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Blonder Januskopf am Djebel Fatireh

 

Tropenglut und Leidenschaft

Eine Reihe einzigartiger tropischer Erzählungen

 

Blonder Januskopf am Djebel Fatireh

 

W. v. Neuhof

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1934 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

Vorspruch.

Der Zauberspiegel der Kleopatra.

Der Mann mit dem tiefgebräunten, kühnen Antlitz und den etwas stechenden Augen, über denen fast allzu starke Brauen sich wölbten, und das Mädchen mit dem schmalen, eigenwilligen und pikanten Gesicht und den unter dem Tropenhelm hervorquellenden, leicht gelockten blonden Haaren, standen inmitten des leeren Steingemaches, von dessen Wänden noch Fetzen uralter Seidenstoffe herabhingen, und lauschten mit angehaltenem Atem auf das Poltern und Dröhnen der stürzenden Gesteinsmassen dort draußen im Tale, wo der bleiche Mond vorhin mit seltsam fahlem Licht die hellen Sandsteinschroffen beleuchtet hatte und wo nun die drückende Finsternis dieser Nacht des Umsturzes aller Dinge lastete.

Die steilen Höhen des Djebel Fatireh wankten, auch der Boden des Tales machte die wellenförmige Bewegung der Erdrinde mit, düsteres Gewölk hing wie ein schwarzes Leichentuch über den Gebirgsketten östlich des Niles, und das unterirdische Rollen steigerte sich zuweilen zu dumpfen, kurzen Explosionen.

Unaufhörlich spien die Randberge des Tales wie gereizte Giganten Felsbrocken von phantastischer Größe aus und suchten durch die herabsausenden Geschosse das Haus der Sünde zu vernichten, dessen rote Porphyrmauern, ungeheure Steinwürfel, unter dem Anprall dieser Lawinen ächzten und noch stärker bebten. Die Todesschreie zermalmter Tiere mischten sich in das angstvolle Winseln der draußen umherirrenden, dem Verderben noch entgangenen vierbeinigen Geschöpfe.

Die Welt drohte mit Untergang.

Es waren Minuten, in denen das gesamte All den Atem verhielt und abwartete, was fernerhin geschehen würde.

In dem Steingemach brannten zwei Karbidlaternen mit leise zischenden, weißen Flämmchen, und ihr kaltes Licht ließ die Züge der beiden hierher geflüchteten Menschen noch schärfer in ihrer Eigenart und in ihrer trotzigen Unerbittlichkeit hervortreten.

Aber aus dem Antlitz des Mannes war das sorglose, fast schon leichtfertig-selbstbewußte Lächeln von einst längst ausgelöscht, und nicht minder ging in dem eigenwilligen, merkwürdig widerspruchsvollen Gesicht des Mädchens eine ähnliche Wandlung vor sich, ein nachdenklicher Zug trat immer klarer hervor, und dann griff das Mädchen zaghaft und ungewiß, was es nun schauen würde, in die Wandnische hinein und nahm den uralten Spiegel mit der ovalen, polierten Silberscheibe und dem Stier aus geschnitztem Elfenbein zur Hand und warf einen scheuen, bangen und flüchtigen Blick auf ihren Gefährten.

„Glaubst du an Märchen, Jana?!“ sagte der Mann gedämpft – und doch hörte jeder heraus, daß auch er hoffte.

Das Mädchen schwieg und zauderte. Zu wichtig war die Entscheidung, die nun fallen sollte.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, und da eine innere Stimme ihr verhieß, daß der Spiegel die Erlösung bringen würde, hauchte sie die schillernde Silberscheibe mehrmals an und beobachtete sie dann wie das Antlitz einer Gottheit, aus dessen gewährendem Lächeln sie die Zukunft besserer Tage herauslesen wollte.

Der nun von ihrem Atem trübe Spiegel formte den Hauch zu einem Kopfe einer Frau von verführerischer Schönheit, mit eigentümlicher Frisur und einer Königskrone. Das Bild war klar und zeigte alle Einzelheiten des schmalen, fremdartigen Antlitzes.

Das Mädchen zitterte. Ihre Augen hafteten nicht auf dem Kopfe der Königin, sondern auf einem leeren Punkte über dem Zauberbilde – doch die Stelle blieb leer, und das Mädchen wandte sich dem Manne zu und öffnete die Lippen mit einem Lächeln der Liebe und der Hingabe, und aus ihren Zügen war alles wie weggewischt, was bis dahin äußeres Zeichen ihrer unseligen Wesensart gewesen.

Sie sah den Mann nicht mehr, er war bereits hinter sie getreten und hatte mit Bangen die Entwicklung des Spiegelbildes verfolgt. Auch aus seinen Zügen schwand der letzte Rest dessen, was einst seinen harten Sinn unerbittlich und unbarmherzig erscheinen ließ.

Das Mädchen fühlte sich umfangen, und der Spiegel glitt zu Boden, und sie bot dem Manne willig die Lippen.

Engstens umschlungen standen die beiden, Mund auf Mund wie in stillem Gelöbnis, und auf beiden Gesichtern strahlte ein verträumtes Lächeln gleich dem von Kindern, die ein aufregendes Märchen hörten und nun froh sind, daß die Prinzessin und der Königssohn sich zum Schluß doch gefunden haben.

Dann machte sich das Mädchen aus den Armen des Mannes frei und behielt nur seine Hände in ihren schlanken Fingern und sagte sanft und doch triumphierend:

„Ich wußte es, der Januskopf würde nicht mehr erscheinen, – ich hatte es herbeigewünscht mit all der Kraft meiner Liebe, die mich längst zu dir hintrieb!“

Sie hielten sich fest an den Händen und horchten.

Draußen war alles still geworden. Die Natur hatte ihren Kampf gegen das Liebesnest der Kleopatra aufgegeben, die Erdrinde regte sich nicht mehr, das finstere Gewölk hatte sich verzogen, und der Mond leuchtete friedlich vom ausgestirnten Firmament herab.

In den Herzen des jungen Menschenpaares aber strahlte die Sonne des Glückes des Sonnenlandes der Pharaonen und die noch schönere Sonne der Erinnerung und der Sehnsucht der fernen, fernen deutschen Heimat.

 

1. Kapitel.

Das Geschenk des persischen Magiers.

Zweitausend Jahre zurück – –

Der Magier kniete vor dem Throne der Königin und berührte mit der Stirn den Marmorboden. Sein großer seidener Turban mit den Pfauenfedern und der Goldagraffe lag neben ihm. – Er sprach mit der Würde seiner schneeweißen Haare und der Ruhe seiner Lebenserfahrung: „O, Königin aus dem erlauchten Geschlechte der Ptolemäer, du hast mir Gastfreundschaft gewährt und mich einen Blick tun lassen in das Treiben an deinem berühmten Hofe hier in der Stadt Alexanders des Großen. Verarge es mir nicht, wenn ich es wage, dir ein Geschenk anzubieten, das dich rechtzeitig warnen wird, wenn dir Gefahr droht.“

Er griff unter seinen Turban und brachte einen Spiegel zum Vorschein, der war aus Silber und hatte einen Elfenbeinstiel. Er hielt ihn der Königin hin und erklärte: „Sobald du, o Königin, in einer Stunde der Not dieses polierte Silber anhauchen wirst, wird darauf dein Kopf erscheinen als Gebilde deines Hauches und vielleicht über deinem Kopfe ein kleineres Doppelgesicht eines bärtigen Mannes. Erscheint beides, dein Haupt und das Doppelhaupt, so gibt es keine Hoffnung mehr für dich, – dies alles las ich aus den Sternen, die niemals lügen. Befrage den Spiegel nur in der Stunde wirklicher Not, denn wisse: Hast du je unreinen Herzens den Spiegel angehaucht, so bleiben die Bilder deines Kopfes und des Doppelhauptes so lange auf dem Silber haften, bis ein Mensch mit geläutertem Herzen sich findet und den Spiegel entsühnt durch den Odem seines Mundes, dann erst wird das Doppelhaupt verschwinden.“

Er erhob sich und ging, und die Königin schaute ihm lächelnd nach, denn sie glaubte nicht an seine Künste und an die Möglichkeit, daß es ihre Klugheit je soweit kommen ließe, daß sie in Not geriete. Sie legte den Spiegel achtlos auf den Glasbehälter, in dem sie Schlangen verwahrt hielt, damit diese sich in dem polierten Silber beschauen könnten. –

Jahre waren vergangen – –

Auf dem großen Dachgarten säuselte der Wind in den Blättern der Palmen und in den bunten, duftenden Sträuchern. Der Dachgarten glich an Pracht den berühmten hängenden Gärten der Semiramis.

Das Meer rauschte in der Ferne, und die Silbersichel des Mondes warf flimmernden Glanz über die große Stadt Alexandria, die noch vor kurzem der Mittelpunkt des Handels des Mare nostrum gewesen, – des Meeres, das nun allein von der Allgewalt des römischen Weltreiches beherrscht wurde und mit Recht von den stolzen Römern als „Mare nostrum“, unser Meer, bezeichnet wurde.

Die Zeit des Glanzes der Gründung eines Alexander des Großen war dahin, die Hafenstadt an der Nilmündung, die viele Jahre auch in Kunst und Wissenschaften alle anderen überflügelt hatte, war durch die leichtfertige, genußsüchtige und der Sinnenlust ergebene Königin Kleopatra zu einer Stätte der Völlerei und Unzucht herabgesunken.

Auf dem Dachgarten ihres Palastes stand die listenreiche Buhlerin, die mit Männerherzen stets nur ein frivoles Ränkespiel getrieben hatte, in all ihrer noch immer berückenden Schönheit, angetan mit ihren prächtigsten Gewändern, dem Manne gegenüber, dessen Adoptivvater sie vor Jahren in ihre Netze verstrickt hatte, als er ausgesandt worden, sie zu strafen und zu demütigen.

Ein Jahrzehnt war darüber hingegangen, – aus dem Adoptivsohn des Julius Cäsar war der Kaiser Augustus geworden, der nun auch seinen letzten Gegner Antinous in der Seeschlacht bei Aktion besiegt hatte. Für den Imperator Augustus hatte die Tochter des Ptolemäus nichts Verführerisches mehr an sich, ihr nach ägyptischer Sitte zu stark geschminktes Gesicht und ihre Buhlerinnenkünste stießen ihn ab, zumal er die Gedanken nicht los wurde, daß dieses Weib seinem Adoptivvater mehrere Kinder geboren hatte, – er vergaß ihr auch nicht die feige Flucht und die Untreue an ihrem jetzigen Liebhaber. – Kaiser Oktavian Augustus verachtete nichts so sehr, als den Verrat, er traute niemandem mehr, er hatte es mit erlebt, als man seinen Vater in Rom ermordet hatte.

Über dem einsamen Paare auf dem Dachgarten des Palastes schossen in pfeilschnellem Fluge Nachtschwalben hin, die in den nahen Bergen hausten, – in den Sanddünen der Wüste heulten die ewig hungrigen Schakale, und die feigen, frechen Hyänen, die sich bis in die Gärten der Stadt wagten und die Kehrichthaufen durchwühlten und die Leichen der hingerichteten Kriegsgefangenen zum Fraße vorgeworfen bekommen hatten, balgten sich untereinander aus Futterneid und lachten gellend und verhöhnten die große königliche Hetäre, – – plötzlich verstummte auch dieser Lärm, und sogar die Brandung des nahen Hafens schien schweigen zu wollen vor den entscheidenden Worten des Siegers von Aktion.

Die Natur hielt den Atem an. Der Kaiser in seiner blinkenden Rüstung hüllte sich enger in seinen weißen Umhang und wandte sein vom Monde beleuchtetes Gesicht wieder der Königin zu.

Die Natur schwieg! Die Weltgeschichte hatte wieder einmal eine ihrer wichtigsten Minuten. – Augustus begann zu sprechen. Seine Stimme war eisig und ohne Erbarmen und zerstörte schon durch ihren Klang die Hoffnungen der treulosen Frau.

„Du hast deinen Liebhaber mit deinen Schiffen im Kampfe vorzeitig im Stiche gelassen, du hast Antinous verraten und eiltest hierher, um auch mich, den Sieger, um den Preis dieses Sieges zu betrügen und mich einzufangen für deine nimmersatte Ränkesucht. Wisse denn, Antinous ist tot, als Römer zog er freiwillig die Schneide des Schwertes der entehrenden Schlinge eines Schiffstaues vor. Du aber wirst als Gefangene an meinem siegreichen Einzuge in meine Hauptstadt der sieben Hügel teilnehmen. Dein Palast ist umstellt, jede Flucht wäre aussichtslos.“

Dann ging er, ohne Gruß, ohne Mitleid.

Die schöne Königin, die noch vor Wochen mit ihrem Geliebten einen letzten, allerletzten Versuch in die Wege geleitet hatte, die leeren Kassen zu füllen und die Verbündeten durch Geld an sich zu fesseln, lehnte noch geraume Zeit an der Sandsteinbrüstung des Dachgartens und beobachtete mit starren Augen die Abfahrt des mächtigen Herrschers, der in einem von weißen Rossen gezogenen Streitwagen und umgeben von einem glänzenden Gefolge auf sein Prunkschiff sich begab, das inmitten der siegreichen Flotte im Hafen ankerte.

Kleopatras von Tränen umflorte Blicke gewahrten auch die Wachen, die ihren Palast in engem Kreise umgaben. Mit unsicheren Schritten trat sie zurück und wankte die Treppe hinab in ihr Schlafgemach, schickte die Dienerinnen hinaus und legte sich auf den mit Löwenfellen bedeckten Diwan, vergrub den Kopf in die seidenen Kissen und kämpfte den letzten Kampf mit ihrem noch immer übermächtigen Lebenswillen und der Erkenntnis, daß der Kaiser seine Drohung wahrmachen und sie als Gefangene den Bewohnern Roms zur Schau stellen würde.

In dieser ihrer Not gedachte sie des Geschenkes des Magiers zum ersten Male, und sie nahm den Zauberspiegel und hauchte die polierte Silberscheibe mehrmals an und wartete pochenden Herzens auf den Erfolg.

Der Hauch ihres unreinen Leibes formte sich zu ihrem eigenen Kopf und zu dem darüber erscheinenden Doppelhaupte, und jetzt glaubte sie an die Wahrsagung des Spiegels, er entsank ihrer Hand, und der Wille zum Leben erlosch in ihr.

Sie fürchtete den Tod schließlich weniger als die Demütigung ihres Stolzes, und mit einem bitteren Lächeln nahm sie die goldene, mit Gift gefüllte Busennadel und stieß sie sich unter dem Herzen in das Fleisch, und hiermit nicht genug, – sie griff noch in einen Behälter hinein, in dem sie aus Spielerei bisher giftige Brillenschlangen gehalten hatte, und packte die eine Natter und preßte deren Kopf an ihre Brust und ließ sich mehrmals beißen. Dann erst rief sie ihre vertrauteste Dienerin herbei und befahl ihr, dem Kaiser Augustus zu melden, daß sie in kurzem sterben würde und daß er kommen möge, da sie ihm noch etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Weinend und wehklagend eilte die Dienerin davon, und sehr bald erschien denn auch der Beherrscher Roms bei ihr und saß neben ihrem Lager und hörte ihr letztes Geständnis mit an.

Sie verschwieg ihm nichts, sprach von seinem Stiefbruder und von dem Zauberspiegel und dem Doppelhaupte und der Wahrsagung des Magiers, und der Kaiser vernahm so zum ersten Male von dem Kopf mit dem zweifachen Gesicht, das einander völlig ähnlich sah. Er entfernte sich in größter Eile, und Kleopatra rief den Vertrautesten ihrer Verschnittenen herbei, erteilte ihm einen Befehl und übergab ihm den Spiegel, damit dieser niemals mehr gefunden würde und niemanden mehr an die Schmach ihres Todes erinnere.

Gleich darauf verschied die Königin, umgeben von ihrem ganzen Hofstaat, der hier im Palaste nun zum allerletzten Male versammelt war, denn fortan wurde Ägypten römische Provinz und die Kornkammer des Weltreiches.

Als Kleopatra die Augen für immer schloß, jagte bereits eine Schar von Reitern mit vielen Ersatzpferden gen Süden, um den Stiefbruder des Königs, den dieser über alles liebte, obwohl Marius nie ein Krieger gewesen und seiner angegriffenen Gesundheit wegen in der Nähe von Alexandria gelebt und sich nur als Künstler betätigt hatte, eilends zurückzurufen.

Marius hatte sich nie um Politik gekümmert, und durch Kleopatras Ränke war er völlig im unklaren darüber geblieben, daß Oktavian und Antinous sich entzweit und mit den Waffen die Entscheidung herbeiführen wollten, wer von beiden fernerhin Rom beherrschen solle. Kleopatra hatte es sogar fertiggebracht, Marius, dessen Vorliebe für wertvolle Steine sie kannte, dazu zu bestimmen, jenseits des Niles in den südwestlichen Bergen nach Rubinen und Smaragden zu suchen. Viele Monate war Marius bereits von Alexandria mit seinem Gefolge und seiner jungen Gattin abwesend, und der große Reitertrupp, der nun durch die Nacht sprengte, sollte ihn finden und sicher zurückgeleiten durch die von feindlichen Dämonen bevölkerten Berge und Wüsten, vor denen die Ägypter eine heilige Scheu empfanden von jeher, und dies hat sich bis in die neuere Zeit erhalten. Die Schrecken jener Einsamkeit und Menschenleere, die Schrecken des To-Scher, des Rotlandes, sollte auch Marius und sein Gefolge kennenlernen.

Als Marius mit seiner Gattin von Alexandria aufgebrochen war, hatte ihre Karawane aus insgesamt fünfzig, zumeist römischen Kriegern, und etwa ebensoviel Ägyptern bestanden. Die Kämpfe mit den wilden Eingeborenen und nicht minder der Hunger und der Durst rieben diese Truppe allmählich auf. Zuletzt lebten nur noch fünf der ursprünglichen Schar, und diese hatten zusammen mit dem Ehepaare und der einzigen noch vorhandenen Dienerin sich auf einer Kuppe in einem Felsentale verschanzt, wo ein spärliches Rinnsal und eine natürliche Zisterne sowie zahlreiche Hasen sie vor der ärgsten Not schützten.

Die Steinhütte des Ehepaares lag etwas abseits innerhalb des Walles und besaß mehrere kleinere Räume und ein flaches Dach, – alles hier war aus Felsstücken gefertigt, denn Bäume gab es in dieser Bergwildnis nirgends. Über das Dach war ein Sonnenzelt gespannt, und hier oben verbrachte die junge Gattin des Stiefbruders des berühmten Feldherrn Oktavian, wie er damals noch hieß, ihre einsamen Tage und oft auch die Nächte, da Marius nur Sinn für seine persönlichen Liebhabereien hatte, die den Fundstellen der edlen Steine und seiner Goldschmiedekunst galten. Was die ihm von Kleopatra verheißenen Edelsteine betraf, wurde er bitter enttäuscht, aber dafür entdeckte er Goldadern und auch fernab vom befestigten Lager einen ganzen Berg, der aus einem roten Gestein bestand, das er noch nie gesehen hatte.

Diesen Berg nannte er den Porphyrberg, also den Berg, der das Feuer in sich trug. Er war begeistert von dieser Entdeckung und ging damals schon mit dem Gedanken um, nach seiner Rückkehr nach Alexandria seinem Stiefbruder zu empfehlen, das prächtige Gestein des Porphyrberges durch Sklaven nach Rom schaffen zu lassen und es zum Bau der dortigen Staatsgebäude zu verwenden. Daß seine Frau unter seiner Vernachlässigung litt, kam ihm kaum zum Bewußtsein, denn er gehörte zu jenen Naturen, die niemals andere Pflichten anerkennen als die gegen sich selbst.

Eines Abends war er bei Vollmondschein abermals in die Berge gewandert und hatte diesmal eine ganz andere Richtung gewählt. Er verirrte sich und gelangte schließlich in ein sehr verstecktes Tal, das ebenso unzulänglich war, und stieß hier zu seiner Überraschung auf ein tempelähnliches Bauwerk, das offenbar erst kürzlich errichtet und mit kostbaren Möbeln und Wandbehängen ausgestattet war. Seine anfängliche Verblüffung wich einem Gefühl des Ärgers, da er überzeugt war, das einsame Bauwerk könne nur auf geheimen Befehl Kleopatras in aller Stille hergestellt worden sein, und da er ferner vermutete, daß die buhlerische Königin es nur zu dem Zweck in diese Einsamkeit hineinversetzt hatte, damit sie hier mit einem ihrer Liebhaber, den sie neben Antinous bevorzugte, zusammentreffen könnte.

In das tempelartige Haus selbst gelangte er nicht, da es ganz enge Fensteröffnungen und eine sehr feste Tür aus Metall besaß, dazu auch aus Felsblöcken wie für die Ewigkeit errichtet war. Hunderte von Arbeitern mußten hier monatelang tätig gewesen sein, und die Herstellung des nun unbewachten Gebäudes war wohl nur mit Hilfe der Maschinen ermöglicht worden, wie die Ägypter sie auch beim Bau der weit älteren Pyramiden schon benutzt hatten, denn um derartige Felsblöcke aufeinanderzutürmen und durch den tonhaltigen Nilschlamm als Mörtel miteinander zu verbinden, reichten Menschenkräfte nicht aus.

Marius konnte lediglich durch die Fenster den Luxus der Innenausstattung bewundern, und gerade dieser ungeheure Prunk ließ ihn vermuten, daß die verschwenderische Kleopatra sich hier ein geheimes Liebesnest geschaffen und die Eingeborenenstämme ringsum bestochen habe, das Bauwerk zu schonen und auch dessen Vorhandensein zu verschweigen.

Als Marius dann erst gegen Morgen zum Lager gefunden hatte, kam ihm einer der Krieger entgegengeeilt und meldete ihm, daß seine Gattin einem Knaben das Leben gegeben habe, jedoch infolge Entkräftung im Sterben liege. Marius, den nun erst die Reue packte, weil er sein Weib so sehr vernachlässigt hatte, fand die alte Dienerin neben dem Bette der Sterbenden vollkommen verstört auf, beugte sich über die Verscheidende und vernahm von ihren bleichen Lippen eine mit allerletzter Kraft geflüsterte Offenbarung, die er mit einem Gefühl des Stolzes sich anhörte, denn er blieb sich und seiner Eitelkeit und seinem ureigensten Wesen auch In diesen Minuten treu. Seine Frau starb, und dann erst betrachtete er sich das Kind, das sich nicht als lebensfähig erwiesen und gleich nach der Geburt seinen letzten Atemzug getan hatte, – nun verstand er auch das Entsetzen der Dienerin vor der kleinen Leiche, denn das Neugeborene hatte zwei Gesichter – –

Viele Wochen darauf stieß die von dem Imperator ausgeschickte Schar endlich auf die Überlebenden der Edelstein-Expedition und hörte nun, daß die Gattin des Marius und das Kind mit den zwei Gesichtern, aber nur einem Kopf, bereits in einem Felsengrabe beigesetzt seien. Marius selbst trafen sie in seiner Werkstatt an, wo er, über den Verlust seiner Frau schon völlig getröstet, eine Goldmünze zurechthämmerte, die nach der göttlichen Offenbarung seiner Gattin auf der einen Seite einen bärtigen Kopf mit einem genau sich gleichenden Doppelgesicht – das zweite an Stelle des Hinterkopfes – zeigte, während die Rückseite nur die Aufschrift „As“ trug. – Die fertige Münze legte er dann in das Felsengrabmal, – so hatte es die göttliche Eingebung der Sterbenden verlangt.

In Alexandria teilte er seinem Stiefbruder das Geschehene mit, der seinen Sieg über Antinous bei Aktion gleichfalls einer neuen, noch unbekannten Gottheit zuschrieb und daher die Erzählung des Marius ebenso als Offenbarung hinnahm, zumal er sich noch der Angaben der Kleopatra sehr genau entsann und er auch durch Befragen des Stiefbruders feststellte, daß das Kind der Gattin des Marius in derselben Nacht geboren worden, in der die letzte Herrscherin aus dem Geschlechte der Ptolemäer sich den Tod gegeben hatte. In all diesen Zusammenhängen erblickte der Imperator den unzweifelhaften Hinweis auf den neuen Gott, den er Janus nannte, da die Frau seines Stiefbruders Jana geheißen und selbst gewünscht hatte, daß ihr erwartetes Kindlein, falls es ein Knabe würde, den Namen Janus führen solle.

So wurde denn Janus sehr bald eine der vornehmsten römischen Gottheiten, und das „As“ ward die erste Münze der römischen Münzreihe. Der Kaiser erbaute dem Janus dicht am Forum romanum einen prächtigen Tempel mit zwei völlig gleichen, einander gegenüberliegenden Kupfertoren, und das Volk betete zum neuen Janus und erblickte in ihm den Gott des Jahres- und Zeitenwechsels, nach ihm wurde der erste Monat des römischen Kalenders benannt, der Januarius, der Januar, er war auch der Gott der Zeugung und Empfängnis, weil gerade die Gattin des Marius das Kind mit dem Doppelkopfe zur Welt gebracht hatte. Sein Tempel in Rom wurde zu Friedenszeiten stets geschlossen und nur im Kriege geöffnet, damit das Waffenglück den Römern treu bliebe, wie es dem Kaiser Augustus gegen Antinous und Kleopatra treu gewesen.

Dies alles spielte sich kurz vor der Geburt Christi ab.

Marius verliebte sich dann in späteren Jahren in die schöne Tochter eines germanischen Sklaven, deren blondes Haar ihn bezauberte, er erwirkte die Freilassung des Sklaven und heiratete die schöne Arminia, die ihm sehr bald eine Tochter gebar, deren Goldhaar und Blauaugen und zarte, rosige Gesichtsfarbe durchaus an die Mutter erinnerten. Das Mägdlein wurde Jana genannt und wuchs schnell heran, besaß jedoch alle Charaktermerkmale des Vaters und eine seltsame Vorliebe für das Land der Ägypter, so daß Marius, der seine kluge, aber kaltherzige Tochter über die Maßen verwöhnte, unter der Regierung eines der Nachfolger seines kaiserlichen Bruders, des Imperators Claudius, trotz seiner Jahre den Auftrag übernahm, in Ägypten den Abbau der großen Porphyrlager, die er selbst entdeckt hatte, zu leiten, denn die Hauptstadt des römischen Reiches, das damals schon seinem Verfall entgegenging, verschwendete ungeheure Summen für neue Prachtbauten und für stets neue Gesteinsarten, wie der Geschichtsschreiber Plinius besonders hervorhebt.

So reisten denn Marius und seine Gattin Arminia und das Mädchen Jana, das bereits mit zwölf Jahren voll entwickelt war, nach dem Sonnenlande und gelangten an jene Stelle des östlichen Gebirges, wo Marius vor anderthalb Jahrzehnten seine erste Gattin durch den Tod verloren und das Liebesnest der Kleopatra aufgefunden hatte. Sein Suchen nach diesen beiden Stätten blieb jedoch umsonst, zumal Sandstürme das Tal, in dem das damalige befestigte Lager errichtet worden, meterhoch mit dem Flugsand der nahen flachen Wüste bedeckt hatten. – Marius gab das Suchen sehr bald auf, da andere Aufgaben seiner warteten. Jetzt als betagter Mann hatte er sich zu einem recht praktisch denkenden und von den Fehlern seiner Jugendjahre völlig befreiten Menschen entwickelt, – nur bei seinem eigenwilligen Kinde wollte er diese seine früheren Fehler nicht bemerken und ließ Jana in allem nur das tun, was sie für gut befand, und das war nichts Gutes, sondern nur immer der Ausfluß eigentümlicher Launen und einer unbegreiflichen Herzlosigkeit.

Marius erbaute ein großes Kastell und beschäftigte in den Steinbrüchen des Porphyrberges an die tausend Staatsgefangene, unter denen alle Völker vertreten waren, die Rom sich Untertan gemacht hatte, so auch Juden, Griechen, Spanier, Gallier und Germanen. Unter den letzteren befand sich ein junger Teutone, der auffallend stark und wohlgebaut und sehr schön von Gesicht war. Gerade ihn erkor Jana sich zu ihrem persönlichen Diener, durchstreifte mit ihm hoch zu Rosse die Berge und legte es darauf an, den Sklaven in sich verliebt zu machen. Vielleicht liebte sie ihn auch, sie wußte es nicht, denn ihre ganze Naturveranlagung war so widerspruchsvoll beschaffen, daß sie oft selbst in ihrem Charakter sich nicht ausfand. Ihre Hauptneigung galt der Erforschung des Gebirges und jener Stellen, wo man Gold vermutete, nicht minder der Ergründung der Spuren uralter Kulturepochen.

Der blonde Diener der jungen Jana hieß Armin, und sein und Janas Lebenspfade sollten in wunderbarer Weise denen gleichen oder doch zumindest ähnlich sein, die fast zwei Jahrtausende später in derselben Umgebung ein anderes junges Menschenpaar bis zu seiner Läuterung als bunte Dornenwege gehen mußte, – – weil eine Goldmünze mit einem Januskopf, ein As, das durchlocht und mit einer Lederschnur versehen als Talisman gedient hatte, den Schicksalsfaden darstellte, den ein deutscher Jüngling ahnungslos zwischen Geröll aufgenommen und sich dadurch selbst in eine Fülle von Ereignissen eingeschaltet hatte, die zunächst noch im dunklen Schoße der Zukunft ruhten. –

 

2. Kapitel.

Der Talisman Doktor Kertners.

Axel Kertner stand auf einer der höchsten Kuppen in der Nähe des Kastells und sah den Mond über der Wüste aufgehen und dünkte sich König. Das Nachtgestirn erschien ihm wie eine Krone, die man ihm von Feenhänden aufsetzen lassen wollte und die ihm nun langsam und wohlverdient entgegenschwebte. Zuweilen konnte Axel Kertner derart poetische Anwandlungen haben und so märchenhafte Vergleiche anstellen, – das geschah jedoch nur, wenn es sich um seine eigene Person handelte.

Was er in seinen kühnsten Träumen nie erhofft, war ihm heute durch einen Zufall in den Schoß gefallen, – doch nein, – von Zufall durfte er nicht sprechen, es war ja nur seine unermüdliche Energie gewesen, die ihn endlich finden ließ, was er hier in der Umgebung des Kastells schon immer vermutet hatte.

Mit dieser trügerischen Mär von seiner Energie entschuldigte er vor sich selbst seinen ungezügelten Ehrgeiz, – nur der war die treibende Kraft, die ihn Tag für Tag hinausscheuchte noch vor Morgengrauen in die schauerliche Einsamkeit der kahlen, zerklüfteten Bergtäler des Djebel Fatireh, – Tag für Tag, ohne Rücksicht auf seine Gattin und deren Zustand und ohne den Vorwürfen der alten Frau Gehör zu schenken, die von Hannis ersten Säuglingsstunden an die arme Waise behütet und nur immer für Hanni gelebt und gesorgt hatte.

Seine brennenden Wünsche nach Anerkennung seiner Verdienste um die Aufhellung der zweifelhaften Regierungskünste der Königin Kleopatra, der letzten ägyptischen Herrscherin aus dem Geschlecht der Ptolemäer, – seine fast schon krankhafte Liebe zu dem Sonnenlande der Pharaonen und insbesondere seine haßerfüllte Eifersucht auf den glücklicheren Rivalen hatten ihn alles andere vergessen und vernachlässigen lassen. Sein Widersacher und Konkurrent war reich und verfügte über die besten Beziehungen, – der wußte in all seiner Unreife und bei seiner spielerischen Auffassung der Pflichten eines ernsten Gelehrten nichts von den Dornenpfaden eines Forschers wie Kertner, der mit geringsten Geldmitteln und mit einer lächerlich kleinen Karawane seine Erfolge durch Entbehrungen und nur mit Hilfe der Spenden der mütterlichen Freundin Hannis erkämpfen mußte.

Nun aber, nun hatte Axel Kertner doch gesiegt, und wenn er auch nur seine heutigen flüchtigen Notizen und Skizzen und Vermessungsangaben veröffentlichte, war ihm die Professur sicher, für die der andere, der jugendliche Student, zumindest vorläufig nicht in Frage gekommen wäre.

Immerhin hatte es ihn stark beunruhigt, daß dieses Bürschlein hier in der Gegend gleichfalls umherstreifte und mit seiner Riesenkarawane drüben am Porphyrberge lagerte. Aber das alles war nun abgetan, – er war der Sieger, er würde den Ruhm und die Ehren mit Recht ernten und sein Name, Doktor Alexander Kertner, würde neben denen der größten Ägyptenforscher genannt werden.

Er lächelte unwillkürlich den Mond an. Der Mond kannte sein Geheimnis, seinen Talisman, über den die alte grauhaarige Frau nur spöttelte und Hanni sich sogar entsetzte, weil die uralte, gehämmerte Münze aus einem Grabe stammte.

Kertner griff mit der Hand in die Hemdöffnung und betastete und streichelte die Münze mit dem Doppelhaupt eines bärtigen Mannes auf der einen Seite und mit der Aufschrift „As“ auf der anderen, – alles nur gehämmert, aber bestimmt von Künstlerhand.

In einem zufällig von ihm hier im Kastell entdeckten Grabe hatte er sie neben merkwürdigen Skelettresten gefunden und an sich genommen. Das gut erhaltene Grab brachte er wieder in Ordnung und dies mit aller Pietät und Sorgfalt, denn nicht nur der grauhaarigen Dame entrüstete Vorhaltungen, sondern auch eine unerklärliche Scheu hielten ihn davon ab, die Gebeine seinen Sammlungen hinzuzufügen, obwohl er sich insgeheim einen Toren schalt, durch rein gefühlsmäßige Hemmungen auf einen Kinderschädel zu verzichten, der irgendwie zu der Münze und zu dem bisher ungeklärten römischen Janusdienst in engster Beziehung stehen mußte.

Kertner verharrte noch immer am selben Platze und schien auf seine silberne Himmelskrone zu warten, die derweil etwas näher geschwebt war. Die Bergwildnis ringsum hatte sich immer mehr mit den spärlich vorhandenen Vertretern der Tierwelt belebt, die sich mit dieser unwirtlichen Heimat begnügten. Nachtschwalben schlüpften aus ihren Felsritzen und schossen in der lauen Abendluft hin und her, strichen dicht an den Abhängen entlang, wo die berüchtigten Halfaraupen und die kleinere Art der Heuschrecken an den vereinzelten Grasbüscheln und Salzsträuchern hingen und auf den morgendlichen Tau warteten, der die harten Halme genießbarer machte. Überall, nah und fern, heulte und keifte das ewig zänkische Geschlecht der Schakale, das unheimliche Lachen einer Hyäne mischte sich ein, und dann folgte eine Weile eine beängstigende Stille, als ob die Natur den Atem anhielte und sich auf irgend etwas Besonderes vorbereitete, – nur die Nachtschwalben pfiffen ganz leise und fraßen die giftigen Halfaraupen, deren meilenlange Züge urplötzlich irgendwo auftauchen, meilenweit dahinwandern wie ein unermüdlicher Strom und gleichsam wieder im Boden versickern – niemand weiß, woher sie kommen und wohin sie verschwinden in diesen gefürchteten Durst- und Hungergebieten östlich des Nil, – ihr Leben und Sterben ist rätselhaft wie so vieles hier in dem Sonnenlande der Pharaonen.

Die Natur schien den Atem anzuhalten.

Ein Waran, eine Rieseneidechse, Überbleibsel der Epoche der gigantischen Pflanzenfresser des Diluviums, wich mit wütendem Zischen einer großen Natter aus und war erbost über die Frechheit der Kleopatraschlange, die mit ihren dunklen Ringen um die listigen Augen sich für etwas Besseres hielt, und sie war doch nur eine ganz gemeine Brillenschlange und für den Waran völlig unverdaulich, aber anmaßend war sie und prahlte mit den Taten ihrer Vorfahren, die dereinst der Königin Kleopatra aus dem Leben zu scheiden geholfen hatten. Der Waran entfernte sich verärgert, und die Natter huschte weiter durch das Geröll der uralten Steinbrüche und suchte nach Mäusen, wie es so ihre Art war.

Die Natur hielt noch immer den Atem an.

Axel Kertner stand noch immer am selben Fleck und wartete auf seine Königskrone. Seine Träume sahen ihn auf einem Katheder in der Aula der Universität vor einem gelehrten Auditorium, und er hörte sich selbst reden und seine Entdeckung preisen und den Beifall der erlauchten Versammlung … Sein Ehrgeiz war größer als seine Vorsicht, seine Finger spielten mit seinem Talisman, und als er nun die Hand sinken ließ und sie auf den Rücken legte und der Menge neidischer Fachkollegen seine Verneigung machte, richtete sich die Kleopatraschlange hinter ihm zur halben Höhe auf und schnellte sich vorwärts und schnappte zu, – sie hatte die Handbewegung des Mannes falsch gedeutet, und Axel Kertner verspürte den Schmerz der in seine Haut eindringenden Giftzähne in demselben Augenblick, wo er mit einem leichten Reuegefühl auf die erleuchteten Zelte dort unten im Hofe des Kastells hinabschaute, in denen seine kleine Karawane, sein Weib und die ihm so mißliebige Hüterin seiner Frau seit Monaten mit ihm und zumeist ohne ihn hausten.

Er fuhr entsetzt herum.

Die Natur hielt nicht länger den Atem an.

Die Schakale kläfften lauter als bisher, die Hyänen lachten frech und feige voller Hohn, die Nachtschwalben pfiffen wie eine bestellte Theaterclaque, deren Aufgabe es ist, das Werk eines überehrgeizigen Scharlatans niederzuzischen, und zu alledem meldete sich jetzt noch ein Dib, ein Wüstenwolf, mit seiner an das Wimmern von Kindern erinnernden Stimme.

Drunten auf dem Hofe des verfallenen Kastells rang die blonde Hanni um ihr junges Leben, – das größte der Zelte war Schauplatz der einsamen Tragödie, – Frau Hanni ging trotzdem ein in eine bessere Welt, auch die Bemühungen der treuen Pflegerin hatten nichts geholfen, – sie starb, um einem neuen Dasein die Pforten dieser Erde und des Landes der Pharaonen zu öffnen, das ihr Gatte stets mehr geliebt hatte, als die blutjunge Mutter seines ohne Freude erwarteten Kindes, das ihm nur lästig werden konnte bei seiner Besessenheit für tote Steine und deren Inschriften, aus denen er sein Wissen über die große Buhlerin Kleopatra bereicherte.

Um das Zelt herum standen die fünf Ababde-Beduinen mit ihren Weibern und Kindern, die zusammen mit zehn mageren Kamelen den ganzen Troß der Expedition Doktor Kertners bildeten. Das Stöhnen und Wimmern und die unterdrückten Schmerzensschreie der Gattin ihres finsteren und wortkargen weißen Herrn hatten sie herbeigelockt, und die farbigen Weiber waren gleichfalls mit Rat und Tat der grauhaarigen Frau beigesprungen, um das Leben der verehrten, stets so traurigen Mutter zu retten, denn auch für sie war die Stunde heilig, in der ein neues Menschenwesen sich vom Leibe der Mutter löst. Sie waren voller Grimm auf den lieblosen Gatten, der da Tag für Tag in den Schluchten umherirrte und nicht sah, daß seine Frau unter dieser Vernachlässigung litt.

Mit drohendem Murmeln machten sie ihm jetzt Platz, als er, scheinbar todmüde, aber eilenden Laufes dahergestolpert kam und rücksichtslos den Zeltvorhang aufriß, der weinenden grauhaarigen Dame etwas in seiner Sprache zurief und nicht ein einziges Mal nach dem winzigen Mägdlein hinschaute, das da in einer leeren Kiste auf Gras und Decken lag, mit blaurotem Gesichtchen und einer Überfülle von blonden Härchen, die noch goldiger schimmerten als die der toten Mutter.

Axel Kertner hatte in diesen Minuten keine Blicke und Gedanken für das, was hier in seiner Abwesenheit geschehen war, nicht einmal die stille Dulderin sah er, die dort auf ihrem Schmerzenslager mit wachsbleichen Zügen und geschlossenen Augen ruhte und doch ein himmlisches Lächeln der Verklärung um den blassen Mund hatte. Das Land der Pharaonen, das sie insgeheim gehaßt hatte, soweit ihre Herzensgüte ein solches Empfinden überhaupt zuließ, ward ihr Verhängnis.

Kertner dachte nur an sich selbst und kniete schweißtriefend und mit einem wilden Ausdruck der Todesangst auf dem verzerrten Antlitz vor der Kiste mit den Medikamenten. Seine strohblonden Haare, seit Monaten nicht gestutzt, hingen ihm wild in die Stirn und troffen von kalten Perlen einer unendlichen Verzweiflung und einer grenzenlosen Furcht, seine Hände flatterten und warfen die Flaschen und Fläschchen und Tuben wirr durcheinander, er fand nicht, was er suchte, vor seinen Augen tanzten rote zuckende Lichter, – mit einem hilflosen Schrei sank er neben der grauhaarigen Frau zu Boden, wälzte sich in den ersten Krämpfen hin und her, riß in einem Anfall von Atemnot das Hemd über der Brust auf und packte mit schwindenden Sinnen seinen Talisman, als ob der ihm noch helfen könnte, streifte schließlich die Lederschnur über den Kopf und warf die Münze des Janus von sich, – ganz unbewußt, und sie fiel – nur ein Zufall?! – der Neugeborenen auf den Hals und blieb dort liegen, wie gebannt durch einen höheren Willen.

Mit versteinertem Gesicht stand die langjährige Hüterin der Toten dabei und lächelte hart und unerbittlich, und in ihrem vor Trauer und Schmerz leeren Hirn lebten nur zwei Gedanken: Selbstvorwürfe, daß sie diese Ehe je zugelassen hatte, und ein stilles, inbrünstiges Gebet, daß das Mägdlein dort in der armseligen Kiste nichts geerbt haben möge von dem Sinn des Vaters, der nur sich selbst und seine große Liebe, das Land der Kleopatra, gekannt und alles, was sonst noch Pflicht, darüber vernachlässigt hatte. Sie bückte sich und nahm die Münze wie etwas Unreines vom Körperchen des Kindes und schleuderte sie aus dem Zelte hinaus über die Köpfe der Beduinen hinweg in das Trümmerfeld der uralten Ruinenstätte. –

Zwei Tage darauf näherte sich beim ersten Schein der Sonne dieses Sonnenlandes ein sehr junger Europäer mit seinem echten Bischarin-Dromedar dem Kastell, bog in den Hof ein und erblickte vom Sattel aus die Münze mit dem Doppelhaupt am Boden funkeln, ließ sein Tier niederknien und steckte die Münze erfreut und dennoch erstaunt zu sich, denn sie hatte hohen Altertumswert.

Die Ababde-Beduinen hatten sich gehütet, sie auch nur anzurühren, da sie abergläubisch und auch gewarnt waren durch das hier Geschehene.

Den Jüngling mit dem gebräunten Gesicht warnte niemand, er ahnte nicht, daß er zugleich mit der Münze einen bunten Faden von Ereignissen mit aufgenommen hatte und sich selbst in diese Ereignisse einschaltete und von diesem Faden mit hineingerissen wurde in eine dunkle, noch fernere Zukunft schicksalhaften Zwanges. Er war so sehr jung, und manche hätten ihn für einen Jüngling gehalten, der nur als reicher Tourist den Djebel Fatireh durchstreifte oder vielleicht zu einer der Goldsucherexpeditionen gehörte, die damals gerade in den Randgebirgen Ägyptens nach dem Roten Meere hin die öden Hochtäler ohne jeden Sinn für die große Vergangenheit dieses ersten Kulturlandes der Menschheit durchzogen mit Steinbohrern und sonstigen Geräten. Aber dieser kaum achtzehnjährige Student mit dem unbekümmerten Lächeln auf dem frischen Gesicht hatte seltsam große, graublaue Augen unter fast zu buschigen Brauen, und in diesen Augen einen Ausdruck, der zu dem sorglosen Lächeln nicht recht paßte – auch jetzt nicht, als er wie suchend um sich blickte und dann schnell auf zwei längliche Steinhaufen zuschritt, aus denen zwei Kreuze aus Kistenbrettern hervorragten, die mit ungeschickt eingekerbten Inschriften versehen waren – – –

 

3. Kapitel.

Die deutsche Jana stellt sich vor.

Durch den grünen Laubwald ritt ein sehr ungleiches Paar eine hügelige Schneise entlang. Es war noch früh am Vormittag, und die Julisonne warf lange, weiße Streifen auf die Blaubeersträucher, deren dunkles Grün die Schneise schmückte, während anderswo ganze Felder von Waldveilchen den Boden zierten.

Jana hatte kein Auge für die Schönheiten des deutschen Forstes, ihre unsteten Gedanken umspielten Fragen, die ihr wichtiger erschienen. Sie trug einen kecken Panama mit Nackenschleier und dazu einen Reitanzug, der ihre schlanke, kräftige Figur in all ihrem Ebenmaß raffiniert hervorhob, es war ein Anzug nach ihrer eigenen Idee, und Janas Einfälle fanden sehr selten die Billigung der Tante Vicky, doch das war Jana sehr gleichgültig, denn man konnte nicht gut verlangen, daß der Geschmack einer Frau von fast siebzig Jahren auch dem einer jungen Dame von noch nicht ganz siebzehn entsprechen könnte.

Unter dem verwegenen Panama kam blondes, überreiches und leicht gelocktes Haar zum Vorschein und ließ das schmale, elfenbeinblasse Gesicht mit dem feinen, etwas nach oben gewippten Näschen und den großen graublauen Augen noch farbloser wirken. Am auffallendsten an diesem Mädchenantlitz war jedoch der kleine Mund, dessen vielleicht zu dünne Lippen an den Winkeln ein wenig nach oben gebogen waren. Gerade dieser Mund verriet wie sonst nichts anderes in diesem jungen, makellosen Gesicht die jeweilige Stimmung und Laune des Fräulein Johanna Kertner, – Tante Vicky nannte ihr Pflegekind nur Hanni, der alte Schloßvogt nannte sie Hanneken, der Bekanntenkreis der Schloßherrin sagte respektvoll Hanna, und sie selbst benutzte für ihr wichtiges Persönchen nur den Namen Jana, sehr zum Entsetzen der Tante Vicky, die alles ausschalten wollte, was auch nur entfernt an Ägypten erinnern könnte.

Wie die Tochter Axel Kertners auf den Namen Jana bereits als fünfjähriges Kind gekommen war, wußte niemand so recht, eines Tages hatte die kleine verwöhnte Prinzessin erklärt, sie heiße gar nicht Johanna oder Hanni oder Hanna oder gar Hanneken, sondern Jana, und dabei blieb sie, während das verängstigte Fräulein Vicky von Lettburg vergebens herauszubringen suchte, wer dem Kinde diesen ominösen Floh ins Ohr gesetzt habe, und die Gouvernante ganz scharf ins Verhör nahm, was jedoch auch zu nichts führte, da diese sich wohl hütete, die Wahrheit einzugestehen, und die hätte gelautet, daß sie dem frühreifen Kinde auf dessen Bitte hin einen Aufsatz über die Entdeckung der Ruinen eines Janustempels unweit des alten Theben am Nil vorgelesen habe. Würde dies zu Tante Vickys Kenntnis gelangt sein, so wäre die Gouvernante sofort geflogen, denn in dieser Beziehung war die Schloßherrin von Lettburg unerbittlich, zumal sie der Erzieherin gleich am Tage des Dienstantritts strengstens befohlen hatte, niemals zu erwähnen, daß es überhaupt ein Land Ägypten gebe, und daß das Vorhandensein der berühmten Pyramiden und so weiter niemals in den Lehrstoff mit aufgenommen werden dürfe.

Nach Janas zur Zeit tief herabgezogenen Mundwinkeln mußte sie recht übler Laune sein, und ihr Begleiter Tim Uhlenhut beobachtete sie denn auch sehr heimlich und sehr besorgt von der Seite, – Gott mochte wissen, was Hanneken da wieder in ihrem leider zu klugen Hirn ausheckte, – bei ihr war man nie sicher, welche Art Feuerwerkskörper geistiger Art im nächsten Moment explodierte.

Tim Uhlenhut seufzte unmerklich, und kaum war er damit fertig, als die Bombe auch schon platzte. Jana drehte mit einem Ruck das Gesicht nach dem Schloßvogt hin und erklärte sehr sanft, – unheimlich sanft, fand Tim, denn er kannte sie ja:

„Timchen“, begann Jana vertraulich, „du bist nun doch schon vierzig Jahre auf Schloß Lettburg und kennst alles hier, jeden Stein, jeden Strauch, jedes Möbelstück. Ist dir irgendwie bekannt, ob in einem der älteren Schränke oder Schreibtische sich Geheimfächer befinden?"

Uhlenhut gab vor Schreck seinem Gaule die Sporen, und das empfindliche Rassetier machte einen langen Satz und wollte dann in Galopp fallen, aber damit kam es bei Tim schlecht an, den hätte nicht einmal ein störrisches, bockendes Kamel irgendwie aus der Ruhe gebracht, denn reiten konnte der dürre, alte Tim, das mußte ihm der Neid lassen. Außerdem konnte er noch zweierlei in derselben Vollendung: Erstens lügen, und lügen mußte er hier alle Tage, das verlangte das gnädige Fräulein so, und das sah Tim auch vollkommen ein, das war nun mal bei Hannekens ewiger Neugier nötig, – und zweitens war er Spezialist für allerlei kleine feine Tischler- und Schlosserarbeiten, von seinen sonstigen Fähigkeiten schon ganz abgesehen.

Sein Brauner war nun wieder vernünftig, und allgemach näherte sich auch Jana, die eine betagte Stute ritt, von der man höchstens noch einen Zuckeltrab verlangen konnte, was seit Wochen, seit Beginn der Ferien, Janas steten Ärger bildete. Doch auch in dem Punkte war Tante Vicky nunmehr unerbittlich, nachdem Jana einmal vor ihren Augen über einen Zaun mit einem der guten Reitpferde hinweggesetzt war und sich dabei fast das Genick gebrochen hätte, – fast. „Unkraut vergeht nicht“, hatte Jana lachend gerufen, als sie sich schleunigst wieder aufgerappelt hatte und ihre geplatzten Reithosen kritisch betrachtete, denn schon damals trug sie nur einen Herrensportanzug nach eigener Idee wie heute.

Nach diesem Sturz war es mit der Benutzung der Rassepferde der Lettburgschen Stallungen für Jana ein für allemal endgültig vorbei, außerdem mußte Tim sie stets begleiten, was an sich nicht schlimm war, wenn nur die alte Stute zehn Jahre jünger und Uhlenhut nicht ein so sattelfester alter Knabe gewesen wäre, – dann würde Jana ihm nämlich einfach ausgekniffen sein. Doch das war nun beim besten Willen nicht möglich, es sei denn, man griff zu einer List, und das wollte und mußte Jana heute tun, nachdem die Geschichte mit den Geheimfächern so oder so erledigt wäre – –

„Na, Timchen, wie steht’s mit den Geheimfächern …?“ wiederholte sie ihre Frage in zuckersüßem Tone, während ihre Mundwinkel sich nach oben zogen, was ihrem pikanten Gamingesicht einen sehr spitzbübischen Ausdruck verlieh, dem jedoch nie so recht zu trauen war, wie die näheren Bekannten Janas sehr wohl wußten.

„Geheimfächer?“ wiederholte er so gedehnt, als müßte er sich mal erst überlegen, was das eigentlich sei. „Ach so, Geheimfächer, wie sie in Romanen vorkommen. Ach so, die!! Nee, mein Lebtag habe ich dergleichen nicht gearbeitet und für unser Fräulein schon gar nicht!“

Dabei schaute er Jana so bieder an, wie er es mit Leichtigkeit fertigbrachte, und jeder andere hätte ihm auch geglaubt.

Jana Kertner jedoch kannte Tim fast ebenso genau wie sich selbst. Wenn Tim seine ehrbare Miene aufsteckte, log er bestimmt, und Janas Mundwinkel gerieten in Bewegung und zogen sich verächtlich herab.

„Du alter Gauner!“ erklärte sie ein wenig burschikos und zuckte wegwerfend die Achseln … „Schäme dich deiner früheren grauen Haare, – zur Strafe für deine Unwahrhaftigkeit hast du nicht ein einziges Haar mehr auf dem Schädel, denn daß du eine Perücke trägst, sieht man auf hundert Meilen, zumal sie nach Grünspan schimmert, und Grünspan ist giftig, merke dir das, giftig wie die Brillenschlange, an deren Biß die Königin Kleopatra im Jahre dreißig vor Christi Geburt verstarb, – in welchem Monat?“, fügte sie im Tone eines examinierenden Schulrates hinzu. – Sie wußte nämlich aus Erfahrung, daß sie mit nichts den braven Tim, den sie als treuen Diener des Hauses Lettburg sehr schätzte, derart in Verwirrung setzen konnte, als wenn sie irgendwie etwas aus der ägyptischen Geschichte erwähnte.

Tatsächlich machte auch Tim nun ein so todunglückliches Gesicht und antwortete so kläglich: „Im August ist das verdammte Frauenzimmer gestorben!“, daß Jana in ein herzerquickendes Gelächter ausbrach.

Dieses übermütige, perlende, melodische Lachen bekam eigentlich nur Tim zu hören, denn Jana war sonst viel zu sehr darauf bedacht, ihre Würde und den Nymbus des genialen Wunderkindes zu bewahren, als daß sie je in Gegenwart von Leuten, denen sie imponieren wollte – und sie wollte allen imponieren, das lag so in ihrer Natur – sich derart hätte gehen lassen. Ihr Ehrgeiz und ihre Sucht, eine Rolle zu spielen, gingen freilich Hand in Hand mit einer ungewöhnlichen Intelligenz und einer auch in anderen Dingen verblüffend schnellen Auffassungsgabe.

Die Schule hatte sie förmlich im Fluge durchgemacht und besuchte nun auf ihren Wunsch in der nahen Großstadt ein Institut für landwirtschaftliche Chemie. Zur Zeit hatte sie Ferien und experimentierte droben in ihren Turmzimmern mit allerlei Teufelszeug herum, wie Tim es bis vor kurzem genannt hatte, bis Jana ihm unlängst einen Pfefferminzlikör gebraut hatte, der einfach hervorragend war, – seit diesem Tage war Uhlenhut ein blinder Verehrer der magischen chemischen Künste.

Aber diese Dankbarkeit gegenüber Jana und auch seine ehrliche Liebe für das aus Widersprüchen zusammengesetzte junge Mädchen gingen doch nicht so weit, daß er es gewagt hätte, den strikten Befehlen der Schloßherrin zu trotzen, was Ägypten und alles, was mit dem Lande der Pharaonen zusammenhing, anbetraf. Das Thema Ägypten war auf Schloß Lettburg verpönt, und wehe dem, der irgendwie dagegen handelte, – in dem Punkte verstand Vicky von Lettburg keinen Spaß, trotz ihrer sonstigen Herzensgüte, und sie hatte ihre sehr gewichtigen Gründe dafür. –

Jana hatte die verneinende Antwort Tims vorausgesehen und war dennoch zufrieden, nun wußte sie wenigstens mit aller Bestimmtheit, daß irgendwo ein Geheimfach vorhanden, denn daß die Tante die Papiere einer Bank in Verwahrung gegeben hätte, blieb außerhalb jeder Erörterung, da Fräulein von Lettburg hierzu viel zu altmodisch dachte. Sie besaß nicht einmal einen Geldschrank, sondern nur eine uralte eiserne Kriegskasse von Altertumswert aus den Zeiten der Schwedeneinfälle, allerdings mit einem Geheimverschluß, dessen Trick Jana schon als zehnjähriges Mädel herausgefunden hatte.

Janas Mund verriet nun einen neuen bedrohlichen Gedanken, aber Tim entging dies, da er soeben einen Habicht beobachtete, der eine Wildtaube geschnappt hatte und auf einer Eiche mit seiner Beute aufbäumte.

„Tim, wir wollen etwas Rast machen“, meinte Jana und lenkte die altersschwache Stute auf eine kleine Blöße, stieg ab, band den Gaul an einen Strauch, warf sich in das grüne Moos und holte ihr Zigarettenetui hervor, was sie nur in Gegenwart von Uhlenhut tun durfte, da auf Schloß Lettburg das Rauchen für Damen aller Altersstufen strengstens verboten war.

Wie sie so zwanglos in ihrem Herrenanzug und in all ihrem Ebenmaß und ihrer Jugendfrische auf den Naturpolstern des Waldbodens ruhte, glich sie mehr denn je einem Bilde ihrer Mutter, das ein Künstler einst auf Rittergut Lettburg gemalt hatte, kurz bevor die damalige Hanni sich mit Doktor Axel Kertner sehr gegen den Willen des Fräulein Vickys verlobt hatte, die in dem eitlen und allzu selbstbewußten Bewerber von vornherein nur den Mitgiftjäger gesehen und sich hierin nicht ganz getäuscht hatte. Freilich bestanden für den schärferen Beobachter zwischen Hanni und ihrem Kinde doch kleine Unterschiede, die sich nicht nur im Gesichtsschnitt und in der Größe des Mundes, sondern auch besonders in dem Gesamtausdruck der Züge feststellen ließen.

Während Hanni mehr den Typ des deutschen Gretchens ohne jeden süßlichen Einschlag verkörpert hatte, zeigte Janas weit schmaleres Antlitz alle Merkmale einer frühreifen Geistigkeit und eines zur Rücksichtslosigkeit neigenden Temperaments, vielleicht sogar zuweilen einen Anflug selbstsüchtiger Grausamkeit, – es war eben ein so unausgeglichenes Zusammenspiel völlig von einander abweichender Gefühlsregungen, daß sich vorläufig nichts voraussagen ließ, ob das Gute oder Schlechte in diesem erst in der Entwicklung befindlichen Charakter die Oberhand gewinnen würde.

Tim Uhlenhut hatte die Vorbereitungen zur Rast zunächst mit einigem Mißtrauen vom Sattel aus beobachtet, denn er wußte ja, was er von Janas plötzlichen Einfällen zu halten hatte, – meist wurden daraus die unangenehmsten Überraschungen.

Da er nun aber Jana friedlich rauchen sah, schwang auch er sich aus dem Sattel, – bei ihm konnte man wirklich von Sichschwingen reden, denn er hatte sich trotz seiner fünfundsechzig Jahre eine erstaunliche Gelenkigkeit bewahrt, die mit seinen steten Klagen über das Zipperlein im Knie nicht recht in Einklang zu bringen waren.

Der alte Mischwald ringsum und der Reiter, der dort im Gebüsch das Paar beobachtete, wurden nun Zeugen der außerordentlichen Schlauheit, mit der Jana dem armen Uhlenhut einen Streich spielte. Kaum hatte Tim dem jungen Mädchen den Rücken gekehrt, um seinen Rassegaul an einer Buche festzubinden, als Jana wie eine Feder emporschnellte und noch flinker dem bedauernswerten Alten die Zügel aus der Hand gerissen und sich in den Sattel – nicht geschwungen hatte, sondern im Anlauf in den Sattel gesprungen war, wobei sie noch Zeit gefunden, ihre glimmende Zigarette in einem Haufen trockenen Strauchwerkes zu werfen.

Und dies war vielleicht der raffinierteste Trick von ihr.

„Timchen, in einer Stunde bin ich wieder zurück“, rief sie Uhlenhut zu. „Und mir zu folgen, daß laß nur bleiben, – dort, der Strauchhaufen qualmt schon, – – leb’ wohl und viel Vergnügen beim Löschen!!“ –, und heidi sauste sie im Galopp davon, daß das Laub und der Sand nur so unter den Hufen des famosen Renners emporflogen.

Tim stand nur Sekunden wie entgeistert da, dann schaute er sich den verflixten Strauchhaufen an und erstickte die Glut, wobei er, wie verständlich, nicht gerade fromme Wünsche dem Flüchtling nachschickte. „Natürlich trifft sie sich wieder mit dem gelbgesichtigen Gast unseres verdammten Nachbars …! Na, – ich wasche meine Hände in Unschuld, – ich sage ja immer: Lieber einen Sack Flöhe hüten als ein Mädel, das einen Axel Kertner zum Vater hatte!!“

 

4. Kapitel.

Die römische Jana stellt sich vor.

Am Mons Porphyrites, am Porphyrberge, wurde gerade eine der dreißig Meter langen Säulen, die erst roh bearbeitet waren und die in Rom für einen neuen Prunkbau Verwendung finden sollten, für den Abtransport zum hundertfünfzig Kilometer entfernten Nil (bei dem heutigen Orte Keneh) fertig gemacht. Mit großen Winden suchten die Sklaven die schwere Masse emporzuziehen und in die Ketten hineinzuschieben, die unter den riesigen Räderpaaren hingen, vor denen die angeschirrten Zugtiere warteten, zumeist Ochsen und nur wenige Pferde, im ganzen zwanzig Tiere, denn die ungeheure Last der Porphyrsäule mußte durch den Wüstensand an den Nil zur Verladung auf das Schiff geschleppt werden.

Die Hitze hier in dem Felsentale am Mons Porphyrites war erstickend, kein Lüftchen regte sich, nirgends gab es Schutz vor der Sonne, da auch im Schatten das rote Gestein förmliche Glutwogen aushauchte.

Jana, Tochter des Marius und der Arminia, schaute sich hoch zu Roß, neben ihr der Leibsklave Armin, das Schauspiel an, denn für sie war es ein Schauspiel, all diese „Damnati in metallum“, diese Kettensträflinge, sich, schwitzend und keuchend, abmühen zu sehen, – am meisten entzückte es sie, wenn irgendein Unfall sich ereignete und Menschenleben dabei verloren gingen, – was galten hier die gesunden Knochen der Sklaven – gar nichts, man hatte ja deren übergenug!

Jana lachte stets fröhlich, wenn ein paar der Ärmsten zerquetscht wurden. Ihr Lachen brachte die anderen zur stillen Raserei, und der Haß dieser Damnati wuchs mit jedem Tage gegen die Peiniger und Landsleute der lachenden, rohen und mitleidslosen Jana, – gegen alles, was ein Römer war. –

Nun wurde das eine Ende der Riesensäule steil emporgewunden, – im ungünstigsten Augenblick riß die Kette der einen Winde, und die Porphyrmasse stürzte mitten in die Menge der schweißtriefenden Sklaven hinein, die alle am linken Fußgelenk einen Eisenring mit einer eisernen Kette und einer halbzentnerschweren Kugel aus Stein trugen. Die Kette war in die Steinkugel mit Blei eingegossen, und bei der Arbeit mußten die Damnati diese Kugel über den Rücken werfen, um nicht dadurch behindert zu werden.

Die herabfallende Säule zermalmte diesmal vierzehn Menschen, deren Schmerzensgeheul bei Jana einen ebenso lauten Widerhall fand. Sie lachte schallend und bewies damit dieselbe Roheit, die von den Damen Roms bei den gerade in Mode gekommenen Gladiatoren- und Tierkämpfen gezeigt wurde, – Jana bog sich im Sattel vor Heiterkeit, und alle Aufseher und alle Soldaten der Schutzwache lachten mit.

Der Leibsklave Armin hielt auf seinem Pferde neben ihr und verzog keine Miene, aber in seinem Inneren kochte es, und er nahm sich vor, seine Gefährten schnellstens zu befreien und fürchterliche Rache an den Peinigern zu nehmen.

Die Toten wurden nun weggeschafft, während man die schwerer Verwundeten einfach mit dem Schwerte niederstieß und ihnen so den Rest gab, – das waren Zwischenfälle, die sich alle Tage ereigneten und die von den Damnati ruhig hingenommen worden wären, wenn nur nicht das abscheuliche Lachen der Jana gewesen wäre.

Jana winkte Armin herrisch zu. „Reiten wir heim, für heute habe ich genug gesehen.“

Sie sprengte von dannen, und Tausende von haßerfüllten Augen folgten ihr, aber auch genau soviele gierige Blicke der Aufseher und der Soldaten, denn Jana war schön und trug absichtlich ein Gewand, das so dünn war wie Tüll und all ihre Reize sehen ließ.

Bis zum Kastell am Mons Claudianus waren es fünf Kilometer, und diese Strecke mußten die Sklaven jeden Morgen und jeden Abend zurücklegen, da alle im Kastell untergebracht waren.

Jana auf ihrem prunkvoll gesattelten Schimmel bog sehr bald vom Wege ab und wählte eine Richtung, die mitten in den ödesten und zerklüftetsten und unzugänglichsten Teil des Gebirges hineinführte, dessen Granitmassen von der verschiedenartigsten Färbung waren, vom fast weißen bis zum blaßroten und tief schwarzen Gestein, das sich jedoch sehr leicht bearbeiten ließ und verhältnismäßig weich war.[*1][1] Deshalb hatte man auch das ganze Kastell und die Nebengebäude vollkommen aus Stein errichtet, Holz war gar nicht zur Verwendung gelangt, weil der Djebel Fatireh überhaupt baumlos ist, eine grauenhafte, hitzedurchglühte Felseinöde mit einem Klima, das rein tropisch ist und an den berüchtigten, ja auch recht nahegelegenen Backofen des Roten Meeres gemahnt.

Die blonde Jana in ihrem fast durchsichtigen Gewande schlug die Richtung nach einem Liebesnest ein, das sie und Armin eines Tages bei ihren Streifzügen durch die Täler ganz zufällig entdeckt hatten. Der junge Teutone Armin hätte gewünscht, diese Entdeckung des roten, tempelartigen Gebäudes wäre nie erfolgt, – es war seine Schuld, daß er nach vielen mißglückten Versuchen auch die Kupfertür, die einen Geheimverschluß besaß, geöffnet hatte, und in diesen mit schwüler Üppigkeit ausgestatteten Räumen hatte sich dann auch sein Schicksal insofern erfüllt, als Jana ihn in einer Stunde heißen Begehrens zu ihrem Liebhaber erkor, – auch das hatte der Teutone wie vieles andere schweigend hingenommen und mit bewußter Heuchelei, die nur einem großen Ziele diente, scheinbar beseligt ertragen.

Der Zugang zu dem Tale der Kleopatra – verschiedene Anzeichen wiesen darauf hin, daß hier die letzte Ptolemäer-Königin mit irgendeinem Liebsten ihre Schäferstündchen abgehalten hatte – lag so versteckt, und das aus rotem Porphyr erbaute Haus fiel so wenig auf, daß noch nicht einmal die wilden Eingeborenen dieser Landstriche das Gebäude aufgefunden hatten, – allerdings wagten sie sich ungern in diese Einöden hinein und kamen nur hierher, um nach Kamelen oder Schafen zu suchen, die sich verlaufen hatten.

Sobald Jana mit Armin allein war, spielte sie nur die zärtliche Geliebte. Die stolze Mannesschönheit des Germanen und seine unverbrauchte Kraft hatten es der Tochter des Marius angetan. –

Nachdem sie nun das Liebesnest der großen Buhlerin Kleopatra betreten und der Teutone die Tür auf Janas Geheiß von innen versperrt hatte, warf sie sich wie erschöpft von der Hitze auf einen der Wanddiwane, die mit Tierfellen und kostbaren Geweben bedeckt waren.

„Setze dich zu mir, Rami“, sagte sie mit ihrer verführerischen und in solchen Augenblicken sehr sanften Stimme. In Wahrheit hatte nur das bei den Steinbrüchen vorhin geflossene Blut sie erregt und ihre Sinne aufgestachelt – auch darin glich sie den vornehmen Römerinnen der Verfallzeit des Weltreiches, die gleich ihr durch die Gladiatorenkämpfe und deren unmenschliche Grausamkeiten ihre stumpfen Sinne anfeuern ließen. „Reiche mir einen Schluck Zypernwein aus der großen Amphora dort und trinke selbst! Geliebter, du bist ja so merkwürdig ernst heute?! Was ficht dich an?“

Sie nannte ihren Leibsklaven, und das war er nun im vollsten Sinne des Wortes, zuweilen Rami, weil sie diesen Vornamen von den ägyptischen Gefangenen gehört hatte, und weil er ihr weicher klang als Armin.

Der Teutone hatte sich gegen diese Umstellung der Buchstaben seines berühmten Namens zuerst gewehrt, aber die Klugheit erforderte in allem von ihm größte Vorsicht, da er die Unberechenbarkeit Janas kannte. Auch den Chiliarchen Avito, den Befehlshaber der Soldaten, einen ebenso auf seine Stellung als Kommandeur der zilizischen Reiterei eingebildeten wie sadistisch-grausamen Menschen, der für die geringsten Versehen die furchtbarsten Strafen über die Kettengefangenen verhängte, hatte er sehr zu fürchten, da er Armin mit eifersüchtigem Hasse verfolgte, ohne jedoch an dem Germanen sein Mütchen kühlen zu können, da Jana sehr scharf acht gab, daß ihrem blonden Rami nichts zustieße.

Der Teutone spielte denn auch heute hier seine Rolle als feuriger Liebster wie sonst, mit einiger Überwindung, nachdem er die Frage Janas nach der Ursache seiner ernsten Stimmung wahrheitsgemäß durch den Hinweis auf den Tod seiner vielen Leidensgefährten beantwortet hatte, worauf Jana, denn sie war eine vollendete Heuchlerin, auch ihrerseits sich plötzlich in allerlei Äußerungen des Mitgefühls erging, die vollkommen ihrem Wesen widersprachen.

Die Unersättlichkeit der nach dem reichlich genossenen Zypernwein halb trunkenen Jana stieß heute den jungen Germanen derart ab, daß er sich entschloß, diesem widerwärtigen Spiel ein Ende zu machen und den längst vorbereiteten Aufstand der Damnati gegen ihre Peiniger schnellstens losbrechen zu lassen.

Nach dreistündiger Rast in dem Liebestempel der Kleopatra ritten Jana und Armin dem Kastell zu, ohne den Spion zu bemerken, den ihnen der Chiliarch Avito seit Tagen an die Fersen geheftet hatte. Es war dies ein Freigelassener, ein ränkesüchtiger und für Geld zu allem fähiger Grieche namens Prokrustes[2], – er machte seinem aus der altgriechischen Göttersage berüchtigten Namensvetter alle Ehre, auch er hätte es fertigbekommen, einem Menschen für Geld die Glieder abzuhacken, damit der Ärmste in das Prokrustesbett hineinpaßte. Seine Freilassung und seine jetzige Stellung als Architekt des oberhalb des Kastells begonnenen Jupitertempels verdankte er auch nur dem schnöden Verrat einer vor Monaten von den Sträflingen angezettelten Verschwörung gegen ihre Quälgeister, er war ein so verächtliches Wesen, daß nur ein Mann wie Avito, der selbst ein habgieriger und verlogener Schurke war, ihn zu seinem Vertrauten machen konnte. Heute war es diesen Prokrustes nun endlich geglückt, das Liebesnest der Kleopatra und der Jana herauszufinden.

Im Kastell trennte sich Armin von seiner Herrin und Geliebten und begab sich in seine zellenartige Stube aus reinem Fels, die unweit der größeren Schlafsäle der übrigen Damnati lag, – er genoß so immerhin den Vorzug, eine Wohnung mit einem noch kleineren Nebenraum sein eigen nennen zu dürfen, und gerade diese Bevorzugung hatte in dem stolzen Germanen auch den Plan ausreifen lassen, von hier aus die Befreiung seiner Gefährten in die Wege zu leiten.

Zu diesem Zwecke hatte er zunächst in aller Heimlichkeit verschiedene eiserne Werkzeuge beiseite geschafft und sie bei sich verborgen, und zwar unter dem Fußboden aus geglätteten Steinplatten. Als er dieses Versteck einmal erweitert hatte, stieß er auf eine Schicht Geröll, – er beseitigte sie und fand so eine Felsspalte, die als enge Höhle sich bis in die Nähe des neuen, noch unvollendeten Tempels erstreckte, der gleichzeitig dem Janus geweiht werden sollte und daher zwei Tore erhalten hatte. Diese Entdeckung war für die Verschwörer von allergrößter Wichtigkeit, da sie mit Hilfe dieses Weges, den nur sie kannten, sich aus dem Kastell hinausschleichen konnten, nachdem sie ihre Ketten und Steinkugeln durch die gleichfalls von Armin besorgten Feilen entfernt haben würden.

Als die gemeinsame Abendmahlzeit der Damnati vorüber war, und der junge Teutone den Vorhang seiner Steinstube hatte schließen können, denn Türen gab es hier nicht, wartete er noch, bis im Kastell volle Ruhe eingetreten war und öffnete sodann mit aller Vorsicht den Zugang zu der Höhle, um die Feilen hervorzuholen und sich damit in den großen Schlafsaal zu schleichen.

Heute half ihm jedoch alle Vorsicht nichts. Als er gerade in dem Eingang zu dem unterirdischen Gang verschwinden wollte, trat der Grieche Prokrustes mit einer Öllampe ein und flüsterte ihm zu, er solle sofort zu Jana kommen, die ihn sprechen müsse. Armin merkte, daß der Verräter log, tat jedoch so, als glaubte er ihm und packte dann urplötzlich den käuflichen Burschen bei der Kehle, um ihn entweder zu erdrosseln oder jedenfalls zunächst ganz lautlos unschädlich zu machen und zu knebeln und zu fesseln.

Dies wäre ihm auch gelungen, wenn nicht Jana selbst ganz unerwartet das Gemach betreten hätte, um einige Stunden bei ihrem Liebhaber zu verbringen.

Minuten später war es in Armins Gemach dunkel.

Auch die grausame Jana hatte ihr wohlverdientes Schicksal ereilt.

Der junge Teutone zitterte vor Erregung am ganzen Leibe. Aber es war ihm keine andere Wahl geblieben. Trotzdem sank er zunächst in Gegenwart des einen Toten und seiner gefesselten bisherigen Herrin erschöpft auf sein Lager.

 

5. Kapitel.

Rami en Saud, eine Marionette.

In der Heide, die bereits zum Nachbargut gehörte, gab es ein altes Hünengrab mit einem Kreise sogenannter Monatssteine, – also eine germanische Thingstätte. Sie war von uralten Eichen dicht umstanden und eine Sehenswürdigkeit, die der Gutsherr Bolko von Lortz hoch in Ehren hielt. Auf einem dieser Steine saß ein jüngerer Herr im weißen Flanellanzug und rauchte nachdenklich eine Zigarette, die einen wunderbaren Duft hatte und sehr teuer sein mußte. Rami en Saud konnte sich dies leisten, er ließ sich die Zigaretten regelmäßig von daheim schicken und hatte auch für Jana stets ein Päckchen zur Hand, wenn ihr Vorrat verbraucht war. Sie kannten sich von der nahen Großstadt und von der Universität her, wo Jana auch insgeheim ein Kolleg über „Ägypten unter der Herrschaft der Ptolemäer“ hörte. Wenn Tante Vicky dies gewußt hätte, wäre sie außer sich gewesen, und wenn sie geahnt haben würde, daß Jana trotz strengstens Verbotes sich mit einem Bekannten des Herrn Bolko von Lortz Stelldicheine gab, wäre sie in Ohnmacht gefallen, obwohl dazu bei ihrer Rüstigkeit und Nervenstärke so allerlei nötig war.

Rami en Saud sah nun seine Freundin herangaloppieren und erhob sich, um ihr das Pferd abzunehmen und in der Nähe anzubinden.

„Tag, Rami, – wie geht’s?“ begrüßte Jana ihren Verehrer etwa so, als hätten sie sich gestern und nicht vor einer Woche zum letzten Male gesehen. Jana liebte eben keine Überschwänglichkeiten und hatte ja auch die Bekanntschaft des jungen Ägypters nur gesucht, weil sie von ihm leichter gewisse Aufschlüsse erhalten konnte, die ihr sonst sehr erschwert worden wären, da sie selbst in der Großstadt dauernd unter schärfster Kontrolle stand, wobei Tante Vicky eine Schlauheit entwickelte, die an Verschlagenheit grenzte.

Jana gab Rami allerdings die Hand, aber auch das geschah so flüchtig, daß es kein Ersatz für etwas Wärme und Herzlichkeit sein konnte.

„Setz dich“, kommandierte sie in einem Tone, als hätte sie einen Knaben vor sich. „Wie steht die Sache? Hast du Nachricht? “

Sie nahm neben ihm auf dem bankartigen Vorsprung des einen Steines Platz und schlug sehr ungeniert ihre schlanken Beine übereinander. Tante Vicky wäre entsetzt gewesen. Aber der junge Ägypter war nicht Tante Vicky, sondern vierundzwanzig Jahre alt und studierte als Hauptfach Maschinenbaukunde, – zur Zeit interessierten ihn nur Janas dünne Fesseln und der wundervolle Wadenansatz, in allen Ehren natürlich, denn Rami en Saud würde es nie gewagt haben, seinen Gedanken leichtfertige Wünsche zu gestatten, dazu war Jana viel zu unnahbar. Gewiß, er liebte sie, und er hätte für sie alles getan, er wollte sogar seine Religion wechseln und Deutscher werden. Als er dies Jana vor Wochen mitgeteilt hatte, schaute sie ihn nur mit zugekniffenen Augen lange an und erwiderte dann: „Ich habe letztens einen Vortrag über Psychopathie gehört, leider ohne Demonstrationen, – du könntest dich das nächste Mal dem Professor zur Verfügung stellen!“

Rami war sehr rot geworden und hatte nie wieder auf diese Art angedeutet, daß er die ernstesten Heiratsabsichten hege, sondern beschränkte sich wie bisher auf blumenreiche Andeutungen, deren echt orientalischer Bilderreichtum Jana leider nur zum Lachen reizte. Zwischen ihnen bestand überhaupt ein recht merkwürdiges Verhältnis, wie es eben nur infolge des Charakters des Mädchens möglich war. Ihre Kollegbekanntschaft erhielt lediglich durch Jana den Auftrieb bis zur schnellen Duzfreundschaft. Für Jana war der Ägypter nur Mittel zum Zweck und ein gänzlich geschlechtsloses Wesen.

„Nachdem du meine Beine lange genug angestarrt hast“, sagte sie nun in dem ihr eigenen, unpersönlichen Tone, „könntest du mir eigentlich antworten, denn wie meine Beine aussehen, weißt du, ich jedoch weiß noch immer nicht, ob du neue Nachrichten aus Kairo erhalten hast.“ Diese mehr als eisige Dusche genügte vollauf, Rami schleunigst in die Wirklichkeit zurückzuversetzen.

„Der Brief meines Vertrauten wird dich zufriedenstellen“, erklärte er eiligst. Er sprach das Deutsche noch etwas gebrochen, aber durchaus fehlerfrei, da er schon Janas wegen täglich mit seinem Freunde Bolko Lortz lange Unterhaltungen führte, nur um seinen Schatz an deutschen Redewendungen zu vermehren.

„Gib den Brief her, – ob er mir genügt, werde ich beurteilen“, kühlte sie seinen Eifer gründlichst ab. Er durchsuchte bereits seine Brieftasche. „Bitte, – das Schreiben ist wie immer französisch abgefaßt, da dir unsere Schrift und Sprache doch noch – –“

„Du irrst dich, – mir bereitet nichts mehr Schwierigkeiten, wir haben uns genau neun Tage nicht gesehen, und in dieser Zeit lernt eine Jana Kertner genau soviel als andere in neun Monaten.“ Nach diesem erneuten gelinden Anpfiff vertiefte sie sich in den Inhalt des Briefes, aus dem sie sich einige Stellen sehr sorgfältig merkte und fast auswendig lernte, was ihr nicht schwer wurde … – Da stand zum Beispiel:

„Was man der Mademoiselle Kertner über den Tod ihrer Eltern berichtet hat, trifft in keinem Punkte zu. Doktor Kertner und seine Gattin sind nach dem amtlichen Protokoll der Militärstation Sar Nalue in dem altrömischen Kastell am Djebel Fatireh verstorben, und zwar der Vater durch einen Schlangenbiß und die Mutter kurz nach der Geburt des Kindes. Das Protokoll trägt die Unterschrift der Mademoiselle Viktoria von Lettburg und des Ababde-Beduinen-Dolmetschers Ibn Sarkam. Weshalb die vorgenannte Dame, die ihr Alter damals mit sechzig Jahren angegeben hat, ihr Adoptivkind Jana über den Tod der Eltern derart im unklaren gelassen hat, und ihr erzählte, sie wären im Nil bei Heluan ertrunken, erscheint etwas sonderbar angesichts der Tatsache, daß das Ableben der beiden Personen keinerlei verdächtige Momente zeigt. Diese Unwahrheiten dürften wohl nur darauf zurückzuführen sein, daß der Vater der Mademoiselle Jana seine Gattin aus Übereifer für seine Forschungen sehr vernachlässigt haben soll, wie mir der Dolmetscher Ibn Sarkam persönlich mitteilte, der jetzt in Sar Nalue als betagter Kaufmann ansässig ist.

Übrigens erfuhr ich von Sarkam die sehr auffallende Neuigkeit, daß von unbekannter Seite Versuche gemacht worden sind, die Akten der Militärstation zu stehlen, und daß man auch Sarkam viel Geld bot, wenn er seine Kenntnis der Einzelheiten des Todes der beiden Personen niemandem mitteilen würde, – ich bot jedoch mehr als der Unbekannte, und nur so …“

Als Jana diese Zeilen las, verdunkelten sich ihre graublauen Augen und erschienen mit einem Male blauschwarz, während auf der Stirn über der Nasenwurzel eine einzelne Falte auftauchte, die sich immer mehr vertiefte.

„… Der Unbekannte ist mit größter Vorsicht zu Werke gegangen, und es war unmöglich, herauszufinden, wer noch außer Ihnen, Effendi, und der jungen Mademoiselle an diesen Dingen ein Interesse haben könnte …“

An dieser Stelle verschwand die Falte und Jane lachte ironisch auf …

„… Es wäre möglich, daß die Mademoiselle von Lettburg jemanden mit diesen Bestechungs- und Vertuschungsversuchen beauftragt hat, wodurch die Angelegenheit dann freilich ein verdächtiges Aussehen erhielte, jedoch spricht gegen diese Annahme der Umstand, daß der Unbekannte erst in jüngster Zeit diese Versuche unternommen hat und …“

Jana reichte den Brief wieder zurück und fragte in demselben Examinatorton, den auch Uhlenhut schon an ihr kannte: „Hast du das Schreiben etwa deinem Freunde Bolko zu lesen gegeben? Ich hoffe nicht!“

Der junge Ägypter verneinte der Wahrheit gemäß und erlaubte sich noch den Zusatz: „Wie würde ich derartige Familiengeheimnisse, bei denen dein Vater in etwas ungünstigem Lichte erscheint, Fremden zur Kenntnis bringen. Nein, – Lortz weiß natürlich nichts davon, und …“

Er verstummte jäh. Jana hatte ihn so hohnvoll angeschaut, daß er sie mit offenem Munde unsicher anstarrte, denn er wußte nicht recht, ob der Ausdruck in Janas Augen wirklich nur Hohn wäre.

Er hatte sich sehr getäuscht, denn das Mädchen an seiner Seite rückte nun von ihm ab und rief in mühsam unterdrückter Erregung: „Mein Vater kann niemals in ungünstigem Lichte erscheinen, er war ein großer Forscher, merke dir das, und wenn du es nochmals wagen solltest, auch nur eine Silbe über deine Lippen zu bringen, die ihn herabsetzen könnte, so sind wir für immer geschiedene Leute!“

Rami en Saud war verzweifelt über das, was er so unbedacht angerichtet hatte. Er hätte vorsichtiger sein müssen, denn eine ähnliche Szene hatte er schon einmal mit Jana erlebt, er wußte genau, daß sie ihren Vater fast abgöttisch verehrte, und er suchte nun seinen Fehler dadurch wieder gut zu machen, daß er sie zunächst wortreich und geradezu flehenden Tones um Verzeihung bat und ihr dann versprach, die Person herauszufinden, die den Ababde-Dolmetscher hatte bestechen wollen.

Jana bereite dem armen Rami erneut eine sehr bittere Enttäuschung, als sie ihm schroff und unversöhnlich erwiderte, diese Nachforschungen seien unnötig, sie würde diesen Punkt von sich aus aufklären. Und dann kam das Vernichtendste für den jungen Studenten: „Überhaupt“, fügte Jana hinzu, erhob sich und köpfte mit ihrer Reitgerte ein paar Butterblumen, „überhaupt war mir all das, was in dem heutigen Briefe stand, schon bekannt. Dein Beauftragter in Kairo ist ein Stümper, und ich sehe den Grund nicht ein, weshalb wir uns noch treffen sollten. Unsere Freundschaft muß ein Ende haben, denn Tante Vicky und Tim sind schon argwöhnisch geworden und …“ – jetzt erst blickte sie auf und schaute in sein schmerzlich verzerrtes, geradezu entstelltes Gesicht. Er hatte die sanften braunen Augen der Fellachen des Niltales mit sehr langen Wimpern, und in diesen schwarzen Wimpern glänzten Tränen. Seine Verzweiflung war so eindrucksvoll, daß sogar Jana ein leises Gefühl des Mitleids überkam.

Rami en Saud warf sich plötzlich vor ihr zu Boden, umklammerte ihre Füße und stieß vor Schmerz völlig unzusammenhängende Worte und Sätze hervor, die in ihrer angstdurchbebten Verworrenheit erschütternd wirkten und jedes Weib, selbst wenn von Liebe keine Rede sein mochte, zumindest rein seelisch stark ergriffen hätten. Der vor Jana am Boden liegende Mann war ja kein unreifer Jüngling mehr, er war reich, entstammte einem alten ägyptischen Geschlecht, sein Vater führte den Titel Pascha und besaß größten Einfluß, – und dieser kluge, harmlose und schmählich ausgenutzte, ehrlich verliebte und opferbereite Rami flehte hier um ein wenig Freundschaft, nur das, nur um Freundschaft. Ihm erschien es wie ein Todesurteil, daß er Jana nicht mehr sprechen solle, nicht mehr sehen …, – er bettelte hier im Staube vor ihr wie vor einer Göttin und fühlte nicht einmal, wie tief er sich selbst demütigte …

Aber der andere Mann, der in den Büschen keine fünf Meter entfernt alles mit beobachtete und hörte, zog seine fast zu starken blonden Augenbrauen immer finsterer zusammen und hätte am liebsten jetzt schon eingegriffen. Von seinem ersten Versteck aus hatte er Janas kecken Streich gegenüber dem sonst so schlauen Tim mit angesehen, und er hatte nicht etwa gelächelt, nein, das harmlose, sorglose Lächeln war ihm seit Monaten gestohlen worden, ja, – gestohlen worden, das war der richtige Ausdruck dafür! Von seinem jetzigen Versteck auf der alten Thingstätte schaute er dem Mädchen gerade ins Gesicht, bemerkte das flüchtige Aufleuchten von Mitleid in ihren Zügen und verzog bitter die Lippen zu einer Grimasse des geheimen Abscheus. Er kannte diese schnell vorübergehenden Anwandlungen weicherer Empfindungen nur zu gut, und er glaubte genau zu wissen, was nun folgen würde. Doch er täuschte sich.

Auf Janas Stirn erschien wieder die tiefe Falte, sie dachte jetzt schärfer nach denn je, und das wollte bei Jana viel besagen, und als sie sich nun zu Rami hinabbeugte, lächelte sie plötzlich, worüber der Mann in den Büschen sehr erstaunt war, noch erstaunter über des Mädchens weiche Stimme, die nun dem Ägypter tröstend zuraunte, er solle nicht so unglücklich sein, sie habe es ja mit dem gänzlichen Abbruch der Beziehungen zwischen ihnen beiden nicht ernst gemeint. „Steh’ auf, Rami! So, – und nun darfst du mir auch die Hand küssen, wir bleiben Freunde!“ Sie streifte den Stulpenhandschuh ab und hielt ihre Fingerspitzen Rami übermütig und etwas herausfordernd hin und duldete es sogar, daß er, der seiner Sinne kaum mehr mächtig war, sie an sich riß und küßte …

Der heimliche Lauscher hatte sich völlig verrechnet, was den Verlauf der merkwürdigen Liebesszene betraf. Er hatte angenommen, daß Jana mit dem Studenten genau so umspringen würde, wie mit weit gereifteren Männern, – er erwartete, sie würde Rami empört von sich stoßen und ihn einfach für alle Zeit aus der Liste derer streichen, die sie als ihre Marionetten benutzte. Jana aber stand mit hängenden Armen da und rührte sich nicht, und ließ die tollen Zärtlichkeiten über sich hinwegfluten wie eine Woge, die nur die äußerste Oberfläche ihrer Haut kaum berührte.

Rami gab sie denn auch sehr bald ganz von selbst aus seinen Armen frei. Ihre Lippen waren wie leblos und tot und strömten eine Kälte aus, die sich den seinen schnell mitteilte und die ihn ernüchterte und zur Besinnung brachte. Schwer atmend stand er nun vor ihr und blickte sie unsicher und wie ein unbegreifliches Rätsel an.

Jana nahm ihr Taschentüchlein und betupfte sich, als wäre überhaupt nichts geschehen, die Lippen. Ihre Mundwinkel waren nach oben gebogen, und der heimliche Lauscher, der auch dieses bedrohliche Anzeichen kannte, erwartete voller Ungeduld die nächsten Worte der schlanken, rassigen und leider so unausgeglichenen und grausam selbstsüchtigen Tochter eines Vaters, der sein Lebtag auch nur immer seine Person und seine Wünsche in den Vordergrund gedrängt hatte. Als nun die Worte scheinbar so überaus gleichgültig über Janas Lippen kamen, als ob es sich nur um einen augenblicklichen Einfall handelte, horchte der Mann in den Büschen argwöhnisch auf und richtete sich etwas empor.

„Verstehst du etwas von Geheimfächern, lieber Rami?“ Das war alles, aber es war genug. Der Lauscher schob noch drohender die dicken, blonden Brauen zusammen, und in diesem Moment sah er unerbittlich und hart und brutal aus, – so hätte er noch vor Monaten nie aussehen können. Seine Freunde hätten ihn jetzt nicht wiedererkannt, doch vor der Welt trug er eine Maske und ließ niemanden in sein Inneres schauen, denn er hätte sich geschämt, er, der Mann von fünfunddreißig Jahren, der einem Fünfundzwanzigjährigen glich, so glänzend hatte er sich das jugendliche Äußere und auch das jugendliche Empfinden bewahrt.

Was dann weiter zwischen dem merkwürdigen Liebespaar verhandelt wurde, veranlaßte ihn, lautlos sich zu entfernen und sein Pferd wieder zu besteigen und im Galopp sich der Stelle zu nähern, die Jana passieren mußte, wenn sie zu Tim Uhlenhut zurückkehrte.

Jana reichte Rami zum Abschied die Hand und fuhr im dann noch mit den Fingern schmeichelnd über die Wange: „Bist doch ein braver Junge, Arnim! Aber laß dich nicht abfassen! Und wenn du abgefaßt wirst, schweige!“

Zuweilen nannte sie ihn Armin, weil er ihr einmal erzählt hatte, daß in seiner Familie germanisches Blut von uralten Zeiten her nachweisbar sei. Dann ritt sie davon, winkte ihm nochmals zu und freute sich über sein glücklich strahlendes Gesicht. Hundert Meter weiter aber ließ sie ihr Pferd in Schritt fallen, und die finstere Falte stand wiederum zwischen ihren hellen Augenbrauen, und ein Gefühl der Reue und der inneren Einkehr wollte die Oberhand gewinnen über ihre kalte, berechnende Natur.

Derartige Kämpfe hatte Jana häufiger mit sich auszufechten, bisher war stets das Schlechte nach kurzer Zeit Sieger geblieben, heute währte dieser Widerstreit der Empfindungen etwas länger, denn noch nie hatte Jana an eine ihrer Marionetten solche Zumutungen gestellt. Schließlich tat sie aber doch alle Bedenken mit einem harten Auflachen ab. Für sie ging es hier um Dinge, die ihr mehr galten als alles, ihr Ehrgeiz lechzte nach Erfolg, sie, das Wunderkind, wollte die Welt noch stärker verblüffen durch eine geistige Reife und durch wissenschaftliche Triumphe, wie sie sonst nur Männern in der Blüte der Jahre beschert sind. Ihr war es kein Geheimnis, daß ihr Vater sich in der Hauptsache mit der vielumstrittenen Persönlichkeit der Königin Kleopatra beschäftigt und daß er dort in der Nähe des Djebel Fatireh irgend etwas entdeckt hatte, das von allergrößter Bedeutung für die Erforschung der Zeit der letzten Ptolemäerkönigin war, sie hatte wiederholt die Tante Vicky und den alten Tim belauscht, jedoch nie alles erfahren können, da die beiden Vertrauten, die Adoptivmutter und Uhlenhut, sogar bei diesen Gesprächen sehr vorsichtig waren. Sie wußte jedoch, daß ihr Vater Aufzeichnungen hinterlassen hatte, und diese Papiere mußte sie sich aneignen – so oder so.

„Jana, einen Augenblick!“ Ein Reiter versperrte ihr den Weg, und das Gesicht dieses Mannes verriet, daß er nicht wie einst mit sich scherzen und ein seiner unwürdiges Spiel treiben ließe.

Jana war blaß geworden. Ihre Augen flackerten bedrohlich. „Ich heiße für Sie noch immer gnädiges Fräulein!“ fuhr sie ihn wie ein fauchendes Kätzchen an. „Geben Sie mir den Weg frei, – was fällt Ihnen ein, Sie … Sie … Wegelagerer …?"

Der Mann hatte nur ein verächtliches Lächeln um die Lippen und schaute sie aus verkniffenen Lidern blinzelnd an. Der brutale Zug in seinem braunen Gesicht trat noch schärfer hervor.

„Ich wollte dir nur eines sagen, Jana“, meinte er rauh und etwas heiser, denn er mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht noch mehr aufzubrausen … „Nur das eine, Jana … Wenn du es wagen solltest, Rami zu Handlungen zu verleiten, die gegen Sitte und Recht sind, so werde ich … ich eingreifen!! Merke dir das!! Bisher weiß der arme Junge nicht, was es im Frühjahr zwischen uns beiden gegeben hat. Hüte dich! Rami kann gefährlich werden! Seine Liebe wird in Haß umschlagen, und der Haß eines Orientalen ist sehr bedenklich für den, dem er gilt!!“

Jana warf den Kopf selbstbewußt zurück und zog die Mundwinkel geringschätzig nach unten. „Der Haß würde dann Ihnen gelten, dafür werde ich sorgen!“, stieß sie nur halblaut hervor. „Sie spionieren uns nach! Schämen Sie sich, – wir sind hier nicht in Ägypten, und selbst dort hat Ihr Geld nichts ausgerichtet!"

Der Mann nickte ihr nur unmerklich zu. „Sie entwickeln sich immer mehr nach der negativen Seite hin, – Sie sind es nicht wert, Sie eingebildeter Kindskopf, daß ich Ihnen die Ehre zuteil werden lasse und Sie du nenne!“ Er gab seinem Pferd einen leichten Gertenhieb und jagte in die Heide hinein.

Jana blickte ihm erst noch eine Weile mit demselben geringschätzigen Gesichtsausdruck nach, dann senkte sie langsam den Kopf und starrte vor sich hin auf den sandigen Weg, wo gerade eine Schar Ameisen ein totes junges Vöglein wegzuschleppen suchte. Die Falte auf ihrer Stirn grub sich immer tiefer ein und war noch nie so tief und so nachdenklich gewesen. Als sie dann zu Tim Uhlenhut zurückkehrte, war sie wieder die Jana von vorhin.

„Na, Timchen, – hast du die halbe Stunde meiner Abwesenheit auch vorteilhaft benutzt?! Du hättest dir deine Perücke auskämmen sollen. Sie sieht stets wie ein Strauchbesen aus, mit grünen Blättchen dran, – Grünspan, du weißt ja!!“

Timchen machte eine Schnut wie sieben Tage Regenwetter. „Wo waren Sie, Fräulein?“

„Wo? Drüben in der Heide.“

„Und mit dem gelbgesichtigen Rami haben Sie sich getroffen“, grollte Uhlenhut wütend.

„Ach nein! Nur unserem Nachbar bin ich begegnet. Ist das ein unfreundlicher Mensch, – er verbot mir das Betreten seiner Ländereien, – stelle dir das vor, Timchen!! Ich möchte nur wissen, weshalb der im Frühjahr sich hier angekauft hat?! Geld hat er wie Heu, und von der Landwirtschaft versteht er nichts, und im Kopf hat er auch nur Heu!!“

„Wollte Gott, es wäre so!“, lautete Tims frommer Wunsch. „Ich fürchte aber, er ist schlauer als wir alle!“

Jana lachte spöttisch. – Dann ritten sie heim nach Schloß Lettburg, wo eine weißhaarige, schlanke und immer noch sehr rüstige Frau sie auf der Terrasse, im prallen Sonnenschein stehend, erwartete. Es war Viktoria von Lettburg, Janas Adoptivmutter, die von Jana jedoch nur mit Tante angeredet wurde, was Fräulein Vicky zunächst sehr verstimmt und gekränkt hatte. Aber man mußte sich eben mit Janas Eigenart abfinden und nur dafür sorgen, daß nicht auch noch in anderer Beziehung die ererbten Eigenschaften des Vaters in ihrer Seele emporschossen wie Unkraut in einem gepflegten, hübschen, jungen Gärtchen.

Jana warf Tim die Zügel der alten Stute zu und eilte die Treppe hinan und umarmte die weißhaarige Frau. „Tantchen, es war herrlich im Walde …! Tim und ich hatten uns gelagert, und ich habe Timchens Perücke ausgekämmt. Schau mal hin, sieht er nicht wie ein Jüngling aus?!“

Das Fräulein von Lettburg lächelte.

„Du bist doch ein großes Kind, trotz all deiner Gelehrsamkeit!“ Aber sie freute sich insgeheim doch über das ranke, pikante und kluge Mädel, und sie hoffte zuversichtlich, daß es ihr gelingen würde, diese schöne Menschenblüte vor allen Anfechtungen des unseligen Blutes Axel Kertners zu bewahren. Sie zog Jana noch zärtlicher an sich und meinte, indem sie den Kopf etwas zurückbeugte, um in die graublauen Augen ihrer Tochter schauen zu können: „Hannichen, ich habe heute die Rundreisehefte für Italien bestellt. In acht Tagen geht’s zuerst nach Bozen und dann weiter über Mailand nach Rom und nach Sizilien …“

Janas Augen bekamen erhöhten Glanz. „Ach, Tantchen – das wird herrlich werden! Meine erste längere Reise!“ Und Tantchen bekam einen langen Kuß. Aber insgeheim dachte Jana dabei: „Von Sizilien habe ich es nicht mehr so weit bis Ägypten, und inzwischen wird Rami wohl Erfolg gehabt haben!“

 

6. Kapitel.

Das Mosaikbild im Schlafgemach der Kleopatra.

Der junge Teutone Armin hatte nicht allzu lange auf seinem Lager gesessen und sich überlegt, was nun werden sollte. Er war kein Mann jener Art, die selbst die bereits so verweichlichten und schwelgerischen Römer verächtlich mit dem Beinamen Cunctator, Zauderer, bezeichneten. Armin wußte, worum es hier ging, – um sein Leben und um die Freiheit seiner Unglücksgefährten. Er hatte alles genau erwogen und war auch zu ganz bestimmten Entschlüssen gelangt. Der Aufstand der Sträflinge mußte verschoben werden, denn zunächst war es notwendig, festzustellen, ob etwa der Chiliarch Avito den verräterischen Griechen als Spion ausgeschickt hätte, – bisher war ja der für Geld zu allem bereite Prokrustes noch nie abends bei Armin erschienen.

Der Germane beließ den Toten und die gefesselte und geknebelte Jana unten in dem Höhlengang und begab sich in eines der am befestigten Eingang des Kastells gelegenen Steinhäuser, das der Oberbefehlshaber der zilizischen Reiterei bewohnte.

Die sämtlichen Gebäude der kleinen Festung lagen reihenweise dicht nebeneinander und bildeten enge Gassen, über die zum Schutz gegen die Sonne Matten gespannt waren, denen als Mittelstütze Steinsäulen aus dem leicht zu bearbeitenden Granit dienten, der hier an Ort und Stelle gewonnen wurde. Gegenüber dem in Wadi Fatireh (Flußtal) errichteten Kastell stiegen die kahlen Granitberge genauso schroff empor wie im Südwesten. Das Wadi führte nur zur Regenzeit Wasser und auch dann nur, wenn im östlichen Gebirge sehr starke Niederschläge erfolgt waren, was im allgemeinen selten geschah. Marius, der Vater Janas, hatte daher, um dem Wassermangel vorzubeugen, als umsichtiger Kopf oberhalb des Kastells ein Stauwerk bauen lassen, dessen Größe in späteren Jahrtausenden die Bewunderung der Gelehrten erregen sollte, da Teile davon selbst diesem Zeitablauf trotzten.

Auch die alten Ägypter hatten einst einen solchen Staudamm zur Pyramidenzeit an anderer Stelle, am Wadi Gerraui, errichtet, und die Reste dieses Dammes beweisen noch heute, vielleicht eindrucksvoller als die Pyramiden, die ungewöhnliche Zähigkeit und die technischen Kenntnisse der Niltalbewohner und die Größe der damaligen Kultur und deren Vielseitigkeit. Der Staudamm bei Gerraui ist wohl nur durch außerordentlich reiche Regengüsse, die das Staubecken bis über den höchsten Rand füllten, infolge des enormen Wasserdruckes geborsten, die Durchbruchstelle ist noch heute genau zu erkennen und die Seitenteile blieben erhalten und werden bis zum Ende aller Dinge erhalten bleiben, da es sich um quadratische Felsblöcke von solcher Größe handelt, daß ihnen auch die natürliche Verwitterung nichts anhaben kann.

Das Stauwerk des Marius freilich entbehrte dieser Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit, wie sich später zeigen sollte. Die Römer waren leider damals schon ein dem Untergang geweihtes Volk, das durch seine Waffenerfolge und durch die allzu gewaltige Ausdehnung ihres Imperiums, sowie durch die ihnen fast mühelos zufließenden Reichtümer der unterworfenen Völker allmählich dem Müßiggang und damit dem Verlust aller kriegerischen Eigenschaften anheimfielen. Auch an ihnen vollzog sich das Geschick jener Nationen, die das Waffenhandwerk vernachlässigten und durch Söldnerheere ihre Kriege führen ließen oder schließlich so weit moralisch sanken, daß sie nur im ungefährlichen Blutvergießen der Gladiatorenkämpfe als Zuschauer ihre Sinne erhitzten. Es sollte denn auch keine zwei Jahrhunderte nach dieser hier geschilderten Epoche dauern, bis das römische Reich dem Ansturm der Germanen erlag und ein Totila und Teja in der Siebenhügelstadt Rom residierten.

Die im Kastell besonders bei Nacht sehr zahlreich patrouillierenden Wachen ließen Armin, den Günstling der Jana, ungehindert durch und wechselten sogar mit ihm einige Worte, denn es war immer von Vorteil, mit einem Manne sich gut zu stellen, der der Liebhaber der Tochter des Präfekten der Steinbrüche und dazu ein so vorzüglicher Speerwerfer, Bogenschütze und Schwertfechter war. So gelangte der junge Teutone denn bis zu dem prunkvolleren Bau der Wohnung des Chiliarchen Avito und fand diesen mit dem weißbärtigen Marius beim Brettspiel vor.

Armin fragte den Befehlshaber der Soldaten respektvoll irgend etwas Nebensächliches und erhielt eine Antwort, die ihn durchaus beruhigte. Seine Annahme, Avito könnte den Griechen zu ihm geschickt haben, war falsch, und schleunigst kehrte er nun in seine Behausung zurück und traf alle Vorbereitungen, die gefesselte Jana und den toten Prokrustes für immer oder, was Jana betraf, so lange verschwinden zu lassen, bis diese nicht mehr zur Verräterin werden könnte.

Er entfernte auch die letzten Spuren des Blutes des Griechen und stieg dann mit seiner Öllampe in die Grotte hinab, deckte die Felsplatten des Loches wieder über die Fußbodenöffnung und trug nacheinander die Leiche und seine Herrin bis zum anderen, ebenso versteckten Ausgang, wo er sie vorläufig niederlegte. Da er für seine weiteren Pläne Reittiere brauchte, schlich er jetzt, die Mauern des Kastells im Bogen umschreitend, zum sogenannten Viehhof wo die Zugochsen, Kamele und Pferde in steinernen Ställen untergebracht waren.

Hier gab es nur wenige Wachen, und da der Viehhof der Bequemlichkeit halber mehrere Ausgänge hatte, die nur durch Steinbalken versperrt waren, wurde es dem jungen Germanen nicht weiter schwer, drei Pferde unbemerkt bis zum neuen Tempelbau in die dort vorhandenen Schluchten zu führen und mit seiner gefesselten Herrin und dem auf dem einen Pferde festgebundenen Toten eiligst nach dem Liebesnest der Kleopatra aufzubrechen, wo er dann in dem versteckten Tale die Leiche in eine Felsspalte warf und Geröll darüber häufte.

Als er nun die Kupfertür mit dem Geheimschloß öffnen wollte, merkte er, daß irgend jemand sich an dem kunstvollen Schloß zu schaffen gemacht hatte und daß dieses halb verdorben war, so daß er nur mit Mühe die Innenriegel zurückschieben konnte. Sofort stieg in ihm der begründete Verdacht auf, daß der Grieche auch hier seine Hände im Spiel gehabt habe, und nachdem er Jana die Fesseln und den Knebel abgenommen, fragte er sie drohenden Tones, ob etwa der elende Prokrustes ihr mitgeteilt hätte, daß er ihnen heute am Tage nachgeschlichen sei.

Die blonde, schöne und verführerische Tochter des Marius hatte inzwischen Zeit gehabt, sich über ihre bedrohliche Lage völlig klar zu werden, denn sie war nicht nur grausam und verderbt, sondern auch ungewöhnlich schlau. Sie gab sich nun auch darüber keiner Täuschung mehr hin, daß Armin die Leidenschaft für ihre Person nur geheuchelt und in Wahrheit ganz andere Ziele im Auge gehabt habe. Ein unbändiger Haß gegen ihren Leibsklaven erfüllte sie jetzt, und doch war sie verschlagen genug, dies in keiner Weise zu verraten, sondern fernerhin die begehrliche Jana von früher zu spielen.

Sie hatte sich auf den fellbedeckten Wanddiwan geworfen und lächelte den finster vor ihr stehenden Armin vorwurfsvoll an. „Weshalb, mein Geliebter, sagtest du mir nicht schon vor Tagen, was du planst?!“, erklärte sie mit einer so weichen und nachsichtigen Stimme, daß Armin sie erstaunt musterte, denn er hatte zu wenig Erfahrungen mit Weibern, um Jana sogleich zu durchschauen. Trotzdem besaß er jene Klugheit und scharfe Beobachtungsgabe, die er eigentlich erst dem intimen Verkehr mit Jana genauso verdankte, wie seine Bildung und seine Kenntnis der hiesigen Berge, wo Jana stets nach Gold und nach Spuren alter Kulturstätten bei den langen Spazierritten suchte.

Jana hatte derweilen ebenso sanft hinzugefügt: „Du scheinst ganz vergessen zu haben, daß in meinen Adern dasselbe Blut fließt wie in den deinen. Ich fühle mich weit mehr als Germanin, denn als Römerin, und ich werde dir gern helfen, deine Pläne zur Vollendung zu bringen. Du darfst mir vertrauen, du weißt ja, wie sehr ich dich liebe und wie schwer du ohne meine Hilfe deine Gefährten befreien kannst. Mein Verschwinden wird dich in große Ungelegenheiten bringen, und du tätest richtiger, mir zu glauben und mit mir zu beraten, wie wir das Abhandenkommen des Griechen unverdächtig erklären können.“

Armin zögerte zuerst noch. Aber auch er hatte seine Fehler wie jeder Mensch, er teilte mit Jana die Gier nach dem Golde, freilich aus anderen inneren Motiven heraus. Bei ihm war die Hoffnung, eine Goldader zu finden, zugleich mit der Erwartung verbunden, man würde ihm die Freiheit schenken, wenn er den Römern zu großen Reichtümern verhülfe. Es blieb immer fraglich, ob der Aufstand der „Damnati in metallum“ gelingen würde, und Armin trachtete danach, zumindest seine Person bei der Rebellion möglichst im Hintergrund zu halten, damit er beim Mißglücken des Befreiungsversuches nicht mit zur Rechenschaft gezogen würde.

Auch diesen etwas hinterhältigen Zug hatte er sich erst durch den Verkehr und durch den Einfluß Janas angeeignet, die ihm dauernd durch Wort und Tat zeigte, daß der selbstsüchtige Charakter es am weitesten brächte. Ihr Einfluß auf ihn war überhaupt stärker, als er selbst dies fühlte, und es konnte auch kaum anders sein, denn bei dieser intimsten Vertrautheit, die das Blut des jungen Germanen selbst wider seinen Willen unter Janas heißen Zärtlichkeiten mit erhitzte, mußte es sich ganz von selbst ergeben, daß er Janas Fehler nicht nur milder beurteilte, sondern auch viele ihrer Ansichten teilen lernte.

Sehr viel zu dieser Unausgeglichenheit seines innersten Wesens trugen die klimatischen Verhältnisse mit bei, denn Armin stammte aus einem Land, in dem eisige Nebel, düstere Wälder und harte, endlose Winter die Leidenschaften zügeln und die Menschen innerlich gefestigter machen. Hier in den Gebirgen, die fast parallel zum Roten Meere verliefen, hier, wo sich bis zum Nil hin die kahle Wüste mit nur einem Streifen fruchtbaren Landes in der eigentlichen Nilniederung erstreckte, hier, wo selbst die Nächte kaum Abkühlung brachten und ein tropisches Klima herrschte, büßten die nicht an diese Hitze Gewöhnten nur zu bald ihre Ausgeglichenheit ein und wurden Untertan ihrer Umgebung und ihrer veränderten Lebensbedingungen.

Armin hatte voller Aufmerksamkeit und zunächst noch mit einigem Mißtrauen den klug gewählten Worten Janas gelauscht und fand doch schließlich darin so viel Wahres, daß er, heute mehr denn je, nicht völlig Herr seiner Gedanken und seines kritischen Verstandes, ihr abermals unterlag und neben ihr Platz nahm und es duldete, daß sie ihm den Zinnbecher wiederholt mit dem berauschenden Zypernwein füllte und sich an ihn schmiegte. In ihren Armen vergaß er alles, was sie je an bewußt Brutalem über die Leiden seiner Gefährten sich hatte zuschulden kommen lassen. Unter ihren gierigen Küssen und zügellosen Liebkosungen ward er heute mehr denn je ihr Sklave, und als er nun nach einer Stunde erschlaffender Wollust neben ihr ruhte und nach dem Wein und der Liebe die Müdigkeit ihn überfiel und er einzuschlafen drohte, war es nur ein Zufall oder eine Fügung der Götter, daß er ihrem kaltblütigen Mordplan entging.

Schräg gegenüber dem Diwan hing an der mit Seidenstoffen bespannten Wand einer jener großen Metallspiegel, wie sie sowohl in Ägypten, als auch in Rom zur Verstärkung des einfallenden Tageslichtes benutzt wurden, – was hier notwendiger als anderswo war, da die Fensteröffnungen nur ganz schmal und mehr schießschartenähnlich waren. Armin hatte diese Spiegel, die überall verteilt waren, noch unlängst sorgfältig gesäubert, da sie sehr leicht blind wurden.

Als er jetzt, bereits im Halbschlaf, müde durch die Lider blinzelte, sah er, wie die aufgestützt daliegende Jana langsam und vorsichtig aus ihrem hochaufgesteckten und mit Schleiern umhüllten Blondhaar eine der langen goldenen Nadeln hervorzog, wie die Römerinnen sie damals gern in Form schmaler Dolche trugen, – er wurde sofort vollständig wach, und als Jana nun zustoßen wollte – sie hatte gerade auf sein Herz gezielt, da sein Körper fast entblößt war – packte er ihre Hand und entriß ihr die goldene Nadel und schleuderte das heimtückische Geschöpf mit aller Kraft von sich, so daß Jana gegen die Wand flog und bewußtlos zusammenbrach.

Armin kümmerte sich nicht weiter um das gefährliche Mädchen, sondern beeilte sich, alles aus den sieben Räumen des Liebestempels zu entfernen, was Jana die Möglichkeit gegeben hätte, sich vielleicht durch eine Rauchsäule bemerkbar zu machen. So steckte er die vorhandenen Feuerzeuge zu sich und nahm seiner Gefangenen dadurch die einzige Möglichkeit, durch die Fensteröffnungen draußen Brennstoffe aufzuhäufen und in Brand zu setzen, außerdem verkeilte er auch die breitesten der Fensterschlitze durch Steintrümmer in einer Weise, daß Janas Kräfte nicht hinreichten, sie herauszuziehen.

Bei der Sicherung der einzigen Tür hatte er größere Schwierigkeiten zu überwinden, da das Geheimschloß sich von innen leicht öffnen ließ. Aber auch dies erledigte er zu seiner Zufriedenheit, indem er das Schloß der Kupfertür so verdarb, daß es nur von außen fernerhin durch ein besonders geformtes Metallstück bewegt werden konnte. Dann sperrte er die noch immer Ohnmächtige rücksichtslos ein und stützte noch schwere Steinbalken gegen die Tür. Nun erst bestieg er das eine Pferd und jagte nach dem Viehhof des Kastells zurück, wo es ihm abermals gelang, die Tiere unbemerkt in ihre Stallungen zu bringen.

Der Morgen graute bereits, als er völlig erschöpft auf sein Lager sank und seine Lage nochmals überdachte und so zu einem neuen Entschluß gelangte, den er auch unverzüglich in die Tat umsetzte. Er erhob sich und gesellte sich den soeben abgelösten Wachen zu und unterhielt sich mit ihnen, um sich für alle Fälle Zeugen zu sichern, die bekunden könnten, er sei nachts im Kastell gewesen. Von dem Höhlengang, der ihm ein unbemerktes Verlassen und Betreten der Festung ermöglichte, wußten ja nur die, denen er seinen Plan zum Aufstand und zur Niedermetzelung der Römer bisher mitgeteilt hatte, und auf deren Verschwiegenheit durfte er sich verlassen.

So kam es denn, daß niemand gegen ihn den geringsten Verdacht schöpfte, als vormittags zu einer Zeit, in der Jana ihr Bad zu nehmen pflegte, sowohl ihr als des Griechen Verschwinden offenbar wurde und man die beiden aufs eifrigste zu suchen begann, woran Armin sich unermüdlich beteiligte.

Nur eine einzige traute Armin nicht, schwieg jedoch zunächst, da sie den Landsmann nicht unnötig und ohne Beweise verdächtigen wollte, – das war Arminia, die Mutter Janas, die unter der einen Erkenntnis bitter litt, daß ihr Kind alle schlechten Eigenschaften eines der Vorfahren der Familie ihres Gatten geerbt hatte, und die außerdem mit den armen Sträflingen aufrichtiges Mitleid empfand und deren schreckliches Los zu lindern suchte, wo und wie sie nur irgend konnte.

Arminia schwieg, beobachtete aber Armin insgeheim um so schärfer, denn sie wußte ja, daß er der Geliebte ihres einzigen Kindes gewesen, und auch das hatte ihr Muttergefühl schwer verletzt, ohne daß sie hierfür bei ihrem Gatten das geringste Verständnis fand, der es nur für ein gutes Recht der Jugend ansah, alle Freuden des Lebens zu genießen, und das war in jener Epoche die allgemeine Anschauung.

Als Jana in dem Liebesnest der Kleopatra wieder erwachte und sich der letzten Vorgänge erinnerte, – schon allein durch die Schmerzen, die sie am ganzen Körper spürte, blieb sie noch lange am Boden sitzen und überließ sich ihren zwecklosen und törichten Rachegedanken. Sie hoffte bestimmt, sehr bald entfliehen zu können, und dann sollte Armin den gräßlichsten Tod erleiden, den die teuflische Phantasie des Chiliarchen Avito als Strafe für die Damnati ersonnen hatte: Er ließ die armen Schächer, denen er diese satanischen Qualen zugedacht hatte, an einen bestimmten, nach Süden zu gelegenen Felsen schmieden und sie im Sonnenbrand elend verrecken.

Jana erhob sich jetzt von dem kostbaren Teppich und betrachtete ihr zerfetztes Gewand und ihren zerschundenen Leib, und nur die Hoffnung, daß Armin sehr bald am Felsen des Sonnenliedes – so nannte sie den Marterplatz – hängen würde, verlieh ihr die Kraft, sofort die Räume zu durchsuchen, ob nicht irgendwo eine Falltür im Steinboden oder ein geheimer Ausgang in den Steinblöcken der Wände vorhanden sei. Bei dieser Suche gelangte sie auch in das Schlafgemach der buhlerischen Königin, das vielleicht noch prunkvoller als die übrigen Räume ausgestattet war.

Sie schob das niedere Bett mit den vielen Kissen und Seidendecken, die alle noch nach den von Kleopatra bevorzugten Wohlgerüchen dufteten, beiseite und tat dasselbe mit dem Teppich.

Hoffnung lebte in ihr auf, denn sie erblickte nun, in die Steinplatten des Bodens eingefügt, ein von einem Kupferrahmen umgebenes Mosaikbild, wie sie damals von berühmten Künstlern dieses Faches, zumeist Leuten aus Babylon, in wunderbarsten Farben aus winzigsten bunten Steinchen angefertigt wurden.

Das am besten erhaltene Kunstwerk dieser Art hat man in der algerischen Stadt Bone bei Ausgrabungen entdeckt. Zwei Kilometer südlich vom Südtor in einer landschaftlich überaus reizvollen Küstengegend lag einst die Akropolis des früheren Hippone oder Hippo regius, – aber der Wüstensand und die Zerstörungswut der Eingeborenen hatten von dieser Stätte, an der sich reiche Römer ihre Prachtvillen erbauen ließen, jede Spur verwischt, bis man zufällig beim Ausschachten der Fundamente für ein Privathaus einer Französin auf Mauerreste stieß und nun systematisch weiter grub und so wahre Kostbarkeiten der Antike bloßlegte, darunter ein Fußbodenmosaik, das unter dem Namen „Die Treibjagd“ weltberühmt geworden ist. Der Figurenreichtum und die leuchtenden Farben dieses einzigartigen und glänzend erhaltenen Bildes stellen alles in den Schatten, was je an ähnlichen Funden aus den Tiefen der verwehten Kulturstätten des goldenen Zeitalters Roms wieder hervorgezaubert wurde.

Jana besaß auch für Kunst Verständnis und Interesse und war zunächst von dem Mosaikbild so entzückt, daß sie völlig vergaß, weshalb sie das Bett und den Teppich zur Seite geschoben hatte. Dieses Kunstwerk hier war etwa zwei Meter im Geviert groß und stellte gerade die Szene aus dem Isis- und Osiriskult dar, die auch anderswo in Form von Reliefs aufgefunden worden ist: Die Vermählung der beiden Gottheiten in fast kindlich-naiver Herausarbeitung der größten Intimitäten!

Jana lächelte verständnisvoll, dann aber erinnerte sie sich doch ihrer vorläufig recht verzweifelten Lage und bückte sich, um festzustellen, ob das Bild samt dem Rahmen sich herausheben oder emporklappen ließe. Jana fingerte eine Weile an dem Kupferrahmen herum, dann stieß sie, bei ihr gewiß eine Seltenheit, einen leisen Freudenschrei aus: Das Bild mit dem Rahmen drehte sich in zwei dicken Kupferzapfen, und darunter kam eine helle Steintreppe zum Vorschein, die aus Alabaster von reinstem Weiß bestand.

Jana, die schon vorhin vergebens nach Feuerzeugen gesucht hatte, traute sich nicht die Treppe hinab, da sie genau wußte, daß es sehr gefährlich war, sich in derartige Geheimgemächer hineinzuwagen, – schon so mancher Römer, der an ähnlichen Orten Schätze zu finden gehofft hatte, war später mit gebrochenem Genick aufgefunden worden oder wurde überhaupt nie wieder gesehen.

Jana zauderte noch immer. Sie horchte. Sie glaubte in der Tiefe das Rieseln von Wasser zu hören, und dann entsann sie sich, daß in einem anderen Raum des Liebestempels eine Lanze stand. Sie holte den Speer und tastete damit die Treppe Stufe für Stufe ab, indem sie mit aller Kraft auf die Lanze drückte. Es ereignete sich jedoch nichts, was sie nun weiterhin davor zurückschrecken ließ, die Stufen mit dem Gewicht ihres eigenen Körpers zu belasten, nachdem sie den Speer quer über das Loch im Boden gelegt und sich mit einer Seidendecke, die sie zum Strick zusammengedreht, angeseilt hatte.

Zu ihrem Glück. Was sie geargwöhnt, traf zu. Die unterste Stufe gerade war es, die unter ihrer Last nachgab und samt der ganzen Treppe verschwinden wollte. Rasch packte Jana den Strick und schwang sich halb empor, ließ den Strick dann pendeln und erreichte so, ohne die verhängnisvolle Stufe zu berühren, sicheren Boden. Sie stand ganz still und beruhigte zunächst ihre Nerven durch tiefe Atemzüge, dann blickte sie sich um und gewöhnte ihre Augen langsam an das Halbdunkel, erkannte nun eine steinerne, reich verzierte Badewanne und vernahm das Rauschen von Wasser noch deutlicher.

Es war bezeichnend genug für Jana, daß nun ihr erster Gedanke wieder ihrem Haß gegen Armin galt, – sie malte es sich genau aus, wie sie ihn verleiten würde, sobald er hier erschiene und ihr Lebensmittel brächte, die Treppe hinabzusteigen und – dann würde er ertrinken, irgendwo in der Tiefe der natürlichen Zisterne, die es hier geben mußte. Diese Hoffnung feuerte sie selbst zu neuer Tatkraft an, und gleich darauf ließ sie den zweiten unterdrückten Jubelruf hören: sie hatte auf einem Steintischchen ein Luntenfeuerzeug gefunden, das noch Funken schlug, ebenso eine Öllampe, die noch einen Rest Öl enthielt.

Die Lampe brannte, und Jana sah nun auf demselben Tisch einen Metallspiegel mit Elfenbeingriff liegen. Sie kehrte mit diesem Spiegel sehr nachdenklich in die oberen Räume zurück und stellte sich an eines der Fenster, säuberte die erblindete silberne Scheibe und dachte derweil an die Erzählung ihres Vaters von einem Zauberspiegel der Kleopatra, der nach deren Tode nirgends mehr aufzufinden war.

Ihr waren die Einzelheiten des Endes der großen Buhlerin sehr wohl bekannt, und sie machte nun den Versuch, ob auf der Silberscheibe ein anderes Gesicht erscheinen würde als das ihre, wenn sie den Spiegel anhauchte.

Plötzlich jedoch packte sie eine unerklärliche Angst. Es war ein Furchtgefühl, das ihr bisher völlig fremd. Sie fürchtete sich überhaupt vor nichts, und wenn sie je ein solches Empfinden spürte, wie etwa vorhin, so währte dies nur kurze Zeit.

Jetzt jedoch wollte sich die lähmende Angst durch nichts verscheuchen lassen. Jana merkte, daß sie leise zitterte und daß ihr feine Schweißperlen auf die Stirn traten. Doch da regten sich der alte Trotz und der Hochmut und die übermäßige Bewertung ihrer Persönlichkeit in ihr, und sie drückte den Spiegel dicht vor den Mund und hauchte ihn mehrmals kräftig an.

Sie hielt ihn nun näher der Fensteröffnung zu und gewahrte auf der Silberplatte außer dem Kopfe der Kleopatra einen Januskopf.

Und dieser Januskopf, dieses Doppelgesicht, schien ihr grimmig zuzulächeln. – –

Als Armin, der angeblich nach der verschwundenen Jana und dem Griechen das Gebirge durchstreifte, seine Gefangene mit Lebensmitteln versorgen wollte, fand er sie bewußtlos vor dem einen Fenster auf dem Teppich liegen, neben sich einen Spiegel mit Elfenbeingriff.

Er flößte ihr Wasser und Wein zwischen die fest zusammengepreßten Lippen, und als sie dann zu sich gekommen war, bat sie ihn flehentlich, er solle ihr doch das kühlere Naß aus der Zisterne des Baderaumes heraufholen.

Er erfüllte ihr den Wunsch und schritt hinaus.

Jana wartete. Sie lächelte rachsüchtig und malte sich aus, wie Armin nun in dem Brunnen ertrinken würde. Da fiel ihr Blick von ungefähr auf den Zauberspiegel, und mit jähem Satz sprang sie empor. Sie erinnerte sich an den so grimmigen und drohenden Januskopf. Wieder packte dieselbe Angst sie wie vordem, sie lief Armin nach und rief ihn laut, überlaut beim Namen, – sie stand vor der Alabastertreppe und horchte …

… Dort drunten regte sich nichts mehr, nur das Wasser rauschte ganz leise … ganz … leise … leise …

 

7. Kapitel.

Der Student Rami und sein Freund Bolko.

Bolko Baron von Lortz-Lortzheim saß zusammen mit seinem Gast im Herrenzimmer und rauchte schweigend seine Zigarre, während draußen ein Sommergewitter von unerhörter Heftigkeit tobte. Die beiden Männer, die sich im vorigen Jahr in Kairo bei einer Tagung der dortigen Gesellschaft für Altertumsforschung kennengelernt hatten und schnell aneinander Gefallen fanden, waren zwar an Alter, nicht aber an Kenntnissen und allgemeinen Interessen voneinander verschieden. Rami en Saud und Bolko hatten soeben ein Gespräch über die neuen Ausgrabungen bei Bone in der ehemals römischen Provinz Numidien, dem heutigen Tunis, beendet und überdachten nun nochmals die Anregungen, die ihnen diese Unterhaltung gegeben hatte, – allerdings schweiften des Ägypters Gedanken immer wieder ab, da er sich mit Recht sagte, daß diese stürmische Nacht für den Auftrag, den Jana ihm erteilt hatte, außerordentlich günstig sei.

Bolko wieder betrachtete sehr bald seinen Gast mit recht nachdenklicher Miene und überlegte allen Ernstes, ob es nicht richtiger wäre, Rami endlich über Jana reinen Wein einzuschenken, kam hiervon jedoch wieder ab, da er selbst aus bestimmten Gründen die Aufzeichnungen Doktor Kertners sehr gern einmal eingesehen oder sie gar in seinen Besitz gebracht hätte.

Wenn jemand ihm noch vor Monaten gesagt haben würde, daß er, Bolko von Lortz, den Wunsch hegen könnte, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen, hätte er den Betreffenden ausgelacht, aber in den letzten Monaten war durch die Schuld eines unreifen und auch überreifen Mädchens in ihm eine Wandlung vorgegangen, aus deren Größe er erst so recht ersah, was dieses Mädchen ihm bedeutet hatte. Nie hätte er es für möglich gehalten, daß er, der doch den Frauen, infolge schlechter Erfahrungen und durch ein ziemlich lockeres Leben gewitzigt, so skeptisch gegenüber stand, an einer noch nicht einmal Siebzehnjährigen völlig Schiffbruch erleiden würde, – und doch war es so.

Rami gähnte plötzlich immer häufiger. „Ich werde zu Bett gehen“, erklärte er etwas unsicher, da er und Bolko zumeist die Nacht zum Tage machten und sich nie vor ein Uhr früh trennten.

Bolko lächelte insgeheim. Aber laut und herzlich wie immer sagte er: „Lege dir keinen Zwang auf, mein Junge, ich habe ohnedies noch zu arbeiten, scheußliche Geschichte, Gutsherr spielen zu müssen. Was helfen da ein Rendant und ein Oberinspektor, wenn die hohen Behörden persönliche Erledigung durch mich verlangen!“

Rami stand vor dem lässig in einem Klubsessel ausgestreckten Freunde und fragte nun lachend: „Weshalb kauftest du eigentlich dieses heruntergewirtschaftete Gut?! Das wollte ich schon immer mal als interessantes Thema zur Debatte stellen.“ Er meinte das auch völlig scherzhaft und wunderte sich nun, daß Bolko, was diesem doch sehr selten zustieß, auch einmal verlegen wurde.

„Laune, meine Junge, – nur eine Laune war’s. Manchesmal habe ich so unkontrollierbare Anwandlungen von geringer Unzurechnungsfähigkeit!“

„Du?! Du und unzurechnungsfähig?! – Da kichern ja die Hühner!“, erwiderte Rami, ehrlich amüsiert über diese Selbstkritik seines Freundes, wobei er gleichzeitig die aktuelle Redensart anbrachte, die er dem Diener Bolkos verdankte. Dann verabschiedete er sich mit einem festen Händedruck und ging in seine im Seitenflügel gelegenen Zimmer hinüber.

Herr von Lortz-Lortzheim saß noch minutenlang unbeweglich da und sann über die neueste Lüge nach, die ihm soeben so glatt über die Lippen gekommen war, als ob er genau so unverfroren schwindeln könnte wie die gewisse junge Dame, deretwegen er doch nur dieses Gut erworben hatte, um ständig in ihrer allernächsten Nähe zu sein. Er spann diesen Gedanken dann fort und erinnerte sich voller Unbehagen seiner Antrittsvisite bei Fräulein Vicky von Lettburg, die ihn hatte abweisen und durch den frechen Tim hatte erklären lassen, und zwar wörtlich, sie wünsche keinen Verkehr mit Herren, deren Namen stets nur zusammen mit dem einer bekannten Filmdiva genannt würden. Das hatte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen, und nach dieser Abfuhr verzichtete Bolko ganz darauf, hier irgendwo gesellschaftlichen Anschluß zu suchen.

Im übrigen hatte dieser eindeutige Wink des weißhaarigen Fräuleins von Lettburg aber noch eine andere Folge gehabt: Bolko setzte sich damals sofort an den Schreibtisch und verfaßte einen kurzen Brief an Lola de Degri, der inhaltlich seine erste Glanzleistung im Erfinden unwahrer Angaben darstellte, denn er schrieb seiner bisherigen Freundin, die er in letzter Zeit allerdings schon gründlich vernachlässigt hatte, daß er infolge des Gutskaufes ruiniert und daß der beifolgende Scheck über Mark tausend der letzte sei, den sie von ihm erhielte, – er löste also hiermit die Verbindungen zu einer Frau, die ihm – als erste außer ihrer Nachfolgerin – nicht als einen Handkuß und dazu freilich so manche wirklich geistvolle Plauderstunde gewährt hatte, – mehr hatte den Gerüchten nach noch niemand von Lola de Degri erreicht, – obwohl ihr Ruf einfach miserabel war.

Aber das lebende Rätsel namens Lola interessierte Bolko augenblicklich gar nicht, er wies diese Reminiszenzen von sich und gedachte wieder der anderen, die ihn vier Wochen drauf ohne jeden Grund mit einer Kaltherzigkeit von sich gestoßen hatte, die für ein Mädel von siebzehn Jahren genau so erstaunlich war wie Lolas anscheinende Unberührtheit. Bolko spann sich immer tiefer in seine vielfachen Grübeleien ein, und vor ihm tauchten nun Bilder aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit auf, die ihn veranlaßten, plötzlich seine Weste zu öffnen und unter dem Oberhemd eine Münze hervorzuholen, die durchlocht war und einen Januskopf auf der einen und die Aufschrift „As“ auf der anderen Seite zeigte.

Erst der Eintritt seines Dieners zwang ihn, seinen Talisman schleunigst zu verbergen und zu fragen, was es denn gebe, – er wünsche nicht gestört zu werden.

Der Diener Goliat Liliput, der so ungefähr hundertzwanzig Zentimeter groß und ehedem ein bekannter Zirkusclown gewesen war, schien über die Unliebenswürdigkeit seines Herrn sehr überrascht zu sein, denn zwischen beiden bestand ein sehr vertrautes Verhältnis, da Goliat, der mit bürgerlichem Namen Emil Schniefke hieß, ein vielseitig gebildetes Männlein war und seinen Beruf als Clown schließlich nur aufgegeben hatte, weil er sich vollständig seinen Lieblingsstudien widmen wollte, und das war ausgerechnet die Ägyptiologie. Er nahm daher bereitwilligst die Stellung bei Bolko als Diener und Sekretär an, denn sie kannten sich vom Pergamon-Museum her, wo sie sich häufiger begegneten und dann auch persönlich miteinander so manchen heißen Wortstreit über Fachfragen ausgefochten hatten. Schniefke, der ein ganz nettes Vermögen besaß und sich mehr als Sekretär denn als Diener fühlte, nahm seines Herrn schlechte Laune im übrigen mit aller Gleichgültigkeit hin und erwiderte nur:

„Sie denken wahrscheinlich wieder an das Mädel, Herr von Lortz. Hätten Sie rechtzeitig auf mich gehört, ich habe den kleinen Satan nur einmal gesehen, aber ein Blick in die Augen genügte mir, – Ihnen leider nicht! – Nun, zur Abwechslung können Sie wieder einmal Lola de Degri genießen, sie und ihre Zofe sind vom Gewitter im Sportwagen überrascht worden und hierher geflüchtet. Abweisen konnte ich sie nicht, das werden Sie einsehen.“

Lortz sagte zunächst gar nichts. Nur das scharfe Emporziehen seiner Augenbrauen verriet seine Gedanken.

„Eine Unverfrorenheit …!“, meinte er dann. „Was haben Sie ihr geantwortet, Schniefke?“

„Ich habe sie und die Zofe, die übrigens das kleine Malheur in Kairo tadellos überstanden hat, in die Fremdenzimmer geführt und ihnen Erfrischungen bringen lassen. Lola hat wohl auch gar nicht damit gerechnet, daß Sie sie vorlassen würden, Herr von Lortz, denn sie gab mir diesen versiegelten Brief für Sie mit, – die Siegel hat sie soeben erst in meiner Gegenwart an drei Stellen der Briefklappe angebracht, – bitte, hier ist das Päckchen, denn von Brief kann man bei dem Umfang kaum mehr reden. – Wahrscheinlich sind es Ihre schriftlichen Ergüsse an Ihre Seelenfreundin!“, fügte er anzüglich hinzu.

Lortz überhörte das absichtlich. „Werfen Sie den Kram in die Schreibtischschieblade, Schniefke, und bestellen Sie an die Dame eine Empfehlung von mir, es täte mir leid, sie nicht begrüßen zu können, aber ich hätte dringend zu tun. Verschwinden Sie und unterlassen Sie Ihr infames Feixen! Ich habe zu tun! Geben Sie auf Rami acht. Sobald er das Haus verläßt, melden Sie es mir. Schluß!!“

Kaum war die Tür hinter Schniefke ins Schloß gefallen, als Bolko aufsprang und ruhelos in dem großen Herrenzimmer auf und ab zu gehen begann. Der Besuch Lolas hatte eine Erinnerung in ihm wachgerufen, die natürlich wieder mit Jana zusammenhing. Wie sollte es wohl auch anders sein?! Jana erfüllte nach wie vor sein ganzes Sinnen und Denken, Jana war unsichtbar alle Zeit um ihn, – das war’s ja eben, was ihn so zerfallen mit sich selbst und aller Welt machte: Er konnte ihr Bild nicht bannen, er konnte dieses Mädel nicht so einfach durch eigenen Machtspruch in sich austilgen, und dabei war er doch ein Mann, der schon ganz andere Dinge fertig gebracht hatte.

Seine vermeintliche Weisheit hatte ihm als gereiftem Manne, der freilich innerlich stets derselbe geblieben war, gar nichts genützt. Da war ihm ein blutjunges Ding von ungefähr im Pergamon-Museum aufgefallen, und genau wie er dort angesichts der Sammlungen einer toten Vergangenheit seinen ihm jetzt unentbehrlichen Schniefke kennengelernt hatte, ebenso hatte das ganze Unheil mit Jana in denselben Sälen begonnen – –. Jana, immer nur wieder Jana, – es war zum Verzweifeln …! Und jetzt noch die andere, die lebende Sphinx Lola …!!

Er blieb plötzlich vor einem recht tief angebrachten Jagdgemälde stehen, das neben seinem Schreibtisch am Fensterpfeiler hing. Am Unterrand des Bildes ragte ein unauffälliges Bändchen hervor, er faßte mit den Fingerspitzen zu und hob es empor und zugleich das Ölgemälde, – darunter war eine vergrößerte Photographie Janas angebracht, nach einer Liebhaberaufnahme von einem Künstler angefertigt, dem Bolko als Schweigegeld eine hohe Summe gezahlt hatte.

Bolko vertiefte sich nun wie so oft in die sehr naturgetreue Wiedergabe der Züge dieses Mädchens, das er insgeheim nur immer seine Norne, seine Schicksalsgöttin, nannte. Der Künstler hatte Jana genauso dargestellt, wie sie wirklich war, jede Einzelheit des so seltsam widerspruchsvollen Gesichts war für den, der Jana kannte, daraus abzulesen. Bolko kniff die Lippen fester zusammen. Seine Augenbrauen zogen sich so tief herab, daß sie mit den Wimpern zugleich auch die Augen verdeckten.

Dann lachte der Millionär leise und wie in bitterster Selbstironie mehrmals auf. So ähnlich hatte Jana gelacht – so ähnlich, nur in klarstem, unmißverständlichem Hohn, als er ihr nach seiner Abweisung bei Fräulein Vicky von Lettburg hoch und heilig versichert hatte, daß seine Beziehungen zu Lola de Degri stets nur rein freundschaftliche gewesen seien. „Was geht mich das an?!“ hatte sie mit einem unglaublich gleichgültigen Achselzucken so nebenher geäußert. „Sind wir etwa verlobt?! Habe ich ein Anrecht auf dich, hast du ein Anrecht auf mich?! Wir sind Freunde und nicht die Spur mehr! Tue, was du willst, ich tue erst recht, was ich will!“

Damals war Bolko wie vor den Kopf geschlagen gewesen, damals begann er zu ahnen, daß er sogar über dem so oft üblichen Umwege der Freundschaft niemals mehr bei Jana erreichen würde, als den bescheidenen Kuß auf ihre Fingerspitzen, die sie ihm wie eine Königin hoheitsvoll hinhielt, nur die Fingerspitzen. Das war kennzeichnend für sie und ihren überreifen und doch halb und halb gerechtfertigten Dünkel. Denn intelligent war sie ja, mehr als das: Sie konnte sich getrost ein Genie nennen, – war es nicht erstaunlich, daß sie eine der schwersten Sprachen, das Arabische, in kürzester Zeit schreiben, lesen und ziemlich fließend sprechen gelernt hatte?

Bolko von Lortz würgte den Seufzer hinab, der über seine Lippen schlüpfen wollte. Er ließ den Vorhang schnell wieder über Janas Bild zurückfallen. Es fehlte gerade noch, daß er, der Mann von fast fünfunddreißig Jahren, sich das elegische Seufzen wie ein Primaner angewöhnte.

Verärgert warf er sich wieder in den Sessel. Seine Gedanken glitten zu der anderen hin, zu der schwarzhaarigen Sphinx, zu der gesuchtesten Filmdiva, zu Lola de Degri, dem Gegenstück zu dem Mädel Jana, zu der Norne Jana. Was wollte Lola hier?! Ihre drei letzten Briefe hatte er ihr ungeöffnet zurückgeschickt, – eine Taktlosigkeit gerade Lola gegenüber, die er sich nie hätte zuschulden kommen lassen dürfen. Was wollte sie hier? Der Vorwand, sie wäre vom Gewitterregen überrascht worden, war denn doch zu durchsichtig.

Bolko griff nach einer Zigarre. Er fühlte sich merkwürdig unbehaglich, denn er liebte keine Unklarheiten und machte stets gern mit allem reinen Tisch. Nur bei Jana war ihm dies nicht gelungen, und auch bei seiner geistvollen Freundin nur zum Teil, denn er hatte sich keineswegs gescheut, all den Gerüchten prüfend nachzugehen, die über Lola als beste Reklame im Umlauf waren. Bolko war sogar so weit gegangen, ihr direkt nachzuspionieren, nicht etwa aus Eifersucht, nein, nur weil diese Sphinx mit den etwas aufgeworfenen Lippen und den dunklen Rätselaugen und der im Privatleben so natürlichen Heiterkeit und schlichten Vornehmheit ihn als Mensch schlechthin interessierte. Nichts von allem stellte sich als wahr heraus, was die Fama ihr andichtete, – sie hatte weder einen reichen Großindustriellen insgeheim zum Verhältnis, noch Schulden oder gar zwei Wohnungen, um dem Gerichtsvollzieher zu entwischen. Aber seine Geldgeschenke und sonstigen Angebinde hatte sie stets angenommen und sich kaum dafür bedankt.

Nur eins hatte Bolko festgestellt, und davon wußte merkwürdigerweise die übereifrige Klatschsucht nichts: Bei Lola verkehrten spät abends sehr elegante Herren in seidegefütterten Abendmänteln, mit Zylindern und Lackschuhen und Monokel, – ging man diesen Kavalieren jedoch insgeheim nach und sah, wo sie verschwanden, so mußte man die eigentümliche Beobachtung machen, daß diese Gentlemen in Kneipen verkehrten, die der Polizei als Treffpunkt der feudalen Unterwelt sehr wohlbekannt waren.

Bolko besaß ja seine Beziehungen, er konnte mit Leichtigkeit herausbringen, wer die Herren waren, und er entsetzte sich über diesen Verkehr Lolas und machte sich darüber seine Gedanken, aber sie einmal deswegen ganz offen zu befragen, das wagte er doch nicht, denn im Grunde ging ihn das alles nichts an.

Bolko hatte sich so in diese zumeist wirklich angenehmen Erinnerungen an Lola und an die gemütlichen und geistvollen Plauderstunden bei ihr vertieft, daß ihn jetzt doch ein leises Gefühl des Bedauerns überkam, weil er sie so unkameradschaftlich abgefertigt hatte, sie hatte das wahrlich nicht um ihn verdient. Er gedachte so gern der Zeiten, als er noch so zwanglos bei ihr ein und aus gegangen war und als er bei ihr im riesengroßen Klubsessel gesessen und sie auf der breiten Lehne neben ihm gehockt hatte und ihm mit den gespreizten Fingern durch den lockeren blonden Scheitel gefahren war und dazu in ihrer oft so mütterlichen, gütigen und doch humorvollen Art gesagt hatte: „Ach du reicher, kluger Bolko, du wirst noch einmal bitteres Lehrgeld bezahlen, du tust so erhaben, und gerade diese Erhabenen fallen am gründlichsten herein …!“

Und das war immer gewesen, wenn Bolko seine Ansichten über Frauen und Liebe entwickelt hatte und nie ein Hehl daraus machte, daß er Weiber zwar nicht missen könne, aber wohl niemals die finden würde, die ihm mehr sein könnte, als naturnotwendiger Zeitvertreib.

Wie recht hatte Lola doch behalten! Aus dem Zeitvertreib war eine Leidenschaft geworden, – wie ein Gewittersturm war es über ihn gekommen, und als er dann die Folgen überschauen konnte, nachdem Jana ihn so kaltherzig entlassen hatte, wie etwa einen bezahlten Agenten, der seine Schuldigkeit getan hat und abgelohnt wird, da war’s zu spät gewesen, da hatte diese Jana sich gleichsam gerächt für alle die ihrer Geschlechtsgenossinnen, die Bolko einst wie die Handschuhe als ihm überdrüssig gewordene Spielzeuge gewechselt hatte. Es war eine Vergeltung geworden, die ihn zu hart getroffen hatte, denn nie war er einer jener gewissenlosen Lebemänner gewesen, die etwa nach unberührten Blüten die Hände ausstrecken. Nein, seine ganze innere Einstellung gebot ihm, sich auf Frauen zu beschränken, die einen Abschiedsbrief, dem ein Scheck beilag, niemals tragisch nahmen.

Was nun plötzlich wieder in ihm emporquoll, war etwas wie Haß gegen Jana, – was ihn nun die Zigarre wütend in den Aschbecher stoßen ließ, daß die Funken nur so stoben, war der stille Ingrimm gegen sich selbst und seine Schwäche und seine Unfähigkeit, sich damit abzufinden, daß dieses Mädel ihn, den reifen Mann genauso ausgenutzt hatte, wie jetzt den armen Rami, genauso, nur daß er, Bolko, noch rechtzeitig gemerkt hatte, was hier gespielt wurde, und vorsichtig geworden war, da auch seine eigenen Interessen mit auf dem Spiele standen, und das Ganze hieß, auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Aufzeichnungen Axel Kertners über den Tempel der Kleopatra, den Bolko selbst nie gefunden hatte.

Der Eintritt Schniefkes riß ihn aus dieser Brandung von gefährlichen Gedanken heraus.

„Rami hat soeben das Haus verlassen“, meldete der kleine Mann mit eigentümlicher Betonung und reckte dabei seinen viel zu großen Kopf wie eine neugierige Elster weit vor. „Er hat verschiedenes aus der Werkzeugkammer mitgenommen, und, falls er bei den Lettburgern einbrechen will, dürfte er als Dilettant übel dabei hereinfallen. – Auch unser Besuch ist bereits wieder über alle Berge, Lola läßt noch grüßen und bitten, Sie möchten den Brief nicht zu spät öffnen, es stünde mancherlei Wichtiges …“ – –, hier fiel ihm der mehr als erstaunte Bolko schärfsten Tones ins Wort: „Zum Teufel, Schniefke, – was wissen Sie von Ramis Absichten?! Raus mit der Sprache!!“

Und der kleine, gelehrte Mann mit dem zerknitterten Zwergengesicht feixte sanft und erwiderte ohne jede falsche Scham: „Sie lagen heute auf der alten Thingstätte im Gebüsch, ich saß in der Eiche gerade über dem Paare, ich hielt mich für verpflichtet, ein neues Unheil zu verhüten, es genügt, wenn Sie sich die Finger verbrannt haben, – Rami ist ein halber Landsmann von Lola, und Lola und ich haben in so und so vielen Filmen zusammengespielt, – was Lola erbittet, befolge ich wortwörtlich!“

Bolko starrte seinen vertrauten Sekretär sprachlos an.

*

Jana, die in dem Hauptturm des alten Schlosses drei behagliche Räume bewohnte, hatte heute der Tante Vicky früher als sonst gute Nacht gesagt und war angeblich müde und benommen von der schweren Gewitterluft. In ihrem Studierzimmer brannte trotzdem noch, freilich bei verhängten Fenstern, sehr spät Licht, und Jana stand über den Mitteltisch gebeugt und zeichnete in eine Karte der Gegend östlich des Niles, die auch den Djebel Fatireh umfaßte, mit Zirkel und Bleistift eine neue Karawanenstraße ein, – ihre ureigenste Straße, wie sie im stillen sich immer wieder mit Stolz ins Gedächtnis zurückrief. –

Zuweilen ging sie in das dunkle Nebenzimmer, öffnete das Fenster und schaute hinaus. Das Gewitter hatte sich verzogen, und nur der Wind blies noch sehr frisch und kräftig, von den nassen Blättern fielen die Tropfen wie Regen auf den Boden, und am Himmel jagte finsteres Gewölk dahin.

Abermals stand Jana nun am offenen Fenster und blickte mit dem Fernglas nach Norden, wo zwischen einer dunklen Baumkulisse einzelne Lichter schimmerten: Das Hauptgebäude des Nachbargutes! – Jana bemerkte jetzt das vereinbarte Signal, einen grünen, dünnen, aber sehr grellen Strahl, und beeilte sich, ihren Posten zu beziehen, denn sie hatte nicht die Absicht, irgend etwas dem Zufall zu überlassen, Rami durfte, wenn er Erfolg haben sollte, die Papiere niemals mit nach Bolkos Heim nehmen. Sie traute Bolko nicht, obwohl ihr bei all ihrer Schlauheit bisher eins doch unbekannt geblieben: Daß es eine Zeit gegeben hatte, in der ihr Vater voller Neid und Eifersucht einen jungen Studenten als seinen schlimmsten Rivalen mit einem Gefühl des Hasses verfolgt hatte …, – nein, davon wußte sie nichts, das war nur der Tante Vicky und Tim Uhlenhut und einigen wenigen anderen Leuten als einer der vielen häßlichen Charakterzüge Doktor Kertners im Gedächtnis geblieben.

Jana schloß das Fenster, schlüpfte in ihren Lodenmantel, der eine große Kapuze hatte, und begab sich in aller Stille zum Westflügel des alten burgähnlichen Gutsgebäudes, der seit etwa dreißig Jahren aus Pietät gegen Tante Vickys Vater nicht mehr benutzt, sondern in demselben Zustand belassen worden war, in dem er sich beim Ableben des letzten männlichen Lettburg befunden hatte. Hier im Hochparterre des Westflügels standen auch all die alten Möbelstücke, in denen Jana die Papiere ihres Vaters vermutete. Gewiß, sie hatte hier schon jeden Schrank und jede Truhe und jeden Schreibtisch in größter Heimlichkeit durchsucht und sogar die Außen- und Innenflächen nachgemessen, aber gerade der eine Schreibtisch, den der schrullenhafte alte Herr von Lettburg am meisten bevorzugt haben sollte, war ein Möbelstück von solchem Umfang und so merkwürdiger Bauart, daß selbst Janas kühle Überlegungen und Berechnungen daran gescheitert waren.

Rami en Saud, dessen Vater in Kairo ein Pascha und ein sehr mächtiger Mann war, kniete vor diesem Schreibtisch und beleuchtete ihn mit einer kleinen Radfahrerlaterne. Er war ohne Schwierigkeiten in den Westflügel hineingelangt, da Jana ihm den günstigsten Weg genau beschrieben und ihm versprochen hatte, die kleine Tür nach der in den Park hinabführenden Treppe rechtzeitig zu öffnen, was auch geschehen war. Jana selbst hatte er zu seiner Enttäuschung nicht zu Gesicht bekommen, und als er nun die einfachen Schlösser des Schreibtisches und auch das der untersten Seitenschublade besichtigte, sah er in einer der verstaubten Teppichfalten am Boden etwas blinken und hob eine Münze auf, die er sofort im Laternenlicht als ein uraltes römisches As erkannte und nach kurzem Zögern zu sich steckte.

Er hatte sogleich bemerkt, daß es sich um eines jener ganz seltenen handgehämmerten und nicht gestanzten Stücke handelte, von denen bisher nur ganz wenige aufgefunden worden waren, und da er selbst Sammler war und wie alle Sammler hinsichtlich seiner Marotte ein etwas weites Gewissen besaß, war er entschlossen, seinen Fund zu verschweigen, wenn dies irgend möglich wäre.

Daß sein Freund Bolko genau dieselbe Münze auf der Brust als Talisman trug oder vielleicht getragen hatte, wußte er nicht, da Lortz über seine erste und letzte Expedition zum Djebel Duchan (so heißt heute der Mons Porphyrites, – Feuerberg, oder genauer „Berg des Rauches“) und zum Djebel Fatireh niemals freiwillig sprach, und er hatte seine sehr triftigen Gründe dafür.

Wenn nun der arme Rami ein etwas aufmerksamerer und erfahrenerer Einbrecher gewesen wäre, hätte ihm nie entgehen können, daß der Parkettboden des Zimmers unweit des Teppichrandes in der Staubschicht die Abdrücke feuchter und erdiger Stiefelsohlen zeigte, die bedeutend größer waren, als die des jungen Ägypters, der sehr zierliche Füße besaß, und diese Abdrücke waren frisch und konnten kaum vor einer Viertelstunde hervorgerufen worden sein, sonst wären sie in der heißen, stickigen Luft dieser nie benutzten Räume längst getrocknet.

Hier im Westflügel, im ersten Stock, lag auch Tim Uhlenhuts kleine Wohnung, und auch der Schloßvogt war noch wach und hatte es sich nur ein wenig gemütlich gemacht, wozu in allererster Linie die Entlüftung seines kahlen Schädels gehörte. Die etwas grün verfärbte Perücke ruhte nun friedlich wie das Fell eines Igels neben den vier Flaschen und den vier Likörgläschen, die Tim für seine Experimente gebrauchte, – er nannte das neuerdings vornehm „Experimentieren“, obwohl es sich ehrlich gesagt nur um das Ausprobieren der besten Sorte Pfefferminzschnaps handelte. Daß er auch jetzt trotz der notwendigen Entlüftung seines Schädeldaches einen oder besser den Hut aufhatte, war nur Angewohnheit bei ihm, denn zu Uhlenhut gehörte nun mal sowohl ein sanfter Pfefferminzduft wie auch ein ganz bestimmter Hut, und auch dies hatte seine gewichtigen Gründe.

Timchen hieß mit Vatersnamen Uhlenhut, sah auch ganz so aus, wie er hieß, selbst wenn man seinen Namen in die beiden Bestandteile Uhl und Hut zerlegte. Von der Uhl, der Eule, hatte er den Schnabel, nämlich ein Riechorgan, das dünn und krumm und blaurot war, – so blaurot, als ob Timchen den Alkohol in jeder Form und Menge haßte und zu seiner Vernichtung alles tat, was in seinen Kräften stand. Dies traf nur bedingt zu, denn Uhlenhut liebte nur einen einzigen Likör, und der hieß Pfefferminzschnaps, den er im übrigen auch nur als Medizin benutzte, – die Heilwirkungen der Pfefferminze sind ja anerkannt und in Form von Tee schon bei Kindern erprobbar, – was Tim der Schloßherrin gegenüber immer wieder betonte, wenn diese mahnend sagte: „Tim, er riecht schon wieder nach Pfefferminz!!“ Worauf regelmäßig dieselbe Antwort erfolgte: „Gnädiges Fräulein, das ist nur von wegen der Magenbeschwerden!“

Außer dieser Patentnase besaß Tim noch, was die Uhl anging, ein Paar kugelrunde, merkwürdig gelbliche Augen, und wenn er noch zuweilen die Brille aufsetzte – nur zum Lesen –, dann glich er seinem Namensvogel vollkommen.

Der Hut aber, das war eine noch eigenartigere Sache. Tim litt nämlich außer an den diversen, für den Pfefferminzschnapskonsum absolut notwendigen Gebresten auch an der bekannten Krankheit aller alten Junggesellen, an der übertriebenen, schrullenhaften Sparsamkeit. Als sich ihm einmal in der nahen Großstadt die Gelegenheit geboten hatte, einen Posten grüner Filzhüte, etwa hundert Stück, auf einer Auktion billigst zu erstehen, hatte er umgehend zugegriffen, obwohl diese Hüte eigentlich bayrische Dirndelhüte und von ganz flacher Form und hinten mit Troddeln und großen Spielhahnfedern versehen waren. Seit Jahren konnte sich niemand den alten Tim ohne diese Hüterl denken, die auf seinem Birnenschädel etwa wie ein grüner Fleck auf einer herbstlichen, braunen Haselnuß sich ausnahmen, denn Uhlenhuts Gesicht war alljährlich ab März so sonngebräunt, als lebte er in den Tropen, von denen er doch sozusagen nur die Schwelle kannte, aber auch da hatte er schon derart geschwitzt, daß seine Pfefferminzvorräte im Umsehen verbraucht waren, so daß er notgedrungen seine Zuflucht zu schärferen Sachen nehmen mußte, zum Beispiel Brandy und Whisky und Absinth[3]. Überhaupt damals, das waren schreckliche Wochen gewesen, und wenn das gnädige Fräulein ihm nochmals befohlen haben würde, nach den beiden Gräbern zu sehen, so hätte er sich erst Bedenkzeit ausgebeten, – konnte man wissen, ob da nicht in Kairo noch immer die bewußte Dame herumlief, die er in einer unbegreiflichen Anwandlung von gefährlichem Alter …, – doch nein, wenn Tim in seinen Erinnerungen soweit gekommen war, stoppte er regelmäßig den hohen Flug seiner Gedanken ab und schämte sich in seine schwarze Seele hinein, wiewohl er doch nie verheiratet gewesen und niemandem als dem gnädigen Fräulein Rechenschaft schuldig war, und in dem Punkte auch nicht einmal.

Damit nun Tims Experimente einen noch wissenschaftlicheren Anstrich bekämen, hatte er sich seine Brille auf den Uhlenschnabel geklemmt und war gerade dabei, nochmals Janas Erzeugnis mit dem einer bekannten und bisher von Tim sehr geschätzten Likörfabrik zu vergleichen, als er drunten im Parke einen gellenden Schrei vernahm und Janas Stimme zu erkennen glaubte. Er fuhr hoch, trank noch schnell das Gläschen leer und stülpte die Perücke in aller Eile über, nahm Mantel und Hut und seinen Krückstock und rannte die Treppen hinab, schloß die Seitentür auf und hetzte mit langen Sprüngen auf den Vorplatz.

Der Mond war soeben vom jagenden Gewölk freigegeben worden und erleichterte Uhlenhut den Überblick über die Szenerie. Da sah er denn zunächst neben dem Springbrunnenbassin einen Mann am Boden liegen, der sich die Kapuze seines Lodenmantels über das Gesicht gezogen und zwei Löcher für die Augen hineingeschnitten hatte, – was recht gruselig wirkte.

Tim sprang zu spät zu. Der Mann mit der Kapuze hatte sich blitzschnell erhoben und war in den Büschen verschwunden, bevor sogar der geistesgegenwärtige Uhlenhut recht zur Besinnung kam. Dem Kerl, den er übrigens sehr undeutlich nur gesehen hatte, in dem dicht verwachsenen Parke nachzulaufen, wäre zwecklos gewesen, außerdem gab es für Tim noch einen zweiten Grund, hier am Platze zu bleiben, denn der Lärm hatte noch anderen Besuch herbeigelockt, und diese Frau blieb merkwürdigerweise ruhig stehen und zeigte Uhlenhut ein elfenbeinblasses Gesicht mit schwarzen, schmal rasierten Brauen, etwas aufgeworfenen Lippen und einer sehr dünnen, leicht gekrümmten Nase.

Tim, der ahnungslos auf die Fremde zugeschritten war, prallte jäh zurück.

„Alle guten Geister – – verflucht nochmal!!“, entfuhr es ihm im ersten Schreck. Dann aber hielt er es doch für diplomatischer, so zu tun, als wäre die Frau ihm gänzlich unbekannt, er lüftete sogar seinen Filz, schob schnell die Perücke zurecht und machte eine übertiefe Verbeugung und fragte in aller Höflichkeit, obwohl er doch weder für Filmstars noch insbesondere für diese Person irgend etwas übrig hatte.

„Verzeihung, – wie kommen Sie hier in den Park?“

Und Lola de Degri erwiderte genau so liebenswürdig-harmlos: „Die Chaussee führt dicht am Parkgitter entlang, und ich hörte von meinem Auto aus einen Schrei und wollte nachsehen, ob hier jemand verunglückt ist“, – was durchaus glaubwürdig klang und Tim zu einer neuen Verbeugung veranlaßte.

„Wer war der Kerl, der soeben ausriß?“, meinte er nur neugierig. „Sie haben ihn doch sicherlich gesehen, gnädiges Fräulein?“

„Nur genauso flüchtig wie Sie, denn ich traf gleichzeitig mit Ihnen hier ein“, erklärte Lola de Degri nicht ganz wahrheitsgemäß.

Im übrigen erschien jetzt auch Tante Vicky in etwas zweifelhaftem Kostüm auf dem Schauplatz, und da es auch wieder stark zu regnen begann, fand die weitere Erörterung über den mysteriösen Schrei und über den Ausreißer mit der Kapuze in Vickys Salon zu dreien statt, und die dritte war die elegante Dame, deren Benehmen Tante Vicky sehr gefiel, weil sie sich in diesen Dingen ein unfehlbares Urteil zutraute, das sofort Spreu vom Weizen zu trennen wüßte, – wie sie annahm. Als sie heute erkannte, daß ihre Menschenkenntnis doch mitunter versagte, war es schon zu spät … Immerhin ergaben sich aus alledem einige erbauliche Szenen, die freilich in nichts mit dem zu vergleichen waren, was Jana in dieser Nacht erleben sollte.

 

8. Kapitel.

Die Wirkung des Januskopfes.

Jana, Tochter des Marius und der schönen Arminia, blickte noch immer in die in der Tiefe lauernde Finsternis hinab und lehnte im Zustande folterndster Ungewißheit am Fußende des Prunkbettes der Kleopatra.

Auch diesem nach damaliger Mode nur niederen und mehr diwanähnlichen Bett entströmten die scharfen und süßlichen Wohlgerüche, die Kleopatra stets benutzt hatte – in demselben Übermaß, wie es zu Zeiten des Sonnenkönigs Ludwig von Frankreich und der berüchtigten Pompadour Brauch gewesen, nur daß damals die Damen des Hofes von Paris und die sonstigen Vornehmen niemals badeten oder sich wuschen, sondern durch Puder und Schminke jede Säuberung der Haut, selbst die der Hände, ersetzten.

In dieser Beziehung waren die vornehmen Ägypterinnen doch reinlicher, das tägliche Bad war ihnen selbstverständlich, und auch die Geschichte der Auffindung des Knäbleins Moses durch die Pharaonentochter, die mit ihren Gespielinnen an das Nilufer zum Baden ging, beweist den Sinn für körperliche Sauberkeit der alten Ägypter und einer Kulturepoche, die doch an wissenschaftlichen Errungenschaften sich niemals mit den Zeiten des Sonnenkönigs Ludwig vergleichen läßt.

Jana fand heute zum ersten Male diese Wohlgerüche aufdringlich und widerwärtig, sie paßten in ihre jetzige Stimmung nicht hinein und erschienen ihr wie eine in der Luft schwebende, unaustilgbare Mahnung an den Tod der großen Hetäre, der doch nach allen ihr bekannten Einzelheiten überaus qualvoll gewesen war.

Als Jana sich dieser Gedanken, die doch ihrer sonstigen Ideenwelt so fern lagen, allmählich bewußt wurde, erschrak sie über sich selbst.

Sie spürte deutlich, daß irgend etwas Fremdes, bisher Unbekanntes, ihr gleichsam angeflogen war, und sie begann nun darüber nachzugrübeln, was die Ursache dieser Wandlung sein könnte. Trotzdem vergaß sie ihren Rami nicht und rief immer wieder die dunkle Treppe hinab seinen Namen, ohne Antwort zu erhalten, wodurch die Zerfahrenheit ihres Inneren nur noch verstärkt wurde.

Sie war mit einem Male auch feige geworden. Sie wagte sich nicht die Treppe hinab und verfügte doch über die brennende Öllampe und über das Feuerzeug und über den Speer, – sie hätte also die Stufen hinabsteigen können, doch die ständig wachsende Furcht, Armin könnte wirklich ertrunken sein, ließen sie die Gewißheit mehr scheuen, als die verzehrende Ungewißheit.

Jana war sehr bleich und grübelte unausgesetzt vor sich hin. Ihre großen, graublauen Augen hingen wie gebannt auf dem hellen Strich der verhängnisvollen Alabastertreppe. Sie suchte Klarheit darüber zu gewinnen, was es wohl gewesen sein könnte, das sie so seltsam und so urplötzlich derart in ihrem ganzen Denken und Fühlen verändert haben könnte, und es war kennzeichnend für die Größe ihrer unbestimmten Furcht vor der Wahrheit, daß sie zunächst mit aller Macht sich dagegen wehrte, die Erinnerung an den Spiegel der Kleopatra und an das Grauen beim Anblick des grimmigen Janushauptes in sich aufleben zu lassen.

Und doch war der Zauberspiegel mächtiger als sie, – es vollzog sich auch in dieser Hinsicht an ihr und in ihr eine Wandlung, gegen die es kein Sichauflehnen gab. Dieser rein seelische Vorgang spielte sich nicht unvermittelt ab, sondern bedurfte der Zeit des Ausreifens, – wie alles seine Zeit verlangt, was an seelischen Umwälzungen sich vorbereitet und sich durchsetzen will.

Immer häufiger irrten ihre aufgescheuchten Gedanken zu dem Augenblick zurück, wo sie angesichts des drohenden Januskopfes sich bewußt geworden, daß der persische Magier der Kleopatra erklärt hatte, daß der Spiegel das Doppelantlitz nur dann nicht mehr zeigen würde, wenn ein reiner, geläuterter Mensch ihn anhauchte und den Fluch der Unreinheit von ihm nähme.

Und noch mehr zog ihr als verwirrende Erkenntnis durch den Sinn: Sie hieß Jana, – der Gott mit dem Doppelgesicht trug den Namen, den ihr Vater ihm infolge der Todesoffenbarungen seiner ersten Gattin gegeben: Janus – – Jana! Da waren engere Zusammenhänge zwischen dem Gott und ihr als zwischen anderen Sterblichen und dem Beherrscher der Zeitenwende und des Anfangs und Endes aller Dinge! – Und die Überzeugung, daß dem so sei, entsetzte sie nun noch mehr. Sie fürchtete die Strafe der Gottheit, mit der sie unlöslich verbunden war durch die Vergangenheit und durch die Ableitung des Namens: Janus … Jana, – sie fühlte sich als Kind des Janus und als ihm untertan mehr, als jeder andere Mensch.

Aus alledem erwuchs der heiße Wunsch, Armin möchte noch am Leben sein, und fernerhin der Mut, nun doch in die Tiefe hinabzusteigen, – sie zögerte nicht länger, sie verzichtete sogar auf alle Vorsichtsmaßregeln und vermied nur die unterste gefährliche Stufe, stand jetzt neben der kostbaren Badewanne der Frau, die den Fluch auf den Spiegel geladen hatte, und hielt die Lampe ganz hoch …

… Und bemerkte nichts … nichts … Nur das Wasser in der Tiefe rauschte und raunte und wisperte, und Jana glaubte aus diesen Tönen das Flüstern von Geistern herauszuhören, die ihr mit einem schrecklichen Ende drohten.

Wieder packte das Grauen sie und sie flüchtete nach oben und warf sich auf den Diwan, der ein Zeuge ihrer Liebesstunden mit Rami-Armin war, und vergrub das Gesicht in die Hände und weinte, wie sie noch nie geweint hatte, – sie hatte bisher nur spärliche Tränen der zügellosen, ohnmächtigen Wut gekannt, wenn nicht alles nach ihrem Wunsche ging.

Jetzt weinte sie andere Zähren.

*

Armin hatte ihren Wunsch nach dem kühleren Wasser der Zisterne sofort als irgendeine neue Heimtücke durchschaut, zumal auch er wußte, welch unsichtbare und daher doppelt gefährlichen Schutzmaßnahmen die Ägypter für ihre heimlichen Gelasse zu erfinden verstanden. Er hütete sich daher, in den Baderaum hinabzusteigen und verbarg sich hinter einem der Seidenvorhänge des Schlafgemaches, – so wurde er Zeuge des ihm unbegreiflichen Benehmens seiner bisherigen Geliebten, der er die Angst und Sorge um sein Schicksal sehr wohl anmerkte.

Er kannte die Geschichte des Zauberspiegels der Kleopatra nicht und war daher auch gar nicht imstande, die Ursachen der unerklärlichen Wandlung, die mit Jana vor sich gegangen, irgendwie zu ergründen, er mußte lediglich auf den Gedanken kommen, daß sie fürchtete, hier im Liebestempel verhungern zu müssen, da er die Tür hinter sich wieder sorgfältig versperrt hatte, und Jana diese Tür nicht öffnen konnte.

Die Wahrheit ahnte er nicht im entferntesten, und nur deshalb schlich er nun, als Jana die Treppe hinabgestiegen war und dabei, wie er beobachtete, die letzte Stufe zu betreten vermied, still davon, ließ ihr die reiche Menge der Lebensmittel zurück und verschloß leise die einzige Tür und bestieg sein Roß und ritt davon.

Janas verzweifelte und angstvolle Tränen versiegten allmählich.

Sie erhob sich nun und verbarg den Spiegel mit einem Gefühl verstärkter Reue unter eine der Steinplatten einer Fensternische. Dann durchschritt sie langsam alle Räume und suchte abermals nach einer Möglichkeit, die Freiheit wiederzuerlangen, jedoch diesmal nicht mehr in der Absicht, Armin zu verraten, sondern nur von dem Wunsche getrieben, ihn zu schützen, falls man ihn verdächtigen sollte, sie etwa beseitigt zu haben.

Sie fand keinen Ausgang, und in ihrer sich immer mehr steigernden Sorge um Armin kam sie auf den Gedanken, durch eine Rauchsäule jemanden herbeizulocken, denn sie ahnte ja, wie eifrig man sie suchen würde.

Sie häufte draußen vor dem breitesten Fenster alle brennbaren Stoffe auf, die sie hier finden konnte, sie benutzte die kleinen Hocker aus Holz, zerschlug sie und zündete schließlich den Haufen leicht qualmender Stoffe an, – der Qualm mußte sehr dicht und schwarz werden schon infolge der mit verwendeten Seidenvorhänge und der Tierfelle.

Sie war so eifrig am Werke, daß sie gar nicht bedachte, daß man sie, wenn sie befreit würde, fragen dürfte, wer sie hier eingesperrt habe, und daß es dann für sie unmöglich wäre, die Wahrheit zu vertuschen oder etwa den Griechen Prokrustes als ihren Entführer hinzustellen, da ja die Wachen am Tor niemanden nachts hinausließen, – die Wachen würden erklären, sie sei nicht in das Wadi hinabgestiegen, und auch ein Überklettern der Mauern blieb völlig unglaubwürdig, da diese viel zu hoch waren und auch dauernd bewacht wurden.

Nein, – die sonst so kluge Jana sah diesmal nicht voraus, daß sie selbst, trotz bester Absichten, vielleicht dem Geliebten den Tod brächte, während sie ihn doch gerade zu retten trachtete.

Die Rauchsäule stieg in der windstillen, klaren und von der strahlenden Sonne erhitzten Luft dick und schwarz kerzengerade aus dem versteckten Talkessel empor und breitete sich hoch über den Bergkuppen zu einem düsteren breiten Schirme aus, der fast unbeweglich im Äther hing und notwendig die Aufmerksamkeit derer erregen mußte, die in kleinen Trupps auf der Suche nach Jana das Gebirge durchzogen.

Frau Arminia, als Mutter besorgter um ihr Kind als ihr Gatte, der noch immer annahm, Jana hätte nur einen ihrer heimlichen Ausflüge wie schon früher unternommen, ritt neben dem Chiliarchen Avito her, dessen Eifersucht auf den Sklaven Arminus längst in blinden Haß sich verwandelt hatte, denn Jana hatte ihn stets sehr deutlich fühlen lassen, daß sie ihn als einen Menschen betrachtete, dessen schamlose Lebensführung – er hielt sich einen ganzen Harem von eingeborenen Mädchen, die sämtlich mit Gewalt geraubt worden waren – selbst sie verächtlich fände.

Arminias eifrig spähende Augen bemerkten die Rauchsäule zuerst, und da hier in den öden Bergen sehr selten Beduinen erschienen, die dann auch niemals ein solches Feuer anzuzünden gewagt hätten, schon aus Furcht vor den Römern nicht, nahm der Trupp des Oberbefehlshabers der zilizischen Reiter sogleich die Richtung auf die verdächtige Rauchsäule, von der man allerdings noch sehr weit entfernt war.

In dem gänzlich unübersichtlichen Gelände, das von tiefen Tälern und engen Schluchten durchschnitten war, verlor man das Signal freilich immer wieder aus den Augen. Und zur größten Enttäuschung der Arminia mußte man sehr bald feststellen, daß nach dem Durchqueren einer Schlucht von der Rauchsäule nichts mehr zu bemerken war.

Sie war plötzlich wie weggezaubert, und alles Suchen und Spähen und alles Hoffen, das Signal könnte von neuem sichtbar werden, erwies sich als nutzlos, genauso verhielt es sich mit dem rastlosen Durchqueren der Täler, das bis zur Dunkelheit fortgesetzt wurde, – erst da begegnete man dem Sklaven Armin, der finster und versonnen dahergeritten kam und auf Befragen widerwillig erklärte, er habe die Rauchsäule ebenfalls gesehen und sei nun sehr verärgert, weil sie so plötzlich wieder verschwand und er die Stelle nicht habe finden können, wo sie aufgestiegen sei.

Arminia beobachtete ihn scharf und voller Mißtrauen und blieb dann beim Heimritt ein Stück zurück und winkte den Geliebten ihrer Tochter neben sich.

„Du lügst!“, sagte sie leise und eindringlich zu ihm. „Du lügst, – du weißt, wo Jana sich befindet, dort die an dem Knopfe deines Kittels haftende blonde Locke, eine Locke vom Haupte meines Kindes, verrät dich!! – Sprich die Wahrheit, oder beim Gotte Janus, den auch ich verehre, du hängst morgen früh an dem Felsen, der deine Zunge schon lockern wird, so sehr ich mich auch davor scheue, einen Landsmann dieser Marter auszusetzen! Sprich die Wahrheit, schon aus Mitleid mit einem Mutterherzen, das um ihr einziges Kind bangt.“

In den braungebrannten, glatten Zügen des jungen Germanen arbeitete es wie unter dem Ansturm der verschiedenartigsten Empfindungen, – aber dann wurde sein Gesicht doch wieder hart und verschlossen, und ein leichtfertiges, herausforderndes Lächeln umspielte seinen Mund.

„Schmiedet mich an den Felsen!“ rief er überlaut und voller Hohn. „Ich weiß nichts von deiner Tochter und will auch nichts wissen! Sucht sie und findet sie! – Sie verdient nichts anderes, als gesucht und nicht gefunden zu werden!!“

Dabei blieb er …

Und als der Morgen heraufzog, die Sonne über die Kuppen des Djebel Fatireh emporstieg, hing Armin an dem Felsen und lachte seine Peiniger hohnvoll ins Angesicht.

 

9. Kapitel.

Um die Aufzeichnungen Doktor Kertners.

Es entsprach durchaus Janas ganzer Charakterveranlagung, daß sie zunächst nur mit einem Gefühl der Neugierde die weitere Entwicklung ihres Abenteuers abwartete und lediglich dem einen der beiden Männer hochmütig erklärte: „Wenn Sie glauben, ich hätte vor Ihnen Angst, dann befinden Sie sich in einem großen Irrtum. – Wohin bringen Sie mich?!“

Der Herr im Ledermantel, Autokappe und Autobrille schien überaus unangenehm überrascht, als er diese Stimme hörte, die zwar unter der Kapuze mit den beiden Löchern etwas dumpf klang, jedoch zweifelsfrei als Frauenstimme zu erkennen war. Er besaß zum Glück genügend Selbstbeherrschung und erwiderte trotz seiner peinlichen Verblüffung sehr streng und fast drohend:

„Sie haben hier gar nichts zu fragen! Wir sind schon lange hinter Ihnen her, wir kennen Ihr Bankkonto. Mit zehntausend Mark ist die Sache abgemacht!“

Ihm fiel gerade nichts Besseres ein, und er hielt diese aus der Luft gegriffene Drohung auch für außerordentlich zweckmäßig, denn irgendwie mußte man sich jetzt doch zunächst aus der Affäre ziehen.

Er ahnte nicht, was er gerade mit dieser Andeutung eines Erpressungsversuches angerichtet hatte. Jana erbleichte unter ihrer Kapuze. Mit einem Schlage packte sie wirklich die blasse Furcht, nicht ihrer Person, sondern ihres mühsam verheimlichten Geldes wegen, denn ohne dieses heimliche Bankkonto war ja die Durchführung ihrer Pläne einfach unmöglich, zumal der Mann neben ihr nun noch frecher und drohender hinzufügte: „Mit zwanzigtausend wäre uns allerdings mehr gedient!! Also zwanzigtausend!!“

Jana schwieg. Aber was alles in ihr vorging, ahnte der Mann im Ledermantel nicht. Sie biß sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien, – und das wollte doch bei ihr sehr viel heißen. Doch, wenn es wie hier um das Geld ging, mithin um die einzige größere Summe, die ihr wie ein Feengeschenk ohne Tante Vickys Willen zugefallen war – dann, – ja dann mußte sie unbedingt irgendwie zu entfliehen suchen!

Jana überlegte nie sehr lange, das hatte sie bei ihrer geistigen Wendigkeit nicht nötig. Sie saß hier allein mit dem fragwürdigen Herrn im Fonds des Autos, der andere saß vorn am Steuer. Jana war noch nicht siebzehn, aber sie war überaus trainiert und kräftig trotz ihrer fast zu schlanken Figur, – sie lehnte sich nun weiter zurück, ballte die Faust und …

„Machen Sie keine Dummheiten!!“, warnte da der Mann an ihrer Seite und ließ seine Taschenlampe aufblitzen. „Sie denken wohl, wir wären Anfänger … Sie irren sich, – wenn auch der Wagen langsam läuft, werden Sie nie entwischen können!!“

Jana sank in ihrer Ecke wie vernichtet zusammen. Seltsamerweise dachte sie in diesem Augenblick an Bolko und sehnte ihn inbrünstig herbei, – er würde mit diesen Banditen schon fertig werden, und dann würde sie ihm aus Dankbarkeit alles gewähren, was er sich nur wünschte, sie wußte ja, zuviel verlangte Bolko nicht, dazu war er viel zu vornehm.

Und als ob es wirklich Feen gäbe, die nicht nur Geld spendeten, sondern auch sonst zu Hilfeleistungen allzeit bereitstünden, öffnete sich urplötzlich die Wagentür und ein Mann schwang sich hinein, holte mit der geballten Hand aus und … der zweifelhafte Kavalier sackte wie leblos zusammen.

Was dann folgte, spielte sich genauso blitzschnell ab wie vorhin im Park Janas Entführung. Bolko raunte ihr zu, sie solle hinausspringen. Sie sprang, und er folgte ihr, er zog sie sofort in den Wald und lief mit ihr in eine dichte Schonung hinein, indem er nur zur Begründung seiner Flucht Jana zuflüsterte: „Der andere hat sicher eine Waffe bei sich, und diese Burschen drücken blindlings ab, dem wollte ich dich nicht aussetzen …!“

Sie standen hier in fast völliger Finsternis dicht nebeneinander, Bolko hielt sie noch umfaßt, und wie ihm dabei zumute war, mochte Jana wohl ahnen, denn mit einem Male schob sie ihn sanft von sich und schlang ihm dann die Arme um den Hals und küßte ihn genauso inbrünstig, wie sie ihn vorhin herbeigesehnt hatte.

Ihre Lippen waren heiß und strömten ein Feuer aus, das den gereiften Mann und Frauenkenner berauschte, – er vergaß alles, was Jana ihm angetan, und er kostete diese Minuten mit einer Seligkeit aus, deren Größe ihm abermals bewies, was Jana ihm bedeutete!

Und Jana selbst?

Sie fühlte, von seinen Armen so fest umklammert, einen bisher nie gekannten, nie für möglich gehaltenen Rausch, – nein, es war weit mehr, es war ein jähes Erwachen des Weibes in ihr und die Erkenntnis, daß erst die Vereinigung von Mann und Weib, wie sie die ägyptische Mythologie in der Göttergestalt des Hermaphroditen versinnbildlicht hat, jene Höhepunkte des Daseins gewährt, wie sie auch der Isis- und Osiris-Kult in idealisierter Form verherrlicht.

Alle Berechnung, alles unnatürlich Überreife und daher Ungesunde war von Jana abgefallen wie kranke Blätter von einem Bäumlein, das in einen anderen, besseren Boden verpflanzt worden ist. All die Selbstüberhebung, all die Selbstüberschätzung waren dahingeschwunden wie ein erkältender Nebel vor der Sonne des Frührots. Jana war Weib geworden und fühlte trotz ihrer selbstvergessenen Hingabe gerade infolge ihrer geistigen Reife, daß dieses jähe Wunder nur auf eine echte Liebe zu Bolko zurückzuführen war. Sie erkannte in dieser kurzen Spanne Zeit auch das andere, was bei ihr unbewußt stets schon vorhanden gewesen: Den Gleichklang ihrer und seiner Seele als das über allem Triebhaften als Höchstes, Reinstes der geschlechtlichen Liebe ewig bis ins späte Alter hinein Feststehende …!

Und doch … – Und doch war trotz dieser zitternden Nerven und trotz des ungestüm jagenden Herzens immer noch ein Rest der alten Jana übrig geblieben, jener Jana, die bisher mit der kühlen Skepsis ihrer Intelligenz und mit der scharfen Sonde ihres jede Kleinigkeit abwägenden Verstandes sogar jetzt ihre Empfindungen in ständig wachsendem Maße analysierte und selbst diese Minuten nicht voll auskosten konnte, da die ehrgeizige Selbstsucht nach Erforschung letzter Zusammenhänge immer noch in ihr sich regte und vorläufig noch stärker war, als dieses Erwachen des Weibes. Es war nur der Anfang der völligen Wandlung, noch keine Vollendung, es sollte noch bittere Kämpfe kosten, bis das Unkraut aus diesem aufblühenden Gärtlein ganz ausgetilgt war, – und ob dies je vollkommen gelingen würde, lag noch im dunklen Schoße der Zukunft verborgen.

Auch der reife Mann, der hier den Zauber dieser Stunde als neue Offenbarung hinnahm, spürte den allmählichen Rückschlag in Janas Stimmung an den immer seltener werdenden Kosenamen und an dem immer mehr nachlassenden, zuerst so besinnungslos geflüsterten Zärtlichkeiten und Liebesbeteuerungen.

Und dann kam, wie so oft durch eine winzige Kleinigkeit veranlaßt, der völlige Rückschlag. Jana schob ihn plötzlich von sich und fragte mit geradezu lauernder Stimme: „Trägst du deinen dunklen Gummimantel mit den großen Hornknöpfen?“

Bolko Baron von Lortz zögerte mit der Antwort. Er wußte sofort, daß jetzt die kritische Minute nahte, der er gern ausgewichen wäre, oder die er, wie es nunmehr seine Absicht gewesen, ganz vermieden hätte, indem er das, was er vorhin im Park Jana abgenommen hatte, ihr irgendwie anonym zustellte. Das unergründliche Schicksal aber hatte es anders gewollt. Er mußte bejahen, er trug den Mantel mit den auffallenden Hornknöpfen, aber er vertraute noch auf Janas Liebe und daher auf Verzeihung und Verständnis von ihrer Seite.

Kaum hatte er bejaht, als sie ihn erbittert anzischte: „Also warst du es, der mir das Päckchen im Parke entriß!! Also du hast Rami und mir aufgelauert und mich mit frechem Griff im Dunkeln beraubt, und du warst es, der Rami dann niederschlug, als er sich dir entgegenwarf!! – – Kein Wort von Ihnen will ich mehr hören, – geben Sie das Päckchen heraus!! Her damit, – oder wünschen Sie, daß ich Sie dem Gericht wegen Raubes anzeige, – verdient hätten Sie es, Sie … Schurke …!!“

Dann stürmte sie davon.

Nach dem kurzen Regenguß war der Mond wieder erschienen, und Jana lief wie gehetzt heimwärts und gelangte noch gerade rechtzeitig in ihr Schlafzimmer. Kaum lag sie im Bett, als die Tante anpochte und fragte, ob Jana sich auch wohl fühle und schliefe.

Jana antwortete mit einem lauten Gähnen und rief zurück: „Ich hatte gerade von Italien geträumt, Tante Vicky. Gute Nacht! Ich bin schrecklich müde!“

Worauf das Fräulein von Lettburg erleichtert aufatmete und zärtlich erklärte, sie wolle doch schon morgen abreisen, morgen abend, Tim könne ja nach der Stadt fahren und die Rundreisehefte holen.

Jana jubelte. „Tantchen, das ist einfach entzückend! Dafür müßtest du eigentlich einen Kuß haben, aber ich bin zu faul, aus dem Bett zu klettern.“

Wenige Minuten später riß Jana mit bebenden Fingern das versiegelte Päckchen auf, das auf Umhüllung keinerlei Aufschrift trug.

Vergilbte Papiere fielen auf die Steppdecke.

Es war eine fremde Handschrift, und mit starren Augen las Jana einen Namenszug:

Oskar v. Lettburg.

Rami hatte etwas gefunden, aber nicht das, was Jana erhofft hatte.

Zu derselben Stunde öffnete ein einsamer, bleicher Mann in seinem Herrenzimmer die Schieblade seines Schreibtisches, um den Brief Lolas herauszunehmen, den sein gelehrter kleiner Sekretär auf sein Geheiß dort hineingelegt hatte.

Bolko von Lortz befand sich in einer nicht wiederzugebenden Stimmung. Wenn er schon vordem völlig mit sich und aller Welt zerfallen gewesen, so hatte sich jetzt nach der Rückkehr von der Befreiung Janas und nach den glückseligen kurzen Minuten in der nachtdunklen Schonung eine Niedergeschlagenheit bei ihm eingestellt, die ihn zunächst eine geraume Weile regungslos im Sessel sitzen ließ und ihn zu einer Abrechnung mit sich selbst veranlaßte, die er ohne Schonung seiner Person und ohne alle Bemäntelungsversuche seiner Handlungsweise vornahm.

Mit einem immer stärkeren Empfinden des Widerwillens gegen sich selbst rief er sich diese niederdrückenden Erinnerungen, die ja nur noch allzu frisch waren, ins Gedächtnis zurück. Diese bis zu ehrlichster Reue gesteigerte Einsicht seiner durch nichts entschuldbaren, übereilten und moralisch so anfechtbaren Tat fiel unbedingt in ihren Ursprungsmotiven derselben Jana zur Last, – nur Jana hatte ihn durch ihre Herzenskälte, mit der sie vor kaum zwei Monaten die Beziehungen zu ihm abgebrochen hatte, soweit gebracht, daß seine Charakterzüge eine völlige Umwandlung zum Schlechten erfuhren. Aus dem einst sonnigen Bolko mit dem unbekümmerten Lächeln und der großzügigen, alles verstehenden und grundgütigen Lebensauffassung war ein verbitterter und von rachsüchtigen und selbstsüchtigen Gedanken verfolgter Menschenfeind geworden.

Gewiß, er hatte wohl stets schon eine undurchsichtige Maske getragen, er war weit tiefer und ernster veranlagt gewesen, als er’s die Umwelt ahnen ließ, und wenn er nun in dieser bitteren Stunde einer Gesamtabrechnung über sein Dasein auch dieser seiner Eigenart, anders scheinen zu wollen, als er es in Wirklichkeit war, bis in die geheimsten Quellen nachging, fand er lediglich als Ursache den stillen Wunsch vor, niemandem merken zu lassen, daß er sich in Wahrheit stets nach einer Frau gesehnt hatte, die ihm eine Lebensgefährtin, Geliebte und Kameradin sein könnte, wie er sie sich als Idealbild in seinem Innern stets ausgemalt hatte.

So war er denn im Grunde als ein beständig Suchender durch das Leben gewandelt, mit jenem scheinbar fast leichtfertigen Lächeln, hinter dem sich sein anderes Ich versteckte, um nicht dem losen Spott der Oberflächlichen, die ihn nie begriffen hätten, als Zielscheibe zu dienen.

Und dann war eben Jana in sein Dasein getreten – Jana, die blühende Jugend, Jana, die Kluge, Intelligente und Widerspruchsvolle, mit dem unnennbaren Zauber einer eigenartigen Persönlichkeit, ein Kind fast und doch überreif, – und da war er unterlegen, da hatte er wochenlang gehofft, sein Ideal gefunden zu haben, bis das unsäglich demütigende und niederschmetternde Erwachen folgte, bis er erkannt hatte, daß ihr an seiner Person nichts gelegen, sondern nur an seinem Gelde, mit dessen Hilfe sie ihre Nachforschungen und Pläne fördern wollte, und dies unter raffiniertester Vermeidung alles dessen, was ihm Einblick in ihre wahren Absichten hätte geben können.

Er allerdings hatte stets gewußt, wer sie war: die Tochter des Mannes, der ihn, den um so viele Jahre Jüngeren, gehaßt hatte aus jenem Gelehrtenneid heraus, der oft ärgere Folgen zeitigt, als jede andere Art von Mißgunst. Und als schließlich die endgültige Katastrophe eintrat, da hatte er eins nicht bei der Beurteilung von Janas Handlungsweise berücksichtigt, das ihm nun als entlastendes Moment für sie endlich in voller Klarheit zum Bewußtsein kam: Jana war Axel Kertners Kind, und in ihrem Blute überwog das, was sie an Minderwertigem von ihrem Vater geerbt hatte!

Diese große Abrechnung endete, wie sie nach all diesem gerechten Abwägen der beiderseitigen Schuld enden mußte, wenigstens für einen Charakter wie Bolko: Jana war jung, war erblich belastet, Janas Natur war dem von blindem Ehrgeiz und schrankenloser Selbstsucht geleiteten Vater ähnlich, – sie war deshalb die minder Schuldige, aber er, der reife, erfahrene Mann von fast fünfunddreißig Jahren, hätte niemals sich zu dem hinreißen lassen dürfen, was heute nacht geschehen war! –

Das war das Ergebnis dieser Stunde der Einkehr. Und es war so belastend für ihn, daß selbst Janas heutige, zuerst so stürmische Zärtlichkeiten an alledem nichts änderten: Niemand war verantwortlich für eine Wesensart, die auf Vererbung beruhte, und Jana war es erst recht nicht, weil sie noch zu jung war, sich selbst umzumodeln, – dazu gehörten viele Jahre der Selbstbeobachtung und viele seelische Erschütterungen schwerster Art!

So gerecht war Bolko von Lortz Jana und sich selbst gegenüber.

Nach diesem für ihn geradezu vernichtenden Ergebnis war er aus seinem Sessel aufgesprungen und in seinem Herrenzimmer eine Weile auf und ab gelaufen in einer Stimmung, die ihn allmählich immer stärker die Frau herbeisehnen ließ, die ihm eine wahre Freundin gewesen und vielleicht als einzige ihn erkannt und durchschaut hatte, – wie hätte sie sonst wohl so und so oft warnend ihm zuraunen können, wenn sie neben ihm auf der Sessellehne saß und sein Haar so mütterlich streichelte: „Armer Bolko, ich fürchte, du wirst noch sehr bitteres Lehrgeld zahlen müssen!“

Ja, er hatte es bereits gezahlt, er war herabgesunken vor sich selbst zu einem Menschen, der kein Recht mehr hatte, andere zu verurteilen. Er hatte in einer unseligen Augenblicksstimmung Jana im dunklen Park das Päckchen entrissen, und Jana hatte laut aufgeschrien, – aber Rami hatte er nicht niedergeschlagen, nein, soweit hätte er sich nie vergessen. Er wußte nicht, wer es getan haben könnte, er war geflüchtet, und dann wurde er auf der Chaussee Zeuge, wie Jana von den beiden Männern in das Auto gehoben wurde, und da hatte er sich blitzschnell hinten auf den Gepäckhalter geschwungen und nachher den günstigsten Augenblick abgepaßt, Jana zu befreien.

Jetzt aber sehnte er sich nach Lolas verständnisvoller Freundschaft, weil er sich noch nie so einsam und verlassen gefühlt hatte, wie in dieser Stunde, jetzt entsann er sich auch der Bitte Lolas, er solle den Brief recht bald öffnen, es stünde Wichtiges darin.

Er beugte sich über die soeben von ihm geöffnete Schieblade und stutzte. Da lag Lolas dicker Brief mit der Aufschrift: „An Freund Bolko“, da lag aber noch ein zweites Päckchen, auch versiegelt, auch mit einer Aufschrift von Frauenhand, aber diese Schrift war dünn und zart wie von einem feinen alten Dämchen:

„Dieses Päckchen enthält die letzten Aufzeichnungen des Dr. Axel Kertner über den Liebestempel der Kleopatra und soll nach meinem bei Gericht niedergelegten Testament nach meinem Tode dem Baron Bolko von Lortz-Lortzheim uneröffnet ausgehändigt werden, da dieser zu derselben Zeit nach dem Tempel gesucht hat wie Dr. Kertner und weil Kertner seinem Rivalen, wie mir bekannt, gewisse uralte Papyrusurkunden stehlen ließ, die den jungen Baron zweifellos den Tempel zuerst hätten finden lassen. – Diese meine Bestimmung über die Aufzeichnungen soll ein Unrecht wieder gutmachen, das nicht etwa meinem Adoptivkind Jana als Verfehlung ihres Vaters mit zur Last gelegt werden darf.

Viktoria von Lettburg.“

Bolko richtete sich langsam wieder auf, ohne eines der beiden Päckchen anzurühren. Er fühlte, daß er noch bleicher geworden war. Seine Gedanken taumelten in seinem Hirn durcheinander, wie eine Schar von Trunkenen, von denen jeder sich zuerst vordrängen will, um seine Wünsche vorzutragen. Ungezählte Fragen lösten sich aus dem Chaos der Gedankenflut heraus, – die wichtigsten waren:

Wer hatte die Aufzeichnungen Kertners hierhergebracht und in den Schreibtisch gelegt, – war es der zwergenhafte Gelehrte gewesen, der mit Lola so vertraut stand, – war Lola an alledem irgendwie beteiligt? Was für ein Päckchen war es denn gewesen, das Rami gefunden und Jana hatte aushändigen wollen und auch ausgehändigt hatte, – und die Hauptfrage: Mußte er, Bolko von Lortz, nicht diese Aufzeichnungen schleunigst der alten Dame wieder aushändigen? Sollte dieses Päckchen etwa erneut Verführerin spielen und ihn in neue Gewissenskonflikte stürzen?

Er strich sich müde durch das lockere, blonde Haar. Aber es war nicht Lolas weiche Hand, und keine erlösende Stimme gab ihm darüber Bescheid, ob er wirklich ein Recht hätte, unter diesen Umständen die Aufzeichnungen Kertners zu lesen, da er nun erst darüber Gewißheit erhalten, daß es Kertners Kreaturen gewesen, die ihm die Papyrusblätter mit den Hinweisen auf das Vorhandensein des Liebesnestes der Kleopatra entwendet hatten.

Bolko ließ sich in den Sessel fallen und vergrub den heißen Kopf in die Hände. Und wie ein geheimnisvoller Zwang war es, als er nun nach seinem Talisman suchte und dann die gehämmerte Münze in den Fingern hielt und den Januskopf grübelnd betrachtete … – das Doppelgesicht des bärtigen Römers …, ja, ein Doppelgesicht … wie er selbst zwei Gesichter hatte, – und wie die arme Jana, die gleichfalls mit einem Doppelantlitz belastet war.

Blonder Januskopf im deutschen Lande der weiten Wälder und der fruchtreifen Äcker und der schillernden Seen und eines Wasserreichtums, von dem der Djebel Fatireh nichts ahnte, – blonder Januskopf in deutscher Heimat …, wie lange noch?

 

10. Kapitel.

Der Felsen des Sonnenliedes.

Zwischen den steilen und im Sonnenlicht des Nachmittags in den Konturen ineinanderfließenden Bergzügen des Mons Claudianus und des Mons Porphyrites lastete wieder wie alle Tage eine erschlaffende Hitze. Träge schwebten am durchsichtig klaren Himmel ein paar Aasgeier und zogen ihre gemächlichen Kreise und spähten nach Beute aus, die ihnen hier reichlich zuteil wurde. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein Unfall in den Steinbrüchen sich ereignete oder einer der Damnati zum Tode verurteilt wurde. Alle Aasgeier von weither hatten seit Erbauung des Kastells sich in dieser Gegend zusammengezogen und übernahmen gern das Amt des Totengräbers.

Armin, der einst so jung in die Gefangenschaft und als unverdorbener Naturmensch in die Gewalt der Römer und in eine Umwelt geraten war, die ihn langsam und unmerklich änderte, ritt nach dem schnellen Verlassen des Kerkers seiner Gefangenen ziellos durch die Schluchten und legte es nur darauf an, die Zeit bis zum Eintritt der Dunkelheit irgendwie auszufüllen. Als er dann eine schattige Stelle mit einigen verkümmerten Dattelpalmen und etwas Graswuchs erreicht hatte, band er sein Pferd an einen der Bäume und streckte sich lang am Boden aus und überdachte nochmal in aller Gründlichkeit die letzten Vorgänge.

Er gab sich alle Mühe, für Janas seltsames Benehmen eine einleuchtendere Erklärung zu finden, als die erste, die ihn nicht mehr befriedigte. Die nun fast zehn Jahre währende Gefangenschaft hatte aus dem einstigen harmlosen jungen Jäger, der in seinen heimatlichen Wäldern den Bär und den Wisent mit dem Speere erlegt und sich wenig um Frauen gekümmert hatte, da die strengen Gesetze seines Volkes keine Liebeleien zuließen, einen scharfen und mißtrauischen und auch klugen Beobachter gemacht, und was ihm an Weltklugheit noch gefehlt, brachte ihm Jana bei.

Die blonde Tochter des Marius und der Arminia war in allen Künsten und in vielfachen Wissenschaften sehr bewandert und fand schon als Kind an ihrem gelehrten Vater einen geduldigen und guten und bald sehr stolzen Lehrer, denn Jana begriff sehr schnell, und es gab nichts, was sie nicht interessiert hätte. Der Goldschmiedekünstler Marius war sogar zufrieden mit ihr, daß er ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag eine gehämmerte Janusmünze als besondere Anerkennung schenkte, und Jana trug diese Münze, ein römisches As, an einer goldenen Kette selbst nachts auf der Brust und hielt sie sehr in Ehren.

Einem Mädchen mit solchem Bildungsgrad wäre es auf die Dauer unerträglich gewesen, einen Mann zum ständigen Begleiter zu haben und gar noch zum Geliebten, der sie durch seine Unwissenheit immer wieder daran erinnert hätte, daß er ein Sklave war und aus einem Lande stammte, wo die Frauen, wie er ihr erzählt hatte, nichts von Schminke und feinen Salben und zartesten Wohlgerüchen wußten, und jedes Jahr ein Kind gebaren, nur um im Volke angesehen zu sein. So hatte sie denn auf den gemeinsamen Ausflügen Armin als Lehrerin in alles eingeweiht, was ihr selbst geläufig, und er wurde ihr ein Schüler, an dem sie Freude hatte, genau wie ihr Vater mit ihr zufrieden gewesen. –

Der junge Teutone war mithin sehr wohl imstande, rein äußere Beobachtungen, wie er sie heute betreffs Jana machen durfte, in feinere Einzelheiten zu zergliedern, und aus dem sinnfälligen Geschehen auch auf rein geistige Vorgänge richtige Schlüsse zu ziehen.

Er hatte sich in dem spärlichen Grase recht bequem ausgestreckt und schaute grübelnd zu den Aasgeiern empor, die im Äther ihre Kreise zogen. Seine Gedanken bewegten sich gleichfalls im Kreise, und im Mittelpunkte stand das Bild seiner Geliebten und jetzigen Gefangenen. Er vergegenwärtigte sich ganz genau den Ton, in dem Jana so angstvoll nach ihm gerufen hatte, und noch viele andere kleine Züge, die er nunmehr als geringen Hinweis auf Janas vielleicht doch reuevolle Stimmung und nicht nur als Furcht vor dem Verhungern deutete. Allmählich überkam ihn so eine geringe Empfindung des Mitleids, – er war ja nicht mehr wie einst nur ein auf Ursprungsinstinkte angewiesener Mann, sondern sogar in vielem Jana ähnlich, wie er sich nun selber eingestand.

Urplötzlich geriet er so auf das ihm bis dahin fremde Gebiet einer moralischen Abrechnung mit sich selbst, und da er im tiefsten Innern noch immer unangekränkelt und gerecht und unverdorben war, sagte er sich sehr bald, daß zumindest die Art, wie er den Aufstand der Damnati vorbereitet und als Plan bis zum letzten durchdacht hatte, einwandfrei bewiese, er selbst sei ein sehr berechnender und durchaus nicht uneigennütziger Helfer seiner Leidensgefährten. Seine Absicht, bei der Rebellion zunächst sich im Hintergrund zu halten und abzuwarten, ob der Aufstand auch glücken würde, erschien ihm nun als ein so schlechtes Zeichen seines Charakters, daß er auch über Jana unwillkürlich immer milder dachte und schließlich dahin gelangte, daß er geradezu voller Reue sein Roß wieder bestieg und Jana von der Ungewißheit erlösen wollte, ob er noch am Leben sei.

Kaum hatte er die Schlucht jedoch verlassen und nun von einer Kuppe einen weiteren Überblick über die Berge gewonnen, als er eine schwarze Qualmsäule bemerkte, die kerzengerade in die stille Luft emporstieg.

Er wußte, daß nur Jana dieses Feuer angezündet haben könnte, denn die Eingeborenen wagten sich sehr selten hierher, und die Öfen zum Brennen der Tonkrüge und die anderen zum Härten des Eisens der Werkzeuge für die Steinbrucharbeiten wurden mit Torf geheizt, der aus der Nilniederung durch Wagenzüge in großen Mengen herbeigeschafft wurde und nur wenig Rauch erzeugte.

Zu seinem Schreck nahm die Qualmsäule an Umfang und Stärke schnell zu, – all seine milden Gedanken waren wieder vergessen, und er schalt sich einen Toren, daß er verabsäumt hatte, Jana die Lampe und das Feuerzeug wegzunehmen. Er überschaute sehr wohl die Gefahr, die ihm nun drohte, und sein Grimm gegen das Mädchen, das ihn dem grausamen Chiliarchen Avito ausliefern wollte, schwoll zu wildem Hasse an, da die Rauchfahne, die sich oben nun wie ein Dach ausbreitete, bestimmt auffallen und auch andere herlocken würde.

Er jagte, so schnell dies das Gelände zuließ, zum Liebestempel zurück und sprang in dem versteckten Tale vom Pferd und stieß zunächst die Glut mit den mit hohen Sandalen bekleideten Füßen auseinander, wobei er sich die Haut an vielen Stellen arg versengte. Dann erst öffnete er die Tür, versperrte sie von innen und suchte Jana.

Diese saß still und auf alles gefaßt auf dem Bette der buhlerischen Königin und schaute ihm ernst und traurig entgegen. Sie ahnte, er würde ihr niemals Glauben schenken, daß sie nur sein Bestes gewollt hätte, als sie das Feuer anzündete, – sie sah es ja seinen Mienen an, wie sehr er ihr Tun völlig falsch beurteilte und wie wenig es sich verlohne, ihn eines besseren zu belehren oder auch nur den Versuch zu machen, ihn aufzuklären. Jetzt erst erkannte sie, daß sie ihn unbewußt tatsächlich in eine sehr gefährliche Lage gebracht hatte, und diese Einsicht machte sie noch zaghafter und ließ sie schuldbewußt und verlegen erscheinen.

Armin stand eine Weile regungslos vor ihr und betrachtete sie voller Verachtung. Dann ergriff er schnell ein paar leere große Krüge und eilte die Treppe zum Baderaum hinab. – Jana schrie laut auf:

„Rami – zurück!! Die letzte Stufe ist beweglich!“

Sie eilte bis zur Treppe, und ihr bleiches, verängstigtes Gesicht hätte ihm eine Mahnung sein müssen, daß er sich vielleicht doch geirrt habe.

Er hatte die letzte Stufe vermieden, füllte die Krüge nun aus dem Becken neben der reichverzierten Wanne und lief zum Fenster und goß das Wasser in die Glut und verlöschte diese vollkommen.

Als er nun wieder das Schlafgemach der Königin betrat, fand er Jana wiederum auf dem Bett sitzend vor. Er lehnte sich ihr gegenüber an die mit Seide bespannte Wand und sagte mit unheilverkündender Miene:

„Weshalb hast du mich verraten wollen? Brachte ich dir nicht Lebensmittel in Menge und tat ich nicht alles, um dich hier deine Gefangenschaft nicht zu sehr fühlen zu lassen?! Du wolltest mich schon einmal ermorden und das zweite Mal drunten ertrinken lassen. Nun möchtest du mich noch am Felsen des Sonnenliedes sehen und mein Todesstöhnen vernehmen! Du bist es nicht wert, daß ich mich deinetwegen nochmals Gefahren aussetze, denn bedenke: Ich mußte die Lebensmittel für dich stehlen, und wenn man mich mit all den Eßwaren, die dein feiner Gaumen verlangt, unterwegs hierher getroffen und angehalten hätte, wie sollte ich mich dann wohl herausreden?! Zum zweiten Male wird das nicht geschehen, nein, fortan wirst du mit der Kost dich begnügen müssen, die wir Sklaven erhalten.“

Jana hatte den Kopf immer tiefer gesenkt, um ihn die Tränen nicht sehen zu lassen, die ihr über die Wangen rannen. Sie war unter seinen harten, unerbittlichen Anklagen zuerst unfähig gewesen, auch nur ein einziges Wort zu ihrer Verteidigung vorzubringen, und wieder faßte Armin dies falsch auf und nahm es als Bekenntnis ihrer Schuld hin.

Nie ward einer Frau mehr und bitteres Unrecht zugefügt, als hier dieser Jana, die jetzt nur an den grimmen Januskopf dachte und doch schon die beginnenden ersten Anzeichen wahrer Läuterung erkennen ließ, denn es war nicht mehr die Furcht vor der Strafe der Götter allein, die sie so kleinmütig machte, sondern weit mehr ein weiches Gefühl der Zusammengehörigkeit mit Armin, das ihre Enttäuschung und Verzweiflung und ihre Trauer über seine unbeugsame Härte bis zur völligen Gleichgültigkeit steigerte. Sie behielt ihre demütige und größte Trostlosigkeit ausdrückende Haltung bei und flüsterte nur, ohne den Kopf zu erheben:

„Ich schwöre dir beim Haupte des Janus, der mich vernichten möge, wenn ich lüge, daß ich dich nicht verderben wollte! Nein, Armin, ich fürchtete für dich. Zunächst nahm ich an, du wärest ertrunken, – nachher erschien mir dies unmöglich, und ich klammerte mich an die Hoffnung, du lebtest noch und …“

Sie vermochte nicht weiter zu sprechen. Ihre Tränen flossen nun ungehemmt, und der Mann dort an der Wand mit den prächtigen Seidenstoffen ward abermals irre an sich und gedachte der Stunde, die er soeben allein im Schatten der Dattelpalmen zugebracht hatte.

Diese ernste Erinnerung kam zur rechten Zeit.

Er entsann sich der Selbstvorwürfe und der eigenen Schwächen und ward hellsichtiger, einsichtsvoller und gerechter, denn je zuvor und sagte sich beschämt, daß er keinerlei Gutes vor Jana voraushabe, im Gegenteil –, sie war in einer Umwelt aufgewachsen, die ihr die Fäulnis in die Seele getragen hatte von Jugend an.

So gerecht war Armin in dieser entscheidenden Minute, wo beider Geschicke auf des Messers Schneide schwebten. Aber er war auch Manns genug, nun nicht sofort als Verzeihender und alles Vergebender vor Jana hinzutreten, er erkannte halb unbewußt seine schwierige Mission, die er für Jana und für sich selbst zu erfüllen habe, und er überlegte mit einer freudvollen und hoffnungsvollen Ruhe, was nun weiter geschehen müßte, um die Frau, die er so oft liebend umfangen hatte, nie mehr zurückgleiten zu lassen in die früheren Zeiten ihrer Verderbtheit.

Aus alledem ward schließlich ein Entschluß geboren, der in den Beweggründen unanfechtbar rein, doch zu leicht falsch gedeutet werden konnte.

Er wandte sich Jana zu und sprach zu ihr mit einiger Überwindung genauso kalt wie vorhin, wenn auch ohne jede Härte und Feindseligkeit:

„Jana, es wäre gegen jedes natürliche Empfinden, wenn ich dich, die du mir soviel schöne Stunden, soviel Belehrung und Bequemlichkeiten schenktest, heute hier wie eine Wildfremde, an deren Seele ich keinen Anteil hätte, mit deiner beginnenden Reue zurückweisen wollte. Aber du wirst einsehen, daß ich Zeit gebrauche zum Vergessen, daß ich mich auch sichern muß gegen deine Wankelmütigkeit, die plötzlich wieder auf Rachegedanken sinnen könnte. Ich werde dir dort unten in dem Baderaum ein Gemach schaffen, in dem du nichts entbehrst, nur die Sonne und das Tageslicht. Sobald unser Aufstand gelungen, wird sich nach dieser Zeit der Prüfung für dich erweisen, ob deine Tränen echt waren oder ob sich unsere Wege für immer trennen müssen.“

Jana hatte nach den ersten Sätzen den Kopf lauschend gehoben und hatte zu hoffen gewagt. Die nächsten Sätze aber jagten ihr Schreck und Entsetzen ein. Sie fürchtete den Raum dort unten, weil sie dort den Zauberspiegel gefunden hatte, der sie durch das Bild des Januskopfes in die Reihen der Geächteten hinabgestoßen hatte, – und dies mit Recht, wie sie nun eingesehen hatte – aus ihrem Odem konnte sich nur das Doppelhaupt des Janus formen –, sie kannte nun ja ihre Fehler und Schwächen. Aber nebenher fürchtete sie das Bad der Kleopatra noch aus anderen Gründen: Das ständige Rauschen und Murmeln des Wassers erschien ihr wie eine geheimnisvolle Drohung – wie Geisterstimmen, zumal sie nicht wußte, was sich unter den Steinplatten des Bodens des kleinen Gemaches befinden könnte.

Als Armin nun schwieg, flog sie mit einem leisen Schrei auf ihn zu, umklammerte ihn und drängte sich an ihn mit der verzehrenden Furcht eines Menschen, dessen Geschick eine unerträgliche Wendung nehmen soll. Sie hing an seinem Halse, und eine Locke ihres Haares verfing sich in einem Haken seiner Bluse und blieb dort haften, als er sie mit bereits beginnendem Argwohn, sie könnte abermals ihre Künste an ihm versuchen wollen, von sich drängte.

Jana hob dann die Hände zu einer flehenden Gebärde und bat mit unsicherer Stimme, er möge ihr diese, gerade diese Strafe ersparen, sie geriet immer mehr in Angst, als sie für ihre Bitte keine ernsthaften Gründe vorbringen konnte, denn den Hauptgrund konnte sie ihm nicht nennen, – nie hätte sie Armin von dem Spiegel etwas berichtet und von dem vernichtenden Urteil, das durch die angehauchte Silberplatte über sie gefällt worden.

Ihre unklaren und immer mehr ins Stocken geratenden Bitten und wenig stichhaltigen Gründe befremdeten ihn in solchem Maße, daß sein durch ihre anfänglichen Zärtlichkeiten schon rege gewordener Argwohn sich beständig verstärkte. In seinen Augen erschien das heimliche Glimmen des Mißtrauens. Jana merkte dies, wurde noch unsicherer, stammelte noch einige schüchterne Worte, senkte langsam den Kopf, verstummte vollends und trat zurück.

Armin wurde aus ihrem ganzen Benehmen zu einem einzigen wahrscheinlichen Verdacht hingeleitet: Sie fürchtete das Bad der Kleopatra nur deshalb, weil es für sie dort unten keine Möglichkeit gab, durch eine neue List sich die Freiheit zu verschaffen. Er überlegte sich auch dies mit aller Sorgfalt, denn er mochte ihr nicht unrecht tun, doch er fand keine bessere Erklärung, fand überhaupt keine sonstige Deutung, und er sagte ihr dies mit scharfen, vielleicht verletzenden Worten, die nur seiner Enttäuschung entsprangen. Er war aus einem Hoffenden, der eine Mission in sich gefühlt hatte, wieder ein Verzagter und ein um eine unklare, aber bessere Zukunft Betrogener geworden.

Sie blieb stumm. Was in ihr vorging, wußte er nicht. Gleichgültig gehorchte sie, ihre Angst war verflogen, nur die tiefste Verzweiflung beherrschte sie, weil er ihr so wenig traute und weil sie sich nun geächtet fühlte für ihr ganzes Leben. Stumm und wie eine Büßerin schritt sie die Alabastertreppe hinab – gleichgültig und stumpf sah sie mit an, wie er den kleinen Raum für sie herrichtete und dies mit mehr Sorgfalt, als sie erwartet hatte. Er stand nun wieder vor ihr.

„Jana, hast du noch einen Wunsch?“

Eine sonderbare Eingebung war’s von ihr.

„Bringe mir bitte den Spiegel mit dem Elfenbeingriff, den ich unter die Steinplatte der dritten Fensteröffnung legte.“

Armin zog die starken blonden Brauen ärgerlich zusammen.

„Für Eitelkeit und Tand hast du noch Sinn?! Gut, du sollst ihn haben. Du wirst nie anders werden, nie!!“

Er holte den Zauberspiegel des persischen Magiers, warf ihn auf das schmale Ruhebett, das er für Jana aufgestellt hatte, und ging endgültig mit den geringschätzigen Worten: „Da hast du das Zeichen aller weiblichen Gefallsucht! Lebe wohl!“

Oben verschloß er die Öffnung durch das Mosaikbild des kosenden Paares Isis und Osiris, schob den Teppich über das kostbare Kunstwerk, brachte auch das Bett der Kleopatra an den früheren Platz und häufte die schwersten Gegenstände aus dem Porphyrtempel auf das drehbare Bild, damit Jana auf keine Weise flüchten könnte. Er bestieg sein Pferd und ritt verbittert davon.

In dieser Stimmung trafen ihn Arminia und Avito.

Die Gattin des Marius, gereizt durch seine unheilvollen Antworten und in noch größerer Sorge um ihr einziges Kind, verriet dem Chiliarchen, daß die blonde Haarsträhne sie argwöhnisch gemacht habe, man untersuchte den Sklaven sehr genau, fand die Brandwunden an seinen Füßen und marterte ihn, um ein Geständnis von ihm zu erpressen. Er schwieg. Morgens hing er am Felsen des Sonnenliedes, – festgeschmiedet, splitternackt, – er verspottete den Chiliarchen, er verhöhnte die Soldaten und wußte doch, daß er sterben mußte.

Die Neugierigen zerstreuten sich nach einiger Zeit, und Armin spürte die Hitze der Sonne, die sich immer mehr gen Süden wandte und immer heißer brannte, wie Höllengluten, aber er hatte sich vorgenommen, nicht um Gnade zu winseln oder auch nur einen einzigen Schrei der Qual auszustoßen. Er lenkte seine Gedanken gewaltsam ab und beobachtete die im Wald arbeitenden Leidensgefährten und umfaßte das ganze Bild des Kastells mit einem abschiednehmenden Blick. Heute, wo er sein Ende voraussah, erschien ihm dies alles hier neu und fremd, und sein bereits schmerzendes, siedendes Hirn entdeckte überall bisher nicht geschaute oder nie beachtete Einzelheiten.

Da waren die Öfen zum Brennen der Tonkrüge und der sonstigen Gefäße, da war ein hoher Ofen, in dem die feineren Stücke aus dem bläulichen Ton mit Glasur und Figuren von Leuten aus Faenza hergestellt wurden, und es waren Künstler in ihrem Fach, und die wertvollen Fayenzeamphoren verschickte man nach Rom, weil gerade der bläuliche Ton aus dem Wadi anderswo selten zu finden war.

Da waren die anderen Öfen zum Härten des Eisens für die Werkzeuge zum Bearbeiten des Gesteins, – ein Sklave, der aus Karthago stammte, dem längst zerstörten, hatte den Römern das Geheimnis verkauft, wie man das Eisen im Feuer härter als Stein machte, und war dafür freigelassen worden und spielte hier den Herrn der Eisenwerkstatt, – er verriet nicht alles von seiner seltenen Wissenschaft und hatte nur Sklaven um sich, denen die Zunge herausgeschnitten war, damit sie nichts aussagen könnten über die Herstellung des Stahles.

Das Wadi war infolge der Dürre der letzten Monate völlig wasserleer, und auch droben das Staubecken enthielt nur wenig Wasser. Doch die Regenzeit stand nahe bevor, und wenn die Götter gnädig waren, würde es in den Bergen an Niederschlägen nicht fehlen, und das Staubecken würde wieder die Wasserleitung aus Bleiröhren füllen, die jetzt zumeist nur Schlamm enthielten. In einer Ecke des Kastells stand der bienenkorbähnliche große Wasserturm, der dazu bestimmt war, die Druckverhältnisse zwischen Staubecken und den Leitungen in der Niederlassung zu regulieren. Er war mit Pech innen abgedichtet, und Armin entsann sich nun, daß er selbst das siedende Pech in die Fugen gegossen hatte, und daß Jana dabei gestanden und ihn beobachtet hatte, und von da an ihre Neigung ihm schenkte, so daß er nicht mehr zu Arbeiten herangezogen wurde.

Sein bereits halb verschwommener Blick umfaßte weiter die Steinmetzen, die drüben die Porphyrsäulen für den neuen Jupitertempel glätteten und die Kapitäle kunstvoll mit Ornamenten versahen. Seine Augen wanderten zu Janas Hause hin, das dicht neben dem Eingang zum Kastell lag, der stark befestigt war. Er sah das Vieh in dem Viehhofe an den leeren Wassertrögen aus Stein herumstehen und den Schlamm auflecken.

Aber die grauenvolle Hitze benebelte ihn immer mehr, und oft genug fühlte er solche Schmerzen in seinem glühenden Kopfe, daß er fast um Erbarmen gefleht hätte. Sein ganzer Leib war eine einzige rote, gequollene Masse von kochendem Fleisch, – er spürte den Tod nahen, und in dieser Erkenntnis des nahen Endes gedachte er Janas, die ohne Hilfe im Bade der Kleopatra verhungern müßte. Er begann zu rufen, aber er hatte zu lange gezögert, seine Stimme hatte keine Kraft mehr, und er erschöpfte nur die allerletzten Atemzüge, die seine Lungen hergaben. Unsägliche Reue packte ihn. Er war Janas Mörder.

Mörder – Mörder –, so gellte es in seinen Ohren.

Das Bewußtsein schwand ihm, und Frau Arminia, die soeben nochmals zu ihm kam, ihm ins Gewissen zu reden, fand nur noch einen Sterbenden.

Inzwischen war Gewölk im Osten über den höchsten Kuppen aufgetaucht, und einige Blitze fuhren durch die schwarze Wolkenbank, und der Donner rollte mit solcher Stärke durch die Täler und das Wadi, daß der Sterbende nochmals zu sich kam und vor sich Arminia erblickte und doch nur den Donnergott der Germanen, den gewaltigen Tor oder Donar, zu sehen glaubte. Er flehte den Gott inbrünstig an, Jana zu retten, und dann schwanden ihm erneut die Sinne.

Regen rauschte herab, – eine wahre Sintflut ging hernieder, und das Wadi ward zum reißenden Wildbach und schnell auch zum brausenden Strom, der alles zu verschlingen drohte. Ein Regen wie dieser war hier am Mons Claudianus noch nie erlebt worden.

Immer wieder knatterten die von Donars Hand geschleuderten zackigen, feurigen Strahlen hernieder, und das Dröhnen in den Bergen war so gewaltig, daß selbst Jana es gehört hätte, wenn sie nicht wie leblos auf den Fliesen des Bades der Kleopatra gelegen haben würde, in der krampfhaft geschlossenen Hand den Zauberspiegel des persischen Magiers.

 

11. Kapitel.

Pascha Saud und sein Lieblingssohn.

Der alte Pascha Ibrahim Saud kehrte aus der Stadt in seinen unweit der Kalifengräber bei Kairo gelegenen Palast zurück. Getreu seiner ganzen Einstellung haßte er das moderne Kairo wie die Sünde, denn was der englische Einfluß aus der ehemaligen Residenz eines freien und heute halb unfreien Landes gemacht hatte, war ihm, dem fanatischen Moslem und alten Rebellen, unsäglich widerwärtig.

Er saß in seinem von vier edelsten Rassepferden gezogenen Wagen weit zurückgelehnt da und schaute starr geradeaus. Er wollte diese Schwärme fremder Touristen nicht sehen, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man sie sämtlich einen Kopf kürzer gemacht. Absichtlich benutzte er zu seinen seltenen Ausfahrten den auf einer Versteigerung in Paris erstandenen Prunkwagen des zweiten Napoleon, – der erste Napoleon hatte Ägypten bekämpft, und das vergaß Saud-Pascha den Franzosen nie. Er verhöhnte sie durch diesen Wagen, an dessen Türen noch das kaiserliche Wappen angebracht war.

Die tiefen, respektvollen Grüße der Leute, die den alten Herrn mit dem weißen Barte und dem roten Fes und der goldstrotzenden Uniform kannten, beachtete er nicht. Nur wenn ihn ein modern herausgeputzter Farbiger zu grüßen wagte, spie Saud-Pascha ihn ohne Zögern an. So war Ibrahim Saud Mekka-Pascha. Mekka-Pascha ließ er sich am liebsten nennen, er hatte die Pilgerfahrt nach der heiligen Stadt Mohammeds dreimal gemacht und war darauf noch stolzer, als auf die zahllosen Banditen aller Farben, die er hatte köpfen lassen.

Er kehrte nun also heim und war froh, daß er die Sache auf dem Haupttelegraphenamt erledigt hatte, – er war gezwungen gewesen, sich persönlich dorthin zu begeben, denn es handelte sich um eine äußerst diskrete Angelegenheit, in die nur wenige eingeweiht waren.

Sein Palast und sein Park waren genau so berühmt wie sein Reichtum, denn der Pascha war trotz seiner sonstigen fremdenfeindlichen Einstellung ein sehr gerissener Geschäftsmann und nahm es sogar mit jedem Armenier hierin auf, obwohl doch die Armenier so etwa die schlimmsten Halunken von der Welt sein sollen. Niemandem gestattet er den Zutritt zu seinem Hause, er hielt sich eine Leibgarde von echten Mamelucken-Nachkommen und ließ sein Heim wie eine Festung bewachen, denn der Palast barg Kostbarkeiten, die nicht alle einwandfrei erworben waren und auch die Habgier der modernen Raubritter geweckt hätten. Es ging sogar das Gerücht, daß Mekka-Pascha noch vor kurzem ein paar Einbrecher habe aufhängen lassen, und zwar in aller Stille in seinem Riesenpark, aber Genaues wußte niemand, und beweisen ließ sich nichts.

Daheim machte es sich der Pascha nun bequem, er nahm ein Bad, seine hierzu bestimmten Sklavinnen – eigentlich waren es nur Dienerinnen – rieben ihn mit feinstem Bergamottöl ein, massierten ihn und legten ihm dann die Milaje, das weiße Umschlagetuch, um die feisten Schultern und die Muskelwülste der Arme.

Nun hielt der Pascha seinen Kef, seine Erbauungsstunde, ab. Für ihn, der echtes Beduinenblut in den Adern hatte, das Schönste, wenn der Tag sich neigte. Er saß inmitten zahlloser Kissen auf dem von einem Baldachin überwölbten Ruhebett in seinem kühlen Empfangssaal und rauchte seine Wasserpfeife und sann regungslos vor sich hin, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, obwohl seine Gedanken keineswegs angenehmer Art und sogar für gewisse Leute sehr bedrohlich waren. Er hatte noch heute mit über fünfundsiebzig Jahren einen Harem von zweiunddreißig Frauen, und seiner Kinder waren so viele, daß er nur eines davon kannte, das ihm seine Lieblingsgattin geboren und dies Geschenk an ihn mit dem Leben bezahlt hatte. Wenn es um seinen Sohn ging, um seinen Erben, erwachten alle wilden Instinkte in ihm, und die mochten sich hüten, die seinen Rami beleidigt oder verdorben oder auch nur den Versuch dazu unternommen hatten.

Der alte Pascha verzog keine Miene, doch wer hinter die hohe, kluge, faltige Stirn hätte schauen und die Gedankengänge des dunkelhäutigen und strengen und verschlossenen Ibrahim hätte lesen können, wäre entsetzt gewesen.

Sein Leibmameluck Ali betrat den durch rote Porphyrsäulen gestützten und mit Porphyrfliesen ausgelegten Saal und warf sich nach früherer Sitte lang vor seinem Herrn zu Boden und überreichte ihm eine Karte, die auf einer goldenen Platte lag. Ali war Maase-Beduine und in den besten Jahren, ein sehr großer, stattlicher Mann mit schwarzem Spitzbart und einer scharfen Hakennase. Seine Stellung hier im Palast und im Parke glich der eines obersten Ministers eines kleinen selbständigen Reiches, und etwas Ähnliches stellte der Besitz des Mekka-Paschas auch dar. Der Arm der Behörden war machtlos gegenüber den schlauen Übertretungen eines Mannes wie Ibrahim, der sein ganzes Leben lang mit Tollkühnheit, List, Verschlagenheit und Grausamkeit für die Freiheit seines Vaterlandes gekämpft hatte, – und das wußten die Behörden sowohl wie auch die Bewohner von Kairo, die den alten Pascha insgeheim als eine Erinnerung an glorreichere Zeiten verehrten.

Ibrahim las den Aufdruck der feinen Besuchskarte, und sein Gesicht drückte jetzt deutlich eine freudige Überraschung aus.

„Ali, führe sie herein“, befahl er hastig. „Wenn ich dies vorher gewußt hätte, würde ich das Geld für die Depesche gespart haben. – So ist es mir aber lieber. Und dann gib acht, daß niemand uns belauscht und halte die Zimmer meiner Vertrauten bereit und sorge für ein gutes Abendessen, – sie ist an europäische Kost gewöhnt, das weißt du.“

Der Leibmameluck entfernte sich, und der Pascha zog seinen seidenen, bunten Mantel über seine weiße Milaje und stülpte den Fes auf den bis auf eine Scheitellocke kahlrasierten Kopf.

Lola de Degri saß vor dem Pascha in einem weichen Sessel und rauchte eine dünne Zigarette und nippte zuweilen an der eisgekühlten Limonade und erstattete Bericht über die letzten Tage und deren wechselvolle Ereignisse. Sie sprach den arabischen Dialekt der Maase-Beduinen, und sie faßte sich ganz kurz, denn der Pascha liebte den Telegrammstil und benutzte nur blumige Redewendungen, wenn er etwas recht unklar ausdrücken wollte.

„Das Mädchen fand nach der mißglückten Entführung oder besser nach der Personenverwechselung infolge der gleichen Kapuzen doch noch Zeit, deinen Sohn zu sprechen und hat ihm die Münze gezeigt und ihm bewiesen, daß der angebliche Freund ihn betrogen hatte.“

„Er wird es im Buche seines Lebens auf einer schwarzen Seite verzeichnen!“ warf Ibrahim scheinbar gleichgültig ein. Aber Lola kannte ihn und erklärte schnell: „Du irrst dich, Mekka-Pascha, der Mann hatte keine schlechten Absichten. Das Mädchen hatte ihn selbst getäuscht.“

Ibrahim schwieg dazu, und Lola sah ein, daß sie einen Fehler begangen hatte, Bolko hier in dieser Weise zu erwähnen. Sie suchte dies nochmals auszugleichen, aber der Pascha verharrte mit steinernem Gesicht bei seiner anfänglichen Drohung und meinte kalt: „Das Buch des Lebens hat nur noch wenige Seiten … vielleicht! Wer dem Freunde etwas verheimlicht wie dies, ist nicht wert, daß ihn die Sonne dieses Landes bescheint. Wo sind sie jetzt?“

Lolas dunkle Augen weiteten sich vor heimlichen Schreck. Sie sah ein, daß sie in der nächsten Zeit überaus wachsam würde sein müssen, um Bolko vor der Rache dieses Greises zu schützen, der stets nur seinen eigenen Willen gelten ließ. Anderseits durfte sie sich hier nichts merken lassen, daß sie für jemanden Partei ergriff, denn bei der mißtrauischen Veranlagung des Paschas hätte er ihr sofort sein Vertrauen entzogen, und das durfte gerade jetzt um keinen Preis geschehen.

Sie spielte denn auch die vollkommen Gleichgültige, als sie nun erwiderte: „Das Mädchen hat mit Hilfe des Geldes, das ich ihr auf deinen Befehl anonym zugestellt hatte, in Palermo ein Flugzeug gemietet und dürfte bereits am Djebel Fatireh sein. Rami ist unterwegs hierher und wird heute nacht eintreffen, und die alte Dame und der Diener mit der Perücke benutzten gleichfalls ein Flugzeug und dürften inzwischen in Keneh am Nil angelangt sein. Das Mädchen hat jedoch einen Tag Vorsprung vor ihnen.“

„Und der andere?“, fragte der Pascha gähnend, – und das war bei ihm ein sehr schlechtes Zeichen.

