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Der Aberglaube der Zirkusleute

 

Der Aberglaube der Zirkusleute. – Nicht nur die Bühnenkünstler, sondern auch die Zirkusleute haben ihren bestimmten Aberglauben, und gerade in dieser kleinen Welt der „fahrenden Leute“, der Wanderzirkusse, die mit ihren grüngestrichenen Wagen von Ort zu Ort ziehen, haben sich verschiedene abergläubische Regeln mit seltener Zähigkeit erhalten.

Jeder Zirkusdirektor achtet darauf, daß nach Aufbau des Zeltes vor der Eröffnungsvorstellung ja kein Besen durch die Manege getragen wird, ebensowenig wie jemals der mit Sägespänen bedeckte Manegenboden mit einem Besen gekehrt werden darf; er wird stets nur mit einer Harke behandelt. Mit dem Besen fegt man das Glück hinaus, sagen die Zirkusleute. Niemals wird die erste Vorstellung für einen Freitag angesetzt. Der Freitag gilt auch hier als Unglückstag.

Gefundene Hufeisen werden sorgfältig aufbewahrt, besonders die von Eseln. Man nagelt sie auf die Treppe der Wohnwagen, an die Zeltstangen und an die Unterseiten des Kassentisches. Das soll Unglücksfälle verhüten und reiche Einnahmen gewährleisten. Mit Schirmen darf das Personal nie den Zirkus betreten, desgleichen ist es dem Kassierer oder der Kassiererin streng untersagt, Gummischuhe zu tragen. Dadurch würde schlechtes Wetter, Regen und Sturm, herbeigelockt werden.

Stellt es sich bei der abendlichen Abrechnung heraus, daß mehr Geld in der Kasse ist, als Eintrittskarten verkauft sind, daß sich also der Kassierer beim Geldwechseln zugunsten der Kasse geirrt hat, so wird der Überschuß regelmäßig einer wohltätigen Anstalt zugeschickt oder an Bedürftige verteilt. „Unrecht Gut gedeiht nicht“ – das vergessen die Zirkusleute nie.

Reitkünstler, die schwierige Nummern zu erledigen haben, kauen kurz vor dem Auftreten ein Mähnenhaar ihres Pferdes, wodurch sie gegen Unglücksfälle gefeit werden. Neu zur Dressur angekauften Pferden mischt man Rosenblätter unter das Futter. Sie sollen dadurch fügsamer und gelehriger werden. Ebenso spielt die Peitsche des Stallmeisters im Zirkusaberglauben eine große Rolle. Eine durch einen Pferdetritt verletzte Peitsche wird nie mehr benützt. Sie würde die Tiere scheu machen und die ganze Dressurnummer gefährden. Viele Direktoren flechten stets in das untere Ende der Schnur einer neuen Peitsche ein Stück von der alten ein. Auch das soll unliebsame Zwischenfälle während der Vorstellung verhüten.

Große Bedeutung wird den Träumen der Zirkusangestellten beigemessen. Träumt jemand, daß der Zirkus abbrennt, so ist in dem nächsten Orte auf glänzende Einnahmen zu rechnen. In diesem Falle wird also das im Traum geschaute Unheil als glückbringend gedeutet. Anders dagegen, wenn jemand von einer unter den Zirkuspferden ausbrechenden Seuche träumt. Dann läßt der Direktor schleunigst Krippen und Ställe desinfizieren.

Am schlimmsten ist in jedem Zirkus offenbar der Kassierer daran. Nicht nur, daß ihm das Tragen von schützenden Gummischuhen, „Regenmagneten“, verboten ist – nein, auch mit seinen Träumen muß er sich sehr in acht nehmen. Findet er im Traum Geld, so stehen der Truppe schwere pekuniäre Schädigungen bevor; verliert er welches, so werden die besten Kräfte dem Direktor kündigen. Von guter Vorbedeutung ist einzig und allein, wenn er von Monarchen oder sonstigen hochstehenden Persönlichkeiten träumt. Dann ist bestimmt auf volle Häuser und reiche Gönner zu rechnen.

[W. K.]

 

 

Anmerkung:

  1. Auch fast wortgleich erschienen unter dem Titel Der Aberglaube der Zirkusleute in: Das Buch für Alle, Jahrgang 1913, Heft 27.
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