelte, und auch Eversam sagte nachher zu mir: „Dieses Abenteuer nimmt Formen an, die mich erschüttern, Olaf … Und ich bin bei Gott kein Waschlappen.“

– … Ich sitze mit dem Rücken nach Aristides Lager hin und sauge wieder nachdenklich an der kalten Zigarre.

Der Kranke atmet stoßweise, wirft sich hin und her, stöhnt …

Man kann in solcher Nachbarschaft schwer die Gedanken ordnen. Und ich möchte es, ich will endlich irgendwie ein paar der dunklen Hüllen von diesem ganzen Geheimnis herunterreißen. Es muß gehen. Es ist doch schließlich Stoff genug vorhanden …

Was weiß ich – was weiß ich bestimmt:

Zunächst: Peter Bolk ist nicht verrückt, auch seine „Anfälle“ sind nur wie jähes Öffnen des Ventils eines überhitzten Kessels – seines nie zur Ruhe kommenden Hirns! – Bolk ist Kapitän, Bolk hat zuletzt für eine Bremer Reederei einen Frachtdampfer geführt – – vor einundzwanzig Jahren. Das ersah ich aus seinen Papieren. Von diesem Zeitpunkt aus klaffte eine Lücke in seinem Lebenspfad. Den Schoner Astarte besitzt er erst seit fünf Jahren, fünf Jahre trieb er sich im Roten Meer umher, schmuggelte, handelte, schacherte mit Patumengi, soff in Batimars Kneipen elenden Fusel … und blieb doch ein ganzer Kerl. Über seinem ganzen widerspruchsvollen Charakter liegt ein Mantel von Melancholie und Zerfahrenheit, ein dicker Mantel, schon mehr Panzer. Streift er ihn ab, wird er überraschend jung und bedrohlich energisch.

Das ist Bolk.

Dann die Mitspieler, Gegenspieler …

Von der Besatzung des Schoners weiß niemand etwas über diese Lücke in Bolks Leben. Einer vielleicht: Matauo, der Kanake, – – vielleicht. Aber der schmalbrüstige, kultivierte Insulaner hütet seine Zunge.

Wußte Patumengi etwas?

Ich bezweifele es.

Doch drei Personen könnten diese Lücke zweifellos ausfüllen: Jane Pers, verheiratete und verwitwete jungfräuliche Herzogin von Bellcastle.

Dann jener Terpe, Gefangener der Doko, – ein junger Mensch zweifelhafter Natur.

Drittens: Aristide d’Oly, Franzose, aber mit farbigem Blut in den Adern wie Jane. –

… Viel ist hiermit nicht anzufangen.

Weiter also:

Malmotta!

Das Unbekannte …

Eine Insel?! Wirklich eine Insel?!

… Ein anderer Gedanke kommt mir plötzlich.

Es kann auch ein Schiff sein!

Merkwürdig, daß ich noch nie daran gedacht habe! Ein gesunkenes Schiff, das irgendwelche Geheimnisse mit in die Tiefe nahm!

Bolk besitzt ein älteres Schiffsverzeichnis, herausgegeben von Lloyds, London. – Ich gehe leise in die Kajüte nebenan, wo der Käpten und Eversam fest schlafen, und hole mir den dicken zerschlissenen Band, blättere leise darin … Der Buchstabe M nimmt nur fünf Seiten in Anspruch. Fahrzeuge unter tausend Tonnen sind nicht mit aufgeführt. Mein Finger gleitet über die wunderlichsten Namen hinweg und stoppt …

Wahrhaftig: Malmotta!!

Ich fühle drei, vier raschere Herzschläge. Die Erregung verebbt …

Malmotta, Brigg, 1800 Tonnen, Privateigentum, Besitzer und Kapitän Peter Bolk, geb. 1. 7. 78 zu Bremen. – Südseefrachter, Tour Honolulu – Hebriden, Samoa-Inseln.

Also doch!! –

Ich trage das Buch zurück, aber – was habe ich im Grunde durch diese Feststellung gewonnen?!

Nichts!

Ich bleibe neben Aristides Bett stehen. Denke: „Wenn du sprechen wolltest, könntest! – Du weißt etwas!“

Der Kranke scheint meine Nähe zu spüren. Er wird unruhiger …

Plötzlich öffnet er die Augen, immer weiter, größer, starrt geradeaus …

Ich beuge mich über ihn, und der matte Blick trifft mein Gesicht. Seine welken, verfallenen Züge bekommen einen gespannten Ausdruck, – kein Zweifel: Er ist bei vollem Bewußtsein, er erkennt mich!

Seine Lippen bewegen sich …

Ich lausche …

Nur ein Hauch: „Trinken … bitte!“

Auf dem Tischchen, das wir in einer Pendelvorrichtung am Kopfende des Bettes angebracht haben, stehen in Vertiefungen, mit Watte umhüllt, damit sie nicht klirren, Fläschchen und Gläser: Medikamente, auch kalter Tee und ganz wenig Whisky.

Ich hebe Aristides Kopf behutsam empor und führe ihm das Glas an die Lippen. Er trinkt gierig, sinkt zurück, schließt die Augen und atmet regelmäßiger.

Alfred Eversam hat uns darauf vorbereitet. „Kommt er durch, wird er vielleicht die Erinnerung verloren haben – vielleicht …“

Ich fürchte mich, hierauf die Probe zu machen.

Ich warte.

Aristide regt sich wieder. Er schaut mich an.

„Mr. Abelsen, was …“ – dann versagt ihm die Stimme.

Er lächelt gequält, verzweifelt.

„Liegen Sie ganz still,“ flüsterte ich …

Sein Blick irrt umher … Er sucht zu erkennen, wo er sich befindet.

„Sie sind in Sicherheit, Aristide, – auf dem Schoner Astarte … Wir haben Sie gesund gepflegt, Sie waren sehr krank, als wir Sie von der Korallenklippe bargen …“

„Jane?“ haucht er fragend.

„Jane Bellcastle wollte Sie beseitigen lassen, das wissen Sie …“

„Das … ist … nicht … wahr!“ und die bleichen Wangen röten sich. „Jane – – niemals!! Wie … kommen Sie … darauf, darauf?!“

In seine Züge tritt ein hilfloser, unsicherer Ausdruck …

„Das … kann … nicht … sein, Mr. Abelsen …!“

Und dann:

„Tubana – – oh, Tubana, – – niemals!“ – seine Stimme bebt in seltsamer Sehnsucht!

Nochmals – noch klarer:

„Oh – – Tubana, – – niemals! Es … es waren ja … Schwestern …!“ Hinter mir ein Geräusch …

Hinter mir steht Käpten Bolk in derbem blauem Leinenhemd …

Geisterbleich …

Mehr Gespenst als Mann.

Seine Hand krallt sich um meine Schulter …

„Hinaus, Olaf …!! Hinaus!!“

Einem Wahnsinnigen gleicht er … Aber seine eisernen Muskeln leben, – – er drängt mich zur Tür …

„Hinaus!!“

Ich sehe noch, wie er vor dem Bett in die Knie sinkt.

Dann schließe ich die Tür, nachdem auch Mukki mit hinausgeschlüpft ist.

Ich bin benommen wie nach wüstem Fiebertraum … Was bedeutete das?!

Tubana?!

Wieder Tubana!!

Ich taste mich bis zum Schranke der Kajüte … trinke aus der Flasche, meine Nerven brauchen ein Anregungsmittel.

Von Eversams Koje ein Hüsteln:

„Teufel nochmal, Käpten, – Sie sollen nicht so viel saufen!“

„Der Säufer bin ich, Eversam … Tubana spukt wieder, und der Käpten kniet neben Aristides Bett und weint.“

 

7. Kapitel.

Eine Probe Taifun.

Doktor Eversams Antwort auf diese meine Andeutungen ist in Worten schwer wiederzugeben. Obwohl Eversam sonst untadeliger Gentleman ist, der von der schmalen Linie zwanglos-vornehmen Kavaliertums selten abweicht, hat er doch Momente, wo seine schottische Herkunft und die Derbheit heimischer Berge sich irgendwie Luft macht.

Nachdem er mich also derart abgefertigt hatte, stürmte er in seinem ebenso untadeligen Nachthabit in die Kammer und …

… ja, und blieb dicht hinter der Tür wie angewurzelt stehen und drehte sich langsam nach mir um.

„Wo sind die beiden, Olaf?! Wolltest du einen dummen Witz machen?!“

Ich mache selten Witze. An Bord der Astarte schon gar nicht. Hier ist niemandem nach Witzen zumute, es sei denn Hiruto, dem kleinen Japaner, dem Herrn des Vierzylinders, eines altehrwürdigen Motors mit sämtlichen Heimtücken solch einer alten Kaffeemühle.

Das Bett und die Kammer waren leer, wie ich nun ebenfalls mit eigenen Augen sah. Da die Kammer nur ein Fenster und die eine Tür besitzt, da ferner keinerlei raffinierte Doppelwände, klug verkleidete Falltüren oder Dachluken vorhanden sind, sondern der ganze Heckaufbau harmlos und schlicht wie ein Kaninchenstall wirkt, blieb des Rätsels Lösung ebenso schlicht und einfach: Aristide und der Käpten waren aus unbekannten Gründen durch das offene Fenster auf das Deck geschlüpft.

So hätte man urteilen können, wenn Aristide gesund gewesen und wenn beide sich darüber einig gewesen, die Kammer lautlos zu verlassen …

Aus unbekannten Gründen – gut!

Aber Aristide war ein Genesender im allerersten Stadium, und Käpten Peter Bolk wieder war ein schlichter, stiller Mann, dem derlei Kletterpartien durchaus fernlagen.

Eversam trat an das offene Fenster. Dieses ging nach Backbord hinaus, und zwischen Kajütaufbau und Reling war noch ein schmaler freier Durchgang – genau wie auf Steuerbordseite.

Alfred Eversam faßte in die Tasche seiner hellen Pyjamajacke, klemmte das Monokel ein und stieg auf den Bettrand. So konnte er den Oberkörper ohne Mühe durch das Fenster schieben.

Ich selbst wartete seine weiteren etwas umständlichen Untersuchungsmethoden nicht ab, sondern ging mit Fennek an Deck und sah hier sofort, daß die Dinge doch weit ernster lägen, als es anfänglich geschienen hatte.

Steuermann Fu lag am Steuerrad zusammengekrümmt da und hielt zwar noch die Radspeichen in ehernem Pflichtgefühl umklammert, aber – er war tot.

Mit einem Schlage erwachte ich. Ich war munter gewesen, aber mir hatte doch noch jener letzte Anstoß gefehlt, der all unsere Kräfte urplötzlich einschaltet, geistige wie körperliche.

Ein Blick über die See zeigte mir verschwommene Nebelfetzen – hier eine Seltenheit. Der Himmel war bewölkt, die Dunkelheit lastete schwer über den träge rauschenden Wogen und über unserem kleinen Schoner.

Ein merkwürdig ekler Geruch stieg mir in die Nase – nach brennenden Lappen – dergleichen. Ich kannte ihn. Das war eine Lunte. Ich ahnte auch bereits die Zusammenhänge.

Ich brüllte der Deckwache zu, die vorn hin und her schlenkerte: „Hallo – flink zwei Laternen!!“

Dann schob ich Fu’s Körper etwas beiseite und brachte den Schoner wieder in den Wind.

Eversam tauchte auf …

„Olaf, was ist geschehen?!“

„Die Jacht,“ sagte ich nur … „Hier, nehmen Sie meinen Posten ein … Fragen Sie nicht.“

Die Deckwache kam angelaufen. Es war Matauo, der Kanake.

Wir leuchteten umher. Außenbords hing an einer Schnur eine große Blechbüchse. Ihr entstieg der Qualm. Ich schnitt die Schnur durch und schleuderte die Bombe nach hinten in den Gischt. Dicht über dem Wasser explodierte sie mit fürchterlichem Getöse und verscheuchte drei Haifische, die uns seit gestern das Ehrengeleit gaben. Weiteren Schaden richtete sie nicht an, und eine zweite Bombe fanden wir nicht. –

Fu hatte einen Stich durch den Rücken ins Herz und eine Hanfschlinge um den Hals. Nur die Dunkelheit und der Nebel hatten es ermöglicht, daß ein Boot sich dem Schoner nähern konnte. Zuerst hatte man Fu beseitigt, und dann war Peter Bolk in der Kammer ebenfalls irgendwie stumm gemacht worden.

Aristide und Bolk waren eben entführt worden.

Daß Eversam abermals seine Würde vergaß und anerkennenswert fluchte, änderte nichts an der Tatsache, daß wir nunmehr hier bis auf vier Mann zusammengeschmolzen waren: Eversam, Hiruto, Matauo und ich, – fünfter vielleicht noch Mukki, aber er war nicht gut zur Besatzung zu rechnen.

Wir vier beratschlagten am Heck. Matauo redete nie viel. Er betonte nur, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, es seien allerdings gerade in der kritischen Zeit sehr dichte Nebelmassen über den Schoner hinweggezogen.

Im Südteil des Meerbusens von Bengalen, möchte ich hier noch erwähnen, gehört Nebelbildung zu den größten Seltenheiten.

Dieser Nebel war mir sofort aufgefallen.

„Es war kein echter Nebel,“ erklärte ich. „So weit ich mich erinnere, sollen gerade hier, wo wir im Süden die uralten Erdbebengebiete der Sunda-Inseln Sumatra und Java in der Nähe haben, sehr häufig unterseeische Beben und Vulkanausbrüche flüchtige Dampfwolkenbildungen hervorrufen. – Prüfe mal mit der Nase den Geruch, Eversam!“

Der Doktor schnupperte. „Ich möchte sagen: es riecht nach Schwefel.“

Es roch auch nach Schwefel. Und kaum zehn Minuten später war die See wieder klar, auch das Gewölk verlor sich.

Als wir den braven Fu nach Seemannsart bestatteten, hielt ich diesmal die Ansprache. Mir waren Peter Bolks Worte noch gut im Gedächtnis, die er vor fünf Tagen den anderen drei Opfern Jane Bellcastles mit auf den nassen letzten Weg gegeben hatte. Ich benutzte dieselben Worte, und meine Stimme war genau so erbarmungslos wie die unseres Käpten:

„Du warst treu, du sollst gerächt werden, – das Weib und der Schuft, der sich Jan Terpe nannte, werden baumeln! Amen!“

Neben mir seufzte Eversam unterdrückt, Mukki winselte leise, Hiruto murmelte in seiner Sprache noch ein Gebet, und der Körper klatschte in die See.

Nun war ich Kapitän der Astarte, Eversam übernahm die Kombüse, Matauo avancierte zum Steuermann, und Hiruto erhielt andere Ämter: Steward, Matrose, Maschinist, Segelmeister – alles in eins.

Wie es mit unserer Stimmung an dem Morgen bestellt war, – – leicht auszumalen! Wenn wir die Jacht damals vor unser Geschützrohr bekommen hätten, würde der Ozean ein Wrack mehr mit Mann und Maus verschlungen haben!! Aber der Star of London blieb unsichtbar, die Sonne stieg über den dunstigen Horizont empor, das Meer beglückte uns mit seiner einsamen Schönheit, und unsere Herzen wurden wieder freier. – –

Es sind abermals Tage verflossen.

Wir fünf (Fennek eingerechnet) sind jetzt mißtrauisch wie Mantelpaviane.

Ja – Mantelpaviane. Denn diese Affenart hat das System des Selbstschutzes bis zur höchsten Vollkommenheit ausgearbeitet. Das weiß ich am besten. Eine Herde Paviane zu beschleichen, das glückt nicht einmal dem gerissensten Leopard.

Wir haben bereits Lehrgeld bezahlt, wir hätten diesen nächtlichen Zwischenfall vermeiden können, – wer trägt die Verantwortung dafür?!

Ich!

Ich bin zwar kein Seemann, aber ich bin in meiner Vaterstadt und Hafenstadt Göteborg doch so halb auf dem Wasser aufgewachsen, ich habe später die Erde so ziemlich in allen Winkeln kennen gelernt, ich habe dort, wo die Stürme das Kap Hoorn umbrausen (nicht Horn mit einem o, denn der Seefahrer, nach dem es benannt ist, hieß nun einmal Hoorn), mit Coy und Chubur und Chico auf winzigem Nachen die Kanäle durchkreuzt, habe mit einer Insel aus Stahl mich bis Australien treiben lassen, – – das Meer ist meine Heimat geworden wie die ganze Welt – wie jene Welt, die nicht „Welt“ ist, sondern Einsamkeit und Urwüchsigkeit und Ehrlichkeit und Schlichtheit …

Ich hätte daran denken müssen, daß Käpten Bolk mit seinen melancholischen Gedanken sich nicht recht dazu eignete, dieser Niedertracht und Hinterlist zu begegnen! Ich hätte mich um unsere Sicherheit kümmern sollen – ich – nur ich.

Alfred Eversam ist gewiß ein ganzer Kerl, aber ihm haftet noch zu viel Kulturlack an. Das macht die Sinne stumpf.

Und die anderen?! …

Sie waren „Besatzung“, – sie gehorchten, taten ihre Pflicht – nicht mehr als das, denn dieses „Mehr“ lag ihnen nicht. Auch das will gelernt sein: Selbständig zu handeln!! –

Die Jacht hat sich nicht wieder gemeldet. Wir schwimmen jetzt auf den blauen Fluten des Stillen Ozeans … Nicht immer sind sie blau, blaugrün, grün oder fahl wie graues Tuch … Wenn der Orkan sie hochpeitscht, sind sie hellgrünes Glas mit weißen Spitzen, flüssiges Glas, das Abgründe und Berge gebiert und unsere Nußschale tanzen läßt …

Stiller Ozean, Pazifik, Großer Ozean, Südsee – alles dasselbe!

Ein Ozean, der so gewaltige Ausdehnung hat, daß er größer an Flächenraum ist als die fünf Kontinente, – inselreicher als jedes andere Meer.

… Es ist eine friedliche Abendstunde, in der ich diese Zeilen in der Kajüte schreibe. Neben mir auf dem Tische liegt ein Buch aus Peter Bolks spärlicher Bibliothek:

Die geschichtliche Bedeutung des Stillen Ozeans.

Von Graf Wilczek und Weule.
(Leipzig 1899)

Was ich sonst hier an Wissenswertem festhalte, verdanke ich Matauo, dem Kanaken.

Für den Europäer brachte als erster Vasco Nunez de Bilbao 1514 eingehendere Kunde über das „Mar del Zur“, die Südsee. So nannte dieser Forscher den Pazifik, – also „Südsee“. Die spätere Bezeichnung Stiller Ozean, Pazifik, rührte von Magelhaes her, nach dem die stürmische Straße bei Kap Hoorn bekannt ist. Er durchsegelte den Pazifik in drei Monaten von Osten nach Westen zu, und da er dabei nicht einen einzigen Sturm erlebte, kam er zu dem trügerischen Schluß, es mit einem sehr friedlichen Gewässer zu tun zu haben. Später, weit später, als erst die gierige Hand der Europäer den Frieden der zahllosen Inselgruppen zu stören begann, bezeichnete man mit „Südsee“ lediglich noch einen Teil des Pazifik, und nur dieser Teil interessiert mich jetzt, da mitten darin der Kern des Geheimnisses von Malmotta liegt.

Ich habe mir aus Peter Bolks Kartenmaterial eine kleine übersichtliche Skizze zusammengestellt, die mir zur Orientierung dienen soll.

Mit den Bezeichnungen Mikronesien, Melanesien, Polynesien weiß der Durchschnittsmensch nichts anzufangen. Und in dem Gewirr von Inselgruppen weiß erst recht niemand Bescheid – die Fachleute ausgenommen. Und doch läßt sich alles unschwer überblicken …

 

 

Bei der Baker-Insel (nördlich davon noch die Howland-Insel) habe ich ein Kreuz eingezeichnet. Diese beiden Inseln, Baker und Howland, liegen so fern von jedem Verkehr, so abseits der anderen Gruppen, daß niemand an ihnen ein rechtes Interesse hat. Sie sind besiedelt gewesen, wurden wieder verlassen, Insulaner von der südlichen Phönix-Gruppe wagten zuweilen die Überfahrt, immerhin an hundert deutsche Meilen, flüchtige Verbrecher benutzten sie als Schlupfwinkel, – man weiß nicht viel von ihnen … –

Und doch waren gerade sie unser Ziel. Gerade sie, denn im Norden klafft dort ein riesiger leerer Fleck in der Südsee, unbekannter als die Eiswüsten an den Polen, eine Wassereinöde, die nie ein Segel, nie den Rauch eines Dampfers sieht … Selbst die längst veralteten Schriften bekanntester Reiseautoren haben dieses Meeresteiles nie gedacht, – ein Stevenson, ein Jack London begnügten sich mit der Schilderung von Menschen, Dingen, Verhältnissen, die neben der breiten Heerstraße der Sportbummler lagen … Abseits vom Alltagswege sind auch sie nicht gewandelt. Was sie vor dreißig, vierzig Jahren schrieben, ist längst Märchen geworden. Die Insulaner haben vom Europäer viel gelernt, selten Gutes, – die „Kultur“ brachte ihnen lediglich den schärferen Schnaps, die Feuerwaffen, die moderne Kleidung, die Profitgier und … Krankheiten.

Das merkten wir, als wir – wieder nach Tagen – in eine der Laguneninseln des Gilbert-Archipels einliefen, um Trinkwasser und Benzin einzuhandeln.

Der Name der Insel tut hier nichts zur Sache. Sie hat eine „Hauptstadt“ mit drei Kneipen, in denen das staunende Auge alles fand, was auch in einer „Bar“ in Bombay, Kairo, Schanghai oder sonstwo zu sehen ist …

Neben der Einfahrt in die Lagune standen riesige Wellblechschuppen, sauber gemauerte Kais, unsaubere freche Polizisten, faules Gesindel, Lärm, Gestank – – nichts fehlte, jede Illusion zu zerstören.

Dreitausend Einwohner sollte die Ringinsel haben …

Mag sein.

Wir waren froh, als wir abends wieder mit der Ebbe die Lagune verlassen konnten.

Was halfen da die wundervollen Palmen, die dichten Büsche, die Taubenschwärme, der helle Korallenstrand?!

Ich hatte mir diese einst so seligen Inseln vorgestellt mit halbnackten, frohen, harmlosen Menschen, mit graziösen Mädchen, Blumen im Haar, – – all das war einmal!

Vielleicht wohnte die Romantik anderswo …

Eversam lachte mich gründlich aus. „Wenn du die Urwüchsigkeit derer kennenlernen willst, wirst du wohl die entlegensten Inseln aufsuchen müssen. Weiber und Mädchen, nur mit dem einst üblichen Ridi, dem Schürzchen aus geräucherten Fasern der Kokospalmblätter bekleidet, – Männer wie köstliche Bronzestatuen mit freiem Blick, ungezwungener Haltung, behängt mit Muschelketten, Armspangen und billigem und doch dekorativem Tand, – – die Kultur fraß das alles! Du sahst ja die Gilbert-Damen mit europäischen Hüten vorvorletzter Mode, mit Seidenfähnchen, mit Talmischmuck aus Fabriken in Birmingham, mit grellen Sonnenschirmen, – die natürliche Keuschheit dieser Insulanerinnen kapitulierte vor dem allgewaltigen fremden Gelde, – das Mannsvolk klettert nicht mehr in die Palmenbäume empor, um Palmensaft abzuzapfen und Palmenwein daraus zu bereiten, Brandy und Gin und Teufelsgesöff dunkelster Art versengt ihnen Hirn und Seele, – die meisten verdingen sich bei den reichen Pflanzern, sind entnervte Kulis geworden, – – es war einmal ein Paradies, heute ist’s trauriger Niedergang, denn zu einem geistigen Aufstieg reicht’s bei diesen Südseekindern nicht, soll’s auch nicht reichen, – der Europäer ist der Nutznießer, mild ausgedrückt …“

Wir standen am Heck, und die Abendsonne legte ihr Feuerkleid über die große, palmenreiche Ringinsel …

In meinem Herzen war etwas erstorben: Ein Traum aus Jugendtagen …! Die Gefilde der Seligen hatte ich hier erhofft, und ich hatte die traurige Fratze einer europäisch übertünchten Unnatur gefunden! Das Gedudel der Bars, das anmaßende Schachern mischblütiger Händler, die eindeutige Keckheit von Weiberaugen ließen sich nicht vergessen.

Vergoldet im Abendglanz lag auch die Kirche der „Hauptstadt“ da, – einer Glocke Gebimmel erreichte mein Ohr, vielleicht strömten jetzt die Bekehrten in das Haus Gottes, vielleicht war es ihnen tief innere Sehnsucht nach etwas Besserem, – – nur – ich glaubte nicht daran.

Langsam versank die Insel unter dem Horizont, – jäh kam die Nacht, die Sterne erschienen, und um uns her war wieder die freie, große Weite des Ozeans …

Ich atmete auf. – –

… Und sitze nun wieder über meinen Blättern, lese hier und dort ein Stück, grüble und prüfe, vergleiche und spüre dem Rätsel von Malmotta nach.

Wie immer.

Der Kanake Matauo, von dem ich Aufschluß über so manches zu erhalten hoffte, war in dieser Hinsicht eine Niete. Sein lichtbraunes, ehrliches Gesicht von fast europäischem Schnitt, seine dunklen klaren Augen hatten nur Staunen ausgedrückt. – Malmotta?! – Er wußte nichts … Der Käpten hätte wohl hin und wieder eigentümliche Reden geführt, aber im übrigen – –, – er machte eine verneinende Handbewegung …

Auch auf dem Atoll bei den gerissenen Händlern hatte ich mich erkundigt – ganz vorsichtig … Ob vielleicht dort im Norden von der Baker-Insel einmal eine Brigg gesunken sei … vor langen Jahren … mit wertvoller Ladung.

„Eine Brigg, – was soll die dort?! Der Guano, den die Seevögel auf Baker- und Howland-Insel angehäuft hatten, ist längst geplündert … Und um Palmholz zu holen, – dazu fährt man nicht Hunderte von Meilen, das bekommt man anderswo schneller …“

Wieder also nichts, wieder nur der Griff ins Dunkle …!

Und doch, niemand wird es mir ausreden, gibt es dort irgend etwas, dort inmitten des leeren Ozeangebietes östlich des Gilbert-Archipels, das andauernd Käpten Bolks greisen Kopf beschäftigt haben muß und das auch Jane Bellcastle, dem jugendlichen Terpe und Aristide d’Oly das Hirn fast verwirrte … Jane Bellcastle wurde zur Verbrecherin, Terpe war ein Spion, Aristide wurde Jane als Mitwisser unbequem, – und Peter Bolk sollte sterben, damit er niemals jene Stelle im Ozean erreichte, wo – – etwas zu finden war – – was?!

Ja – – was?!

Alfred Eversam hat das Rätselraten längst aufgegeben. Ich ahne, was ihn lediglich noch an dieser Fahrt ins Ungewisse interessiert: Jane!! Wir werden der Jacht begegnen, davon bin auch ich überzeugt, wir werden mit Jane Bellcastle abrechnen, und Eversam wird dabei nicht müßig zusehen …

Nur: Er hält sie für schuldlos! Er nimmt an, sie habe ein Recht so zu handeln, wie sie’s tat, – das Recht auf Vergeltung! Der Käpten, dabei bleibt er, ist kein harmloser Phantast … – Und wenn Eversam mir dies vorhält, erinnert er stets an die Ereignisse in Patumengis Reich, an die drei Erschossenen …

Wir streiten dieserhalb nicht miteinander, jeder bleibt bei seiner Meinung, obwohl, um ehrlich zu sein, die Verteidigung meiner Ansicht ohne innere Überzeugung geschieht. Ich spüre das, es ist das mehr Gefühlssache, aber nicht wegzuleugnen. Jane Bellcastles Persönlichkeit hat auf mich doch wohl einen nachhaltigeren Eindruck gemacht, als die Umstände dies bedingten, und die Zweifel, die sich in mir regen, melden sich immer stärker und bestätigen beinahe Alfred Eversams anderen Motiven entspringendes Eintreten für eine Frau, die es dort an der Küste des Roten Meeres wohl lediglich auf Petersens Papiere abgesehen hatte. Was später geschah: Der Angriff durch die Jacht, Aristides und Bolks Entführung, – das sind Punkte, für die es vielleicht auch eine bessere, Jane nicht belastende Deutung gäbe. –

Wir vier hier an Bord, nein fünf, halten tadellose Kameradschaft. Hiruto und Matauo sind Gefährten, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Der Japaner ist lebhaft, energisch, schlau, dennoch nie voreilig. In seiner kleinen Gestalt steckt jener ungeheure Lebensimpuls, der sein Volk zur Großmacht erhob. Matauo, der Kanake, ist echter Polynesier, seine Heimat ist eine der Tonga-Inseln, von Kindesbeinen an lebte er auf dem Meere, war Schiffsjunge, Matrose, Steward, Händler, Aufkäufer von Kopra für eine amerikanische Firma, wurde wieder Seemann, kam vor vier Jahren bis Bombay, traf dort Käpten Bolk und blieb bei ihm. Er ist mit dem Schoner so eng verwachsen, daß er ihn geradezu wie eine Gottheit liebt, – er betreut unser Schiff, er ist nie untätig, flickt das Tauwerk, teert es, pinselt, putzt, wäscht und hat trotzdem jenen melancholischen Einschlag, der mich immer wieder vermuten läßt, er müßte mehr wissen – mehr als er zugibt … Aber über Malmotta, nein, – da lügt er nicht … Er weiß nichts. –

Kanaken …! – Man liest die Bezeichnung so oft. Kanaken bedeutet lediglich „Menschen“ und bezieht sich in engerem Sinne auf die Bevölkerung der Hawai-Insel, bedeutet jedoch auch soviel wie Polynesier überhaupt. – Und noch etwas: Kopra! – Eversam schnitt einmal dieses Thema an, als wir dicht vor der Laguneninsel einem mit Kopra beladenen Segler begegneten und dies schon von weitem rochen. Kopra ist nichts anderes als die in der Sonne oder in Dörrapparaten getrockneten Kerne der Kokosnüsse, die bis zu 80 Prozent Fett enthalten und in Europa zu Kunstfett, Kognak und … Viehfutter verarbeitet werden. Dieser Kognak ist natürlich nur Kognakersatz, aber die Tatsache bleibt bestehen: Kognak!! – Das Kokosnußfleisch (von reifen Früchten) dient den Konditoreien als Mandelersatz – wie bekannt. Die Gesamtausfuhr an Kopra aus der Südsee (deren Hauptexportartikel) wird auf 40 000 Tonnen jährlich geschätzt. – Das so nebenbei … Auch wieder nicht so nebenbei, denn es kam eine Zeit, in der ich ohne die Kokosnüsse verhungert wäre …

– – Die Sonne ist längst verschwunden, in klarer Sternennacht bei günstigem Winde segeln wir ostwärts.

Wir segeln auf einem Strich, den ein jeder kennt: auf dem Äquator entlang, der mitten durch die Gilbert-Inseln läuft, der südlich der Baker-Insel weiter durch die Gruppe der Sporaden den Globus umkreist.

Aber wir denken nicht an Äquatortaufe und ähnliche Scherze, – wir denken nur an unsere eigene Sicherheit, wir haben das Geschütz wieder an Deck gebracht, das wir in der Laguneninsel verstecken mußten vor den Schnüfflerblicken der Zollbeamten und Polizisten, die uns ohnedies nicht recht zu trauen schienen. Ein Schoner ohne Fracht, nur bemannt mit vier Leuten, – ein Kapitän, der sich Peter Bolk nannte (und Abelsen hieß), – – es gab da kitzliche Minuten, und lediglich Eversams vollwertige Pfundnoten beschwichtigten die Neugier der hohen Behörden … Geld wirkt überall bestechend. – Sogar die Sandsackbarrikaden haben wir wieder aufgetürmt. Eversam hat recht: Vorsicht ist besser als Nachsicht, und wenn es nötig wird, werden wir drauflosknallen, daß die Planken fliegen, aber nicht unsere eigenen.

Eversam und Hiruto schlafen schon. Der Kanake lehnt am Steuer, – ich schreibe … Der Fennek streicht ruhelos in der Kajüte umher … Was hat er nur?! – – „Mukki, hinlegen!!“ – Mukki denkt nicht daran. Er kommt zu mir, reibt sich an meinen Schenkeln … läuft zur Tür, läuft an Deck … kehrt zurück. – Auch Eversam wälzt sich auf seinem Bett, stöhnt, erwacht …

„Die Hitze!!“

Es stimmt schon. Es ist heiß …

„Geh schlafen, Olaf!“ fügt er hinzu.

Ich sage nichts, ich blicke nur auf das plumpe Holztintenfaß … Die Ränder erscheinen mir seltsam hell … – als ob sie leuchteten … Und mein Auge hebt sich … An der Wand hängt das Barometer, – der lange schwarze Zeiger steht ganz tief … Vorhin, das weiß ich, stand er zwei Daumenbreit höher …

Also das ist’s!

Sturm droht …

Im Nu habe ich meine Blätter weggepackt … Eversam schlüpft schon in die Kleider.

„Runter mit den Sandsäcken!“ rufe ich dem Doktor zu und laufe zu Matauo.

Ich überschaue den Horizont … Der Wind ist flauer geworden, – hinter uns im Westen liegt ein schwarzer Strich über dem Ozean. – Der Kanake, der zumeist Pfeife raucht, sagt gleichgültig:

„Ein Taifun, Herr …“

Urplötzlich sehe ich, wie übermäßig die Luft mit Elektrizität geladen ist: Die Reling, die Taue, die Mastspitzen – – alles leuchtet in gelblichem Feuer, St. Elms-Feuer nennt’s der Seemann … Auch das Tintenfaß hatte dieselbe Lichterscheinung gezeigt.

Noch ist der Himmel über uns sternenklar. Aber dort hinten der pechschwarze Strich, ganz deutlich erkennbar, wölbt sich an den Enden mit einemmale nach oben, und diese Enden schillern immer intensiver in einem unnatürlich wirkenden, gelbroten Feuer – wie Riesenfackeln, die ruhig brennen – oder wie Wolkenfetzen, hinter denen die Abendsonne die ganze Pracht ihres Farbenspieles entfaltet.

Sind’s nur Minuten – wirklich nur Minuten, – – die beiden Fackeln haben sich vereint, spitzen sich zu, ragen immer höher in den Himmel hinein, erlöschen, – – was nun dort hinten lauert, ist ein schwarzer Keil, die gelbliche Spitze nach oben, und von dieser Spitze ziehen sich gelbliche Streifen langsam abwärts, etwa wie breite Seidenbänder einer phantastischen Dekoration eines Riesenschaufensters …

Und das sind die Luftwirbel, das sind die Unheilstifter, die ungeheuren Saugpumpen, die den Ozean aufwühlen, kochen lassen, Wellenberge zu Schaum zerwühlen …

Ich starrte wie gebannt auf das unheimliche Phänomen. Ich kenne Wirbelstürme, ich kenne die Tornados der Pampas, ich kenne die kleinen, bescheidenen Cyklone, die vielleicht mal eine Wasserhose gebären und doch nur Kinderspiel sind gegenüber dem Sturmgiganten, der dort anmarschiert kommt – lautlos, immer mehr anwachsend, immer mehr in den Konturen verschwimmend, immer rasender in seiner Schnelligkeit …

Mit einem Schlage ist das ganze Firmament pechschwarz …

Kein Luftzug …

Meer und Äther erwarten den Angreifer …

Er kommt …

Eversam brüllt mir etwas zu.

Ich erwache …

Wir werfen die Sandsäcke über Bord, wir bergen die Segel, lassen nur den Motor laufen …

Wir schnüren uns die Korkwesten um, Fennek bekommt ebenfalls solch ein plumpes Ding, – wir zurren Taue über Deck …

Der Schweiß rinnt mir aus allen Poren … Ich spüre in allen Nerven das Gespenst, das herbeischleicht, geboren aus dem Nichts …

Und noch immer kein Laut … Nur Finsternis.

Trübe glotzen die Laternen durch das Dunkel.

An den Masten, Tauen, allen Vorsprüngen glüht das warnende Feuer von St. Elms. Unser Schoner ist ein Gespensterschiff geworden …

Dann hoch aus den Lüften hinter uns – nicht von einer Stelle, von links und rechts, während die Mitte schweigt, ein tiefes Orgeln, Heulen, Brausen, – jäh ansteigend zu schrillem Kreischen einer ganzen Höllenbrut von Teufeln …

Irgend etwas packt mich … schlägt mich – wie ein Brett, das man mir gegen den Leib haut … Ich falle …

Ich greife noch nach Mukki, kralle die Finger in sein Nackenhaar …

Irgend etwas saust über das Deck hin …

Der geflickte Treiber knickt um, – im Nu ist er verschwunden …

Ein Wasserberg folgt …

Ein Berg stürzt auf die Deckplanken, quetscht mich zusammen … Wasser … Wasser …

Ich ringe nach Atem …

Schlucke Wasser …

Und der Berg entflieht … ein zweiter folgt.

Dann wird unser Schifflein vorwärtsgerissen.

Es schwebt fast, es gleitet, fliegt …

Neue Wassermauern folgen …

Wir stürmen durch Nacht und infernalisches Getöse, durch Wogen und saugende Wirbel, durch Wände von weißem Gischt …

Die Gedanken stocken, das Hirn streikt, – die Kläglichkeit dessen, was Menschenhand schuf, diesen Schoner, – die Kläglichkeit dessen, was wir Menschlein selbst darstellen, hämmert uns der Taifun ein …

Wir fliegen … mit dem Sturm …

Vielleicht ist es unsere Rettung, daß der Schoner so wenig Ballast führt …

Wir sind wie ein Strohhalm, mit dem der Herbstwind über staubige, düstere Felder rast …

Man liegt da … klammert sich fest …

Alles ist tot in uns …

Man hat lediglich das Empfinden einer ungeheuren Spannung, als ob man unter einem Dynamitfaß läge, das jeden Moment explodieren muß.

Jedes Schätzungsvermögen für Zeit und Entfernung hört auf … In den Ohren rauschen die sprudelnden Wasser, rauscht das Blut noch stärker, das Herz hämmert, die Lunge keucht, – – Augenblicke halber Ohnmacht folgen, Augenblicke, in denen man fürchtet, der eigene Leib würde in Atome zerstieben …

Dann – – ein Stoß – – kein Stoß, – ein Hieb von der Faust eines nie gekannten Titanen.

Holz splittert, Taue spannen sich, klingen hell wie Bogensaiten – – reißen …

Irgend etwas schlägt mir über den Hinterkopf – – unter mir öffnet sich das berstende Deck, – der Schoner sinkt, – ich sacke mit, die Sinne schwinden mir …

Totenstille.

Nichts mehr.

