Ein Vesuvschwärmer war der am 2. August 1909 auf seinem Landsitze bei London verstorbene Lord Robert Balroof, der jährlich mindestens einmal den Vesuv erstieg und fraglos zu den besten Kennern dieses Vulkans gehörte. Balroof wurde 62 Jahre alt, und seit seinem 25. Jahre hatte er eigentlich nur eine einzige Leidenschaft: den Vesuv.
Er ist der Verfasser mehrerer sehr eingehender Werke über die Geschichte dieses Vulkans, ebenso stammen von ihm viele Karten, die die Veränderungen der Krateröffnung nach jedem Ausbruch mit äußerster Genauigkeit wiedergeben. Den Vesuvführern war der reiche Lord ein stets hilfsbereiter Gönner, und in ihren Kreisen sind viele Anekdoten bekannt, die seine Schwärmerei für „seinen Vulkan“ beleuchten.
So machte Balroof einst in Gesellschaft des bekannten Mineralogen S. von der Genfer Hochschule im Winter einen sehr beschwerlichen Ausflug nach dem Vesuvkrater. Hierbei äußerte sich Professor S. dahin, daß nach seinen Berechnungen der Vulkan seine Tätigkeit innerhalb der nächsten fünfzig Jahre einstellen werde.
Lord Balroof blieb bei dieser Eröffnung stehen. „Ist das Ihr Ernst?“ fragte er.
Professor S. lächelte und meinte dann: „Nun, ich wollte eben nur sehen, welchen Eindruck die Nachricht von dem Erlöschen Ihres Vulkans auf Sie machen würde.“
Balroof kehrte ihm den Rücken und sagte mit großer Entrüstung in der Stimme: „Diese Kränkung des Vesuvs werde ich Ihnen nie vergessen.“
Als der Lord zur letzten Ruhe gebettet und sein Testament eröffnet war, erlebten seine Erben, zwei Neffen von ihm, eine für sie keineswegs angenehme Überraschung. Er hatte als unverbesserlicher Vesuvschwärmer die Erbeinsetzung von der Bedingung abhängig gemacht, daß seine Neffen seinen Leichnam am 14. Dezember 1909, dem Jahrestag seiner ersten Vesuvbesteigung, in den Krater des Vesuvs an einer genau bestimmten Stelle und zwar durch drei mit Namen genannte Vesuvführer hinablassen und so einäschern sollten. Die Ausführung dieser testamentarischen Bestimmung hat die Erben viele Tausende gekostet, ist aber wörtlich befolgt worden.
Am 14. Dezember 1909, nachmittags zwei Uhr, verschwand der einfache Holzsarg mit den sterblichen Überresten Lord Balroofs in den dichten Rauchwolken, die der Vulkan unter dumpfem Grollen ausstieß. Als die Stricke, an denen der Sarg hing, abgelaufen waren, ließen die Männer auf ein gegebenes Zeichen die Enden los, und ein polterndes Dröhnen im Innern der Krateröffnung klang als letztes Zeichen der Erfüllung der merkwürdigen Testamentsbestimmung zu den Lebenden empor.
[W. K.]
Anmerkung: