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Das faulste aller Tiere

 

Das faulste aller Tiere ist unzweifelhaft die Tautava, eine Eidechsenart, die lediglich auf Neuseeland vorkommt. Sie wird bis zu 40 Zentimeter lang, hat eine hellgrün und gelbbraun gestreifte Haut und einen Kopf, der dem der Schlange ähnelt.

Von ihrer unglaublichen Trägheit erzählt der Reisende Parker folgendes: „Die Tautava sitzen zumeist auf der Sonnenseite der Uferabhänge von Flüssen völlig regungslos. Nur ihre blinkenden Augen beweisen, daß in dem Tier Leben ist. Kein Geräusch, keine Berührung vermag sie aus ihrer Ruhe aufzuscheuchen. Ich habe häufig mit einem spitzen Stäbchen rings um eine dieser Eidechsen ihre Umrisse in den Sand gezeichnet, um so feststellen zu können, ob sich das faule Geschöpf vielleicht nach Tagen von der Stelle auch nur ein wenig weiterbewegt hatte; aber die meisten Tautava saßen wochenlang auf demselben Fleck, wie ich auf diese Weise einwandfrei nachprüfen konnte. Drei, deren ständige Beobachtung mir besonders bequem war, haben sogar während eines Zeitraums von drei Monaten sich auch nicht einen halben Zentimeter fortbewegt.

Trotz dieser Faulheit gelingt es dieser Eidechsenart aber doch, sich reichlich Nahrung zu verschaffen. Sie suchen ihren Standort nämlich stets in der Nähe der Schlupflöcher einer besonderen Gattung von stachellosen Uferbienen, die sie mit großer Geschicklichkeit wegfangen, indem sie nur mit dem Maul zuschnappen. In der Gefangenschaft halten sich die Tautava nicht lange. Ich hatte mir zwei Stück besorgt und sie in einen Glasbehälter getan. Dort lagen sie wie in der Freiheit vollkommen still. Auf die ihnen in ihr Gefängnis hineingeworfenen Insekten Jagd zu machen, fiel ihnen gar nicht ein. Ebensowenig dachten sie daran, die Uferbienen, die doch sonst ihre Hauptnahrung bilden, zu verschlingen, selbst wenn ich diese dicht vor sie hinlegte. Die Tautava verhungerten schließlich infolge ihrer eigenen Faulheit.“

[W. K.]

 

 

Anmerkung:

  1. Auch fast wortgleich erschienen unter dem Titel Das faulste aller Tiere in: Das Buch für Alle, Jahrgang 1912, Heft 25, S. 561.