Der Tod!? – –

Das war mein Taifun …

 

8. Kapitel.

Unsere Insel.

Taifun – die Chinesen sagen Taifung –, wir könnten sagen Teufelswind, – – berufenere Federn haben ihn beschrieben, und fast jeder, der ihn erlebte, schilderte ihn anders.

Weshalb der Taifun ausgerechnet auf die ostasiatischen Gewässer und einen Teil der Südsee sich beschränkt, weiß niemand. Niemand hat bisher ergründet, wie diese Wirbelstürme innerhalb weniger Stunden sich zusammenballen können und sich vorher anzeigen durch sprungweisen Barometerfall und eigentümliche, sehr verschiedene Wolkenbildungen.

Man hat besonders empfindliche Instrumente konstruiert (Barozyklonometer), die den Taifun nicht nur anmelden, sondern auch die Richtung angeben, in der er über den Ozean fegt. Man hat einwandfrei festgestellt, daß der Taifun ein ringförmiger Sturm ist, das heißt: In seiner Mitte, dem „Auge“, herrscht fast stets Windstille.

Und die breiten saugenden Windstreifen, die „Seidenbänder“, die den Keil umgeben, – das sind die Ungetüme an Kraft und Vernichtungswillen, das sind die Füße des Taifuns, die über das Meer rasen mit einer Geschwindigkeit bis zu vierzig Kilometer in der Stunde.

Vierzig … Kilometer, – – also vierzigtausend Meter … in einer Stunde …! –

Kein angenehmer Bursche, der Taifun. Ein sehr rücksichtsloser Herr … Pflückt Schornsteine, Masten, Aufbauten von Schiffen wie lose Lappen. Wütet zwei, drei Stunden …

Dann ist auch ihm der Atem ausgegangen. Oft schon früher.

– – Das war mein Taifun …

Denke ich daran zurück, staune ich nur über eins: Daß ich lebe!

Denke ich daran zurück, dann kommt mir wohl auch flüchtig der Gedanke, daß es so manchem Großen der Erde, der sich aufbläht und glaubt, um ihn drehe sich die ganze Welt, sehr dienlich wäre, nur ein einziges Mal so ein Zipfelchen eines Taifuns am eigenen Leibe zu spüren! Vielleicht wären diese „Lenker der Geschicke der Völker“ fortan gründlich kuriert.

… Und hier, wo ich dies nun der eilenden Feder anvertraue, – hier würden diese Großen vielleicht auch gesunden, wenn sie auch nur ein wenig Sinn für die Schönheiten der Natur besäßen, jenen Sinn, der dankbar jede Einzelheit unvergleichlich schöner Landschaftsbilder hinnimmt und dessen tiefster „Sinn“ schließlich auf das einzig wahrhaft Gute hinausläuft: Freude an der Natur, Freude an allem, das sie uns freiwillig schenkt – ohne Maschinen und Geräte, ohne gärtnerische Gelahrtheit, ohne Kunst: Das Unberührte, Freie, daher Edle, daher wirklich „Große“ … –

Unsere Hütte aus Blättern und Zweigen und dem Dach der Kajüte der Astarte steht im Grünen auf dem flachen Gipfel des Berges. Nach Osten zu schließt sich an diesen Berg, der seinen vulkanischen Ursprung durch allerlei klare Zeichen verrät, die Laguneninsel unmittelbar an. Die fleißigen Korallentierchen haben an diesen Berg ein Atoll, eine Ringinsel mit einer einzigen Durchfahrt angeklebt – in Jahrtausenden …

Grün der ganze zerklüftete Berg mit den tiefen Lavarillen, mit den schroffen Ufern, – vielleicht fünfzig Meter hoch, vielleicht zweihundert unten im Durchmesser, – grün der Ringstrand des Korallenteiles dieser Insel, deren Namen ich nicht kenne, auch nicht kennen will.

„Name“ ist schon Entweihung.

Es ist die Insel, unsere Insel …

… Grün der Ringstrand, Palme an Palme, Busch an Busch, Blume an Blume …

Paradies, – nicht das Paradies der Enterbten, sondern das Paradies der Geläuterten.

Die Lagune, der Binnensee, mag fünfhundert Meter Durchmesser haben, der Korallenstrand ist nirgends breiter als fünfzig Meter, an manchen Stellen sogar nur zehn Meter, und dort ist er kahl, dort fegt der Sturm in die Lagune hinein und hat all den fruchtbaren Guano und den verwitterten Kalk, die Erde, längst weggespült, spült ihn immer wieder weg.

Bisher hatten wir hier keinen Sturm erlebt. Und genau acht Tage sind dahin, seit Jane Bellcastle mich aus der Brandung zog und – – meinen Mukki …

Da waren wir so gut wie tot, der Fennek und ich … Da waren wir vollgepumpt mit Seewasser, zerkratzt, blutend, zerschunden …

Am Morgen nach dem Taifun fand Jane uns, als die Sonne friedlich lachte und die Palmen rauschten und knisterten und die schwache Brandung ein zahmes Lied sang.

Da fand sie uns, die Einsame.

Ich erwachte …

Da saß sie neben mir am Fuße der Palme, und unsere Blicke ruhten lange ineinander.

„Das hatten Sie wohl nicht erwartet, Mr. Abelsen,“ sagte sie mit müdem Lächeln …

Irgend etwas, das noch sehr schwach auf den Beinen war, schob sich näher und kroch auf meinen Schoß: Fennek mit dem Schlappohr!!

Er hatte ein Schlappohr seit jener Schießerei, die ihm einen Teil des linken Ohres kostete, und er sieht jetzt ein wenig komisch aus, der treue Mukki.

Mukki ist ein schamloser Egoist. Nur er will beachtet sein. Jetzt mehr denn je. Seine Freudenbezeugungen lenkten meine Gedanken ab, bis er sich beruhigt hat und ich Jane fragen kann: „Wie kommen Sie hierher? Wo sind wir?“

Auf ihrem Antlitz ist keine Spur von Schminke mehr, ihr weißes Leinenkleid, die Schuhe, die Seidenstrümpfe – – Lumpen nur noch!

Die Herzogin von Bellcastle erwidert mit demselben müden Lächeln: „Ich kam zwölf Stunden vor Ihnen hierher – ich schwamm, Sie und Ihren Fennek trieb eine freundliche Strömung an diesen Strand, an diese leere Insel … Wir sind allein hier, wir drei …“

Mein wirres Hirn klärte sich allmählich.

„Hier – trinken Sie, Mr. Abelsen …“ – und sie hielt mir eine halbe Kokosnuß hin, in der noch das weiße Fleisch schimmerte. „Es ist Whisky mit Quellwasser … Der Whisky stammt aus der Kajüte, die nach Ihnen samt anderen Wrackstücken angesegelt kam. Der Taifun zog südwärts vorüber, ich spürte hier wenig davon.“

Ich trank, und dann … kippte mein Magen um. Nachher fühlte ich mich weit kräftiger und trank nochmals. Das behielt ich bei mir.

„Entschuldigen Sie …“ meinte ich doch etwas verlegen …

„Oh, es war ja nur Seewasser, und wir beide werden wohl das Schamgefühl etwas herabmindern müssen, Mr. Abelsen … Robinson und Frau Robinson, – ich bitte Sie!“ In ihren dunklen Augen zwinkerten kleine Teufelchen harmloser Schelmerei.

Ich gab ihr die Hand. „Sie haben mir und Mukki das Leben gerettet, Jane,“ sagte ich zwanglos-herzlich. „Ich danke Ihnen. Wir wollen alles Geschehene vergessen, wir sind hier aufeinander angewiesen, wir wollen gute Kameraden sein …“

„Vielleicht,“ – und sie schaute zur Seite.

Zwischen den Gräsern und dem Korallengeröll lag der Zinkkasten, der mein Tagebuch stets verschloß. Er war offen …

Eine peinliche Pause …

„Sie haben gelesen, Jane?“

„Ja – alles. Aber das ist ja so gleichgültig … Was bedeutet uns noch die Vergangenheit?! Nichts! Wir sind abgeriegelt von aller Welt, – ich war dort oben auf dem Berge, ringsum nichts als Wasser – Meer – Himmel – Einsamkeit. Diese Insel gehört zu keinem Archipel … Sie liegt völlig abseits. Es kann die Baker-Insel sein – kann … – Zwei Menschen, die wenig Aussicht haben, je wieder mit anderen in Berührung zu kommen, sollten unter das Einst einen Strich ziehen und ein neues Blatt ihres Lebensbuches beginnen – – und schreiben: „Zwei Menschen, durch das Geschick aneinander geschmiedet, sprechen nie mehr über Vergangenes!“ – Wollen Sie das tun, Olaf? – Es klänge lächerlich, wollte ich Sie noch fernerhin Mr. Abelsen anreden.“

Ich zauderte, überlegte. „Nur eine Frage,“ bat ich. „Woher schwammen Sie an dieses Gestade? Ist Ihre Jacht untergegangen.“

Sie krauste etwas die Stirn.

„Wäre sie untergegangen!! Wäre sie gesunken, Olaf!!“ Ihre Stimme war hart und bitter. Dann beherrschte sie sich wieder. „Es muß Ihnen genügen: Ich schwamm von der Jacht hierher, die noch ein wenig den Taifun zu kosten bekam – zu wenig! – Und damit ist’s genug … Haben Sie Hunger?“

Ich aß das Fleisch einer Kokosnuß … –

So begann der erste Tag.

Aus diesem einen Tage sind nun acht geworden, und vieles hat sich geändert. Ich habe mit Jane die Wrackteile geborgen, wir haben diese Hütte gebaut, die in der Mitte eine Scheidewand hat, – jeder hat sein Gemach. Eine Küche brauchen wir nicht, denn wir haben weder Kochtöpfe noch Fleisch. Wenn wir in der Lagune Fische fangen, rösten wir sie gleich am Korallenstrand am offenen Feuer. Aber wir fangen selten etwas … Die Lagune ist zum Teil sehr flach, dann wieder abgrundtief, und wenn wir ins Wasser waten, fliehen die Fische … Wir haben kein Boot, kein Floß – noch nicht. Wir sind Vegetarier … Für Seevogelbraten danken wir. Und auf unserer Insel gibt es leider keine Tauben, die doch sonst auf allen Atollen anzutreffen sind. Fennek frißt mit Behagen Kokosnuß, – Fennek liebt Jane, und zuweilen verschwindet er nachts von meinem Graslager und besucht Jane und bleibt bei ihr. Dann schlafe ich stets sehr schlecht.

Es ist ein wundervolles Leben auf unserer Insel. Jane und ich begreifen jetzt so recht, wie paradiesisch das Dasein der Südseeinsulaner gewesen sein muß, bevor die Europäer dieses sonnige Nichtstun, dieses köstliche urwüchsige Charakterbild harmloser Naturkinder gründlich und für immer vernichtete. Arbeit gab es nicht … Die wenige Arbeit war mehr Spiel, Zeitvertreib. Lebensmittel wuchsen diesen Glücklichen buchstäblich in den Mund. Daß sie zum Teil Menschenfresser waren, daß blutige Kämpfe, Piratenfahrten, gelegentlich auch ein Mord jähe, krasse Abwechslung brachten: Es wurde schnell vergessen! In sauberen Pfahlbauten, in sauberen Hütten, in reich geschnitzten Booten, unter strahlendem Himmel, in reiner Luft, in strenger Ehrbarkeit, Keuschheit und primitiver Aufrichtigkeit flossen ihre Tage dahin … Die Häuptlinge der einzelnen Inseln führten ein strenges, gerechtes Regiment. Wuchs aus ihrer Zahl einmal ein besonders befähigter, großzügiger Kopf hervor, dann unterwarf er sich die Nachbarinseln, gründete ein größeres Reich, hielt sich eine stattliche Truppe von Kriegern … Trotzdem blieb das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten stets ein durchaus patriarchalisches. War der „König“ bei Laune, ordnete er ein allgemeines tagelanges Gelage von Palmwein an, – man tanzte mit Blumen im Haar, man bezechte sich, – – all dem blieb immer der kindlich-naive Anstrich.

Ja, – wir begriffen nun, was man diesen Glücklichen gestohlen hatte, als man ihnen „die Kultur“ schenkte …! Man bestahl sie um ihr Bestes: Um die Herzensreinheit, die auch der Mörder besitzen kann, dem der Mord nicht als Verbrechen gilt!

Wir lebten ebenfalls wie Kinder … Wir badeten, schwammen in der Lagune, wir schliefen, fischten, suchten Kokosnüsse, wir berührten nie die Vergangenheit, unsere Gespräche drehten sich um Dinge, die uns allein angingen, unsere Insel, den Fennek, die Seevögel und … die Stechmücken.

Leider gab es hier nur zu viel davon. Sobald der Abend anbrach, überfielen sie uns in ganzen Schwärmen. Da half nur Feuer und Rauch. Da halfen nachts nur die von uns selbst geflochtenen Decken, die wir auf Pfählen um unsere Lagerstätten schnürten. Jane lernte das Flechten überraschend schnell. Sie war geschickt, eifrig, fast künstlerisch … Sie färbte diese Palmfasermatten mit Blattgrün und Schneckenrot, – eines Tages erschien sie selbst in einer Art Kittel, unter dem sie nur noch einen Lendenschurz trug. Wir näherten uns sehr schnell echt paradiesischen Zuständen.

Und doch …

Diese acht Tage zeigten mir, daß zwei Menschen vielleicht unter dem Einfluß einer ungewohnten Umgebung und völlig veränderter Lebensbedingungen für eine Woche Vergangenes ausschalten können. Vielleicht so lange …

Schon gestern gab es zuweilen in unserem müßigen Geplauder beklemmende Pausen, wenn das Gespräch doch einmal Dinge zu streifen drohte, die für uns tot sein sollten.

Heute entschlüpfte mir unbewußt der Name Aristide. Das war für Jane und mich wie ein lähmender Blitz. Wir starrten uns fast entsetzt an, und – dann trennten wir uns – – angeblich um notwendige Arbeiten zu verrichten.

Jetzt, wo Stunden darüber verstrichen sind, wo ich allein hier in meinem Hüttengemach an dem Tische aus Peter Bolks Kajüte sitze, haben wir uns noch nicht wieder zueinander gefunden.

Es war Unnatur, ein derartiges Bündnis zu schließen, – und ich will mit Jane noch heute allen Ernstes dieses Unsinnige erörtern und den Widersinn aus der Welt schaffen …

Schon deshalb, weil ich es nicht länger ertrage, meine toten Gefährten angeblich nicht zu betrauern, – es ist unwahrhaftig, eine Lüge gegen mich selbst. Ich denke so oft an den munteren geschwätzigen Hiruto, so oft an den stillen Matauo, noch häufiger an Alfred Eversam, der doch Jane geliebt hat, der sie verteidigte, der tausend Entschuldigungsgründe für sie fand.

Und Jane weiß dies. Jane hat mein Tagebuch gelesen. Sie weiß, was ich ihr zur Last lege, sie weiß alles …

Und – – wir sollen schweigen!! –

Ich werde mit ihr reden … Es soll keine Schranke zwischen uns aufwachsen … Wie sollten wir beide dann in dieser Einsamkeit, jeder innerlich noch vereinsamt, weitervegetieren?!

… Ich höre draußen ihren Schritt …

Sie geht eiliger als sonst …

„Olaf!!“

„Ja, – und?!“ – Sie hat die Türmatte gehoben … Trotz des Abendglanzes erscheint ihr Gesicht verfärbt …

„Olaf – – die Jacht!!“ stößt sie hervor und taumelt mir in die Arme … zitternd, von Sinnen …

„Olaf, – – es … es gab ja schon damals in Batimar Meuterei an Bord … Die Meuterer töteten den Kapitän, suchten Aristide zu töten …“

Ihr Kopf ruht an meiner Schulter …

„Olaf, – mich hatten sie eingekerkert … Die ganze Zeit … Hier erst, als der Taifun die Jacht streifte und allen der Untergang drohte, ließen sie mich frei – – und ich sprang über Bord …! So war’s …“

Ein Vorhang war zerrissen. Eversam hatte doch recht gehabt: Jane war schuldlos!

„Ich glaube dir …“ – und ich bog ihren Kopf zurück … Wir blickten uns an … „Jane, mußte wirklich erst das Meutererschiff erscheinen, um dich zu einer so wichtigen Erklärung zu zwingen?! – Verzeih’ mir …“

In ihren Augen glühte die Angst …

„Sie werden dich töten … Rizzard, der Erste Offizier, ist ihr Anführer … Er muß irgendwie erfahren haben, daß mein Riesenvermögen von Malmotta stammte, – er wollte Malmotta finden, er gewann die Besatzung für sich, er …“

„Was … ist Malmotta?“ fragte ich atemlos.

„Du … weißt es nicht?! Ich glaubte, du wärest von Bolk eingeweiht worden … Malmotta ist zweierlei, Olaf …: Eine Insel und eine Brigg …!“

„Und – wo liegt die Insel?“

„Irgendwo nördlich der Baker-Insel …“

„Und die Brigg?!“

Ein hilfloses Lächeln irrte um ihre Lippen.

„Da fragst du mich zu viel … Ich kenne von alledem nur Bruchstücke – wie du! Aber dich – dich kenne ich bereits von dem hohlen Mbuju-Baum her, der mein Gefängnis war … – Olaf, Jan Terpe und ich sind eins, – ich war Jan Terpe, und John Friedrich Petersen, den Bolk erschoß, war mein Vater …“

Sie war totenbleich geworden …

„Ja – mein … Vater,“ wiederholte sie … „Hier …“ – sie riß das Medaillon von ihrer Brust, das ich einst dem Toten abgenommen hatte, „– hier – – dies gab mir Gewißheit, Olaf, dieses winzige Bild eines Säuglings …! Hättest du je das Bild aus dem Medaillon genommen, würdest du auf der Rückseite gelesen haben:

Johanna Petersen,
Malmotta, 2. 3. 1905.“

Ich starrte sie wortlos an … All das kam zu plötzlich, zu überraschend. Ich brauchte Zeit, Ordnung in meine Gedanken zu bringen.

Zeit?!

Und dort draußen auf See die Jacht mit den Meuterern?!

„Komm’, Jane, beobachten wir das Schiff … Ein Glück, daß die Dunkelheit naht … Rasch, packen wir zusammen, was uns wertvoll …“

Es war bereits finster, als der Star of London vorsichtig durch die schmale Einfahrt in die Lagune einlief, Anker warf und ein Boot aussetzte …

 

9. Kapitel.

Die Meuterer.

Als das Boot knirschend auf den Korallenstrand auflief, lagen Jane und ich keine zehn Schritt entfernt in den Büschen. Wir kannten hier jeden Baum und Strauch, jede Bodenfalte, jede Kluft des Berges. Das hatten wir vor den Feinden voraus. Das wollte ich vorsichtig ausnutzen, denn so, wie die Dinge nun einmal sich zugespitzt hatten, gab es für uns nur eine Rettungsmöglichkeit: Mit demselben Boote zu fliehen, das soeben hier fünf bewaffnete Leute gelandet hatte! Der sechste war als Wache in dem Kutter verblieben und saß auf der Ruderbank, eine Büchse über den Knien, das Gesicht dem Ufer zugekehrt. Es war ein älterer Mann, klein von Gestalt, aber breitschultrig, mit einem verwilderten grauen Vollbart und gewaltigen Pranken, die durchaus geeignet schienen, sehr unsanft zuzuschlagen.

Die fünf blieben zunächst auf dem hellen Streifen des Lagunensandes stehen und äugten mißtrauisch umher. Sie alle trugen weiße Leinenanzüge und Strohhüte mit Bändern und Nackenschleiern. Der hagerste und längste von ihnen, sehr patent in eine doppelreihige Jacke eingeknöpft, war Malcolm Rizzard, der Erste Offizier, jetzt Piratenkapitän, – Jane flüsterte es mir leise zu.

Ich sah das scharfe Profil dieses Mannes gegen den hellen Himmel, – ein Gesicht von verwegenen Linien, mit dünnen grausamen Lippen und einer kühnen Adlernase.

„Ich erkannte sie genau mit dem Glase – sie war’s!“ sagte Rizzard gedämpft. „Wir müssen sie fangen … Sie wird uns mitteilen müssen, was wir noch nicht wissen … Es hätte keinen Zweck, blindlings weiter nach der Insel zu suchen. – Vorwärts, trennen wir uns … Waffen hat sie nicht, und …“

Das weitere entging uns, – die fünf schritten nach rechts davon, der eine kehrte dann zurück, zwei schienen den Berg zu erklimmen, zwei verteilten sich nach Osten zu. Derjenige, der wieder an uns vorüberkam, nahm es mit seiner Aufgabe sehr ernst. Er durchsuchte jeden Busch, er behielt dabei die Umgebung im Auge, – die sternenklare Nacht half ihm ganz wesentlich, er hatte auch eine große Schiffslaterne bei sich, und als er in einer Höhe mit dem Boote war, rief er der darin sitzenden Wache zu, ihm doch eine Schachtel Zündhölzer zuzuwerfen. Der alte Graubart tat’s, und den Moment benutzten Jane und ich, unser gefährdetes Versteck zu verlassen und näher dem Bergabhang ein neues zu wählen.

Diesen Mann mit der Laterne mußte ich unbedingt haben. Ich brauchte seinen Anzug, seinen Hut, – mein Plan war fertig, es hieß rasch handeln.

Jane war verständig genug, mich nicht etwa durch irgendwelche Bedenken zurückzuhalten. Im Gegenteil, von einer Frau ihres besonderen Zuschnitts konnte ich mir nützliche Hilfe und tatkräftigstes Einspringen versprechen. Wer wie sie damals an der Küste Afrikas und an der abessinischen Grenze in Männerkleidung so überraschend energisch und klug vorgegangen war, wer wie sie damals sich von der Jagdexpedition getrennt und auf eigene Faust Petersen, Joicker und Mortison gefolgt war, um endlich irgendwie gerade über Petersens Persönlichkeit sich Gewißheit zu verschaffen, wer wie sie hier auf unserer Insel täglich und stündlich ebenso viel praktischen Sinn wie Einfühlungsvermögen gezeigt hatte, – einer solchen Frau durfte ich schon getrost in dem abenteuerlichen Va-Banque-Spiel, das uns letzte Rettung verhieß, auch eine schwierigere Rolle zuweisen.

Wir waren denn auch in wenigen Minuten gegenseitig im klaren, ein paar hastige Sätze genügten, diese Rollen zu verteilen.

Mit dem seligen Frieden unseres Eilandes war es vorüber …

Es ging hier jetzt hart auf hart. Und wie immer, wenn die Umstände von mir fast Übermenschliches verlangten und die Aussicht auf Erfolg geradezu winzig erschien, befiel mich jene beinahe beglückende Ruhe und Zuversicht, die alle hemmenden Erwägungen zurückdrängt und Geist und Körper zu einer gehorsamen Maschine macht.

Jane erhob sich aus dieser zusammengeduckten Haltung und ließ ihr Insulanergewand herabgleiten. Was sie darunter trug, war wenig und behinderte sie beim Schwimmen nicht. Ich hörte noch, wie sie zwei Äste leise abknickte … Dann war ich, meinen Fennek neben mir, schon hinter dem Laternenmann her. – Mukki paßt sich jeder Situation an. Mukki hat sehr viel hinzugelernt. Es ist erstaunlich, wie rasch dieser wilde Wüstenfuchs, den ich einst halb erwürgt aus einer Schlinge befreite, ohne Dressur aus eigenem Instinkt sein Verhalten den Umständen nach einzurichten weiß. Ein ganz sanftes Schnalzen mit der Zunge genügt, ihn dicht hinter mir wie angekettet zu traben, – er merkt es meinen Bewegungen an, wenn es gilt, jedes Geräusch zu vermeiden, er schleicht, wenn ich schleiche, – er macht halt, bevor noch mein Fuß völlig stockt, dabei wird er niemals lediglich gehorsamer, behutsamer Automat werden, – was mir entgeht, spürt er mit seinen feineren Sinnen unweigerlich, dann stupst er sanft mit seiner Nase gegen mein Bein, und das Warnungssignal genügt. Damals, als wir mit Vincent Turst, dem geheimnisvollen Doktor „mit Fett“, die Felsenburg der Affenkönigin beschlichen und ringsum menschliche und vierbeinige Bestien lauerten, hat er mehr als einmal im letzten Augenblick eine Unvorsichtigkeit verhütet …

Damals …

Ja – wundervolle Tage, Wochen waren es, als wir von Gefahr zu Gefahr eilten und schließlich doch siegten … Wenigstens – Turst siegte, er eroberte sich zurück, was er verloren hatte, er zog nordwärts in kultivierte Gegenden mit dem Weibe seines Herzens und ich – – ritt ostwärts mit Patumengi …

Wenn das Leben ein Erleben ist, ist es reich. Wenn das Dasein nur das bietet, was jeder mühelos am breiten Wege des Alltags von bestaubten Sträuchern als matte Blüten vorgetäuschter Abenteuer pflücken kann, ist es arm und wertlos. Aber das Dasein zwingt alle, alle auf diese breite Straße des Alltagstrotts, – die Welt, die Einsamkeit wäre nicht mehr meine Welt, wollte jeder versuchen, sein inneres, tieferes Sehnen nach ungebundenem Vagantentum zu befriedigen. In jedem schlummert es. Fast in jedem … Es ist wohl Urerbteil unserer Urväter, die doch zumeist Jägervölker waren … Und aus diesen wurden allmählich Hirtenvölker, Ackerbauern, – aus diesen wieder in den letzten Jahrhunderten die Heere und Horden der Industriesklaven. – Ist es hier in der Südsee anders gewesen?! Der Gang der Entwicklung ist fast der gleiche, nur daß hier der Europäer mit seinen zweifelhaften Segnungen sogenannter Zivilisation aus harmlosen Naturkindern gerissene Schacherer oder Plantagenkulis machte!

… Ich bin abgewichen von dem, was in klaren Bildern mir noch gegenwärtig ist. Und da ich nun einmal den Gedanken die Zügel locker ließ, sei es auch gleich gesagt, daß ich diese langen Seiten auf Malmotta schreibe – auf der Insel Malmotta, aber auch auf der Brigg Malmotta, die hier zwischen Korallenfelsen und faulenden Baumstümpfen ruht wie in einem grotesken Trockendock.

Malmotta, das Unbekannte, schrieb ich einst. – Noch sind nicht alle Fäden geknüpft, die einen übersichtlichen buntschillernden Gobelin ergeben … Der Gobelin hat Lücken … Links oben sehe ich, wenn ich mir diesen Wandbehang, der einen neuen Abschnitt meines Lebens darstellt, im Geiste vorstelle, einen Reitertrupp, der einen steilen, von Abgründen und Wasserfällen umgebenen Berg verläßt: Patumengi, ich, die Doko … Und in der Mitte des linken Randstreifens sitze ich auf der Veranda des Baumpalastes des Zwergenkönigs, neben mir die kleine Doko-Prinzessin als Samariterin, meine Augen kühlend, die doch bereits alles sahen – auch die Baumhöhle, in die man Jan Terpe eingesperrt hatte …

Jan Terpe, Jane Pers, Johanna Petersen, später Herzogin von Bellcastle …

Ein Alexander Dumas hätte daraus einen dreibändigen Roman komponieren können.

… So reiht sich auf dem Gobelin Einzelheit an Einzelheit … Das Mittelstück ist noch nicht ausgefüllt. Auch das wird geschehen.

„… Du hast ganz recht, kleiner gelber Mukki mit dem Schlappohr, daß du mich soeben mit der Nase sanft, ganz sanft stupst … Wir sind ja noch gar nicht auf Malmotta, sondern noch immer auf der wunderschönen Insel, wo du das Fleisch von Kokosnüssen fressen lerntest und umhertolltest am Strande, wenn Jane und ich badeten … Wasserscheu bist du geblieben. Du badest nicht. Das Meer ist dir verhaßt. Du schlucktest Ozeanwasser wie ich – zu viel, aber Jane zog uns aus der Brandung, und du liebst Jane …

Damals auf „unserer“ Insel, abends zehn Uhr etwa, als wir dem Laternenmann nachschlichen, – – kleiner lieber Fennek, da habe ich deiner trotz deiner Nähe wenig gedacht … Ich hatte einmal einen Freund, Mukki, der hieß Coy Cala, der lehrte mich alle Schliche und Kniffe der Pampasindianer von der Gallegos-Bucht. An den habe ich gedacht …

Und er war unsichtbar neben mir, als es galt, dem strammen Matrosen mit der Laterne, diesem Meuterer vom Star of London, so eins zu versetzen, daß er auch nicht einen Laut von sich gab und auch nicht die Laterne fallen ließ.

Wie Gespenster waren wir hinter ihm drein. Du mit deinen weichen Pfötchen, ich mit nackten Füßen, denn unsere Insel ist nun einmal ein Korallenatoll, und die kahlen Stellen des Bodens würden unter einer Stiefelsohle knistern und knirschen …

Nackte Füße.

Strümpfe, Socken: Es war einmal! Selbst wenn Jane Stopfbaumwolle gehabt hätte, – die Löcher waren nicht mehr zu reparieren.

Wie Gespenster …

Der Kerl vor uns war ein gerissener Kunde, – der gab sich keine Blöße, der hielt in der Linken die mir so lästige Laterne und in der Rechten so einen kleinen schwarzen Kugelspucker …

Und doch ereilte ihn sein Schicksal. Ahnungslos brachte er einen breiten dichten Buschstreifen zwischen sich und die Lagune und die ankernde Jacht, – ahnungslos watete er durch die hohen Gräser, in die seine Leuchte ohne Klirren versinken würde.

Zwei flüchtige Sprünge, ein blitzschneller Hieb mit dem knorrigen Knüttel, ein ebenso rascher gegen seine rechte Hand … – dann Hände um seine Kehle, – – ein dumpfes Gurgeln, ein paar Zuckungen … Als er gebunden und geknebelt im Dickicht lag, als ich in seinem weißen Tropenanzug prunkte und in seinem Tropenhut, kehrte ich mit der Laterne und dem Spucker und einem malaiischen Dolche schleunigst um und näherte mich dem Kutter, in dem der Graubart jetzt seine Pfeife in Brand gesetzt und die Büchse abseits gelegt hatte.

Die Herren Meuterer, die das scheue Reh Jane einkreisen wollten, hatten sich’s bequem gemacht, hatten gleich den Kutter, der die Jacht so behutsam durch die schmale Einfahrt in die Lagune geschleppt hatte, zum Ausbooten der Jäger benutzt.

Dank euch, ihr Herren! Den Kutter kann ich brauchen.

Der Graubart sieht mich nahen, ich halte die Laterne halb empor, er kann von meinem Gesicht nichts erkennen, Fennek ist dort an die Palmen gebunden – vorläufig, – – Jane muß längst die Lagune durchschwommen haben …

Und – es klappt …

Ich habe die Zeit richtig abgeschätzt …

Drüben über dem stillen Binnensee jetzt ein schriller Schrei …

Eine Feuersäule schießt hoch …

Ein völlig verdorrter Palmenstamm, dessen gerupfte Rinde wie Zunder brennt, wird zur Fackel.

Was nur irgend Augen im Kopfe hat, starrt dorthin, wo die Lohe hochflackert …

Auch mein Graubart …

Ich springe in den Kutter – über die Bänke – … Armer alter Schuft, – – du störst nicht mehr …

Zurück zu Mukki, mit Mukki zurück zum Boot, – – abstoßen, – Motor anwerfen … Steuer herum – – Kurs: Einfahrt!!

Das Schifflein – Allah segne den Erbauer – läuft wie ein Windhund … Der Motor knattert, knallt, – – dann haben die Kerle doch Argwohn geschöpft …

Bienchen summen …

Bleierne Bienchen …

Schüsse …

Brüllen …

Neue Bienchen …

Mukki, der Dumme, schnappt nach den singenden Dingern …

Sind das Sauschützen!!

Ich flitze durch die Einfahrt …

Korallenfelsen flankieren sie … Treibholz bedeckt sie …

Ich werfe den Graubart ans Ufer … Möglich, daß er dabei ein paar Rippen brach … Die Laterne fliegt hinterdrein …

Zerbricht … Petroleum fließt aus … Das Treibholz brennt, qualmt, – mein Kutter schießt durch die Brandung, wendet, rast weiter …

Und stehend steuere ich, überblicke die See …

Eine Hand reckt sich empor …

„Olaf – – hier!!“

Ich ziehe Jane ins Boot, sie ist erschöpft, – sie lacht, lacht und sagt stolz:

„Das Tau schlang ich achtmal um die Schraube, Olaf … Die Büsche verdeckten meinen Kopf … Viermal tauchte ich …“

– Die auf dem Star of London werden sich verdammt gewundert haben, weshalb die Schraube der Jacht plötzlich unklar geworden und der große weiße Luxuskahn sich nicht rührte … –

So entkamen wir …

 

10. Kapitel.

Das Wrack der Astarte.

Das Letzte, was wir von unserer Insel sahen, waren die von unten rot beleuchteten Qualmwolken des brennenden Treibholzes …

Qualm, den der neckische Wind flüchtig zum riesigen Fragezeichen formte.

„Du darfst dich einmal umdrehen, Olaf,“ meinte Jane vor mir … „Wir haben hier im Kutter in Zinkkästen stets so alles Mögliche in weiser Voraussicht verstaut gehabt … Ein anständiges Rettungsboot einer Millionärsjacht ist für alles gerüstet … Ich werde mal die Seitenkästen öffnen …“

„Und nach Kleidern suchen, vermute ich … Schade …! Als Insulanerin warst du am schönsten, Jane …“ Mein tiefer Seufzer löst bei ihr ein übermütiges Lachen aus.

„Das ist die erste Schmeichelei, die ich von dir höre! Du wirst mir doch nicht etwa den Hof machen wollen?! – Dreh’ dich um, du – Die Gelegenheit ist verpaßt …“

Wenn man am Steuer eines Kutters sitzt, ist es nicht üblich, für längere Zeit den Kopf nach hinten zu wenden. Im übrigen war es ja auch von Jane eine etwas komisch wirkende Prüderie, daß sie mit einem Male derartige Anwandlungen von Schamgefühl offenbarte. Acht Tage wie Adam und Eva im Paradiese – wie Kinder, wie Brüderlein und Schwesterlein im Märchen, – und dann mit einem Male, nur weil dieser Kutter und der Benzingestank nebst Zubehör uns wieder dem Paradies entrissen hatten, sollte all das anders werden, anders sein?!

„Olaf! Ich bekomme das Schloß nicht auf!“

Meine Nixe, mein blondes Nixlein kauerte am Boden und suchte mit dem Bootshaken die lackierten Zinkkästen zu meistern.

„Siehst du, Jane, – ohne mich geht es doch nicht! Hier, setz’ dich ans Steuer … Und solltest du einen Umhang brauchen, – vielleicht nimmst du Fennek als Boa …“

„Du kannst sehr malitiös sein, Freund Olaf!“ – und sie stand dicht vor mir, umflossen vom Lichte des soeben aufgetauchten Vollmondes … Ihr wundervoller Körper schimmerte wie helle Bronze, – keine antike Statue eines großen Meisters konnte idealere Linien haben als dieser junge, jungfrische Leib, der stets die sanfte, natürliche Grazie jener Mädchen von Samoa zeigte, von denen längst überholte Schriften so bezaubernd berichten …

Sie hatte wirklich nur das noch über den schlanken Hüften, was von ihren zarten spinnwebfeinen intimsten Unbekleidungsstücken übrig geblieben war. Sie war eigentlich nur mit einem Windelchen sehr locker umwickelt, und der freche, kecke Wind zupfte zu allem Überfluß noch mit zärtlichen Fingerchen an den Fetzen dieses Nichtgewandes …

Sie war schön, – schöner als die Phantasie sich ein Weib je ausmalen könnte, – gerade der leichte Bronzeton ihrer Haut, dieses Erbteil irgendeiner farbigen Mutter, gerade der unnennbare Hauch des Exotischen, der sie umfloß, steigerte den Eindruck einer seltenen goldenen Märchenprinzessin bis zu verwirrender Anbetung dieser einzigartigen Schöpfung irgendeines Liebesbundes zwischen zwei ebenso seltenen Wesen …

„Olaf!!“

Sie wich langsam zurück …

„… nie hast du mich so angesehen, Olaf!“

Sie versuchte ein harmloses Lachen … Es war nur Verlegenheit …

„Du … bist schön, Jane …“

… Ich wußte, daß dieser Augenblick einmal kommen würde, wo das Gespinst von trügerischer Freundschaft jäh zerreißen mußte …

Unnatur war’s gewesen …

Unnatur wie das törichte Übereinkommen, daß die Vergangenheit nie berührt werden sollte!!

Ich erhob mich …

„Jane, du bist schön, und wir beide – – waren Lügner vor uns selbst …!“

Meine Hände streckten sich ihr entgegen, – ich sprach kein Wort von Liebe, – hier unter diesem märchenhaft funkelnden Firmament, hier im Glanze der nächtlichen Silberscheibe – inmitten dieser reinen rauschenden Wogen und inmitten dieser Inselreiche, deren Inselchen jede, jede einst ein Garten Eden gewesen, wo das Wort „Liebe“ nie erfunden ward, sondern die Natur den ehrlichen Trieb schuf und förderte und segnete, – hier wollte mir das nicht über die Lippen, was doch lediglich die Unnatur mit einem Flittermantel hohler Phrasen umkleidet hat.

„Jane – du sollst mein sein, – ich will es, du willst es, das Schicksal hat es gewollt …! Jane – du bist schön!!“

… Sie hatte mich angeschaut, – und in ihren Augen war nichts von dem zu lesen gewesen, was mich bewegte.

Sie hatte mich sanft von sich geschoben, und ihre Stimme tönte wie zerbrochenes Kristall – wie ein köstlicher Becher, der jäh einen feinen, tiefen Riß erhalten hat.

„Du … hast das Märchen zerstört, Olaf,“ mehr sagte sie nicht, brauchte nicht mehr zu sagen.

Auch in mir zerbrach etwas …

Ich … schämte mich …

Meine Hände sanken wortlos, wortlos machte ich ihr Platz, wortlos schlug ich die Zinkbehälter auf, – – ich kam mir schlecht und gemein und klein vor …

Ich fand all das, was weise Voraussicht in diese Kästen verstaut hatte, ich warf Jane das zu, was sie wünschte, und ich begriff mit einem Male, daß ich – ich hier im Kutter jetzt den weißen Anzug der Zivilisation trug, daß Jane … halbnackt war, – daß mein Taktgefühl mich im Stich gelassen hatte, als ich, der Verhüllte, der hüllenlosen Frau diese begehrlichen Worte zugeflüstert hatte.

… Wir waren Kinder gewesen auf unserer Insel, – Brüderlein, Schwesterlein, – beide in Lumpen, die kaum unsere Blöße verdeckten, – wir hatten im Wasser geplantscht, wir hatten in paradiesischer Unschuld in der prallen Sonne uns trocknen lassen …

Wir beide – – unverhüllt …

Und ich jetzt: Bekleidet! – Sie – – halbnackt, – sie mit dem Feingefühl des Weibes diesen jähen Kontrast spürend, – ich nur ein Blinder, der den ungünstigsten Augenblick wählte, die Hand nach der harmlosen Gefährtin auszustrecken!

Ich schämte mich.

Ich saß ganz vorn im Kutter und untersuchte den Wasserbehälter … Er war gefüllt. – Ich untersuchte die Kästen mit Dauerproviant – – gefüllt! – Ich sah mir die Segelausrüstung an, ich fügte die Teile des Mastes zusammen, befestigte die Taue, Leinen, Segel, – – ich arbeitete, arbeitete, warf keinen Blick zum Heck, wo Jane Bellcastle wohl längst in einem hellen Leinenrock, in heller Bluse, Hut, Schuhen, Strümpfen am Steuer saß und … dem verlorenen Paradies nachtrauerte.

Dann ging ich zu ihr …

„Verzeih’ mir, Jane …“

Wieder schaute sie mich lange an …

„Sprich nie mehr darüber, Olaf … – Und wenn das Segeltuch ausreicht, errichte mir vorn ein Zelt … Ich … bin … müde …“

– Müde!! – Ich bat nicht mehr, ich strich das Geschehene mit grimmer Hand aus dem Buche der Erinnerung und … saß allein am Heck, doch nicht allein, neben mir lag zusammengerollt mein treuester, einziger Freund …

So fuhren wir diese Nacht gen Norden … Ziellos – gen Norden, irgendwohin, über schäumende Wellenberge, durch dunkle Wellentäler … wir drei, – – Jane, die schlief, ein Fennek, der auch schlief, und ein Mann, der mit täppischer Hand ein ganz, ganz zartes Märchen in graue Prosa getaucht hatte.

Die Nacht war heiß und windig. Ein böiger Passat ließ das Segel knallen und klatschen, aber der Kutter machte auch ohne die Schraube gute Fahrt und spottete der weißen Wogenkämme, die hoch an seinem Bord emporleckten und nur selten feine Spritzer mir in das Gesicht stäubten.

Auch ein Kompaß mit einem Deckel war links in die Ruderbank eingelassen. Ich sah, daß die Nadel immer wieder scheinbar zu sehr nach Osten abwich, denn ich hatte mich zunächst lediglich nach den Gestirnen gerichtet. Zum Innehalten eines ungefähren Kurses genügen sie ja. Es mußte also eine sehr starke Strömung uns abtreiben, eine jener vielen Strömungen, die das Fahrwasser in den Südseegruppen so gefährlich machen.

Der Wind schlief immer mehr ein. Wir gelangten in fast völlig stilles Wasser. Nur lange flache Wogen zogen dahin in die Unendlichkeit, ohne weiße Greisenköpfe – – wie Peter Bolk einen gehabt hatte.

Ich ließ den Motor wieder laufen und beschlug die Segel. Nun sah ich das Leinwandzelt vorn ganz deutlich. Dort ruhte Jane. Sie hatte nichts dazu beigetragen, die Entfremdung zwischen uns zu beseitigen, sie war mit freundlichem „Gute Nacht“ hinter dem Leinen verschwunden, aber der Ton ihrer Stimme hatte müde geklungen. –

„Müde“ – hatte sie selbst gesagt.

In halbwachem Dahindämmern, das doch auch wieder ein beschwingteres Sichvertiefen in vergangene Tage war, gedachte ich der Gefährten, die mir der Taifun entrissen hatte. Der Aufprall des Schoners auf irgendein Riff war mit so ungeheurer Gewalt erfolgt, daß die Astarte buchstäblich in der Mitte zerbrochen wurde wie eine armselige Schachtel durch einen Beilhieb. Ich hatte dabei das Bewußtsein verloren, – daß meine Hand weiter in Fenneks Nackenfell verkrampft blieb, war ein Zufall. Wir beide waren mit dem Leben davongekommen, – die Gefährten aber?! Gewiß, es bestand eine geringe Möglichkeit, daß die Wrackteile, nachdem die Ballastsäcke aus dem Kielraum herausgerutscht waren, weiter vom Sturm davongetragen wurden, denn die Astarte war ein hölzernes Schiff aus bestem Fichtenholz, und die beiden Hälften des Wracks mußten sich an der Oberfläche des Meeres gehalten haben, konnten vielleicht sogar vereint davongetrieben sein, da die Taue, die wir über das Deck gezurrt hatten, neu und gut geteert und unzerreißbar waren.

Sollten die drei: Eversam, Hiruto und der Kanake – noch leben, so würden sie vielleicht – immer „vielleicht“ – irgendein Gestade erreicht haben, und dann würde Eversams verbissene Energie nicht ruhen und nicht rasten und trotz allem abermals nach Malmotta suchen. –

Es ist unerträglich heiß in dieser Flaute. Ich habe die weiße Jacke längst abgelegt. Die Luft muß wieder mit Elektrizität übersättigt sein, ich sehe zwar kein St. Elmsfeuer, keine Leuchterscheinungen, aber ich spüre in den Nerven eine unerträgliche Spannung. Kein Vogel, kein Fisch ist sichtbar, die Wasserwüste ist leer, und das Gefühl der Einsamkeit bedrückt mich. Wer so viel in so engster Verbundenheit mit der Natur gelebt hat wie ich, empfindet am deutlichsten, daß in unserer Seele ein unbekanntes, angezweifeltes dunkles Gebiet verborgen liegt, das mit dem Hirn in innigstem Kontakt steht: Das Unterbewußtsein.

Ich fühle eine neue Katastrophe, neue Aufregungen, – – und irgend etwas, das stärker ist als mein halbes Wachsein und mein auf andere Dinge gerichtetes überwaches Grübeln, zwingt meinen Kopf zur Seite und den Körper zur halben Drehung.

Im selben Moment geschieht zweierlei. Ich vernehme mit dem Gehör aus unbekannter Ferne ein Grollen und Brausen, das sofort wieder erstickt, und ich sehe mit sich weitenden Augen hinter uns eine langsam über das Meer gleitende Lichtbahn – einen leuchtenden suchenden Kegel, einen Scheinwerfer.

Die Jacht hat die Schraube doch wieder klar bekommen, und Malcolm Rizzard, der Meutererkapitän, will uns um jeden Preis erwischen, damit Jane ihm verrate, wo die erhofften Schätze zu finden seien.

Dabei weiß noch nicht einmal ich etwas über diese Schätze …

Nichts weiß ich.

Jane und ich haben keine Zeit gefunden, diese Frage zu erörtern. Ich kenne von dem ganzen Geheimnis wie bisher nur Stücke. Der bunte Gobelin ist unfertig geblieben.

… Sie wollen uns fangen, die da hinten, und sie werden uns fangen. Noch liegt die Jacht weit zurück, aber ihre Geschwindigkeit gestattet ihr, zu kreuzen und zu suchen …

Unser Kutter ist nur eine Schnecke mit seinem Hilfsmotor, und der Wind streikt.

Sie werden uns fangen. Sie haben den Kapitän damals ermordet, sie wollten Aristide morden, sie haben ihn nachher vom Schoner heimlich geholt, ihn und Peter Bolk … Sie hätten Eversam ermordet, aber den hatte Jane bereits von der Jacht verwiesen, weil er den „Diebstahl“ nicht mitmachen wollte. Jane lag es an John Petersens geringer Hinterlassenschaft, und John war ihr Vater.

Sie werden uns fangen. Das bedeutet für mich und Mukki den sicheren Tod, für Jane neue Demütigungen, Schande, Entehrung … Ein Wunder, daß die von Habgier benebelten Meuterer sie überhaupt als Weib geschont haben …

Ein solches Weib …! –

Und doch werden sie uns nicht fangen. Ich werde Jane nicht wecken, ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, ihnen zu entgehen. Ich werde bis zum letzten Augenblick die Entscheidung hinausschieben und Jane dann fragen, ob sie mit mir sterben will. Wir haben Waffen … Als ersten würde ich Fennek erschießen … Ich würde ihn noch ein letztes Mal streicheln und sein Köpfchen an meine Wange drücken und – ihn erlösen …

Dann uns.

Ich würde Jane vorher noch sagen, daß ich sie liebe – nicht als Schwester, – so liebe, wie ich keine einzige der Frauen geliebt habe, die meinen Weg kreuzten und die mir sonnige Tage und heiße Nächte schenkten und dann doch wieder – zum Glück – von mir gingen, angelockt von dem starken verlogenen Magnet, der da heißt: Zivilisation!

Ich bin ganz ruhig bei alledem. Gewiß, ich hätte gewünscht, daß meine Pfade abseits des Alltags ein anderes Endziel fänden. – Selbstmord?! – Er hat den bitteren Beigeschmack der Feigheit, sagen die Superschlauen hinter dem Schreibtisch und empören sich dagegen. – Narren. – Ich hatte einen Freund, einen Arzt, der aus einer erblich belasteten Familie stammte. Er fühlte den Wahnsinn nahen, – als wir ihn tot im Walde fanden, waren die Sohlen seiner Stiefel wie poliert von den Tannennadeln des Bodens, – so oft war er vor der Bank hin und her gegangen und hatte mit sich gerungen und – nicht feige sein wollen.

Versetzt euch einmal in den Seelenzustand eines solchen Unglücklichen, der keinen anderen Ausweg mehr findet, ihr kaltherzigen Pharisäer! – Feigheit?! Nie las ich etwas Dümmeres als das.

Ich werde sterben, Fennek auch.

Nicht ohne Gegenwehr werden wir scheiden. Ich habe hier zwei Repetierbüchsen im Kutter, zwei Pistolen. Es werden verschiedene von dem Gesindel, das sich da auf fremdem Eigentum jetzt die Herrschaft anmaßt und nur die eigenen Taschen füllen will, ins Gras beißen müssen. Meines Schusses war ich stets sicher. Und die da – Sauschützen. – Ich weiß es. Es wird einige Kopflöcher geben, die nie mehr zuheilen, und …

Meine Gedankenkette zerreißt.

Wieder das Grollen, Brausen – noch stärker! Ein Gewitter? Ein Orkan?!

Der Nachthimmel ist klar, nur der Horizont schwimmt in milchigem Dunst.

Dann – seltsam – kommt eine einzelne Woge dahergerollt – eine, die gegen den Wind, gegen die anderen anrennt … wie ein Wasserberg, durch einen Stoß aus den Tiefen des Ozeans geboren, vorwärtsgetrieben durch ebenso geheime Gewalten.

Der dunkelgrüne Berg rast uns entgegen, gegen seine Brüder. Schaumstreifen kennzeichnen seinen Weg, er überrennt alles, aber die Brüder, die sich ihm entgegenstemmen, hemmen seine Kraft, – der Kutter schwebt empor, – – die Woge ist vorüber …

Ich blicke ihr nach.

Die Jacht und der Scheinwerfer sind aufgerückt. Vielleicht noch zehn Minuten, dann … –

… soeben schwenkte der Lichtkegel herum …

Ich spüre bereits seine Helle …

Ob sie uns aufgespürt haben?!

Der gleißende Finger kehrt zurück, bleibt in derselben Richtung – liegt auf dem Kutter mit seiner breiten Strahlenspitze …

Ein dumpfer Krach da … Der Kutter zittert. Dicht an der Bordwand schrammt ein Balken vorüber, ein Maststumpf, – ein ganzes Wrack …

Jetzt muß der Wasserberg die Jacht erreicht haben … Er schüttelt sie … Der Scheinwerfer läßt von uns ab, und ich – – ich schlage den Bootshaken in das Wrack …

„Jane …!!“

Sie kommt.

Worte stolpern über die Zunge …

Jane begreift …

Jane schnürt das Bündel …

Ich binde das Ruder fest, – ein Brett mit Jacke und Hut täuscht den Steuermann vor – mich …

Hinein ins Wasser …

Hin zum Maststumpf … Taue halten uns fest … Mukki heult …

Der Kutter eilt mit seinem falschen Steuermann weiter.

Uns treibt die Strömung abseits …

Der leuchtende Kegel ruht wieder auf dem Kutter …

Wir?!

… Wir … treiben …

Minuten drauf jagt der Star of London in der Ferne vorüber …

Wir?!

… Und ich sage zu Jane mit bewegter Stimme:

„Jane, es ist das Wrack der Astarte! Da – schau hin, es sind zwei Wrackteile, durch Taue verbunden.“

Ich bin wieder auf dem Schoner.

Das Schicksal hat nicht gewollt, daß wir sterben.

 

11. Kapitel.

Die neue Schöpfungsgeschichte.

„… Unser Floß ist denn doch zu unbequem,“ sage ich zu Jane. „Ich werde versuchen, ein paar Planken loszuwuchten und um den Mast einen Balkon zu bauen. Wir sitzen halb im Wasser, und auch unsere Proviantkästen und der Wasserbehälter müssen besser geschützt werden.“

Mukki ist am empörtesten, daß er mit einer Leine um Brust und Leib auf Janes Schoß kauern muß – auch im Wasser.

Ich seile mich an und beginne die Arbeit. Ich wate über zertrümmerte Balken, ich arbeite für Jane, und ich freue mich dessen. Ich reiche ihr Bretter zu, Tauenden, Segelfetzen …

Mit einem Male dröhnt wieder das Grollen über das Meer, und wieder kommt solch ein widerborstiger Wasserberg anmarschiert, – diesmal ein ganz frecher Geselle, braust über uns hinweg und taucht uns tief ein.

Wir schnappen nach Luft, als er vorübergeeilt ist, – nasser, wie wir es schon waren, konnten wir nicht mehr werden.

Mukki wimmert. Jane tröstet ihn. Er hat Salzwasser geschluckt und gibt es wieder von sich. Jane lacht …

Ich baue den Balkon … Ich bin in die Kombüse hinabgetaucht und habe wirklich den Kasten mit den Werkzeugen gefunden und nach oben befördert. Jane schwingt den Hammer, wir nageln, hämmern, klopfen, – und dann gerade unter uns ein neues Grollen, Dröhnen …

Ein Stoß …

Ich rutsche ab, – ich müßte nun in tiefem Wasser zappeln, aber es ist nicht so: Meine Füße finden festen Halt, – keine Planken, rauhes Gestein … Das fühle ich …

Ein neuer Stoß …

Und kaum dreihundert Meter vor uns steigt aus dem Ozean ein dampfender ungeheurer Wasserstrahl hoch …

Schwefeldunst erfüllt die Luft …

Unheimliche Kräfte sind am Werke, heben das Wrack, plötzlich rund um uns heller Korallenboden, Meeresboden …

Der gigantische Geiser sinkt lärmend in sich zusammen, – aber das Gestein, das wir sehen, wächst an Ausdehnung, – langsam tritt der Ozean zurück, besiegt von den unterirdischen vulkanischen Kräften, die hier in kurzem eine Insel erstehen lassen.

Wortlos, reglos beobachteten wir …

Ich fühle, daß ich blaß bin …

Jane lehnt zitternd an meiner Schulter …

Das Wrack liegt längst auf dem Trockenen, – Baumstümpfe erscheinen, Reste von Palmen, – Felsen, verfaulte Sträucher, Hügel, neue tote Palmen …

Immer höher steigt der Meeresboden, – wir liegen in einem Tale, das Wasser läuft ab, nur Tümpel stehen noch hier und dort und spiegeln die Sterne wieder …

Jane flüstert beklommene Fragen. Ich gebe ihr Aufschluß. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß ein Seebeben Neuland, neue Inseln schafft. Aber diese Insel, die hier vor unseren Augen ersteht, ist nicht Neuland, – diese Insel hat schon einmal existiert, Büsche und Sträucher haben auf ihr geblüht, Gräser wuchsen, Palmen trugen Früchte …

Eine tote Insel ist zu neuem Leben erweckt, – der Ozean, der sie verschlang, gab sie wieder her, – der Ozean war gnädig und schuf uns eine feste Zufluchtstätte.

Noch ein letztes Grollen in den Tiefen, – dann scheint der Prozeß der Wiedergeburt beendet zu sein …

Wind erhebt sich, der Schwefeldunst schwindet.

Zwei Menschen und ein Fennek betreten den Wunderboden der toten, wiedererweckten Insel. Mukki rennt umher, schüttelt den nassen Pelz, schnuppert …

Zwei Menschen lehnen Hand in Hand aneinander und blicken sich an und fühlen noch den Schauer des großen Geheimnisses dieser neuesten und doch uralten Schöpfungsgeschichte.

Also steht es verzeichnet im 1. Buch Moses: Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, und die sei ein Unterschied zwischen den Wassern. Es sammele sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Örter, daß man das Trockene sehe. Und es geschah also. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer.

Also geschah es auch hier. Und die Menschen, die zu Zeugen dieses Geschehens wurden, fanden sich zueinander in jener Liebe, die ich vor Stunden noch hatte wegleugnen wollen, indem ich nur den „Trieb“ anerkennen wollte in blinder Überschätzung des Natürlichen, Naturwüchsigen, Ungekünstelten. Vielleicht hatte dieses Abirren von meiner sonst mehr geistigen Einstellung, die mich stets von denen trennen wird, die als Vaganten nur die Straße der Nichtstuer dahinziehen und denen die freie Natur nicht zum beglückenden Geschenk wird, – vielleicht hatte dies Abirren seinen Grund darin, daß die acht Tage Robinsondasein auf unserer Insel eine Überwertung des rein Triebhaften in mir hervorgerufen hatten.

Ich hatte Jane in einem Übermaß des Bewußtseins, mit ihr zusammen dem Tode entronnen zu sein, ganz sanft an mich gezogen, und zu ihr Worte gesprochen, die aus der Tiefe eines dankbaren, freudigen Gemütes kamen. Ich sagte nicht mehr: „Du bist schön, “ – ich sagte das alte, uralte geläuterte Sprüchlein des reinen Begehrens, bei dem die Seele die Melodie angibt: „Ich liebe dich!“

Sie hatte dankbar gelächelt, sie hatte dankbar die Lippen mir dargeboten, und die Scheidewand, das Fremdsein schwand mit einem Schlage dahin.

„Olaf – wieder unsere Insel, uns allein geschenkt,“ lächelte sie versonnen, und dann schritten wir, getrieben von einer Neugierde, die das Wunder in seinem vollen Umfang zu schauen trachtete, Hand in Hand dem Berge zu, der sich hier in der Mitte der Koralleninsel zu erheben schien …

Die Morgendämmerung brach gerade an … Wir staunten, als wir die dunklen feuchten Felsen rauchen sahen: Sie waren heiß, das Wasser verdampfte, sie waren noch durchhitzt von den Feuergluten der Tiefe, die vorhin den gigantischen Geiser hochgeschleudert hatten.

Vorsichtig klommen wir höher und höher, – ich hatte Mukki in den Arm genommen, ich rechnete mit glühenden Lavaströmen, mit irgendwelchen gefährlichen Überraschungen.

Aber nichts gefährdete uns. Um uns her standen die toten Palmen wie graue Pfähle, Muscheln und schleimige Tiere klebten daran, traurig hingen die verfaulten Kronen herab, traurig watete der Fuß über Reste von Sträuchern, über Wasserpfützen, in denen noch allerlei Getier umherkrabbelte – in wilder Angst über den engen Käfig, in den all diese Bewohner der Tiefe plötzlich zusammengepfercht worden waren.

Dann überblickten wir die Insel.

Und das, was uns stutzen ließ, waren zwei Schiffsrümpfe, – der eine im Norden in einer schmalen Bucht halb auf dem Trockenen, der andere auch nordwärts am Fuße des Berges, – zwei Wracke, das in der Bucht ein eiserner Schoner, leuchtend in rotem Rost mit zwei Masten, das andere ein plumpes, kurzes, breites Fahrzeug mit hohen Aufbauten, wie es vielleicht zu Zeiten des Kolumbus modern gewesen sein mochte.

Und weiter glitt der Blick, – – auch diese Insel, halb Fels, halb Korallenbau, hatte ihre Lagune, ihren Ring, ihren Ringstrand – nach Süden zu.

Klein war diese Schöpfung, diese wiedererstandene Insel, nicht. Sie war größer als unser grünes, freundliches Paradies, aber – – sie war tot …

Sie hatte einst gelebt.

Das bewiesen die Palmen …

Das Leben auf ihr war erloschen, als sie hinabsank in die Schlünde des Meeres und das Getier der Tiefe Besitz ergriff von ihren noch grünenden Hainen und Fische durch Palmenkronen ruderten und vielleicht gierige Haie die Leichen zerfleischten, die bei der großen Katastrophe des Untergangs unter rollenden Felsmassen begraben wurden.

Es muß so gewesen sein.

Schaudernd deutete Jane auf Skeletteile, Totenschädel …

Aber die Sonne kam, urplötzlich durchbrach sie den dunstigen Schleier im Osten und streute Wärme und Licht und Hoffnung über das Abgeschiedene.

Das Meer war frei, das Meer war blank und leer. Kein Segel, keine Rauchfahne am Horizont, kein Anzeichen, daß die Jacht noch in der Nähe sein könnte.

Mich trieb es hinab zu den Schiffen … Eine innere Stimme sagte mir, daß diese Insel Malmotta war, – – daß das Unbekannte nun eine halbe Lösung gefunden hatte. Ich erinnerte mich an Peter Bolks scheinbar widersinnige Bemerkungen, als ich ihn kaum erst kennen gelernt hatte …

„Glauben Sie an die periodische Wiederkehr gewisser Erdumwälzungen? Sie sind doch ein Studierter …!“

So hatte er mich gefragt, und ich hatte nichts zu erwidern gewußt, hatte ihn für geistesgestört gehalten!

Jetzt begriff ich die Bedeutung dieser Frage, begriff auch seine feindseligen Reden über die drei, die er erschossen hatte.

„Das sind sie …! Vor zwanzig Jahren waren sie jung … Sie wußten viel, und sie klebten sich an meine Fährte, bis sie mich fanden … Narren!! Als ob es auf Malmotta Gold gegeben hätte!“

Vor zwanzig Jahren!

Das war der Kern des Ganzen …

Vor zwanzig Jahren mußte diese Insel jäh versunken sein … Vor zwanzig Jahren mußten hier Peter Bolk, Joicker, Mortison und John Petersen gelebt haben!

Dort am Buchtstrand unweit des verrosteten Schoners sah man noch die Reste von Hütten und Blockhäusern …

Die Insel war bewohnt gewesen, und daß diese Insel Janes Heimat war, erschien mir gewiß. Aber ich schwieg zunächst. Die Frau neben mir war noch zu sehr erschüttert von dem soeben Erlebten, als daß ich sie hätte mit Fragen bestürmen können.

Ein flüchtiger Blick in ihr von irgendeiner neuen Erregung zerwühltes Antlitz zeigte mir ohnedies, daß sie vielleicht doch bereits demselben Gedanken nachging, der auch mich beschäftigte. Sie stützte sich schwer auf meinen Arm, und das einzige, was sie auf dem Wege bis zu dem Wrack des altertümlichen Schiffes sagte, waren nur die mehr zu sich selbst gesprochenen Worte:

„Es ist mir alles so fremd und doch so seltsam bekannt, – – ich fürchte mich!“

Je mehr wir uns dem schief liegenden ersten Wracke näherten, desto mehr zögerte sie. Ihr Körper lehnte sich schwerer an mich, in ihren Augen brannte ein fieberiges Glänzen, aber ihre Wangen waren ohne Farbe und tief eingefallen.

Unter unseren Füßen krochen Krebstiere eiligst davon – dem neuen Strande, dem Meere zu, getrieben von jenem Instinkt, der sie die Heimat, den Ozean, mit Sicherheit wiederfinden ließ. Unten an der Nordseite des Berges kämpfte zwischen Geröll ein riesiger Hai, der mit auf das Trockene geraten war, einen vergeblichen Kampf gegen die heiße, reine Luft des Meeres, die ihm den Tod bringen mußte, da das Meer selbst ihm fehlte. Er schnellte sich mit grimmen Schwanzschlägen immer wieder in die Luft, in seinen Augen lag ein fast menschlicher Ausdruck der Qual, – ein Pistolenschuß erlöste ihn.

Nun standen wir neben dem, was einmal in früheren Zeiten Schiff gewesen …

Gewesen: Nichts mehr von Planken, Balken, Deck, Einzelteilen, – nur noch ein unheimliches, mit Kraut und Muscheln bewachsenes, halb verfaultes, halb zerstörtes Gebilde.

Man erkannte noch das plumpe Steuer, – dicht daneben klaffte ein Loch in der Bordwand … ein riesiges Loch, das uns einen Blick ins Innere erlaubte.

Finsternis da drinnen, – Muscheln, Pflanzen, zappelndes Getier … Fauliger Gestank dringt heraus …

„Nur fort, Olaf!“ fleht Jane zitternd …

Und nach wenigen Schritten flüstert sie wie vorhin:

„All das … so fremd – und so bekannt, – so als hätte ich es wiederholt in meinen Träumen geschaut, und das – ist doch nicht möglich, Olaf.“

Sie atmet laut, sie ringt förmlich nach Luft … Wir gehen durch eine Allee toter Palmen … Baumleichen – im Sonnenschein.

Dann, als wir das rote Wrack am Ostufer der tief einschneidenden Bucht schon klarer erkennen:

„Olaf, wenn dies hier … Malmotta wäre?!“

Sie wagt es kaum über die Lippen zu quälen.

„Dann, Olaf, – dann … wäre dies meine Heimat, meine Geburtsstätte, – hier müßten dann mein Vater und meine Mutter gelebt, geliebt haben.“ Sie schluchzt bitter auf … „Ich … kenne ja so wenig von meiner frühesten Kindheit … Im treibenden Boot fischte ein englischer Dampfer hier in der Südsee bei der Baker-Insel zwei Kinder auf, Säuglinge … einen Knaben, ein Mädchen … beide dem Verscheiden nahe, beide in Segeltuch gewickelt … Und in die Hülle des winzigen Mädchens waren mit eingehüllt …“ – sie zögerte wieder – „Diamanten, wasserklare, wundervolle, übergroße Steine, die nachher von dem Vormundschaftsgericht versteigert wurden und Millionen einbrachten … Dieses Kind war ich, Olaf … Außer den Edelsteinen fanden die englischen Seeleute nur noch einige Fetzen von Papieren, – man glaubte aus diesen zu entnehmen, daß ich Jane Pers hieße. – Alle Nachforschungen, woher das treibende Boot – es war ein großer Insulanernachen – stammte und wer mein Vater gewesen sein könnte, waren ergebnislos. In Hamburg wurde ich zuerst einer Frau in Pflege gegeben, die zufällig auch Pers hieß, – man vermutete zunächst, ich sei mit ihr verwandt. Nachher zog diese Witwe nach London, da die englischen Gerichte die Vormundschaft führten …“

Sie war stehen geblieben.

„Olaf – und noch eins: Jene Papierfetzen – es waren Teile von Briefen, Ausweispapieren und Schiffsdokumenten – enthielten auch den Namen Malmotta an mehreren Stellen, ebenso „Baker-Insel“ und „Sporaden“ und „Phönix-Inseln“. Und all das wurde mir später ausgehändigt, als ich erwachsen war … Wie oft habe ich diese Fetzen aneinanderzufügen gesucht, gesichtet, – habe darüber gegrübelt und gegrübelt und schließlich in einer Stunde der Erkenntnis nur das eine annehmen zu können geglaubt: Daß meine Heimat eine unbekannte Insel in der Nähe der Baker-Insel sein müsse, die im Mai des Jahres 1906, denn da wurden wir Kinder von dem Dampfer aufgefischt, infolge eines Seebebens versank. Der Kapitän des Dampfers hatte ja zu Protokoll gegeben, daß in der Nacht vor unserer Auffindung ein schlimmer Orkan gewütet habe, begleitet von allen Anzeichen eines sehr starken Seebebens. – Olaf, deshalb kaufte ich die Jacht, deshalb ließ ich durch Männer, die in der Südsee Bescheid wußten, alle möglichen Nachfragen halten, die wenigstens etwas Licht in das Dunkel brachten: Sowohl auf den Phönix-Inseln als auch im Gilbert-Archipel ging unter den Eingeborenen die Sage, daß nördlich der Baker-Insel irgendwo ein Eiland vorhanden sei, das freilich stets nur für kurze Zeit dem Meere entsteige und nach wenigen Jahren wieder versinke, um nach abermals etwa zwanzig Jahren von neuem zu erscheinen … – Deshalb, Olaf, besuchte ich mit dem Star of London diese Inselgruppen auch persönlich, – ein Maschinenschaden zwang uns nachher im Roten Meer den kleinen Hafen Batimar anzulaufen, – dort begegnete ich jenem Petersen, Olaf, er kam auf die Jacht und sprach mit mir und fragte immer wieder nach diesem und jenem, als ob auch er an Malmotta ein bestimmtes Interesse hätte … So entwickelten sich die Dinge weiter, Olaf, – ich brauche dir nicht alles zu erzählen, du kannst dir vieles ergänzen, das meiste hast du miterlebt … Bis – ja, bis mir der Gedanke aufstieg, Petersen könnte mein Vater sein, – – und bis mir das Medaillon Gewißheit gab.“

„Und – – der Knabe aus dem Insulanerboot, Jane, – was wurde aus dem Knaben?“

Sie trocknete die Tränen …

„Olaf, der Knabe wurde von dem Steward jenes Dampfers an Kindesstatt angenommen … Von dem Knaben wußte man nichts, aber er war etwas älter als ich, er soll bereits einige Worte haben lallen können. Der Steward hieß Aristide d’Oly, so wurde auch der Knabe genannt. Er wuchs in Marseille auf, von ihm hörte ich erst später, als ich meine geheimnisvolle Lebensgeschichte erfuhr, wieder Jahre nachher schrieb ich ihm und sorgte für ihn … Er wurde mein Kammerdiener und Sekretär …“

Sie starrte durch die muschelbewachsenen Pfähle wie gebannt auf das rote, verrostete Wrack.

„… Olaf, ich war vielleicht ein Jahr alt, als der Dampfer mich und Aristide rettete … uns beide allein … von der Sonne halb gebraten, halbtot … Vielleicht, Olaf, hat meine Mutter mich hier auf dieser Insel in ihren Armen umhergetragen, vielleicht habe ich damals das alte Wrack gesehen …“ Sie drehte langsam den Kopf und deutete auf das uralte Holzschiff am Bergabhang … „Vielleicht vergißt selbst ein Säugling solche Bilder nie mehr, vielleicht prägen sie sich auch dem unentwickelten Hirn so tief ein, daß sie … wieder aufleben – – wie jetzt! Eine innere Stimme sagt mir, daß ich gerade jenes Ungetüm mit seinen Behängen von fahlen Tiefseepflanzen bereits gesehen haben muß … Es sieht wie ein gräßliches Ungeheuer aus, – das Loch dort am Heck ist wie ein Rachen, – – schon möglich, daß ich als ganz kleines Kind Furcht empfand vor diesem Rachen und daß deshalb mein Hirn diesen Eindruck festhielt … – wie denkst du darüber, – sprich doch, du brauchst mich nicht zu schonen, ich bin stark und will stark sein, denn ich muß den Schleier meiner Vergangenheit vollständig lüften. Daß ich farbiges Blut in den Adern habe, sieht mir jeder an … Meine Mutter wird eine Insulanerin gewesen sein. Es ist schon so. – Und du?!“

„Komm’,“ sagte ich nur und stützte sie und zog sie dem roten Wrack näher. „Wir werden Gewißheit erhalten … Wenn jener verrostete Schoner dort den Namen Malmotta trägt, dann wissen wir nicht alles, aber das meiste, dann bist du jedenfalls ein Kind dieser Insel, dann haben Peter Bolk und deine Eltern hier gewohnt – hier in der Verborgenheit, denn Bolk besaß vor zwanzig Jahren etwa einen Schoner, der Malmotta hieß und der verschollen ist. Komm’, ich werde den Rost am Bug vorsichtig wegkratzen …“

– Ich habe den Rost weggekratzt, und die festgenieteten Messingbuchstaben zu beiden Seiten zeigten denselben Namen:

Malmotta.

 

12. Kapitel.

Zwei Gräber.

Das rote Wrack lag in der Bucht nur zum Teil auf dem steinigen Strand. Wir konnten es bequem in Augenschein nehmen, denn vom Bug hingen noch zwei Ankerketten herab, und ich half Jane beim Emporklettern.

Mukki war empört, daß er am Strande bleiben mußte. Noch empörter war er über die Krebse, die zuweilen mit ihren Scheren nach seinen Beinen schnappten und sich unverschämt festklammerten …

Das Wasser aus dem Wrack war längst ausgeflossen … Einige Eisenplanken hatten sich gelöst, – es gab unten am Rumpf genug Abflußlöcher.

Das schlüpfrige Deck stellte eine förmliche Muschelbank dar. Auch hier Seepflanzen, schleimige Riesenquallen, einzelne Fische, – – armes Getier! Wenn die Äquatorsonne erst niederbrennt, ist euch allen der Tod sicher. So viel wir von ihnen wieder ins Wasser werfen können, werden wir retten, schon um den Verwesungsgestank zu vermeiden, der uns den Aufenthalt auf Malmotta sehr unangenehm machen könnte.

Jane will nicht mit hinein in die Kajüte … Sie fürchtet sich. Ihr gutes Herz erbarmt sich lieber der Fische und Krebse und Muscheln, die sie am Heck so bequem in das Wasser der Bucht schleudern kann.

Ich mühe mich mit der verquollenen Tür der Kajüte ab. Ich könnte ja durch das eine zerbrochene Oberlichtfenster einsteigen, aber mir erscheint es doch nicht ratsam. Der Stille Ozean birgt auch giftige Geschöpfe, große und kleine Fische mit Stacheln, die böse Wunden hervorrufen, dazu giftige Seeschlangen, Riesenwürmer von zwei Meter Länge mit Beißzangen und eine Art Aale, die elektrisch geladen sind.

Ich nehme einen schmierigen, nassen Bootshaken und breche die Tür endlich auf. Ein Schwall Wasser schießt mir entgegen, ich springe zurück, – in dem Wasser tummelt sich wieder allerlei Ozeangetier, und … ein blanker Totenschädel rollt mir vor die Füße, – ein scheußlicher Anblick, da in den Augenhöhlen und zwischen den Kiefern krabbelnde Krebse sich eingenistet haben.

Dann trete ich ein … Was hier an Möbeln vorhanden gewesen, ist zum Teil verfault, durcheinander geworfen, – hinter der Tür Skeletteile, ein sich windender Riesenwurm, den ich rasch totschlage, – nur an der Wand erkenne ich noch eine Uhr, das Barometer, Bilderrahmen …

Alles bedeckt mit kleinen Muscheln, Schleim und Schlick.

Bilderrahmen – ohne Bilder …

Nur einer scheint noch ein Bild zu enthalten, ist gefüllt, – vielleicht ein Ölgemälde, das zwei Jahrzehnte der Fäulnis widerstand.

Ich reibe es mit einem Lappen behutsam ab, und ich erkenne das Brustbild eines Seemannes mit Mütze und blauer Jacke … Die Farbe ist zum Teil abgeplatzt, trotzdem sehe ich blondes Haar, große helle Augen …

Es kann Peter Bolk darstellen, als er noch jung war.

Hier ist im übrigen nichts festzustellen, und ich trete wieder auf das Deck hinaus. Muscheln knirschen, – ich blinzele in das grelle Sonnenlicht …

„Hallo, – – Jane?!“

Keine Antwort … Nur die Brandung rauscht fernab an der Küste der wiedergeborenen Insel, und am Buchtstrand läßt Mukki sehnsüchtig sein eigentümliches Bellen vernehmen, das wie ein rasches Kack Kack Kack Kack klingt.

„Hallo!!“

Ich lausche, blicke umher, und jäh packt mich die Angst … Ich laufe zum Heck, – es ist mehr ein Gleiten auf den schlüpfrigen Deckplanken, – ich überblicke die kaum dreißig Meter breite Bucht. Drüben gibt es nur einen schmalen Strandstreifen, dann steigen die Felsen haushoch an, zum Teil nacktes Gestein, zum Teil überkrustet von frischen Korallenbauten, zum Teil überwuchert von Tiefseepflanzen.

Jetzt sehe ich meine Jane. Sie steht vor den Felsen, sie hat eine große Muschelschale in der Hand und kratzt damit das Gestein sauber.

Rechts neben ihr sehe ich anderes: Ein Steinkreuz, freistehend, offenbar plump behauen, – weiter rechts ein zweites … –

Janes Kleider triefen. Und waren doch längst trocken geworden in diesem heißen Äquatorwind. Sie muß hinübergeschwommen sein, angelockt durch irgend etwas, das in ihrer Erinnerung wieder wach geworden ist – wie das Bild des uralten Holzwracks, das einem ruhenden Ungetüm gleicht.

„Hallo, Jane …!!“

Sie winkt nur, arbeitet weiter, und ich klettere an den Ketten herab, der Fennek hüpft um mich herum, als hätte er mich ein ganzes Jahr nicht gesehen, und wir traben um den äußersten Buchtwinkel herum und langen neben Frauchen an.

Frauchen ruft nur mit sonderbar schriller Stimme:

„Olaf, – hier – – eine eingemeißelte Inschrift …!!“

„Und was führte dich her, Jane?“

„Das Gefühl, daß hier meine Mutter begraben liegt …!“

Ich helfe ihr … Das Gestein gibt seine Kerben allmählich preis, wir entziffern bereits einzelne lateinische Buchstaben … Kein Künstler war es, der hier dem Felsen sein Leid um eine Tote eingrub. Die Buchstaben stehen schief, in unregelmäßigen Abständen, dehnen sich nach rechts weit über das erste Steinkreuz hinweg, gehören zu diesem Kreuz, das in einer Felsspalte festgekeilt ist.

Buchstaben werden Worte, aus Worten klingt das Lied der Trauer …

Jane, Johanna, geborene Petersen, ist in die Knie gesunken. Sie weint, und ihr Schluchzen erschüttert mich …

Der Ozean, der dieses Grab mitverschlang, hat es wieder dem Lichte zurückgegeben und hat Licht gebracht in die Seele eines jungen Weibes, das vielleicht den Vater bisher für einen Verworfenen hielt und das nun Klarheit erhält über die große Liebe, die ihn mit dem braunen Mädchen einer Südseeinsel verband.

Hier ruht Giwana, vor Gott
mein Weib, Mutter
meines Kindes
Johanna.
Gest. 8. 3. 1905 auf
Malmotta.
Du warst die Liebe und die Treue.
John Petersen.

– Wie viele, viele Tage mochte wohl John Petersen an dieser Inschrift mit unzulänglichen Werkzeugen gearbeitet haben!

