Der Nordländer, mag er auch noch so blasiert gegenüber den nervenaufregendsten Schauspielen seiner Heimat sein, wird von den blutigen Metzeleien der spanischen Stiergefechte, an denen dort im Süden alle Klassen der Gesellschaft einen so leidenschaftlichen Anteil nehmen, stets einen Abscheu empfinden, den allerhöchstens der bei dieser Nationalbelustigung entwickelte Prunk für Augenblicke in ein das ungewohnte Gepränge anstaunende Interesse umwandeln kann. Sobald die „Toros de muerte“ angekündigt werden durch ellenlange Plakate in den schreiendsten Farben, kommt die gesamte Bevölkerung in Aufregung, und in allen Kreisen wird über die zu erwartenden Genüsse debattiert, wobei man namentlich begierig ist, die Abstammung und Heimat der auftretenden Kampfstiere zu erfahren, da hiernach von den Kennern, und das ist in Spanien schon der zehnjährige Straßenjunge, die Güte des angekündigten Schauspiels taxiert wird. Über die Stiergefechte und die an ihnen beteiligten Espadas, Pikadores, Bandilleros usw. ist schon eine Unzahl Artikel geschrieben worden, aber noch sehr wenig über die Hauptakteure, die Stiere selbst.
Die spanischen Kampfstiere gehören einer besonderen Rasse des Rindviehes an, die ihren eigentümlichen Merkmalen nach unter keine der drei europäischen Stammrassen eingereiht werden kann. Wahrscheinlich sind sie afrikanischer Abkunft. Die leierförmigen, nadelspitzen Hörner, die stets scharf nach vorn gerichtet sind, die ganze, kraftverratende und doch zierliche Gestalt, die rollenden, glänzenden Augen, das scheue, stets gereizte Benehmen erwecken in ihrer Gesamtheit den Eindruck urwüchsigster, unbändigster Wildheit. Die Tiere werden absichtlich in dieser grimmigen Scheu auferzogen. Einen Stall haben sie niemals gesehen. Von Jugend an halten sie sich Sommer und Winter, Tag und Nacht auf einsamen Weiden auf, bewacht von berittenen Wächtern und großen Hunden, die als „Perros de toros“ Stierhunde, bekannt und gefürchtet sind. Durch diese Freiheit erreicht man bei den Stieren eine ganz außergewöhnliche Beweglichkeit und Schnelligkeit.
Die Nahrung besteht nur aus Gras und Kräutern des steinigen Weidebodens. Man läßt die jungen Stiere, bis sie ein halbes Jahr alt sind, mit den Kühen zusammen. Dann werden sie abgesondert und zwar in Abteilungen von 25–40 Stück. Eine derartige Stammgruppe heißt eine Vacada, während die ganze Züchterei Ganaderia genannt wird. Je nach der Sorgfalt, die der Züchter darauf richtet, echte Kampfstiere heranzuziehen, stehen die einzelnen Ganaderias in größerem oder geringerem Rufe. Daß es sich der Mühe verlohnt, Tiere zu diesem einen Zwecke zu züchten, mögen einige Zahlen beweisen. In Spanien hat jede nur einigermaßen ansehnliche Stadt ihre Plaza de Toros, ihren Stiergefechtsplatz, und selbst in den Dörfern werden häufig Stiergefechte improvisiert, deren Arena dann die auf zwei Seiten abgesperrte Dorfstraße bildet. In den großen Stierkämpfen zu Madrid, Valencia, Sevilla, Cadix, Barcelona, die sich mindestens jede Woche einmal wiederholen, fallen an einem solchen Festtage durchschnittlich 8–16 Stiere. Den jährlichen Stierbedarf hat man auf ungefähr 40 000 Stück berechnet. Und da gute Kampfstiere mit 500 M. und darüber bezahlt werden, so ist das Geschäft der Züchtereien kein schlechtes. Die berühmtesten Ganaderias sind diejenigen des Don Augustin und des Herzogs von Veragua. Ihr Renommee ist beim Volke so groß, daß die Teilnahme von Kampfstieren aus diesen Züchtereien stets besonders auf den Ankündigungen vermerkt wird. Deshalb ist auch der Ankauf der Stiere eine wichtige Sache. Er geschieht durch besondere Unternehmer, die durch langjährige Erfahrung einen guten Blick für die Güte der Ware haben. Diese Güte besteht einzig und allein in dem kraftvollen Temperament des Tieres. Faule, gutmütige Gesellen, mögen sie äußerlich auch noch so gut in Form sein, sind völlig wertlos. Angekauft werden nur Tiere im Alter von 5–7 Jahren.
In den Ställen der Arena werden die Tiere, die am nächsten Tage am Kampfspiele teilnehmen, für das Publikum zur Schau gestellt und zwar so, daß jeder Stier in einem Zwinger sich befindet, über dessen Tür der Name des Züchters und das Alter des Tieres steht. Kurz bevor der Kampfstier dann am eigentlichen Festtage die Arena betritt, stößt ihm ein Wärter eine an einem Widerhaken befestigte, farbige Rosette in den Nacken. Die Farben zeigen den Zuschauern an, aus welcher Züchterei das Tier stammt. – Von den getöteten Stieren werden nur die Haut, die Hörner und die Knochen weiterverkauft. Das Fleisch erhalten die Hunde, die in großer Zahl von den Wärtern des Stierkampfplatzes gezüchtet werden. Für Menschen ist es völlig ungenießbar, da es nur aus Sehnen und Muskeln besteht.
W. K.