Lola beeilte sich zu erklären: „Der ist mit seinem Diener bereits vor drei Tagen in Keneh gesehen worden, wie mir der Dolmetscher Ibn Sarkam telegraphisch mitteilte. Jedenfalls kam er nicht mehr dazu, der alten Dame die Aufzeichnungen Kertners zurückzugeben, da sie in aller Eile mittags mit dem Mädchen und dem Schloßvogt abreiste, nachdem ich ihr, wie du es wünschtest, gewisse Dinge unterbreitet hatte, er vermochte auch die Spur der Dame und ihre Begleiter nicht aufzufinden und trennte sich von Rami bereits in Rom. Mithin hat er die Papiere Kertners noch bei sich.“

Der Pascha nickte unmerklich. „Ich bin wie bisher mit dir außerordentlich zufrieden, denn auch der Fehlgriff deiner allerdings sehr teuren Agenten schadet unter diesen Umständen nichts, da Rami nun endgültig geheilt sein dürfte, und wir es nicht mehr nötig haben, ihn gewaltsam in die Heimat, die er über diesem Mädchen vergessen hatte, zurückbringen zu lassen. Rami ist ein Opfer dieses Mädchens, er wollte ihretwegen sogar seinen Glauben wechseln, und der andere ist mitschuldig an alledem. Es wird sehr viel schwarze Seiten in den Lebensbüchern der Ungläubigen geben! – Wenn du zu müde bist, dann reise erst morgen, aber besser wäre es, du führest schon heute, – für Geld ist alles zu haben – leider –, auch ein Flugzeug in Kairo. Allah verderbe die Giaurs!!“

Der Ababde-Dolmetscher Ibn Sarkam, der nun als würdiger Kaufmann in dem an einen Seitenarm des Nil gelegenen Orte Sar Nalue lebte, hatte ein so ausgesprochenes Gaunergesicht, daß Jana schon nach den ersten mit ihm gewechselten Sätzen genau wußte, wes Geistes Kind er sei.

Sarkam, der als Dolmetscher nur allzu viel mit Europäern in Berührung gekommen war, was noch jedem Beduinen geschadet hat, stand in seinem speckigen Leinenkittel auf dem Hofe seines Grundstücks und führte Jana Dromedare vor, natürlich zunächst die schlechtesten. Damit kam er bei Jana an die Unrechte. Wenn er geahnt hätte, wen er vor sich hatte, wäre er vorsichtiger gewesen, denn durch Pascha Saud oder besser durch dessen Leibmamelucken hatte er gerade genug über die Verführerin Ramis erfahren.

„Sie sind ein Betrüger!“ erklärte Jana ihm nun mit einem Blick, daß sogar der alte Ababde verlegen wurde. „Das sind keine Dromedare, sondern Dromedarmumien!! Verstehen Sie mich?!“

Sarkam murmelte eine Verwünschung in seinem Beduinendialekt und nahm natürlich an, daß die Miß, mit der er bisher englisch sich unterhalten hatte, keine Silbe davon verstünde. Er irrte sich. Jana erwiderte in demselben Dialekt: „Dich wird der Scheitan holen, und du wirst in der Hölle schmoren, wenn ich nicht bis zum Sonnenuntergang die Karawane vollzählig mit erstklassigen Tieren und anständigen Begleitern hier vorfinde!“

Worauf Sarkam derart tief vor der Miß sallamte, daß der Mekka-Pascha ihn sicherlich angespien hätte. Der Schreck, daß eine Fremde seine Stammessprache beherrschte, fuhr ihm so in die Knochen, wie er das noch nie erlebt hatte. Jedenfalls tat er nun seinerseits alles, um die Miß zufrieden zu stellen, und Jana, die hier ganz allein die nötigen Reisevorbereitungen zum Marsch ins Innere traf, war auch zufrieden, nur der Preis gefiel ihr nicht, und als der leichtfertige Sarkam empört von halber Erpressung sprach, fegte ihm eine Reitpeitsche aus echter Nilpferdhaut so blitzschnell über die dürren Waden, daß er schleunigst einen weit niederen Preis nannte.

Janas Karawane bestand aus fünf Lasttieren und fünf guten Bischarin-Reitdromedaren, dazu aus sechs Ababde-Leuten, die schon häufiger am Djebel Fatireh und am alten Kastell gewesen waren. Der Führer, ein sehr würdiger Alter mit einem grauen Patriarchenbart und ein Paar unheimlich jungen Augen, hatte Jana lang und breit vorgerechnet, daß man die hundertzwanzig Kilometer in drei Tagen schaffen könne. Jana bestimmte anders, denn sie wußte, daß die Tante Vicky und Timchen in kurzem hinter ihr her sein würden.

Sie zahlte den Leuten ein Extrageld, und es wurde mit nur zwei Pausen von je vier Stunden durchmarschiert.

Von Ägypten hatte Jana bisher sehr wenig gesehen, da sie mit dem Flugzeug direkt bis Sar Nalue mit einer Zwischenlandung in Heluan gekommen war. Die eine Stunde Aufenthalt in Heluan hatte sie außerdem bitter enttäuscht, denn der dortige moderne Badekomfort und die herausgeputzten Touristen erinnerten mehr an Europas übertünchte Höflichkeit, als an ein Land, in dem einst eine Kleopatra geherrscht hatte.

In Sar Nalue zeigte sie schon mehr Interesse, denn dort gab es wenigstens echte Beduinen und Lehmhütten, die von Schmutz poetisch starrten und völlig nackte Kinder mit dicken Bäuchen und ein paar naive Offiziere, die ihr auf Tod und Teufel die Cour geschnitten hatten, – jetzt hier in dem Wüstenstrich zwischen Nil und Gebirge lebte Jana auf und lachte sich noch immer ins Fäustchen, wie fein sie in Palermo die Geschichte mit ihrer Flucht befingert hatte, obwohl ihr Timchen nicht von der Seite wich. Aber ein Mann, der in einem Museum in einer Kammer verschwinden muß, die nur zu kürzerem Aufenthalt in ganz dringenden Fällen bestimmt ist, kann unmöglich mit nicht mehr festgeknöpften Beinkleidern auf die Straße rennen und einem Mädel nachlaufen, das so gemein gewesen ist, Tims Hosenknöpfe halb abzuwürgen, so daß sie nur noch an dünnen Fädchen hingen.

Wenn Jana die Flüche Tims gehört und die Standpauke ebenfalls vernommen hätte, die Tante Vicky dem geknickten Schloßvogt von Lettburg gehalten hatte, würde sie noch befriedigter gewesen sein.

„Tim, er ist ein alter Esel!! Mußte er denn gerade im Museum die Knöpfe verlieren und verschwinden?!“

Worauf Tim nur wehmütig geantwortet hatte: „Die Knöppe hatte Hanneken ja halb abgedreht – lieber einen Sack Flöhe hüten, als – und so weiter!“ was Fräulein von Lettburg mit dem Zuruf abtat: „Sei gefälligst still! Er riecht schon wieder nach Pfefferminz!!“

Und das konnte Timchen nicht abstreiten.

Es war kurz vor Anbruch des Abends, als die kleine Karawane die Vorberge erreichte und Jana nun, ungeduldig wie selten, allein vorausritt und in das Wadi Fatireh einbog und schon von weitem die Ruinen des Kastells erkannte, von denen insbesondere die Reste des hochgelegenen, unvollendet gebliebenen Jupitertempels sofort ins Auge sprangen.

Janas Ungeduld war in der Hauptsache auf ihren Wunsch zurückzuführen, endlich einmal das wirkliche Grab ihrer Eltern, nicht das ihr bisher von Tante Vicky auf einer Photographie gezeigte, besichtigen und an dieser Stätte ihres Vaters gedenken zu können, dem sie in ihrem Inneren wie einer Märtyrerfigur einen besonderen Altar errichtet hatte.

Aus unvorsichtigen Bemerkungen Ramis wußte sie, daß die Tante ihren Vater nur sehr wenig mit Geld bei seinen Forschungen unterstützt hatte, und es erschien ihr nun wie eine gerechte Vergeltung, daß ein merkwürdiger Zufall ihr Wichtigeres in die Hände gespielt hatte, als ihres Vaters Aufzeichnungen dies je sein konnten, zugleich war ihr aber auch klar geworden, woher der geheime Haß der Tante gegen alles stammte, was irgendwie mit Ägypten zusammenhing.

Sie lenkte nun ihr Tier in das Kastell hinein und fand sich leicht in den Trümmern zurecht, da sie sehr gute Bilder davon besaß und sogar ein ganzes englisch geschriebenes Werk über die römische Niederlassung am Mons Claudianus. Dann stieg sie ab und näherte sich zu Fuß der Stelle, wo die Gräber liegen mußten.

Bald fand sie ein sorgfältig durch Steine abgegrenztes Viereck, und inmitten dieses sauberen und von allem Geröll befreiten Raumes erhoben sich zwei Hügel, die mit Kränzen aus Moos und kleinen Wüstenblümlein geschmückt waren. Auch die auf den Hügeln stehenden Holzkreuze waren anscheinend neu und die Aufschriften deutlich zu lesen.

Jana stand eine Weile regungslos da. Es war schwer zu sagen, was in ihr vorging, als sie hier die Namen ihrer Eltern an einer Stätte las, die schon durch die rein geschichtlichen Erinnerungen geheiligt erschien.

Jana hatte ihre Stunde, wo einmal alles von ihr abfiel, was ihr sonst anhaftete. Sie weinte still in sich hinein. Sie war froh, daß sie ihren Begleitern vorausgeritten war, denn vor diesen hätte sie sich ihrer Tränen geschämt, die Ababde-Leute kannten sie nur als eine unerbittliche Herrin, die ihrem Willen bei allen Gelegenheiten Geltung zu verschaffen wußte.

Sie weinte …

Die ersten ehrlichen, reinen Tränen ihres Daseins …

Sie überließ sich völlig den weichen Empfindungen, die wahrscheinlich nicht so stark gewesen wären, wenn sie die Gräber sehr vernachlässigt angetroffen hätte.

Dies hier aber war wie ein kleiner Friedhof! Diese frischen, wenn auch bescheidenen Kränze rührten Jana.

Seltsamerweise machte sie sich zunächst gar keine Gedanken darüber, woher sie stammten. Die Blümlein waren ja ganz frisch, und das hätte ihr auffallen müssen und wäre ihr auch aufgefallen, wenn sie in diesen Minuten nicht so vollständig in der Vergangenheit gelebt haben würde, ohne Sinn für die Gegenwart und das, was diese Gräber dort augenscheinlich verrieten.

Jana vertrat in religiösen Dingen, wie bei ihr nicht anders zu erwarten, die bequemste Auffassung, die sie von allen Gewissensskrupeln befreite. Sie glaubte an keinen Gott oder sonst an ein höheres Wesen oder eine ausgleichende Gerechtigkeit zumindest nach dem Tode. Vor der Tante oder vor Tim durfte sie allerdings hierüber nie ehrlich sprechen, denn sowohl die Schloßherrin von Lettburg, als auch der biedere Tim Uhlenhut waren genau entgegengesetzter Ansicht.

Heute hier inmitten der Einsamkeit einer historisch so wertvollen Umgebung ereignete sich das nie Geahnte: Janas Hände falteten sich wie von selbst, und aus dem Schatze ihrer Kindererinnerungen suchte sie sich unwillkürlich das Gebet heraus, das mehr der Zukunft, nämlich ihrer Zukunft, galt: „Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf ihn allezeit, den …“

Hier wurde Jana durch ein leises Geräusch hinter sich gestört. Sie drehte sich jäh herum.

Ihre Augen wurden groß und schienen allmählich die Farbe zu wechseln …

Vor ihr stand Bolko, – wie sie im Tropenhelm und weißem Reitanzug.

Jana erstarrte immer mehr.

Ihre Blicke ruhten auf dem Kranz von kleinen Blümlein, den Bolko in der linken Hand ihr mit bittender Gebärde hinhielt. – Ihre Lippen zogen sich bedrohlich nach unten.

Bolko sprach zuerst, und heute erging es ihm genauso wie einst, vor nicht allzu langer Zeit, dem armen Rami.

„Jana, ich wollte Ihnen gern eine Freude bereiten. Ich habe mir erlaubt, die Hügel zu schmücken, die Kreuze hat Tim vor einem Jahr erneuern lassen, als Ihre Tante ihn hierher geschickt hatte.“

Das Mädchen, das nichts so sehr übelnahm, als wenn ein anderer ihr in irgend etwas den Rang abgelaufen hatte, schwieg sekundenlang, und dann brach das Gewitter über den Mann herein, der wirklich völlig selbstlos und ohne jeden Nebengedanken Jana nur hatte erfreuen und so vielleicht eine Brücke zwischen ihnen beiden hatte bauen wollen.

Jana zog die Mundwinkel noch tiefer herab und fragte eisig-gleichgültig:

„Wie kommen Sie denn hierher?! Wer hat Ihnen erlaubt, sogar an diesen Gräbern Ihre Überheblichkeit und Unverfrorenheit zu beweisen?! Wollten Sie mich darauf aufmerksam machen, daß ich als Kind dieser Toten hier mit Kränzen an dieser Stätte erscheinen müßte?! Natürlich wollten Sie das, natürlich. Ein Mann, der im finsteren Park Papiere stiehlt, bekommt alles fertig! Befreien Sie mich bitte von Ihrer Gegenwart und nehmen Sie Ihr taktloses Angebinde nur wieder mit – die Kränze für diese Gräber flechte ich, nicht jemand, der mich beraubte!“

„Jana!! Jana, wissen Sie denn, was Sie reden?!“

Bolko war sehr blaß geworden, seine Stimme klang heiser, und als nun Jana ihn nur von oben bis unten musterte und, sich langsam von ihm abwendend, sagte: „Ich weiß stets, was ich tue, ich bin kein Kind“, – und als sie dann noch hinzufügte: „Entfernen Sie gefälligst die Kränze, die als von Ihrer Hand stammend diese Gräber nur entehren“, da war es doch mit seiner Geduld und Selbstbeherrschung zu Ende.

Er trat schnell neben sie, packte ihr Handgelenk und preßte es mit solcher Kraft, daß sie aufschrie vor Schmerz.

Sein bleiches Gesicht war entstellt vor maßlosem Grimm, seine Stimme war nur ein Keuchen:

„Du unreifes, eitles und selbstsüchtiges, du herzloses Geschöpf, weißt du, was du verdienst? Du hast mich einmal Schurke genannt, weil ich mir etwas verschaffte, das mir ohnehin gehört. Dir will ich heute sagen – genauso ungeschminkt, nur für dich verdientermaßen: Prügel verdienst du, gründliche Prügel! Dir hat ein Vater gefehlt, der dir zuweilen die Mucken …“; er verstummte.

Jana hatte plötzlich gelächelt. Mit einem Schlage glaubte sie sich als Herrin der Situation.

„Sie werden unfein, Herr von Lortz, – Sie gestatten, daß ich mich entferne, bevor Sie noch weiter entgleisen!“

Und dann schritt sie ihrer nahenden Karawane entgegen.

Bolko lächelte nicht, sondern lachte. Laut und schallend und unheimlich rauh und drohend:

„Schmierenkomödiantin …!!“

Dann kletterte er über die Trümmer und suchte sein Zeltlager droben neben der Tempelruine des Jupiter auf.

Jana war für ihn für alle Zeit erledigt, an diesem gemütsrohen Ding war nichts zu bessern. Mochte sie fernerhin noch so oft hier seinen Weg kreuzen, für ihn war sie Luft. Aber eins wollte er ihr doch antun, schon um ihrer Eitelkeit einen recht empfindlichen Stoß zu versetzen: Er würde ihr durch seinen kleinen gelehrten Sekretär eine Einladung schicken, das Liebesnest der Kleopatra zusammen mit Emil Schniefke zu besichtigen, denn sie selbst würde ja den Weg dorthin niemals finden, er besaß die Papiere ihres Vaters, und so, wie die Sache nun zwischen ihnen stand, machte er sich weiter kein Gewissen daraus, das Päckchen auch endlich zu öffnen.

Als er sein in einer Schlucht hinter der Tempelruine errichtetes Zeltlager erreichte und seinen kleinen Sekretär eifrigst damit beschäftigt fand, einige Tonscherben von blauer Farbe zu untersuchen, setzte er sich neben seinen Freund, der ihm nun immer mehr Freund als nur Diener geworden und erzählte ihm voller Empörung von Janas unglaublich herzlosem Benehmen, worauf Emil Schniefke, von jeher ein kleiner Philosoph, ohne von seiner Arbeit aufzublicken, erwiderte:

„Lieber Herr von Lortz, ich hegte sofort einige Bedenken gegen Ihre unangebrachte Mühe um die Gräber, da Sie für Ihre Person nicht mit dem so schnellen Eintreffen Janas rechnen konnten, während ich in dieser Hinsicht besser informiert war. Aber ganz abgesehen davon kommt es weit mehr auf den Hauptpunkt an, auf Janas Charakter. Sie verlangen zu viel von dem jungen Mädel, eben eine zu schnelle Umwandlung, Sie vergessen vollständig, daß Axel Kertner ein Egoist vom reinsten oder besser unreinsten Wasser war, der nebenbei noch an krankhaftem Ehrgeiz und an einer Selbstüberschätzung litt, die mit einer fast verbrecherischen Skrupellosigkeit Hand in Hand ging. Wie wollen Sie an Kertners Tochter derartige ererbte Schwächen im Nu austilgen?! Nein, mein Freund, gut Ding will Weile haben.

Glauben Sie mir, so, wie Jana noch heute denkt, waren die Grabkränze nur ein Vorwurf für sie, – Jana ist empfindlich und sucht in allem vorläufig nur schlechte Motive. Sie müssen auch diesen Vorfall nicht zu tragisch nehmen, zumal Sie einer Jana gegenüber doch mit Bemerkungen, wie „Prügel verdienen“, äußerst vorsichtig schon auf Grund Ihrer bisherigen Erfahrungen hätten sein müssen.“

Damit wandte er sich seiner schwierigen Arbeit wieder zu und hantierte mit allerlei Säuren herum, durch die er das zur Herstellung der Tongefäße benutzte Material untersuchte. Er hatte die aufgefundenen uralten Scherben sorgfältig mit beschrifteten Papierschildchen versehen, je nach der Fundstelle und den Geröllmengen, von denen sie bedeckt gewesen waren. Von jeder Scherbe wurde für seine chemische Analyse der Urbestandteile etwas abgeschabt und dieses Pulver mußte mit den verschiedensten Säuren behandelt werden. Die Wichtigkeit dieser uralten Tonscherben aus Ägypten und ebenso aus anderen Ruinenstätten ist der Allgemeinheit leider viel zu wenig bekannt, obwohl selbst die unscheinbarste Scherbe erkennen läßt, aus welcher Kulturepoche sie stammt.

Bolko schaute dem kleinen Gelehrten mit dem zerknitterten Zwergengesicht eine Weile schweigend und mit finster gerunzelten Brauen zu und stieß dann gereizt hervor, wobei seine Augen etwas unangenehm Stechendes bekamen:

„Jana bleibt für mich erledigt. Der Fall liegt für mich klar, und nur von Ihnen möchte ich nun endlich eine offene Antwort haben. – Gebrauchen Sie nicht wieder irgendwelche Ausflüchte, Sie seien zur Diskretion verpflichtet. Heute wird reiner Tisch gemacht, ich werde auch die Aufzeichnungen Kertners lesen, ich war überhaupt ein Narr, damit so lange zu zögern. Ein allzu subtiles Gewissen ist Ballast. Also, wer legte das Päckchen in meinen Schreibtisch?“

Schniefke schaute langsam von seiner Arbeit auf. –

„Ich!“, erwiderte er kaltschnäuzig. „Ich, auf Lolas Befehl, und Lola erhält ihre Anweisungen von Ramis Vater.“

Bolko war zunächst sprachlos. Nun tauchte hier plötzlich noch ein Mitspieler auf, der alte Pascha!!

„Zum Teufel …“, entfuhr es ihm, „was hat der Mekka-Pascha mit alledem zu schaffen, und wer ist Lola eigentlich?! Eine Viertelaraberin oder dergleichen, das weiß ich. Wie aber kommt sie zu dieser seltsamen Verbindung mit Ramis Vater?“

Schniefke trocknete sich umständlich die Hände ab und griff nach einer Zigarre. Inzwischen war die Sonne im Westen in dem kahlen Wüstenstrich versunken, und das wunderbarste Abendrot ließ den Himmel in feurigen Farben erglühen, die schroffen Bergzacken ringsum glänzten wie Schneehäupter, und die frommen Maase-Beduinen der Karawane Bolkos schickten ihre Abendgebete zum Firmament empor.

Der winzige Ägyptiologe rieb ein Zündholz an und entgegnete dann mit der erstaunlichen Wurstigkeit, die ihn nie verließ:

„Machen Sie sich darauf gefaßt, noch weit merkwürdigere Dinge zu hören, mein jugendlich unausgeglichener Freund!“

Er rauchte die ersten Züge mit nachdenklichem Behagen: „Sie wissen, daß meine Bekanntschaft mit Lola de Degri, die in Wahrheit Loa Effim heißt, auf die gemeinsame Arbeit im Filmatelier der Ufa zurückgeht, wo man mich in allerlei Rollen gern beschäftigte – früher, als noch exotische Stücke Mode waren und diejenigen Filmstreifen nur zogen, in denen mindestens ein indischer Fürst und ein Hofnarr vorkamen. Die Narren spielte ich, und Loa gab die Intrigantinnen, die der schuldlos verfolgten reinen Jungfrau das Leben sauer und den Radscha abspenstig machten. Ich bin ja nun nie ein ausgesprochener Dummkopf gewesen, und vor mir etwas zu verbergen ist sehr schwer, wenn ich erst einmal argwöhnisch oder neugierig geworden bin. Neugierde bleibt ja immer ein Beweis eines Mindestmaßes von Intellekt. Und ich wurde neugierig, als Loa mir so dringend riet, die Stellung bei Ihnen anzunehmen, und als ich mehr zufällig feststellte, daß sie Rami durch ein paar dunkle Ehrenmänner von der Zunft der feineren Gauner überwachen ließ. Dann überraschte ich sie mal in der Heide, als sie dasselbe tat wie ich: Jana und Sie hatten sich an der Thingstätte getroffen, und die blonde Prinzessin hielt Ihnen huldvollst die Fingerspitzen hin, und ein gewisser Herr Bolko küßte diese Fingerchen mit …“

Lortz fauchte ihn ärgerlich an: „Zum Henker, müssen Sie mich ausgerechnet an die Dummheiten erinnern?! – Weiter!“

Emil Schniefke lächelte harmlos. „Dummheiten waren das nicht gerade, es war ja ein wunderschöner Maitag, und die Lerchen sangen und die Kühe muhten, und ein Storch klapperte, und Loa lag neben mir im Heidekraut, und Janas schlanke Beinchen in den Reithöschen …“

„Verflucht – Sie verhöhnen mich!!“, fuhr Bolko dazwischen.

„Ich werde nur poetisch“, sagte der Philosoph mit unerschütterlicher Ruhe. „Damals nahm ich mir Loa vor und erklärte ihr, daß ich als Ihr Freund es nicht länger dulden könnte, wenn sie orientalische Gebräuche nach Deutschland verpflanzen und Leute bespitzeln wollte, die lediglich an der weitverbreiteten Liebeskrankheit litten, und gleichzeitig fragte ich Loa, ob sie etwa eifersüchtig sei, denn das lag doch für jeden halbwegs vernünftigen Menschen, zu denen ich mich anmaßenderweise rechne, am nächsten. Sie erwiderte mit schöner Offenheit, das wäre einmal gewesen, die Zeit, wo sie auf Ihre Liebe gehofft, sei vorüber, und dabei bekam sie ganz traurige Augen, und damals sah ich Loa auch die ersten echten Tränen ohne Glyzerinzusatz vergießen. Filmtränen sind reines Glyzerin, das dürfte Ihnen bekannt sein.“

„Ja – und Sie sind ein scheußliches Patentekel!“, wurde Bolko nun wirklich grob.

Was gar keinen Eindruck auf Schniefke machte.

„Nichts ist mir verhaßter, als eine Schilderung ohne den Paprika des Witzes oder der Ironie“, meinte er achselzuckend. „Eine trockene Erzählung gleicht einem gedörrten Klippfisch, den man auch nicht verdauen kann. – Loa nahm sich also meine Standpauke zu Herzen und beichtete unter Diskretion einen ganzen Haufen netter Geschichten. Sie ist die Tochter der Tochter eines Scheichs der Maase-Beduinen und eines ebenfalls bereits verstorbenen dänischen Seemannes, ihr Großvater mütterlicherseits war mit dem Pascha Saud eng befreundet, und dieser ermöglichte Loa die Filmkarriere durch reiche Geldspenden – nebenbei bemerkt, die Schecks, die Sie Loa schickten, hat sie alle später in bar an Jana weitergegeben, – wenn Jana das wüßte!! Sie würde dann bestimmt, so wie sie heute noch ist, das Geld … nicht zurücksenden, sondern so tun, als hätte sie davon keinerlei Kenntnis.

Loa war also dem Mekka-Pascha sehr verpflichtet, und als Rami immer seltener nach Hause schrieb, mußte Loa mal nach dem Rechten sehen und stellte durch ihre Unterweltgarde, die ihr schmähliches Geld abnahm, sehr bald die Ursache von Ramis unbegreiflicher Vernachlässigung seines alten Vaters fest.

Im einzelnen bin ich ja über die Befehle, die ihr der Pascha erteilte, nicht im Bilde, aber das eine unterliegt keinem Zweifel: Der Mekka-Pascha hat auf Jana eine grimme Wut, und auch Sie sollten sich vor ihm in acht nehmen, der berüchtigte Saud dürfte auch Ihnen eins auszuwischen versuchen, da mir Loa in dieser Hinsicht noch eine Stunde vor unserer Abreise einen telefonischen Wink gegeben hat. Saud-Pascha kommt es gar nicht darauf an, sowohl Jana wie Sie durch einen netten kleinen Unfall ums Leben zu bringen, – der Pascha hat schon ganz andere Dinge in aller Stille befingert, und hier im Djebel Fatireh stehen keine Verkehrsschutzleute mit weißen Handschuhen, und auch mit der Kriminalpolizei liegt’s hier sehr im argen, – wir werden also schon selbst Polizei spielen müssen, und ich hätte Ihnen dies alles nie erzählt, wenn ich nicht befürchten würde, auch mein wertes Dasein mit zu verlieren, was ein unersetzlicher Verlust für die Ägyptiologie wäre, da ich soeben vorhin herausgefunden habe, daß die Römer zu Claudius Zeiten tatsächlich schon hier Amphoren mit eingebrannten Figuren herstellen ließen, wahrscheinlich durch die Sklaven, unter denen es viele Künstler gab.

Sehen Sie sich mal diese Scherbe an, das ist die richtige Fayenze-Masse, also bereits Halbporzellan, wie es in Faenza bei Ravenna zuerst hergestellt wurde, mithin habe ich den Beweis erbracht, daß sich unter den hier beschäftigten Sklaven auch Leute aus Faenza befanden, die …“

„Stopp!“, fiel Bolko ihm nachsichtig lächelnd ins Wort. „Wenn Sie erst mal Ihr Porzellan-Steckenpferd reiten, galoppieren Sie mir von dannen. Was halten Sie von meiner Absicht, das Päckchen zu öffnen, damit ich Fräulein Jana schleunigst die Freude machen kann, ihr eine Einladung zur Besichtigung des Kleopatra-Tempels[4] zu senden, den sie ja nie finden wird.“

Schniefke nickte eifrig. „Einverstanden! Kertner hat Ihnen die Papyrushandschriften stehlen lassen, – das wiegt alles auf!“

Inzwischen war das Abendrot bereits erloschen, und die kurze Zeit der Dämmerung trat ein. Um die Ruinen des Jupitertempels bog soeben ein älterer Beduine mit grauem Bart und einem sehr sauberen, braunen Haik, näherte sich dem Klapptische, an dem die beiden Freunde saßen, und begrüßte sie mit aller Würde seiner Jahre und dem geheimen Spott, den die Söhne der Wüste für die übrig haben, die in den alten Trümmern nach Scherben und Steinmörsern und sonstigen wertlosen Dingen umherbuddeln. Über dem linken Arm trug er drei Kränze, und in der Rechten hielt er einen Brief.

„Meine jetzige Miß“, sagte er in einem fürchterlichen Englisch, indem er den Ausdruck „Herrin“ als freier Beduine vermied, „schickt dem Herrn, der die Gräber schändete, die Kränze zurück und dieses Schreiben.“

Bolko verzog keine Miene, aber im stillen nahm er sich vor, mit Jana noch ernster abzurechnen, als er sich’s bisher vorgenommen hatte. Er gab dem Ababde ein Trinkgeld und erklärte nur: „Es ist gut. – Gehe in Frieden.“

Nachdem der Führer der Jana-Karawane verschwunden war, zerriß Bolko den Brief in kleine Fetzen, ohne ihn zu lesen und begab sich verärgert in sein Zelt.

Emil Schniefke saß eine geraume Zeit untätig da und betrachtete die im Geröll verstreuten Papierschnitzel, dann erhob er sich, sammelte die Stückchen des Briefes zusammen, ließ sich von seinem braunen Boy eine Karbidlampe und die Tube mit Klebstoff bringen und ordnete die Teilchen des Schreibens Janas mit vieler Mühe und Geduld und klebte sie auf eine Zeitung.

Es war das ja an sich eine schamlose Indiskretion, doch derlei beschwerte Schniefkes Gewissen nicht weiter, da er hier die Aufgabe hatte, seinen Freund Bolko möglichst aus diesem Dilemma, das da Jana hieß, so oder so zu befreien, – entweder wurde Bolko völlig von dieser Krankheit geheilt, falls Jana sich nicht änderte, oder die Sache mußte zu einem Ende geführt werden, das in einer Verlobung auslief, – auf keinen Fall wollte Schniefke es dulden, daß sein Freund seelisch und auch moralisch über alledem zugrunde ging.

Als er nun den Brief als Ganzes nochmals überflog, schnellte er plötzlich von seinem Feldstuhl empor und rannte mit seinen kurzen Beinchen erstaunlich flink in Bolkos Zelt.

Lortz las gerade die Niederschrift Kertners, die dieser nur mit Bleistift auf große Notizbuchblätter sehr flüchtig und schwer entzifferbar niedergekritzelt hatte, aber die Papyrusurkunden lagen mit bei.

„Um Gottes willen“, stieß der kleine Gelehrte atemlos hervor. „Sofort aufbrechen! Hier ist Janas Brief! Das Mädel ist bereits unterwegs nach dem Tempel der Kleopatra und hat zwei Leute mit Spaten mitgenommen. Da – lesen Sie. Ich rufe derweil unsere Maase zusammen. Denken Sie an die Geheimtreppe! Wenn Jana das Geröll wegschaufeln läßt und die bewußte Stufe betritt, so bin ich zwar aus allem Dilemma heraus, aber diese Art Lösung sagt mir nicht zu.“

Bolko begriff zunächst noch nicht, was hier auf dem Spiele stand.

„Reden Sie keinen Unsinn, Schniefke! Wie soll Jana den Tempel finden, das ist ja ausgeschlossen!“

„Lesen Sie, und Ihnen werden die Augen tränen!“

Schniefke sauste davon und man hörte draußen seine Fistelstimme, mit der er die Beduinen zum schnellsten Satteln der Dromedare antrieb.

Bolko las und wurde aschgrau vor Schreck:

„Ich weiß jetzt durch Rami, daß Sie derjenige sind, der meinem Vater die Entdeckung des Kleopatra-Tempels nicht gönnte. Ich als seine Tochter gönne sie Ihnen erst recht nicht. Ich bin bereits auf dem Wege dorthin, wenn Sie diese Zeilen erhalten, und die eine Stunde Vorsprung genügt mir. Sie sind ein Dieb, Sie raubten mir etwas, aber das Schicksal war gegen Sie, denn das Päckchen, das Sie mir dann nach der albernen Szene in der Schonung zurückgeben mußten, enthielt viel wertvollere und genauere Aufzeichnungen, als mein Vater sie in der Nacht seines Todes hergestellt haben kann. Wissen Sie nun, daß der Vater Tante Vickys, Herr Oskar von Lettburg, selbst Ägyptenforscher aus Liebhaberei war, und daß er zuerst vor vielen Jahren den Tempel der Kleopatra entdeckt hatte und über irgendeiner noch ungeklärten Einzelheit seiner Nachgrabungen dort in geistige Umnachtung verfiel. Immerhin geben seine Aufzeichnungen den kürzesten und bequemsten Weg zum Tempel an, und bevor Sie mich einholen, werde ich längst an Ort und Stelle sein, und Sie haben das Nachsehen!

Auch Ihr Janus-Talisman wird Ihnen nichts mehr nützen, denn als Rami die Papiere Oskar von Lettburgs fand, lag neben dem alten Schreibtisch eine Janusmünze, genau wie die, die Sie um den Hals tragen, und Rami schenkte sie mir, und Sie können sich auf Ihren Doppelkopf gar nichts mehr einbilden, – – womit Sie freundlichst zur Besichtigung des Lettburgschen Kleopatra-Tempels eingeladen sind.

Jana von Lettburg-Kertner.“

Bolko war noch nie so schnell im Sattel wie damals. Und als er dann mit dem aufgeregten Schniefke, der all seine Wurstigkeit eingebüßt hatte, an der Spitze des Zuges dahintrabte, sagte er nur bitter zu seinem Zwergenfreunde:

„Jana von Lettburg-Kertner, noch nie hat sie sich so genannt! Jetzt ist der Vater an zweite Stelle gerückt und der arme Oskar von Lettburg hat die zweifelhafte Ehre, eine Adoptivenkelin zu besitzen, die“ – dann hielt er doch inne, denn angesichts dieser ernsten Sachlage kam ihm erneut die Erkenntnis, daß er niemals von Jana innerlich sich freimachen könnte. Sie war und blieb seine Norne, sein Fatum – er liebte sie, und wie er sie liebte, bewies ihm die verzehrende Angst, die ihn nun vorwärtstrieb.

Er malte es sich in Gedanken mit klopfendem Herzen aus, was dort auf der in den uralten Papyrusurkunden erwähnten Treppe sich abspielen könnte, und er glaubte auch ungefähr zu ahnen, worüber Oskar von Lettburg den Verstand verloren habe.

 

12. Kapitel.

Eine Vorschnelle Probe und ihr Erfolg.

Um das Ende des vorigen Jahrhunderts war es schon sehr schwer, innerhalb der alten ägyptischen Kulturzone noch ein bis dahin unbekannt gebliebenes Bauwerk aus der Zeit der Dynastien eines Ramses, Setis, Pharao oder wie die damaligen Könige alle hießen, zu entdecken. Das Nilland und seine Umgebung waren bereits ab 1805 das Ziel einer Unmenge von Forschern, und den letzten wertvolleren Fund machte der Franzose Cailliaux 1820 mit der Ausgrabung des berühmten Ammontempels in der Großen Oase bei El-Schargeh.

Niemand glaubte, daß es um das Jahr 1884 noch möglich sei, ein Bauwerk aufzufinden, dessen Größe und eigentümliche Bauart, ebenso sein erwiesenes hohes Alter, zu allerlei Mutmaßungen über dessen Zweck führen könnte, übrigens Mutmaßungen, die nie völlig geklärt worden sind.

Dem später in Berlin-Schöneberg im Jahre 1925 im September verstorbenen deutschen Forscher Professor Dr. Georg Schweinfurth blieb es vorbehalten, an einer ohnedies von Geheimnissen umwitterten Stätte, nämlich an dem sagenhaften und schon von Herodot erwähnten Möris-See einen kleineren Tempel zu entdecken, der nach ihm von einem englischen Kollegen den Namen Schweinfurth-Tempel verdientermaßen erhielt.

Der Liebestempel der Kleopatra gleicht nun, was Größe und Einteilung der Räume betrifft, so auffallend dem ebenfalls uralten Bauwerk am heutigen Birket-el-Kerum (dem früheren Möris-See nördlich von Fajum in der Libyschen Wüste), daß man geneigt ist, beide Bauten auf dieselbe Ursprungsbestimmung zurückzuführen, und daß es, schon weil es sich um die Entdeckung eines Deutschen handelt, und der Möris-See an sich schon genug Rätsel noch heute aufgibt, von Interesse sein dürfte, über Schweinfurths seltenen Fund einiges zu hören und damit den Namen eines Forschers der Vergessenheit zu entreißen, die eine undankbare Nachwelt nur zu schnell selbst denen zuteil werden läßt, deren Schriften und Aufzeichnungen nie ihren Wert verlieren werden.

Unser Landsmann Schweinfurth – ein Deutschbalte übrigens – fand den Tempel ganz zufällig, da niemand sich bis dahin die Mühe gemacht hatte, die Gestade des einst so riesigen Möris-Sees genauer zu untersuchen, den Herodot als den größten Binnensee der Welt bezeichnete. Die Ufermarken des 45 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Möris ergeben, daß er während der letzten zwei Jahrtausende um fünfzig Meter gefallen ist, er hat keinerlei Abfluß, und die Gelehrten sind längst zu der Überzeugung gelangt, daß er unterirdisch mit dem Mittelländischen Meere in Verbindung stehen muß.

Seine Ufer bilden einen ungeheuren Talkessel mit abfallenden Terrassen aus Granit oder verwittertem Geröll, auf diesen Terrassen liegen in Unmengen Felsen von phantastischen Formen, die auf die Entfernung Burgen und Ruinen vortäuschen. So mag es gekommen sein, daß erst Schweinfurth den 22 Meter langen und 9 Meter breiten, einstöckigen Bau mit dem Fernglase vom Südufer des heutigen Möris aufspürte und genauer untersuchte – als erster.

