Tragödien des Waldes. – Ich habe im meiner jahrzehntelangen Laufbahn als Jäger bereits eine große Anzahl von jenen traurigen Fällen zu beobachten Gelegenheit gehabt, in denen Wild durch einen unglücklichen Zufall ein qualvolles Ende fand. So bin ich Besitzer der Geweihe zweier „verkämpfter Hirsche“. Diese Geweihe hätte ich mit aller Gewalt auseinanderbrechen müssen – ich habe sie vereint gelassen, und sie bilden unter meinen Jagdtrophäen das seltenste Stück. Diese beiden Hirsche fand ich einst im Jagdrevier Tegernsee auf einer Waldblöße verendet auf. Sie waren verhungert, weil ihre Geweihe beim Kämpfen ineinander geraten waren und sie sich nicht mehr voneinander lösen konnten. Der Moosteppich war dort in einem Kreise von etwa sechs Meter von den Läufen der sich hin und her zerrenden Tiere völlig aufgewühlt.
Zum Glück ist derartiges „verkämpftes“ Wild eine Seltenheit. Ich weiß im ganzen nur von drei Fällen, in denen ineinander verflochtene Stangen Hirschen beziehungsweise Rehböcken den Tod brachten. Denn zumeist werden die gegen ihren Willen so fest vereinten Tiere noch zur rechten Zeit aufgefunden und mit Hilfe einer scharfen Säge, mit der allein der harten Hauptzier beizukommen ist, befreit.
Häufiger aber als „verkämpftes“ findet der Weidmann „eingeklemmtes“ Wild. So wurde ich einmal bei einem Spaziergang im Forst durch ein lautes Rascheln im Dickicht von dem schmalen, wenig begangenen Fußsteig abgelockt und entdeckte einen Rehbock, der mit dem Gehörn zwischen zwei aufeinanderliegende Astgabeln eines starken Haselnußstrauches geraten war und dort nun wie in einem Joch festsaß. Das Tier hatte sich in seiner Todesangst bereits den ganzen Hals wundgerieben und wäre elend eingegangen. Als ich die Äste auseinanderbog, wollte der Bock in die Dichtung flüchten, brach aber vor Erschöpfung zusammen. Erst nach einer Stunde hatte er sich soweit erholt, daß er flüchtig abgehen konnte.
Nicht immer bringt jedoch dem zwischen starken Zweigen oder auch dichtstehenden Bäumen festgeklemmten Wilde ein glücklicher Zufall den Retter herbei. Ein Freund, der häufig bei einem Jagdherrn auf der Insel Rügen zu Gaste war, erzählte mir zum Beispiel, daß er dort einmal ein Stück Damwild verendet in einem Wildgatter hängend auffand. Die schadhaften Stellen des Wildgatters hatte man mit weitmaschigem Drahtgeflecht ausgebessert, und durch ein Loch dieses Geflechts hatte der Damhirsch seinen Kopf gezwängt, wahrscheinlich, um von dem jenseits des Gatters stehenden Hafer zu naschen. Beim Zurückziehen des Kopfes war er dann mit den Geweihstangen in die Drahtmaschen geraten und hatte sich so fest verfangen, daß er nicht mehr loskam und jämmerlich zugrunde gehen mußte.
Auf eine noch eigentümlichere Weise hatte der Tod einen Rehbock ereilt, den Forstarbeiter auf einer Waldblöße verendet auffanden. Der Bock steckte mit Kopf und Gehörn fest in einem alten, hohlen Eichenstumpf und war in dieser schrecklichen Lage verhungert. Er hatte fraglos, nach einer langen Periode großer Hitze und Trockenheit von Durst gequält, in dem hohlen Baumstumpf nach Wasser gesucht. Auch hier blieb er dann mit den Spitzen des Gehörns, als er den Kopf zurückziehen wollte, hängen. Die Qualen einer solchen bedauernswerten Kreatur sind kaum auszudenken. Fälle wie die obenerwähnten sind in Wahrheit Tragödien des Waldes, die wohl nicht nur das Herz eines Weidmannes mit tiefem Mitleid erfüllen.
[W. K.]
Anmerkung: