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Die Lahore-Vase

 

 

Die Lahore-Vase

 

Kriminal-Roman

von

Walther Kabel

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Dresdener Straße 88–89

 

Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht vorbehalten.
Copyright 1919 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck der Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Er fand, sie habe etwas Madonnenhaftes an sich.

Diese Ansicht korrigierte er jedoch schon nach drei Minuten.

‚Schön, aber auf faulen Pfaden …!’ dachte er. ‚So sieht sich nur jemand um, der …’

Ah – sie war verschwunden, hatte aber noch schnell dort vor jener Haustür die dichte weiße Gesichtsgardine, die bisher sehr gefällig den Rand des englischen Strohhutes eingefaßt hatte, herabgezogen.

Er war nun vor jenem Hause ebenfalls angelangt. Stutzte – schaute nochmals hin – – lächelte …!!

Sollte sie etwa auch …?! – Das wäre wahrhaftig ein merkwürdiger Zufall gewesen …!! Dann wäre nämlich die seltsame Scheu der Madonna erklärt …!! – –

*

Es mag dies für einen Kriminalroman eine etwas ungewöhnliche Einleitung sein.

Aber – nachdem ich mir bei zwei Zigarren und zweitausend Schritten, immer mein Zimmer auf und ab, überlegt hatte, wie ich das, was Viktor Ruhnau und ich zusammen damals erlebt hatten, am besten auf diesem Wege in Geld umsetzen könnte, entschloß ich mich, nicht nach dem üblichen Rezept für Kriminalromane in den ersten drei oder vier Kapiteln die Entdeckung eines Verbrechens zu schildern, sondern selbst auf die Gefahr hin, das geneigte Lesepublikum zu einem Kopfschütteln zu veranlassen, alles so zu berichten, wie es sich zeitlich abgespielt hat, wobei es etwas sehr kraus hergehen wird.

Ich hätte mich in dem soeben beendeten Bandwurmsatz genauer ausdrücken sollen. Viktor Ruhnau ist die Hauptperson in dieser Geschichte, und ich habe nur einen Teil davon miterlebt, was immerhin zur Folge hatte, daß die Tante Emma in Königsberg, der Stadt der berühmten Klopse, die der Mops nicht fressen wollte, Nervenanfälle kriegte, als sie meinen Namen in der Zeitung las und zwar in einem blutigen Artikel, der die Überschrift trug: ‚Das Geheimnis der indischen Vase’.

Da ich hier nun schon mal von mir angedeutet habe, daß ich gewerbsmäßiger Schilderer spannender Ereignisse bin, denen ich dem Brauche gemäß den Namen Roman gebe, obwohl dies eine Anmaßung ist, will ich noch über mich schnell zur Orientierung das Nötigste anführen, soweit es hier erforderlich ist. –

Ich habe neuere Sprachen studiert. Mißliche Vermögensverhältnisse und eine gewisse Uneinigkeit, die zwischen meinen würdigen Eximinatoren und mir im Staatsexamen über den Umfang meiner positiven Kenntnisse herrschten, zwangen mich mit fünfundzwanzig Jahren in die Stellung eines Hauslehrers bei einem gräflichen Majoratsherrn hinein, bei dessen drei Söhnen sich feststellen ließ, daß das Wort‚ je mehr Ahnen, die weniger Ahnung!’ doch wohl recht häufig zutrifft. Auch mir gelang es nicht, den heranwachsenden Jünglingen Interesse für die Wissenschaft einzuflößen. Die Saat fiel auf allzu dürren Boden. Diese Enttäuschung, trotz aller Liebesmüh den edlen Sprossen wahrscheinlich nur ‚die Reife für das Einjährige’ eindrillen zu können, wurde gemildert durch die landschaftlich wirklich bezaubernde Lage des Schloßes und durch viel, sehr viel freie Zeit. Und diese Freistunden verführten mich, die erste Erzählung zu schreiben, in der ich dann den Haken fand, der mich hinab oder hinauf – wie man’s nehmen will! – in einen neuen Beruf zog. Ich wurde die Erzählung nämlich bei einer sehr anständig zahlenden Redaktion los, und die zweihundertundzehn Mark Honorar täuschten mir vor, ich besäße Talent …

Ich schrieb von da an in der freien Zeit nur noch Erzählungen. Aber – so gut wie das erste Kindlein meiner Muse und Muße geriet nichts mehr, vielleicht deswegen nicht, weil die Geldgier stets hinter dem Stuhl des Poeten stand und vor seinen Augen in flammenden Lettern das Wort ‚Honorar’ … – –

Nachdem ich die drei Jünglinge nacheinander glücklich durch das Einjährige gebracht und sie reif für die Fähnrichspresse gemacht hatte, kehrte ich dem feudalen Majoratssitz den Rücken, siedelte mich in der alten Hafenstadt Danzig an und … schrieb weiter, schrieb, um zu leben, um satt zu werden. – –

Viktor Ruhnau kannte ich von Berlin her. In Danzig begegneten wir uns nach drei Jahren dann wieder und wurden bald Freunde.

So – das genügt. – Nun zurück zu der scheuen Madonna …

*

Nachdem in Danzig die Technische Hochschule eröffnet war, öffneten auch verschiedene neue Leihhäuser in weiser Voraussicht kommender Dinge ihre Pforten.

Eine dieser Neugründungen lag in der Breitgasse in einem hohen Hause im ersten Stock und gehörte einem Herrn Isidor Katzenstein, der über der Haustür ein Riesenschild ‚Pfandleiher’ hängen und in seinem Herzen eine ehrliche Vorliebe für Studenten sitzen hatte.

Herr Katzenstein war ein schwächliches, altes Männchen, das zusammen mit seiner Frau, die ihm getrost einige dreißig Pfund hätte abgeben können, die Finanzgeschäfte erledigte. –

Um nicht einmal von bösen Menschen mit verbrecherischen Neigungen überfallen zu werden, hielt er sich einen Hund, einen dressierten Wolfshund namens Pinkus. Im allgemeinen schwärmen die Glaubensgenossen Katzensteins nicht für Hunde. Frau Rebekka und Isidor aber liebten ihren Pinkus über alles. Doch mit der Zeit war Pinkus fett und faul geworden. Nur seines Kopfes feiner Linienführung konnte die andauernde Mastkur nichts anhaben. Er blieb ein schönes Tier, – nur die Wächtereigenschaften hatten gelitten. So war er nur noch ein unschädliches Schreckmittel für gewalttätige Eigentumsverächter. –

Der alte Herr Katzenstein schaute zum Fenster auf die Breitgasse hinaus, wo soeben eine Elektrische ratternd vorüberfuhr. Es war vormittags gegen elf Uhr. Er machte zu seiner Gattin, die im Lehnstuhl am anderem Fenster saß und den Roman aus der Morgenzeitung las, eine Bemerkung über das herrliche Maiwetter und anschließend eine zweite über den flauen Geschäftsbetrieb. –

Dann ging die Tür auf, die Glocke schlug gellend an, und die verschleierte Madonna trat ein.

Katzenstein rückte den Nickelkneifer zurecht, kam an die Tombank, stützte sich mit beiden Händen darauf, verbeugte sich tief, weil er hier sofort ‚bessere’ Kundschaft witterte – des Schleiers wegen, der das verlegene Gesicht verbergen sollte, das zum erstenmal vielleicht das Innere einer Pfandleiher schaute! – und fragte nach dem Begehr der Kundin.

Die legte schweigend, aber mit unsicherer Hand ein längliches Etui auf die Glasplatte des Tomtisches und flüsterte: „Wie viel würden Sie für den Schmuck geben?“

Isidor horchte auf. – Schmuck …!! – Das klang vielverheißend.

Am Fenster fuhr er dann beim Anblick der schillernden Brillantenschnur leicht zusammen, beherrschte sich aber schnell und prüfte mit dem Vergrößerungsglas zunächst jeden einzelnen der erbsengroßen Steine.

Dann fragte er: „Haben Sie eine Legitimation mit, meine Dame? – Etwas so Wertvolles beleihe ich nur, wenn … – Na, – man muß eben vorsichtig sein.“

Die Madonna stotterte darauf: „Legitimation? – – Nein, – daran habe ich gar nicht gedacht.“

Katzenstein wiegte bedauernd den mageren greisen Kopf hin und her …

Da schlug die Türglocke abermals an.

Der neue Kunde war ein schlanker, fast überelegant angezogener jüngerer Herr, – etwa Mitte der Zwanzig, trug ein Monokel und trat sehr sicher auf.

Er stellte sich neben die Madonna an die Tombank, schaute sich in dem als Kontor mäßig eingerichteten Zimmer um und betrachtete dann den Wolfshund, der zu Frau Rebekkas Füßen lag.

Um die Madonna kümmerte er sich nicht.

Sie dagegen war beim Anschlagen der Türglocke erschrocken herumgefahren und hatte offensichtlich alle Mühe, nicht zu zeigen, wie ängstlich sie war und wie gedemütigt sie sich hier fühlte. –

„Schade!“ meinte der alte Mann freundlich und drückte das Etui wieder zu, so daß es einen harten Knacks gab, bei dem Pinkus etwas den Kopf hob – „Schade, – aber ohne Legitimation …?!“ Er hob die Schultern in aufrichtigem Bedauern, kam an die Tombank zurück und fuhr fort: „Haben Sie denn gar nichts bei sich, meine Dame, wodurch Sie sich legitimieren könnten?“

Die blonde Madonna öffnete ihr schon etwas beschabtes ledernes Handtäschchen und reichte ihm wortlos ein zusammengefaltetes Papier. Ihr schien inzwischen eingefallen zu sein, daß sich dieses vielleicht als Ausweis benutzen ließe.

Katzenstein las und nickte befriedigt.

„Ich rechne auf Ihre Diskretion!“ sagte die Madonna leise.

„Gewiß – dürfen Sie bestimmt. – – Tausendfünfhundert Mark will ich geben … Zufrieden, meine Dame?“

Ein leises Ja! – Aber es klang enttäuscht und zögernd.

„Hatten Sie auf mehr gehofft?“ Katzenstein bewies, daß er aus dem Tonfall dieses einfachen ‚Ja‘ richtige Schlüsse gezogen hatte.

„Auf zweitausend,“ lautete die geflüsterte Antwort.

„Nu – gut, – zweitausend!“

Wenige Minuten später war die Madonna wieder auf der Straße, um zweitausend Mark und einen Pfandschein reicher, reicher auch um die Kenntnis, wie es in einem Leihhaus zugeht.

Der Herr mit dem Monokel aber war, nachdem die junge Dame kaum den Raum verlassen hatte, ihr gefolgt. Seine goldene Uhr mit Kette hatte er Katzenstein vorher übergeben und gesagt:

„Können Sie hundert Mark dafür geben? – Schätzen Sie die Sachen ab. Ich komme wieder!“ –

Der alte Mann ging zu Frau Rebekka hin, trat Pinkus in der Aufregung auf die Rute, so daß der Hund heulend hochschnellte, und meinte zu der wohlgenährten Lebensgefährtin:

„Gott steh mir bei, Rebekka, – was habe ich gekriegt for e Schreck! Schau dir an das Kollier – – ganz genau!“

Die weißhaarige Frau begann plötzlich zu zitternd. Und über ihre Lippen kam’s mühsam wie in maßlosem Staunen und doch auch wieder wie in heller Freude:

„Das – das indische Halsband!! – Isidor – Isidor – was hat das zu bedeuten …?! – Mir – mir ist ganz wirr im Kopf …!!“

 

2. Kapitel.

Ahnungslos kam Viktor Ruhnau um halb ein Uhr mittags nach Hause. –

Er sagte, als er mir diesen Teil der Geschichte erzählte:

„Sieh mal, meine schön angezogene Seele, lieber Trommler, war noch so ganz erfüllt von dem weichen, entzückenden Liebreiz der Verschleierten, daß ich der Bande ganz wie im Dusel in die Krallen fiel …“ –

Gut gelaunt, betrat er sein Zimmer, legte Hut und Stock weg und steckte sich gerade eine Zigarette an, als die alte Dörte erschien.

„Der junge Herr möchte mal in den Salon kommen.“

Viktor nickte nur. Er dachte an die Madonna … Hätte er schärfer achtgegeben, wurde ihm kaum entgangen sein, daß Dörte, die ganz auf Seiten des Herrn Manfred Schimpel stand, höhnisch grinste und denselben Hohn auch in die Aufforderung legte, die ja völlig die Frage offen ließ, wer eigentlich Viktor zu sprechen wünsche. –

Im Salon der geräumigen, vornehm und solide ausgestatteten Wohnung des Herrn Konsuls Schimpel – den schönen Titel und einen Orden verdankte er einer mittelamerikanischen Republik und dem Umstande, daß er dem Vermittler tausend Mark mehr geboten hatte als sein Konkurrent, Herr Konrad – saßen um den großen Tisch in stilvollen Seitensesseln die Vertreter der Familie Ruhnau–Schimpel. –

Erstens: Die Hauptperson: der Herr Konsul, mittelgroß, kräftig, leicht ergrautes Haar, hochgestrichener, gefärbter Schnurrbart, goldener Kneifer, dahinter ein Paar kühle, graue Augen – sehr sorgfältig angezogen – im ganzen eine Erscheinung, die imponierte. –

Zweitens: Frau Anna Schimpel, verwitwete Ruhnau – korpulent, Doppelkinn, stark gepudert und parfümiert; Gesicht ganz unbedeutend. –

Drittens: Herr Gymnasialprofessor Dr. Pinkemüller, Bruder der Frau Schimpel, solide, ehrbar, verknöchert und verbittert durch den Daseinskampf bei fünftausend und achthundert Mark Gehalt und sieben Kindern. –

Viertens: Fräulein Adele Ruhnau, altes, hageres Fräulein mit freundlichem, aber stets etwas verängstigtem Gesicht und dem Naturparfüm der Katzenliebhaberin, deren Pussis und Mietzen nicht stubenrein sind. –

Das war der Gerichtshof, vor dem Viktor sich heute urplötzlich zu verantworten hatte.

Als der schlanke, so selbstsicher auftretende Student die feierlichen Gesichter sah, wußte er sofort Bescheid. – Das würde wieder einen netten Tanz geben …!! Wer weiß, was der hohe Familienrat wieder von ihm wollte …!!

„Setz’ dich!“ begann der Konsul sehr ernst, aber mit einem Unterton, als habe er tiefes Mitleid mit dieser verirrten Seele.

Viktor hatte sich leicht verbeugt.

„Ich kann auch stehen,“ meinte er, indem er sich gegen den Flügel lehnte, sein Monokel vornahm und es zu putzen begann.

Der Konsul seufzte leise. Dann hub er an, erst mit halber Stimme, die aber in scheinbar wachsender Erregung mehr und mehr sich verstärkte: „Du bist jetzt wieder einmal vier Wochen während der Osterferien in deinem Elternhause gewesen, so daß wir Gelegenheit gehabt haben, dich und deine Daseinsführung unparteiisch und persönlich betrachten zu können. Zu unser aller größtem Kummer mußten wir feststellen, wie wenig all unsere eindringlichen Ermahnungen früherer Zeiten genützt haben. Nach wie vor vergeudest du das Geld mit vollen Händen, treibst dich die Nächte umher, betrinkst dich …“

Konsul Schimpel mußte hier innehalten. Hell und scharf war Viktors Stimme dazwischen gefahren …:

„Betrinken? – Bitte – Beweise?!“

„Ja – du betrinkst dich – sinnlos sogar! Du bist vorgestern morgen sieben Uhr heimgekehrt in einem völlig durchnäßten, mit Schlamm beschmutzen Anzug, ohne Hut …“

„Aha – Dörte hat wohl die Angeberin gespielt?!“

„Allerdings – aus ehrlicher Entrüstung heraus! Du hast ihr gegenüber zugegeben, ins Wasser gefallen zu sein als …“

„Danke – kenne ich!“ schnitt Viktor den Satz mit ironischem Lächeln entzwei.

„Unerhört!“ stieß Professor Pinkemüller hervor.

Der Konsul machte eine Handbewegung, als wollte er sagen: ‚Sieh ihm das nach, dem armen Gestrauchelten!‘ Dann nahm er die Aufzählung der moralischen Gebrechen seines Stiefsohnes wieder auf:

„In diesen vier Wochen bist du fünfmal betrunken nach Hause gekommen …“

„Bitte – viermal, und nur stark angeheitert …“ verbesserte Viktor seelenruhig.

Der Professor klopfte, flatternd vor Empörung, mit dem Knöchel des gekrümmten Zeigefingers auf den Tisch …

„Wüstling!!“ fauchte er dazu.

Viktor sah ihn an und zuckte nur die Achseln.

„Fünfmal – fünfmal!“ donnerte der Konsul los.

„Streiten wir uns nicht um einmal mehr oder weniger,“ meinte Viktor indem er sich seine Fingernägel besah.

„Dann weiter hast du auch wieder Schulden gemacht – Rechnungen sind eingegangen, die …“

„… die nur ein Schnüffler, mit einem Nachschlüssel bewaffnet, bei mir im Zimmer gefunden haben kann,“ vollendete Viktor kalt.

„Soll das auf mich gehen?!“ brüllte der Konsul, der jetzt jede Selbstbeherrschung verloren hatte. „Deine Mutter hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, sich zu überzeugen, ob …“

„Arme Mama, hast du dich zu dieser Spioniererei wirklich bestimmen lassen?“ fiel der Student dem Tobenden abermals ins Wort.

Der Konsul schnellte empor.

„Genug, genug, Lotterbube …!! Wir werden dir zeigen, daß …“

Da erhob sich auch Professor Pinkemüller und streckte den Arm so gebieterisch gegen den Lasterhaften aus, daß ihm die Manschette über die Hand flog und seiner Schwester gerade in den Schoß fiel.

„Wir könnten dich deines Lebenswandels wegen unter Vormundschaft stellen lassen,“ sagte er voll tiefster Verachtung. „Aber wir haben noch ein anderes Mittel! Dein seliger Vater, der dir gegenüber nur leider stets zu schwach gewesen ist, der schon aus dem heranwachsenden Jüngling einen eitlen Fand[1], einen …“

Bis jetzt hatte Viktor sich beherrscht. Nun aber riß auch ihm der Geduldsfaden.

„Ich verbiete mir, daß hier das Andenken an meinen Vater durch derartige Bemerkungen geschmäht wird!“ rief er mit einer Stimme, die all das Müde, Blasierte völlig verloren hatte. „Ich weiß jetzt, woran ich bin! In dieser Sache liegt System! Man will mich aus dem Vaterhause verdrängen, will mich als einen moralisch Verkommenen hinstellen! – Gut – ich gehe freiwillig! Nur verlange ich natürlich, daß …“

Sein Zorn war schon wieder verraucht. Diese Leute hier – auch seine ihm längst völlig entfremdete Mutter, standen ihm so fern wie gänzlich Unbekannte. Für seinen Stiefvater und den scheinheiligen Professor empfand er sogar nur Verachtung. Einzig und allein die Tante Adelheid bildete eine Ausnahme, war nichts als eine Verführte, die in ihrer Altjungferlichkeit und Weltfremdheit alles glaubte, was man ihr nur mit der nötigen Überzeugungstreue vorerzählte. Sie saß denn auch jetzt ganz verschüchtert da, rang stumm die Hände und wußte nicht, wo sie die Augen lassen sollte.

Nein – sein Stiefvater und der Professor waren es wirklich nicht wert, sich über sie aufzuregen! Und daher wurde auch Viktors zu anfangen so scharf klingende Verteidigung schnell wieder matter und ging in eine ironische Tonart über, die, freilich unbeabsichtigt, auf den Konsul den Eindruck der Unsicherheit machte und ihm den Mut gab, Viktor ins Wort zu fallen.

„Was du zu verlangen hast und was nicht, werden wir dir nachher mitteilen. Zunächst bitte ich mir so viel Achtung aus, daß du mich nicht unterbrichst! – Wenn es lediglich deine Trunk- und Verschwendungssucht wären, die uns Sorgen bereiten, schwere, schwere Sorgen, ging das noch hin. Aber – du bist als Sohn einer hochachtbaren, hochangesehenen Patrizierfamilie dieser alten Handelsstadt schon so weit gesunken, daß du … deine Wertsachen versetzt …!! Heute Vormittag bist du in einem Leihhause gewesen …“

„Ah – soweit geht die Spioniererei schon!“ lachte Viktor verächtlich auf.

„… gewesen und hast Uhr und Kette deines seligen, hochverehrten Vaters, – – – Wie meintest du eben?“

„Ekelhaft! – sagte ich.“

Der Konsul warf seiner Frau einen Blick zu, als ob er sie ganz besonders auf diese bodenlose Frechheit aufmerksam machen wollte. – Dann fuhr er eisig fort:

„Auch sonst bist du auf Abwege geraten, die dich notwendig in das moralische Verderben hineinführen müssen. Du bist heute, nachdem du dem Pfandleiher Katzenstein Uhr und Kette vorläufig übergeben hattest, einem jungen Mädchen nachgeeilt, hast sie …“

„Danke für Einzelheiten. Ich weiß das alles sehr gut!“ fiel Viktor ihm ins Wort, indem er sich mit übertriebener Höflichkeit verbeugte. „Wenn irgend etwas mir die Augen über diese Umtriebe hier zu öffnen im Stande war, so ist es diese harmlose Geschichte. Ich glaube, daß mein mißglücktes Abenteuer von heute noch immer anständiger ist, als wenn ein Familienvater und Pädagoge in aller Heimlichkeit Kneipen aufsucht, die …“

„Bube – Bube!!“ Der Professor war aufgesprungen. Wieder flog ihm die rechte Manschette über die Hand und auf Viktor wie ein weißes Geschoß zu. Der stieß sie mit dem Fuß bei Seite …

„Bube – wagst du mich etwa zu verdächtigen?! – Schwager – heraus jetzt mit dem, was zu sagen ist, damit dieser junge Mensch einsieht, daß wir – wir seine Meister sind …!!“

Eine Dunstwolke von Haß und unüberwindlicher Feindseligkeit schien das Zimmer zu füllen.

Gegensätze prallten hier aufeinander, wie sie kaum größer sein konnten …

 

3. Kapitel.

Als mein Freund Viktor eine Stunde nach der soeben geschilderten Familienaussprache bei mir erschien, sah ich ihm sofort an, daß etwas Außergewöhnliches seiner nur schwer zu erschütternden, leicht blasierten Ruhe und seiner beneidenswerten Abgeklärtheit einen argen Stoß versetzt haben mußte.

Mein Erstaunen wuchs, als hinter ihm ein Dienstmann auftauchte, der einen mächtigen gelben Reisekoffer schleppte.

„’n Tag, Karl. Du bekommst Besuch,“ sagte er, indem er mir seine tadellos gepflegte Hand hinstreckte, deren Nägel er stets lackierte, so daß sie förmlich schillerten. „Stellen Sie den Koffer nur dorthin,“ wandte er sich an den Dienstmann. „Bringen Sie jetzt noch die beiden anderen Stücke herauf.“ –

Wir waren allein. Der Dienstmann polterte die dunkle Stiege hinab, die zu meiner Mansardenwohnung hinaufführte. Es waren dies drei Räume; wenn man die winzige Küche mitrechnete, sogar vier, nämlich ein zweifenstriges und ein einfenstriges Zimmer, eine Kammer und die erwähnte Küche.

Ich war bisher nicht zu Wort gekommen, fragte nun:

„Was ist denn eigentlich los, Tory?“

Tory, das war sein Spitzname von der Universität her, weil es gerade damals Mode war, alles Überfeine mit ‚hochtory‘[2] zu bezeichnen. –

Er hatte sich in den Schaukelstuhl geworfen und die Beine lang von sich gestreckt.

„Ich bin obdachlos, Karl,“ meinte er, leicht die Stirn runzelnd. „Man hat mich aus dem Elternhause verjagt, besser – weggeekelt! Ein ganzes Komplott, sage ich dir – wahrhaftig! Heute war große Familiengerichtssitzung. Zum Schluß wurde mir ein mir bisher verheimlichter Passus im Testament meines Vaters vorgelesen. Diese Nachschrift enthält die Bestimmung, daß mir mein Vermögen unter gewissen Umständen auch nach Vollendung des 25. Lebensjahres nicht ausgehändigt werden solle. Ob diese Umstände vorliegen oder nicht, hätte der Familienrat zu bestimmen, bestehend aus meiner Mutter, dem Pinkemüller und der Tante Adelheid. –

Der Familienrat hat heute gesprochen. Zugegen war natürlich noch der Herr Konsul, der jetzt in meinem elterlichen Hause allein entscheidet, was gut oder schlecht, was moralisch oder unmoralisch ist. Kurz, meine Hoffnung, binnen acht Tagen endlich über mein Erbteil frei verfügen zu können, ist hinfällig geworden! – Nicht genug damit, hat der hohe Gerichtshof noch dahin entschieden, der Student der Rechte Viktor Ruhnau gibt seine Studien auf und tritt sofort in das Geschäft seiner Mutter, die Firma ‚Ernst Ruhnau, Zucker- und Getreideexport’ als Lehrling ein. – – Fein, was?!“

Ich war tatsächlich sprachlos. Erst nach einer Weile platzte ich heraus: „Wie konnte dein Vater nur eine solche Bestimmung treffen?! Er wußte doch …“

Tory winkte ab. „Rege dich nicht auf, Karlchen! – Mein Vater war der beste Mensch unter der Sonne, – nur Einflüsterungen leicht zugänglich. Diesen Nachtrag zu seinem Testament verdanke ich fraglos dem damaligen Herrn ersten Prokuristen, meinem späteren Stiefvater. –

Papa starb vor sechs Jahren, gerade als ich mein Abiturexamen bestanden und im Anschluß daran ihm runde tausend Mark Schulden aus der fidelen Primanerzeit in dem alten Ordensstädtchen an der Weichsel reumütig gebeichtet hatte. Kurz vor seinem Tode hat er mir, der nach Herrn Manfred Schimpels Ansicht so deutliche Spuren übergroßen Leichtsinns gezeigt hatte, ‚die Flügel etwas beschnitten‘, wie sich der fromme Herr Pinkemüller ausdrückte. –

Ist das ein Duett, diese beiden Ehrenmänner, die stets die Flöte und das Cello höchster Vollkommenheit spielen und die dabei in Wahrheit gräßliche Heuchler sind!!“

Ich wußte, daß Viktor nach dem 25. Lebensjahre ein großes eigenes Vermögen zu erwarten hatte. Über dessen wirkliche Höhe war ich jedoch nicht unterrichtet.

„Du wirst dir diesen Urteilsspruch doch nicht etwa gefallen lassen!“ meinte ich ehrlich empört, denn – mochte mein Freund auch allerhand kleine Schwächen haben, mochte er eitel, genußsüchtig, leichtlebig und … recht bequemen, um nicht zu sagen faul sein, – er hatte dagegen so viele gute Eigenschaften in die Wagschale zu werfen, daß jeder diese Schwächen dem liebenswürdigen, hübschen Menschen nachsah.

„Nein, Tory – niemals schweigst du dazu – das wäre noch schöner!“ ereiferte ich mich weiter. Es gibt doch noch Gerichte, die über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer solchen Testamentsklausel zu entscheiden haben!“

„Sehr richtig. Aber – ich verschmähe diesen Weg.“

„Weshalb denn in aller Welt?! – Recht muß Recht bleiben!“

„Weshalb? – Weil dann so verschiedenes an den Tag käme, was mir peinlich wäre.“

Ich verstand ihn nicht ganz. – Sollte er doch so einiges ‚berissen‘

haben, was gegen ihn zeugte?! – – Ich konnte mir ja über sein Leben und Treiben in Berlin, wo er jetzt noch ‚studienhalber‘ sich aufhielt, kein Urteil erlauben. Wir kamen nur in den Studentenferien hier in Danzig zusammen, dann freilich fast täglich. –

Der Dienstmann brachte die beiden anderen Gepäckstücke – einen Lederkoffer und einen sogenannten Stiefelsack. – Nachdem Viktor den Mann abgelohnt hatte, fragte er mich:

„Ich kann doch vorläufig bei dir bleiben, Karl, bis ich mich entschieden habe, was nun werden soll?“

„Selbstredend! Ich räume dir das kleine Zimmer ein. Wir schaffen den Diwan von hier dort hinüber. Er schläft sich ganz gut darauf.“

Er schüttelte den Kopf. „Du sollst nicht aus deiner gewohnten Ruhe und Bequemlichkeit kommen, Karl! Ihr Schriftsteller seid ja wie die alten Stiftsdamen. Eure Stimmung ist lediglich von Äußerlichkeiten abhängig; eure seelische Verfassung knetet ihr euch schon mit Hilfe eurer Phantasie zurecht. – Ich beziehe die Dachkammer! Dabei bleibt’s! Ich werde mich dort schon häuslich einrichten. – –

So, nun hilf mir mein Gepäck dorthin schaffen, und dann leg’ dich aufs Ohr! Du bist an eine Stunde Verdauungsschlaf gewöhnt.“

Es war nichts zu machen. Er blieb in der Dachkammer. Sein Riesenkoffer war eigentlich für die Tropen bestimmt, für Forschungsreisende, und ließ sich sehr einfach in ein Bett verwandeln.

Ich legte mich denn auch wirklich auf den Diwan. Aber geschlafen habe ich nicht.

Drüben bei Viktor war alles still. Er gab sich wohl redlich Mühe, während des Auspackens leise zu sein.

Ich dachte über das nach, was er mir erzählt hatte. Noch nie hatte er sich so abfällig über seinen Stiefvater und über seinen Onkel geäußert. Er war überhaupt auch in seiner Ausdrucksweise meist sehr gemessen, sogar etwas allzu geschraubt. Heute mußte sein ganzes Innere in Aufruhr sein, sonst wären Worte wie ‚gräßliche Heuchler‘ nie über seine Lippen gekommen.

Ich muß hier notwendig kurz die Lage der einzelnen Räume meiner Mansardenwohnung zueinander dem Leser klarzumachen versuchen. –

Das Haus, in dem ich damals wohnte, als sich die merkwürdigen Ereignisse abspielten, die ich hier unter dem Titel ‚Die Lahore-Vase’ zusammengefaßt habe, liegt in der Nähe des Hafens in einer engen Gasse, die den wenig poetischen Namen ‚Pfeffergang‘ hat. Dieses Haus ist uralt, schmal, hoch, hat einen spitzen Giebel und viele Eigentümlichkeiten, auf die ich im Laufe dieser Geschichte noch zu sprechen komme – Der Leser darf nicht ungeduldig werden, weil ich so ins einzelne gehe. Er kann mir glauben: ‚Die Lahore-Vase‘ wird sehr bald so spannend wie eine Erzählung des Edgar Allan Poe. Auch das Schauerliche fehlt nicht –

Also das alte Haus! Es hat zwei Stockwerke und die Mansarde. Kommt man die Treppe herauf, auf der es stets dunkel wie in einem Bergwerksschacht ist, so gelang man dort, wo die Treppe plötzlich hell wird und aufhört auf einen Bodenraum von vielleicht sechs Quadratmeter Größe. Der Hauswirt nennt ihn stolz: Trockenboden! Aber das Kunststück soll mir einer vormachen, hier Wäsche aufzuhängen! Wie sollte ich dann wohl in meine Behausung gelangen?! – Dem Treppenende gegenüber liegt die Tür zu meiner Wohnung. Tritt man ein, so steht man in einem Miniaturflur, in den durch die matten Scheiben der Küchentür Licht fällt, wenn auch nicht viel. Linker Hand geht’s in mein zweifenstriges Arbeitszimmer, das einen balkonartigen, breiten Austritt hat, auf dem ich im Sommer in Kästen allerhand Blumen züchte, aber auch Radieschen. Nach rechts gelang man in das einfenstrige Schlafzimmer, neben dem die Bodenkammer liegt, die Viktor nun bewohnte. Sie hat ein langes, schmales Fenster, das ebenso wie das der Schlafstube auf die Pfeffergasse hinausgeht.

Die Wohnung hat ihre großen Vorzüge für einen Schriftsteller. Sie ist billig, für einen Junggesellen sehr geräumig und bietet von dem Balkon aus einen freien Blick über einen Teil der Mottlau, die den inneren Hafen Danzigs bildet. Die Rückseite des Hauses gehört also zu der Langen Brücke, wie das breite Hafenbollwerk getauft ist.

Hiermit mag’s genug sein über das alte, schmale Haus und über mein Heim! – –

Da ich doch nicht schlafen konnte, stand ich nach einer Weile auf und ging leise in die Küche, um Kaffee zu kochen. Das Wetter war heute ja so prächtig, daß man auf dem Balkon im Freien sitzen konnte, und dort wollte ich den Kaffeetisch möglichst gefällig und nett decken, schnell noch etwas Kuchen einholen und Tory dann rufen, der die Aussicht vom Balkon ebenso sehr liebte wie Tortenstückchen, überhaupt alle Süßigkeiten.

Als alles bereit war – ich hatte mich wie ein Einbrecher bewegt, um Viktor nicht aufmerksam zu machen – klopfte ich bei ihm an.

Aber – die Kammer war leer; das heißt, seine zahlreichen Anzüge hatte er sauber auf Bügel an die Knaggen[3] des Kleiderhalters gehängt, auch sonst es sich schon behaglich gemacht, soweit dies hier möglich war, aber er selbst war weg – verschwunden – spurlos verschwunden. Ich hatte dies bald festgestellt. In meiner Wohnung befand er sich nicht mehr. Aber er hatte sie nicht durch den einzigen Ausgang nach dem Trockenboden verlassen, denn das hätte ich hören müssen. Die Flurtür knarrt nämlich derart, daß dieses Geräusch eine Sicherheitsglocke völlig ersetzt.

Wo war er also geblieben? – Mir war dieses Verschwinden unerklärlich. Ich wohnte hier doch bereits zwei Jahre, und bisher hatte ich stets geglaubt, es existierten keine Geheimtüren oder dergleichen.

Ich mußte die Tortenstückchen allein essen und sparte auf diese Weise das Abendbrot.

Ich arbeitete nach dem Kaffee bis sieben Uhr an meiner neuesten Schöpfung, setzte mich dann wieder auf den Balkon und erholte mich bei einer Zigarre von den geistigen Anstrengungen, die ich hinter mir hatte. Leicht ist es nämlich nicht, in jeden Roman neue Verwicklungen hineinzubringen – wahrhaftig nicht! Besonders wenn man monatlich zwei fertigstellen muß, um leben und die Prämien für die Lebensversicherung bezahlen zu können.

So wurde es halb neun. Es war dunkel geworden mittlerweile. Dort unten lag die Mottlau, drüben am anderen Ufer reckten die alten Speicher ihre ernsten Fronten gegen den Abendhimmel. Ein Vergnügungsdampfer legte beim Bollwerk an … Scharen von Ausflüglern spie er aus …

Wo war Tory? – –

In der Luft lastete die feuchte Schwere eines Gewitters. Wetter–leuchten zuckten über den Himmel hin, ließ die Giebel der Speicher wie auf einem Transparentbilde erscheinen, verschwinden.

Ich träumte vor mich hin. Es waren recht zufriedene Träumereien. – Das Geschäft ging gut. In den letzten zwei Monaten hatte ich eintausendzweihundert Mark verdient. Ich konnte mir im Hochsommer eine Reise leisten. Norwegen war das Land meiner Sehnsucht …

Dann hörte ich meinen Flurglocke läuten. Diese Glocke ist sicher noch unten auf dem Bollwerk zu hören. Zieht man draußen an der Flurtür an dem Griff, so erfolgt zunächst nichts. Zieht man stärker, so erdröhnt plötzlich vor einem ein schrilles Gebimmel, das jeden Uneingeweihten zurückprallen läßt. Nervenschwache Besucher kamen nur ein einziges Mal zu mir oder begehrten beim zweiten Mal durch Klopfen Einlaß. –

Es war Tory.

„Wo in aller Welt kommst du her? Wo warst du? Wie hast du dich denn aus der Wohnung entfernt?“

Er lachte. „Trommler, du fragst viel und fragst überflüssiges!“ ‚Trommler‘ nannte Tory mich nur, wenn wir unter uns waren. Er leitete diese vertrauliche Bezeichnung von einem Ausdruck ab, dessen andere Hälfte in dem Worte ‚Steißbein‘ vorkommt. Ich hatte ja mal Jugendbildner werden wollen!

Dann erklärte er, er habe einen Mordshunger. Und erst als er sich über meine Zervelatwurst, meinen Käse und andere Delikatessen meiner Junggesellenspeisekammer hermachte, sagte er zwischen den einzelnen Bissen:

„Ich habe mich zur Flurtür hinausgeschlichen, um dich nicht zu stören. Ich war in Neufahrwasser[4], wo ich meinen alten Feldwebel besuchte. Du weißt, ich habe in Berlin bei den Alexandern ein Jahr abgedient und könnte schon ‚Leutnant d. R.‘ sein, wenn ich eine ‚Lebensstellung‘ hätte, zum Beispiel Referendar wäre! Die beziehen bekanntlich in Preußen ein Gehalt von achttausend Mark jährlich, wovon man allerdings die acht streichen muß. So kommt die ‚Lebensstellung‘ heraus!“

Er war offenbar guter Laune, wenn auch nachdenklich gestimmt. Aber – er log. Er war nicht durch die Flurtür verschwunden – ausgeschlossen!

„Tory, du schwindelst!“

Sein im Lichte der Gaslampe glitzerndes Monokel musterte mich prüfend. Dann sagte er:

„Dieses Haus muß schon sehr alt sein.“

Er schien mir also auszuweichen.

„1821 erbaut. Die Zahl ist über der Haustür in einen Stein eingemeißelt, aber nur noch schlecht zu erkennen.“

„Es hat eine sehr, sehr dicke Brandmauer nach dem linken Nebengebäude zu,“ meinte er darauf, indem er sehr geschickt mit dem Schlüssel eine Sardinenbüchse öffnete.

Bei dieser Arbeit fiel mir auf, daß seine beiden Brillantringe auf dem linken kleinen Finger fehlten. Nachmittags hatte er sie noch gehabt.

Ich dachte sofort: ‚Er hat sie ebenfalls versetzt, trotzdem du ihm doch mit Geld aushelfen wolltest!‘ –

Ich war ärgerlich.

„Wo hast du deine Ringe gelassen, Tory?“

„Bei Katzenstein. – Die Sardinen sind gut.“

„Weißt du auch, daß es für mich verletzend ist, wenn du Schmuck aufs Pfandhaus trägst, wo ich dich doch …“

„Ich pumpe meine Freunde grundsätzlich nicht an,“ unterbrach er mich. – Damit war die Sache für ihn erledigt.

Nach einer Weile begann er wieder:

„Wem mag das Haus gehören, das dem deinigen im Pfeffergang gegenüberliegt?“

„Keine Ahnung. – Was für ein Interesse nimmst du an dem leerstehenden, baufälligen Kasten? – Ich weiß nur, daß es auf Abbruch verkauft werden soll. Aber es findet sich dafür kein Käufer. Man fürchtet, die Nebengebäude könnten einstürzen, wenn man es einreißt.“

„So – leerstehend?!“ griff er das eine Wort heraus.

„Allerdings. Früher war’s mal als Bureauhaus vermietet.“

„Scheint so. Im zweiten Stock im linken Vorderzimmer erkennt man durch die teilweise zertrümmerten Scheiben noch ein paar Schemel und einen plumpen Tisch.“

Seine ganze Art, dieses Gespräch zu führen, kam mir recht merkwürdig vor. Ich hatte das Gefühl, daß er an dem Hause gegenüber ein besonderes Interesse hatte. – Wirklich – schon wieder beschäftigte er sich damit.

Er fragte nämlich nach einer längeren Pause:

„Hast du dort in dem linken Vorderzimmer mal zufällig etwas bemerkt, was dir irgendwie aufstieß?“

„Tory – was hast du nur immer mit der baufälligen Bude?! – Nein – nichts habe ich bemerkt!“

„So – so …!“

Er starrte auf seinen Teller …

 

4. Kapitel.

„Tory, ich bitte dich; weshalb fragtest du soeben, ob …“

Er schob den Teller zurück und hätte dabei fast das Bierglas umgestoßen, während ihm doch alle hastigen Bewegungen ein Greuel waren.

Ich griff zu und rettete das reine Tischtuch vor einer Überflutung.

„Weil noch jemand außer mir heute Nachmittag sogar mit einem Fernglase nach jenem Zimmer hinüberstarrte,“ sagte er nach diesem kleinen Zwischenfall.

Und das war Grund genug für mich zu der Annahme, mit dem Zimmer müßte es eine besondere Bewandtnis haben, – denn eine halbe Stunde lang sitzt niemand in unbequemer Haltung in einer Dachluke und hält ein Glas vor die Augen …!!“ Er betonte die letzten Sätze stark.

„Wo saß denn dieser Jemand, Tory! – So erzähle doch mehr im Zusammenhang …! Du machst einen wirklich ungeduldig.“

„Auf dem Dach des linken Nebengebäudes in einem Dachfenster oder besser einer Dachluke,“ berichtete er nun mit einer gewissen Erregung. „Es war ein Herr, – ich betone – Herr! Sehr anständig angezogen. Er sah etwas exotisch aus. Ungar oder Italiener – so was vielleicht.“ –

Das drohende Gewitter entlud sich jetzt über der Stadt. Einzelne Donnerschläge ließen das Haus erzittern. Dann setzte ein starker Hagel ein. Ich trug mit Torys Hilfe schnell meine Blumenkästen ins Zimmer.

Nachher suchte er sich aus meinem Schrank ein Buch heraus, las und verqualmte einige Dutzend Zigaretten, während ich am Schreibtisch in meinem Roman ein liebendes Paar sich zur Abwechslung im Juli in einem Eiskeller finden ließ, was mir Gelegenheit gab, die heißen Gefühle des männlichen Teiles witzig hervorzuheben.

Ich war so in meine Arbeit vertieft, daß ich gar nicht hörte, wie Tory aufstand und hinausging.

Erst als er zurückkam, schaute ich von der Manuskriptseite auf, indem ich befriedigt dachte: ‚Die zwölfte Seite heute! Dein Tagewerk ist erledigt. Du hast zwanzig Mark verdient.‘

Tory trat näher, stellte sich neben den Schreibtisch.

„Hast du einen Augenblick Zeit, Karl?“ fragte er, indem er seinen Selbstbinder etwas zurechtzog.

„Gewiß. – Ich bin mit meinem Pensum fertig.“

Ich klappte das Tintenfaß zu und packte das Manuskript weg.

„Komm’ mal mit in dein Schlafzimmer,“ meinte er dann. „Ich verspreche dir eine ganz sonderbare Überraschung.“

Er führte mich an das Schlafstubenfenster, schlug die Vorhänge zurück und sagte: „Schau nach dem Zimmer hinüber – dem mit den Kontormöbeln.“

Das Gewitter hatte längst ausgetobt. Aber der Himmel war noch mit dunklen Wolken bedeckt, kein Stern sichtbar. Draußen herrschte eine Finsternis, die man ohne Übertreibung als pechschwarz bezeichnen konnte.

Wir hatten uns ohne Licht bis an das Fenster getastet – weil Tory es so wollte.

„Zimmer mit den Kontormöbeln – gut gesagt!!“ meinte ich. „Man sieht ja von den Häusern drüben kaum einen Schimmer!“

„Aber du weißt doch die Richtung ungefähr, in der es liegt. Blicke ganz scharf hin …!“

Ich tat’s. Ich mußte also schräg nach unten sehen. Dort etwa mußten die Fenster sein …

Ah – nun bemerkte ich wirklich etwas – etwas wie eine matte Lichtquelle – ganz verschwommen, so wie ein faulender Weidenstumpf zuweilen leuchtet.

Ich sagte dies Tory.

„Gut. – Nun nimm hier meinen Krimstecher.“

Er drückte mir das Glas in die Hand. Es war ein sehr teures Zeiss–Trieder–Binokle und ‚zog‘ vorzüglich, wie ich schon von einer anderen Gelegenheit her wußte.

Ich stellte die Linsen ein auf den hellen, großen Fleck da drüben. Immer deutlicher wurden die Umrisse, die Einzelheiten … Dann entfuhr meinen Lippen ein halblautes „Ah – Donnerwetter!“

„Siehst du ‚sie‘ jetzt auch?“ fragte Tory gespannt.

„Ja!“

Was ich sah …?! – Ah – es war so seltsam, so unheimlich, daß ich plötzlich einen Eiseshauch über meinen Leib hinlaufen spürte …

Da drüben, offenbar in jenem Zimmer, schwebte frei in der Luft ein in weißlichem Licht schimmernder Frauenkopf. Die Teile des Gesichts waren kaum zu erkennen; aber die Frisur sprach für ein weibliches Haupt. Und in dieser Frisur strahlte etwas heller, – sicher ein Haarschmuck aus edlen Steinen. Auch um den Hals trug das unheimliche Ding eine Kette aus Brillanten oder dergleichen. Die Umrisse des Kopfes zeichneten sich klar in der Dunkelheit ab. Je länger ich hinschaute, desto überzeugter war ich, daß es sich um das Haupt einer Frau handelte.

Das ganze wirkte tatsächlich mehr als eigenartig, ging einem etwas auf die Nerven.

Ich ließ das Glas sinken …

„Was bedeutet das, Tory?“

„Wenn ich’s wüßte …!! Ich hab’s soeben ganz zufällig entdeckt. Ich holte mir aus meinem Dachkammersalon Zigaretten, stellte mich hier ans Fenster und überlegte mir, wonach der Fremde heute Nachmittag wohl so eifrig aus seiner Bodenluke ausgespäht haben könnte. Da fiel mir drüben der Lichtschein auf …“

Ich schaute nochmals durch den Krimstecher …

Plötzlich krallte sich Viktors Hand um einen Arm …

„Hast du’s gesehen?“ fragte er aufgeregt.

„Ja. Es ist so, als ob sich jemand an dem schwebenden Frauenkopf zu schaffen macht, ihn durch seinen Körper teilweise oder auch ganz verdunkelt …“

Ich sprach schnell, flüsternd … Das Glas ließ ich nicht von den Augen.

Tory öffnete den einen Fensterflügel, lehnte sich weit hinaus …

„Gib mir das Glas,“ sagte er.

Er griff danach. Aber – er nahm es mir nicht ab …

An unsere Ohren war ein Schrei gedrungen – ein geller Angstruf aus menschlicher Kehle …

Und – kein Zweifel! – Der Schrei war aus dem leeren Hause gekommen.

„Hast du’s gehört?“ flüsterte ich.

„Natürlich …! – Ah!! Nochmals …! – Ein solcher Ruf entschlüpft nur einem Menschen in höchster Todesangst, Karl!“ raunte Tory mir überstürzt zu. „Dort drüben geschieht etwas, das furchtbar sein muß …“

Ich hob wieder den Krimstecher … Blickte hindurch, lauschte …

Matt schimmerte der Frauenkopf. Aber kein Schatten verdunkelte ihn mehr …

Und alles blieb still …

Nur die Nachtgeräusche der schlafenden Stadt trafen unser Ohr – verworren, leise …

Nach einer Weile sagte Tory:

„Ich möchte mal in das leere Haus eindringen, Karl – gleich, sofort! Etwas hat sich dort soeben abgespielt – etwas Schreckliches …! Es muß so sein. Der Schrei war so furchtbar.“

Ich glaubte nicht richtig verstanden zu haben.

„Eindringen – in das leere Haus?“ meinte ich zögernd.

„Ja – komm’!“ Und Tory zog mich mit sich in mein Arbeitszimmer, wo nicht nur die Gaslampe über dem Sofatisch, sondern auch meine Arbeitslampe auf dem Schreibtisch brannte.

Die Lichtfülle tat mir wohl. – Ich schaute Tory an und versuchte zu lächeln.

„Wie ein Spuk war das eben,“ sagte ich unsicher. „Ein Gespensterhaus …!! Und es ist gerade zwölf Uhr – Mitternacht – Geisterstunde …!!“ Der ironisch scherzende Ton gelang mir aber nicht ganz.

Tory lächelte nicht, sah im Gegenteil sehr ernst aus.

„Die Geschichte eignet sich nicht zum Spotten,“ meinte er nachdenklich und reckte die Worte unbewußt. „Besitzt du eine Laterne, Karl, und vielleicht einen Nachschlüssel oder aber ein Stück Eisendraht von vielleicht drei Millimeter Stärke …?“ –

So kam es, daß wir eine Viertelstunde später leise die Mansarde verließen, auf die Straße hinaustraten und dem Hause gegenüber lautlos wie Diebe zuhuschten.

Ich erkläre ganz offen, das Unternehmen war nicht nach meinem Geschmack! Durchaus nicht! Wenn ich auch in meinen Romanen ähnlich aufregende Geschehnisse gern bis ins Kleinste ausspinne und manchmal im Gruseligen förmlich schwelge und mich in dem Gedanken freue, daß dem Leser so etwas die Haare zu Berge stehen werden bei der Lektüre, zwischen Phantasie und Wirklichkeit ist doch ein gewaltiger Unterschied! – Das spürte ich heute so recht! – Am Schreibtisch bin ich ein Held – in jener Nacht war ich’s nicht!

Ich bewunderte Tory. Der benahm sich so, als ob ihm die Worte Angst oder Grauen total unbekannt waren. – Von dieser Seite hatte ich ihn noch nie kennen gelernt. Ich hatte ihn sehr unterschätzt; das sah ich jetzt ein. Die blasierte Ruhe war doch wohl bei ihm zum Teil Maske … Er wurde mir plötzlich interessant. Aber auch unbegreiflich. Er hatte so geschickt aus dem starken Draht mit Feile und Kneifzange in kurzem ein paar Dietriche hergestellt …!! – Wo hatte er diese Fertigkeit gelernt …?! – Ich sollte mich noch mehr wundern! –

Der Pfeffergang war still und einsam. Kein Mensch zu sehen. Die nächste Laterne war zehn Schritte entfernt und hatte nur einen halben Glühstrumpft, so daß die Lichtquelle recht mäßig war.

Bürgersteige gab es hier nicht. Der Magistrat hatte den Pfeffergang nicht lieb, tat nichts für die enge Gasse, in der die Hälfte der Häuser abbruchreif war.

Zu der Tür des leeren Hauses führten drei Steinstufen empor. Die Tür war mit eisernen Ziernägeln beschlagen und hatte einen Drücker von ehrwürdiger Größe.

Tory begann im dunkeln mit den Dietrichen im Schlüsselloch zu arbeiten.

Alles umsonst. Kein Schnappen eines Riegels verriet, daß die Dietriche faßten.

Tory wurde ungeduldig. – Es tröpfelte. Bald kam der Regen in dichten Strömen herab.

Es war eine Eingebung des Augenblicks, die mich nach dem Drücker greifen ließ …: „Vielleicht ist die Tür überhaupt offen …?!“

Wir hatten diese Möglichkeit noch gar nicht in Erwägung gezogen.

Tory sagte leise: „Ich verd… Esel!“ – Das war für den feinen Viktor eine unerhörte Selbstbeschimpfung …!! Aber, sie war auch so etwas berechtigt!

Denn – die Tür öffnete sich jetzt ohne Mühe …!! Knarrte nicht einmal. Benahm sich so, als wären ihre Angeln noch letztens liebevoll mit Öl behandelt worden.

Wir schlüpften in den Flur, Tory drückte die Tür wieder zu, und ich schaltete die elektrische Taschenlampe ein, die er mir aber sehr bald abnahm, um damit den sehr schadhaften Fliesenboden des Hausflurs zu beleuchten.

Stumm deutete er auf eine Spur, die aus feuchten, kaum noch wahrnehmbaren Flecken bestand und die von der Tür nach der Treppe zu verlief, wo sie sich verlor.

„Ein Beweis, daß vor uns schon ein Mensch in dieses Haus eingedrungen ist …!!“ flüsterte er mir zu.

Mir wurde immer unbehaglicher zu Mut. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, die alte Baracke wieder zu verlassen.

Draußen hörte das Rauschen des Regens auf – ganz plötzlich.

Und in demselben Augenblick wurde irgendwo in den oberen Räumen des leeren Hauses eine Tür ziemlich laut zugeschlagen …

Ich fuhr zusammen, als hätte wir jemand Eiswasser ins Genick gegossen. Ob Tory ebenfalls erschrak, weiß ich nicht. Ich glaube es aber nicht, denn nachher zeigte er ja, wie gute Nerven er hatte.

„Tory,“ flüsterte ich mit sehr belegter Stimme, – „machen wir, daß wir hier fort kommen! Wir haben hier nichts zu suchen …!“

„So? Ich denke doch!“ Und er schritt der Holztreppe zu.

Als wir auf dem Absatz des zweiten Stockwerks angelangt waren, war ich wie in Schweiß gebadet.

Die Stufen hatten so laut geknarrt und gequietscht, und bei jedem dieser Töne war mein Herz ein Schmiedehammer und meine Stirn feucht geworden.

Hier oben gab es drei Türen.

Tory hatte sich schnell orientiert und suchte die zu öffnen, die wahrscheinlich direkt in das Spukzimmer führte.

Sie war verschlossen. Ein Schlüssel steckte nicht im Schloß. Daher begann der kleinste Dietrich hier seine Tätigkeit.

Tory probierte und probierte …

Endlich ein Kacken …!!

Die Tür schob sich nach innen auf.

Ich ließ Tory gern den Vortritt. Ich legte wenig Wert darauf, ihm zu folgen. Aber – allein im dunklen Treppenflur dieses Hauses – dieses …!! Nein – dann doch lieber mit hinein …

Der weiße Lichtkegel der Taschenlampe glitt über die wenigen Möbelstücke hin. Auf dem Fußboden lag dicker Staub. Und in dieser Staubschicht zeichneten sich recht deutlich Spuren von menschlichen Füßen ab, die kreuz und quer durcheinanderliefen.

Tory raunte mir zu: „Bleib’ stehen!“

Er selbst ging auf Fußspitzen bis zur Tür gegenüber. Dort stand auf den brüchigen Dielen ein dunkles Etwas. Jetzt beleuchtete Tory es. Es war eine seltsam geformte große Urne oder Vase.

Tory bückte sich und hob sie mühsam auf. Sie schien recht schwer zu sein. Dann brachte er sie angeschleppt und reichte sie mir.

„Vorsicht, sie hat Gewicht!“ flüsterte er.

Ich nahm sie in Empfang, und Tory schlich wieder auf Fußspitzen nach der Mitte des Zimmers hin, ließ von hier den Strahlenkegel abermals über die Wände gleiten.

Ich sah, daß das weiße Licht plötzlich auf der linken Wand, wo ein riesiger Kachelofen stand, halt machte, wie mein Freund nun sich langsam dem Ofen näherte und etwas betrachtete, das ich nicht sehen konnte, da es durch den Ofen verdeckt wurde. Das Etwas mußte sich aber an der Wand dicht neben dem Ofen befinden.

Ich wurde ungeduldig. Die Vase war recht schwer. Ich hielt sie mit meinen Armen umklammert. Und ich mußte sie ordentlich gegen den Leib drücken, damit sie mir nicht entglitt.

Dann kam Tory langsam, recht zögernd, zu mir zurück, schaute mich eine Weile an und sagte kurz:

„Gehen wir!“

Er machte sich die höchst überflüssige Arbeit, die Tür wieder von außen zu verschließen.

„Wozu das?!“ brummte ich ungeduldig.

„Nachher!“ meinte er mit Betonung.

Die Vase nahm er mir dann ab, indem er erklärte: „Du sollst nicht zum Diebe werden. Ich trage die Verantwortung!“

 

5. Kapitel.

Unbemerkt kamen wir wieder in meiner Wohnung an.

Tory stellte die Vase auf den Sofatisch und trocknete sich dann den Schweiß von der Stirn.

Ich holte die Kognakflasche. Wir tranken jeder schweigend zwei Gläschen. Dann ließ ich mich total erschöpft in die Sofaecke fallen. Auch Tory setzte sich in den Plüschsessel neben mich. Seine Augen waren auf unseren Raub gerichtet.

„Was willst du eigentlich mit dem plumpen Ding!“ fragte ich ärgerlich. „Es ist Diebstahl – sogar mittels Einbruchs, da wir Nachschlüssel gebraucht haben.“

„Sehr richtig …!“ Es klang zerstreut. Und ebenso zerstreut langte er nach einer Zigarette und zündete sie sich an.

Der Kognak wirkte. Die unerträgliche Nervenanspannung ließ nach.

„Möchtest du mir nicht erklären, wozu du das Ding mitgenommen hast?“ fragte ich streng. Ich markierte den um fünf Jahre älteren.

Er blies den Rauch wie aus einem Ventil von sich.

Dann: „Weil der Mörder die Vase gleichfalls stehlen wollte und weil ich dachte, er könnte nochmals zurückkehren und sie sich holen.“

Ich wurde ganz steif vor Staunen. Und die Worte kamen nur ruckweise über meine Lippen:

„Mörder – Mörder, – – was – soll – das – heißen?!“

„Nichts anderes, als daß rechts neben dem Ungeheuer von Kachelofen eine Leiche an der Wand hing, die ich dir wohl besser nicht zeigte … Du bist zu nervös, Karl.“

Eine Weile tiefe Stille. Nur meine Wanduhr tickte langsam und bedächtig.

Dann begann Tory ganz von selbst: „Der Mensch war tot. Es hätte keinen Zweck gehabt, ihn von dem Haken herabzunehmen. Er hing in einer Drahtschlinge, die eine Schlagader halb durchschnitten hatte infolge der Schwere des Körpers. Unter dem Toten auf dem Boden lag eine Menge Blut. Und – er war nicht mehr zu retten.“

Ich hörte zu, hörte die Worte. Aber sie kamen wie aus weiter Ferne …

Endlich raffte ich mich auf:

„Tory, ist das alles denn wahr?“ fragte ich und beleckte mir die trockenen Lippen.

„So sehr wahr, daß ich sofort die Polizei hinschicken werde!“ erwiderte er. „Kannst du Rundschrift schreiben, Karl?“

Ich nickte nur.

Dann suchte er aus einer Lage Papier einen der mittleren Bogen heraus, und ich mußte folgendes schreiben:

‚Pfeffergang 9, zwei Treppen vorn ist soeben ein Mord verübt worden. Habe meine Gründe, meinen Namen zu verheimlichen, werde aber helfen, Täter zu finden. – Polizeiarzt mitnehmen!‘

Der Bogen wurde in Briefform zusammengefaltet und mit Lichttalg versiegelt, wobei Tory als Petschaft ein Zehnpfennigstück benutzte.

Dann schlichen wir abermals zum Hause hinaus. In der Nähe der Polizeiwache meines Distrikts blieb ich zurück.

Tory, der sich einen alten Pelerinenmantel von mir übergezogen und einen schwarzen Schlapphut tief in die Stirn gedrückt hatte, während sein Gesicht durch künstliche Falten und Schatten mit Hilfe eines angebrannten Korkes recht geschickt unkenntlich gemacht worden war, öffnete dann keck die Tür des Wachtlokals und warf den Brief einem verschlafen am Tisch sitzenden Schutzmann zu, worauf er schleunigst zu mir zurückkehrte.

Er wischte sich die billige Schminke ab, half mit dem angefeuchteten Zeigefinger nach und sah daher, als wir in den Pfeffergang einbogen, ganz harmlos aus.

Oben in meinem behaglichen Arbeitszimmer mußte die Kognakflasche zum zweiten Male heute helfen, meinen inneren Menschen in Ordnung zu bringen.

Bisher hatte Tory mir noch nicht auseinandergesetzt, wie er über ‚unseren Fall‘ dächte. Als ich ihn nun bat, mir seine Ansicht über dieses Verbrechen mitzuteilen, meinte er:

„Wir gehen jetzt besser schlafen! Morgen ist auch noch ein Tag!“

Eigentlich hatte er recht.

Wir ließen die Verbindungstür zwischen unseren Schlafräumen offen und stellten allerlei Vermutungen an, ob die Polizei auf unseren Brief hin wohl erscheinen würde. Vorher hatten wir noch festgestellt, daß der leuchtende Frauenkopf drüben verschwunden war.

Dieses unheimliche, phantastische Bild des frei in der Luft schwebenden Hauptes reizte meine Phantasie weit mehr zu den verschiedensten Kombinationen über dessen Entstehungsursache als der grausige Mord.

Tory ließ mich ruhig reden, als ich recht verzwickte Theorien über diesen Gegenstand erfand, darunter auch die, daß doch fraglos eine Laterna Magika[5] dabei mitgewirkt haben müsse.

Mein Freund war schon in sein Kofferbett gestiegen und rief mir jetzt zu:

„Trommler, wenn du diesem Weiberkopf mit so einfachen Deutungen beikommen willst, wirst du nie ans Ziel gelangen. Glaube mir! – Da – horch, ein Auto!!“

Ich hörte seine Lagerstatt knacken und sprang gleichfalls aus dem Bett. Im dunklen standen wir am Fenster und beobachteten, wie die Polizei nun tatsächlich in das leere Haus eindrang.

Dann wurden auch die beiden Fenster des Mordzimmers hell. Was sich in dessen vorderem Teile abspielte, sahen wir ganz genau. Der Ofen lag jedoch zu weit nach hinten, um ihn von hier in den Gesichtskreis zu bekommen. Immerhin war es recht aufregend, gerade für uns, die Kriminalpolizei bei der Arbeit zu belauschen.

Tory gab allerlei Erläuterungen dazu: „Jetzt zeichnen sie die Spuren im Staub ab, jetzt photographieren sie soeben den Toten und das Zimmer mit Blitzlicht, jetzt heben sie die Leiche vom Haken …“

Als ich ihn fragte, woher er denn all das so genau wisse, meinte er:

„Die Methode, nach der sie arbeiten, ist bei einem im geschlossenen Raume verübten Morde stets dieselbe. Ich war oder bin noch mit dem Berliner Kriminalkommissar Haßfeld eng befreundet, einem Verbindungsbruder von mir und früheren Juristen, der mich in die Geheimnisse seines Berufs recht genau eingeführt hat. Ich habe ja stets für alles das Interesse gehabt, was ein wenig über den Rahmen des Alltäglichen hinauslugte.“

Ich hätte am liebsten laut ein doppeltes ‚Na!‘ als Ausdruck meiner Zweifel an diesem Interesse ausgestoßen. Aber Tory war mein Gast. – Wo sollte er, der doch nur allzu sehr in Äußerlichkeiten aufging, für Dinge sich erwärmen können, die so ganz außerhalb des Kreises seiner wahren Neigungen lagen?! Denn Neigungen hatte er, abgesehen von seinem Streben, stets in allem den tadellos erzogenen und angezogenen Sohn einer alten Patrizierfamilie hervorzukehren, tatsächlich und zwar mancherlei: Musik, Theater, überhaupt schöne Künste! Und hier verachtete er alles Oberflächliche, Seichte. Ein Beweis, daß er durchaus nicht das war, was man als ersten Eindruck von ihm empfing: blasiert, übersättigt!

Wie gesagt, ich machte also hinter seine Behauptung, daß alles Außergewöhnliche, auch die praktische kriminalistische Tätigkeit, ihn interessiere, ein großes Fragezeichen. – –

Als wir dann wieder unsere Lagerstätten aufgesucht hatten, überlegte ich mir so verschiedenes, woran ich jetzt erst dachte.

Tory hatte in diesen letzten Stunden doch eigentlich bewiesen, daß er nicht nur schnell und scharf mit seinen Gedanken das Richtige traf, sondern hatte auch eine Unternehmungslust und Kaltblütigkeit gezeigt, um die er zu beneiden war. Schon allein die Vorbereitungen zu unserem Eindringen in das leere Haus verrieten genug, mehr noch aber sein Verhalten im Wohnzimmer selbst und die Art, wie er dann die Polizei herbeirief.

Rundschrift hatte ich schreiben müssen! Diese Schriftart war ganz unpersönlich. Dann hatte er auch aus einer Lage Papier einen ganz neuen Bogen herausgenommen, hatte mich gewarnt, ja nicht mit den Fingerspitzen beim Schreiben das Papier zu berühren! Er fürchtete eben, daß die Fingerabdrücke mich und uns beide verraten könnten. –

Ich schlief schwer ein über all diesen Gedanken, zumal ich den Morgen herbeisehnte, wo ich Tory noch so allerlei fragen wollte.

 

6. Kapitel.

Als die Meller, meine Aufwartefrau, mich weckte, war es bereits halb neun Uhr.

Ich fuhr hoch über dem energischen Klopfen, schaute wild um mich.

Ich hatte soeben geträumt, daß wir den Mörder in die Vase eingesiegelt hatten, daß er darin erstickt war und wir uns auf diese Weise selbst eines Todschlags schuldig gemacht hatten.

Dann sah ich draußen den Sonnenschein auf den Dächern glänzen, sah den blauen Himmel, – sah aber auch die zerbrochenen Scheiben des Mordzimmers da drüben, hinter denen sich Gestalten bewegten: Kriminalbeamte!

Da standen mit einem Male mit greifbarer Deutlichkeit all die Ereignisse der verflossenen Nacht vor meinem inneren Auge. Eine ganze Reihe von Bildern war’s, die blitzschnell sich abrollten. Das ganze Drama im leeren Hause …! –

Ich rief jetzt: „Schon gut, Frau Meller! Bin schon munter!“ Und dann noch lauter: „He – Tory – – aufstehn! Aufstehn!“

Die Tür nach der Kammer war nur angelehnt.

Keine Antwort. – Nochmals brüllte ich mit Donnerstimme: „Tory – Tory!“

Ich hätte mir diese Lungenanstrengung sparen können. Mein Freund war nicht mehr zu Hause, war bereits unterwegs. – Wohin und zu welchem Zweck, erfuhr ich sehr bald. –

Die Meller ist so etwa das launenhafteste alte Weiblein, das ich kenne. Ihre Stimmung ist von winzigen Kleinigkeiten abhängig. – Mir ist sie in übler Laune am liebsten, denn dann – – schweigt sie …!

Heute ging ihr Mundwerk wie ein Propeller mit höchster Tourenzahl.

Natürlich war das Thema der Tote im Hause gegenüber. Der ganze Pfeffergang wußte bereits, was sich dort abgespielt hatte. Und die Meller wohnte auch im ‚Pfeffer‘.

Ich war einfach platt, was Frau Fama inzwischen bereits aus den Vorgängen, so weit diese in die Öffentlichkeit gedrungen sein konnten, gemacht hatte …!!

Mehr als einmal mußte ich lächeln, wenn die Meller mir schilderte, wie der Mörder selbst auf der Polizeiwache erschienen war und in die Wachtstube hineingerufen hätte: Ich hab’ ihn in Nummer neun aufgehängt …!!‘

Ich tat natürlich der Meller gegenüber so, als ob wir, Tory und ich, die ganze Geschichte verschlafen hätten und nichts davon wüßten. –

Was Tory und die Meller anbetrifft – ich glaube dies hier erwähnen zu müssen! –, so konnte mein Freund sich rühmen, von meiner Aufwartefrau wie ein Heiliger verehrt zu werden. Ob diese Anbetung den Trinkgeldern galt, die Tory dem Weiblein bei seinen Besuchen oft und reichlich spendete, oder ob seine äußere Aufmachung ihr imponierte, will ich nicht näher untersuchen.

Kurz, die Meller liebte ihn, wagte nie, an ihm ihre Launen auszulassen, was mir gegenüber häufiger vorkam.

Als sie gehört und gesehen hatte, daß Tory unser Gast geworden und die Kammer bezogen hatte, bekam ich so verschiedenes versetzt: ‚Warum ich den Herrn Ruhnau denn nicht gleich in der Küche einquartiert hätte …?! Dort sei’s doch noch ungemütlicher!!‘ – und ähnliches mehr.

*

Viktor Ruhnau war um sieben Uhr munter geworden, hatte sich leise angekleidet, sich rasiert, parfümiert, die Nägel poliert, und war dann davongeschlichen.

Im linken Nebenhause stieg er gleich darauf die Treppen empor. Auch hier war es dunkel wie in tiefer Nacht. Stinkende Petroleumlämpchen standen auf den Treppenabsätzen, deren Licht jedoch nicht genügte, um die Türschilder der Wohnungsinhaber und Visitenkarten der ‚möblierten Herren‘ entziffern zu können.

Auch dieses Haus hatte eine Mansarde, in der die verwitwete Frau elektrische Straßenbahnoberkontrolleur Schmitz wohnte.

Bei der Schmitz klingelte Ruhnau zuerst an, obwohl hier keine Visitenkarte an der Tür hing.

Die Witwe war daheim. Viktor fragte, ob er ein bescheidenes Zimmer haben könne, das er für einen Freund mieten solle.

„Bedaure. Ich habe nur eins, das ich möbliert abgebe. Und das ist besetzt,“ lautete die Antwort.

„Hm – ich habe aber gehört, Ihr Neffe will ausziehen,“ meinte Viktor. „Es ist doch ein Ausländer, nicht wahr?“

„Ausziehen? – Nein! – Ausländer – ja!!“

„So, – also stimmt’s wirklich. Ich kenne den Herrn nämlich von Berlin her, Frau Oberkontrolleur. Ich sah ihn gestern in dieses Haus hineingehen. – Wie heißt er doch schnell?“

„Howard Tompson.“

„Richtig – richtig – Tompson – Tompson! – Er hatte in Berlin so seine Eigentümlichkeiten, liebte es, den Himmel mit dem Fernglas zu beobachten, saß manchmal stundenlang irgendwo auf einem Turm oder hohem Dach.“

Frau Schmitz lächelte den hübschen, eleganten Herrn an und nickte. Sie war schon mit fünfunddreißig Jahren Witwe geworden, und sie sehnte sich nach Liebe …

„Ja, ja,“ meinte sie, „so treibt er’s auch hier. Ich habe ihm letztens den Schlüssel zum Dachboden vom Hauswirt besorgen müssen, damit er jederzeit seine Studien machen kann.“

„Hm – eigentlich möchte ich Tompson gleich begrüßen!“ sagte Viktor jetzt, nachdem er die Schmitz so fein ausgeholt hatte. „Schläft er noch, Frau Oberkontrolleur?“

„Ich glaube. – Bitte, kommen Sie, Herr. Ich werde mal anklopfen.“

Tompson bewohnte das größte der Zimmer nach der Wasserseite zu. – Aber – das Klopfen war umsonst.

Frau Schmitz drückte auf die Türklinke, indem sie erklärte: „Er ist oft schon ganze Nächte weggeblieben.“

Das Bett war auch heute unberührt.

Viktor hatte das vorausgesehen. – Frau Schmitz erzählte ihm dann noch so mancherlei von den Absonderlichkeiten ihres Mieters, der jetzt etwa drei Wochen bei ihr wohnte.

Als Tompsons ‚Berliner Freund‘ dann ging, sagte sie: „Kommen Sie recht bald wieder, Herr!“ Und ihre hellen Augen wurden noch schmachtender. –

Eine Viertelstunde später, gegen neun Uhr, betrat Viktor das Geschäftszimmer Isidor Katzensteins.

Herr Katzenstein und Pinkus waren allein anwesend. Frau Rebekka pflegte noch ihre fettgepolsterte Schönheit, schaute aber für einen Augenblick durch die Türspalte, um zu sehen, ob’s ein Kunde oder ‚nur sonst jemand‘ war.

„Morgen, Herr Katzenstein,“ meinte Ruhnau gemütlich. „Na, haben Sie die beiden Brillantringe taxiert?“

Der kleine, dürre Mann rieb sich verlegen die Hände.

„Herr Doktor, – was soll ich lang’ Ausflüchte machen. Es geht nicht …!“ sagte er dann.

„Was geht nicht?“

„Daß ich Ihnen beleihe die Ringe …“

„Herr Doktor – ich lieb’ die Herrn Studenten, – daher – ganz im Vertrau’n: Ihr Herr Vater, der Herr Konsul, war gestern nachmittag auch hier – drüben in meiner Privatwohnung. Und er hat – hm ja – er hat gesagt, ich dürfte mit Ihnen nicht machen e Geschäft, sonst würd’ er mir machen Schwierigkeiten, der Herr Konsul, Ihr Vater …“

„Bitte – Stiefvater, nichts weiter!!“

„…ist e mächt’ger Mann hier bei uns, und daher …“

„So – also deshalb …!!“ Viktor preßte die Lippen aufeinander, überlegte.

„Hören Sie, Herr Katzenstein,“ sagte er dann mit Nachdruck. „Ich werde demnächst fünfundzwanzig, bin also mündig und auch nicht etwa wegen Verschwendung entmündigt! Sie müssen also mir so gut wie jedem anderen Pfänder Dinge beleihen, die mein rechtmäßiges Eigentum sind.“

Katzenstein wand sich wie ein Aal.

„Es geht nicht, verehrtester Herr Doktor, – es geht nicht. Sie werden doch nicht wollen ruinieren einen alten Mann, der schon in seinem Leben hat gehabt so viel Unglück. Sehen Sie, Herr Doktor, ich hab’ besessen in Berlin in der Mohrenstraße ’ne Pfandleihe nur for Schmucksachen. Acht Jahre sind’s her, das bin ich worden überfallen am hellen lichten Tage, niedergeschlagen mit ’n Hammer im Geschäftsraum und beraubt … Da hab’ ich müssen wieder anfangen von vorn. Aber der Gott meiner Väter hat gehabt abgewendet sein Gesicht von Isidor Katzenstein. Nichts glückte mehr. Bis ich hier kam nach Danzig. Ich bin zufrieden jetzt … Und da werden Sie doch nicht …“

Viktor unterbrach ihn. „Nein, nein, bewahre! – Also geben Sie mir die Ringe wieder zurück.“

Das Männchen hob jetzt verzweifelt beide Arme hoch.

„Herr Doktor – ich hab’ sie nicht mehr! Ich hab’ sie müssen aushändigen gegen Quittung dem Herrn Konsul …“

Viktors Gesicht verzerrte sich.

„Ist das wahr?!“ schrie er.

„Gott der Gerechte, Herr Doktor, – man könnte kriegen Angst vor Ihnen …! – Ja – es ist wahr. Wollen Sie sehn die Quittungen?“

Viktor nahm sich zusammen. „Danke. Lassen Sie nur, Herr Katzenstein!“ Und nach einer kurzen Pause: „Sie können mir aber einen anderen Gefallen tun. Gestern Vormittag war doch gleichzeitig mit mir ein junges Mädchen hier, – tief verschleiert – Sie besinnen sich wohl. Ich interessiere mich so etwas für die Dame. Könnten Sie mir vielleicht deren Adresse angeben? Selbstverständlich verspreche ich Ihnen strengste Diskretion. – Sie müssen ja wohl beides notiert haben, – Namen und Adresse.“

Katzenstein lächelte. Er lächelte aus einem doppelten Grunde. Erstens weil die Geschichte mit den Ringen so glatt abgelaufen war, und dann, weil er Verständnis für so kleine Abenteuer hatte. Früher – das war lange her! – hatte er seiner Rebekka so manches verschwiegen …!!

Er suchte nun also in dem dichten Kontobuch die betreffende Eintragung heraus.

„Fräulein Erna Link, vierten Damm Nr. 7, zwei Treppen,“ flüsterte er. „Werden Sie’s behalten, Herr Doktor?“

„Ja, gewiß. – Danke vielmals. – Morgen, Herr Katzenstein.“ –

Und wieder eine halbe Stunde später stand Viktor Ruhnau abermals vor dem Tomtisch mit denen festgeschraubten Glasplatten und Herr Katzenstein dahinter, während Frau Rebekka am Fenster die Morgenzeitung studierte und Pinkus zu ihren Füßen nach frechen Fliegen schnappte.

„Herr Katzenstein, die Sache stimmt nicht,“ begann Viktor.

Der kleine Pfandleiher dachte an die Ringe. Aber er hatte ja ein reines Gewissen.

„Wie heißt – stimmt nicht?“

„Weder der Name noch die Adresse. – Fräulein Erna Link, vierten Damm Nr. 7, ist eine alte Jungfer von sechzig Lenzen mindestens, wie ich soeben festgestellt habe – frech und gottesfürchtig!“

Isidor Katzenstein beugte sich weit vor.

„Wahrhaftig – eine alte Jungfer?“

„Tatsache, an der nicht zu rütteln ist.“

Das alte Männchen kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. Dann sagte er leise:

„Herr Doktor, – kommen Sie mit in mein Privatkontor da. Ich möchte’ was bereden mit Ihnen. Ich hab’ gesehen aus Ihrer Legitimation gestern, daß Sie studieren auf’n Richter los. Vielleicht können Sie mir geben e guten Rat in einer Angelegenheit, wo uns, meine Frau und mich, die ganze Nacht nicht hat schlafen lassen.“

 

7. Kapitel.

„Trommler, du hättest die Vase hier nicht so offen auf dem Tisch stehen lassen sollen …!!“ sagte Victor zu mir, als er gegen elf Uhr vormittags nach Hause kam.

Ich hatte gearbeitet, legte nun aber mein Manuskript weg, um mich Tory zu widmen.

Der sah sehr ernst, fast finster aus. Und der Vorwurf der Vase wegen hatte recht scharf geklungen.

„Wie hast du denn der Meller das Auftauchen der Vase hier bei dir eigentlich erklärt?“ fragte er weiter, indem er die Diebesbeute beklopfte, was Töne hervorrief, als sei das plumpe Ding aus Metall.

„Ich sagte, sie gehöre dir,“ meinte ich und stellte mich neben ihn.

„Gut. Das wird sie glauben.“ – Er kippte die Vase jetzt um und betrachtete den runden Boden. Dort waren allerhand seltsame Zeichen eingegraben. – „Ich dachte es mir schon,“ fuhr er fort. „Es ist eine Lahore-Vase, also altindischen Ursprungs. Die Lahore-Vasen sind berühmt. Man findet sie sehr selten, da die Priester des großen Brahmatempels in Lahore sie freiwillig nie herausgegeben. Anderswo existieren fast nur Nachahmungen. Was an echten Lahore-Vasen in den Handel kommt, ist aus dem Tempel gestohlen worden, mithin auch dieses Stück.“ – –

Es ist Zeit, daß ich die Vase ein wenig beschreibe.

Sie war fünfundfünfzig Zentimeter hoch. Der Vasenhals hatte einen Durchmesser von achtzehn Zentimeter, war nur sieben Zentimeter lang. Dann rundete sich der Vasenkörper zur Form einer länglichen Zwiebel, deren größte Breite der Höhle des Ganzen entsprach.

Der Vasenhals war innen drei Zentimeter unter dem Rande zugegossen und zwar bildete dieser Stöpsel, wenn man so sagen will, mit der Halswandung ein Stück. Die Vase war also fest verschlossen, hatte keine Öffnung. Als Verzierung dienten schwach erhabene Stellen, die wie ein Netz aussahen. In jeder Masche dieses Netzes waren altindische Schriftzeichen und je eine Tierfigur eingegraben.

Das Gewicht – ich habe sie gewogen – betrug sechsundvierzig Pfund. –

Die Gußmasse mag hier nachher mit Viktors eigenen Worten beschrieben werden. – –

Auf Torys Ausführungen hinsichtlich der Herkunft der Vase äußerte ich meine Zweifel an der Echtheit. – Wie sollte gerade eine echte, doch so überaus wertvolle Seltenheit in das leere Haus hineingeraten sein?!

„Sie ist echt!“ erklärte Tory bestimmt. „Ich habe im Britischen Museum in London vor zwei Jahren einen Vortrag über die einzige dort vorhandene echte Lahore-Vase mitangehört. Damals ahnte ich nicht, daß ich die Einzelheiten jenes Vortrags einmal bei solcher Gelegenheit würde verwerten können. – Bei allen Imitationen ist der Deckel oder Stöpsel des Vasenhalses nachträglich eingegossen, das heißt, die Vase besteht nicht aus einem Stück. Unsere hier – das sieht man schon mit bloßem Auge! – hält jeder Prüfung in dieser Beziehung stand. – Dann die Masse! Sie war und ist noch heute ein Geheimnis der Priester des Tempels in Lahore. Sie ist Metall, und ist es nicht. Es ist eben ein Gemenge, dessen Zusammensetzung selbst unsere heutige Chemie nicht gelöst hat. Von der Vase im Britischen Museum hat man nämlich ein kleines Stück losgesprengt und den ersten Chemikern vorgelegt. Keiner hat mit zufriedenstellender Genauigkeit die Frage beantwortet, welche Stoffe die Gußmasse der Lahore-Vasen enthält. Diese wurden seiner Zeit dazu benutzt, die Seelen berühmter indischer Fürsten darin einzuschließen. Dies soll der Art gemacht worden sein, daß, sobald ein einer Vase für würdig befundener Fürst auf dem Sterbebett lag, Priester aus Lahore mit ihren Werkzeugen und so weiter erschienen und den Guß unter genau vorgeschriebenen Gebeten und Zeremonien im Sterbezimmer selbst vornahmen und zwar genau im Augenblick des Ablebens. –

Mit allen Einzelheiten kann ich dir diesen wunderbaren Brauch nicht mehr schildern. Ich habe von dem Vortrag damals doch schon manches vergessen. Ja – doch weiß ich noch, daß die aus einem Stück gegossenen Vasen dann in einem besonderen Raume des Brahmatempels in Lahore aufbewahrt wurden und als große Heiligtümer galten, denen man allerlei geheimnisvolle und auch wundertätige Eigenschaften andichtete.“

„Sehr interessant,“ meinte ich. „Aber, mein lieber Tory, den Beweis für die Echtheit bist du mir doch noch schuldig geblieben. Ich gebe zu, der Stöpsel scheint nicht nachträglich eingegossen zu sein. Doch – das könnte mit aller Sicherheit nur eine ganz genaue Untersuchung feststellen. – Beweismittel Nummer zwei, chemische Untersuchung der Gußmasse, kommt für uns nicht in Frage. Also …?!“

Tory schwieg und starrte auf das plumpe, bräunlich metallisch schimmernde Ding, indem er unzufrieden den Kopf hin und her wiegte.

Durch das Fenster, das gleichzeitig Balkontür war, fiel die Sonne in breitem Strahl auf den Sofatisch und beschien auch den Fuß der Vase etwa in Handtellergröße.

Dieser weiße Fleck des Sonnenlichtes war es, den Torys Augen sich zum Ruhepunkt ausgesucht hatten.

Ich trat hinter den Freund und klopfte ihn im Gefühl meines eben errungenen kleinen Sieges auf die Schulter.

„Alter Tory – nicht wahr, du gibst mir doch recht? – Es kann ebenso gut eine Imitation sein. Das alles ist ja schließlich auch gleichgültig. Wir haben die Vase gestohlen und …“

„Halt!“ rief er da und sein gesenkter Kopf schnellte hoch. „Halt! Bleib’ stehen, wo du stehst! – Es ist keine Imitation! – Hier der Beweis!“

Er gab mir die Aussicht nach der Vase frei. Ich sperrte jetzt, da ich zwischen ihr und dem Fenster vor dem Tische stand, das Sonnenlicht ab.

Tory zeigt auf den Fuß der Vase …

Dort, wo der weiße Fleck der Sonnenstrahlen auf der braunen Masse geruht hatte, hätte jetzt dem natürlichen Lauf der Dinge nach nichts Besonderes mehr zu sehen gewesen sein dürfen … Aber – seltsam und unerklärlich, dieser handtellergroße Fleck war geblieben, obwohl die Ursache, die Sonnenstrahlen, nur mehr meinen Rücken trafen, – – war geblieben und dehnte sich nun langsam, dabei immer mehr an Helle einbüßend, nach allen Seiten hin. –

Es war dies eine so merkwürdige Erscheinung, daß wir beide ganz regungslos dastanden und mit aufmerksamen Augen die weitere Entwicklung des Phänomens abwarteten.

Der helle Schimmer kroch höher und höher, floß nach allen Seiten hin. Es war, als ob ein geheimnisvolles Glühen durch die Masse ging, aus der die Vase hergestellt war.

Jetzt begann dieses schwache Leuchten zu erblassen, nachdem es beinahe die ganze uns zugekehrten Seite sozusagen durchtränkt hatte. Von oben her verschwand es, so etwa, wie ein weißglühendes Metallstück die Farbe an freier Luft wechselt.

Nun war alles vorüber. –

Torys Hand legte sich auf die Vase mit etwas theatralischer Geste.

„Karl, glaubst du nun, daß sie echt ist? Sie hat soeben eine ihrer geheimnisvollen Eigenschaften bewiesen!“ sagte er fast feierlich. Und fügte nach kurzer Pause hinzu: „Im übrigen war ich von Anfang an von ihrer Echtheit überzeugt. Weswegen – das erkläre ich dir später!“

Ich betrachtete unsere Diebesbeute jetzt mit einem gewissen Gefühl des Unbehagens.

Indien ist nun einmal das Land der Geheimnisse! Ich hatte mal ein Buch eines englischen Arztes gelesen, der in Indien zwanzig Jahre lang weit ab von aller Kultur auf einer einsamen Militärstation gehaust hatte. Ich entsann mich jetzt gerade auf den Schlußsatz dieses hochinteressanten Werkes mit dem Titel ‚Was wir in Indien nicht begreifen‘. Dieser Satz lautete: ‚Die Sehnsucht wird selbst in mir altem Manne nicht geringer nach all dem Rätselhaften, das mich einst dort drüben umgab und das dem über den farbigen Mitmenschen erhabenen Europäer allen Rassendünkel nahm, – denn die da drüben, die an Brahma glauben, wissen und können mehr als wir, belächeln uns und … schweigen.‘

Ja – es war ein unbehagliches Gefühl! Wer weiß, was die Vase noch sonst an seltsamen Eigenschaften stumm bewahrte …! Eine Menschenseele sollte darin eingeschlossen sein …! Hoffentlich fiel es diesem indischen Fürsten nicht einmal ein, als Gespenst seine Urne zu verlassen …!! –

Tory hatte es sich in einem der Sessel bequem gemacht, qualmte seine geliebten Zigaretten und schien über irgend etwas nachzugrübeln.

Dann sagte er: „Dort unten in deinem Bücherschrank ist noch Platz. Stelle die Vase dorthin und bedecke sie.“

Ich tat’s. Aber ich mußte auf dem mittelsten Brett erst Platz schaffen. Unten war der Raum zu niedrig. Als ich sie in den Händen hielt, schüttelte ich sie unwillkürlich und lauschte, ob sie vielleicht etwas enthielt in ihrem hohlen Inneren.

Tory lachte. „Die Fürstenseele soll wohl klappern, wie?!“

Ich lachte auch. Da war das Unbehagen verschwunden.

„Setz’ dich gleichfalls, Karl,“ meinte Tory nun. „Ich habe dir viel zu erzählen.“

Zunächst sprach er von seinem Besuch im Nebenhause bei der Frau Oberkontrolleur Schmitz.

„Du darfst mit vollem Recht fragen, was ich dort eigentlich wollte,“ sagte er jetzt, nach einer neuen Zigarette greifend. „Ich erzähle dir von dem Manne, der in der Dachluke saß und dessen Interesse für das Zimmer drüben mich dann den leuchtenden Kopf entdecken ließ. Die Vermutung lag nahe, daß dieser gelbgesichtige Herr auch im Nebenhause wohnte. Daher also meine Visite bei der liebebedürftigen Wirtin.“

„Aha – du wolltest ihn fragen, ob auch er vielleicht den Kopf bemerkt hätte?“

„Fragen? – Das wäre unmöglich gewesen. Ich wollte nur feststellen, ob er in der verflossenen Nacht sein Bett benutzt hatte, – also so eine Art Nachprüfung, ob nicht eine Verwechslung vorlag.“

Ich verstand ihn nicht. „Drücke dich deutlicher aus, Tory!“ meinte ich achselzuckend und ohne besondere Teilnahme für den Mansardennachbarn.

„Gern, lieber Trommler!“ Kleinen Pause, sein Monokel blitzte mich scharf an. – „Der Mann in der Dachluke ist nämlich der Ermordete!“ fügte er hinzu.

Ich ruckte zusammen, beugte mich vor.

„Wirklich?“ stotterte ich.

„Er ist’s, Karl! Und er nennt sich wie gesagt Tompson. Die Polizei wird vielleicht einige Zeit brauchen, ehe sie dies feststellt. Wir wissen jedenfalls weit mehr als die Behörden. Und wir allein werden diesen Mord aufklären können – wir allein! Der Polizei fehlen zu viele Einzelheiten, um eine Spur aufzunehmen: daß der Tote das Zimmer vom Dache aus beobachtet hat, in dem er nachher ermordet wurde, daß dort eine wertvolle Vase gestanden hat, die wir jetzt haben, daß der Mann vor seinem Ende noch zwei gellende Angstschreie ausgestoßen hat, daß der Mörder noch im Hause war, als wir dort eindrangen – wir hörten ja eine Tür klappen! – und daß der Täter die Vase mitnehmen wollte!“

Ich gebe zu, daß ich in diesem Augenblick meine Ansicht über Tory gründlich änderte. Ich glaubte ihm mit einem Male seine Neigung für alles Ungewöhnliche, sah auch ein, daß er bei seinem Freunde, dem Berliner Kriminalkommissar, eine gute Schule durchgemacht haben mußte.

Ich nickte jetzt eifrig. „Freilich, wir sind der Polizei gegenüber sehr im Vorteil. – Was gedenkst du nun weiter zu tun.“

„Dir erzählen, was ich aus der Witwe Schmitz weiter noch herausgelockt habe. – Tompson spricht sehr schlecht Deutsch. Polizeilich gemeldet ist er als in London ansässig. Grund des hiesigen Aufenthaltes: Geschäfte. – –

Das ist vorläufig alles, was mir die Schmitz berichten mußte, weil sie meinem Ausfragesystem nicht gewachsen war. Nachmittags wird sie noch mehr hergeben. Ich werde sie zum Kaffee besuchen. – Warum soll man ihr nicht eine kleine Freude machen? Sie schwatzt so gern …“

 

8. Kapitel.

„Nun zu anderen Dingen mehr persönlicher Natur,“ fuhr er fort, und auf seiner Stirn erschienen über der Nasenwurzel drei tiefe Falten. Auch seine Stimme klang schärfer. –

Er schilderte seinen Besuch bei Katzenstein, sprach auch von der blonden Madonna.

„Ich wette,“ sagte er, „mein Herr Stiefvater und der würdige Pinkemüller gehen mit der Absicht um, mich entmündigen zu lassen. Mögen Sie …! Sie werden dabei den kürzeren ziehen. –

Kein Pfandleiher nahm mir die Ringe ab. Überall war der einflußreiche Herr Konsul persönlich gewesen. Aber – Geld habe ich mir doch beschafft. – Katzenstein hat es mir geliehen, das Geld – aus Freundschaft! Wir sind auf dem besten Wege, sehr intim zu werden. Nebenbei, ein hochanständiger Charakter, der Isidor. – Diese Freundschaft hat die blonde Madonna vermittelt. – Komisch, wie …?!“

„Allerdings – sehr komisch. Du kennst sie doch erst seit gestern.“

„Und nur vom Ansehen! Trotzdem – ohne sie hätte Katzenstein seinen Geldschrank nicht geöffnet und mir kaum tausend Mark gepumpt.“

„Donnerwetter! Tausend Mark!“

„Ja, da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich! – Die Sache hängt so zusammen. Die blonde Madonna, die ich gestern vormittag zufällig traf, die mir gefiel und der ich dann nachstieg, um mit ihr dann bei Katzenstein ein unerwartetes Wiedersehen zu feiern, hat bei dem braven Isidor eine größere Finanzoperation mit Hilfe eines Brillanthalsbandes vorgenommen, auf das sie zweitausend Mark erhielt. Sie legitimierte sich durch eine an Fräulein Erna Link adressierte Mitteilung der Steuerbehörde. Der gute Katzenstein hielt das Papier für genügend. Leider ist er so der Hereingefallene. Ich schmeichelte ihm Namen und Adresse meines verschleierten Engels ab und begab mich dann nach Nr. 7, vierten Damm. Unten wohnte ein Schneider. Ich habe mir bei ihm eine helle Sommerweste bestellt, und die Weste öffnete ihm den Mund. Im ganzen Hause gibt es kein junges Mädchen, und Erna Link ist eine alte, grämliche Kartenlegerin. Als ich mit dieser Neuigkeit zu Katzenstein kam, fiel er aus allen Wolken, nahm mich dann mit in seine Privatwohnung, die unmittelbar an den Geschäftsraum anstößt, und erzählte mir folgendes: Vor etwa acht Jahren ist er in Berlin, wo er damals einen Leihhaus für Schmucksachen besaß, am hellen lichten Tage beraubt worden. Die Berliner Kriminalpolizei hat festgestellt, daß zwei Leute ‚das Ding gedreht haben‘. Mehr konnte sie nicht ermitteln. Jedenfalls war der arme Katzenstein so gut wie ruiniert, da die Kerle gerade die kostbarsten Stücke sich aus dem großen Panzerschrank herausgesucht hatten, darunter auch ein Brillanthalsband – dasselbe, das gestern die blonde Madonna versetzt hat. –

Katzenstein hatte es sofort wiedererkannt, drang daher auch auf eine Legitimation. Nun hat er mich damit beauftragt, diese Geschichte aufzuklären. –

Über das Halsband selbst noch folgendes. Es stammt fraglos aus Indien, wie Katzenstein mir näher erklärte. Die Goldfassung und der Schliff der Steine beweisen es. Hier hat er mir eine Abbildung davon mitgegeben, die auch die Polizei damals mitbenutzte bei ihren Nachforschungen nach den Verbrechern.“

Die Zeichnung, eine Vervielfältigung, war ziemlich undeutlich. Trotzdem sah ich, daß jeder Stein in einen goldenen Schlangenkopf eingelassen war. Im ganzen waren es zweiundvierzig Steine, sämtlich scheinbar von gleicher Größe und in zwei Reihen angeordnet. Das Schloß war sehr eigenartig, – ein großer Schlangenkopf, dicht mit kleineren Brillanten verzierte.

„Katzenstein hat mir den Schmuck, auf den er zweitausend Mark gegeben und der einen Wert von achtzehn bis zwanzigtausend hat, wie er versichert, gezeigt,“ fuhr Tory fort. „Ich sage dir, Trommler – mir gingen die Augen über! Meine Mutter besitzt doch auch ein Kollier – aber das der blonden Madonna dagegen gehalten – wie Tag und Nacht! – Der brave Alte wußte mir noch zu berichten, daß der Eigentümer des Halsbandes, der es in Berlin damals bei ihm versetzte, ein Herr war, der, wie nachher festgestellt wurde, einen falschen Namen angegeben hatte und nicht aufzufinden war. – –

Du siehst, ich habe jetzt eine doppelte Aufgabe vor mir. Einmal will ich – aus Sport! – den Mörder Tompsons ermitteln, dann – kraft Auftrags und gegen Honorar! – meiner verschleierten Schönen nachspüren, die mir dann wird sagen müssen, wie sie zu dem indischen Schmuck gekommen ist.“

Er warf den Zigarettenrest in den Aschbecher.

Ich aber sagte: „Ich halte die zweite Aufgabe für schwieriger. Das junge Mädchen kann von auswärts nur zu dem Zweck nach Danzig gekommen sein, um das Halsband zu versetzen. – Wie willst du ihre Spur finden …?!“

„Weiß ich noch nicht!“ Er lächelte dabei und kniff das monokelfreie Auge zu.

„Ah – du hast schon einen Feldzugsplan?! Dein Gesicht verrät dich!“

„Hm – wie wär’s, wenn man mal bei der alten Jungfer Erna Link sich erkundigte, wie die Madonna wohl zu dem Schreiben der Steuerbehörde gekommen sein mag?“

„Sehr gut, sehr gut! – Tory, du bist wirklich der reine Kriminalbeamte! – Nun laß mich aber bitte mal so einiges fragen, was mir auf der Seele brennt. – – Die Madonna war hübsch?“

„Hübsch?! – Das Wort ist eine Entweihung für sie! Engelhaft schön – sündhaft schön! Du kennst mich, ich begeistere mich nicht so leicht!“

„Und doch wandelt der Engel auf faulen Pfaden, mein Lieber!“

„Vielleicht aus bitterster Not oder gezwungen. Die Kleidung war sauber, geschmackvoll – aber ärmlich. Die Handschuhe gestopft. Der Strohhut durch die lange Nadel mit dem Bernsteinknopf sehr zerstochen. Und die Schuhe hatten einen Weg hinter sich, der keine Bürgersteige kannte. An den Hacken saßen Lehmreste. Ich möchte beinahe behaupten, die Madonna wohnt außerhalb der Stadt in einem entlegenen Hause.“

„Bißchen schnell kombiniert, Tory! Nur der Lehm – das genügt nicht! – Nun aber Frage Nummer zwei! Glaubst du, daß der Mord der Lahore-Vase wegen verübt worden ist?“

Er hob die Schultern sehr hoch. „Möglich! – Wer will das jetzt schon sagen! Aber – ausgeschlossen ist es nicht.“

„Bringst du den leuchtenden Frauenkopf in irgendwelche Beziehung zu dem Verbrechen?“

„Darauf kann ich dir nur dieselbe Antwort erteilen. Möglich!“

„Hast du einer Erklärung für die Erscheinung gefunden?“

„Hör’ mal, Trommler, – du quetscht mich aus wie eine Zitrone!!“ lachte er. „Die Frage hast du ja gestern im übrigen schon erläutert: Laterna Magika! – Ganz hübsch ausgedacht, wirklich! – Stellen wir zum Beispiel folgende Theorie auf: Tompson ist ein Todfeind des Mörders, verfolgt ihn heimlich. Der Mörder merkt das und lockt ihn mit Hilfe der Laterna Magika gestern Nacht in das Zimmer, wo der strahlende Weiberkopf durch den Apparat auf die Wand geworfen wird, so daß er freizuschweben scheint. – – Na, was meinst du hierzu, he?!“

Ich fühlte den Spott nur zu gut heraus.

„Ich finde,“ sagte ich eifrig, „daß diese Theorie trotz deines beißenden Spöttelns, gar nicht so unsinnig ist!“

„Sie ist mir zu gekünstelt, offen gestanden, erinnert zu sehr an Detektivgeschichten. – Doch – lassen wir das Thema jetzt. Draußen ist so prachtvolles Wetter. Gehen wir daher etwas an die Luft.“

„Bewilligt! – Nur noch eine Frage. Wie bist du heute früh aus dem Hause gelangt?“

Tory musterte mich kühl.

„Natürlich durch das Loch, das der Maurer für deine Flurtür in der Wand gelassen hat, und dann die Treppe hinunter durch den Hauseingang.“

Jetzt lächelte ich ironisch. „Gestatte, daß ich zu behaupten wage ‚Du hast soeben gelogen!‘ – Ich habe dir nämlich eine Falle gestellt, lieber Tory, indem ich meine Flurtür abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen habe, bevor wir zu Bett gingen. Der Schlüssel lag unter meinem Kopfkissen.“

Tory zuckte die Achseln und sagte nur: „Nachschlüssel, bester Trommler!!“

„Schwindle nicht, du …!! Mein Türschloß hat eine Schloßsicherung. Kein gelernter Einbrecher kriegt es mit einem Dietrich auf – keiner! Wozu diese Ausflüchte?! Ich weiß jetzt bestimmt, daß du noch einen zweiten Ausgang aus meiner Wohnung entdeckt hast. – Heraus mit dem Geheimnis, auf das ich ein gutes Recht habe!“

„Gut denn – komm’!“

Wir gingen in die Dachkammer, deren Außenwand zwei Meter über dem Boden das Dach trug, das schräg nach oben zu verlief, mit Holz verschalt und wie der ganze Raum mit einer häßlichen, billigen Tapete beklebt war, die jedoch im Laufe der Jahre sich größtenteils losgelöst hatte, so daß überall der Mauerputz und die Bretter der Verschalung hindurchgrinsten.

Gerade in der Mitte der Außenwand ragten drei dicke, dicht nebeneinander liegende Balken aus der Mauer hervor. Auch sie waren mit Tapete bekleidet oder besser bekleidet gewesen.

Tory zeigte auf die drei Balken, die bis dorthin reichten, wo das Dach begann.

„Fällt dir daran nichts auf?“ meinte er.

„Nein.“

„Hm! Merkwürdiger Holzverschlag!! Was sollen drei Balken, die zusammen etwa eineinviertel Meter breit sind, an dieser Stelle? Gleich drei!! Einer hätte genügt! Wer baut in das Gerüst eines Fachwerkhauses drei solche Riesenbalken ein …?!“

„Allerdings …“

„Na also! – Sieh mal, diese Balken kamen mir gleich merkwürdig vor, als ich mich beim Auspacken meiner Sachen hier ein wenig genauer umschaute. – Nun paß mal auf!!“

Er hob ein herabhängendes Stück Tapete an dem rechten Balken hoch … Darunter wurde ein eingelassener Ring sichtbar. Nun drehte er den Eisenring nach links, zog daran, und – die Balkenstücke, die ein Ganzes bildeten, bewegten sich …! – Es war nichts als eine schlau angebrachte Tür! Dahinter gähnte jetzt ein schwarzes Loch. Immerhin aber erkannte ich noch den Anfang einer rußgeschwärzten, schmalen Holztreppe, die sehr steil abwärts führte.

„Die Treppe mündete unten vor einer zweiten, ähnlichen Geheimtür, die sich in der Kellerwand des Nebenhauses befindet,“ sagte Tory jetzt und drückte die drei Balkenstücke wieder zu. „Als ich gestern auf diesem verborgenen Wege deine Wohnung verließ, gelangte ich in den Vorkeller des Nebengebäudes und von da in den Hausflur. –

Ganz günstig für uns, daß wir dies Geheimnis aufgedeckt haben. – Doch – gehen wir jetzt. Ich sehne mich nach frischer Luft!“

Gleich darauf standen wir auf der Straße.

Tory blieb vor meiner Haustür stehen, bat um ein Streichholz, zündete sich sehr bedächtig eine Zigarette an, benahm sich dabei sehr ungeschickt und verbrauchte fünf Zündhölzchen, bevor sie ‚brannte‘.

Wir schritten der nahen Breitgasse zu.

„Die Bande läßt mich wirklich beobachten!“ begann Tory dann die Unterhaltung.

„Wer – – Bande?! – Beobachten?!“

„Na, der Herr Konsul und der Pinkemüller, – wer sonst?! Sie wollen weiteres Material für den Antrag auf Entmündigung sammeln. –

Der Kerl schlich mir schon morgens nach. Aber ich habe ihn abgeschüttelt, als ich zu Meister Bunke ging. Bunke heißt mein Westenschneider auf dem vierten Damm. –

Dreh’ dich nicht um, Trommler! Mensch – du schreibst doch Kriminalromane! Benimm dich doch begabter! Der Bursche hinter uns darf doch nicht merken, daß wir ihn entdeckt haben und ihn uns merken werden – merkst de …!!“

Gleich darauf sprangen wir an einer Haltestelle in eine bereits in Fahrt befindliche Elektrische. –

Der Streich gelang. Der Spion war abgeschüttelt. Tory hatte ihn mir noch gezeigt, wie er dreißig Schritt hinter uns der Straßenbahn wütend nachstierte.

Wir stiegen bald wieder aus, und Tory meinte nun. „Wir können mal nachsehen, ob Fräulein Erna Lind daheim ist.“

 

9. Kapitel.

Dieser Besuch war mir aus Berufsinteresse ganz wertvoll. Ich lernte auf diese Weise einmal das Heim einer Kartenlegerin kennen.

Das Haus sah von außen recht anständig aus. Eigentlich ein wenig prosaisch, ja zu prosaisch für das Metier der Bewohnerin des zweiten Stockwerks.

Vor der Flurtür machten wir halt und verschnaufen erst einmal nach den steilen Hühnerstiegen.

Das Treppenhaus war – ein Wunder! – recht hell, so daß wir das Türschild ‚E. Link‘ bequem lesen konnten, ebenso auch die beiden Visitenkarten, die auf ‚möblierte Herren‘ hindeuteten.

Als die elektrische Glocke dann drinnen schrillte, erhob sofort ein kleiner Köter ein wildes Gekläff, worauf bald eine Stimme laut wurde, die das Vieh liebreich zu beruhigen suchte.

Die Tür ging auf, und vor uns stand ein spindeldürres abschreckend häßliches, buckliges Geschöpf, das mit einem schreiend bunten Morgenrock bekleidet war, während auf dem dünnen, grauen Haupthaar ein Spitzenhäubchen thronte.

Die winzigen, dunklen Äuglein des Vogelgesichtes Fräulein Links musterten uns argwöhnisch.

„Womit kann ich dienen?“ fragte sie dann unfreundlich mit einer piepsigen Stimme.

„Ich möchte Sie konsultieren,“ erwiderte Tory völlig ernst und mit berückender Liebenswürdigkeit.

„Bitte!“ – Sie führte uns in das Allerheiligste, ein Hinterzimmer.

Ich war enttäuscht. Dieses Zimmer war recht behaglich ausgestattet. Nichts erinnerte an den Beruf der Besitzerin dieses Heims – nichts!

Wir nahmen an dem Tisch in der Mitte Platz.

Tory wiederholte seine Bitte …

„Ich möchte Sie nämlich um Rat fragen, Fräulein Link. Sie sind mir empfohlen worden.“

„Das ist nicht wahr!“ entgegnete sie ruhig, indem sie mit im Schoß gefalteten Händen dasaß und auf die gestickte Tischdecke blickte.

Ich mußte mir das Lachen verkneifen. Tory war verlegen geworden – ausgerechnet Tory!!

„Nun gut – es ist nicht wahr,“ meinte er. „Trotzdem werden Sie mir hoffentlich einen Beweis Ihrer Fähigkeit geben, aus den Karten mehr herauslesen zu können als andere.“

Sie behielt dieselbe Haltung bei, schüttelte nur den Kopf.

„Nein, das werde ich nicht! Herren, wie Sie beide kommen nur zu mir, um sich über mich lustig zu machen.“

„So?! – Dann sind Sie eine miserable Menschenkennerin, Fräulein Link. Wir sind keine herzlosen Patrone. Mein Freund ist Schriftsteller, und er wollte mit eigenen Augen sich mal überzeugen, wie es bei einer Kartenlegerin, deren Kundschaft auch die besseren Stände umfaßt, hergeht.“

„Auch das ist nicht wahr,“ sagte sie mit ihrem feinen Stimmchen ganz gleichmütig.

„Wenn Sie alles besser wissen, dann klären Sie uns doch mal bitte über den Zweck dieses Besuches auf,“ meinte Tory sehr höflich, indem er mir verstohlen zuzwinkerte.

Das alte Fräulein blickte noch immer nicht auf. Vielleicht war das bewußte Eigenart, die die Neugierigen verwirren sollte.

„Ich werde die Karten befragen,“ lautete die Antwort.

Und mit einem Mal hatte sie – wo hatte sie sie nur herbekommen?! – ein Spiel ganz neue Karten in der Hand, riß jetzt die Umhüllung ab und begann sehr geschickt zu mischen.

Ich stellte fest, daß sie sehr gepflegte Hände hatte und ein paar altertümliche Brillantringe trug.

Sie ließ dann durch Tory die Karten zu drei Häufchen aufschichten und aus jedem vier beliebige Karten ziehen, also zwölf im ganzen. Die dreizehnte zog sie selbst aus dem mittelsten Häufchen.

Die dreizehn Karten mußte Tory mischen und mit der Bildseite nach oben nebeneinander legen. Ein Zufall wollte es, daß sehr viel rot darunter war, auch die Herzdame. Links neben dieser lag die Treffsieben.

Die Wahrsagerin stand jetzt auf, verließ wortlos das Zimmer und kam nach kaum zwei Minuten zurück.

Inzwischen hatte Tory sich in dem wohnlichen Raum genau umgesehen. –

Das dürre Weiblein trat an den Tisch, schob die dreizehn Karten zusammen und legte sie bei Seite, indem sie sagte: „Ich danke den Herren!“

„Na nu ?!“ entfuhr es Tory. „Sie wollten doch …“

„Der Spruch wird zur Zeit da sein,“ fiel sie ihm ins Wort. „Ich danke den Herren.“

Das war ein besseres Hinausgeworfenwerden!

Wir erhoben uns recht enttäuscht. Und Tory fragte kurz: „Was bin ich schuldig?“

„Nichts! Nur für die Karten, die ich stets nur einmal benutze, bitte ich den Preis zu erstatten – drei Mark.“

Teure Karten!!

Tory bezahlte und sagte, während er das Geld auf den Tisch legte:

„Haben Sie letztens mal ein Schriftstück verloren, Fräulein Link?“

Die dunklen Mausaugen schauten auf. Ich merkte, diese Frage überraschte die Kartenlegerin doch.

„Weshalb wollen Sie das wissen?“ meinte sie etwas zögernd.

„Weil man von diesem Schriftstück einen gesetzwidrigen Gebrauch gemacht hat,“ erklärte Tory gelassen.

Fräulein Link wurde unruhig.

„Ich habe allerdings etwas verloren – gestern morgen,“ sagte sie unsicher. „Nicht eigentlich verloren. Ich ließ ein an mich gerichtetes Schreiben der Steuerbehörde auf einem der Pulte des Schalterraumes am Hauptpostamt aus Versehen liegen.“

„Ist das die Wahrheit?“ fragte Tory jetzt gedehnt.

„Ja!“ Das klang aufrichtig. „Aber – Sie sprachen von einem Mißbrauch diese Schriftstückes,“ fügte sie schnell hinzu. „Wie soll ich das verstehen?“

„Darüber darf ich Ihnen vorläufig leider keine Auskunft geben, Fräulein Link. Aber Sie werden dadurch keine Unannehmlichkeiten haben – bestimmt nicht!“

Sie schien erleichtert aufzuatmen.

Tory wandte sich zur Tür.

„Bitte – die Karten dürfen Sie nicht hier lassen,“ sagte die Link ziemlich energisch. „Nehmen Sie sie mit und – beachten Sie stets die Herzdame und die Treffsieben.“

Tory steckte das Spiel in die Tasche. Und gleich darauf gingen wir wieder im hellen Mittagsonnenschein durch die Straßen, beide schweigsam, beide darüber nachgrübelnd, ob die Link uns wohl angelogen habe, als sie die Geschichte von dem liegen gelassenen Schreiben erzählte.

Erst während des Mittagessens im Restaurant ‚Deutsches Haus‘ sagte Tory: „Ich habe den Eindruck gehabt, als wenn sie nicht log.“

Ich erklärte, mir sei es ebenso ergangen.

„Was sie nur damit gemeint haben mag, ‚Der Spruch wird zurzeit da sein‘?“ fragte er dann.

Ich zuckte die Achseln. –

Nachher schenkte er dem Kellner, der uns bediente, die Karten. – „Da – das Spiel bringt Glück, Ober! Es stammt von einer Wahrsagerin!“

Der Kellner bedankte sich. Als er uns gleich darauf den Braten brachte, legte er die Karten mit der Treffsieben oben vor Tory hin und sagte:

„Ich glaube den Herrn darauf aufmerksam machen zu müssen, daß hier,“ – er deutete auf die Treffsieben – „eine Bleistiftnotiz steht.“

Tory griff sehr hastig nach der Treffsieben, reichte sie mir dann mit bedeutungsvollem Blick.

Mit zierlicher Schrift stand zwischen den schwarzen Kreuzen:

Spruch: Du suchst der Schönheit zu schaden. Daher wirst du sie nie finden. – –

Tory gab dem Kellner zwei Mark und behielt die Karten. –

Während wir uns den vorzüglichen Emmentaler als Nachtisch schmecken ließen, sagte er dann zu mir:

„Karl, begreifst du das? – Die Link spielt in ihrem Spruch doch fraglos auf die Madonna an.“

„Das meine ich auch.“

„Die Treffsieben hat sie natürlich heimlich mitgenommen, als sie das Zimmer verließ,“ fuhr er fort. „Aber – sie hat’s geschickt gemacht! Auf Dumme wirkt so etwas! – Deshalb also sollte ich die Herzdame und die Treffsieben ‚stets beachten‘! Ich sollte auf das Geschriebene aufmerksam werden!!“

„Natürlich! – – Immerhin, – woher nur wußte sie etwas von der Madonna?!“

Er trank erst seinen Rotwein aus und erwiderte dann:

„Die Geschichte ist wahrscheinlich sehr einfach. Soeben ist mir ein Licht aufgegangen: der Schneidermeister im Erdgeschoß!!“

„Ah – du meinst …?!“

„Ja – er muß mit der Link im Bunde stehen, muß!! Obwohl er sehr abfällig über sie sprach. Aber gerade das ist verdächtig! Ich beschrieb ihm doch die Madonna, die ich anstatt der Link suchte.“

„Hm – unmöglich wär’s nicht!“

„Im Gegenteil! – Denk’ mal, – wie viele Leute, die die Link konsultieren wollen, werden sich zuerst vielleicht noch bei Meister Bunke nach ihr erkundigen. Und er ist ein so freundliches, geschwätziges Männchen. Ich werde mal die Probe aufs Exempel machen.“

„Wie denn?“

„Das wirst schon sehen!“ – –

Gegen ein halb zwei nachmittags waren wir wieder daheim.

In meinem Briefkasten sah ich etwas Helles schimmern. Ich schloß auf. Es war ein an Tory gerichteter Brief ohne Marke, also durch einen Boten oder vom Absender persönlich überbracht.

Die Adresse sah sehr zierlich aus. Eine Damenhandschrift, – – wahrhaftig, – von der Link!! Auch Tory erkannte die Schrift sofort wieder.

In dem Umschlag lag ein sauber geschnittener Zettel. Darauf stand ohne Anrede:

Das Schriftstück ist mir soeben mit der Post anonym zugesandt worden.

Tory benahm sich jetzt sehr komisch, – rannte nämlich einfach davon, indem er mir zugibt: „Halte nur deinen gewohnten Mittagsschlaf! Auf Wiedersehen!“ –

Ich schlief wirklich bis drei Uhr. Als ich dann in mein Schlafzimmer ging, um mir das Haar überzubürsten, rief Tory mir aus seiner Kammer zu:

„Trommler – ich bin ihr auf der Spur!!“

Er trat mir in Hemdsärmeln entgegen, hatte auch ein wenig geruht, nachdem er durch den Geheimweg in seine Kammer gelangt war.

„Wem bist du auf der Spur?“

„Der Madonna natürlich! Oder dachtest du an die Link?! Was die anbetrifft, da war’s doch nach ihrem Briefe klar, daß sie mit dem Schneiderlein unter einer Decke steckt! Woher sonst meine Adresse, mein Name?! Und beide hatte ich dem Meister Bunke angegeben! – Also nun zur Madonna!“ Er rieb sich vergnügt die Hände. „Die Link hatte zum Glück den Umschlag aufbewahrt, in dem ihr das Schreiben der Steuerbehörde wieder zugegangen war. Sie hat mir sogar den Umschlag geschenkt, obwohl ich so unhöflich war, ihr gegenüber anzudeuten, daß Meister Bunke ihr Vertrauter wäre, daß sie nur von ihm erfahren haben könnte, daß ich mich nach einer jungen Dame, so und so aussehend, bei ihm erkundigt hätte. Sie wies diesen Verdacht natürlich entrüstet zurück, ebenso wie ich ihr Ansinnen zurückwies, ihr mitzuteilen, was denn mit dem Schreiben der Steuerbehörde von der Person, die es ihr nun wieder zurückgeschickt hatte unternommen worden sei. –

Daß die Madonna hier als die ‚Person‘ in Frage kam, – dies zu kombinieren, dazu reichte es bei der Link nicht!“

Tory zeigte mir jetzt den Umschlag. Die Marke war in Heubude abgestempelt. Das ist ein kleiner Badeort an der alten Weichsel, mitten im Kiefernwalde gelegen, von dem aus man in fünfzehn Minuten am Ostseestrande ist.

„Sie wohnt in Heubude, Karl, – ganz sicher! Ich fahre noch heute hin,“ meinte er. „Um vier Uhr geht ein Dampfer.“

„Na – so ganz sicher scheint mir das doch nicht. Der Brief kann dort auch nur zur Post gegeben sein, um die Link als Empfängerin zu täuschen.“

„Nein! – Bedenke doch, die Madonna ahnt ja nicht, daß jemand die verbindenden Fäden bereits herausgefunden hat, fühlt sich ganz sicher! In Heubude wohnen eine Menge Leute! Wie sollte die Link gerade sie unter den Hunderten herausfinden, und – die Hauptsache! – weshalb sollte die Link überhaupt nach ihr suchen?! –

So wird die Madonna kalkulieren, indem sie eben überzeugt ist, daß Katzenstein nicht ahnt, daß sie sich falsch legitimiert hat.“

„Gut – fahre nach Heubude! – Aber – was wird aus der Schmitz?! Du wolltest doch zu ihr als Kaffeegast.“

„Bitte, – übernimm du das, Karl. Tu’ mir den Gefallen. Aber – sei schlau! – Ich möchte von der Schmitz erfahren, ob Tompson hier mit jemandem verkehrt hat. Und – wenn möglich, – schau’ dich in seinem Zimmer genauer um.“

„Ich wäre sofort bereit, Tory! Du vergißt nur, daß die Schmitz mich von Ansehen sicher kennt. Im Pfeffergang kennen sich alle Leute.“

„Hm!! – Nein,– es geht nicht. Du hast ganz recht. Auf diese Weise könnte die Polizei auf uns aufmerksam werden, die sich doch früher oder später bei der Schmitz einfinden wird, sei es nun, daß die Witwe das Verschwinden ihres Mieters anmeldet, sei es, daß auf andere Art festgestellt wird, wer der Tote ist. Und steht die Polizei erst mit der Schmitz in Verbindung, so wird sie die Frau Oberkontrolleur natürlich gehörig über Tompson ausholen, und dann müßte herauskommen, daß du für den angeblichen Engländer Interesse gehabt hast.“

„Sehr gut gefolgert, Tory. – Ich kann diesen Gedanken auch weiter ausspinnen. Zuvor eine Frage. Hast du der Schmitz deinen Namen genannt?“

„Nein. Ich wußte das zu umgehen.“

„Trotzdem kann die Polizei auf uns hingewiesen werden, lieber Tory, – denn die Witwe braucht uns beide nur mal zusammenzusehen, so ist die Geschichte schon faul! Mich erkennt sie dann als ihren Hausnachbarn wieder und dich als den Freund Tompsons, der in Berlin mit ihm zusammengewesen sein will. Erfährt dies die Kriminalpolizei, sitzen wir schon fest!! Dann kommt sicherlich ein Beamter zu mir, – und wie willst du dann dein Interesse für Tompson erklären, – he?!“

„Verflixt! Diesmal bist du der Schlauere! Eigentlich dürften wir uns gar nicht mehr außerhalb des Hauses zusammen zeigen!! – Üble Sache, wahrhaftig!!“

„Nein – wir dürfen es wirklich nicht!“ meinte ich jetzt infolge meiner eigenen, soeben angestellten Schlußfolgerungen ernstlich besorgt, indem mir die Lahore-Vase als Schreckgespenst vorschwebte, die wir gestohlen hatten. „Vergiß die Vase nicht, Tory!! Sie kann uns teuer zu stehen kommen, falls die Polizei irgendwie erfährt, daß sie im Mordzimmer aufbewahrt wurde.“

Tory hatte sein Monokel aus dem Auge genommen und reinigte es mit dem seidenen Taschentuch.

