Als Bismarck Botschafter in Petersburg war, erhielt er bei einem Hofdiner die als äußerst anmaßend und hochmütig bekannte Gemahlin des russischen Gesandten Grafen v. W. zur Tischdame. Während der Tafel behauptete die Gräfin plötzlich bei Gelegenheit eines Gesprächs über die Brauchbarkeit und leichte Erlernbarkeit der verschiedenen Sprachen, daß die deutsche Sprache die umständlichste und am wenigsten durchgearbeitete der ganzen Welt sei. – Bismarck fragt darauf sehr kühl, aus welchen Gründen Frau v. W. zu diesem harten Urteil käme.
Diese aber erwidert, hocherfreut, daß sich ihr eine Gelegenheit bietet, ihren Geist leuchten zu lassen:
„Die Deutschen haben ja für dieselben Dinge stets mehrere Ausdrücke. Das ist Ballast. Denken Sie nur z.B. an ‚speisen‘ und ‚essen‘, ‚gewiß‘ und ‚sicher‘ und ‚senden‘ und ‚schicken‘, Herr von Bismarck. Diese mehrfachen Bezeichnungen, von denen ich Ihnen noch eine ganze Menge herzählen könnte, beweisen, wie sehr es der deutschen Sprache an Präzision fehlt.“
„Meinen Sie, gnädige Gräfin …?!“ bemerkt Bismarck mit deutlicher Ironie. „Geben Sie acht … ich will Ihnen beweisen, daß Ihre Beispiele vollkommen hinfällig sind. So steht in der Bibel zwar: Christus speiste die 5000 Mann, – es steht aber nichts davon, daß er sie … aß!! Und weiter, gnädigste Gräfin: Wenn hier in Rußland einmal Revolution ausbrechen sollte, so bin ich sehr gern bereit, Sie an einen sicheren, nicht aber an einen … gewissen Ort zu bringen. Endlich – Ihr Herr Gemahl ist zwar ein Gesandter, aber leider kein … geschickter …!!“ –
Die Gräfin von W. soll sich nie mehr mit dem „groben“ Bismarck in ein Wortgeplänkel eingelassen haben.
W. K.
Anmerkung: