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Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind

 

Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind. – Im Jahre 1896 wurde ein Hausierer namens Hektor Rollins von einem New Yorker Gerichtshof wegen eines Raubanfalls zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt. Rollins verbüßte diese Strafe in Sing-Sing, dem berühmten, am Hudson gelegenen Gefängnisse, führte sich vorzüglich und wurde schon nach einjährigem Aufenthalt zum Faktor ernannt, ein Posten, der den Gefangenen verschiedene Arbeiten auferlegt, ihnen zugleich aber auch bedeutend mehr Bewegungsfreiheit gestattet. Der frühere Straßenräuber wurde mit dem Instandhalten der Magazinräume betraut, besonders auch damit, auf die wegen der Nähe des Flusses scharenweise auftretenden Ratten Jagd zu machen, die längst schlau genug geworden waren, allen gifthaltigen Vertilgungsmitteln und mit wohlschmeckenden Ködern besteckten Fallen aus dem Wege zu gehen. Rollins gab sich alle Mühe, die Zahl der gefräßigen Tiere zu verringern. Aber alles war vergeblich. Nächtelang sann er darüber nach, wie er die Reihen der langschwänzigen Gesellen dezimieren könnte. Er begann schließlich mit dem Bau von neuartigen Fallen, in denen das Tier beim Hineinschlüpfen durch einen starken elektrischen Strom getötet wurde. Nach verschiedenen mißglückten Versuchen hatte er endlich eine Falle hergestellt, die täuschend einem gewöhnlichen, halbgefüllten Schmalzfäßchen glich und von dem Instinkt der Ratten als Falle nicht erkannt werden konnte. In kurzer Zeit gelang es ihm, mit einigen dieser Fallen – den notwendigen Strom lieferte die elektrische Beleuchtungsanlage des Gefängnisses – sämtlichen Nagern im Magazin den Garaus zu machen. Der Direktor von Sing-Sing, der dem Sträfling sehr wohlwollte, sorgte dann dafür, daß Rollins seine Erfindung patentamtlich schützen ließ, und Rollins wußte mit Hilfe eines Kapitalisten und einer großzügigen Reklame die Besitzer der am Neuyorker Hafen gelegenen Speicher auf seine Ratten- und Mäusevertilgungsmethode aufmerksam zu machen, setzte seine inzwischen noch vervollkommneten Fallen in großen Mengen ab und wurde so in kurzer Zeit ein reicher Mann.

Noch interessanter ist die Geschichte des Lokomotivführers William Langfils, der im Jahre 1892 in Omaha in Nordamerika mit dem von ihm geführten Güterzuge aus Unachtsamkeit einem Schnellzug in die Seite fuhr. Das Eisenbahnunglück, kostete fünf Personen das Leben und trug Longfils zehn Jahre Kerker wegen fahrlässiger Tötung ein. Der frühere Lokomotivführer wurde, da er sein Vergehen von ganzem Herzen bereute und sich nicht das geringste gegen die Hausordnung der Strafanstalt zuschulden kommen ließ, sehr bald in dem Maschinenraum des Gefängnisses in Omaha als Heizer beschäftigt. Hier schloß er mit ein paar Katzen, die das stets warme Maschinenhaus zu ihrem Lieblingsaufenthalt erkoren hatten, Freundschaft und begann ihnen, anfangs aus Langweile, einige Kunststücke beizubringen. Offenbar eignete sich der Sträfling hervorragend zum Dresseur, da er bereits nach einem Jahre seine Zöglinge so weit hatte, daß sie geradezu ans Wunderbare grenzende Kunststücke ausführten. Nachdem erst einmal Langfils’ Ehrgeiz erwacht war, suchte er das Programm seiner vierbeinigen Künstlertruppe ständig zu erweitern. Starb ihm ein Exemplar, so fand sich schnell Ersatz. Als er im Juli 1902 das Gefängnis verließ, war er eigentlich schon ein gemachter Mann. Denn in den zwölf dressierten Katzen, die er mit in die Freiheit hinausnahm, lag für ihn ein Kapital. Genau drei Wochen nach seiner Entlassung wurde er für ein Varietetheater in St. Louis verpflichtet, und zwar gegen ein Monatsgehalt, die so hoch war als früher sein Jahreseinkommen als Lokomotivführer. Der einstige Sträfling erzielte mit seinen dressierten Katzen einen außerordentlichen Erfolg. Überall, wo er auftrat, bildete seine Vorführung eine der Glanznummern des Programms. Er bereiste die ganze Welt, lebte sparsam und erreichte so, daß er nach sechsjähriger angestrengter Arbeit sich mit einem Vermögen von über einer Million ins Privatleben zurückziehen konnte.

Schließlich sei hier noch der Erfindung eines Mannes mit Namen Viktor Orlille gedacht, der in Sydney in Australien wegen eines Mordes zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden war. Orlille, ein äußerst gewalttätiger Mensch, zeigte sich stets widersetzlich und mußte daher oft ganze Wochen im Dunkelarrest zubringen. In der stockfinsteren Zelle nun ersann er, um die furchtbare Langweile zu vertreiben, ein Geduldspiel, das aus verschieden geformten Täfelchen bestand, die zu bestimmten Figuren zusammengesetzt werden sollten. Das Material zu diesen Täfelchen lieferte ihm die Kalkschicht der Zellenwände, die infolge der Feuchtigkeit abblätterte. Mit unendlicher Geduld formte Orlille, in der Finsternis nur auf den Tastsinn seiner Finger angewiesen, daraus die verschiedenartigen Täfelchen. Als er dann mit den Jahren ruhiger geworden war und sich in sein Schicksal ergeben hatte, wurde er in der Tischlerwerkstätte des Gefängnisses beschäftigt. Hier, wo ihm ein leichter zu bearbeitendes Material und gute Werkzeuge zur Verfügung standen, vervollkommnete er sein Geduldspiel so, daß er damit das Interesse des Gefängnisgeistlichen erregte. Durch Vermittlung des Geistlichen wurde die Erfindung des Sträflings an eine Kinderspielwarenfabrik in Sydney verkauft, die dann die Geduldspiele in großen Massen herstellte und in alle Welt verschickte. Jedenfalls steht fest, daß das Geduldspiel Viktor Orlilles das erste war, welches Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Europa auftauchte. Orlille ist im Jahre 1903 begnadigt worden. Auch er verließ das Gefängnis als vermögender Mann, da die Kaufsumme für seine Erfindung sich durch die inzwischen angelaufenen Zinsen mehr als verdoppelt hatte.

[W. K.]

 

 

Anmerkungen:

  1. Auch fast wortgleich erschienen unter dem Titel Von Leuten, die im Gefängnis reich geworden sind in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Band 9, S. 114–115.
  2. Ebenfalls fast wortgleich erschienen unter dem Titel Wie Leute im Gefängnis reich werden in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang (Okt. 1910 – Okt. 1911), Heft 22, S. 1014–1015.