„Halt – ich hab’s!“ rief er dann plötzlich. Und er lächelte mich triumphierend an. „Ich reise einfach ab, Trommler, – mit einem leeren Koffer …“ –

 

10. Kapitel.

Viktor Ruhnau hatte seinen Schlachtplan fix und fertig, als er in die Taxe stieg und sich nach dem Hauptbahnhof bringen ließ. Er wußte, daß er den Spion täuschen mußte, der ihn fraglos diesmal nicht so leicht entschlüpfen lassen würde.

Der Mann war wirklich wieder da und – folgte dem Taxameter auf einem Zweirad. –

Viktor löste am Schalter dann eine Fahrkarte nach Dirschau, gab seinen Koffer auf und ging in den Wartesaal zweiter Klasse, der drei Eingänge hat. Zwei liegen nebeneinander, der dritte ihnen gegenüber.

Als der Spion den Wartesaal betrat, war Ruhnau durch die dritte Tür schon wieder draußen und eilte nun schleunigst den Durchgang entlang nach den Vorortzügen auf den Zoppoter Bahnsteig, stieg hier in einen Zug, der aber erst nach zehn Minuten abgehen sollte, und verließ ihn wieder kurz vor der Abfahrt, um durch die Sperre und den Fahrkartenverkaufsraum für den Vorortverkehr dann unbemerkt auf die Straße zu gelangen.

Ein zweiter Taxameter brachte ihn zu Isidor Katzenstein.

Das alte Männchen schüttelte verwundert den weißen Kopf, als der elegante junge Herr allerlei Aufträge erteilte, die dann auch sofort prompt ausgeführt wurden, nachdem Viktor ihm mitgeteilt hatte, daß und weshalb er in einer Verkleidung nach Heubude hinausmüsse. – –

Katzensteins Wohnzimmer wurde zur Schauspielergarderobe. Vor dem großen Spiegel machte Viktor seine ersten Versuche, einen anderen Menschen aus sich herzustellen. Auch hier nützte ihm seine Freundschaft mit Kommissar Haßfeld sehr viel, der ihm gezeigt hatte, wie man am leichtesten und unauffälligsten sein Äußeres verändert.

Ruhnaus natürliches Geschick zu allen Dingen half über die Schwierigkeiten hinweg. Und Katzenstein und Frau Rebekka spielten die Kritiker. Endlich waren sie und auch Viktor selbst zufrieden. –

Mit dem Sechsuhrdampfer fuhr dann ein älterer sehr bescheiden gekleideter Mann, der einen Pappkarton und einen altehrwürdigen Regenschirm bei sich hatte, mit nach Heubude. Er sah aus wie ein im Dienst ergrauter Kanzlist, trug eine große Brille mit grauen, runden Gläsern, hatte langes, graues Haar und einen schlecht gepflegten, kurz gehaltenen Vollbart von derselben Farbe, dazu eine verdächtig gerötete Nase. Niemand kümmerte sich um das Männchen, der durch vielfach gestopfte Zwirnhandschuhe seine Hände schützte und sich auf einen Klappstuhl dicht an den Schornstein gesetzt hatte. –

Daß dieses Männlein Viktor Ruhnau war, braucht wohl nicht weiter bemerkt zu werden.

Viktor fühlte sich zunächst in seiner Verkleidung höchst ungemütlich. Er fürchtete, daß man ihm die Maske ansehen müsse. Als jedoch kein Mensch auf ihn achtete, wurde er zuversichtlicher.

Der Dampfer legte jetzt am Fischmarkt an und nahm neue Fahrgäste auf. Und unter diesen befand sich auch … der Konsul Schimpel …!!

Viktor zuckte zusammen, als er seines Stiefvaters ansichtig wurde, der keine acht Schritte entfernt auf einer Seitenbank Platz nahm. Doch Schimpels Augen, die die Leute ringsum flüchtig musterten, glitten ebenso flüchtig auch über den ärmlichen Kanzlisten hinweg.

Das erhöhte Viktors Sicherheitsgefühl. Er lebte sich immer mehr in die Rolle hinein, die er spielen wollte. –

Während der Dampfer gleichmäßig unter rastlosem Stampfen seiner Maschine das gelbliche Wasser der alten Weichsel durchfurchte, vorbei an endlosen, am Ufer festgemachten Holztraften[6], vorbei an breiten Oderkähnen, die mit ihrem Riesensegel langsam ihrem Ziele zustrebten, überlegte Viktor sich, was wohl der vornehme Herr Schimpel in dem zumeist nur vom einfacheren Publikum besuchten Heubude zu tun haben könne. Viktor konnte sich nicht besinnen, daß der Konsul je den Namen Heubude als eines für Leute seines Standes in Betracht kommenden Ausflugsortes erwähnt hätte. Was also wollte er dort, und noch dazu zu dieser Stunde, wo doch der Abend dicht bevorstand?! –

Der Dampfer machte an der Anlegebrücke fest. Die Fahrgäste strömten über die Planke. Schimpel war einer der vordersten.

Trotzdem blieb Viktor ihm auf den Fersen.

Der Konsul schlug den Weg nach dem Dorfe ein, bog dann aber bald links ab und benutzte einen schmalen Fußgängerweg. Sein Verhalten war auffällig. Er drehte sich häufiger, wie von Mißtrauen gepeinigt, daß ihm jemand folgen könne, um, so daß Viktor sehr vorsichtig sein mußte, um seines Stiefvaters Argwohn nicht zu erregen.

Alles ging gut. Schimpel verschwand in einem abseits gelegenen, von einem großen Garten umgebenen Hause.

Viktor war hinter einem Gebüsch stehen geblieben, wartete ein paar Minuten und näherte sich nun dem einsamen Grundstück. Der Fußsteig lief hier dicht an der einen Längsseite des Gartenzaunes entlang.

Hinter dem Hause war ein Rasenplatz, auf dem Wäsche ausgebreitet lag. – Viktor stutzte plötzlich, ging dann aber ruhig weiter …

Er hatte seine blonde Madonna erspäht, die gerade aus der Hintertür herausgetreten war und der Bleiche zuschritt. Sie trug eine große Wirtschaftsschürze, hatte einen Wäschekorb in der Hand …!! Also war dies hier ihr Heim, – dasselbe Haus, das Schimpel besuchte – so vorsichtig besuchte, als dürfe er nicht bemerkt werden, als solle niemand wissen, daß der angesehene Herr Konsul zu den Bewohnern in irgendwelchen Beziehungen stehe …!!

Es waren seltsame Gedanken, die Viktor jetzt durch den Kopf schossen, während er langsam, ganz mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte.

Nun hatte er das nächste Haus erreicht, einen blitzsauberen, niedrigen Bau aus Holz. An der Tür hing eine Papptafel: ‚Sommerwohnung und einzelne Zimmer‘.

Fünf Minuten später hatte der Bureauvorsteher Gottlieb Schmidt bei der Fischerwitwe Klaus ein Hinterstübchen für drei Tage gemietet und die geringe Summe sofort im Voraus bezahlt. Frau Klaus war keine redselige Natur, aber dem freundlichen Herrn Schmidt gegenüber vergaß sie bald ihre sonstige Zurückhaltung und – merkte gar nicht, daß einer, der auch Tory genannt wurde, sie vollständig über das Haus da drüben und dessen Bewohner ‚auspumpte‘.

Nachher machte der kurzsichtige Bürovorsteher noch einen Spaziergang. Es war bereits recht dunkel geworden und somit weiter kein Wunder, daß er sich verirrte und auf das einsamen Grundstück geriet, wo zu seinem Glück kein Hund gehalten wurde. Merkwürdig war nur, daß er dann auf einen umgestürzten Holzeimer stieg und durch das eine Fenster in das Zimmer hineinzusehen versuchte. –

Später, als der letzte Dampfer abgefahren war, der auch den Konsul wieder an Bord hatte, kam Herr Schmidt wohlbehalten im Fischerhäuschen wieder an.

*

Ich hätte nie geglaubt, daß man sich, selbst wenn man ein solches Gewohnheitstier ist wie ich, doch so schnell an eine angenehme Veränderung in des Alltags grauem Einerlei gewöhnen kann.

Kurz, bereits nach zwei Stunden merkte ich, daß Tory mir fehlte!

Ich hatte zu arbeiten versucht, aber – es ging nicht. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, bald hierhin, bald dorthin. Es gab ja auch genug, was des Nachdenkens wert war.

Ich kann mir wirklich vor wie ein Mensch, der bis dahin einem wildbewegten Tanz mit überlegenem Lächeln aus der Ferne zugeschaut hatte und der nun urplötzlich von einem lachenden Weibe mithineingezerrt worden ist in den Kreis einer bunten, toll durcheinander wirbelnden Gesellschaft … – Das lachende Weib war das Schicksal, die Tanzenden waren das vielgestaltige Leben … –

Nein, es war heute nichts mit der Arbeit! – Ich legte die Feder hin, lehnte mich in dem Schreibtischstuhl bequem zurück und überdachte nochmals die Ereignisse seit Torys Einzug ganz genau.

Während ich mir so jede Einzelheit vergegenwärtigte und schließlich auf diesem Wege auch zu der Witwe Schmitz und ihrem ermordeten Mieter gelangte, wobei ich mich daran erinnerte, daß Tory von der Schmitz noch hatte herausholen wollen, mit wem Tompson verkehrt hatte, packte mich plötzlich der Ehrgeiz.

Zum Donner, sagte ich mir – wozu bist du eigentlich Kriminalschriftsteller?! Solltest nicht auch du so manches erreichen können, willst du nicht auch dein Teil dazu beigetragen, den Täter zu ermitteln?

Der Ehrgeiz kam nicht mehr zur Ruhe. – –

Dann stand ich vor der Flurtür der Schmitz und schaute wie gebannt auf den weißen Elfenbeinknopf der elektrischen Glocke.

Hatte ich erst gedrückt, so war die Entscheidung gefallen, dann gab es kaum noch ein Zurück, dann – hatte ich vielleicht eine kolossale Dummheit gemacht!!

Unsinn!! Wozu die Bedenken! Nur schlau und vorsichtig mußte ich’s anfangen!!

Ich drückte …

Die Schmitz war daheim. Aber – oh Schreck! – sie erkannte mich sofort.

„Ah – der Herr Nachbar aus dem Nebenhause – Bitte treten Sie näher – Freut mich sehr! – Wo ist denn Ihr Freund, der Herr Viktor Ruhnau? – Ja, denken Sie – ich habe Sie beide vormittags auf der Straße zusammengesehen, und Ihre Aufwärterin, die Frau Meller, erzählte mir dann …“

Wie ein Wasserfall plätscherte es an mein Ohr. Der Redefluß war nicht einzudämmen. Ich kam nur dazu, hin und wieder ein ‚Ja‘ hören zu lassen, zu nicken und auch zustimmend zu lächeln.

Aber das Lächeln verging mir bald.

Die Schmitz erzählte, daß vor kaum zwanzig Minuten zwei Kriminalbeamte bei ihr gewesen seien, und denen hätte sie auch gern alles erzählt, was sie von dem armen, armen Herrn Tompson wüßte; denn er sei ja der Ermordete ‚von drüben‘, wie sich jetzt herausgestellt hätte. Und natürlich sei ihr da auch mein Freund eingefallen, der doch Herrn Tompson kenne, und das wäre den Beamten sehr interessant gewesen … – Also wirklich! Da war ja bereits das eingetreten, was ich befürchtet hatte!!

Ich hörte kaum mehr hin, was die Schmitz noch weiter herunterleierte … Ich dachte nur an die Vase – daran, daß die Polizei jetzt wirklich auf uns aufmerksam geworden war …!!

Ich saß wie auf Kohlen. Kam nicht schnell genug nach Hause. Die Vase sollte verschwinden – und wenn ich sie in kleine Stücke zerschlagen mußte …!!

Ich stürmte die Treppe in meinem Hause hinauf. Ich rannte einen Herrn im Halbdunkel an, entschuldigte mich, wollte weiter …

„Einen Augenblick! Herr Schriftsteller Dr. Wilde, nicht wahr?“ fragte der Mann.

Ich ahnte, wer da vor mir stand. Jetzt hieß es zeigen, daß ich mich in der Gewalt hatte.

„Allerdings – Dr. Wilde.“ –

„Kommissar Ihle,“ stellte der jüngere sich vor. „Hier der Kriminalwachtmeister Spengler.“

Gleich darauf saßen wir drei in meinem Arbeitszimmer.

Der Kampf begann …

 

11. Kapitel.

Ich muß die beiden Beamten kurz beschreiben, da sie in der Geschichte der Lahore-Vase noch weiter eine Rolle spielen.

Ihle sah sehr jung aus. Jünger als Tory. Freilich – Tory machte ja stets einen weit älteren Eindruck infolge seiner gleichmäßigen Abgeklärtheit.

Ihle hatte ein paar Schmisse auf der Wange und trug einen Kneifer ohne Einfassung auf der messerscharfen Hakennase. Die Augen hinter den Gläsern waren müde und schläfrig.

Einen Kopf kleiner als der mittelgroße Kommissar war Justus Spengler. – Wenn ich sage, er sah aus wie ein total abstinenter und sehr magerer, glatt rasierter Küster, so genügt das wohl. In seinem Gesicht war alles ‚gewöhnlich‘, wie es in der Paß-Sprache heißt.

Daß in diesem kleinen, unauffälligen Männchen, der früher mal Dorfschullehrer gewesen, wie ich zufällig erfuhr, und aus reiner Neigung zur Polizei übergetreten war, wo er von der Pike an dienen mußte, – daß in ihm etwas Besonderes steckte, merkte ich sehr bald.

Ihle begann die Unterredung damit, daß er mich fragte, ob nicht der Student Viktor Ruhnau bei mir wohne. Ich bejahte. – Er fragte weiter, wo Ruhnau sich jetzt befände.

Das war die erste Klippe. Aber ich umschiffte sie glücklich.

„Er ist heute nachmittag verreist. Wohin, auf wie lange weiß ich nicht. Ich glaube aber, es handelt sich um so ein kleines galantes Abenteuer.“

Ihle gab sich zufrieden.

„Sie haben doch sicher schon von dem Morde gehört, Herr Doktor,“ sagte er dann. „Der Tote ist ein Engländer namens Tompson.“

Ich nickte sehr eifrig. „Frau Schmitz hat es mir soeben erzählt, meine Mansardennachbarin im Nebenhause.“

„Ruhnau und Tompson waren ja wohl miteinander bekannt, Herr Doktor?“

„Ja. – Viktor wollte ihn heute Morgen noch im Bett überraschen, um die alte Bekanntschaft von Berlin her wieder aufzufrischen.“

„Ich weiß, Herr Doktor – von der Schmitz. – Sie selbst kennen Tompson nicht?“

„Nein.“

„Wann erfuhren Sie beide von dem Morde etwas?“

„Heute früh durch meine Aufwärterin.“

Ihle schaute zu Spengler hinüber. Der machte auch ein sehr enttäuschtes Gesicht.

„Also auch hier keinerlei Winke, keinerlei uns fördernde Angaben …!“ meinte der Kommissar leise aufseufzend. „Ich sage Ihnen, Herr Doktor, dies Verbrechen ist ein Sensationsfall – eben weil wir so völlig im Dunkeln tappen. Wie Blinde fühlen wir hierhin und dorthin – – finden nichts – nichts!“

Ich tat sehr interessiert. „Das klingt ja wenig verheißungsvoll, Herr Kommissar. Können Sie mir nicht näheres erzählen. Ich bin ja hauptsächlich Kriminalromanfabrikant in meiner Eigenschaft als Schriftsteller. Vielleicht lerne ich von Ihnen als Fachmann etwas dazu, erhalte Anregungen.“

Ihle zuckte die Achseln. „Dieser Mord zeigt so viel Seltsames, daß er für ein paar Romane Stoff gibt, denke ich. Stellen Sie sich vor: gestern, nein heute nacht gegen einhalb zwei Uhr morgens wirft ein Unbekannter einen mit Rundschrift geschriebenen Brief in das Dienstzimmer der Polizeiwache auf dem Fischmarkt und läuft davon. Der Brief meldet einen Mord an. Wir begeben uns nach dem uns näher bezeichneten Hause und Zimmer und finden tatsächlich einen Toten neben dem Kachelofen in einer Stahldrahtschlinge an der Wand hängen, finden eine Menge Spuren in dem Staube des Fußbodens, die sich jedoch nicht entwirren lassen, und hören von unserem Arzte, daß der Tote gewürgt wurde, einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten hat und dann im bewußtlosen Zustände aufgeknüpft worden ist. –

Dieses Verbrechen muß gestern gegen Mitternacht verübt worden sein. Der Tatort ist ein Zimmer in einem seit Jahren leerstehenden, baufälligen Hause; das Gebäude Eigentum der Hypothekenbank; der Tote ein Ausländer, der angeblich in Geschäften hier weilte; der Mörder – fraglos der Schreiber des Rundschriftbriefes! – hat seinem Opfer alles geraubt, was Aufschluß über dessen Persönlichkeit hätte geben können. Ein reiner Zufall bringt uns heute Nachmittag einen Zeugen, der den Ermordeten erkennt. Es ist der Schließer der Nachtwachgesellschaft, zu dessen Revier auch der Pfeffergang gehört. Sonst würden wir vielleicht noch jetzt nicht wissen, wie das Opfer eigentlich heißt, wo es wohnt usw. … – Eine Durchsuchung der beiden Koffer des Toten fördert nicht das Geringste zu Tage, was irgendwie auch nur im entferntesten auf ein Motiv zu dem Verbrechen hinweist. Im Gegenteil, der Inhalt der Koffer Tompsons ist so unpersönlich wie nur möglich, alles neue Gegenstände – sowohl die Toilettenutensilien wie die Wäsche, die Kleider und sonstigen Kleinigkeiten. –

Kurz, man kann bei diesem Kriminalfall hinfassen wo man will, überall greift man sozusagen Quecksilber, alles zerrinnt zwischen den Fingern, entgleitet … –

Hm – nur etwas haben wir gefunden – etwas so recht für einen Kriminalroman: fünf Zeichnungen von Schmuckstücken, und zwar von zwei Haarreifen und drei Halsbändern! Diese Zeichnungen befinden sich auf einer Art Pergament und haben etwa Quartblattgröße. Sie waren eingehüllt – als zusammengebundene Rolle – in ein sehr feines, golddurchwirktes Gewebe. – Aber – sie helfen uns auch nicht weiter!“

Beinahe wäre es mir jetzt entfahren: ‚Kann ich die Zeichnungen einmal sehen?‘ Unwillkürlich hatte ich an das Geschmeide gedacht, das die blonde Madonna bei Katzenstein versetzt hatte. Es war nur eine ganz lose Ideenverbindung. Aber – sie regte mich doch etwas auf und hätte mich fast zu einer großen Unvorsichtigkeit verführt.

Nein – ich mußte so tun, als seien mir die Zeichnungen ganz gleichgültig – ich sagte daher nur: „Vielleicht war Tompson Juwelier, Herr Kommissar.“

„Ah, sehen Sie, auch Sie sprechen diese Vermutung aus!“ rief er lebhaft. „Justus Spengler will davon zwar nichts wissen, aber – ich werde doch recht behalten!“

Spengler saß scheinbar ganz teilnahmslos in seinem Sessel. Aber seine grauen Augen wanderten unablässig hin und her. Diesen Augen entging nichts. Sie lagen stets auf der Lauer. Schon Spenglers Schüler hatten darunter zu leiden gehabt und wurden stets bei jedem dummen Streich abgefaßt.

Spengler sagte jetzt bescheiden: „Der Tote ist meiner Meinung nach ein Inder, kein Europäer, wenn auch ein Inder mit sehr heller Hautfarbe, wie dies in Asien häufig gerade bei Abkömmlingen edler Geschlechter beobachtet worden ist. Die Zeichnungen stellen indische Schmuckstücke dar, sind alte Kunsterzeugnisse. Hinter diesem Morde steckt etwas ganz Besonderes!!“ Die letzten Worte betonte er stärker.

Ich aber starrte ihn ganz entgeistert an. – Ein Inder – indische Arbeiten! – hatte er behauptet. Und der Schmuck der Madonna war gleichfalls indischen Ursprungs gewesen …!!

Sofort mahnte aber auch die Vernunft: ‚Benimm dich nicht auffällig …! Du darfst nicht zeigen, daß gerade die Tatsache, daß es sich um Zeichnungen indischen Schmuckes handelt, dich interessiert …!‘

Ihle zuckte die Achseln. „Inder hin – Inder her …!! Was nützt es uns?! Es verwirrt die Sache nur noch!“ Und er seufzte wieder. Er war ehrgeizig, und zu gern hätte er sich durch die Aufdeckung dieses Falles hervorgetan.

Hiermit war das rein Dienstliche erledigt. Ihle wollte sich dann noch die Aussicht von meinem Balkon ansehen. Wir standen eine Weile draußen zwischen meinen Blumen. Spengler war drinnen im Arbeitszimmer geblieben. Leider …!! Während ich dem Kommissar stolz meine Radieschen zeigte, erntete der Wachtmeister andere Früchte – Früchte eines ungewöhnlichen Scharfsinns! –

Aber hiervon erfuhr ich erst später. – –

Ich war wieder allein … Und ich dachte an Tory. Ob er wirklich in einer Verkleidung nach Heubude gefahren war? Ob er die Madonna finden würde …?

Ich war jetzt heiterer, fühlte mich freier als zuvor. Von der Lahore-Vase ahnten die Beamten zum Glück nichts! Wie sollten sie auch?! Sie hatte ja in dem ehemaligen Kontorzimmer drüben nur eine Spur zurückgelassen, in dem Staube der Tischplatte einen Kreis dort, wo sie gestanden hatte, bevor der Mörder sie herunterhob um sie mitzunehmen.

Dann zuckte in meinem Geiste plötzlich die so naheliegende Frage auf: Wer hat die Vase überhaupt in das leere Haus gebracht, und zu welchem Zweck ist dies geschehen? – Ein so wertvolles Stück verbirgt man doch anderswo, selbst wenn es gestohlen ist, stellt es nicht auf einen Tisch in ein verschlossenes Zimmer in einem unbewohnten, ebenfalls wohl für gewöhnlich verschlossenen alten Gebäude …?!

Weiter eilten meine Gedanken, bauten allerlei Schlußfolgerungen auf aus Tatsachen, die wie die bunten Steine eines Steinbaukastens waren. Aber ich brachte nichts Gescheites zurecht mit meinem Kombinieren – gar nichts! Obwohl ich doch weit mehr wußte als Ihle und Spengler.

Dieser fruchtlosen Geistesarbeit machte das Bimmeln meiner Flurglocke ein Ende.

Ich ging öffnen.

Wachtmeister Spengler war’s …!!

„Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich, Herr Doktor?“ fragte er sehr höflich.

„Ja, bitte …!“ Das klang wohl recht zögernd.

Wieder saßen wir in meinem Arbeitszimmer. Spengler lehnte die Zigarre, die ich ihm anbot, dankend ab.

„Bin stets Nichtraucher gewesen und will es bleiben,“ meinte er. „Ich kaufe für das Geld lieber meinen Kindern Süßigkeiten. Und ich habe vier zu Hause, Herr Doktor! Bei den teuren Zeiten ein kleiner Luxus, die vier …! Aber – ich habe meine Freude dran! – Die Älteste sitzt bereits in der vierten Klasse und leistet sehr gutes. Sogar Zierschrift schreibt sie in der Vollendung, besonders Rundschrift.“

Rundschrift hatte er gesagt …!! – Ich fühlte die grauen Augen fast durchdringend auf mir ruhen …

Hätte ich mich doch nur besser beherrschen können! – Aber – ich war zusammengezuckt, und alle Energie half nichts, mir schoß das Blut ins Gesicht!

Schnell täuschte ich einen Hustenanfall vor … Oh – er gelang kläglich … kläglich!

Und Spengler sprach weiter …

„Schreiben Sie eigentlich auch Rundschrift, Herr Doktor? – Ich sah da vorhin, als Sie mit meinem Chef auf dem Balkon waren, auf Ihrem Schreibtisch einen Halter mit einer Rundschriftfeder. Ich suche nun für Erna – das ist meine Älteste, schon seit langem eine wirklich gute Feder. Können Sie mir eine bestimmte empfehlen?“

Ich hätte mich mit den stärksten Schmeicheleien für die unglaubliche Dummheit belegen können, den – gerade den Federhalter nicht weggepackt zu haben!! – Jetzt war’s zu spät! Dieser durch seinen Beruf zu stetem Mißtrauen verpflichtete Kriminalbeamte dachte sicherlich an den Mann, der den Brief mit der Meldung von dem Morde in die Polizeiwache geworfen hatte …! – Daß er von seiner Tochter so harmlos dabei sprach, war Finte, war eine kalte berechnete Schlauheit.

Jetzt hieß es mehr denn zuvor, jeden Argwohn bei ihm zu zerstreuen …! Ich durfte mich nicht mehr verraten – durfte nicht!

„Ich schreibe sogar sehr gut Rundschrift,“ erwiderte ich. „Nur – nie mit einer bestimmten Sorte von Federn.“

„So – so! Schade!“

Und nach kurzer Pause wieder: „Herr Doktor, Sie wollten, so schien es mir wenigstens, vorhin eine Zwischenbemerkung machen, als von den Zeichnungen gesprochen wurde, besonders als ich im Anschluß daran betonte, Tompson sei ein Inder.“

„Da haben Sie sich getäuscht, Herr Spengler. Oder aber – diese Bemerkung wäre dann so gleichgültiger Natur gewesen, daß ich sie sofort wieder vergessen habe.“

Er wiegte den Kopf hin und her. Und plötzlich sagte er dann: „Ich möchte jetzt Gedankenleser sein …!“

„Weshalb denn, Herr Spengler?“

„Weil es mir auf Ihre Gedanken mehr ankommt als auf Ihrer Worte.“

„In diesem Augenblick auch?“ fragte ich scharfen Tones, da ich mir nämlich gerade nicht für Spengler Schmeichelhaftes gedacht hatte.

„Ja, – denn alles hängt ja doch mit den beiden Männern zusammen, die Ihr leider sehr kurzsichtiger Hauswirt Herr Hönig in der verflossenen Nacht aus dem leeren Hause kommen sah, als er an das Fenster eines Vorderzimmer seiner im ersten Stock gelegenen Wohnung trat, nachdem ihn Gichtschmerzen von seinem Lager aufgescheuchte hatten. –

Wie gesagt – er ist sehr kurzsichtig, der Hönig, – aber gesehen hat er doch, daß der eine der Leute einen ziemlich großen Gegenstand im Arm trug …“

Mein Herzschlag setzte aus … Und es war mir, als presse die Hand eines Riesen mit plötzlichem Druck mir auch die Kehle zusammen.

Aber wie oft gerade in Momenten höchster Gefahr selbst einem Menschen mit geringer Geistesgegenwart ein rettender Gedanke, oder mit einemmal eine erstaunliche Energie zufliegt, so erging es jetzt auch mir.

Hier stand alles auf dem Spiel …!! – Diese Erkenntnis genügte. Gelang es mir jetzt nicht, völlig harmlos zu erscheinen, dann war mit Sicherheit anzunehmen, daß der Argwohn Spenglers noch weiter wachsen und daß diese Unterredung mit einer Katastrophe endigen würde …! Wir hatten ja einen Diebstahl verübt, wir hatten uns weiter dadurch verdächtig gemacht, daß wir von dem von uns entdeckten Verbrechen die Polizei nicht in üblicher Weise in Kenntnis gesetzt hatten …! Konnte man da nicht gar zu leicht auf den Gedanken kommen, wir selbst seien die Mörder …?!

Alles stand auf dem Spiel …!!

Aber ich bekam es jetzt wirklich fertig, etwas überlegen zu lächeln und mit feinem Spott zu sagen:

„Allerdings, – Herr Hönig ist sehr kurzsichtig, sehr! Zahlt man die Miete, so geht er mit jedem Schein, jeder Münze ans Fenster und prüft, ob auch nicht Falschstücke darunter sind …!!“

Ich schaute den Wachtmeister dabei ohne Scheu an. Und – er lächelte auch. –

Ich fügte hinzu:

„Auf Hönigs Beobachtungen würde ich für meine Person wenig geben, recht wenig, zumal die vergangene Nacht doch sehr dunkel war. Wir, Viktor Ruhnau und ich, begaben uns vor Mitternacht zu Ruhe. Als ich die Vorhänge meiner Schlafzimmerfenster schloß, schaute ich auf die Straße hinab. Da war kaum die Hand vor Augen zu sehen.“

„Ganz recht, Herr Doktor,“ meinte Spengler jetzt in einem Ton, der sich wesentlich von dem bisherigen unterschied, da das Gespannte, Lauernde, Nebenbedeutungsvolle fehlte. „Ganz recht … Aber der Himmel klärte sich bald auf, sehr bald. Herr Hönig kann sich diese seine Angaben doch nicht einfach aus den Fingern gesogen haben …!“

„Bewahre, – das wollte ich auch nicht etwa andeuten, – nein! Dazu ist mein Hauswirt viel zu gewissenhaft. Nur – ob er sich nicht insofern getäuscht haben mag, daß es sich bei den beiden Männern nur um harmlose Passanten handelte, – dies wollte ich unterstreichen.“

Ich redete, lächelte, machte Bewegungen, als sei ich ein Automat. Aber ein sehr guter, naturgetreuer. Die Worte kamen mir über die Lippen, ganz unbewußt, während meine Gedanken anderes dachten …

Die Gefahr für uns war noch größer geworden. Hönig war wach gewesen, hatte am Fenster gestanden, hatte uns gesehen …!! Konnte er uns dann nicht auch gehört haben, wie wir die Treppe hinauf schlichen …?! Und – wenn er etwas gehört hatte, – wußte Spengler auch davon?! – Ich warte gierig, was Spengler jetzt antworten würde.

„Harmlose Passanten, – ja, ja, kann sein, Herr Doktor, kann sein!“ sagte er freundlich. „Wir, der Herr Kommissar und ich, messen Hönigs Beobachtung auch keinen besonderen Wert bei.“ – –

„Eine harte Nuß für uns, dieser Mord …!!“ seufzte er dann und stand auf, um sich zu verabschieden.

Da fragte ich etwas, das ihn ganz von unserer Harmlosigkeit überzeugen sollte.

„Seien Sie mal ganz ehrlich, Herr Wachtmeister,“ meinte ich, ihn fest ansehend. „Unser Gespräch vorhin über Rundschrift, – – das roch so ein wenig danach, als ob Sie mich in Verdacht hätten, den Brief an die Polizei geschrieben zu haben?!“

Er erwiderte nichts, kniff nur das rechte Auge zu und lächelte pfiffig.

Dann trennten wir uns mit freundschaftlichem Händedruck.

 

12. Kapitel.

Ich hörte Spengler die Treppe hinabstolpern, hörte ihn über die miserable Beleuchtung fluchen.

Ich triumphierte …! Ich hatte gesiegt …! Tory würde mit mir zufrieden sein …!

Immerhin war mir der Besuch des Wachtmeister doch etwas an die Nerven gegangen. Ich fühlte jetzt, wie abgespannt ich war. –

Aber ein Kognak half schnell und prompt.

Gerade als ich die Flasche wieder wegstellte, schlug meine Alarmglocke abermals ein.

Etwa wieder die Polizei …? – War Spengler noch etwas eingefallen, kehrte er zurück …?

Nein – es war ein kleines, altes Männchen, dürr wie eine Latte, mit schlauen, aber guten Äuglein: Isidor Katzenstein!

Er kam im Auftrage Torys – war ganz begeistert …

„Ich sag’ Ihnen, Herr Doktor, Sie hätten Ihren Freund nicht wieder erkannt, und wenn sie wären gefahren mit ihm in der Elektrischen vis–a–vis ’ne ganze Stunde! Ausgeschlossen …! –

Der Herr Ruhnau ist nun also in Heubude, und weil er nicht weiß, wie lange er bleiben muß, soll ich Ihnen sagen, Herr Doktor, daß er wird sich setzen nötigenfalls mit mir telephonisch in Verbindung, wo ich dann kann jeder Zeit kommen zu Ihnen.“

„Das lassen Sie lieber sein, bester Herr Katzenstein,“ erwiderte ich, indem ich beide Hände abwehrend erhob. „Wissen Sie, wer dort in Ihrem Sessel vorhin sich breit gemacht hatte …?! – – Ein Kriminalbeamter!!“

„Gott der Gerechte!!“ Der kleine Pfandleiher flog förmlich hoch. „Gott der Gerechte – was wollten denn die Greifer hier bei Ihnen …?!“

Ich antwortete mit einer Gegenfrage.

„Haben Sie schon von dem neuesten Mord gehört, Herr Katzen–stein?“

„Gewiß – gewiß, – – gelesen, – heut’ in der Abendzeitung steht schon ein Artikel drin.“

„Na –: Viktor ist ein Bekannter des Ermordeten, – und da wollten die Herren von der Kriminalpolizei eben näheres über Tompson hier erfahren. – Hm – das heißt – ganz unter uns, Herr Katzenstein, – sehr genau kennt Viktor den Engländer doch nicht, mehr so von … Dach zu Dach nur …“

„ …von … Dach zu Dach …? …?!“

„Ja – das ist nämlich so eine neue Redensart für oberflächliche Bekanntschaften.“

„Komische Redensart …!!“

„Ja, n’ bißchen eigenartig klingt’s ja! – Jedenfalls ist es also besser, Sie kommen nicht persönlich her, sondern schicken mir einen Brief, denn die Polizei könnte es vielleicht auffällig finden, wenn Sie mich häufiger besuchen. Es steht ja zu erwarten, daß die Beamten jetzt hier im Pfeffergang wie die Bienen schwärmen und auf jeden achten, der in der Nähe des leeren Hauses auftaucht.“

Katzenstein gab mir recht. „Also gut, Herr Doktor, – ich schick’ n’ Boten. Vielleicht kommen Sie auch mal morgen Vormittag zu mir in meine Privatwohnung, n’ Bote kostet Geld, viel Geld! Und wo man sparen kann …!!!“

Inzwischen war ein besonderer Gedanke in mir aufgezuckt. Katzenstein war doch sicherlich auch auf dem Gebiete ausländischer Raritäten gut beschlagen wie alle seine gebildeteren Berufskollegen. Schaden konnte es nicht, mal bei ihm wegen indischer Vasen anzutippen.

Ich tat’s sehr vorsichtig, erzählte, daß ich gerade einen Roman schriebe, in dem ich auch so einiges über indische Altertümer einflechten wollte; ihm müsste doch, da er ja lange in Berlin gelebt habe, vielleicht auch mal dies und das in seinem Geschäft von indischen Raritäten durch die Hände gegangen sein. In Berlin strömten doch nicht nur allerlei Menschen, sondern auch Waren zusammen …

Katzenstein schüttelte jedoch den Kopf.

„Meine Berliner Pfandleihe beschränkte sich lediglich auf Schmucksachen, Herr Doktor. So gern ich Ihnen helfen möchte, – ich weiß nichts, gar nichts über solche Sachen, höchstens wenn es sich handelt um echte Kostbarkeiten.“

„Kunstgegenstände kamen für Sie also auch nicht in Betracht?“

„Nein – oder nur höchst selten. Es mußten dann schon sehr berühmte Stücke sein, sagen wir Gemälde, Skulpturen, Porzellane.“

„Hm – ich habe da mal irgendwo etwas über eine Art indischer Vasen gehört oder gelesen, – etwas sehr Merkwürdiges. Leider sind mir die Einzelheiten entfallen. Ich weiß nur noch, daß es sich um heilige Gefäße handelte aus einer ganz eigenartigen Masse …“

Der kleine Herr machte plötzlich ein sehr gespanntes Gesicht.

„Vasen?“ meinte er sinnend. „Ja, ja, da gibt’s freilich in Indien die sogenannten Lahore-Vasen. Die sind eine Rarität ersten Ranges …“

Er brach plötzlich ab und begann die Luft durch seine Hakennase prüfend einzuziehen.

„Hm – – es riecht hier nicht gut, Herr Doktor,“ fuhr er dann zögernd fort. „Riechen Sie’s nicht auch …? So etwas nach Moschus und nach etwas Scharfem …“

Ja, auch ich hatte diesen Geruch bereits vorhin wahrgenommen, nachdem der Kommissar und der Wachtmeister bei mir gewesen waren, hatte aber geglaubt, Ihle sei vielleicht parfümiert gewesen.

Katzenstein schaute mich so merkwürdig prüfend an.

„Ja – Moschus – und noch etwas!“ sagte er leise. „Etwas Süßlich – Widerliches – – wie Leichengeruch. – Das erinnert mich so sehr an die einzige Lahore-Vase, die ich mal gesehen und zwei Tage bei mir im Tresor gehabt habe …“

Ich saß ganz regungslos da. Katzenstein sprach jetzt so anders als vorhin. In seiner Stimme war etwas Geheimnisvolles, aber auch Scheu – Zurückhaltendes.

„Ich würd’ nie wieder eine Lahore-Vase beleihen – nie wieder!“ fügte er hinzu. „Ich bin wahrhaftig nicht abergläubische, Herr Doktor. Aber … – – Nein, nein – Sie würden mich auslachen, wollte ich Ihnen mein Erlebnis von damals berichten. Übrigens habe ich auch keine Zeit mehr.“

Er erhob sich. Ich bat ihn, noch zu bleiben. Doch er entschuldigte sich damit, daß seine Frau allein daheim sei, nur noch mit Pinkus als Schutz … „Und der Hund wird alt – und zu fett …“, schloß er seine Rede.

Ich begleitete ihn bis zur Treppe.

„Auf Wiedersehen, Herr Katzenstein. Nehmen Sie sich nur ja in acht. Im Treppenhause ist’s dunkel.“

Dann nahm ich die Abendzeitung aus meinem Briefkasten. Es war mittlerweile sieben Uhr geworden. Ich deckte meinen Abendbrottisch, aß und blätterte den Danziger Anzeiger durch. Zum Lesen hatte ich nicht die nötige Sammlung. Meine Gedanken irrten immer wieder ab, und meine Blicke folgten ihnen verstohlen nach meinem Bücherschrank dort in der Ecke, – denn da stand ja die Lahore-Vase …!

Die politischen Nachrichten konnten mich schon gar nicht fesseln. Ich suchte nach dem Artikel über den Mord im Pfeffergang, fand ihn bald. Viel enthielt er nicht. Ich mußte lächeln … Der Reporter hatte sich da einen ganzen Roman zusammenphantasierte, so etwas den genialen Detektiv gespielt.

Ich blätterte weiter – bis zu den Familienanzeigen. Wieder fand ich da die Todesanzeige eines Bekannten, eines Amtsrichters. Die Influenzaepidemie war diesmal wirklich bösartig.

Ich schnitt die Anzeige aus und heftete sie mit einer Stecknadel an meinen Terminkalender, – nein, ich wollte sie anheften …! Zufällig drehte ich sie um, stutzte … Auf der Rückseite stand eine andere Anzeige aus dem Annoncenteil, – mit dickem Strichelrand, sehr auffallend, und als Kennwort darüber ganz groß gedruckte:

!! Vase !!

Gedanken und Blicke eilten wieder nach dem Bücherschrank. In meinem Hirn bildete sich blitzschnell eine Kette von Ideen …

Sollte wirklich …?!

Ich überflog die Annonce.

!! Vase !!

Große, bronzefarbene, leere Vase, die irgendwo stehen gelassen wurde, mag der Finder gegen sehr hohe Belohnung dem Eigentümer unbeschädigt zurückgeben. Nachricht unter Vase 100 an die Expedition der Zeitung.

Ich muß ehrlich sagen, ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich diese Zeilen gelesen hatte.

Ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß unsere Lahore-Vase gemeint war …!!

Welch eine Menge von Schlußfolgerungen aber ließ sich aus dieser Anzeige ziehen …!! –

Erstens: Der, der die Annonce eingerückt hatte, war sehr wahrscheinlich der Mörder Tompsons! – ‚irgendwo stehen gelassen‘ – das sagte genug! Ich dachte daran, daß Tory behauptet hatte, der Mörder hätte die Vase vom Tisch bis zur Tür getragen, wäre dann aber durch uns gestört worden. –

Zweitens: Die Tatsache, daß dieser Unbekannte zu dem Hilfsmittel dieser Annonce griff, um wieder in Besitz der Vase zu gelangen, bewies, daß er genau wußte, daß die, die ihn so schnell verjagt hatten, die Vase mitgenommen hatten. –

Vielleicht – so überlegte ich mir – weiß der Mörder sogar, wo die Vase sich jetzt befindet, das heißt, – vielleicht ist er in das leere Haus zurückgekehrt und hat von einem der Vorderfenstern aus uns gesehen, wie wir unseren Raub heimschleppten …!! Ein für mich mit Recht sehr beunruhigender Gedanke …!! –

Drittens: Diesem Manne mußte doch an der Wiedererlangung der Rarität geradezu ungeheuer viel liegen, wenn er unter diesen Umständen es wagte, der Vase wegen diese Anzeige zu veröffentlichen …!! –

Konnte er denn wissen, daß die Polizei nichts von diesem indischen Kunstgegenstand ahnte? Mußte er nicht fürchten, daß, wenn die Polizei von der Vase Kenntnis hatte, er sich den Häschern auf diese Weise in die Hände spielte …?! –

Hier bei Punkt drei gab es also verschiedene ungelöste Fragen – verschiedene! –

Viertens: Wie würde der Mann es wohl anstellen, um sich mit denen, die die Vase jetzt in Besitz hatten, ins Einvernehmen zu setzen und doch unerkannt zu bleiben …?! –

Schließlich: Wenn der Mörder – falls er es wirklich war, der die Anzeige eingerückt hatte – wußte, wo die Vase sich jetzt befand, – weshalb schrieb er dann nicht einfach an uns und bot uns Geld für sein Eigentum …?! Er hatte uns doch genau so in der Hand wie wir ihn! Wir hatten gestohlen, unseren Raub und noch anderes verheimlicht, – er hatte gemordet, – vielleicht gar nicht aus Gewinnsucht, sondern mehr im Affekt, in jäh auflodernder Wut den – angeblichen? – Engländer getötet …! – –

Sehr lange grübelte ich noch über diese Annonce nach, während ich halb mit Widerwillen die Bissen hinunterwürgte.

Mich störte der Geruch …!! Obwohl ich die Balkontür weit geöffnet hatte, spürte ich ihn doch fortwährend in der Nase. Und ich mußte daher auch immer wieder an Katzensteins seltsame Worte denken … –

‚ …wie Leichengeruch! – Das erinnert mich an die einzige Lahore-Vase …‘ – – So hatte er gesprochen in ganz eigener Art, mit einem geheimnisvollen, fast ängstlichen Ton. –

Unsinn!! – Wie sollte der Geruch mit der Vase zusammenhängen!! Ich hatte heute Vormittag doch dicht neben dem plumpen Ding gestanden und nichts von einem besonderen Geruch wahrgenommen – nur miterlebt, wie jene seltsame Lichterscheinung sich über die Masse der Seelenurne ausbreitete, dann wieder erlosch …

Aber – woher dieser Geruch?! – Wäre Kommissar Ihle wirklich parfümiert gewesen, – das hätte längst verflüchtigt sein müssen, längst …!!

Mit einem Mal legte ich Messer und Gabel hin, stand auf und ging langsam auf den Schrank zu.

Ah – – wirklich! Der Geruch wurde stärker. – Und ganz dicht vor dem Schrank war er so intensiv, daß ein Ekel mich packte und ich schnell wieder zurückwich bis an den Sofatisch, über dem die Lampe brannte und ihr ruhiges Licht über mein Arbeitszimmer hin schickte, – über diesen Raum, der mir so vertraut, so lieb war …

Und heute? – Ja, heute beschlich mich hier ein Gefühl des Unbehagens. Mir war’s, als sei ich nicht allein in diesen vier Wänden, als habe sich noch ein unsichtbarer Gast eingefunden, der stets hinter mir stand … –

Ein jeder kennt ja wohl dieses merkwürdige Empfinden, dieses halb unbewußte Grauen, das uns plötzlich zwingt, uns umzuschauen, um festzustellen, daß wir auch wirklich allein sind in der stillen nächtlichen Stunde oder – seltener – allein sind im schweigenden Walde, auf einsamer Flur.

Jeden, der leicht erregbares Nerven besitzt, packt dieses Gefühl zuweilen, und er beruhigt sich erst, wenn er sich umgeschaut hat und sich sagen darf: ‚Tor, du bist ja allein!‘ –

Mir war heute mein Heim verleidet. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, nach Menschen … – Und kurz entschlossen machte ich mich zum Ausgehen fertig und verließ das Haus.

 

13. Kapitel.

Vor der Haustür fiel mir der Spion ein, der für Tory zum Aufpassen bestimmt war. Ob der Mensch auch jetzt sich hier herumdrückte und vielleicht hoffte, den ihm am Nachmittag auf dem Hauptbahnhof Entwischen wieder zu Gesicht zu bekommen …?

Ich ging sehr langsam den Pfeffergang nach der Breitgasse zu hinunter, hütete mich aber, mich umzusehen. Es war ja auch nicht ausgeschlossen, daß der Spion mir dieselbe Gefolgschaft leistete, etwa in der Meinung, ich würde mich mit Tory irgendwo treffen.

In der Nähe der Marienkirche machte ich dann die Probe aufs Exempel, indem ich mich in eine tiefe Hofeinfahrt stellte. Die Laternenbeleuchtung war hier sehr günstig. Ich konnte in meinem Winkel nicht bemerkt werden, dagegen jeden Vorübergehenden genau ins Auge fassen. –

Tatsächlich, der Mann da war der Spion! – Ich erkannte ihn sehr gut wieder!

Kaum war er vorüber, als ich mein Versteck verließ und denselben Weg zurückging, nachher in eine Querstraße einbog und dann der Langgasse zustrebte.

Jetzt fühlte ich mich ganz frei! Ich mußte den Menschen losgeworden sein! Immerhin – überzeugen wollte ich mich doch, ob der Streich geglückt war.

Ich studierte an einer Anschlagsäule auf dem Langen Markt die Theaterzettel. Dabei achtete ich scharf auf die Leute, die hinter mir den Bürgersteig entlangkamen.

Hm – vielleicht täuschte ich mich … ! – Aber – jener Herr dort trat mir für meinen Geschmack etwas zu unvermittelt an das Schaufenster einer Buchhandlung. Gewiß – ich konnte mich getäuscht haben. Aber …

Ich ging weiter. Ein Bekannter begegnete mir ein paar Minuten später. Ich wußte es so einzurichten, daß ich ganz unauffällig nach jenem Herrn ausspähen konnte.

Da – keine zwanzig Schritt zurück stand er an der Bordschwelle des Bürgersteiges und zündete sich eine Zigarre an.

Der Bekannte und ich wollten gemeinsam ein Kaffee besuchen.

Bald saß vier Tische weiter ‚der Herr‘. – Ich war sehr vorsichtig, beobachtete ihn trotzdem dauernd.

Der Mann war klein, hatte einen blonden Spitzbart, war recht anständig angezogen.

Nach einer halben Stunde erschien plötzlich Kommissar Ihle in dem Kaffee, nachdem der Blonde eine Weile in der Telephonzelle gewesen war, wie ich durch meinen Bekannten feststellen ließ.

Ihle tat, als ob er mich nicht bemerkte. Der Blonde und er tauschten einen Blick aus. Ich hatte sehr gut aufgepaßt.

Ich wurde plötzlich sehr schweigsam. Der Gedanke, daß soeben zwei Leute, der Spion und – fraglos! – ein Kriminalbeamter mir gefolgt waren, brachte mich ganz außer Fassung.

Ich wurde polizeilich überwacht!! – Bedurfte es eines weiteren Beweises hierfür?! – Nein – mir genügte das Beobachtete.

„Doktor – Sie grübeln wohl über ein neues Romankapitel nach!“ scherzte mein Bekannter.

Ich nickte. „Allerdings – ein neues Romankapitel. Einer, der sich für sehr schlau hält, merkt plötzlich, daß ihn ein Kriminalwachtmeister sehr geschickt getäuscht hat, daß dieser ‚Geheime‘ ihn nicht für harmlos hält und ihn beobachten läßt. – Nun muß ich als Schriftsteller diesen ‚Schlauen‘ schlauer als die Polizei sein lassen – und so weiter.“

Mein Bekannter lachte, ahnte nicht, daß ich selbst in diesem Roman mitwirkte. –

Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, ging ich direkt in mein Schlafzimmer.

Ich hatte vor dem Geruch in meinem Arbeitszimmer Angst, – – wirklich – –Angst! – –

Am nächsten Vormittag hätte ich zu gern Katzenstein besucht. Doch ich wagte es nicht. Ich wußte, daß ich – vielleicht einen, vielleicht zwei Spione hinter mir haben würde.

Mein Arbeitszimmer war geruchsfrei. Die Meller hatte gut gelüftet. Aber gemerkt hatte sie auch, daß es dort so ganz merkwürdig duftete.

Ich kam mir vor wie ein Gefangener. Mittags mußte ich dann ja ausgehen – zum Essen, aber gern tat ich’s nicht. Der Gedanke, daß einem jemand auf Schritt und Tritt nachschleicht, ist scheußlich!!

Ich sah mich absichtlich nicht um. In dem Restaurant, wo ich speiste, erschien bald nach mir ein kleiner alter Herr, der wie ein Gelehrter aussah. Natürlich war’s der Blonde vom Abend vorher. Die Gestalt war dieselbe. Und jetzt vermutete ich bereits, daß es vielleicht Wachtmeister Spengler in wechselnder Verkleidung sei.

Als ich um zwei Uhr nachmittags die halbdunklen Treppen nach meiner Mansarde hinaufstieg, kam mir ein Junge von den Roten Radlern mit einem Brief nachgelaufen.

„Herr Dr. Wilde?“ fragte er.

„Ja. – Gib her.“

„Darf ich nicht! ‚persönlich in der Wohnung abgeben‘ steht auf dem Umschlag.“

Ich schloß die Flurtür auf. Da erst war der Bote überzeugt, daß ich der richtige Empfänger sei.

Der Brief war von Katzenstein. Aber ohne Unterschrift.

‚Ich will auch vorsichtig sein. – ‚Er‘ hat telephoniert, kommt abends zurück mit sehr wichtigen Neuigkeiten. Madonnenbild ist gefunden, läßt er sagen. – – Haben Sie die Annonce in der Zeitung über die ‚Vase‘ gelesen?! – Merkwürdig – wir haben gesprochen gestern auch von einer Vase!’ – –

Gott sei Dank! Tory war bald wieder bei mir! Er brachte Neuigkeiten mit!! Na – ich konnte damit auch aufwarten!

Ich legte mich zum gewohnten Verdauungsschlaf auf den Diwan. Der Gedanke, daß Tory käme, verscheuchte alle Gespenster. Ich schlief fest bis ein halb vier, trank auf meinem Balkon Kaffee und setzte mich nachher an die Arbeit.

Kein widerlicher Geruch störte mich. Hinter mir stand heute niemand … Ich brauchte mich nicht umzusehen.

Nachher stellte ich aus einem Dampferfahrplan fest, daß die letzte Fahrt von Heubude herüber neun Uhr abends verließ. Tory konnte also gegen einhalb elf bei mir eintreffen.

Da kamen mir plötzlich allerlei Bedenken.

Sollte ich ihn abholen? Sollte ich ihn hier erwarten? – Er hatte keinen Schlüssel zur Haustür! Eine Klingelleitung bis zu mir herauf gab es nicht. – Würde er erst seine Verkleidung bei Katzenstein ablegen? Würde er wirklich das letzte Schiff benutzen …? – Nein, ihn an der Dampferanlegestelle zu empfangen, war unmöglich! Draußen vor dem Hause lauerten ja die Aufpasser! – Kam Tory nach zehn Uhr, wenn die Haustür bereits geschlossen war, so durfte ich ihm nicht einmal nach unten öffnen gehen oder ihm den Schlüssel aus dem Fenster zuwerfen! Die Spione waren ja da, – die Spione, die, wenn Tory noch verkleidet war, sofort gewußt hätten, wer der bescheiden angezogene Mann war und die dann aus der Verkleidung sofort allerlei Schlüsse hätten ziehen können.

Ich befand mich in einer bösen Klemme. Was sollte ich tun …?!

Das Abendbrot schmeckte mir wieder nicht. Ich war aufgeregt, und diese Unruhe stieg immer mehr. Ich verwünschte jetzt Torys Tatendrang, die Vase und die Polizei!

Richtig – die Vase …!! – Ich sah in der Abendzeitung nach und fand genau dieselbe Annonce. –

Zum Arbeiten fehlte mir die Stimmung. Ich hätte mir gern ein Buch aus dem Schrank genommen, aber – ich wollte ihn nicht öffnen. Vielleicht roch es in dem Schrank noch nach Moschus und Leichen, und ich mochte den Geruch nicht wieder ins Zimmer dringen lassen.

Die Minuten schlichen geradezu. Ich korrigierte den Anfang meiner Arbeit. Ich werde manchen Fehler übersehen haben …!

Tory hat keinen Hausschlüssel!! – Das peinigte mich unausgesetzt.

Es wurde später – immer später, – halb zehn, zehn, halb elf … – – Kein Tory!! Wie gern hätte ich mal zum Schlafstubenfenster hinausgeschaut …!! Aber – heute war’s so sternenhell draußen – – die Spione!!

Trotzdem ging ich in mein Schlafzimmer und spähte hinter den Gardinen hervor auf die Straße hinab, konnte so aber nur einen schmalen Streifen des Bürgersteiges gegenüber erblicken.

Dann schaute ich zwei Stockwerke höher mehr nach links … Da war das Mordzimmer mit den armseligen Kontormöbeln und den zerbrochenen Fensterscheiben.

Ich wußte, daß die Polizei den Toten längst weggeschafft hatte. – Unheimlich dunkel und düster lag das baufällige, leere Haus da vor mir.

Dann – es konnte keine Täuschung sein! – zuckte es wie ein Blitz durch das Mordzimmer drüben, – ein weißer Schein leuchtete auf – für einen Moment nur! – Es konnte nur der Strahlenkegel einer elektrischen Taschenlampe gewesen sein!!

Wer geisterte jetzt zu dieser Stunde noch durch jene Räume …?!

Unwillkürlich schob ich die Gardine zur Seite, kam der Scheibe mit dem Gesicht ganz nahe, strengte meine Augen doppelt an, um drüben etwas zu erkennen.

Da – kein Zweifel! – Da schräg unter mir am Fenster des Mordzimmers stand gleichfalls jemand dicht hinter der Scheibe. – Der Pfeffergang ist nur schmal, und ich habe gute Augen.

Und jetzt – ja, was bedeutete das?! – Die Gestalt drüben winkte mir zu – – winkte mit der Hand – und verschwand … –

Tory etwa …? – Unmöglich! Das wäre ja ein unglaublicher Leichtsinn gewesen. Aber – zuzutrauen war’s ihm schon! –

Ich wollte ins Arbeitszimmer zurück. Die Tür von Torys Dachkammersalon war halb offen …

Jetzt erst – wie hatte ich nur nicht früher daran denken können!! – fiel mir der geheime Weg nach dem Keller des Nebenhauses ein …! Wenn Tory den benutzte, wenn er sich von dem Schließer des Nachbargebäudes öffnen ließ – dann – dann!!

Oh – dieser Schacht konnte uns in unserer Lage wirklich noch viel nützen! Er bot uns die Möglichkeit, meine Wohnung unbemerkt zu verlassen, selbst wenn die Spione da waren, – nur verkleideten mußte man sich ein wenig …!!

Dieser Gedanke belebte mich in ganz wunderbarer Weise! – Ich zog die Vorhänge zu, zündete ein Licht an und öffnete die verborgene Balkentür. Dunkel gähnte vor mir der Schacht. Ja – wenn ich nur gewußt hätte, mich irgendwie unkenntlich zu machen, ich wäre keck hinabgestiegen in die Tiefe, hätte die von Tory gefertigten Dietriche mitgenommen und wäre … – Nein, das war ja alles höchst unsinnig! Ich mußte daheim bleiben. Konnte Tory sich durch den Schließer nicht auch vielleicht meine Haustür aufsperren lassen …?! – Er ahnte ja nicht, daß jetzt draußen in dem Pfeffergang zwei Aufpasser wachten …!! Er wußte nur von einem, den er für ungefährlich hielt! Nicht, daß die Polizei uns belauerte …!!

Angst kroch mir abermals zum Herzen. Wenn Tory nur keine Dummheit machte …!! – Diese Ungewißheit war schrecklich!!

 

14. Kapitel.

Ich wollte dann gerade die Balkontür wieder zudrücken, als aus dem Schacht ein leises Geräusch zu mir drang …

Wirklich – es kam jemand die Treppe empor! Und – das konnte ja nur Tory sein!

Jetzt bemerkte ich auch einen hellen Schein, – weißes Licht einer elektrischen Taschenlaterne …

Ein Hut tauchte auf, ein bärtiges Gesicht, eine große Brille … – und über meine Lippen kam ein frohes: „Gott sei Dank, daß du da bist!“

Er erschrak nicht, reichte mir die Hand …

„Also hast um mich drüben am Fenster bemerkt, Karl, und mich dann hier erwartet!“ meinte er gelassen. „Wie gefalle ich dir als Bureauvorsteher Gottlieb Schmidt? Feine Maske, wie? Freund Haßfeld kann auf seinen Schüler stolz sein!“

„Du warst also wirklich im leeren Hause?“ fragte ich kopfschüttelnd. „Welch ein Leichtsinn, Tory! Wenn man dich dort erwischt hätte! Die Polizei ist ohnedies schon hinter uns her.“

Er schlug mich derb auf die Schulter, lachte …

„Weiß ich alles schon, Trommler. Nun steck’ aber mal bitte zur Begrüßung eine andere Miene auf. Im übrigen hab’ ich Hunger für fünf!! Also los – baue mir deine Vorräte auf.“ –

Wir saßen am Sofatisch und er speiste mit Behagen. – Ich sage: speiste, – denn ich hatte ihm meine erlesensten Delikatessen aufgefahren; eine Büchse Hummer, eine zweite mit Lachs in Gelee, Pumpernickel, reifen Harzer, und so weiter.

Ich erstattete über alles Bericht, während er mit Genießermiene den guten Dingen zu Leibe ging.

Als ich den Besuch Katzensteins erwähnte, sagte Tory:

„Ja, es war Pech, daß der brave Alte dem Spengler vor dem Hause begegnete. Natürlich ist der Wachtmeister unserem Isidor nachgeschlichen, um zu sehen, wo der ihm von Ansehen bekannte Pfandleiher blieb. Und nun steht auch Katzenstein unter der liebevollen Fürsorge der Polizei, das heißt, – sein Haus wird genau so überwacht wie das unsre hier. Leute, die dich, Trommler, besuchen, sind jetzt sämtlich verdächtige Kreaturen, besonders noch ein Pfandleiher, bei dem die Herren Mörder ihrer Beute losschlagen könnten …!!“

„Du meinst also, daß …“

„Welche Frage!“ unterbrach er mich. „Ohne Zweifel dürfen wir uns rühmen, für die Mörder Tompsons gehalten zu werden! Spengler hat dich fein eingewickelt. Du glaubtest, du hättest seinen Argwohn zerstreut! Keine Rede davon! Dein Hauswirt hat uns fraglos nicht nur mit unserer Beute über die Straße schlüpfen sehen, sondern uns auch auf der Treppe gehört, und dies Spengler alles erzählt. Und zwar dürfte die Sache so liegen, daß, als Ihle und Spengler zusammen hier waren, gegen uns noch keinen Verdacht vorlag. Dann hast du den geriebenen Wachtmeister aber durch dein Benehmen und durch den Federhalter mit der Rundschriftfeder mißtrauisch gemacht. Von hier ging er zum Hönig, erfuhr da das, was ich eben erwähnte, und suchte dich nun allein wieder auf. –

So muß es sein! Und so mag es sein, – ich meine, es ist sehr gleichgültig, ob wir für die Polizei die Mörder sind! Den wahren Täter werden wir bald haben – mit Hilfe der Annonce, auf die mich Katzenstein aufmerksam machte.“

„Aber – wenn man uns verhaftet? Was dann?! Dann haben wir keine Möglichkeit, dem Mörder weiter nachzuspüren, dann …“

„Uns?!“ fiel Tory mir ins Wort. „Gestatte, bei einer Verhaftung kann es sich nur um dich handeln, nur um dich! Viktor Ruhnau ist ausgekniffen und wird auch vorläufig nicht wieder erscheinen. Der Schacht ist ein großartiges Versteck für mich. Du aber wirst nicht allzu lange Gefangener sein, wenn es zum Schlimmsten kommen sollte.“

Ich muß wohl ein sehr entsetztes Gesicht gemacht haben, denn er lachte jetzt plötzlich hell auf und fügte schnell hinzu:

„Dieses Schlimmste wird nicht eintreten, lieber Karl, dafür habe ich schon gesorgt.“

Er holte aus seinen Taschen mehrere Päckchen hervor, legte sie auf den Tisch und erklärte:

„Hier ist alles Nötige, um dich in einen würdigen älteren Herrn zu verwandeln, der morgen früh diese Wohnung und dieses Haus verlassen und nach Heubude übersiedeln wird, bis er eben wieder ohne Gefahr hier seinen Einzug halten kann.“

Kein Wundert, daß ich eine Weile vor Staunen stumm blieb. Dann fragte ich unsicher:

„Mithin hältst du meine Sicherheit doch für gefährdet?“

„Vorläufig insofern nicht, als die Polizei dich noch lediglich zu dem Zweck auf freiem Fuß belassen dürfte, um durch dich mir auf die Spur zu kommen. Ich bin ‚verreist‘, und was das bedeutet, wissen Ihle und Spengler sehr wohl. Sie könnten sich ja nun an dich halten, dich festnehmen, fürchten aber, daß ich Ihnen dann durch die Lappen gehe. Du bleibst also sozusagen als Lockvogel frei – vorläufig! Da es der Polizei nun aber doch eines Tages einfallen könnte, sich deiner Personen lieber zu versichern – du kennst die Geschichte von dem Sperling und von den Tauben auf dem Dache! – so baut der weise Mann vor und schickte dich nach Heubude zu Erholung.“

Mir schwirrte der Kopf von alledem.

„Und du selbst, Tory?“ fragte ich.

„Ich werde inzwischen hier Dr. Karl Wilde spielen, werde … – Doch das müssen alles die Umstände ergeben.“

„Hätten wir nur nie die Lahore-Vase gestohlen!“ seufzte ich halb verzweifelt. „Für mich sind solche Aufregungen nichts! Ich bin bereits halb krank und …“

„ …beweise dadurch, daß Kriminalromane schreiben und wirklich miterleben doch ein himmelweiter Unterschied ist!“ führte Tory den von mir begonnenen Satz zu Ende, wobei er ganz ernst blieb.

Dann stand er auf und drehte schnell das Licht aus.

„Was soll das?“ fragte ich ängstlich. –

Er antwortete nicht, sondern schlich nach der Balkontür, die nur angelehnt war, bückte sich und kroch auf allen Vieren hinaus.

Ich ahnte, daß etwas passiert sein müsse. Jetzt merkte ich wieder, wie sehr meine Nerven schon gelitten hatten. Ein Zittern ging mir durch den Körper. Ich fürchtete, wir könnten belauscht worden sein, irgend jemand könnte meinen Balkon von den Nachbardächern aus erreicht haben.

Draußen stand die volle Mondscheibe am Himmel. Nur leichtes Gewölk zog von Zeit zu Zeit darüber hin wie feine Schleier. Als Tory hinausgeschlüpft war, hatte das Nachtgestirn sich gerade für Sekunden hinter einen hellen Vorhang zurückgezogen.

Tory tauchte nach Minuten – für mich wie Ewigkeiten! – wieder auf.

„Es war nur ein plötzlicher Argwohn meinerseits,“ sagte er. „Zum Glück ist niemand auf den Gedanken gekommen. Dann wären wir in einer bösen Klemme gewesen.“

Wir hatten dasselbe gefürchtet.

„Die Vase muß verschwinden!“ fuhr er fort. „Du hast da auf dem Balkon in einem großen Holzkübel einen halb abgestorbenen Oleander–baum. Ein brauchbares Versteck, wenn die Erde entfernt wird und man nachher nur ein wenig Erde wieder über die Vase deckt und den Baum mit Bindfaden stehend erhält.“

Diese Arbeit erledigten ihr beim Mondschein in meinem Zimmer vor der Balkontür.

Jetzt ging Tory die Vase holen. Ich folgte ihm nach dem Bücherschrank hin.

Er entfernte das Tuch. Ich spürte wieder den seltsamen Geruch.

„Katzenstein hätte hier ein Wiedersehen mit der Lahore-Vase feiern können, die er einmal in Berlin in seinem Panzerschrank kurze Zeit untergebracht hatte. Der Geruch störte ihn zu sehr …!!“

Tory lachte leise auf.

„Ja ja – es ist ein merkwürdiges Ding, unsere Vase!“

Er hatte recht, mehr wie merkwürdig, – denn auch jetzt schien es, als gehe von der Seelenurne ein mattes Leuchten aus, ein ganz eigenartiges Licht, als ob in dem leeren Inneren ein Feuer glühe.

Tory schleppte sie nach dem Kübel, stellte sie hinein, schüttete Erde darauf und drückte den Wurzelstock des Oleanderbaumes hinein.

Das Werk gelang recht gut. Nun wurde der Kübel wieder auf seinen alten Platz auf den Balkon geschafft.

In meinem Schlafzimmer spielte Tory dann bei dicht geschlossenen Vorhängen Theaterfriseur – an mir! Er hütete sich, daß sein Schatten je auf die Vorhänge fiel.

Während er mich in einen alten, würdigen Herrn verwandelte, erstattete er weiter Bericht über seine Erlebnisse.

Was er in Heubude ausgekundschaftet hatte, darüber glitt er schnell hinweg. Auffallend schnell sogar. Ich hatte das Gefühl, daß er mit etwas zurückhielt. Ich erfuhr nur, daß die blonde Madonna Hildegard Schollert hieß, daß sie mit ihrer Mutter, einer noch sehr stattlichen Dame, in dem einsamen Hause wohne und daß der Konsul dort recht häufig aus und eingehe, stets aber abends käme und in Heubude allgemein als Bruder der Frau Schollert bei den nächsten Nachbarn gelte.

Dann erzählte Tory, wie er heute abend gleich nach seiner Ankunft sich zu Katzenstein begeben habe, unbekümmert um den Kriminalbeamten, der Isidors Haus beobachtete. –

„Wie sollte der Mann ahnen, daß ich der vielgesuchte Viktor Ruhnau bin!“ meinte er mit einem gewissen Stolz. „Meine Verkleidung hat sich tadellos bewährt. –

Bei Katzenstein hörte ich, was du mit ihm verhandelt hattest. Ich ließ ihn bei dem Glauben, daß du indische Altertümer in einem Roman mitverwerten wolltest und daß nur deshalb die Rede auf die Lahore-Vase gekommen sei. Er teilte mir nach einigem Zureden dann folgendes über ‚seine‘ Lahore-Vase mit:

Diese hatte ihm ein Herr gebracht, der ein Zeugnis des Direktors der Königlichen Museen vorwies, daß die plumpe Urne einen Wert von mindestens fünfzigtausend Mark als eine der seltsamsten Raritäten indischen Kunstgewerbes habe. Natürlich dachte Katzenstein nicht im entferntesten daran, diesen Wert einer Beleihung zugrunde zu legen. Er gab dem Herrn nur dreihundert Mark, und der Mann war – recht merkwürdig!! – auch zufrieden. Auf Namen und Aussehen des Vasenbesitzers besinnt er sich nicht mehr, meint aber, der Herr hätte einen recht vornehmen Eindruck gemacht und sich wohl als Forschungsreisender ausgegeben. –

Der brave Isidor erlebte an der Seelenurne jedoch wenig Freude. Sie roch seiner Geruchsempfindung nach nach Leichen, und er war froh, als er dem ‚Forschungsreisenden‘ dann bereits nach zwei Tagen die Vase wiedergeben konnte. Er nennt sie nur ein ‚unheimliches Ding‘. Na – so ganz unrecht hat er damit ja nicht! – –

Von Katzenstein lenkte ich meine Schritte nach der Parallelstraße des Pfefferganges, der Lavendelgasse. Eine ganz bestimmte Absicht hatte ich dabei. Ich wollte feststellen, ob man nicht von der Lavendelgasse aus in das leere Haus gelangen könne. –

Ja, man kann’s sogar sehr bequem und unbemerkt. An die Rückseite des leeren Hauses schließt sich ein Lagerplatz mit langen Schuppen an, dessen Torweg in die Lavendelgasse führt. Der Holzzaun dort ist leicht zu übersteigen. Ich probierte es, schlich über den Lagerplatz, erkletterte einen zweiten Zaun und stand im kleinen Hofraum des leeren Hauses. Ich hatte mich mit Dietrichen schon bei Katzenstein versehen, so daß es mir keine großen Schwierigkeiten machte, in das Innere des alten baufälligen Kastens zu gelangen. Ich habe dort jedoch nichts von Wichtigkeit entdeckt – nichts! Aber – und das ist wertvoll! – ich weiß jetzt, wohin der Mörder damals seinen Rückweg genommen hat, – über die beiden Zäune.“

Schließlich berichtete er nun auch, daß Katzenstein ihm die Annonce ‚Vase!‘ gezeigt hätte. –

„Ich hoffe“, sagte er, „diese Annonce wird dem Mörder verhängnisvoll werden. Der Mann glaubt die Diebe der Vase leicht ‚einwickeln‘ zu können, fühlt sich ihnen geistig so überlegen, daß er dieses gefährliche Spiel mit der Anzeige ruhig wagt. Daran siehst du schon, ein wie ernsthafter, starker Gegner dieser Mann ist. Nun – wir werden eben noch schlauer sein!!“

Er preßte jetzt die Lippen so fest aufeinander, daß sein Mund nur noch ein schmaler Strich war. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der mich fast erschreckte.

„Tory, du siehst aus, wie Satanas, der nach einer armen Seele greift,“ meinte ich beklommen.

„Nein – wie die Vergeltung!!“ sagte er hart und schneidend. Und fügte hinzu – in ganz anderem Ton, so leichthin: „Du wirst morgen in der Zeitung eine Antwort auf die Vasen-Annonce finden, Karl. Gib Acht darauf.“

Dann hielt er mir einen Handspiegel vor das Gesicht.

„Bist du zufrieden?“

Ich mußte es sein! Er hatte seine Sache vorzüglich gemacht.

Er gab mir noch für Heubude ganz genaue Verhaltungsmaßregeln. Ich wieder hatte noch allerlei Fragen. Ich fürchtete für seine Sicherheit. Wie leicht konnte er der Polizei in die Hände geraten bei diesem gefährlichen Unterfangen, mich hier in seiner Wohnung zu vertreten. Ich hielt es geradezu für ausgeschlossen, daß ihm nichts zustieß. –

Ich war ehrlich und brachte alle meine Bedenken vor.

„Mein Plan ist so einfach,“ meinte er lachend. Er war jetzt beständig so übermütig, so lebhaft. Wo war nur der blasierte Viktor geblieben …?!

„Ja, sehr einfach, lieber Trommler! Deine Aufwärterin geht für mich durchs Feuer. Sie wird meine Verbündete werden.“ –

Einzelheiten erfuhr ich von ihm erst später. Wenn er nicht reden wollte, hätte man ihn foltern können und doch kein Wort herausgepreßt.

Wie falsch beurteilten doch die allermeisten Menschen meinen Freund!! – Das sah ich jetzt erst so recht ein. Und wie oft mag er spöttisch die Lippen verzogen haben, wenn er hörte, daß man ihn das ‚Danziger Gigerl!‘ nannte …!

Ich kam nachher auch noch auf das unheimliche, leuchtende Bild des schwebenden Frauenkopfes zu sprechen.

„Du wirst es noch einmal sehen!!“ sagte er bedeutungsvoll. „Jetzt verkneife dir alle weiteren Fragen danach und denke daran, daß du so schnell mit der Laterna Magika bei der Hand warst.“

Dann wagte ich einen ganz kräftigen Vorstoß.

„Ich weiß nicht, Tory, ich habe das unklare Empfinden, als ob du bereits den Mörder kennst. Weshalb schenkst du mir eigentlich nicht reinen Wein ein?! – Es ist doch sicher, daß die Erscheinung des Weiberhauptes, die Vase, der versetzte Schmuck und das einsame Haus in Heubude gleichsam Seitenpfade sind, die nach einem Ziel hinlaufen, nach dem Mörder, – das heißt, daß das alles zusammen gehört.“

„Großartig – großartig, liebes Karlchen!!“ Er triefte förmlich vor Hohn. „Wenn das alles zusammengehört, so muß es auch verbindende Nebenpfade in diesem Strahlenkranz von Wegen geben! Bitte – schildere mir diese Nebenpfade! Vorwärts! Du bist ja mit Behauptungen so fix bei der Hand!!“

Da gab ich alles Forschen und Bohren auf.

Ich mußte abwarten. – Später, als der Schuldige längst entdeckt war, sah ich erst, wie leicht ein scharfsinniger Kopf diese Nebenpfade des Strahlenkranzes hätte finden können, – wenn auch nicht alle! – –

Vielleicht ist dies auch bereits diesem oder jenem der Leser gelungen. Das sollte mich freuen, und ich mache dem Betreffenden mein Kompliment!

 

15. Kapitel.

Kommissar Ihle und Wachtmeister Spengler hatten soeben in Ihles Dienstzimmer auf dem Polizeipräsidium eine lange Unterredung über den Tompson-Mord gehabt.

„Wir können zufrieden sein mit dem bisher Erreichten,“ sagte der Kommissar zum Schluß. „Wir wissen, wer die Täter sind. Hönigs Zeugnis ist das wertvollste. Er hat die beiden nicht nur gesehen, sondern auch gehört, wie sie nach Verübung des Verbrechens in Wildes Wohnung zurückkehrten. Wenn auch des Schriftstellers Charakter durchaus nicht für seine Teilnahme an einem so schweren Delikt spricht, so ist dies bei Viktor Ruhnau umso mehr der Fall, wie wir durch vorsichtige Nachfrage über dessen ganze Lebensauffassung und Führung festgestellt haben; er ist leichtsinnig, eitel, oberflächlich und mit seiner hochangesehenen Familie zerfallenden, die jetzt sogar vor dem traurigen Entschluß steht, ihn entmündigen lassen zu wollen, um seiner Verschwendungssucht vorzubeugen. Der Konsul hat ihn zu diesem Zweck heimlich durch einen Privatdetektiv, durch den Zarnke, beobachten lassen. Und aus Zarnkes eigenem Munde haben wir ja erfahren, in wie raffinierter Weise sich Viktor Ruhnau ihm auf dem Hauptbahnhof entzogen hat und dann entflohen ist. Ruhnau erscheint somit auch als der eigentliche Täter, während Dr. Wilde wohl mehr der Verführte ist. –

Um auch nochmals das Motiv des Verbrechens zu nennen: Habgier, Eigennutz, – denn Tompson ist ja fraglos Juwelenhändler oder dergleichen gewesen, und die beiden haben ihn gründlich ausgeplündert, nachdem sie ihn in das leere Haus gelockt hatten. Der Brief in Rundschrift wurde dann nur geschrieben, um den Tatbestand noch mehr zu verwirren. –

Das ist ein kurzer Überblick über das bisher Erreichte, und alle Einzelheiten passen da so gut zueinander und fügen sich so zwanglos in- und aneinander, daß diese Fährte die richtige sein muß, – – trotz ihres noch immer zweifelnden Gesichtsausdrucks, mein lieber Spengler …! In diesem Falle sind Sie wirklich zu gewissenhaft …!!“

Spengler schüttelte ernst den Kopf.

„Sie können nicht leugnen, Herr Kommissar,“ meinte er, „daß verschiedene Punkte noch sehr der Aufklärung bedürfen und uns stutzig machen müssen. – Wir wissen über Tompson noch nichts Bestimmtes trotz aller telegrafischen Nachfragen. Niemand kennt ihn. Hier in Danzig hat er ganz für sich gelebt. Von irgendwelchen Geschäften als Juwelenhändler haben wir nichts erfahren. Wir halten ihn dafür, weil wir in seinem Koffer die Zeichnungen gefunden haben, – ein sehr, sehr schwacher Beweis!! Heißt der Mann überhaupt Tompson? Ist er wirklich Engländer und in London zu Hause? – Unser Polizeiarzt bleibt dabei, Tompson seit ein sehr hellhäutiger Asiate, vielleicht ein Hindu aus Indien. – –

Dies ist der eine dunkle Punkt. Der zweite, was schleppten die beiden Freunde damals nach dem Morde in des Doktors Wohnung? Hönig behauptet, es sei ein großer, runder Gegenstand gewesen. Spricht dies für Diamantenraub? – Nein! Niemals! Diamanten sind Objekte von so geringer Größe, daß sich schon Millionen Werte davon in einem Beutel unterbringen lassen. – Um was für einen Gegenstand also handelte es sich? – Wir wissen noch gar nichts Näheres darüber, können nicht einmal eine leidlich begründete Vermutung in dieser Beziehung aufstellen.

Ich kann mir nicht helfen, Herr Kommissar, aber ich fürchte, wir befinden uns mit unserer Theorie recht sehr auf dem Holzwege.“

In demselben Augenblick betrat ein Schutzmann das Zimmer und überreichte Ihle einen Brief, indem er erklärte:

„Ich habe den Brief soeben aus dem Kasten in der Vorhalle genommen. Er muß vor kurzem hinein geworfen worden sein.“ Dann verschwand er wieder.

Der Umschlag hatte die Adresse des Kommissars. Die Schrift war groß und steil, energisch und eigenartig.

Ihle riß den Umschlag auf.

Während er den Inhalt des Briefes überflog, verstärkte sich in seinem Gesicht der Ausdruck ungläubigen Staunens. Dann reichte er den Bogen seinem Untergebenen hin.

Spengler griff hastig danach. Er ahnte Überraschungen besonderer Art.

Ohne Anrede stand da:

‚Ich habe mein Versprechen gehalten und der Polizei geholfen, den Mörder Tompsons zu ermitteln. Ich kenne ihn, kenne auch die Beweggründe der Tat. Wenn Sie mich weiter unbelästigt noch ein paar Tage handeln lassen und wenn Sie, was die Hauptsache ist, niemanden, der nicht zu Ihren nächsten Mitarbeitern gehört, von dem Inhalt dieses Briefes Mitteilung machen, so werde ich in der Lage sein, Ihnen sehr bald diesen Mörder in die Hände zu spielen. Die geringste Unvorsichtigkeit Ihrerseits, besonders meine Verhaftung, würde den Erfolg meiner Arbeit sehr infrage stellen. Es ist auch nötig, daß Sie weiter so tun, als ob Sie meinen Freund Dr. Wilde und mich selbst für die Täter halten und diese Spur weiterverfolgen. Kurz: Sie sollen ihre Ermittlungen nach der bisherigen Richtung hin fortsetzen. –

Um ihnen den Beweis zu liefern, daß ich Sie nicht mit diesen Angaben nasführen will, folgende Andeutungen: Tompson ist Inder. Das Verbrechen ist kein Raub-, sondern ein Meuchelmord. Der Mörder schaffte sich einen unerbittlichen Feinde auf sehr raffinierte Art vom Halse. –

Wir, mein Freund und ich, hatten die Todesschreie des Opfers gehört; wir sind dann in das leere Haus eingedrungen und haben von dort einen Gegenstand mitgenommen, der zu dem Morde in aller engster Beziehung steht. – –

Dies mag vorläufig genügen. Suchen Sie nicht nach jenem Gegenstand! Sie würden ihnen doch nicht finden und den Erfolg nur gefährden! Das, was wir sozusagen nur mit Beschlag belegten, wird zur rechten Zeit wieder auftauchen. –

Viktor Ruhnau.‘

„Na, was sagen Sie nun?!“ fragte Ihle, als Spengler die Hand mit dem Briefe sinken ließ.

„Ich glaube, der Brief wird wohl die Wahrheit enthalten,“ erwiderte der Wachtmeister ebenso feierlich würdig, wie dies stets sein Gesichtsausdruck war.

Der Kommissar zog zweifelnd die Augenlider hoch.

„Die Wahrheit?! Hm, das wäre wirklich höchst eigenartig, – der Mörder auf der Jagd nach dem Mörder …!! Für meinen Geschmack zu romantisch …!“

„Ich werde mal zu den Eltern des Ruhnau gehen und feststellen, ob es seine Handschrift ist. Wenn ja, dann ist der Brief von großer Bedeutung. Und ich bin auch eigentlich schon jetzt davon überzeugt, daß Ruhnau ihm geschrieben hat. Außer uns und Hönig, Herr Kommissar, weiß bis jetzt niemand etwas von dem großen, runden Gegenstand, den die beiden nächtlichen Besucher des leeren Hauses mitgenommen haben. Das dürfen wir nicht vergessen!!“

„Allerdings. – Hm – ich werde mit zu Konsul Schimpel kommen, und wir werden nichts tun, was gegen die Anordnung des Briefes verstößt. Vielleicht – na, das wird sich ja aufklären!“

*

Ich muß hier einschalten, das Tory diese Schreiben am Mittag des Tages in den Briefkasten des Polizeipräsidiums geworfen hatte, an dem ich in meiner vorzüglichen Verkleidung morgens mit dem ersten Dampfer verabredungsgemäß nach Heubude gefahren war.

Tory hatte mir nichts von diesem Brief gesagt, ebenso wie er auch hinsichtlich der weiteren Einzelheiten seines Planes, den Täter zu überführen, sehr verschwiegen gewesen war, was mich etwas gekränkt hatte. Später war ich ihm ganz dankbar für die vorsichtige Zurückhaltung. Wer weiß, ob nicht vieles anders gekommen wäre, wenn er mich völlig eingeweiht hätte. Vielleicht wäre ich dann noch heute Junggeselle und nicht Ehegatte eines reizenden, lieben Geschöpfchens, das im Grunde genommen auch nur durch die Lahore-Vase mein wurde. –

*

Ihle hatte vorher bei der Firma Ruhnau telephonisch angefragt, wann und wo der Herr Konsul zu sprechen sei.

Das Telephonfräulein der Firma hatte ihn sofort mit dem Privatkontor des Chefs verbunden, und Schimpel hatte geantwortet, er erwarte Ihle sofort. –

„Ist es etwas Unangenehmes?“ hatte er noch gefragt. –

„Ja, es geht Ihren Schwiegersohn an!“ lautete die Entgegnung, und der Kommissar hatte dann einen tiefen Seufzer drüben am anderen Ende des Drahtes gehört. – – –

Professor Pinkemüller, der gerade seinen Schwager besucht hatte, um mit ihm weitere Schritte zur schleunigsten Entmündigung des ‚Verkommenen‘ zu beraten, sagte mit gen Himmel gerichtetem Blick: „Was werden wir wieder hören, Schwager …!! Welch’ ein Elend mit diesem jungen Menschen …! Sogar die Polizei beschäftigt sich schon mit ihm!“

Der Konsul erwiderte nichts. Ihm ging es in den letzten Tagen gesundheitlich recht schlecht. Er litt an allerlei nervösen Erscheinungen, war sehr zerstreut, hatte eine graue Gesichtsfarbe und stets dunkle Ringe unter den matten Augen.

Er schaute vor sich hin mit einem geistesabwesenden Ausdruck in dem sonst so energischen und lebhaften Antlitz.

Pinkemüller trank schnell sein Glas Madeira aus und füllte es wieder.

Dann meinte er zögernd: „Hm – was ich noch sagen wollte, Schwager … Könntest du mir bis zum Ersten vielleicht hundert Mark leihen? Ich bin durch …“

„Laß nur, – schon gut – – bitte! Und wegen der Rückgabe eilt es ja nicht. Schreib’s zu dem übrigen.“

Pinkemüller goß den schweren Wein abermals in einem Zuge hinunter.

„Wenn wir nur erst wüßten, wo Viktor steckt,“ begann er nachdenklich. „Dieser Privatdetektiv ist ein Esel! Ihn so entwischen zu lassen. – Ob das Material, das wir zusammen haben, wohl zu einer Entmündigung genügen wird?“

„Nein!“ entgegnete der Konsul lebhaft und schlug mit der Faust auf die Schreibtischplatte. „Leider nein! Wenn wir ihm nicht noch ganz dumme Streiche nachweisen, wird unser Antrag glatt abgelehnt. So können wir zum Beispiel den letzten Trunkenheitsexzeß gar nicht mit anführen, ich meine, als Viktor damals frühmorgens mit nassen und schlammbedeckten Kleidern heimkehrte. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß er an jenem Morgen einen Hafenarbeiter mit höchster eigener Lebensgefahr durch tauchen aus dem Wasser geholt hat. Man wird für ihn die Rettungsmedaille beantragen.“

„Nein – so etwas! Das heißt Pech haben!“ polterte Pinkemüller.

Der Konsul lächelte gequält. „Der Gerettete wird anders sprechen, und die Welt und die Richter auch,“ sagte er heiser auflachend. „Auch das Versetzen der Uhr und der Ringe darf in unserem Entmündigungsantrag nicht erwähnt werden. Für Viktor ist nachträglich noch bei uns ein Brief von einem Feldwebel Kuhnke aus Neufahrwasser eingegangen. Ich habe diesen Brief – natürlich nur aus Versehen! – geöffnet. Kuhnke ist der frühere Feldwebel der Kompagnie, bei der Viktor als Einjähriger gestanden hat. Es muß dem Mann sehr schlecht gehen, denn er bedankt sich für die Geldzuwendungen, die Viktor ihm in so feinfühliger Weise zugestellt hat, besonders für die letzten hundert Mark. –

Und diese hundert Mark, Schwager, hat Kuhnke erhalten, nachdem dieser, mein … hochherziger Herr Schwiegersohn, die Uhr bei Katzenstein untergebracht hatte …!! Mithin dürfte es besser für unsere Zwecke sein, dies ganz aus dem Spiel zu lassen.“

„Ja – aber was bleibt denn dann noch von dem Belastungsmaterial übrig, wenn …“ – Pinkemüller war ganz entsetzt, konnte den Satz nicht einmal beenden, trank dafür aber das dritte Glas Madeira.

Gleich darauf erschienen Ihle und Spengler und wurden sehr höflich zum Platz nehmen aufgefordert. Der Kommissar war es dann, der die beiden Herren vorsichtig darüber aufklärte, daß leider, leider sehr schwer wiegende Verdachtsgründe gegen Viktor Ruhnau und seinen Freund vorlägen, aus dem leeren Hause einen ihnen nicht gehörigen Gegenstand in der Mordnacht mitgenommen zu haben.

Der Konsul war hellhörig genug, um aus den Andeutungen Ihles dessen wahre Ansicht über diesen Besuch der beiden in dem alten Gebäude herauszuhören.

„Sie brauchen mich nicht zu schonen, – halten Sie mit nichts zurück, Herr Kommissar,“ sagte er plötzlich mit stark gerötetem Gesicht und vor Aufregung unruhig hin und her tastenden Händen.

Ihle holte jetzt den Brief hervor, breitete ihn so, daß nur die Unterschrift zu sehen war und hielt ihn dem Konsul hin.

„Ist dies ihres Schwiegersohnes Namenszug?“ fragte er ernst.

Schimpel wollte nach dem Brief greifen. Aber Ihle wehrte ab. – „Bedaure, – ich kann ihn nicht aus der Hand geben!“ meinte er.

„Es ist Viktors Unterschrift!“ erklärte der Konsul darauf. „Mein Schwager wird dies ebenfalls bestätigen. – Was hat es mit den Brief auf sich?“

„Dienstgeheimnis, Herr Konsul,“ meinte Ihle mit höflicher Verbeugung.

„Aber ich darf doch wohl erfahren, ob Viktor etwa im Verdacht steht, jenen Tompson – hm, ja –, – ach, ich bringe es gar nicht über die Zunge!!“ –

Schimpel betupfte sich die schweißfeuchte Stirn.

„Ich darf nichts sagen,“ erwiderte Ihle ausweichend.

„Das genügt!“ rief der Konsul und tauschte mit Pinkemüller einen Blick aus. „Mein Gott, dieser Mensch ist eine Schande für die Familie …!!“

„Ja, Sie haben ihn ja wohl auch durch einen Detektiv beobachten lassen, Herr Konsul. Uns konnte das kaum entgehen, da wir jetzt viel im Pfeffergang zu tun haben.“

Dann erhob er sich, dankte für die Auskunft und verließ mit Spengler das Privatkontor.

Draußen auf der Straße sagte der frühere Dorfschullehrer kopfschüttelnd:

„Herr Kommissar, – das Entsetzen Schimpels über den schlimmen, auf seinem Stiefsohn ruhenden Verdacht war für meinen Geschmack etwas stark theatralisch. Und der andere, der Professor, machte sogar Augen, als freue er sich über diesen Verdacht! Merkwürdig! – Die Herren sind ja, wie mir der Zarnke, der Privatdetektiv, nebenbei ein Alkoholiker aus heiliger Überzeugung, anvertraut hat, eifrig dabei, den Ruhnau entmündigen zu lassen. Ich habe so meine besonderen Gedanken darüber. Viktor Ruhnau besitzt gegen vierhunderttausend Mark eigenes Vermögen, jedoch nicht zur freien Verfügung. Da muß so ein Testament des alten Herrn Ruhnau vorhanden sein, besser ein Nachtrag; an dem scheint der Konsul nicht so ganz unschuldig zu sein. Er soll es verstanden haben – als damaliger Prokurist der Firma –, den Vater gegen den Sohn … aufzusetzen, – hm ja.“

„Woher wissen Sie denn das alles, Spengler?“ fragte Ihle erstaunt.

„Na – man horcht doch so überall herum! Als ich den jungen Menschen erst beargwöhnte – im Falle Tompson, da wollte ich mir doch ein Bild von seinem Charakter machen und da habe ich viel Gutes über ihn gehört, so zum Beispiel von dem alten Justizrat Sperling, der jenes Testament aufgesetzt hat – mit Ausnahme des Nachtrags. Dazu gab er sich nicht her. – Na – der Konsul steht jedenfalls bei dem Justizrat nicht sehr hoch im Wert. – Das ist ja aber alles nebensächlich! Wir werden nun wohl das tun, was Viktor Ruhnau vorschlägt, nicht wahr?“

„Vielleicht,“ meinte Ihle nachdenklich.

 

16. Kapitel.

Die Fischerwitwe Ernestine Klaus empfing mich als den Intimus des Bürovorstehers Gottlieb Schmidt – Tory hatte mir einen Brief für sie mitgegeben – überaus freundlich. Ich bezog dasselbe kleine Hinterzimmer und gab mich auch bei der Klaus ganz in Pension.

Mir erging es an diesem ersten Tage genau so wie Tory während der ersten Stunden nach seiner Verwandlung in den bescheiden gekleideten Herrn Schmidt; ich fühlte mich unsicher, wurde bei jedem Blick eines Fremden, der mehr galt, verlegen und achtete nun beständig darauf, ja nicht aus der Rolle fallen.

Diese Ängstlichkeit verlor sich bald. Bereits am Nachmittag wagte sich der Kanzleisekretär unter Menschen, wenn auch noch mit dem steten Empfinden, von Gefahren umlauern zu sein.

Nachdem ich einen Spaziergang nach der Meeresküste unternommen hatte, wollte ich versuchen, auch mal etwas von der blonden Madonna Torys zu sehen zu bekommen. Tory hatte mich durch die ihm sonst fremde Überschwänglichkeit bei der Schilderung ihrer körperlichen Vorzüge neugierig gemacht.

Im weiten Bogen plante ich mich durch die Felder an das einsame Haus anzupirschen. Ich ging zwischen zwei Roggenäckern auf einem grünen Rain entlang, der hier und da mit Obstbäumen bepflanzte war. Zahllose Butterblumen wucherten hier. Es gab ganze Strecken, die goldgelb schimmerten von all den Blüten. Vom Waldrande her kam mit dem sanften Winde bläulicher Qualm, der recht gewürzte roch. Dort drüben stand ein Häuschen, und es spie unausgesetzt Tag und Nacht diesen Qualm aus. Es war eine Flunderräucherei, und der Eigentümer benutzte zum Räuchern Tannenzapfen und -nadeln sowie Kiefernzweige. Das gab den reinen Weihnachtsduft ab.

Ich befand mich in träumerischer Stimmung. Die Rolle, die ich hier in Heubude spielte, regte meine Phantasie an. Ich baute in Gedanken ganze Romane auf. Gute Ideen flogen mir zu. Oft blieb ich stehen, zog mein Notizbuch hervor und notierte mir dies und jenes. Tatsächlich habe ich dann später eine dieser Romanideen ausgearbeitet.

Wieder war ich stehen geblieben und schrieb. Da drangen gar seltsame Töne an mein Ohr …

Ich lauschte, schaute vorwärts. Dort stand eine mächtige Eberesche, und um sie herum wucherten wilde Rosen und Brombeeren.

Ich lauschte … Jemand weinte dort hinter dem Gestrüpp, schluchzte zuweilen auch – so recht qualvoll.

Es mußte ein weibliches Wesen sein, ein Mädchen. Selbst diese Laute bitteren Kummers hatten etwas Melodisches an sich.

Ich schlich leise näher, ganz leise. Nun bog ich um das Gestrüpp. Es bildete hinter der Eberesche etwas wie eine Laube. Und dort saß ein junges Weib mit wundervollem Blondhaar, das in breitem Zopf um das Hinterhaupt gelegt und vorn lose gescheitelt war.

Eine Ahnung sagte mir: Die blonde Madonna!

Von dem Gesicht konnte ich nichts sehen; das bedeckten die Hände, während die Ellenbogen sich auf die hochgezogenen Knie stützten.

Gerade jetzt stieß das Mädchen, das ein blauggraues, einfaches Leinenkleid trug, unter dem ein paar gelbe Halbschuhe mit großen Schleifen hervorlugten, ein paar Worte aus …

„Ich halte es nicht länger aus, – oh, die Schmach, – die Schande …!!“

Das verstand ich ganz deutlich.

Schon wollte ich mich wieder davon schleichen, als mir noch zum Glück einfiel, daß ich ja jetzt ein würdiger, älterer Herr war, der es wohl wagen durfte, die Bekümmerte anzusprechen und zu trösten mit dem Vorrecht der reifen Jahre.

Ich zog mich also leise zurück und näherte mich, laut aufhustend, von vorn der kleinen Naturlaube.

Das blonde Kind war erschrocken aufgesprungen und zeigte mir nun ein tränenfeuchtes Gesicht von einer Reinheit der Linien und einem Liebreiz, daß ich nun meiner Sache völlig sicher war. Es konnte nur Torys Madonna sein!

Ich nickte ihr freundlich zu, brachte weiche Milde in meine Stimme und sagte:

„Glauben Sie einem alten Manne, liebes Kind, der in seinem Leben viel durchgemacht, sehr viel Trübes, für jedes Herzeleid gibt es ein Heilmittel – für jedes!“

Sie schämte sich wohl der Tränen, trocknete verstohlen die großen, dunklen, schwermütigen Augen und erwiderte verzagt:

„Für das meine nicht, – nein, – für das meine nicht …!!“

„So hat schon mancher gesprochen, mein Kind! Jeder Schmerz läßt nach. Die Zeit lindert alles, die Zeit und – die Arbeit.“

Sie schaute zu mir empor ohne Scheu. Und dann schüttelte sie langsam den Kopf und meinte dumpf und in trüber Verzweiflung:

„Sie kennen die Ursache meines Leides nicht. Wenn Sie in meiner Lage wären, – Sie würden sich auch so überflüssig auf der Welt dünken wie ich!“

Zwei einzelne Tränen rannen über ihre Wangen. Um den roten Mund zuckte es.

„Überflüssig dünkt sich nur ein schwacher Charakter,“ sagte ich ernst. Und fügte hinzu: „Darf ich mich ein Weilchen zu Ihnen setzen? –

Sehen Sie, der Zufall hat uns hier zusammengeführt. Vielleicht wird aus diesem Zufall eine Fügung der Vorsehung. Mein Beruf zwingt mich, menschliche Charaktere zu studieren, um sie richtig …“

Ich stockte. Beinahe hätte ich gesagt: ‚um sie richtig schildern zu können …‘ Zur rechten Zeit fiel mir noch ein, daß ich jetzt nicht mehr der Schriftsteller Dr. Karl Wilde, sondern der Kanzleisekretär Reinhold Henning war …!! Und deshalb beendete ich den Satz „richtig beurteilen zu können …“

Ihre großen, ehrlichen Augen glitten über mich prüfend hin. Aber ich bestand diese Prüfung.

„Sie haben so etwas Gütiges an sich, mein Herr, das Vertrauen einflößt,“ erwiderte die Madonna leise. „Wenn ich Ihnen die Ursache meines Kummers auch nicht angeben darf, so wird es mir vielleicht doch wohltun, einmal mit einem guten Menschen plaudern zu können.“

Das war gewiß eine seltsame Antwort für dieses junge Geschöpf! – „Mit einem guten Menschen …!“ Das klang, als ob sie sonst dazu verurteilt war, mit Leuten umzugehen, die sie nicht achten konnte, die sie in ihren Schwächen erkannt hatte.

Ich setzte mich auf eine grasbewachsen Erdscholle.

„Sie weilen hier zur Kur, mein Herr, nicht wahr?“ fragte sie zwanglos. „Wir wohnen ja schon so lange in Heubude, daß ich jeden Ortseingesessenen von Ansehen kenne.“

Ich nickte. „Leider darf ich nur einige Tage mich an Gottes freier Natur erfreuen. Der Urlaub ist kurz. Dann geht es wieder an die Arbeit. Aber ich werde trotzdem frohen Herzens an meinen Schreibtisch zurückkehren, wenn ich nur die Überzeugung mitnehmen darf, Sie, mein Kind, ein wenig seelisch wieder aufgerichtet zu haben. –

Nicht wahr, Sie legen doch keinen Wert darauf, daß ich Ihnen meinen Namen nenne und meinen Beruf?! Wozu hier fern von den Stätten, wo die Menschen sich unter dem Zwange ungeschriebener Ehrgesetze sogenannter guter Umgangsformen bewegen, sich ebenfalls unter diese Gesetze beugen? Ist es nicht viel poetischer, wenn in Ihrer Erinnerung – vielleicht! – für kurze Zeit ein alter Herr lebt, der nichts wollte als Sie trösten und Ihnen etwas von seiner Lebensweisheit abgeben …?!“

„Oh – Sie haben recht! Ich liebe das Förmliche gewiß nicht!“ –

So plauderten wir weiter, wohl eine Stunde lang. Ich erzählte ihr von einem Freunde, der Schriftsteller sei und der sich in all seiner Einsamkeit bei seiner Arbeit so wohl fühle.

Der Schriftsteller interessierte sie. –

„Schreibt er Romane?“ fragte sie. „Oh, ich möchte so gern wissen, wie sie so einen Roman entwerfen, die Schriftsteller, überhaupt wie’s gemacht wird …“

Sie war köstlich in ihrer zwanglosen Offenheit. Bald hatte sie wirklich das große Leid vergessen, lächelte schon mitunter. Behutsam änderte ich den Ton, wurde heiterer, führte sie mit mir hinaus aus ihrem düsteren Alltagsgrau in ein Sonnenland, erzählte von dem Freunde, dem Schriftsteller, von dem Junggesellenleben, dem Balkon mit den Blumen und den Radieschenkästen, von der geschwätzigen Aufwärterin, mischte kleine Erlebnis sein, flocht billige Weisheitssprüche bei … –

Dann sah sie nach der silbernen Uhr mit einem Male, sprang auf …

„Oh, schon so spät!! Schade! Ich muß heim! – Und ich danke Ihnen von Herzen für diese Stunde …“

Wie schön sie war – wie schön!! – Sie reichte mir die Hand …

„Es ist mir, als hätten Sie mir einen belebendem Trank gereicht,“ sagte sie schlicht. „Sie haben mich wirklich getröstet. Ich hätte nicht geglaubt, daß ich noch lachen könnte …“

„Der Arzt will sie noch weiter behandeln, liebes Kind. Wenn Sie also morgen Zeit haben …“ meinte ich mit väterlicher Güte.

„Zeit? Ja, das wohl! Aber ich darf Ihnen die Ihrige nicht stehlen.“

„Ei ei!! – – Plötzlich so förmlich?! Wozu Phrasen, Kind?!“

„Gut denn – vielleicht komme ich sogar heute Abend noch her … Es ist mein Lieblingsplätzchen …“ –

Sie kam wirklich. Und wieder saßen wir nebeneinander.

Die Abenddämmerung verwischte die Umrisse des Waldes, der Bäume auf dem Rain. Ein paar Rehe traten vorsichtig aus einer Schonung heraus auf den Acker. Ein erstes Glühwürmchen umschwirrte uns. Weihnachtsduft umgaben uns. Die Glocke des Dorfkirchleins bimmelte …

Die Madonna war gekommen, und die erste Kur hatte vorgehalten. Ich sah keine Tränen mehr.

Wie ehrlich junge Mädchen doch sein können, wenn sie ein graues Haupt neben sich wissen, wie gern sie dann jedem aufquellenden Gefühl folgen …!

Plötzlich haschte die Madonna nach meiner Hand, nahm sie zwischen ihre beiden lebenswarmen Hände und sagte bewegt:

„Oh – wie gut Sie sind – wie gut! Noch nie hatte ich zu einem Menschen solches Vertrauen gehabt wie zu Ihnen …“

Da kann ich mir zum erstenmal wie ein Betrüger vor …! – Hätte sie geahnt, wer neben ihr saß, – wie ein scheues Reh wäre sie geflüchtet …!! –

Der Mond lugte schon über die Wipfel der Kiefern, als sie sich verabschiedete … – –

Ich war wieder allein, blieb noch eine Weile sitzen und träumte vor mich hin.

Ich war ein doppelter Betrüger …!! Hatte Tory mich dazu hierher geschickt, daß ich mich in das Vertrauen seiner Madonna einschlich …?! War es nicht wie ein häßlicher Verrat von mir, meine Maske dazu zu benutzen, um dieses reizende Geschöpfchen Freund zu werden …?!

Freund …?! – Ich prüfte mich, meine feinsten Empfindungen, dachte an den Augenblick, wo die Madonna meine Hand in den ihrigen gehalten hatte …

Ich war jung. Wenn ich den Frauen bisher aus dem Wege gegangen war, so hatte das seinen sehr ernst Grund. Eine große Leidenschaft hatte einst scheinbar alles in mir aufgezehrt, aufgesogen förmlich, was an wärmeren Gefühlen für das andere Geschlecht in mir lebte … – Gewiß – genug holde Weiblichkeit hatte auch nachher noch meinen Weg gekreuzt. Mit einem gewissen Lächeln überlegenen Wissens hatte ich auf alle herabgesehen: ‚Ich kenne eine, die hunderte von euch nicht aufwiegen, die alles in sich vereinte, was ein Weib begehrenswert macht! Was könntet Ihr mir geben …? Auch ich würde vergleichen, und dann würde die wilde Sehnsucht kommen nach der, die ich einst liebte … Und die jetzt tot ist für mich, tot sein muß!!‘ –

Heute an diesem Vorsommerabend inmitten der Felder, heute, nachdem die Madonna neben mir gesessen, ich in ihre schwermütigen Augen geschaut hatte, – heute zum ersten Mal seit Jahren hätte ich nicht überlegen lächeln können. Ein Neues war in meinem Herzen aufgegangen wie ein zarter Sprößling einer Wunderblume …

Oh – ich doppelter Betrüger …!! –

Ich ging heim und nahm mir vor, die Madonna nicht wiederzusehen …

Der Morgen kam. Ich schaute nach dem Wetter aus. – Klarer Himmel …! Da freute sich der würdige Herr Kanzleisekretär. Daß er am Abend vorher beschlossen hatte, einem blonden Kinde auszuweichen, hatte er längst vergessen …

Ich trank den Morgenkaffee in der Weinlaube im Gärtchen. Frau Klaus brachte mir die Zeitung vom Abend vorher. Ich blätterte darin, suchte nach der bewußten Annonce, fand sie auch. – Aber – nur die Überschrift war dieselbe. Der Text lautete anders …

Ah – also so sandte Tory dem Mörder die Antwort …

!! Vase !!

Mitnahme nur aus Übermut geschehen. Wenn Diskretion zugesagt wird, erfolgt sofort Rückgabe auch ohne Belohnung. Möchte Vase gern und schnell wieder loswerden.

Ich las – las nochmals. – Was sollte diese merkwürdige Antwort?! Was bezweckte Tory damit?! Glaubte er etwa, er würde den Unbekannten dazu verleiten können, die Vase aus meiner Wohnung abzuholen …?!

Doch – alles Grübeln war hier umsonst. Tory kam man so leicht nicht hinter seine Schliche! –

Und eine Stunde später saß ich wieder unter einer Eberesche zwischen Heckenrosen und Brombeersträuchern und … wartete …? Wartete klopfenden Herzens – – ich – Betrüger …!!

Die Madonna erschien sehr bald … Beide Hände streckte sie mir entgegen …

„Sie sind ein guter Arzt, mehr noch, Sie sind ein Zauberer …! – Ich werde Ihren Rat befolgen. Ich werde mir eine geregelte Tätigkeit suchen, werde arbeiten! Es war ein harter Kampf mit meiner Mutter. Bisher habe ich stets in allem nachgegeben, habe fast willenlos gehorcht. Jetzt blieb ich fest …“

Sie seufzte plötzlich, gab meine Hände frei.

„Ja – zu willenlos gehorchte ich,“ fuhr sie leise mit gesenktem Kopf fort. „Ich habe etwas getan, wogegen sich alles in mir sträubte, – etwas Schlechtes …!! Ich bin sonst nicht raffiniert, wirklich nicht. Ich hasse alles Unwahre, Unklare … – Doch – wozu diese Erinnerung aufrühren – wozu …?!“

Ich ahnte, worauf sie anspielte, auf jenen Vormittag, als sie zu dem Pfandleiher ging … Als sie auf dem Postamt sich das an die Kartenlegerin gerichtete Schreiben aneignete, um eine Legitimation für alle Fälle zu haben.

Wir setzten uns. Und ich sagte:

„Wozu man Erinnerungen aufgerührt, kleine Madonna?! – Vielleicht um sich von einem alten Manne bestätigen zu lassen, daß für das Schlechte genug Entschuldigungsgründe vorhanden sind, um es in anderem Licht erscheinen zu lassen, um wieder Ruhe vor dem eigenen Gewissen zu haben!“

Sie sah mich überrascht an.

„Gewissen – ja, das ist’s! – Oh, wie gut Sie doch in meiner Seele zu lesen verstehen …!“ meinte sie leise. „Ich vertraue Ihnen. Daher möchte ich Ihnen beichten, damit Sie entscheiden, ob ich schuldig bin. –

Ich hatte einen Auftrag, nein, einen Befehl erhalten von einem Manne, der mir nahe stehen sollte und den ich doch verachten muß, einem schlimmen Heuchler, einem … –

Doch nein, ich darf nicht sprechen! –

Ich gehorchte jedenfalls. Aber nachher packte mich die Angst vor der Ausführung des Befehles, als ich erst den Gang schon einmal umsonst gemacht hatte, als man von mir einen Ausweis, eine Legitimation verlangte. Da wollte es ein verführerischer Zufall, daß ich auf der Post ein Schriftstück fand, wie ich gerade einige Marken einkaufen wollte. Und … da habe ich dieses Schriftstück benutzt, habe …“

Tränen erstickten ihre Stimme. Und in ihrem reuevollen Schmerz lehnte sie sich wie haltsuchend an mich … Und ich habe sie sanft an mich gezogen … Ich, der würdige Herr Kanzleisekretär – der Betrüger!!

 

17. Kapitel.

Ich sitze wieder in der Laube von wildem Wein. Mutter Klaus’ leicht nach Zichorie[7] schmeckender Kaffee erscheint mir als Mokka … Die ganze Welt um mich her ist verändert …

Ich liebe die blonde Madonna. Die Vergangenheit ist tot. Ich ziehe keine Vergleiche mehr …

Ich liebe sie! Und ich könnte vielleicht unaussprechlich glücklich sein, wenn ich … nicht der Kanzleisekretär Reinhold Henning wäre …!! – –

Frau Klaus bringt mir auch heute wieder die Zeitung. Ob der Mörder wohl geantwortet haben wird …? –

Meine Gedanken werden abgelenkt von dunklen Märchenaugen, schwellenden Lippen, einer süßen Stimme … –

Da habe ich sie ja schon, die Annonce, die Antwort des Mörders.

!! Vase !!

Diskretion zugesagt. Rückgabe in der Weise, daß zurückgeschafft wird, wo gefunden, mit aller Vorsicht. Antwort erbeten.

Ich schüttelte ganz ratlos den Kopf. – Zurückgeschafft …?! Also wieder in das Mordzimmer …?! – Wollte der Mörder sie sich von dort abholen …? – Undenkbar. Würde er so leichtsinnig sein?! Würde er nicht einen Falle befürchten, die man ihm stellte?! Oder vertraute er so fest darauf, daß der, der die Vase mitgenommen hatte, allen Grund hätte, diesen Diebstahl zu verheimlichen und keinerlei Hinterlist anzuwenden …?!

Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Jedenfalls, wäre ich der Mörder gewesen, so würde ich um keinen Preis mich nochmals in das leere Haus gewagt haben! –

Kaum hatte ich die Zeitung aus der Hand gelegt, da waren meine Gedanken auch schon wieder bei ihr – bei der Madonna, bei Hildegard – Hilde …

Ich sah nach der Uhr. Bald war es Zeit, bald würde ich wieder unter der Eberesche sitzen, lauschen und schauen, – auf die strahlende Jugend, die neben mir war … – –

Auch dieser Tag verging in einem Taumel junger Seligkeit für den alten Herrn Kanzleisekretär … Hildegard ahnte noch immer nichts …

Ein neuer Tag zog herauf. Aber heute war der Himmel mit jagenden Wolken bedeckt. Regen drohte. Der Wind pfiff durch die Bäume und Sträucher. Es war kühl draußen wie im März.

Ich mußte in meinem Hinterstübchen das erste Frühstück einnehmen. Mein natürlicher Bart war inzwischen so nachgewachsen, daß ich mich notwendig, damit der falsche sich durch Abblättern des Klebstoffes nicht löste, rasieren mußte. Gerade als ich bei verschlossener Tür, wieder zum Dr. Karl Wilde geworden, mit dem Rasieren fertig war und mir das Gesicht abtrocknete, hörte ich draußen Stimmen, – die meiner Wirtin und eine helle, liebe, süße … Aber diese klang so anders, so erschüttert durch eine große Erregung.

Was wollte nur Hilde hier …?! Was war geschehen …?!

Da klopfte es schon. Und Hilde rief laut, flehend …

„Öffnen Sie … Bitte, bitte, – ich muß Sie sofort sprechen, – so–fort …!!“

„Es geht nicht, Kind … Ich bin gerade beim Anziehen,“ rief ich zurück, vollständig kopflos vor Schreck. – Wie sollte ich mein Madonna jetzt wohl gegenübertreten …?! Ich war ja nicht ihr alter, würdevoller, gütiger Freund, ich war eben … ich selbst …!!

„So ziehen Sie irgend etwas über – schnell, schnell, – ich muß mit Ihnen reden, – muß, oder …“ Hildes Stimme erstickte in einem lauten Aufschluchzen …

Ich öffnete. Ich durfte es, soweit es sich um meinen Anzug handelte, – freilich mein Gesicht …!!

Aber ich sagte mir: Einmal muß diese Spiel ja doch aufgegeben werden! Ich wollte meine Madonna nicht aufgeben – niemals mehr – niemals!!

Ich trat zur Seite, damit die Klaus mich nicht sah.

Hilde stürmte ins Stübchen, schaute nach mir hin, wich mit weiten Augen zurück …

Ich drückte schnell die Tür im Schloß, stellte mich davor.

„Wer – wer sind Sie …?“ stotterte Hilde. Dann glitt ein Ausdruck des Erkennens über ihr Gesicht, das ganz bleich und blutleer war.

Sie sank in den plumpen Holzstuhl, schlug die Hände vor das in schmerzlich Enttäuschung zuckende Antlitz und stöhnte verzweifelt: „Auch Sie einer von der Polizei – auch Sie …!!“

Wie dann alles weiter sich abspielte, was ich gesprochen habe, was Hilde antwortete, ich weiß es nicht mehr, weiß nur, daß sie plötzlich an meiner Brust lag und stammelte: „Rette mich – nur nicht noch mehr der Schande, der Demütigungen …!“

Ein köstliches Gefühl der Sicherheit ist da wohl in mein Herz eingezogen. Madonna war mein – liebte mich, liebte meine Seele, hatte unter Tränen gelächelt, als ich scheu fragte, ob ich ihr so nicht fremd sei, so als der Schriftsteller Karl Wilde, – – gelächelt unter Tränen und geflüstert: „Fremd …?! Wie sollte das wohl möglich sein …!“ –

Ja – auf diese Einzelheiten besinne ich mich doch noch, – und darauf, daß wir uns küßten, daß es lange dauerte, ehe ich sie aus den Armen ließ, mich nur mit ihren Händen begnügte, die ich fest umspannt hielt … – –

Was in dem einsamen Hause ihrer Mutter geschehen war, ist bald erzählt. Zwei Kriminalbeamte waren erschienen, um Haussuchung abzuhalten. Hildes Mutter fiel vor Entsetzen in Ohnmacht, schrie nur noch auf: ‚Alles ist verloren …!‘ Da war Hilde unbemerkt entflohen, zu mir geeilt …

*

Nachdem ich damals frühmorgens das Haus durch den geheimen Gang und durch das Nachbargebäude verlassen hatte, wartete Viktor Ruhnau auf das Erscheinen der geschwätzigen Frau Meller. Diese hatte einen Schlüssel zur Flurtür, brauchte daher nicht erst die Alarmglocke in Bewegung zu setzen und kam nun, als sie in der kleinen Küche das Kaffeewasser auf den Gaskocher gestellt hatte, in des Doktors Arbeitszimmer, um hier mit dem Aufräumen zu beginnen.

Viktor saß am Sofatisch und sagte freundlich:

„Morgen, Frau Meller …!“

Die kleine, bewegliche Person erstarrte erst zur Salzsäule. Dann grinste sie und zeigte all ihre Zahnlücken.

„Ach nee, Herr Ruhnau, Sie hätten mir wirklich beinahe erschreckt! Sie sind doch mal ein ulkiger Herr …!! Wozu haben Sie sich denn so maskiert …?“

Sie trat näher, faltete die Hände über der Schürze, musterte kopfschüttelnd den Freund ihres Doktors und fügte hinzu: „Wahrhaf’gen Gott, wenn ich Ihnen nicht an die Stimme erkannt hätte, ich hätt geschworen, Sie wären’s nich!“

Viktor lachte. „Ich bin’s auch nicht, Frau Meller, – darf es nicht sein! Ich bin jetzt Dr. Karl Wilde.“

„Aber Herr Ruhnau, was reden Sie da bloß für’n Unsinn …! Nee – können Sie ulkig sein!“

„Mir ist nach Ulk verteufelt wenig zumute, – wirklich nicht! Alles andere als das! – Aber – da, setzen Sie sich! Der Kaffee hier ist noch heiß. Ich habe eben mit Karl ein Abschiedstässchen getrunken. Schenken Sie sich nur ein! Ich kenne ja Ihre Leidenschaft für dieses Getränk. – Vorwärts, – ich habe nämlich mit Ihnen zu reden!“

Sie gehorchte zögernd. Viktor mußte aber selbst die Kanne nehmen und ihr die Tasse füllen. Dann begann er, indem er im Zimmer langsam auf und ab ging, eifrig dabei seine geliebten Zigaretten qualmend …

„Nun passen Sie mal genau auf, Mellern! Sie wissen von dem Morde im Hause gegenüber … Die Polizei sucht natürlich mit allen Mitteln dem Täter auf die Spur zu kommen. Bisher ist ihr nur ein Erfolg beschieden gewesen, sie hat zwei Herren in Verdacht, die allerdings infolge einer Verkettung besonderer Umstände tatsächlich nicht ganz ‚hosenrein‘ erscheinen, was diesen Mord anbetrifft. In Wahrheit sind sie schuldlos. – Diese beiden Herren kennen Sie sehr gut, Frau Meller …“

„Um Himmels willen,“ rief das Weiblein entsetzt, „doch nicht etwa der Herr Doktor und Sie …?!“

Viktor blieb vor ihr stehen, nickte ernst. „Allerdings, Mellern, – Karl und ich! Und besonders hinter mir ist die Polizei am eifrigsten her. Deshalb die Verkleidung, deshalb war ich verreist. Aber auch Karl droht vielleicht Verhaftung. Er ist daher nun ebenfalls verduftet.“

„Gott nee – mir wird ganz schwach, Herr Ruhnau.“ Schnell trank sie die Tasse leer. „Wie sie nur bei solche Gelegenheit noch ‚verduftet‘ sagen können …!!“ fügte sie mißbilligend, aber auch bewundernd hinzu.

„Auf den Ausdruck kommt’s ja nicht an, nur auf die Tatsache als solche. – Also – Karl ist nun weg, und ich will hier seine Stelle einnehmen. Dies ist nötig. Warum, das sollen Sie später erfahren. Wenn nun jemand während des Vormittags, wo Sie doch noch hier sind, nach mir fragt, das heißt nach Ihrem Doktor, weisen Sie jeden mit dem Bemerken ab, ich sei krank und liege zu Bett. – Verstanden?“

„Jawohl, Herr Ruhnau. Wird gemacht. – Aber – hm –, wenn nun wer am Nachmittag oder Abends kommt?“

„Dann hängt draußen an der Flurtür ein Zettel: ‚Dr. Wilde erkrankt. Bestellungen usw. sind bei Frau Meller, Pfeffergang 2, Erdgeschoß links, auszurichten‘, und dann öffne ich einfach nicht. –

Im übrigen können sie unauffällig überall erzählen, ich hätte starkes Fieber, und man könnte nicht wissen, was für eine Krankheit sich noch daraus entwickeln würde.“

„Schön, soll gesorgt werden …“

„Die Hauptsache aber, Mellern, zu niemandem ein Wort, daß ich jetzt hier Ihren Doktor spiele! – Sie könnten uns sehr schwer schaden, wenn Sie nicht reinen Mund hielten! Sind Sie verschwiegen, so sollen Sie nachher bare fünfzig Mark erhalten.“

„Fufzig Mark – – Ach nee …?! Dafür lasse ich mir das Maul für Wochen zubinden, Herr Ruhnau! Aber – auch ohne dem Jelde hätt’ ich Ihnen nie reinjelegt durch Redereien – niemals nich! Gerade Ihnen nich! Sie sind ‘n so feiner Herr, und doch stets freindlich zu unsereinen, und zu Weihnacht haben Sie mir auch zehn Mark und das scheene Tuch jeschenkt …“

Viktor reichte der Alten jetzt die Hand.

„Also sind wir einig, Mellern?“

„Und ob …!!“

Der Tag verging. Niemand ließ sich sehen mit Ausnahme des Postboten und der Zeitungsfrau.

Viktor wurde die Zeit lang. Aber vor Dunkelwerden wollte er sich doch nicht ins Freie wagen. Erst gegen zehn Uhr abends verließ er des Freundes Wohnung mit Hilfe des Verbindungsganges, begab sich zu Katzenstein, der in alles eingeweiht wurde und die Annoncen besorgen mußte, ging dann nach dem Telegrafenschalter des Hauptpostamtes, wo er eine nur mit Viktor unterzeichnete lange Depesche an den Kriminalkommissar Haßfeld absandte, und besuchte schließlich noch eine kleine, gemütliche Kneipe in der Hundegasse, die das Stammlokal einiger älterer Prokuristen und Buchhalter Danziger Großfirmen war.

Hier setzte er sich in die Nähe des großen, runden Stammtisches, tat, als ob er eifrig die Zeitungen studiere, lauschte aber gespannt auf jedes Wort, das zwischen den Junggesellen gewechselt wurde, die zumeist fachsimpelten und von der Börse, überseeischen Geschäften und geschäftlichem Klatsch sprachen.

Viel Erfolg hatte er nicht auf seinem Horcherposten. Nur einmal fiel eine Bemerkung über die geradezu wahnwitzige Spekulationswut des Konsuls Schimpel, wobei einer der Herren erklärte: ‚Den bringt das Börsenspiel auch noch vor die Hunde …!‘ –

Gegen Mitternacht war Viktor wieder in dem Pfeffergang, öffnete mit einem Dietrich die Haustür des Nebengebäudes und gelangte so nach oben in des Schriftstellers Mansardenheim.

Viktor war vorsichtig. Er durchsuchte die Zimmer und die Nebenräume sehr genau, trat auch auf den Balkon hinaus, und wollte dann zu Bett gehen, – nicht etwa in des Freundes Schlafzimmer, sondern in der Kammer nebenan.

Im Schlafzimmer ließ er eine Weile Licht brennen und schaute durch das Kammerfenster auf die Straße hinab. Dort patrouillierte noch derselbe Mensch auf und ab, dem er schon bei der Heimkehr im Pfeffergang begegnet war, – natürlich ein Kriminalbeamter. Der als Arbeiter verkleidete Geheime schaute gerade jetzt nach den Fenstern des Schriftstellers empor, mußte also den Lichtschein bemerken und war nun wohl beruhigt in dem Gedanken, daß Dr. Wilde anwesend sei.

Viktor schloß sich für alle Fälle in die Kammer ein, entkleidete sich und suchte sein Kofferpatentbett auf, schlief fest bis gegen sieben Uhr morgens und sah wieder einen langweiligen, endlosen Tag vor sich. Er mußte diesen Stubenarrest aber geduldig ertragen. Bevor die Annoncen nicht ihre Schuldigkeit getan hatten, war nichts weiter zu unternehmen, abgesehen von geringfügigen Vorbereitungen für den ‚großen Schlag‘.

Die Meller erschien sehr bald, brühte Kaffee auf, erzählte allerlei aus ihrem kümmerlichen Leben an der Seite eines selbstsüchtigen, unverbesserlichen Trunkenboldes und eilte dann hinaus, als der Postbote sich wie immer durch starkes Klopfen an die Flurtür bemerkbar machte.

Sie überbrachte Viktor zwei an Dr. Wilde adressierte Briefe.

Der eine trug auf der Rückseite des Umschlags als Absender den Namen M. Schimpel. Der zweite war von einem Berliner Verlag. Diesen legte Viktor beiseite, den anderen öffnete er unbekümmert.

Sehr geehrter Herr!

Mein Stiefsohn Viktor Ruhnau hat, nachdem er das elterliche Haus verlassen hatte, zunächst bei Ihnen ein Unterkommen gefunden. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir uns gezwungen sehen, gegen Viktor bei Gericht einen Antrag auf Entmündigung zu stellen. Ich rate Ihnen also dringend ab, Viktor pekuniär Hilfe zu gewähren, da wir für seine Schulden nicht aufkommen werden. Er dürfte Ihnen verschwiegen haben, daß wir Vorsorge trafen, seine Wertsachen nicht in die Hände von Pfandleihern geraten zu lassen. Da er sich zur Zeit offenbar absichtlich irgendwo verborgen hält und Sie wissen dürften, wo er sich befindet, bitte ich ihm bestellen zu wollen, daß wir bereit sind, ihn wieder ins Elternhaus aufzunehmen, wenn er auf unsere ihm bereits bekannten Bedingungen eingeht: Eintritt in die Firma als Volontär und freiwilliger Verzicht auf das Verfügungsrecht über seinen Erbteil für weitere fünf Jahre. –

Hochachtungsvoll

M. Schimpel.

 

18. Kapitel.

Kommissar Ihle trommelte nervös mit den Fingern auf dem blauen Aktendeckel, der die Aufschrift ‚Tompson, Mord‘ trug.

„Wie lange sollen wir denn noch warten, Spengler, he …?! Ein Tag nach dem andern vergeht, und wir kommen keinen Schritt vorwärts! Etwas muß geschehen! Der Brief Ruhnaus kann ebenso gut eine Irreführung sein …! Ich bin dafür, daß wir uns wenigstens der Person des angeblich erkrankten Schriftstellers versichern.“

Er hatte ziemlich erregt gesprochen und den Wachtmeister dabei ärgerlich angesehen, denn dieser war es ja gewesen, der ihn dazu bestimmt hatte, jenem Briefe Glauben zu schenken und den Doktor Wilde unbelästigt zu lassen.

Spengler erwiderte sehr ruhig und sehr feierlich:

„Ich gestatte mir zu bemerken, daß der Brief nur in einer Hinsicht Einfluß auf unseren Nachforschungen gehabt hat. Wir haben Dr. Wilde nicht verhaftet! – Im übrigen haben wir genau so gehandelt, als existierte der Brief gar nicht, das heißt, wir haben weiter nach dem verschwundenen Ruhnau gesucht, der sich meines Erachtens hier in Danzig verborgen hält, haben die Personen, auf die es uns ankommt, ständig beobachten lassen und mithin … gar nichts verabsäumt! Eines dagegen haben wir gewonnen in diesen Tagen, die Überzeugung, daß wir so nicht vorwärtskommen! Wir sind auf dem toten Punkt angelangt! Ob wir auf diesem noch ein paar Tage länger verharren müssen, bleibt sich gleich! Was würde uns auch die Verhaftung des Doktors helfen?! Nichts – gar nichts. Nur die Öffentlichkeit würde beruhigt werden! – – Nein, Herr Kommissar, ich kann auch heute nur wiederholen: Der Ruhnau weiß tatsächlich mehr als wir!“

Ihle war aufgesprungen und lief im Zimmer umher.

„Wenn der Doktor womöglich auch ausgekniffen ist, wenn wir auch in dieser Hinsicht die Geleimten sind!!“ rief er im Zwiespalt seiner Empfindungen, da er ja Spenglers Ausführungen innerlich nur beipflichten konnte, so schwer ihm das auch wurde.

„Er ist zu Hause, Kommissar, – ganz bestimmt, – beruhigte der Wachtmeister ihn. „Ich habe seine Aufwärterin noch heute Vormittag als Gasrevisor verkleidet, in der Mansardenwohnung gesprochen. Der Doktor war in seinem Schlafzimmer. Ich hörte ihn mit der Frau reden, als ich mir an dem Gasautomaten zu schaffen machte. Und – auskneifen …?! Bei der strengen Überwachung des Hauses?! – Ausgeschlossen!“

Es klopfte, und herein trat ein Kriminalbeamter in Zivil, der in der verflossenen Nacht im Pfeffergang Posten gestanden hatte.

„Nun, Merkel, – was gibt’s,“ fragte Ihle kurz.

„Ich möchte Ihnen nur etwas mitteilen, Herr Kommissar, was mir gestern Nacht aufgefallen ist. Ich hatte doch Dienst im Pfeffergang. Um nun nicht fortwährend vor jenem Hause auf und ab laufen zu müssen, hatte ich mich zwei Häuser weiter gegenüber in einen tiefen Torweg auf einen Prellstein gesetzt. Gegen halb elf abends kam ein älterer Mann aus dem Nebengebäude links heraus, schloß hinter sich die Haustür ab und wollte nun nach der Breitgasse zu davongehen, als der Schließer dieses Häuserblocks ihm begegnete. Ich hörte, wie der Schließer den Mann ziemlich barsch fragte, wer er eigentlich sei und was er in dem Hause zu suchen habe. –

‚Sie sind mir schon gestern aufgefallen,‘ sagte er. ‚Ich habe mich erkundigt, ob Sie ins Haus gehören. Die Leute, die hier wohnen, kenne ich alle. Sie aber nicht. Am liebsten würde ich Sie mal nach der Polizeiwache nehmen!‘ Worauf der Mann erwiderte: ‚Bitte, tun Sie das ruhig. Dann holen Sie aber vorher noch die Witwe Schmitz. Von der komme ich nämlich gerade. – Halten Sie mich vielleicht für einen Dieb?! Ich bin jederzeit im Stande, mich zu legitimieren. Aber nicht Ihnen gegenüber! So grob laß ich mich nicht anfahren!‘ –

Der Schließer, wohl etwas eingeschüchtert, brummte eine Entschuldigung und ging weiter, während der alte Herr nach der Breitgasse zu verschwand. – Ein Uhr morgens kamen dann zwei Männer von der Breitgasse her den Pfeffergang entlang und betraten das Haus, in dem die Schmitz tatsächlich wohnt. Einer von ihnen war derselbe, der dem Schließer gegenüber so sicher aufgetreten war. –

Um sieben Uhr früh wurde ich heute abgelöst. Müller 2 übernahm die Wache. Und bis dahin waren die beiden aus dem Hause nicht wieder herausgekommen. –

Ich war mißtrauisch geworden. Nachdem ich mich dann bis gegen vier Uhr nachmittags ausgeschlafen hatte, begab ich mich nach dem Pfeffergang. Ich hatte Müller wegen der beiden Männer Bescheid gesagt. Er versicherte mir, sie hätten das Haus noch immer nicht verlassen. –

So, das wollte ich nur melden.“

Ihle und Spengler tauschten einen langen Blick.

Und der Kommissar befahl dann: „Gehen Sie sofort zu der Schmitz, Merkel. Wenn diese nichts von den beiden weiß, dann …!! Man kann ja auch über das Dach vielleicht in des Doktors Mansardenwohnung gelangen!!“ – – –

Der ‚falsche‘ Dr. Wilde hatte an demselben Abend, als das eben Geschilderte auf dem Polizeipräsidium verhandelt wurde, einen lieben Gast bei sich.

Die beiden Herren saßen beim Abendrot und unterhielten sich sehr angeregt, tauschten alte Erinnerungen aus und bedauerten nur, daß nicht auch der echte Doktor zugegen war.

„Er wird dir gefallen,“ meinte Viktor warm. „Ein prächtiger Mensch. Als Kriminalschriftsteller von einer unerschöpflichen Phantasie, als Mensch goldeswert!“

Als die Uhr an der Wand zehn schlug, machten sie sich zum ausgehen fertig.

„Hoffentlich laufen wir nicht dem verd… Schließer in die Arme!“ meinte Viktor lachend. „Ich fürchte heute würde er doch stutzig werden.“

„Und wenn er sich bei der Schmitz erkundigt hat, ob deine Angaben stimmen?!“ fragte der Gast nachdenklich.

„Hm – das wäre fatal! – Na – hoffen wir, daß er harmlos genug ist, an den Schwindel geglaubt zu haben.“ –

Wieder war es etwa um einhalb elf Uhr, als die Haustür des Nachbargebäudes sich öffnete und zwei Männer nach einem spähenden Blick die Straße aufwärts und abwärts den Pfeffergang betraten.

Bis dicht an die Einmündung in die Breitgasse waren sie bereits gelang, als hinter ihnen eine Trillerpfeife ertönte.

„Verflixt!“ brummte Ruhnau. „Du, ich ahne, die Geschichte geht heute schief!“

„Allerdings!“ meinte der andere. „Total schief!“

Aus einer Haustür vor ihnen waren drei Gestalten wie Geister aufgetaucht, kamen auf sie zu. Und hinter ihnen versperrten gleichfalls drei Kriminalbeamte den Weg.

Kommissar Ihle sprach die beiden an.

„Einen Augenblick, meine Herren.“ Er zog seine Legitimationsmarke und nannte seinen Amtstitel. Dann fügte er hinzu: „Woher kommen Sie?“ –

„Von Frau Schmitz, der Witwe eines Straßenbahnoberkontrolleurs, die dort in Nummer …“

„Danke!“ unterbrach Ihle ironisch den alten Herrn. „Die eine Lüge genügt mir! – Können Sie sich ausweisen?“

Viktor flüsterte seinem Begleitern schnell zu: „Gib dich nicht zu erkennen!“

„He – was haben Sie da zu flüstern!“ fuhr Ihle ihn an. „Vorwärts – haben Sie Papiere bei sich, die über Ihre Person Aufschluß geben?“

„Nein,“ erwiderte Viktor. Und auch der andere sagte: „Bedaure …!“

„Dann müssen Sie mit!“ entschied der Kommissar.

Ein bereitgehaltener Taxameter brachten die beiden sowie Ihle und Spengler nach dem Polizeipräsidium.

Hier in des Kommissars Dienstzimmer konnten die Beamten sich ihren Fang genauer ansehen. Der Alte machte äußerlich einen fast ärmlichen Eindruck, der andere dagegen war ein kräftiger, schlanker Herr in den besten Jahren mit scharfgeschnittenem, bartlosem Gesicht und sehr elegant gekleidet.

Bevor Ihle noch nach dieser schnellen Musterung etwas äußern konnte, begann der ältere Herr mit feinem Lächeln:

„Wenn Sie mich gestern verhaftet hätten, Herr Kommissar, wäre mir’s recht unangenehm gewesen. Heute macht es nichts mehr aus.“ Er griff in die Innentasche seines Rockes und holte einen Brief hervor, reichte ihn Ihle und meinte: „Ich brauche also die Post nicht mehr zu bemühen. Sie sehen, der Brief trägt Ihre Adresse.

Spengler beugte sich vor, erkannte sofort die Handschrift.

„Sie sind Viktor Ruhnau?“ fragte er gespannt. Ihle fuhr zusammen, rief: „Wirklich – Ruhnau?“

„Ja, meine Herren. Ich freue mich, daß ich Ihnen diese Überraschung bereiten konnte. – Ich denke aber, wir nehmen Platz. Unsere Unterredung dürfte einige Zeit beanspruchenden.“

Der Kommissar drehte noch immer halb verlegen den Brief in den Fingern hin und her.

„Das – das ist ja unglaublich …!“ sagte er unsicher. „Sie waren also in Dr. Wildes Wohnung verborgen! Eine ziemliche Unverfrorenheit!“

„Nicht verborgen. Ich habe mich dort ganz frei bewegt, nur – krank war ich nicht. Ich vertrat meinen Freund sozusagen.“

„Daraus werde ein anderer klug!“ rief Ihle unwillig. „Sie schlagen hier überhaupt einen Ton an, der …“

Viktor schüttelte den Kopf und fiel ihm ins Wort:

„Wir sind doch Verbündete, Herr Kommissar. – Gestatten Sie jetzt, daß ich Ihnen diesen meinen Begleiter hier vorstelle – –: Herr Kriminalkommissar Haßfeld aus Berlin!“

Ihle blieb der Mund offen. – Haßfeld streckte ihm lachend die Hand hin:

„Es regnet Überraschungen, Herr Kollege. – Damit Sie aber an mir nicht zweifeln – hier meine Legitimation mit abgestempelter Photographie!“

Ihle kam langsam zu sich. „Nein – so etwas! Wer hätte das denken können!“ meinte er, jetzt endlich mit vollem Verständnis für die eigenartige Komik der Situation. –

Man saß jetzt zwanglos um Ihles Schreibtische herum. Viktor Ruhnau ließ sein Zigarettenetui die Runde machen und blies behaglich die ersten Züge in tadellosen Ringen von sich. Dann begann er:

„Der Brief dort enthält das, was ich jetzt hier vortragen muß. – Ich will mir die Sache erleichtern und ihn vorlesen. Zunächst aber noch einiges zur Aufklärung für Sie, Herr Ihle, und Herrn Spengler. –

Ich sagte vorhin, daß mir gestern eine Verhaftung peinlich gewesen wäre. Gestern hatte der, den ich überführen will, nämlich noch nicht auf den Köder angebissen. Heute hat er’s. –

Hier habe ich die heutige Abendzeitung, und hier sehen Sie eine Annonce, die lautet:

!! Vase !!

Diskretion zugesagt. Rückgabe in der Weise, daß dorthin zurückgeschafft wird, wo gefunden, mit aller Vorsicht. Antwort erbeten.

Diese Annonce ist nicht die erste mit der Überschrift ‚!! Vase !!‘ Und die Antwort, die ich auf die erste dieser Anzeigen durch den Pfandleiher Katzenstein einrücken ließ, ist eben der Köder gewesen. Morgen Abend wird in der Zeitung eine neue zu finden sein.

!! Vase !!

Einverstanden! Gegenseitiges Interesse an Diskretion! Heute früh schon an Ort und Stelle gebracht.

Und vielleicht morgen nacht schon können wir den Mörder haben!“

Ihle und Spengler riefen jetzt in einem Atem.

„Die Vase ist der gestohlene Gegenstand …!!“

„Die Vase – ganz recht!“ nickte Viktor. „Es ist das große runde Ding, das Herr Hönig uns fortschleppen sah.“ Und nach kurzer Pause fuhr er fort: „Sie werden nicht verlangen, meine Herren, daß ich Ihnen den Namen des Mörders schon jetzt nenne und auch das Motiv dieses Verbrechens erläuterte. Gönnen Sie mir bitte die Genugtuung, Ihnen die Spannung auf den Erfolg meines Planes erhalten zu dürfen! Dieser Plan war in allen Einzelheiten genau zurechtgelegt und muß glücken, wenn Sie mir helfen wollen, woran ich nicht zweifle. Hätte der Mörder zum Beispiel einen anderen Ort zur Rückgabe der Vase bestimmt, so wäre ich genau so bereitwillig darauf eingegangen, – denn ob Sie ihn am Tatort selbst oder anderswo festnehmen, bleibt sich gleich. – So, und nun will ich den heutigen Brief verlesen:

Um den Täter mit voller Sicherheit an den Ort zu locken, wo Sie ihn verhaften können, ist folgendes nötig: Die morgigen Abendzeitungen müssen die Nachricht bringen, daß der Schriftsteller Dr. Wilde unter dem Verdacht des an dem Engländer Tompson verübten Mordes heute, das heißt morgen mittag, verhaftet worden und die Polizei auch dessen Komplizen auf der Spur ist. –

Hierdurch wird der Mörder in Sicherheit gewiegt werden. Er braucht den, der mit ihm durch die ‚Vase‘-Anzeige verhandelt hat, nicht mehr zu fürchten. – –

Das ist der eine Punkt. Dann der zweite. Morgen im Laufe des Tages kann in den am Forstweg in Heubude einsam gelegenen, von einer Witwe Schollert bewohnten Hause in aller Stille eine Haussuchung vorgenommen und die Schollert sowie ihre Tochter dann bis zur Festnahme des Täters bewacht werden. Man wird wahrscheinlich bei der Schollert außer wertvollem Schmuck aller Art auch verschiedene Pfandscheine finden. Beides, Schmuck und Pfandscheine, werden helfen, den Mörder auch früherer Verbrechen zu überführen. – –

Was schließlich die Vorbereitungen zur Festnahme des Täters anbetrifft, so müssen in dem leeren Hause im Pfeffergang unauffällig morgen nach Dunkelwerden Beamte sich einschleichen und in der Nähe des Mordzimmers sich verbergen. Ebenso sind Beamte auf dem Hofe des Lagerplatzes zu postieren, der sich von der Rückseite des leeren Hauses bis nach der Lavendelgasse erstreckt. –

Ich selbst werde mich gleichfalls rechtzeitig im leeren Hause einfinden. – –

Sollten Sie, Herr Kommissar, im Zweifel sein, ob ich ein ehrliches Spiel mit Ihnen treibe, so mache ich Sie als besten Beweis meiner Zuverlässigkeit auf die Anzeigen aufmerksam, die unter der Überschrift ‚!! Vase !!‘ in den Abendzeitungen erschienen sind. Die Vase ist nämlich der Gegenstand, den mein Freund und ich nach Entdeckung des Mordes aus dem leeren Hause mitnahmen. –

Ich hoffe, diese Andeutung wird Sie ganz auf meine Seite bringen. Alles Übrige erfahren Sie morgen von mir. –

Bis dahin bleibe ich – Ihr Verbündeter Viktor Ruhnau. – –

Noch etwas: Vorsicht und Schweigen gegen jedermann!“ –

Ihle verzog das Gesicht in komischer Verzweiflung, schaute Spengler an und sagte:

„Sie, verehrter Jugenderzieher a. D., – verstehen Sie was von alledem?! – Eine Vase als Köder …?! Und in Heubude ein einsames Haus …?! – Das ist wahrhaftig eine ganz tolle Geschichte …!!“

Spengler nickte betrübt. Worauf Viktor heiter erklärte: „Es handelt sich sogar um eine Lahore-Vase, meine Herren, und weiter um ein Brillantgeschmeide, das jetzt in Katzensteins Tresor ruht, schließlich noch ein Brillantdiadem und um ein zweites Diamantenhalsband – alles indischen Ursprungs!!“

Ihle hielt sich die Ohren zu. „Hören Sie auf, Herr Ruhnau, – hören Sie auf! In meinem Schädel schwirrt’s schon wie im Bienenhaus!!“ Dann wandte er sich an Haßfeld:

„Kollege, was haben Sie nun eigentlich mit dieser Sache zu tun?“

„Genau dasselbe wie Sie! Sie suchen einen Mörder, ich einen Verbrecher, dessen Taten allerdings schon Jahre zurückliegen. Aber, nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonne!“

 

19. Kapitel.

Der geneigte männliche Leser muß mich schon noch für kurze Zeit wieder nach Heubude begleiten. Ich glaube, er tut’s ungern. Er möchte lieber gleich hinein in das Mordzimmer und erfahren, was dort sich wohl abspielt, wenn der Täter die Vase holt. –

Die geneigten Leserinnen wieder werden vielleicht nicht zu sehr auf den ‚großen Schlag‘ gespannt sein, sondern ganz gern zurückkehren in das Hinterstübchen bei Mutter Klaus, in dem die blonde Madonna einem gewissen Dr. Karlchen, auch Trommler genannt, willig die frischen Lippen zu vielen, vielen Küssen überließ. –

Wir, Hilde und ich, saßen nun ganz brav nebeneinander auf dem harten Sofa – es hatte Glanzlederbezug, der so schön kalt sich anfühlte und uns wirklich etwas abkühlte! – und besprachen, was zu besprechen war.

So erfuhr ich denn, daß Konsul Schimpel ein Bruder der Frau Schollert wäre, daß in dem einsamen Hause viel echter Schmuck verborgen gehalten wurde, über dessen Herkunft sich Hilde schon längst allerlei trübe Gedanken gemacht hatte, und daß Schimpel Hilde wütend ausgezankt hatte, als er hörte, daß sie die Brillantkette gerade bei Katzenstein versetzt hätte, – in dem einzigen Pfandleihgeschäft, welches er als nicht in Betracht kommend ungenannt gelassen hatte. Wie ein Verrückter war er damals auf Hilde losgefahren, hatte sie sogar schlagen wollen und sich erst beruhigt, als sie ihm mitteilte, mit Hilfe welchen Schriftstücks sie sich legitimiert hatte.

Manches andere erzählte mir meine süße Madonna noch mit schwerer Stimme und tränenfeuchten Augen; aber das erfährt der Leser an anderer Stelle.

Dann berieten wir, nachdem eine längere Pause zwecks Austauschs dringend nötiger Zärtlichkeiten eingelegt worden war, was nun mit Hilde geschehen solle und ob es ratsam sei, die brave Frau Klaus einzuweihen. Wir entschieden uns für ‚Ja‘, und die Klaus hat dann bewiesen, daß sie das Herz auf dem rechten Fleck hatte. –

Nun aber begann die Lage für mich etwas kritisch zu werden, denn Hilde wollte ganz genau wissen, weshalb ich hier in dieser Verkleidung aufgetreten sei. Bisher hatte ich um die Sache geschickt herumgeredet.

Es ging nicht anders, ich mußte Hilde wahrheitsgemäß alles erklären, nämlich, daß auch hinter mir die Polizei her sei …!

Sie wurde sehr bleich. Aber es gelang mir, ihre zarte Seele wieder leidlich ins Gleichgewicht zu bringen. – –

Ich will mich nun kürzer fassen. Die beiden Kriminalbeamten suchten natürlich nach Hilde, und einer von ihnen kam auch etwa gegen Mittag zu Frau Klaus, als wir gerade bei Tisch saßen.

Dieser Beamte war kein anderer als Spengler.

Ich hatte mit ihm eine längere Unterredung, im Verlaufe derer er mir mitteilte, daß Tory mich nachmittags daheim erwarte, damit ich nicht fehle, wenn das Netz zugezogen würde, wie Spengler sich ausdrückte. –

Hilde blieb bei Mutter Klaus. Spengler und ich aber fuhren nachmittags nach Danzig zurück. Frau Schollert wurde von dem anderen Beamten weiter bewacht, dem Spengler noch einen zweiten als Ablösung senden wollte. Mit des Wachtmeisters sachverständiger Hilfe hatte ich mich auch wieder in den würdigen Herrn Kanzleisekretär verwandelt, der dann aber beim Abschied von dem ‚lieben Kinde‘ sehr aus der Rolle fiel und sehr jung wurde – sehr!!

*

Nachdem Haßfeld und Viktor mit den beiden Kriminalbeamten noch ganz genau den Feldzugsplan für die nächste Nacht festgelegt hatten, begaben sie sich wieder nach des Doktors Mansardenwohnung, indem sie abermals den geheimen Verbindungsweg zwischen den beiden Nachbarhäusern benutzten.

Dann machten sie sich an die Arbeit, holten den Blumenkübel vom Balkon ins Zimmer und begannen die Vase freizulegen, entfernten den Oleanderbaum und die Erde und stellten die mit einem Tuche gesäuberte Seelenurne auf den Sofatisch.

Haßfeld stand lange und beschaute sich die rätselvolle Lahore-Vase mit kritischem Blick. Dann meinte er:

„Wie harmlos das Ding aussieht, – harmlos und … billig! Ein Unkundiger böte dafür keine tausend Mark.“ Und nach einer Weile: „Du bist also überzeugt, Viktor, daß es genügt, wenn sie morgen den Tag über drüben auf dem Tisch steht?“

„Ja – nur darf kein trübes Wetter eintreten. Scheint die Sonne, so reicht das Tageslicht vollständig aus, um das Wunderwerk indischer Geheimkünste zum Strahlen zu bringen, dann wird auch das andere sich ereignen …!“

„Hoffen wir also auf Sonnenschein!“ sagte Haßfeld. „Wollen wir jetzt aufbrechen, Viktor?“

Der bejahte.

Und die Lahore-Vase vorsichtig in den Armen tragend, folgte der kräftige Berliner Kommissar dem vorangehenden Freunde die verborgene Treppe hinab.

Unangefochten kamen sie über die Straße. Viktor öffnete schnell mit dem Dietrich die Tür des leeren Hauses. Sie schlüpften hinein, sperrten hinter sich wieder zu.

Die Treppenstufen knarrten. Der Lichtschein einer Taschenlampe glitt über morsche Bretter, kahle Wände.

Dann hatten die nächtlichen Eindringlinge das Kontorzimmer erreicht. Durch die halb erblindeten Scheiben der Fenster drang der schwache Lichtschimmer einer hellen Nacht herein; er genügte gerade, um sich zurechtfinden zu können.

Flüsternd beschrieb Viktor dem Kommissar, wo die Leiche gehangen hatte, zeigte auch auf die Tischplatte, in deren Staubschicht ihm damals ein kreisförmiger Eindruck den Platz verraten hatte, wo die Vase zuerst aufgestellt gewesen war. –

Die Lahore-Vase stand wieder an derselben Stelle auf dem alten Tisch …

Viktor und Haßfeld verließen das leere Haus. – –

Als die Meller am anderen Morgen erschien, wurde sie abermals ins Vertrauen gezogen. Dies war nötig, da Ihle gegen halb zwölf mittags den ‚Schriftsteller‘ verhaften lassen wollte.

Der Himmel war bedeckt. Er drohte mit Regen, und es gab auch wirklich einen kleinen Guß. Nachher klärte sich der Horizont auf, der blaue Fleck am Himmel wurde größer und größer, und nachmittags gegen ein Uhr schien die Sonne. –

Inzwischen war der Bewohner des Mansardenheims, der ja krank zu Bett lag für die übrige Menschheit, genau wie mit Ihle vereinbart, verhaftet und auf einer Krankenbahre, auf der von seinem Gesicht nichts zu sehen war, in einen Wagen getragen worden, der sich alsdann in Bewegung setzte. Dieses Ereignis konnte im Pfeffergang nicht unbemerkt bleiben. Und die Meller sorgte dafür, daß die Neuigkeit, der Schriftsteller Dr. Karl Wilde sei als Mörder Tompsons verhaftet worden, wie ein Lauffeuer sich weiter und weiter verbreitete.

Die Erregung war allgemein. Bekannte telephonierten sich diese neueste Sensation, auf den Straßen bildeten sich Gruppen, die von nichts anderem sprachen, und natürlich wurde auch unter den in und vor der Börse versammelten Kaufleuten diese Kunde viel erörtert. – –

Dr. Wildes Wohnung blieb nur drei Stunden verschlossen und versiegelt. Dann kam Ihle mit ein paar Beamten, um die Räume – zum Schein! – zu durchsuchen.

Vor dem Hause standen viele Neugierige, denen die Meller immer wieder erzählen mußte, wie die Verhaftung vor sich gegangen war und wie die Polizei jetzt oben alles durchwühlte. –

Unter den müßigen Gaffern befanden sich auch zwei Arbeiter mit schmierigen Kitteln und rußgeschwärzten Gesichtern, scheinbar Heizer irgend eines Dampfers, in Wirklichkeit Haßfeld und Viktor Ruhnau.

Es schienen rechte Tagediebe zu sein, diese beiden Schmierfinken, denn stundenlang lungerten sie in der Straße umher, qualmten aus ihren kurzen Holzpfeifen dicke Wolken und – da gaben doch genau auf alles acht, was ringsum geschah. So konnte ihnen auch nicht die hagere Gestalt Pinkemüllers entgehen, der in der Haltung eines Menschen angeschlichen kam, dem dieses Verweilen inmitten einer erregten, aus den einfacheren Volksschichten sich zusammensetzenden Menge alle Sicherheit des Auftretens nahm. –

Des Professors Gesicht erstrahlte wieder in recht verdächtiger Röte. Offenbar hatte er sich für diesen Gang nach der Mordgasse besonders gestärkt.

Pinkemüller fragte ein dickes Weib, weswegen diese Zusammenrottung hier erfolgt sei und erhielt auch eine mehr als erschöpfende Auskunft. Eilig machte er sich sogleich wieder auf den Rückweg. Haßfeld folgte ihm vorsichtig, während Viktor weiter im Pfeffergang sich herumdrückte.

Die Nachmittagssonne lag jetzt auf den verstaubten Fenstern des leeren Hauses und stahl sich auch hinein in das ehemalige Bureau, wo auf dem großen Tisch einsam die Lahore-Vase stand – einsam und unscheinbar …

Drüben am Schlafstubenfenster Dr. Wildes konnte man einen Mann hinter den Gardinen bemerken, der mit Hilfe eines Fernglases wahrscheinlich nach derselben Vase ausspähte.

Er konnte aber nur den untersten Teil des bauchigen Gefäßes wahrnehmen, auf dem das hellere Sonnenlicht lag. Der Mann war Kriminalkommissar Ihle.

Jetzt trat er zurück und gab seinen drei Unterbeamten, die nur zum Schein einzelne Behältnisse durchwühlt hatten, den Befehl zum Verlassen der Wohnung, die wieder versiegelt wurde.

Ihle ging unten im Pfeffergang dicht an Viktor Ruhnau vorbei, blieb stehen und bat um ein Streichholz für seine Zigarre. Schnell und unauffällig flüsterten sie bei dieser Gelegenheit miteinander.

„Spengler hat vorhin aus Heubude antelephoniert. Sie treffen um sieben Uhr ein,“ sagte er, während ihm Viktor wieder mitteilte:

„Pinkemüller, mein Onkel, war hier, natürlich um zu spionieren. Vielleicht hoffte er mich zu erwischen – oder ihn führte etwas anderes her.“

Ihle schaute den schmierigen Gesellen prüfend an.

„Etwas anderes? Ist er etwa …?“

Da griff der Heizer an den Mützenschirm und schlenderte weiter.

Eine halbe Stunde später gesellte sich Haßfeld wieder zu Ruhnau.

„Na?“ fragte dieser.

„Deine Vermutung war richtig,“ erklärte der Berliner Kommissar.

Dann bummelten sie der Langen Brücke zu und lehnten sich dicht bei der Anlegestelle der Heubuder Dampfer an das Geländer des Bollwerks, sahen den Möwen zu, die über das trübe Wasser hinstrichen und … hatten beide nur einen Wunsch, daß die Nacht bald käme, denn die Erwartung dessen, was – vielleicht! – in dieser Nacht sich ereignen würde, lag ihnen wie eine starke Erregung in allen Nerven.

Der Dampfer kam. Spengler und der würdige Herr Kanzleisekretär verließen ihn getrennt, und letzteren rief dann der eine der Heizer an, fragte, ob er das Päckchen des alten Herrn tragen dürfe, fügte aber leise hinzu: „Begib dich aufs Polizeipräsidium zu Kommissar Ihle, Karl! Ich komme nach.“

 

20. Kapitel.

Ihle hatte für ein einfaches kaltes Abendbrot und etwas Trinkbares gesorgt.

Wir saßen in seinem Dienstzimmer um den großen Schreibtisch herum. Papierservietten vertraten das Tischtuch, und mit Tellern, Messern und Gabeln war es auch schwach bestellt. So war es zwar recht gemütlich, doch – wir hatten alle keinen rechten Hunger. Nur die Kognakflasche und die beiden vorhandenen Gläschen wanderten häufig von einer Hand in die andere.

Spengler erzählte, wie er dazu gekommen war, seinen friedlichen Dorfschullehrerberuf gegen seinen jetzigen etwas aufregenderen zu vertauschen. Die Geschichte war ein ganzer Roman, er verstand zu erzählen, und die Zeit verging schnell.

Ihle sah nach der Uhr. –

„Aufbruch, meine Herren!“ sagte er und erhob sich. „Wir müssen kurz nach zehn Uhr an Ort und Stelle sein.“

Alles war schon vorher verabredet.

Tory und ich bildeten sozusagen die Vorhut. Dann kam in hundert Schritt Entfernung das Gros, Ihle und Haßfeld, und Spengler wieder stellte allein die Nachhut dar.

Als wir in die Breitgasse einbogen, begann es zu tröpfeln. Die Luft war mit warmer Feuchtigkeit gesättigt, richtige Gewitterluft.

Im Pfeffergang waren abends ‚zufällig‘ gerade die beiden Laternen rechts und links vom leeren Hause durch einen ‚Betrunkenen‘ nicht nur ausgedreht, sondern auch der Glühstrümpfe beraubt worden, so daß bei dem sternenlosen Himmel vor dem alten leer stehenden Gebäude nun eine sehr zweckdienliche Finsternis lagerte.

Tory hatte im Moment die Haustür mit dem Dietrich geöffnet, nachdem hinter uns Ihle dreimal kräftig gehustet hatte – ein Zeichen, das uns besagte: Die im Pfeffergang postierten beiden Beamten haben nichts verdächtiges bemerkt und der Weg ist frei!

Wir fünf stiegen nun im Dunkeln die Treppen empor. Die Haustür war wieder abgeschlossen worden. – Wir nahmen uns nicht weiter in acht. Mochten die Stufen ruhig knarren.

Jetzt ging’s in das Mordzimmer hinein. Auch diese Tür wurde hinter uns wieder verschlossen, wie wir sie gefunden hatten.

In dem unheimlichen Raume war es stockfinster. Wir standen dicht beieinander regungslos still, bis Ihle seine Laterne eingeschaltet hatte und uns nun schnell unsere Plätze zuwies und zwar so, wie Tory es gewollt hatte.

Tory und ich setzten uns auf die morschen Dielen in die Ecke links von den Fenstern. Als Deckung hatten wir einen alten Aktenbock vor uns. Spengler wieder saß vor dem Mauerpfeiler zwischen den Fenstern hinter zwei zusammengerückten Stühlen, und Ihle und Haßfeld hatten die andere Fensterecke uns gegenüber inne, wo ein kleiner, umgelegter Tisch sie gegen vorzeitiges Bemerktwerden schützte. –

Wir fünf hatten unsere Plätze also so, daß die Tür nach der Treppe links von uns, die nach dem Nebenraum rechts von uns lag, während der große Tisch mit der Vase darauf vor uns stand. Da wir uns mit dem Rücken gegen die Wand lehnen konnten, war die Sitzgelegenheit leidlich bequem, wenn auch etwas hart.

Nachdem wir uns zurechtgesetzt hatten, schien das dunkle Mordzimmer wieder so still und leer zu sein wie vordem. Nur ein sehr gutes Ohr hätte das Atmen mehrerer Menschen vielleicht wahrgenommen. –

Was die folgenden Vorgänge anbetrifft, so kann ich natürlich nur meine eigenen Beobachtungen hier wiedergeben. Ich glaube aber, daß auch die anderen genau dasselbe gesehen und gehört haben müssen. – –

Die anfangs so undurchdringliche Dunkelheit vor mir – von den Fenstern konnte ich, so wie ich saß, nichts sehen – wurde bald durch einen hellen Fleck ein wenig lichter, der bei etwa runder Gestalt allmählich deutlicher und deutlicher wurde.

Tory hatte mich durch ein paar Worte, die wie ein Hauch an mein Ohr drangen, auf ihn aufmerksam gemacht. Ich hätte ihn aber ohnedies bemerken müssen, da er wie gesagt langsam an Lichtstärke zunahm und die Umrisse auch bald ziemlich klar hervortraten.

Dieser runde helle Schein machte ganz den Eindruck, als wenn eine vor uns ausgespannte schwarze Leinwand etwa einen Meter über dem Boden ein mit durchsichtigem Papier überklebtes, großes Loch hätte, das von hinten durch eine Laterne mit weißem Licht, deren Docht man höher und höher schraubte, erleuchtet wurde.

Ich war mir schnell klar darüber, daß es nur die Lahore-Vase sein konnte, die jetzt infolge der besonderen Bestandteile ihrer Gußmasse die am Tage aufgesogene Lichtmenge verstärkt wieder ausstrahlte. Bald wurde das Leuchten so intensiv, daß ich einen Teil des großen Tisches ebenfalls erkennen konnte. Die Umrisse der Vase hoben sich nun in leicht verschwommenen Linien von dem ringsum lastenden Dunkel ab.

Ich gebe zu, daß meine Nerven, die schon vorher in Erwartung der kommenden Dinge recht rebellisch gewesen waren, jetzt so ziemlich versagten.

Man stelle sich auch vor, ich saß in einem finsteren, dumpf riechendem Zimmer, in dem vor kurzem ein Mensch unter den Händen eines Mörders sein Leben ausgehaucht, saß wenige Schritte von dem Kachelofen entfernt, neben dem die Leiche in der Drahtschlinge an der Wand gehangen hatte; und ich saß hier und lauerte darauf, daß der erscheinen sollte, der die Leiche dort an dem Haken aufgeknüpft hatte …!!

Möglich, daß die Leute vom Fach wie Ihle, Haßfeld und Spengler und auch Tory, der am besten eingeweihte, durch diese Vorstellung, sich am Tatorte eines Mordes zu befinden, nicht weiter berührt wurden. Mir jedenfalls war schon reichlich unbehaglich zu Mut, bevor noch die Lahore-Vase ihre geheimnisvolle Fähigkeit zu beweisen begann. Als diese nun deutlicher und deutlicher sich bemerkbar machte, rannen mir kalte Schauer über den Leib, meine Stirn wurde feucht und meine Hände kalt und klebrig.

Ich stierte jetzt wie hypnotisiert auf die Vase, ließ kein Auge davon …

Dann geschah das Wunderbare …

Aber ehe es geschah, spürte ich wieder jenen seltsamen Geruch, jene Mischung von Moschus und Leichenausdünstung, den ich nur zu gut kannte.

Das Wunderbare …

Erst nahm die Lichtwirkung an den Rändern der Vase ab, schritt nach der Mitte zu vorwärts, machte halt, bildete so neue Umrisse von veränderter Gestalt – die eines Frauenkopfes …!!

Nun schien’s, als löse sich die uns zugekehrte Wandung des Gefäßes auf. Ich finde hierfür nur einen Vergleich. Es war so, als ob hinter einem milchigen Eisblock ein Licht brennt, als ob der Eisblock schnell schmilzt und die Lichtquelle immer klarer hervortritt, ihre Form zeigt – die eines Weiberhauptes mit hoher, eigenartiger Frisur …

Jetzt war die Wandung der Lahore-Vase scheinbar ganz verschwunden, jetzt sah ich … denselben Frauenkopf in seltsamem Licht erglühen, den wir damals von meinem Fenster aus durch das Fernglas anstaunten …

Aber jetzt befand ich mich nur etwa zwei Meter von dem rätselhaften, leuchtenden Bilde entfernt, jetzt erkannte ich, daß es sich um ein plastisches Etwas handelt, um einen vollständigen Kopf nebst Hals – vielleicht um einen künstlich hergestellten, vielleicht aber auch um das Haupt einer Toten, das vom Rumpf getrennte Haupt …

In magischem Licht erstrahlte es. Die Augen waren geschlossen. Die Ohrläppchen trugen große Gehänge und in dem Haar blitzte und funkelte es in allen Farben, so ebenso um den Hals …

Brillantschmuck war’s, der da gleißte und schillerte wie Tautropfen im Sonnenlicht – Diamanten sprühten dort, Diamanten von einer Größe, die die Sinne verwirrten im Gedanken an ihren Wert …

Ich schaute und schaute, rührte kein Glied. Mein Körper schien erstorben. Nur meine Augen lebten und mein Hirn, das unter dem Einfluß dieses Wunders gar seltsame Gedanken gebar …

Wie ein Hauch jahrtausendealter Rätsel umwehte es mich – denn Indiens Kultur ist wohl ebenso weit zurückreichend in die Anfänge der Zeitrechnung wie die der Ägypter …

Indien … – Ich glaubte den Brahmatempel in Lahore vor mir zu haben mit all seiner prachtvollen bizarren Architektur, mit seiner verschwenderischen Menge zarten Marmors, vergoldeter Wände, Elfenbein ausgelegter Türen … Feierlich ernste braune Priester schritten durch die Hallen, wandelten in ein besonderes Gelaß, in dem die Seelen-Urnen aufbewahrt wurden. Auf goldenen Gestellen standen sie. Das Gelaß war dunkel – nur die Vasen leuchteten, und in ihnen vollzog sich das Wunder, ihr Inneres strahlte auf, enthüllte Geheimnisse unfassbarer Art … – –

Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen und nur auf das leuchtende Haupt geschaut habe …

Torys Hand legte sich auf meinen Arm … Ich schrak leicht zusammen, kam zu mir, sah jetzt erst, daß die Vase bereits wieder ihre bisherigen Umrisse angenommen hatte, daß der Frauenkopf wieder verschwunden war …

Gehauchte Worte erreichten mein Ohr …

„Achtung – Achtung!!“

Ich begriff. Die Entscheidung nahte.

Ich schaltete meine Sehnerven aus, horchte nur noch.

Ich hörte die leisen Atemzüge meiner Gefährten in dieser atembeklemmenden Stille. Weiter hörte ich das Ticken meiner Taschenuhr, das schnelle Klopfen meines Herzens …

Dann – im Nebenzimmer rechts – knarrte eine lose Diele …

Jetzt wurde ein Schlüssel in das Schloß der Tür rechts von uns geschoben. Jemand versuchte aufzuschließen. Da war der Riegel zurückgeschnellt …

Die Entscheidung …

Die Vase leuchtete nur noch schwach. Überall sonst tiefe Finsternis. Meine Augen ruhten dort, wo jetzt ein Mann die Türschwelle überschritt, dabei auf eine andere knarrende Diele trat.

Dieses Aufkreischen des Holzes tat mir geradezu weh. Ich zuckte zusammen. Dann …

Ein feiner weißer Lichtstrahl blitzte auf, lief hierhin, dorthin wie ein irrender, blinkender Strich, durch Geisterhand in die Luft gezogen.

Der Lichtstrahl erlosch. Tappende Schritte, unsicher, ängstlich, näherten sich der Vase, die kaum mehr als ein heller Schein zu erkennen war. Jetzt verdunkelte eine Gestalt den runden, schimmernden Fleck …

Tory bewegte sich neben mir, stand auf, tat einen Satz nach der Tür hin, schaltete dabei seine Taschenlampe ein …

Gleichzeitig schossen vier weiße Lichtkegel durch die Finsternis, blieben auf der Gestalt eines Mannes im schwarzen Pelerinenmantel haften. Der Mann trug einen breitkrempigen Filzhut …

Und Torys Stimme gellte durch den Raum:

„Keinen Widerstand, Herr Konsul Schimpel! Sie sind umstellt …!“

Der Mann stand wie eine Bildsäule, nachdem er blitzschnell herumgefahren war …

Ich erkannte ihn …

„Professor Pinkemüller!!“ rief ich.

Tory ließ einen überraschtes ungläubiges „Nicht möglich …!!“ hören.

Im Zimmer war’s lebendig geworden. Die Dunkelheit spie andere Gestalten aus. Und Ihle näherte sich als erster dem Regungslosen, legte ihm die Hand schwer auf die Schulter und sagte:

„Im Namen des Gesetzes erkläre ich …“

„Halt – halt!!“ fuhr Tory dazwischen. „Es ist der falsche …!“

Pinkemüller regte sich. Und mühsam quälte er die Worte hervor: „Sie haben mich sehr erschreckt, meine Herren!“

Er nahm sich zusammen, blickte um sich. Dann blieb sein Auge auf Tory ruhen. Der trug wieder die Verkleidung des Bureauvorstehers Schmidt.

„Wer sind Sie …?“ fragte Pinkemüller schnell. „Ihre Stimme ist die meines Neffen, aber …“

„Ich bin Viktor Ruhnau!“ erwiderte Tory laut. „Und die drei Herren dort sind Kriminalbeamte!“

Der Professor nahm unwillkürlich den Hut vom Kopf; Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.

„Kriminalbeamte …?!“ sagte er tonlos. „Nicht – nicht – – das kann nicht sein!“

Ihle erwiderte streng: „Es ist so, Herr Professor!“ Und er nannte Namen und Amtstitel. „Wollen Sie mir bitte Aufklärung darüber geben, zu welchem Zweck Sie hier eingedrungen sind …?!“

Pinkemüller brach jetzt völlig zusammen. Ihle und ich stützten ihn, sonst wäre er umgesunken. Haßfeld schob ihm einen Stuhl hin …

Wir standen um den halb Bewußtlosen im Kreise herum.

Dann begann Tory ihn auszufragen. Er nannte ihn ‚Sie‘ wie einen Wildfremden. Pinkemüller stöhte darauf …:

„Ah – er hat mich belogen – der Schuft – der Schuft …!!“

Die Wut gab ihm die Kräfte zurück.

Und Tory bohrte und forschte weiter. So erfuhren wir, was uns zu wissen nottat. – –

Nachher brachte ein Taxameter den Professor, Spengler und die Lahore-Vase nach dem Polizeipräsidium.

 

21. Kapitel.

Konsul Schimpel saß in seinem Privatkontor an dem großen Diplomatenschreibtisch. – Die Lampe hatte einen grünen Schirm. Unter dieser Beleuchtung sah des Konsuls sonst so energisches Gesicht ganz verfallenen aus – wie eine entstellte Totenmaske …

Es war Mitternacht; ringsum alles still. Nur er allein befand sich in dem großen Gebäude der Firma – er allein – mit bösen Geistern als Gesellschaft. Und diese Geister waren seine Gedanken …

Schimpel saß wie eine Statue – mit halbgeschlossenen Augen, den Kopf in die Linke gestützt …

Wenn Pinkemüller nur erst zurück wäre …!! Wenn nur erst die Vase dort auf dem Tisch stehen würde …!! – Wozu diese Angst …?! Wozu eigentlich?! Es war ja keine Gefahr dabei …!! Pinkemüller würde den Auftrag schon erledigen …! Für tausend Mark würde der noch ganz anderes ausführen …!

Woher trotzdem dieses lähmende Furchtgefühl?! Woher diese Unrast, diese Unsicherheit, dieser Verlust der früheren geistigen und körperlichen Spannkraft …?! –

Das verd… Mädel, die Hildegard, – daß sie auch ausgerechnet zu Katzenstein mit dem Schmuck sich hinverirren mußte …!! –

Ja, seit er dies wußte, seit die indische Halskette bei Katzenstein sich befand, war er ganz aus dem seelischen Gleichgewicht gekommen, verfolgten ihn ständig Gespenster …! Wenn er recht hatte, wenn Katzenstein nachforschen ließ, wer das Mädel gewesen, wenn ein Zufall ihn auf seine Spur führte, – – dann – dann war alles verloren …! Kam der Stein erst einmal ins Rollen, so gab’s kein Halten mehr …! – –

Schimpel hob plötzlich lauschend den Kopf. Die Seitenpforte wurde aufgeschlossen, die den zweiten Zugang über eine schmale Treppe zu seinem Privatkontor bildete.

Es konnte nur Pinkemüller sein …!! Er hatte ihm den Schlüssel der Pforte mitgegeben.

Schimpel sprang auf, knipste den Kronleuchter an.

Dort neben dem Bücherschrank hinter der Portiere war die zweite Tür nach der schmalen Seitentreppe hin.

Schimpel eilte dem Schwager entgegen …

Ob er die Vase mithatte …?! Ob sie noch unversehrt sein mochte, ob die Geschmeide und der Frauenkopf sich noch darin befänden …?

Er schlug die Portiere zur Seite. Da öffnete sich schon die Tür …

Ihle wurde sichtbar, dahinter Viktor Ruhnau, Haßfeld und ich …

Der Konsul prallte zurück. – Wir traten schnell ein.

Schimpel mußte bessere Nerven haben als ich. Obwohl bleich wie der Tod, fragte er dennoch ärgerlichen Tones:

„Was soll das, meine Herren?! Was wünschen Sie hier?!“ Unwillkürlich eilte seine Augen jedoch mit Fluchtgedanken nach der anderen Tür hin.

Haßfeld war’s, der den Blick richtig deutete, der schnell an dem Konsul vorbei schritt und sich vor jenen Ausgang stellte.

Schimpels Gesicht wurde grau.

Da erwiderte Ihle: „Wir haben verschiedene Fragen an Sie zu richten. Setzen Sie sich dorthin! – Bitte – gehorchen Sie …!!“ Der Ton duldete kein Widerstreben, und der Konsul ließ sich in den Sessel fallen.

Ihle setzte sich gleichfalls. Und auch wir drei anderen zogen uns Stühle herbei.

Schimpel spielte nervös mit dem Brillantring am kleinen Finger. Es war ein sehr eigenartiger, alter Ring.

Ihle schaute mahnend zu Tory hinüber. Das hieß: ‚Bitte – beginnen Sie doch!‘

Tory stand auf, entfernte die Perücke, den falschen Bart … Der Bureauvorsteher mauserte sich, wurde zu Viktor Ruhnau.

Des Konsuls stiere Augen, unnatürlich geweitet, klebten auf dem Gesicht des Stiefsohnes, der nun zu ihm sagte – kalt und schneidend:

„Geben Sie zu, daß Sie den Brahmanen, den indischen Priester aus Lahore, der sich hier Tompson nannte, ermordet haben …?“

Schimpel schwieg, zog mit dem Versuch eines verächtlichen Lächelns die Achseln hoch.

Da sprach Tori weiter:

„Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie der Mörder sind! Hören Sie – und wenn Sie können, widerlegen Sie mich! – –

Damals an jenem Abend, in jener Nacht besser, in der der Inder ermordet wurde, beobachteten wir die leuchtende Vase drüben im leeren Hause, wir – Dr. Wilde und ich. –

Ich wußte genug von den Eigentümlichkeiten der Lahore-Vase, um mir auch den strahlenden Frauenkopf sofort richtig zu deuten; ich wußte daß, nach Abschaffung der Witwenverbrennung in Indien durch die Engländer, ganz im geheimen ein neuer Brauch aufgekommen sein sollte, anstatt aus Liebe und Treue zu dem toten Gemahl die nunmehr verbotenen Scheiterhaufen zu besteigen, sollten die Witwen indischer Fürsten sich durch einen Trank betäuben und dann freiwillig – – enthaupten lassen. Der Kopf aber wurde einbalsamiert und auf besondere Art präpariert, dann mit dem wertvollsten Schmuck der Toten geschmückt und in eine jener berühmten Vasen eingegossen. – –

Ich sah das Frauenhaupt, sah die gleißenden Diamanten und hätte schon in jenem Moment schwören können, es ist eine der neueren Lahore-Vasen, die dort drüben steht. –

Wir hörten aber auch die Todesschreie des Opfers, gingen hinüber, fanden die Leiche und nahmen die Lahore-Vase mit. –

Wer der Tote war, wußte ich bald. Tompson aus den Nebenhause – Tompson, der am Nachmittag vor dem Morde aus der Dachluke mit einem Fernglas in jenes Zimmer hinein gespäht hatte. – –

Die Vorsehung schickt uns oft auf gar seltsame Wege. Sie, Herr Konsul Schimpel, hatten dafür gesorgt, daß ich nicht, wie es mir zustand, die vollen Zinsen meines Erbteils erhielt. Und so haben sie mich eigentlich, da ich dringend Geld brauchte, zu jenen Pfandleiher hin getrieben, bei dem auch zur selben Zeit ein junges Mädchen ein indisches Brillanthalsband versetzte. Das Halsband war Katzenstein einst geraubt worden zusammen mit anderem verpfändeten Schmuck. Ich sollte für ihn nun Nachforschungen anstellen, wer jenes Mädchen gewesen, das sich mit falschem Papier ausgewiesen hatte und das dann jenes Schriftstück, von Reue und Gewissensbissen gepackt, an die Kartenlegerin Link aus Heubude zurücksandte. In einer Verkleidung fuhr ich dorthin. Auf dem Dampfer waren auch Sie, Herr Konsul Schimpel. In Heubude schlich ich Ihnen nach und entdeckte so die Wohnung des blonden Mädchens – noch mehr, ich belauschte ein Gespräch zwischen Ihnen und einer Frau, bei dem durch Andeutungen zu Tage kam, daß Sie einst in Indien gewesen waren, dort in Lahore zusammen mit einem Engländer Woakfield drei Lahore-Vasen aus dem Brahmatempel geraubt hatten und daß die von dem blonden Fräulein versetzte Halskette einst in eine der von Ihnen gestohlenen Vasen eingeschlossen gewesen war. –

Auf meinem Lauscherposten vor dem nur angelehnten Fenster verstand ich nicht alles, konnte mir aber das Fehlende unschwer ergänzen. –

Die Frau, mit der Sie sprachen, ist die Mutter jenes Mädchens, das Sie gezwungen haben, das Halsband zu verpfänden, weil Sie längst vor dem Ruin stehen, infolge fehlgeschlagener Börsengeschäfte. Und – um es gleich zu sagen! – jene Frau Schollert in Heubude ist nicht Ihre Schwester, sondern Ihre rechtmäßige Frau, die Sie als Witwe geheiratet haben, und Hildegard ist mithin Ihre Stieftochter und trägt zum Glück nicht Ihren Namen, der nicht Schimpel, sondern Schollert lautet. –

Sie haben also außer anderen Verbrechen auch das der Bigamie begangen und zwar im Einverständnis mit Ihrer ersten Frau, der Schollert, wollten nichts anderes, als den Ruhnauschen Reichtum an sich bringen …! – –

Zurück zu dem Morde. –

Tompson hatte ein fremdländisches Aussehen, er führte Zeichnungen bei sich, die nur den Zweck haben konnten, nach bestimmten Schmucksachen oder besser nach den Lahore-Vasen, in denen sie einst verborgen gewesen, zu suchen. Ein in London von mir besuchter Vortrag hatte mir die Kenntnis der Besonderheiten dieser seltsamen Urnen vermittelt. Der Vortragende hatte auch erwähnt, daß eine neuere Art von Lahore-Vasen vorhanden sein sollte und daß es einmal zwei Leuten geglückt sei, drei dieser Vasen zu stehlen, hatte hinzugefügt, daß den Dieben dies teuer zu stehen kommen dürfte, da die Priester des Brahmatempels die hartnäckigsten Verfolger wären, die es nur geben könnte. – –

Dies alles hatte mir genügt. Tompson konnte nur einer dieser Verfolger sein. Und Sie, Herr Manfred Schollert alias Schimpel, der Sie in rechtsungültiger Ehe mit meiner Mutter gelebt haben – Sie haben diesen Brahmanen ermordet! Die nähere Vorgeschichte dieses Verbrechens glaubte ich mir folgendermaßen zusammenstellen zu können:

Von den drei einst geraubten Vasen hatten Sie mit Ihrem Helfershelfer zwei zerstört, um die Schmuckstücke der darin eingeschlossenen Köpfe indischer Fürstinnen herausnehmen zu können. Eine befand sich noch in Ihrem Besitz. Sie hatten sie gut versteckt – irgendwo. Da war Ihnen einer Ihrer Verfolger nach Jahren endlich auf die Spur gekommen. Er hat sie wahrscheinlich dazu zu zwingen gewußt, die Vase in das leere Haus zu schaffen, damit er sie dort abholen konnte. Sie aber haben ihm aufgelauert und ihn beseitigt. –

So muß der Zusammenhang gewesen sein. –

Gestehen Sie nunmehr alles ein?“

„Phantasierereien eines Unreifen!“ sagte Schollert höhnisch. Aber sein Gesicht war grau und angstverzerrt.

„Gut denn. So muß ich auch das weitere hier anführen, was gegen Sie zeugt,“ fuhr Tory fort. „Sie hatten den Mord vollbracht, wollten die Vase, durch die Sie den Inder in jenes Zimmer gelockt hatten, wieder mitnehmen. Da hörten Sie ein Geräusch unten im Flur. Eine Flucht mit der schweren Vase in den Armen war unmöglich. Sie ließen die Urne daher zurück, entwichen über den Lagerplatz nach der Lavendelgasse zu. Aus den Zeitungen erfuhren Sie dann, daß die Polizei am Tatorte keine Vase mehr vorgefunden hatte, überhaupt nicht ahnte, daß eine solche Urne bei dem Verbrechen eine Rolle gespielt haben könnte. Hatte aber die Polizei von der Vase keine Kenntnis, so mußten der oder die Personen, durch die Sie verscheucht worden waren, die Urne mitgenommen haben – so sagten Sie sich. Und weiter schlossen Sie daraus, daß der oder die Diebe der Vase die Polizei von dem Morde auf so vorsichtige Weise benachrichtigt hatten, auf die Absicht dieser Leute, den gestohlenen Gegenstand zu behalten und seine Existenz ganz zu verschweigen. Um nun wieder in den Besitz der Urne zu gelangen; benutzten Sie den Weg einer öffentlichen Anzeige, die ja in der Fassung, wie Sie sie der ersten Annonce gaben, niemanden besonders auffallen konnte. Sie ahnten nicht, daß ich den Mörder bereits kannte, und selbst als Sie erfuhren, daß wir in Verdacht standen, den Mord verübt zu haben, glaubten Sie noch immer, wir wüßten nicht, wer der Täter sei. Im Gefühl voller Sicherheit für Ihre Person ließen Sie sich auf die mit Hilfe jener Anzeige geführten Verhandlungen über die Rückgabe der Vase ein. Als sie dann noch heute hörten, daß mein Freund Wilde verhaftet sei, während Sie mich als Flüchtling irgendwo außerhalb der Stadt wähnten, als Sie durch Pinkemüller, den Sie nach dem Pfeffergang geschickt hatten, bestätigt erhielten, Wilde sei wirklich verhaftet worden, da haben Sie nicht etwa beschlossen, selbst die Vase aus dem leeren Hause zu holen, sondern Pinkemüller dazu bewogen, indem Sie ihm ein guterfundenes Märchen aufbanden und ihm tausend Mark versprachen. Weshalb Sie sich nicht selbst in das leere Haus wagten, meine ich recht gut zu durchschauen: Sie scheuten sich, den Tatort nochmals zu betreten!! –

Nur die abergläubische Furcht vor jener Stätte Ihres Verbrechens veranlaßte Sie, Pinkemüller dorthin zu senden. Sie hielten dies für ganz ungefährlich, da Sie sich gesagt haben dürften, daß der verhaftete Wilde auf keinen Fall von der Vase sofort der Polizei Mitteilung machen, sondern erst abwarten würde, wie die Dinge sich weiter entwickelten, denn Wilde mußte ja daran denken, wie schwer er sich belastete, wenn er zugab, damals im Verein mit mir, dem inzwischen Entflohenen, die Urne gestohlen zu haben, wodurch die Polizei sofort einen Raubmord ihm hätte vorwerfen können – Raubmord der Vase wegen! Gewiß – mein Freund hätte auf die Annoncen hinweisen können, aus denen doch hervorging, daß ein anderer das größere Interesse an der indischen Urne hatte. Aber – würde die Polizei diese Annoncen nicht als bloße Spiegelfechterei angesehen haben, nicht ihm vorgehalten haben, er hätte sie sämtlich, Anfragen und Antworten, selbst einrücken lassen?! – –

Dies müssen Sie sich, Manfred Schimpel, genau überlegt haben und dabei zu dem Schluß gelangt sein, Wilde würde fürs erste noch von der Vase schweigen und höchstens in äußerster Not eingestehen, daß wir damals zu Dieben geworden und der wahre Mörder anderswo zu suchen sei. –

Wir haben Pinkemüller vor einer halben Stunde etwa in dem leeren Hause verhaftet, und er hat auch eingestanden, daß er in Ihrem Auftrag handelte! – –

So, Manfred Schollert – wollen Sie jetzt der Wahrheit die Ehre geben oder hoffen Sie noch immer, daß Ihnen Ihre Schuld nicht nachgewiesen werden kann?“

Der Konsul starrte zu Boden. Seine feinen Lippen zuckten. Sein ganzes Gesicht sah plötzlich verfallen und gänzlich verändert aus.

Minuten bedrückenden Schweigens folgten. Die, die diesen großen Verbrecher gefangen hatten, warteten geduldig auf die Antwort. Man merkte ihm ja an, daß er mit sich kämpfte, nachdem er sein Hirn vergeblich nach einem Ausweg aus dieser Falle gemarterte hatte.

Dann zeigte sich, daß dieser Mann in der Tat über Nerven verfügt, die vielleicht einmal für kurze Zeit versagen konnten, die aber doch sehr bald wieder die alte Spannkraft erlangten.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich abermals. Die scharfen Linien rücksichtsloser Energie traten wieder deutlich hervor. Er richtete sich auf, hob den Kopf. Etwas wie ein höhnisches Lächeln zuckte um seinen Mund. Seine Augen suchten die seines Stiefsohnes.

„Ich habe dich unterschätzt, Viktor,“ sagte er laut. „Du hast in dem Kampf zwischen uns gesiegt.“ Und nach kurzer Pause: „Hildegards Unvorsichtigkeit ist mein Verderben geworden. Ich habe nicht gewußt, daß sie aus Gewissensbedenken das Schriftstück, das sie als Legitimation benutzte, der Besitzerin wieder zugestellt hat. Mir erzählte sie, sie habe es vernichtet. – Es hat so sein sollen. Das Spiel ist aus.“

Ihle stand auf, trat näher an Schollert heran.

„So gestehen Sie alles ein?“ fragte er gespannt.

„Ja – alles! Leugnen hat ja doch keinen Zweck mehr. Der Brahmane Murasiwa war mit zwei anderen Indern seit Jahren in Europa. Ich hatte meine Spur gut verwischt. Erst vor vier Wochen fand er mich, er, der hartnäckigste meiner Verfolger. Die beiden anderen sind vor einem Vierteljahr, überzeugt von der Nutzlosigkeit weiterer Nachforschungen, nach Lahore zurückgekehrt. Dies teilte Murasiwa mir bei einer unserer heimlichen Zusammenkünfte leichtsinnigerweise mit, bei denen wir über die Rückgabe der Vasen verhandelten. Die Hilfe der Polizei konnte er nicht in Anspruch nehmen, da die englische Kolonialregierung keine Beweise für den neuen Brauch des freiwilligen Todes indischer Fürstenwitwen durch Enthauptung erhalten sollte und da, falls dies an die Öffentlichkeit gedrungen wäre, die Priester des Brahmatempels schwere Bestrafung zu erwarten hatten. –

Ja, alles ist richtig! Wir, Woakfield und ich, haben gerade die drei Vasen, die drei Köpfe von Fürstinnen und kostbaren Schmuck enthielten, gestohlen, ich habe dann absichtlich Murasiwa vorgeschlagen, für ihn die letzte noch erhalten gebliebene Vase in jenes Zimmer zu stellen. Aber – auch er ging mit dem Gedanken um, mich zu beseitigen, er brachte die Drahtschlinge mit, um mich zu erdrosseln. Er ahnte wohl, daß er mich in jenem Zimmer gleichfalls vorfinden würde. Es kam zum Kampf. Ich war der Stärkere. Einen Meuchelmord hatte ich beabsichtigt; schließlich tötete ich aus Notwehr.“

Dann mischte sich Haßfeld ein.

„Sie geben auch zu, damals den Pfandleihern Katzenstein in Berlin niedergeschlagen und den Tresor geplündert zu haben, nachdem Sie die Gelegenheit durch Versetzen der Vase bei ihm genügen ausgekundschaftet hatten, – auch, daß Sie und Woakfield absichtlich verschiedene Schmuckstücke, darunter auch die indische Halskette aus einer der zerstörten Vasen, bei Katzenstein vorher hatten beleihen lassen, um so doppelten Gewinn zu erzielen: die Leihsumme in bar und nachher die beliehenen Geschmeide selbst durch den Raub …?“

„Es ist so,“ erwiderte Schollert ohne Zögern.

„Viktor Ruhnau hat auch dies aus den ihm bekannt gewordenen Tatsachen richtig kombiniert,“ erklärte Haßfeld. „Er hat mich dann telegraphisch gebeten, die Akten über den damaligen Raubüberfall auf Katzenstein durchzusehen und herzukommen. – Ihr Schuldkonto wächst, Schollert! – Was ist aus Woakfield geworden?“

Schollert senkte den Blick vor Haßfelds harten Augen. Dann sagte er leise:

„Ich wollte keinen Mitwisser haben, als ich mit Hilfe falscher Papiere mich um die Stellung als Prokurist bei der Firma Ruhnau zu bewerben gedachte. Ich stamme aus guter Familie, habe eine sehr gute Schulbildung genossen und bin im Auslande stets in leitenden Stellungen bei großen Firmen beschäftigt gewesen. Mein Unglück wurde meine unbezähmbare Sucht nach Reichtum und mein Ehrgeiz. Ich hatte hochfliegende Pläne, wollte selbst Chef eines Handelshauses, Besitzer von Millionen werden.“

„Sie haben also auch Woakfield, kurz gesagt, beiseite geschafft?“ fragte Haßfeld mit ernster Betonung.

„Ja …!“

Ihle legte die Hand jetzt leicht auf des Mörders Schulter.

„Im Namen des Gesetzes …“ begann er, aber Schollert unterbrach ihn mit einem Auflachen …:

„Sparen Sie sich die Verhaftungsformel, Herr Kommissar. Ich habe mich selbst gerichtet. Hier dieser Brillantringen an meinem kleinen Finger ist ebenfalls indischer Arbeit. Unter dem beweglichen Stein lag ein Kügelchen. Ich habe es vorhin verschluckt, ohne daß Sie es merkten, vorhin, als ich das Spiel verloren gab. Warten Sie noch ein paar Minuten. Dann können Sie meine Leiche fortschaffen lassen …“

Seine Stimme klang bereits unsicher und schwankend. Sein Gesicht zuckte wie im Krampf. –

Er hatte nicht gelogen.

Eine halbe Stunde später brachte ein polternder Transportwagen den toten Verbrecher durch die nächtlich stillen Straßen nach dem Leichenschauhaus.

 

22. Kapitel.

Tory und ich gingen heimwärts in meine versiegelte Wohnung.

Wir hatten uns soeben von Haßfeld getrennt, der in seinem Hotel noch schnell ein paar Stunden schlafen wollte, da er bereits mit dem Frühzug nach Berlin zurückkehren mußte. Beim Abschied hatte Haßfeld allen Ernstes Tory den Vorschlag gemacht, bei der Berliner Kriminalpolizei einzutreten. –

„Du wirst Karriere machen, Viktor, glaube mir!“ hatte er gesagt. „Du bist aus dem Holze geschnitzt, aus dem die ganz großen meiner Kollegen, die internationalen Berühmtheiten, ebenfalls hervorgegangen sind.“ –

Viktor aber hatte sehr ernst erwidert: „Lieber Haßfeld, vor mir liegt jetzt eine andere Ehrenpflicht; der gegenüber meine persönlichen Wünsche und Neigungen zurücktreten müssen. Der alte Name unserer Firma soll wieder zu Ehren kommen! – Gewiß, ich bin kein Kaufmann. Aber ich werde es werden. Ich denke dabei an das Wort Bismarcks ‚Man setzte Deutschland nur in den Sattel, reiten wird es dann schon von alleine!‘ – –

Da war Haßfeld nach festem Händedruck im Eingang seines Hotels verschwunden.

Und nun gingen wir beide, noch ganz erfüllt von den soeben durchlebten Szenen, besonders dem Tode dieses Verbrechers, der vielleicht zu Großem berufen gewesen wäre, wenn er mehr moralischen Halt besessen hätte, schweigend durch die Straßen, während bereits der Morgen zu grauen begann.

Ich fühlte mich jetzt, wo ich mit Tory allein war, recht bedrückt. Ich dachte an meine kleine blonde Madonna, die ich, wie ich glaubte, dem Freunde abspenstig gemacht hatte. Immer wieder nahm ich einen Anlauf zu einer offenen Beichte. Aber ich brachte nicht einmal das erste Wort über die Lippen.

Da begann Tory ganz unvermittelt selbst von Hildegard zu sprechen.

„Das arme Mädel, Schollerts Stieftochter, tut mir von Herzen leid,“ meinte er. „Was soll nun aus ihr werden! Ihre Mutter wird fraglos morgen verhaftet. Sie ist in Schollerts dunkle Angelegenheiten nur zu sehr mit verwickelten.“ –

Kleine Pause. Dann:

„Übrigens, lieber Karl, – Spengler erzählte mir da vorhin etwas recht Merkwürdiges. Du scheinst dich ja mit Hildegard recht schnell und recht stark angefreundet zu haben. Wie würde ich mich freuen, wenn du alter, eingefleischter Junggeselle hier vielleicht die rechte gefunden hättest.“

Ach – wie eilig fragte ich da …:

„Wirklich – du würdest dich freuen, Tory?“

Da blieb er stehen, sah mich fest an: „Dachtest du etwa, daß ich mich in Hildegard rettungslos par distance verliebt hätte?“

Ich konnte nicht anders, – ich umarmte ihn, fragte strahlend:

„Mir fällt ein Stein vom Herzen!! Ich bin ja schon mit ihr verlobt!!“

„Donnerwetter!! – Etwa als Kanzleisekretär Hennig …?“

„So halb und halb ja. – Komm’ weiter, – ich werde beichten …“

*

Am Vormittag gegen neun Uhr erschien Viktor bei seiner Mutter, um diese schonend auf die Geschehnisse und Enthüllungen der vergangenen Nacht vorzubereiten.

Er fand dort Professor Pinkemüller vor, der bereits in heller Entrüstung von dem ‚infamen Streich‘ berichtet hatte, der ihm von dem Konsul gespielt worden war.

Viktor hatte es daher nicht mehr allzuschwer, der Mutter beizubringen, daß sie niemals des angeblichen Schimpel rechtmäßige Gattin gewesen war.

Frau Ruhnau fiel in Ohnmacht, erholte sich aber schnell und bewies eine seltene Energie, ließ sofort ihre Koffer packen und reiste, von ihrer Jungfer begleitet, nach der Schweiz, um dort so lange zu bleiben, bis über diesen demütigenden Skandal Gras gewachsen war.

Auch mit Pinkemüller hatte Viktor ordentlich abgerechnet und reinen Tisch gemacht. Der Professor wurde dann auch bald in ein Provinznest versetzt, da seiner vorgesetzten Dienstbehörde doch so allerlei zu Ohren gekommen war, was für Pinkemüller einen Luftwechsel angebracht erscheinen ließ.

Viktor nahm zur Führung des Haushalts die Tante Adelheid zu sich, die wieder in der blonden Madonna eine fleißige Stütze fand. Kein Wunder, daß ich daher bei Ruhnaus jetzt ein sehr häufiger Gast wurde, – doch nicht zu lange.

Im Herbst feierten wir still in ganz kleinem Kreise Hochzeit. Trauzeugen warnen Tory und Haßfeld. Aber auch Ihle und Spengler hatten wir eingeladen. Ersterer erzählte mir dann bei der Hochzeitstafel, daß die Lahore-Vase der englischen Regierung zur Verfügung gestellt, und daß der unheimliche Kunstgegenstand nachher von den Priestern des Brahmatempels in Lahore als Eigentum glatt verleugnet worden sei, ebenso wie die Brahmanen auch bestritten hätten, je eine solche Vase mit einem Fürstinnenkopf im Innern besessen oder gar einen der ihren als Verfolger irgendwelcher Diebe nach Deutschland gesandt zu haben. Wo die Vase jedoch geblieben sei, wisse niemand, da sie auf rätselhafte Weise auf dem Transport nach dem Britischen Museum in London verschwunden wäre.

„Vielleicht steht sie bereits wieder in einem geheimen Gelaß des Brahmanentempels in Lahore!!“ fügte Ihle vielsagend hinzu.

*

Was ich über die Lahore–Vase zu berichten wußte, habe ich getan; was meine Madonna und mich anbetrifft, so mag der Leser selbst entscheiden, ob wir glücklich sind. Wir haben uns in drei Jahren ‚Ehekrieg‘ erst ein einziges Mal gezankt, und dies wegen des Namens unseres Stammhalters. Hilde stimmte für Karl, ich für Viktor. Und ich habe gesiegt.

Der Junge heißt Viktor Karl Ernst Wilde …!

Torys ‚erster‘ soll Karl Viktor Ernst heißen, – aber vorläufig ist Tory leider noch Junggeselle, trägt Monokel wie früher und ist der eleganteste und vielleicht der tüchtigste Großkaufmann Danzigs.

 

 

Anmerkungen:

  1. veraltet für unreifer junger Mensch
  2. Tory ist ein Angehöriger der konservativen Partei in England
  3. Knagge (nordd.) für dreieckige Stütze, Leiste, Winkelstück
  4. Vorhafen von Danzig
  5. einfachster Projektionsapparat
  6. Traft (nordostd.) großes Floß auf der Weichsel
  7. Die geröstete Wurzel der Wegwarte (cichorium) diente seit Ende des 17. Jahrhunderts als Kaffeeersatz.