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Rechtshändel bulgarischer Bauern

 

Rechtshändel bulgarischer Bauern. – Der bulgarische Schriftsteller Ludowawitsch schildert in seinem Buche „Mein Vaterland und meine Landsleute“ einige tragikomische Prozeßgeschichten aus der Zeit vor dem Kriege. „Einem Rechtshandel aus dem Wege zu gehen, gilt bei der ländlichen Bevölkerung geradezu als schimpflich. In der Dorfkneipe werden die Prozesse regelmäßig des langen und breiten durchgesprochen. Wer die meisten führt, bildet den Mittelpunkt der allgemeinen Unterhaltung und ist stolz darauf. Daher wird vielfach aus reiner Eitelkeit um der nichtigsten Dinge willen die Entscheidung der Behörden angerufen. In jeder kleinen Stadt gibt es mindestens ein Dutzend sogenannter Advokaten, die, ohne als Prozeßvertreter bei Gericht zugelassen zu sein, sich lediglich von der Leichtgläubigkeit und Vertrauensseligkeit dieser einfachen Leute nähren.

Ein reicher Bauer erscheint bei seinem langjährigen Rechtsbeistand und will gegen seine Dorfgemeinde klagen, weil diese ohne seine Erlaubnis einen öffentlichen Weg über seinen Acker geführt hat. Der ‚Advokat‘ weiß sehr gut, daß die Sache vor das Gericht der nächsten größeren Stadt gehört und daß er hierbei überhaupt nichts ausrichten kann. Trotzdem schlägt er seinem Klienten vor, zunächst eine Eingabe bei Gericht zu machen. Der Bauer ist einverstanden. Nun kommt die wichtigste Frage. Der Herr Advokat besitzt nämlich drei verschiedene Schreibfedern: eine stählerne, eine silberne und eine goldene. Die Benützung der letzteren bei Anfertigung der Eingabe kostet fünf Lev (Frank), dann ist der Erfolg aber auch ganz sicher. Die beiden ersteren sind billiger. Natürlich wird die goldene Feder ausgesucht. Ehrfürchtig schaut der Bauer zu, wie das Schriftstück entsteht. Dann liest der Herr ‚Advokat‘ das Machwerk vor. Es ist möglichst unverständlich abgefaßt und enthält viele grobe Beleidigungen der Dorfgemeinde. Nun wird die notwendige Stempelmarke möglichst lose auf den Bogen geklebt. Sie kostet weitere acht Lev. Dann schiebt der Herr Rechtsbeistand die Eingabe in einen Umschlag, versiegelt diesen, versieht ihn mit einer Briefmarke, schreibt seinen eigenen Namen und seine Adresse darauf und läßt den fertigen Brief von dem Bauern selbst in den nächsten Postkasten werfen, damit der Mann auch sicher ist, daß die Eingabe richtig abgeht. Der Bauer, der nicht lesen kann, tut wie ihm geheißen, und kehrt vergnügt heim. Daß die Eingabe sich schon am nächsten Tage wieder in Händen seines gewissenlosen Ratgebers befindet, der die Stempelmarke von dem Bogen ablöst und so die acht Lev für sich ‚gespart‘ hat, ahnt der Ärmste nicht.

Drei Wochen vergehen. Der Bauer wird ungeduldig und begibt sich bei Gelegenheit zu seinem Rechtsbeistand. Er habe noch immer keinen Bescheid erhalten. Dann sei die Antwort verloren gegangen. Man müsse noch einmal und noch ausführlicher schreiben. Wieder zahlt der Bauer seine dreizehn Lev wie das erste Mal. Dasselbe Spiel wiederholt sich. Nach weiteren zwei Wochen erscheint der Herr Rechtsbeistand, der den weiten Weg nicht gescheut hat, bei dem Bauern, teilt ihm mit, daß das Gericht den Vorschlag mache, die Parteien sollten sich im guten einigen, und zeigt ihm auch irgend ein amtliches Schreiben vor. Der Redegewandtheit des ‚Advokaten‘ gelingt es denn auch nach einiger Zeit, einen Vergleich herbeizuführen, wofür weitere dreißig Lev in Rechnung gesetzt werden. So kostet nun dem Bauern die Geschichte sechsundfünfzig Lev, die er eigentlich für nichts ausgegeben hat. Denn hätte er sich sofort an den Gemeindevorstand mit einem Vergleichsvorschlag gewandt, so würde die Sache genau so ausgelaufen sein.“

[W. K.]

 

 

Anmerkung:

  1. Auch erschienen unter dem Titel Prozeßwütige bulgarische Bauern in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Band 6, S. 222–224. Dieser Artikel hier ist stark gekürzt, am Anfang und am Ende entfällt zusätzlich jeweils ein Abschnitt.