Ganz tief waren die Buchstaben in das Gestein eingemeißelt, und gerade das Kunstlose, Verzerrte dieser Buchstaben und Worte war so rührend in seiner liebevollen Unbeholfenheit.

Jane erhob sich, ich half ihr, nahm sie in die Arme, und ihre Tränen, ihre letzten Tränen weinte sie an meiner Brust.

„Ich bin …glücklich,“ sagte sie dann leise und machte sich aus meinen Armen frei. „Verstehst du das, Olaf, daß ich jetzt glücklich sein darf? – Vater hat sie geliebt, Vater muß ein guter Mensch gewesen sein … Wer weiß, ob nicht Peter Bolk ihn irgendwie geschädigt hat … Denke an die Diamanten, Olaf … Diese Steine können doch nur hier von Malmotta stammen … Und Vater und Bolk und Joicker und Mortison waren Gefährten, lebten hier, liebten hier …“

Ihr Blick war nach innen gerichtet, – sie horchte vielleicht auf die ganz zarten Stimmen, die aus ihrer Seele Tiefen erklangen als Erbteil ihrer Eltern …

„… Die Diamanten, Olaf, die mich reich gemacht haben, die haben hier wohl Unheil gestiftet …“ fügte sie sinnend hinzu.

Ich wollte sie ablenken. Mich lockte auch das zweite Grab. Außerdem hatte ich längst bemerkt, daß wir hier auf einer Steinplatte standen, unter der Giwanas sterbliche Reste ruhten. Es war besser, daß Jane nicht etwa bat, ich solle diese Platte lüften.

„Sehen wir, wer dort begraben liegt, Jane.“

Und wir kratzten auch dort das Gestein sauber, – wir fanden ebenfalls eine Inschrift, und abermals ward so der bunte Gobelin, dem noch das Mittelstück fehlte, weiter ergänzt.

Tubana,
Tochter des Königs von Atauo,
Schwester Giwanas,
Mutter meines Sohnes
Peter Tuban Erich Bolk,
gest. 11. 9. 1904.
Mein Weib.
Du warst die Sonne von
Malmotta.
Peter Bolk.

Vielleicht kennzeichneten diese beiden Grabinschriften auch die beiden Männer, von deren Hand sie herrührten, in treffendster Art. Aus John Petersens Nachruf ließ sich unschwer auf einen etwas weichlichen Charakter schließen, auf eine leicht zu beeinflussende Natur, auf einen Durchschnittsmenschen.

Anders Peter Bolk. In dieser Knappheit ohne viel Sentimentalität lag Kraft, Zielbewußtsein, Stolz und eine gewisse Rücksichtslosigkeit.

Doch das alles hatte hier nichts zu bedeuten gegenüber der neuen Feststellung, daß Aristide d’Oly Peter Bolks Sohn war. Ich entsann mich nur zu gut noch auf die Fieberträume und Fieberschreie des kranken Aristide in der Kammer der Astarte, – mir stand Bolk noch deutlich vor Augen, wie er mich damals aus der Kammer hinausgeschickt hatte, nachdem Aristide das Wort Tubana überlaut hervorgestoßen hatte. Erst in dem Augenblick war es wohl dem Käpten zur Gewißheit geworden, daß Aristide sein Sohn sein müsse, – und gleich darauf hatten sich die Meuterer an Bord geschlichen und Vater und Sohn mit sich genommen.

Lebten sie noch?

Jane wußte nichts von ihnen, Jane hatte während ihrer Gefangenschaft auf dem Star of London die beiden nie zu Gesicht bekommen.

Hierüber sprachen wir, als wir nun langsam zurückkehrten zu den Wrackteilen der Astarte, die jetzt gerade dort auf dem Trockenen lagen, wo der felsige Nordteil der Insel in den Lagunenteil überging.

Die Heckhälfte des Schoners lag ziemlich wagerecht zwischen bröckeligen Korallensteinen. Es kostete nicht viel Mühe, gerade am Heck ein Zelt zu errichten und den Laderaum unten in ein Schlafgemach zu verwandeln.

Jane und ich nahmen dann hier auf Malmotta unsere erste Mahlzeit ein – kalt, Konserven, – denn wir waren beide bis zum äußersten erschöpft und bedurften des Schlafes.

Jane zog sich nach unten zurück, ich streckte mich im Zelte aus und schlief auch sofort ein. – Ich habe nie viel Schlaf gebraucht. Fünf Stunden genügten mir auch nach diesen Strapazen und Aufregungen. Ich erwachte ganz von selbst, erhob mich leise und wanderte erst einmal mit Fennek zum Berge, um nach der Jacht Ausschau zu halten.

Dieser Spaziergang war eine Qual.

Eine unerträgliche Hitze brütete über der Insel, – Muscheln, Fische, Quallen waren bereits halb verwest und verbreiteten unerträglichen Gestank. Am schlimmsten war es am Fuße des Berges, wo die vielen Wassertümpel dem armen Getier zunächst eine trügerische Zuflucht geboten hatten. Sie waren verdunstet, sie waren zu Pestlöchern geworden. Ich war froh, als mich oben auf dem Berge der Seewind umspielte. Ich setzte mich hinter einen Palmenstamm, nahm Fennek auf den Schoß und überdachte unsere Lage. – Der Horizont war leer. Und doch ahnte ich, daß die Jacht mit den Meuterern diesen Meeresteil niemals unverrichteter Sache verlassen würde. Die Besatzung des Star of London wußte nur zu gut, was ihnen im Falle der Aufdeckung ihrer Schandtaten drohte. Die Engländer machen in solchen Fällen sehr kurzen Prozeß. Meuterei, Mordversuch, – – der ganzen Bande war der Strang sicher. Fanden sie nun nicht die Insel und nicht die erhofften Schätze, so waren sie, so lange sie auf der Jacht blieben, beständig in Gefahr, von irgendeinem Kriegsschiff angehalten und … aufgeknüpft zu werden. Gaben sie die Jacht preis und zerstreuten sie sich nach allen Windrichtungen, so zogen sie als arme Teufel, ärmer als vorher, ins Ungewisse hinein, – und die Gefahr einer Verhaftung blieb doch für jeden einzelnen in demselben Grade bestehen. Sie würden also ohne Zweifel zunächst hier in dieser einsamen Meeresgegend bleiben und … suchen, immer wieder suchen … Sie waren ja hier mit am sichersten.

Jane und ich konnten also unmöglich in dem Wrack der Astarte bleiben. Wir wären dort keine Minute nachts sicher gewesen. Wir konnten doch unmöglich abwechselnd hier auf dem Berge wachen. – Es galt also einen Platz zu finden, der uns auch im Falle eines Angriffs genügend schützte.

Ich stand wieder auf und überschaute nochmals unser Inselreich.

Hier ist es … Ich habe die Skizze ganz schlicht hingeworfen – mir zur Erinnerung, Jane zur Erinnerung …

 

 

1. ist das rote Wrack, 2. das uralte Wrack, 3. die Wrackteile der Astarte, 4. das Grab Tubanas, 5. das Grab Giwanas, der Mutter Janes, 6. die von mir an der Westseite des Berges entdeckte Höhle mit Terrasse und weit überhängendem Felsdach.

Wenn ich soeben geschrieben habe „von mir entdeckte“, so stimmt das nicht ganz. Der Ruhm gebührt eigentlich Mukki allein.

Ein Fennek ist ein sehr unruhiger Geist, und mein Fennek leistet auch hierin Besonderes. Er ließ mich getrost über die Maßnahmen zu unserer Sicherheit nachgrübeln, – er selbst ging auf Entdeckungsfahrten aus, er hatte so lange auf einem engen Schiffe gelebt, daß er die acht Tage auf der grünen Insel nur als ungenügende Zeit, sich Bewegung zu verschaffen, betrachtete. Leider gab es hier keine Mäuse, die er jagen konnte, – die Krebse waren längst tot, und deshalb kletterte er an den Steilwänden des Berges umher, kehrte zuweilen zu mir zurück, verschwand aufs neue, – – bis mich plötzlich sein jämmerliches Heulen und Kreischen aufschreckte und ich voller Augst ihn zu suchen begann. Nach mühseligem Klettern gelangte ich an der Westseite des Berges (höher als vierzig Meter ist er nicht) auf eine vorgebaute, steil abfallende und von einer Felsnase überdachten Terrasse, deren Hintergrund sich als breite Grotte in den Berg verlor.

Dorther erklang Mukkis Jammergeheul. Ich rannte blindlings in die Dunkelheit hinein, ein böser Leichtsinn, denn ich erhielt einen Schlag gegen den Oberschenkel, der mich sofort hintenüberwarf. Trotzdem hatte ich noch erkannt, mit welcher Art Gegner ich es hier zu tun hatte …

Es war ein Haifisch, den die neue Schöpfungsgeschichte Malmottas ausgerechnet in dieser Höhle aufs Trockene gesetzt hatte. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das Zwielicht, die Pistole hatte ich bei mir, und zwei Kugeln erledigten den Hai sehr rasch, konnten jedoch dem armen Mukki den Rest seines linken Ohres nicht wiedergeben, denn gerade dieses hatte die bereits recht schlappe Meeresbestie zwischen den Zähnen, – immerhin, mein Fennek war noch glimpflich weggekommen, – auch ich, denn ein Schlag eines Haifischschwanzes kann einem sämtliche Knochen brechen.

Mukkis Ohr aus dem Maule des Hais freizumachen, war unmöglich. Ein rascher Schnitt mit dem Messer, – der Fennek heulte, blutete, biß um sich, und ich rannte und kletterte mit ihm schleunigst zum Strande hinab, um die Wunde gründlich zu spülen und die bei jedem Haifischbiß so gefürchtete Eiterung zu verhindern.

Nun, der Ohrstumpf eiterte nicht, Mukki hat nur noch ein Ohr, und Jane und ich hausen jetzt seit gestern in der gründlich gesäuberten Höhle, in die wir alles hineingeschleppt haben, was wir von der Astarte irgend brauchen konnten: Bretter, Balken, Nägel, Eisenteile, Kochtöpfe, Konservenproviant – vieles andere noch.

Und heute früh (es ist der dritte Tag auf Malmotta) habe ich auch Peter Bolks Safe in dem hinteren Mast gründlich geleert, habe die Goldsäckchen anderswo verstaut und … ganz unten einen kleinen flachen Zinkkasten gefunden, dessen Schloß ich einfach aufsprengte. Er hat Gummileisten, der Kasten, und die Papiere sind tadellos erhalten.

Jane und ich haben sie mittags gelesen …

Wir wissen nun fast alles von den Geheimnissen Malmottas …

Mit dem Lesen kamen wir, auf unserer Terrasse im Schatten liegend, freilich nicht so recht vorwärts, denn Jane hält es für weit wichtiger, daß ich ihr jede Minute irgendwie beweise, daß ich sie – und nur sie liebe … Fennek ist deshalb auch hinten in der Höhle festgebunden worden.

Er stört, sagt Jane, – und sie hat recht.

 

13. Kapitel.

Peter Bolks Aufzeichnungen.

Wenn Handschriften wirklich Rückschlüsse auf den Charakter des Schreibers zuließen (ich glaube noch heute nicht daran, denn jede psychische oder rein nervöse Störung gibt einer Schrift sofort ein verändertes Gepräge), so müßte Peter Bolk wahrscheinlich ein übler Schurke gewesen sein – oder sein, – ich weiß nicht, ob er noch lebt. Es ist eine sehr unausgeglichene Schrift. Sobald Bolk Dinge der Feder anvertraut, die beim Niederschreiben an sein Herz griffen, sobald er in seinem trockenen Stil Aufregendes schildert, ist die Schrift eine ganz andere.

Ich kenne ihn, und er ist kein Schurke. Er ist nur ein Mensch. Und das heißt: Behaftet mit Fehlern und Schwächen. – Wir alle haben sie. –

„Malmotta, 13. 1. 1904. – Ich werde meine Erlebnisse doch besser zu Papier bringen. Es könnte geschehen, daß ich eines Tages gegen meinen Willen gen Himmel fahre. Ich traue so recht niemandem mehr. – Als ich vor einem Jahr, soeben erst, freilich noch sehr jung, Kapitän geworden, von dem unselig im Alkohol verkommenen James Brady (Brandy hätte er heißen sollen) den alten eisernen Schoner kaufte und damit auf eigene Rechnung Frachtfahrten in den Archipelen unternahm, ahnte ich nicht, was mir bevorstand. Ich hatte drei junge Europäer und sechs Kanaken an Bord. Joicker und Mortison sind fragwürdige Wichte, Petersen – ja, ich weiß nicht recht, ob er eine große Probe bestehen würde. Die Kanaken rechnen nicht mit. Ich halte eisernes Regiment auf meinem Schiff, und ich trage die Pistolen nicht zum Spaß unter der Jacke.

Der aufgeschwemmte König Missili von Atauo war der erste, der mir von Malmotta erzählte.

Ich hielt es für Insulanergeschwätz, und Missili ist meist betrunken. Als er mir einmal aber auch in nüchternem Zustande die Geschichte wiederholte und bei allen Götzen schwor, er sei selbst auf der Insel gewesen, aber schleunigst wieder ausgerückt, da spitzte ich doch die Ohren.

Malmotta heißt sie in den uralten Sagen der Leute von den Phönix-Inseln, und Gilbert-Insulaner haben mir das bestätigt. Malmotta soll so viel bedeuten wie „die Unantastbare“, – also im Grunde dasselbe wie „tabu“. Wenn etwas für „tabu“ erklärt ist, darf sich niemand daran vergreifen.

Nun schön, ich spitzte die Ohren, Missili wurde nach einer achten Flasche Brandy noch mitteilsamer und erzählte unter anderem, er hätte auf der Insel dort irgendwo im Norden der Baker-Insel auch ein uraltes Wrack gesehen. Mag sein. Der Kerl riß sofort wieder aus und ruderte mit den Seinen davon. Malmotta ist eben „tabu“ und bringt Unglück. – Blech natürlich!

Was er sonst noch so zusammenschwafelte, klang mir noch fragwürdiger.

Auf der Insel sollen Puwi, der böse Geist, und Puala, seine Gattin, so etwa des Teufels Großmutter, wohnen. Und weil diese angenehmen Herrschaften dort hausen, soll Nimiala, der gute Gott, so was wie „Sonnenkönig“, die Insel regelmäßig nach einigen Jahren in den Ozean versenken und erst nach etwa zwanzig Jahren – wohl mit einem großen Korkenzieher – wieder herausholen, damit Puwi und Puala nicht ganz ersaufen.

Wie gesagt, dieses Geschwätz Missilis wäre für mich hohler Wind geblieben, wenn nicht ein paar Gilbert-Leute, alte Knaben mit ebenfalls größter Vorliebe für Brandy, alles haargenau bestätigt hätten. Sie reden nicht gern darüber. Sie haben eine scheußliche Angst vor Puwi, und wenn ich nicht so großzügig ihre Ängste eingeschläfert hätte, würde ich kein Wort erfahren haben.

Als wir mit dem „Lincoln“ nach einem Monat wieder zu König Missili nach Atauo kamen, war gerade allgemeines Volksfest und alles war seit Tagen „blau“. Eine Schande, daß wir Europäer die Kerle durch den Fusel degenerieren. Wer da jedoch nicht mitmacht, kommt zu kurz, zum Geschäft gehört Schnaps.

Das Dorf war toll, verrückt, – und Missilis Töchter sowie ein paar andere Mädchen waren so ziemlich die einzig nüchternen.

Zwischen Tubana und mir bestand bereits ein ziemlich inniges Verhältnis, und die andere Tochter Giwana war in Petersen ehrlich verliebt. Die Mädels sollten ein paar Kerle von der Nachbarinsel heiraten, – wollten nicht, – und als wir mit dem „Lincoln“ nachts wieder Atauo verließen, da mit Missili in dem Zustande ja doch keine Geschäfte zu machen waren, hatten sich Tubana, Giwana und noch drei junge Dinger, die auch an irgendeinen braunen Haremsinhaber verschachert werden sollten, heimlich an Bord geschlichen, – wir entdeckten sie erst nach zwölf Stunden. Und da waren wir bereits so ziemlich in Sicht der Baker-Insel, und ans Umkehren dachten wir nicht.

Joicker ist mal irgendwo bei einer Sekte Prediger gewesen. Mag sein. Er war auch Viehdieb, Cowboy, Polizist, – alles war er.

Damit der Spaß seine Richtigkeit hätte, traute Joicker uns in aller Form. Es wurden auch Heiratsurkunden aufgesetzt, und wir waren nun bis auf zwei Kanakenjungen regelrecht Eheleute.

Wir suchten also des Oberteufels Puwi Inselresidenz: Malmotta.

Wir kreuzten, kreuzten, suchten, fluchten, – und in der Nacht vom dritten zum vierten Juni 1902 gab’s ein Unwetter und ein Seebeben, daß wir nahe am Wegsacken waren. Gegen Morgen taucht da mit einem Male dicht vor uns aus dem Meere eine Bergspitze empor, – eine ganze Insel folgt, der Orkan flaut ab, wir steuern in die Nordbucht hinein, und – wir finden das uralte Wrack, von dem Missili geschwafelt hatte.

Die Tabu-Insel war da. – Sie gefiel uns. Mochten auch Baum und Strauch abgestorben sein, – ich wußte, wie rasch hier alles wächst. Und es stimmte. Nach zwei Monaten war die Insel grün, seltsamerweise erholten sich auch die abgestorbenen Palmen wieder, und jetzt, wo ich dies schreibe, können wir sehr bald die ersten Nüsse ernten. – Inzwischen habe ich meine Tubana als treue Gefährtin und fleißige Hausfrau noch mehr lieben gelernt. Wir haben mit dem Schoner wieder Frachtfahrten unternommen, ich werde ihn vielleicht unter dem Namen „Malmotta“ registrieren lassen. Wir halten unser Inselgeheimnis streng geheim. – –

Seit Monaten habe ich nichts mehr aufgezeichnet. Wir leben wie bisher, sind glücklich, sparen Geld, handeln, kaufen, verkaufen. Mich interessiert das alte Wrack. Aber es ist im Innern so versandet, daß man kaum hinein kann. Es muß aus der Zeit um 1530 stammen, schätze ich, als die Spanier bereits den Stillen Ozean überquerten. –

Wieder sind Monate verflossen. Gestern ist der Schoner unter Petersens Führung nach Honolulu mit Kopra in See gegangen. Ich habe mir heimlich vier Dynamitpatronen besorgt und werde nachts das Wrack sprengen. Man kann nie wissen, was unter den Sandmassen lagert. Die Spanier haben in Peru ungeheure Schätze seinerzeit zusammengestohlen und weggeschafft. Ich bin hier nun mit den Frauen allein auf Malmotta. In dieser Nacht fliegt das Wrack in die Luft. – –

Die Dynamitpatronen haben nur halbe Arbeit geleistet. Das Wrack hat ein Riesenloch am Heck, das ist alles. Aber ich kann den Sand jetzt doch leichter herausschaufeln. – –

Verdammt – mir zittern die Hände, mir ist’s im Kopf ganz wirr. – Ich habe doch recht gehabt. Die beiden eisernen Kisten, so klein sie waren, haben es in sich: Nur Edelsteine! – So viel verstehe ich von dem Zeugs doch, um Glas von Diamanten unterscheiden zu können. Aber – das alles ist jetzt gleichgültig: Ich bin Vater geworden, meine Tubana hat mir einen prächtigen Jungen geschenkt. Ich bin so glücklich, daß ich eine halbe Flasche Brandy trank. Der Diamantendreck muß verschwinden. Petersen und die anderen würden verrückt bei dem Anblick werden. Nur Tubana wird wissen, wo ich sie verberge. Den Sand habe ich wieder hineingeschaufelt, und ich werde lügen, sonst gibt es Mord und Totschlag. – –

Das Schicksal hat mich hart gestraft. Tubana ist tot, das Kind lebt. Sie starb in meinen Armen am 11. 9. 1904. Vielleicht wurde ich bestraft, weil ich die Edelsteine beiseite schaffte. Ich habe jetzt für nichts mehr Interesse, nur für mein Kind. Wie sehr ich mein Weib liebte und was sie mir war, weiß ich erst jetzt so recht. Ich bin ein geschlagener Mann. Giwana nimmt sich des Kleinen in innigster Zärtlichkeit an, auch sie ist guter Hoffnung, und John Petersen behandelt sie wie eine zarte Blume.

Ich werde nun doch auch Giwana einweihen. Sie ist Tubanas Schwester, und sie wird begreifen, daß es ratsamer ist, den Edelsteinschatz dort zu belassen, wo er jetzt ruht. Weiß man, ob Petersen fest genug bliebe, hier dieses einsame Leben fortzusetzen, wenn er von den Millionenwerten Kenntnis erhielte?! – –

Giwana ist eingeweiht. Auch sie geht nun ihrer schweren Stunde entgegen. – Petersen, Joicker und Mortison haben offenbar doch Verdacht geschöpft und umlauern mich beständig. Unser gegenseitiges Verhältnis ist sehr gespannt, ich leugne, in dem Wrack etwas gefunden zu haben, sie glauben mir nicht … Es liegt ein Fluch über all diesen Schätzen, die dort in Amerika von den habgierigen Spaniern unter Grausamkeiten zusammengestohlen wurden. Ich wünschte, ich hätte das Wrack nicht angerührt. Mein Trost ist mein Kind. – –

Nun ist auch Giwana nicht mehr. Sie ruht neben meinem guten Weibe am Westufer der Bucht. Petersen ist völlig verzweifelt. Mortison und Joicker suchen heimlich nachts nach den Diamanten, ich habe sie mehrmals beobachtet. – –

Unser Leben hat wieder die frühere angenehme Art angenommen, – wir ernten Kopra, handeln, schachern, bleiben dann wieder wochenlang auf unserer Insel, und Petersen und ich freuen uns über das Gedeihen der Kinder. – Die drei reden nicht mehr über das Wrack. Und doch – zumindest Joicker und Mortison mögen noch immer den Verdacht hegen, dem sie nie offen Ausdruck geben. Es sind hinterlistige Kerle, und wenn sie mich nicht fürchteten, würde wohl vieles anders sein. – –

Ich rede nicht darüber: Ich denke jetzt tagtäglich an Missilis Erzählungen … Malmotta soll stets nur wenige Jahre über der Oberfläche bleiben. Ich fürchte eine Katastrophe. Gestern nacht spürte ich ein paar Erdstöße … Die unterirdischen Kräfte melden sich. Für alle Fälle werde ich einen Teil der Steine in ein Stück Segelleinen einnähen. – –

10. Juli 1906. – Malmotta existiert nicht mehr. Genau vor vier Wochen versank es. Das Unheil überraschte uns vollkommen. Ich habe die Kinder gerade noch in das große Kanu tragen können. Der Schoner war schon vorher durch die Erdstöße leck gesprungen. Ich rettete mich im letzten Augenblick. Alles war Nacht, Finsternis, Orkan, Schwefeldämpfe … Ein Wunder, daß mich der Orkan mit seiner rasenden Geschwindigkeit in meiner Korkweste südwärts trieb und ich die Baker-Insel halbtot erreichte. – Nun bin ich in Honolulu, nachdem ich vier Jahre auf der Baker-Insel allein gehaust habe. Nach den Kindern zu forschen, wäre zwecklos. Sie sind tot, – auch die anderen, – – ich bin ganz allein, bin der einzige Überlebende von Malmotta. – Ich werde mein Dasein von neuem beginnen. Ich bin ein Greis geworden, die Spuren jener Schreckensnacht trage ich auf dem Haupte: Weißes Haar! – Diese Aufzeichnungen halte ich heilig. Und wenn ich bis dahin am Leben bleibe, werde ich nach zwanzig Jahren Malmotta vielleicht wiedersehen.

Peter Bolk, Kapitän.

 

14. Kapitel.

Das Fest des Sonnenkönigs.

… Wieder sind zwei Tage dahin, Jane und ich und Mukki leben hier auf Malmotta abermals als Robinsone, und vorläufig vermissen wir nichts, freuen uns der sonnigen Tage und der ebenso heißen Nächte und staunen das große Wunder an, das sich vor unseren Augen vollzieht: Die tote Insel erwacht, die Palmen, die wir für halb verfault hielten, setzen grüne Blattriebe in den Kronen an, die Sträucher bekommen Knospen, das Gras wächst zusehends … In diesem Boden muß eine rätselhafte Fruchtbarkeit verborgen sein, denn all das ist ein Wunder, Bolk hat es ebenfalls beobachtet, und wir sehen mit eigenen Augen, was niemand glauben würde: Der ganze Pflanzenwuchs, soweit er nicht völlig abgestorben war, keimt, erholt sich, nimmt frische Farben an. – Wir baden in der Lagune, wir arbeiten dies und jenes, wir sind längst wieder zu den paradiesischen gesünderen leichtesten Kleidungsstücken bekehrt, – sogar Freund Fennek scheint die Wasserscheu überwunden zu haben.

Malmotta hatte all seine Geheimnisse preisgegeben, – vielleicht das eine nicht, wo Peter Bolk die Hauptmenge der Edelsteine verborgen hatte. – Was scherten uns die Edelsteine?! Wir waren glücklich! Und das eine Wort, das oft so leichtfertig ohne innere Berechtigung hingesprochen wird, dieses „Glücklich“ ward hier bis auf den tiefsten Grund seiner Bedeutung ausgeschöpft. Zum „Glück“ gehören auch ernste, besinnliche Stunden. Und das waren die, wenn wir an den beiden Gräbern zumeist im rötlichen Abendglanz saßen und den Toten innige Worte weihten. Janes Mutter schlief hier den ewigen Schlaf, Janes Vater lag in einem Sandloch der Steppe fern in Afrika. Ihm hatte niemand ein Denkmal gesetzt wie hier dem Weibe, das er auf Händen getragen, – er war eingescharrt worden wie ein Verbrecher, und doch war er nur ein Verführter gewesen, Kamerad zweier habgieriger Teufel, die um jeden Preis Peter Bolk zwingen wollten, den Schatz des uralten Wracks preiszugeben. – Oft sprach Jane tieftraurig über dieses ferne Grab, das kein Grab war … Und einmal nahm sie meine Hand und blickte trübe in den Glanz der Abendröte und bat mich, daß, falls ihr etwas zustieße, ich dafür sorgen solle, John Petersen eine bessere letzte Ruhestätte zu verschaffen.

Und so, wie sie das sagte, lag’s über ihrem ganzen Wesen und im Ton ihrer Stimme wie die Vorahnung eines nahen Endes. – Ich erschrak fast, – ich hielt diese stille Melancholie für Augenblicksstimmung und vergaß auch mein Erschrecken.

Nicht ganz … Ein kleiner Stachel blieb in meiner Seele zurück, und selbst das frohe Ereignis der Ankunft der großen buntgeschmückten Kanuflottille am nächsten Tage konnte den gelinden Schmerz einer ungewissen Furcht nicht bannen.

Es war kurz nach Sonnenaufgang, als wir beide und Mukki, wir Frühaufsteher, unsere wohnliche Grotte verließen und wie immer zuerst den Berg erklommen und Ausschau hielten.

Ich habe doch schärfere Augen als Jane. Und ich erkannte die fernen Striche am südlichen Horizont zuerst als eine Anzahl langer breiter Insulanerkähne mit Bastmattensegeln, – ganz vorn aber einen kleinen Schoner mit blanken weißen Segeln.

Freund oder Feind?!

Stundenlang blieben wir darüber im unklaren, bis der kleine Schoner als erster in die Lagune einlief und ich vorn am Bug Peter Bolks hagere Gestalt mit weißem Patriarchenbart erkannte, – hinter ihm Doktor Alfred Eversam …

Da erst wagten wir uns von unserem Berge herab, nachdem wir noch schnell unsere recht spärliche Toilette ergänzt hatten, denn den Herren dort im weißen Tropendreß mit Tropenhelm und Kragen und Krawatten und dem letzten Schick der Äquatormode konnten wir unmöglich so vor die Augen treten, wie wir uns nur Fennek und uns selbst gezeigt hatten.

– – Es ist sehr spät geworden … Es ist zwei Uhr morgens. So lange haben wir Wiedersehen gefeiert … Mit Palmwein, Brandy, Gin, Whisky, Tänzen, Reden, neuen Reden, fabelhafter Fackelbeleuchtung, – – es war ein echtes Insulanerfest, denn Peter Bolk und sein Sohn Aristide, der ja eigentlich Peter Tuban Erich Bolk heißt, hatten den Großpapa Missili von Atauo samt fünfzig Phönix-Leuten und Frauen mitgebracht, und Eversam und Hiruto und Matauo waren auch mit dabei, und was es da alles so zu fragen und zu beantworten gab, – was diese Atauo-Leute, die Gott sei Dank erst spärliche Tropfen Zivilisationsmedizin genossen haben, trinken, brüllen, hopsen und singen können, – es ist fabelhaft!

Nun aber ist es still geworden auf Malmotta, still auch auf dem kleinen Schoner, der auch Malmotta heißt und den Bolk, der bei Missili-Großpapa Kredit hatte, sofort nach seiner Flucht von der Jacht käuflich erwarb und neu ausrüstete und bewaffnete zur Fahrt gen Norden.

Das Wiedersehen zwischen Peter Bolk und Jane verlief genau so „programmwidrig“, könnte man sagen, wie die ganze Ankunft der lieben Gäste.

Ich habe sie mit einem weinenden und mit einem lachenden Auge begrüßt, – Fennek wedelte mit der Rute und wackelte mit dem einen Ohr, das ihm noch geblieben, und Jane … nun Jane hatte wie immer das Herz auf dem rechten Fleck und fiel Peter Bolk einfach um den Hals und weinte und stammelte so allerlei, daß sie ihm ihres Vaters Tod nicht nachtrüge und daß ihr Reichtum doch in Wahrheit für Aristide bestimmt gewesen sei … und vieles andere.

Peter Bolk hatte auch Tränen herabgewürgt und dann den dicken, fetten, ausnahmsweise nüchternen Großpapa Missili mit der Hand nähergezogen …

Worauf Jane zunächst stutzte und den königlichen Großpapa, der immerhin in seiner Phantasieuniform mit vielen Schnüren und Tressen und blanken Knöpfen und Kotillonorden und Kavalleriesäbel und elfenbeinernem Marschallstab mit Goldbeschlägen (wahrscheinlich der Prunktaktstock eines pleitegegangenen großen Kapellmeisters, vermute ich) unweigerlich komisch wirkte, – diesen buntschillernden fetten Pfau von Großpapa zögernd musterte, dann sich doch überwand und auch ihm einen Kuß gab.

Aber der Kuß für Aristide fiel herzlicher aus, nicht minder die Händedrücke für die anderen … –

Man weiß ja, wie’s bei solch einer Massenbegrüßung zugeht, – jeder redet gerade das, was das Unwichtigste ist, – – ich mußte mir nachher jeden einzeln vornehmen und ausfragen, aber bei Eversam kam ich damit zu spät, er hatte sich bereits aus Liebeskummer (er ahnte wohl, wie Jane und ich standen!) so sehr voll Whisky gesogen, daß er dem heulenden Elend nahe war, und Matauo wieder schäkerte intensiv mit einer braunen Maid, nur Hiruto hatte noch Haltung bewahrt und berichtete, wie die drei sich im Taifun nach dem Schiffbruch der Astarte auf das eine Rettungsboot geborgen hätten und sehr bald in das völlig windstille Zentrum gelangt seien, – nachher landeten sie auf einer der Phönix-Inseln, trafen dann auf Atauo mit Bolk und Aristide zusammen, die in derselben Orkannacht von der Jacht entflohen waren und von einem Insulanernachen aufgefischt wurden …

Hiruto erzählte all das mit einem ungeheuren Wortschwall … Abends bei Fackelschein erlag auch er dem allgemeinen Taumel der Fröhlichkeit … Und da saßen Peter Bolk, Aristide, Jane und ich einsam unterm Sternenzelt an der Nordbucht bei den Gräbern und vernahmen aus Bolks ehrlichem Munde nun auch das Allerletzte: Die Edelsteine, die Hauptmenge der Diamanten, hatte er in einer tiefen Felsspalte im Hintergrunde unserer Grotte in Säckchen versteckt gehabt …

Er machte eine Pause … „Ich war in der Grotte … Hier sind die Säckchen … leer …!!“

Er zeigte sie uns, stülpte sie um, und was herausfiel, waren nur Krümchen grauer Asche … „Meine Kinder, – der Schatz, die Steine, die die Urkräfte der Natur einst schufen, ist durch dieselben Urkräfte dort unten im Ozean über den ewig wütenden Feuern der Tiefe wieder … zu Gas geworden … Die Gelehrten wissen es längst, daß Edelsteine sich wieder in den gasförmigen Zustand zurückführen lassen … Es gibt keinen Schatz von Malmotta mehr, es gibt nur die Schätze, die wir in uns selber bergen, die das Geschick uns bescherte durch Glück und Leid: Läuterung des Herzens! Und – das gilt mehr.“

Jane und ich hatten uns so vollkommen daran gewöhnt, nur aufeinander und auf Mukki-Fennek angewiesen zu sein, daß wir uns nach Alleinsein sehnten und in dieser seltenen Nachtstunde, wo fernher der Lärm der Feiernden und der dumpfe Ton ihrer Tanztrommeln wie Zeichen einer fremden Welt herüberschallten, mehr denn je empfanden, wie eng wir zueinander gehörten.

Aber meine Jane war still und in sich gekehrt. Meine Fragen, was sie bedrücke, beantwortete sie nicht. Sie ruhte an meiner Brust, ich hielt sie umschlungen, und ihre Augen hatten einen Ausdruck völligen Entrücktseins. Wir sprachen nichts. Menschen wie wir beide hatten das tönende Wort nicht nötig, sich zu verstehen und sich hineinzuversenken in die Seele des anderen. Ich fühlte mit jähem Schmerz, daß ihr Gemüt wiederum von denselben Todesahnungen durchschauert wurde wie schon einmal. Ich wollte diese Gedanken verscheuchen. –

„Gehen wir, Jane, – schließlich sind wir doch hier so ein wenig die Hausherren und haben Pflichten den Gästen gegenüber.“

Wir gingen, eng umschlungen, – aber vor dem uralten Wrack blieb Jane stehen, küßte mich lange und heiß und zog mich dann weiter.

Wir schauten dem Tanze zu, wir nahmen nachher Bolks dringende Einladung, die Kajüte des Schoners zu beziehen, die auch zwei Nebenkammern hätte, halb widerwillig an. „… Ihr sollt doch einmal wieder in richtigen Betten schlafen, ihr halben Wilden …“ – und all das kam aus gutem Herzen.

So sitze ich denn nun hier an einem „richtigen“ Tische, schreibe bei blendend weißem Karbidlicht, habe wohl so alles nachgeholt, was es für diese Blätter nachzuholen gab.

Alles schläft.

Aber in mir wächst die seltsame Unruhe, die meine Hand unsicher macht und meine Gedanken zerflattern läßt.

Ich erhebe mich lautlos, greife nach der Büchse. Die Pistolen habe ich umgeschnallt, – ich nehme noch das Fernglas mit …

Ich denke an die Jacht …

Ich trete leise an Deck … Keine Laterne brennt …

Meine Blicke gleiten die Lagune entlang … Ein heller Schiffskörper schiebt sich gerade durch die südliche Einfahrt …

Pistole heraus … Und meine Alarmschüsse knattern durch die Luft … Ich renne zur Schiffsglocke … läute Sturm … Stimmen gellen, – – Schüsse knattern …

Und – – mein Glück verblutet …in dieser Nacht – – als Abschluß des Festes des guten Sonnenkönigs …

Puwi und Puala, Teufel und Teufelsurmama, waren noch als späte Gäste erschienen.

 

15. Kapitel.

Ausklang.

… Ich habe allein, ganz allein oben auf dem Berge gestanden, als die Freunde davonfuhren.

Ganz allein …

Sie haben mich mitnehmen wollen nach Atauo, – Eversam wollte bei mir bleiben … Ich habe alles abgelehnt.

Dann sind sie im Süden am Horizont verschwunden, der Schoner und die langen breiten Kanus mit den geschnitzten Schnäbeln und den dunklen Segeln. Ich habe das Band zwischen mir und der Welt wieder zerschnitten … Ich muß erst mich selbst wiederfinden, um die Gegenwart von Menschen ertragen zu können, – wer so viel verloren hat wie ich, der muß sich selbst erst wieder suchen …

Ich bin ganz allein …

Ein Unglück war’s, daß Jane gleich nach den ersten Schüssen mit Mukki im Arm an Deck eilte.

Von der Jacht fegte eine Kugelsaat herüber, und drei … drei Kugeln trafen – – Jane und das Tier, mein Tier, meinen treuen Gefährten so vieler Monate …

Ich sprang zu, fing Jane auf, – und zwei Sterbende trug ich in die Kajüte …

Ich sah mein Weib, mein Tier mit verglasten Augen vor mir, und – – der Blutrausch verdrängte den Schmerz, – – wir haben die Jacht geentert, und ich bin ohne Waffen auf den Schuft Malcolm Rizzard zugeschritten, und mein totenbleiches verzerrtes Gesicht hatte ihm die Hand schlottern gemacht …

Er schoß vorbei …

Ich packte ihn – – halb erwürgt flog er über die Reling, und ein heller langer Schatten im Wasser schnappte zu und zog ihn in die Tiefe.

… Am Weststrande der Bucht gibt es nun drei Gräber. Wir haben Jane neben ihrer Mutter bestattet, wir haben ihr Fennek-Freund mit ins Grab gegeben, denn auch sie hat ihn geliebt.

Drei Kreuze, drei Inschriften an der Steilwand.

Und der Platz, – da sitze ich Tag für Tag und hadere mit dem Geschick und will mich aufraffen und des Schmerzes Herr werden …

Ganz allein bin ich auf Malmotta …

In der Lagune ankert die Jacht, die ich hasse. Der Star of London, – leer, ohne jede Besatzung.

Ich habe sie noch nicht wieder betreten, obwohl ich mich danach sehne, mir die Räume anzuschauen, die Jane einst bewohnt hat und die noch erfüllt sein werden von dem Duft ihrer holden Weiblichkeit. – –

… Heute früh bin ich nun doch auf der Jacht gewesen …

Und als ich zum Heck schritt, stutzte ich … Irgendwoher kam ein schrilles qualvolles Wimmern – – wie von einem kranken Kinde …

Ich fand kein Kind.

Ich fand Men Huleb.

Aber das ist eine andere Geschichte …

Ich bin nicht mehr so ganz allein … Ich habe wieder ein lebendes Wesen um mich …

Das ist die Geschichte Malmottas. Vielleicht ist sie noch nicht ganz beendet …

 

 

Anmerkung:

  1. Hierbei handelt es sich um den Original-Text dieser Geschichte.