Den am See wohnenden Beduinen war das Bauwerk längst bekannt und ebenso einige Trümmerstätten, die sie als „Dimeh“ (Stadt) bezeichneten, während sie den Tempel „Ssaga“ nannten, ein Name, der nicht recht zu erklären ist. Aber nach ihrer Sitte verschwiegen sie den Ungläubigen das Vorhandensein des „Ssaga“, der, vollständig aus Granitblöcken von zwei Meter Dicke errichtet, mit Schutt und Geröll ausgefüllt war und sieben Räume enthielt, jedoch keinerlei Inschriften oder Bildwerke. Dereinst muß er dicht an dem von Tamarisken umwucherten und von hohen Schilffeldern umrahmten Möris gelegen haben, – durch das Sinken des Sees geriet er auf eine der obersten Terrassen und träumt hier heute noch von vergangenen Zeiten, wo er vielleicht auch einer Königin als Liebesnest diente.

Hätte Schweinfurth damals, 1884, die Möglichkeit gehabt, all den Schutt aus dem Innern herausräumen zu lassen, so wäre er vielleicht auch auf eine Badekammer gestoßen und hätte dadurch die Erklärung für das Fehlen jeglicher, auf einen religiösen Zweck hinweisender Schriften gefunden. Er selbst hat seinen Tempel mit aller Zurückhaltung als Totenkultstätte bezeichnet und vermochte als einzigen Beweis hierfür die Ähnlichkeit mit einem Setis-Tempel anzuführen.

Nur eins stellte er mit Gewißheit fest: Der Bau hatte einmal Türen und Fensterläden besessen, – die Löcher in den Mauern deuteten klar auf dort eingefügt gewesene Gelenke und Verschlüsse hin. Er fand auch Tonscherben mannigfacher Art, und die Untersuchung dieser vielsagenden Scherben ließ ein sehr hohes Alter der Ruine vermuten, jedenfalls älter als die Pyramiden, denn die Kunst der Töpferei steckte damals noch in den Kinderschuhen, und das erste Halbporzellan tauchte erst tausend Jahre später auf.

Er hat auch den Salzgehalt des Wassers des nahen Möris festgestellt – etwa ein Prozent –. Das Wasser erwies sich als durchaus trinkbar, eine Seltenheit bei Binnenseen, die so tief unter dem Meeresspiegel liegen. Die meisten Scherben waren von roter Farbe und rührten von Gefäßen her, die mit der freien Hand und nicht auf der Drehscheibe – wie später – geformt und noch nicht als Material für die Krüge, Schalen und Amphoren durch Zusatzfarbe gefärbt waren. Anderseits deuteten Bronzenadeln und Alabasternäpfchen auf eine noch frühere Herkunft hin. – – Das ist der Schweinfurth-Tempel weit nördlich von Fajum in der Libyschen Wüste.[5]

Der andere Tempel …, – Kleopatras Liebesnest … –

Jana hatte sich, nachdem Armin so kalt von ihr gegangen war, auf das Ruhebett gesetzt und mit derselben Gleichgültigkeit wie vorhin, ohne irgendeinem bestimmten Gedanken nachzugehen und innerlich wie zerbrochen, müde ins Leere gestarrt. Das Leben erschien ihr zum ersten Male wertlos und nichtig, sie hegte keine Wünsche und Hoffnungen mehr.

Zum ersten Male erkannte sie nun, daß der tiefste Sinn des Daseins einer Frau in dem völligen Aufgehen und in der Erfüllung der Pflichten als Gattin eines geliebten Mannes bestünde. Früher waren ihr solche ernsten Überlegungen nie gekommen, sie hatte dahingelebt wie eine Schlafwandlerin, nein, wie eine Benebelte, wie eine Trunkene. Sie war aufgewachsen in einer Umwelt, die innerlich längst morsch und krank war – in dem überkultivierten Rom der Kaiserzeit, mit all seinen bereits spürbaren Zerfallserscheinungen, mit der Auflockerung von Moralbegriffen und mit der Überfremdung durch die von Rom besiegten Völker. Sie hatte den falschen Grundsatz sich zueigen gemacht: „Recht ist das, was dir gefällt …!“ Niemand hatte ihr hilfreich die Hand hingestreckt und sie von dem falschen Pfade auf den wohl unbequemeren, aber besseren Weg geleitet. Ihre Mutter, selbst einmal Sklavin und nur aus Zwang zur Ehe mit dem alternden Vater gebracht, fühlte wohl nie die große Liebe für ihr Kind, die dazu nötig, eine unrichtige Erziehung zu verhüten. Vielleicht wäre die Mutter damit auch bei dem Vater auf stärkste Widerstände gestoßen, denn letzten Endes sah der kunstbesessene Marius in seiner Gattin nur immer noch die germanische Barbarin.

Unmerklich und ganz allmählich hatten sich nun doch bei Jana diese kritischen, heute zum allerersten Male auftauchenden Rückblicke auf ihre Jugendjahre und damit auf die Ursachen ihrer Verderbtheit eingestellt. Sie wußte es selbst kaum, daß sie hierdurch eine ungeschminkte Rechtfertigung ihrer sittlichen Unzulänglichkeit wie ein Mosaikbild zusammenstellte. Ihr Denken war keine wohlüberlegte Spekulation, sich etwa selbst reinzuwaschen. Unendlich vieles ging ihr flüchtig durch den Sinn und war doch kein beabsichtigtes Suchen nach Entschuldigungsgründen.

Sie sah sich wieder als Kind den ersten Gladiatorenkämpfen zuschauen, und sah noch ganz deutlich die vornehmen Römerinnen die Daumen über die Logenbrüstung hinweg nach unten strecken als Zeichen, daß der verwundete Gladiator, der nach Ansicht dieser entnervten Frauen und Mädchen feige gewesen, den Todesstoß erhalten solle. Und wenn der Ärmste dann um Gnade winselte, hatten die herausgeputzten und geschminkten Weiber gelacht.

In der Umwelt war sie groß geworden. Da hatte sie sich die Grausamkeit angewöhnt, die ihr nie als Grausamkeit erschien. Wie sollte das auch wohl gerade ihr mißfallen, wo doch jedermann ein Menschenleben, noch dazu das eines Sklaven, für ein Nichts betrachtete? War es da ein Wunder, daß Jana ebenfalls gelacht hatte, wenn hier am Mons Porphyrites die schweißtriefenden Damnati durch eine umstürzende Säule zerquetscht wurden?! War es ein Wunder, daß ein Kind, dem die Sittenlosigkeit als Selbstverständlichkeit erschien, und das überall nur Ehebruch und Unzucht und Verachtung der Frauenehre mit erlebte, auch für sich das Recht in Anspruch nahm, ihren Begierden zügellos nachzugehen?!

Bis eben das Erwachen gekommen war und die Erkenntnis, daß es eine Macht gebe, die anders urteile, als die Vertreter einer Epoche des Niedergangs – bis das Bild im Spiegel der Kleopatra ihr bewiesen hatte, daß Gott Janus sie, die Tochter des Gatten jener ersten Jana, für unrein hielt und sie von sich stieße, wie einst Kleopatra aus der angehauchten Silberscheibe das Ende ihrer buhlerischen Tage herausgelesen hatte!

Da war die Wandlung bei ihr eingeleitet worden, zunächst nur aus Angst vor der Strafe der Götter, dann aber, und das wog stärker, als Folge eines neuen Gefühls für Armin, als Folge jener Liebe, die sich sorgt und sich fürchtet für den Geliebten – ohne jede Selbstsucht, ohne Nebengedanken, ohne Erinnerung an Sinnenlust, nein, nur aus einem wahren Empfinden der Zusammengehörigkeit heraus.

So überlegte hier im Bade der Kleopatra die blonde Jana, das zweite „weibliche“ Haupt des Januskopfes von Djebel Fatireh, oder besser das erste, denn die andere, die deutsche Jana, lebte Jahrtausende später, und beide wußten nichts voneinander, nur ihre Schicksale erfüllten sich in ähnlicher Form, vielleicht deswegen, weil beide eine Janusmünze auf der Brust trugen, und die der deutschen Jana war dieselbe wie die, deren Verfertiger der Stiefbruder des Augustes gewesen.

Janas bisher gesenkter Kopf hob sich, und ihre Blicke schauten klar und ohne Furcht in friedvoller Gelassenheit die Einzelheiten ihrer Umgebung.

Ihre bisher vor dem Geräusch des nimmermüde rieselnden Wassers dort in der unbekannten Tiefe ängstlich sich verschließenden Ohren vernahmen nun in diesem Raunen und Wispern nicht mehr die Stimmen drohender Dämonen, sondern nur noch etwas Naturgewolltes und etwas genau so sanft und tröstend Dahingleitendes, wie ihre jetzt geläuterten und unumstößlich in neue Bahnen gelenkten Empfindungen. Ihr Antlitz trug den Ausdruck innerer Ausgeglichenheit, ihr Mund war halb geöffnet, als ob er voller Freude eine neue Luft einatme, ihre Haltung war fast stolz und entbehrte jeder Künstelei, war natürlich und wie entlastet von dem Druck des Schlechten, das wie eine Bürde auf den schönen Schultern geruht hatte.

Sie fühlte selbst, daß eine wunderbare Verwandlung mit ihr vorgegangen war, – sie hatte etwas an sich erlebt, das in allen philosophisch durchtränkten Religionsbekenntnissen in dieser oder jener Form anzutreffen ist: Die Ausgießung des Heiligen Geistes bei den Christen, die letzte Läuterung bei den Buddhisten und das Ende der Seelenwanderung bei den Brahmanen.

Das Wunder war um so größer, als es von selbst gekommen wie alle Wunder.

Jana schaute ihre Umgebung an und hatte wieder Interesse daran und nahm jede Kleinigkeit in sich auf als ein durch nichts mehr gehemmter oder verschüchterter Mensch. Sie sah dort den Steintisch, auf den Armin die reichen Lebensmittel gestellt hatte, die er für sie mit Gefahr hierher geschafft hatte, sie sah die Ölkrüge für die Lampen und vieles andere, für das er gesorgt hatte in trautem Gedenken an ihre verwöhnten Wünsche, sie sah in allem seine Fürsorge und seine Güte und Liebe, und sie begriff nun auch, woraus all das Mißverstehen und all die irrigen Auslegungen ihrer beiderseitigen Handlungen entsprungen waren: Aus dem Ungesunden ihrer bisherigen Beziehungen, aus dem Überwuchern der Sinnenfreude und dem Mangel an innerer Zusammengehörigkeit!

Sie sah dort auch in Griffnähe den Spiegel des persischen Magiers liegen, aber sie entsetzte sich nicht mehr vor seiner blanken Silberscheibe und erkannte, daß es ihrerseits vorhin eine höhere Eingebung gewesen, als sie Armin gebeten hatte, ihr den Spiegel zu überlassen, – niemals war dies ja aus Eitelkeit geschehen, sondern aus einem urplötzlich in ihr aufgestiegenen Wunsche heraus, für den sie keine Begründung hätte vorbringen können.

Wie von ungefähr griff sie nun wirklich nach dem Spiegel und schaute hinein und schaute ihr eigenes Antlitz mit dem Erstaunen eines bisher blind Gewesenen, dem mit einem Male das Augenlicht geschenkt wurde. Sie sah das frohe und friedvolle Leuchten ihrer Augen und die stille, zwanglose Beherrschtheit ihrer Züge, und ohne weitere Absicht brachte sie den Spiegel, nur um sich selbst genauer zu betrachten, näher an ihr Gesicht heran und …

Sie atmete schneller …

Eine dünne Schicht ihres Odems hatte die Silberplatte getrübt und verdichtete sich immer mehr zu einem Hauch feinster Atemperlchen und verwischte das Bild ihres Antlitzes. Ihr Herz begann wie rasend zu jagen, die Gewißheit kam ihr, daß sie vor einer Entscheidung stünde, die sie selbst herbeizuführen nie gewagt hätte – noch nicht, dazu hätte es ihr noch zu früh, zu vorschnell erschienen, diese Probe heraufzubeschwören …

Ihr Herz jagte, sie fühlte das rasende Pochen bis in den Hals hinauf …

Ihre Augen weiteten sich …

Sie sah …

Sah und sank mit einem leisen Schrei bewußtlos von dem Ruhebett auf den Teppich, den die Fürsorge ihres Geliebten für sie über die Steinfliesen gebreitet hatte.

Den Spiegel behielt sie in ihrer festgeballten Hand. Was er ihr gezeigt hatte, war nur der Beweis für die äußerste Sorgfalt, mit der das Geschenk des Magiers arbeitete. Eine Kleinigkeit hatte noch an dem Gelingen der Probe gefehlt, wenn Jana über ihren Zustand genauer nachgedacht hätte, wäre sie vielleicht von selbst darauf gekommen und hätte noch rechtzeitig die Silberscheibe mit dem Elfenbeingriff weggelegt. Aber sie konnte wohl nur schwer erraten, daß gerade das, worauf sie sich nun, da ihre Liebe zu Armin ihr selbst rein erschien, so heimlich und so echt weiblich gefreut hatte, der Hinderungsgrund sein könnte, der ihr die Gewißheit nicht völlig gab, sie sei entsühnt und freigesprochen von aller Schuld.

Das Hauchbild war nur noch ganz verschwommen aufgetaucht, sogar fast unkenntlich – etwa so, als läge es absichtlich im Schoße einer nebelerfüllten Talschlucht verborgen –, aber es war da, und das hatte Jana den Schrei erpreßt und hatte sie bewußtlos niedersinken lassen.

*

Armin ruhte auf dem Fellager in seiner kleinen Wohnung im Kastell, und Frau Arminia bemühte sich um den Sterbenden nach besten Kräften und immer noch in der stillen Hoffnung, ihn retten zu können und von ihm das Versteck zu erfahren, in dem er ihr Kind eingesperrt haben mußte.

Draußen regnete es nicht mehr, nur drüben in den Bergen nach Osten hin lastete über den Gipfeln des Gebirges noch immer finsteres Gewittergewölk, und die feurigen Strahlen des Donnergottes Donar zuckten noch immer wie sich schlängelnde Drachen durch den schwarzen Wettermantel Odins, des Göttervaters, zu dem Frau Arminia ihre inbrünstigen Bitten emporschickte, auf daß ihr Kind am Leben bliebe und der Sterbende hier noch einmal den Mund auftäte und erkläre, wo er das Mädchen verborgen hielte.

Noch immer war das bisher leere Wadi ein reißender Strom wie nie zuvor und trug Steine und Sträucher und tote Tiere zu Tale und wütete mit Tosen und Gurgeln und Schäumen wie eine grimme Meeresbrandung.

Die Sonne war längst untergegangen, die Damnati aus den Steinbrüchen waren bereits in ihren Schlafsälen, und die Wachen kümmerten sich heute weniger um sie als sonst, da bei dieser nie geahnten Überschwemmung des Wadi das Vieh aus dem Viehhofe anderswo untergebracht werden mußte und der Dunkelheit wegen die Sklaven hierzu nicht benutzt werden konnten, denn der Chiliarch fürchtete, sie könnten zu flüchten versuchen, zumal sie sich den ganzen Tag über aufsässig gezeigt hatten wegen der an Armin vollzogenen Strafe am Felsen des Sonnenliedes.

Die Damnati saßen zusammen und tuschelten und zischelten, und einer von ihnen, der auch ein Germane und Vertrauter Armins war, entwarf den Plan, wie man diese finstere und günstige Nacht zum Aufstand benützen könne, auch ohne Armin, der ja doch sterben würde und nichts mehr zu helfen vermöchte.

Die Feilen zum Zerschneiden der Ketten an den Füßen lagen unter dem Fußboden von Armins Schlafgemach. Die Wachen waren so spärlich verteilt, daß man sie ohne Lärm beseitigen konnte.

Arminia stand über den Sterbenden gebeugt und hüllte den nackten, von der Sonne zerfressenen Leib in weichstes Linnen, das dicht mit feinstem Weizenmehl bestreut war, damit es die Wunden kühle. Schon wiederholt hatte Arminia dem Kranken allerlei eingeflößt, was irgendwie das entfliehende Leben an den fiebernden Leib bannen könnte.

Der Türvorhang wurde von außen gehoben, und ein paar Damnati traten ein. Über den Schultern hingen ihnen noch die Ketten mit den Steinkugeln, aber in den Händen trugen sie Waffen, und diese Hände waren voller Blut und troffen von Blut. –

Armins Vertrauter betrachtete die Frau des Marius finster und mit haßerfülltem Triumph. Für ihn war sie nur das Weib des Vaters der lachenden und herzlosen Jana. Der Rausch, der alle die packt, deren Befreiung plötzlich in den Bereich der Möglichkeit gerückt ist, ließ auch ihn Schuld und Zwang zur Schuld nicht mehr auseinanderhalten …

„Buhle eines Römers – stirb!!“ – und er wollte mit dem Schwerte zustoßen.

Arminia war zurückgewichen. Sie riß ihr Gewand über der Brust auf und, wie eine Vision, schaute sie nochmals die eigene Mutter, die in einem der Kämpfe gegen die Römer des Varius sich selbst das Schwert in die Brust gestoßen hatte, um die Männer der Cherusker und Teutonen zum äußersten Widerstande anzufeuern, – ihr Dolchmesser blinkte, und die Damnati stiegen über eine Tote in die Grotte hinab und holten die Feilen und die Waffen und glaubten sich Herrn des Kastells.

Ohne Fesseln, ohne Steinkugeln auf den Schultern wälzte sich der blutgierige Haufe durch die überdachten Gassen der Festung und tötete alles, was ihm in den Weg trat, dann stürmten sie ins Freie und wandten sich dem Viehhofe zu, trafen auf den verhaßten Chiliarchen Avito und schleuderten ihn in die Luft und fingen ihn mit den Spitzen ihrer Schwerter wieder auf.

Und horchten plötzlich …

Hoch vom Wadi her, wo das Staubecken sich befand, ertönte ein Krachen und Donnern, als sollten die Berge umstürzen.

Sie lauschten, – die zilizischen Reiter stürmten herbei, und ein Kampf entspann sich, der für beide Teile unentschieden bleiben sollte.

In dieser Nacht erfüllte sich das Schicksal der römischen Siedlung am Mons Claudianus für alle Zeiten.

 

13. Kapitel.

Jana und die alte Beduinin.

Die Nacht war so mondhell und windstill und nicht allzu heiß, daß der Eilritt durch die Berge für die blonde Jana von Lettburg-Kertner nur eine Erholung und eine Entspannung bedeutete. Sie hatte sich Oskar von Lettburgs Aufzeichnungen so genau gemerkt, daß sie ein Abirren von dem vorgeschriebenen Wege für unmöglich hielt. Tante Vickys unglücklicher Vater hatte sein Tagebuch so sorgfältig geführt, als handelte es sich um das Auffinden des Ausgangs aus einem Irrgarten. So manches war Jana geradezu übertrieben vorgekommen, als sie die Blätter damals in jener denkwürdigen Nacht zuerst überflogen hatte.

Hinterher aber, nachdem ihr der ungeheure Wert ihres Fundes klar geworden, freute sie sich über diese bis ins einzelne gehenden Angaben, obwohl es ihr auch wieder äußerst schmerzlich war, daß der begeisterte Forscher stellenweise eine Art Geheimschrift angewandt hatte, die selbst sie nicht zu entziffern vermochte. Die Hauptsache blieb, daß sie die im Tagebuch verzeichneten Wegmarken auswendig wußte und sich in dieser Beziehung auf ihr Gedächtnis verlassen konnte.

Sie war vom Kastell zunächst um den am meisten durch Geröll verschütteten Viehhof nach Westen im Halbkreis herumgeritten und sodann wieder nach Nordost eingeschwenkt, – auf diese Weise hatte sie es vermieden, daß sie mit ihren beiden Begleitern droben von der Jupitertempelruine aus, wo Bolko lagerte, gesehen werden könnte. Sie mußte nun rechts an der höchsten kegelförmigen Kuppe vorüber, die ein Wahrzeichen der nächsten Umgebung des Kastells darstellte und mit ihren strahlenförmig verlaufenden Schluchten an sich schon unverkennbar war. Genau so verhielt es sich mit den anderen Wegmarken, und nach ihrer und Oskar von Lettburgs Berechnung mußte sie das versteckte Tal in zwei Stunden erreichen.

Die ungebahnten Wege dorthin waren zum Teil doch recht beschwerlich und stellten an Mensch und Tier die größten Anforderungen. Die beiden Ababde-Beduinen murrten immer lauter, und selbst mit einem Extrageld war heute nichts getan, da die abergläubischen Burschen diese einsamen Berge als Wohnsitz der bösen Geister fürchteten.

Endlich, nach zuletzt sehr mühseligen Klettertouren, stieß Jana auf das erste ihrer Ansicht nach untrügliche Anzeichen der unmittelbaren Nähe des Tales, in dem der Tempel der Königin liegen mußte, denn nun passierte man eine natürliche Felsenbrücke über einem Abgrund, in dessen Tiefen nicht einmal das Mondlicht hinabreichte. Die drei Reiter mußten erneut absteigen, und hier weigerten sich die Beduinen endgültig, auch nur noch einen einzigen Schritt vorwärts zu tun und erklärten finster, Jana solle allein die Brücke überschreiten und ihr Dromedar ihnen übergeben, sie würden hier auf ihre Rückkehr warten.

Jana lachte die braunen Burschen verächtlich aus. Sie fieberte vor Ungeduld, sie hätte jetzt in ihrer trotzigen und schadenfrohen Stimmung sogar noch mehr gewagt, als nur den gefährlichen Weg über die schmale Naturbrücke, unter der die schwärzeste Finsternis lagerte.

Der Gedanke, daß sie nun doch Bolko zuvorkommen würde und als erste etwas erblicken dürfte, das vor ihr in der Neuzeit nur Oskar von Lettburg untersucht hatte, verlieh ihr eine bis zur Tollkühnheit gesteigerte Energie und trug mit dazu bei, die beiden Beduinen noch mehr zu verhöhnen und schnellen, zu schnellen Schrittes nach der Steinbrücke zu eilen.

Sie sah sich am Ziel ihrer Wünsche, und ihre Klugheit und Besonnenheit schwanden dahin vor dem Gefühl des Triumphes, Bolko bewiesen zu haben, daß sie doch in allem die vom Glück weit mehr Begünstigte gewesen.

Mit diesen Empfindungen gelangte sie wohlbehalten etwa bis zur Mitte des zackigen und stellenweise sehr schmalen Felsenbogens. Plötzlich trat der Mond, der bisher von einer Bergspitze verdeckt gewesen, hervor und warf sein bleiches Licht auch in die Tiefe hinab, in den dunklen, unheimlichen Abgrund.

Drunten leuchtete es nun seltsam auf, als ob das Licht der Himmelssichel auf eine Schicht weißgelben, merkwürdig geformten Gerölls fiele.

Jana vernahm hinter sich einen gellenden Schrei, den einer der Ababde ausgestoßen hatte: „Wadi el nauri!! – Wadi el nauri!!“

Sie hörte das ganz deutlich und sie verstand auch, was der Beduine in höchstem Entsetzen brüllte. Wadi el nauri war das sagenhafte Tal der Toten hier im Djebel Fatireh, das in allen Märchen und Überlieferungen der Stämme der östlichen Wüsten eine nur zu abschreckende Rolle spielte – es war für die Eingeborenen der Vorhof zur Dschehenna, zur Hölle, wo die verdammten Seelen der Strafe harrten.

Die Beduinen entflohen, im Nu waren sie samt den Dromedaren verschwunden.

Jana stand eine Sekunde, kaum eine Sekunde unbeweglich da, sie hatte einen einzigen Blick in die Tiefe geworfen, sie erkannte dort unten einen Haufen menschlicher Gebeine und einzelne Teile von weiß gebleichten Skeletten, die an den Zacken der Schluchtwände hingen.

Jana hatte stets mit ihren unerschütterlichen Nerven geradezu geprunkt, hier bei diesem jähen, gänzlich unerwarteten Anblick, der alle Schilderungen der Beduinen noch übertraf, packte sie ein Entsetzen, das auch ihr seelisches und ihr körperliches Gleichgewicht in gleicher Weise ausschaltete – sie verlor den Halt –, sie glitt über den Rand der schmalen Steinbrücke ins Leere, und während sie nun mit vollem Bewußtsein immer schneller hinabstürzte in das Grauen dieser Haufen von Gebeinen, stieß sie einen überlauten und ihr selbst halb unbewußten Hilferuf aus und wandte sich in diesem ihr aus der Seele gepreßten Schrei gerade an den Mann, der ihr, wie sie in ihrer Unreife und Unausgeglichenheit wähnte, verhaßt und doch auch gleichgültig war, wie kein anderer. Sie rief seinen Namen, sie rief ihn mit aller Kraft ihrer Lungen, aber es war nur ein schnell verwehendes, durch den blitzschnellen Absturz ihr vom Munde durch den Luftdruck weggerissenes: „Bolko … Bolko …, – zu Hilfe …!“

Dann prallte sie unten irgendwo auf und verlor das Bewußtsein.

Sie erwachte. Wann, nach wie langer Zeit, wußte sie nicht. Sie fand auch nur ganz allmählich die Besinnung wieder. Der erste klare Eindruck, den sie gewann, war der eines unangenehmen penetranten Geruches nach gebratenem Fleisch und gerösteten Zwiebeln, dann erst öffnete sie die Augen und zwang sich mit aller Willenskraft dazu, das Schwäche- und Schwindelgefühl niederzukämpfen.

Es gelang ihr, obwohl die Überfülle von Sonnenlicht, die durch den hochgeschlagenen Zeltvorhang hereindrang, ihren Augen geradezu wehe tat. Aber sie wollte nicht schwach werden, sie hatte wieder ihre innere Spannkraft zurückgefunden und sie wollte feststellen, wo sie sich befand. Ihr Blick schweifte rundum …

Es war ein Beduinenzelt, das sah sie an den Zeltstangen, die aus rohen Baumästen bestanden, deren Rinde durch langen Gebrauch und Schmutz blank geworden wie poliert, – das merkte sie an den Bündeln von Zwiebeln, die an den Stangen hingen und an den vielfachen Gerätschaften, die so bunt zusammengelesen waren, daß neben den modernsten Dingen uralter primitiver Hausrat aufgestapelt war, das erkannte sie an ihrem Lager aus Gras und Laub und ein paar sauberen Leinendecken, die vielfach geflickt waren.

Neben ihrem Krankenlager saß eine erst halb dem Kindesalter entwachsene Beduinin mit dem bei den Maase-Arabern, die sämtlich sehr fanatische Moslim waren, üblichen Gesichtsschleier. Das Mädchen hatte kleine Hände und hockte mit untergeschlagenen Beinen am Boden, der mit dicken, aber zierlich und buntgemusterten Bastmatten belegt war.

Die junge Maase, von deren Gesicht nur die Augen unter dem Gesichtstuch undeutlich zu erkennen waren, rieb Zwiebeln in eine Schüssel und schaute erst auf, als Jana sie ansprach.

„Wo bin ich?“, fragte sie leise, denn das Sprechen fiel ihr sehr schwer.

Als das Mädchen den Kopf schüttelte und durch eine Geste andeutete, daß sie Jana nicht verstünde, wiederholte Jana die Frage schnell im Dialekt der Ababde, aber wiederum zuckte das Mädchen unmerklich die Schultern und stand auf und eilte ins Freie, vielleicht, um eine sprachkundigere Stammesgenossin herbeizurufen.

Jana drehte den Kopf nach dem einfallenden Licht und blickte durch den Zelteingang hinaus auf eine sandige Schlucht und auf einige magere Büsche und Dattelpalmen und ausgedörrte Grasflächen. Tiere weideten dort, bewacht von einem halbwüchsigen Jungen, der nur Sandalen und ein Paar kurze verwaschene Leinenhosen und einen farblosen Turban trug und mit einem Dromedarfüllen spielte.

Außer Dromedaren sah Jana noch eine Anzahl Ziegen und Schafe. Sie hörte nun auch in der Nähe sprechen und horchte scharf hin, es waren jedoch alles nur Worte des ihr nicht geläufigen Maasedialektes, der mehr rein arabische Beimengen enthält, da die Maase zum Teil ihre Gebiete bis zum Roten Meere hinüber innebehalten haben, nachdem sie einst von Arabien herübergewechselt waren – zur Zeit der Ausbreitung des Islam auf ganz Nordafrika.

Dann betrat eine andere Beduinin das Zelt, offenbar eine sehr alte Frau. Sie ging etwas gebückt und benutzte einen Stecken als Stütze, ihr folgte eine zweite, die eine Schüssel mit Wasser trug und sich dann wieder entfernte, beide waren verschleiert, und leider stellte sich nun heraus, daß auch die Alte sich mit Jana nicht verständigen konnte. Sie beschränkte sich darauf, der Kranken das Gesicht und die Hände zu waschen und abzutrocknen und nach dem Verband des linken Armes zu sehen, der offenbar gebrochen war, wie Jana nun erst merkte.

Die alte Maase zeigte sich sehr behutsam, geschickt und freundlich und strich Jana wiederholt wie tröstend und aufmunternd über das blonde Haar. Nachdem sie dann Jana auch noch verschiedene andere Hilfeleistungen hatte zukommen lassen und der Patientin auch aus einem Zinnteller eine Suppe aus Hirse und Hammelfleisch eingeflößt hatte, deutete sie Jana durch Gesten an, sie möge nun wieder zu schlafen versuchen, und entfernte sich.

Die kräftige Brühe hatte Jana sehr gemundet, und da sie in dem dicht über dem Ellenbogengelenk gebrochenen Oberarm keinerlei Schmerzen verspürte, fühlte sie sich trotz ihrer so ungeklärten Lage sehr behaglich und suchte nun zunächst einmal die letzten Erinnerungsbilder kurz vor und während ihres Sturzes in die Tiefe wieder zusammenzusetzen, und hierbei gedachte sie unwillkürlich auch ihres Feindes und Konkurrenten Bolko und ward zu ihrem eigenen Erstaunen gewahr, daß ihre Empfindungen für Lortz sich wesentlich geändert hatten.

Je länger sie über die merkwürdige Tatsache nachgrübelte, daß sie gerade ihn um Hilfe in ihrer höchsten Not angerufen hatte, je deutlicher ihr dabei zum Bewußtsein kam, daß Bolko doch vielleicht damals nachts im Parke aus Übereilung oder aus anderen ihr noch nicht klar erkennbaren Gründen sich zu dem raschen Griff nach dem Päckchen hatte hinreißen lassen – je stärker bei ihr die ehrliche kritische Würdigung ihres eigenen Verhaltens Bolko gegenüber wurde, desto widerstandsloser überließ sie sich Träumereien, die, wie Schmetterlinge von reinen, duftenden Blüten der Vergangenheit angelockt, nur immer die schönen und zarten und poetischen Einzelheiten ihrer Bekanntschaft mit Bolko umspielten und alles vermieden, was an diesem kurzen Maientraum häßlich gewesen, – und das hatte sie selbst verschuldet, nur sie, er war stets der vornehme, ritterliche Verehrer und kameradschaftliche Freund geblieben.

Mit verträumten Augen schaute sie hinaus auf die karge Weidefläche und auf das friedvolle Tierleben dort draußen im Talwinkel. Sie lächelte über die Sorgfalt der Dromedarmütter für die jungen Sprößlinge mit den noch plumpen und ungeschickten Bewegungen, – sie lachte über die Bocksprünge der Lämmlein, und dann schweifte ihr Blick in die Weite auf die sich emportürmenden Bergmassen und die zackigen Gipfel und die zumeist doch in Kegelform auslaufenden hellen oder farbigen Kuppen des Djebel Fatireh.

Und wieder zog ohne Beunruhigung die Frage durch ihr müdes Hirn: „Wo bin ich?!“ – In einem Beduinenlager, das sah sie. Wie aber hatten die Araber sie aufgefunden?

Doch, was ging das sie schließlich an?! Man behandelte sie gut, man hatte ihr ein ganz großes Zelt zugewiesen, man würde sie nachher, wenn sie erst bei Kräften, schon wieder freilassen, und sie würde zu ihrem eigenen Lagerplatz in den Ruinen des Kastells zurückkehren.

Oder man würde sie suchen, die Tante Vicky und Timchen würden ja sehr bald ebenfalls im Djebel Fatireh sich einfinden und nach ihr forschen, und einer würde es ganz bestimmt und mit allem Nachdruck tun: Bolko!!

Da war sie also glücklich wieder bei Bolko angelangt mit ihren Schmetterlingsgedanken. Und da schloß sie die Augen und zauberte sein Bild herbei, und es gelang ihr auch.

Aber der Bolko, der nun vor ihr stand, hatte einen finsteren und unversöhnlichen Ausdruck in dem tiefgebräunten Gesicht, und fast stechende Augen und einen bitter zusammengepreßten Mund, und war in allem nur der Bolko, den sie gerade jetzt nicht sehen wollte. Sie wünschte den anderen Bolko herbei, der am Grabe ihrer Eltern so zart und liebevoll ihr das Kränzchen hingehalten und so unendlich weich gesagt hatte: „Ich wollte dir eine Freude bereiten, Jana …“

Und was hatte sie da getan?! Sie schämte sich ihrer Handlungsweise in dieser Minute, sie wies schnell diese Erinnerungen von sich, und außerdem spürte sie auch die Nähe eines fremden Wesens, riß die Lider auf und sah die alte, gebückte Maase-Beduinin neben sich.

Die Frau hatte einen Schemel an das Krankenbett gerückt und die Hände in ihr buntes Umschlagetuch eingehüllt und murmelte wie geistesabwesend allerlei vor sich hin, wie dies alte Leute wohl tun, die bereits den Hauch des nahen Todes spüren und sich doch nicht fürchten, da das Leben ihnen alles gab, was es darbieten kann.

Jana empfand keinerlei Scheu oder gar Widerwillen gegen die betagte Araberin, nein, sie horchte nur mit aller Aufmerksamkeit den wirren Worten und versuchte, irgend etwas davon zu verstehen, und wenn es auch nur Silben gewesen wären. Noch immer lebte in ihr die Hoffnung, sich irgendwie mit den Nomaden verständigen zu können. Sie hatte schon längst festgestellt, daß man sie in eine Art weißen Umhangs gehüllt hatte, ihre anderen Kleider oder besser ihr kecker Sportanzug und ihre Unterwäsche, sowie ihr Tropenhelm hingen dort sauber und offenbar gründlich wieder in Ordnung gebracht an den Zeltstangen. Der weiße, dünne Umhang stand über der Brust weit offen, und Jana bemerkte nun plötzlich, daß die Alte mit dem dichten Gesichtsschleier die Goldmünze erspäht hatte, die ihr Rami vor kaum länger als zwei Wochen bei dem letzten Wiedersehen in Lettburg geschenkt hatte, die gehämmerte Janusmünze mit dem bärtigen Doppelgesicht.

Unverwandt starrte die Nomadin auf dieses seltene, an einem goldenen Kettchen hängende Schmuckstück, und Jana packte da der Übermut und sie nickte der Frau zu und erklärte im Dialekt der Ababde: „Ein Andenken an den Lieblingssohn des berühmten Saud-Pascha, damit du es weißt, treue Pflegerin! Nicht gestohlen aus irgendeinem Grabe, sondern ehrlich geschenkt erhalten!“

Die Frau schüttelte wie unwillig den Kopf und beugte sich tiefer über Janas Lager.

Da schämte Jana sich, denn ihre junge Brust lag ganz frei, und die Goldmünze lag genau auf dem Herzen, und das Kettchen zwischen zwei sanft gerundeten Hügeln von zartestem Fleischton. Sie faßte mit der Rechten das Gewand und zog es bis zum Halse eng zusammen und machte eine unmutige Gebärde.

Doch gerade diese Handbewegung, die einem reinen, mädchenhaften Schamgefühl entsprungen, wurde nicht voll zu Ende geführt, – ein Ausdruck des jähen Erschreckens und der Angst glitt über Janas Züge, und ihre bis dahin so ruhig flutenden Gedanken waren aufgescheucht zu peinigender Erinnerung an Ramis letzte Worte, nachdem sie ihm damals beim Abschied, nur Stunden vor der Reise nach Italien, mitgeteilt hatte, daß Bolko sie ebenfalls geliebt habe, und daß Bolko es gewesen, der Rami niedergeschlagen habe.

Da hatte der Lieblingssohn des Mekka-Pascha lediglich undurchdringlich gelächelt und nur erwidert: „Er wird es bis ans Ende seiner Tage bereuen und andere auch …!“ Dann war er gegangen ohne weiteren Abschied und hatte Jana stehen lassen wie eine Wildfremde, von der er nun endgültig sich gelöst hatte.

Deshalb malte sich jetzt in Janas Antlitz ein immer stärkeres Entsetzen. Sie kannte die Orientalen und deren Gesinnung und den stillen und um so furchtbareren Haß. Verzehrende Furcht bemächtigte sich ihrer – Furcht für Bolko!

Mit einem Ruck setzte sie sich aufrecht.

„Ich muß fort – laßt mich gehen!“, rief sie, obwohl sie wußte, daß die Alte sie nicht verstünde. „Ich habe in sträflichem Leichtsinn und aus Unbesonnenheit etwas versäumt, das schlimmste Folgen haben kann. Ich muß sogleich zu meinem Lager zurück, ich lasse mich nicht aufhalten, ich …“, aber die Beduinin schüttelte streng den verhüllten Kopf und drückte Jana mit großer Kraft auf das weiche und primitive Bett zurück.

Jana sträubte sich. Und doch empfand sie bei dieser engen Berührung mit der Nomadin, die sie umfangen hielt, eine seltsame, schnell sich steigernde, ganz unerklärliche Freude über dieses lautlose Ringen. Wie eine verschwommene und mehr das rein Gefühlsmäßige weckende Vision huschte durch ihr Gedächtnis das nächtliche Erlebnis in der Schonung neben der Chaussee, wo Bolko sie an sich gepreßt hatte, daß ihr schier der Atem verging und sie gespürt hatte, daß etwas in ihr geweckt worden, was bis dahin ihr fremd gewesen.

Eine merkwürdige Schlaffheit überkam sie jetzt, sie hielt die Nomadin an sich gedrückt und begann, scheinbar ohne Anlaß, bitterlich zu weinen. Dann sank sie ermattet in die Kissen zurück, und ihr schwanden von neuem die Sinne, neue Traumgesichte lebten auf, und sie stand mit Bolko Arm in Arm an den Gräbern im Kastell, und Bolko lächelte sie unendlich lieb an.

Die Alte war leise hinausgeschlichen.

Der zwergenhafte Philosoph mit dem zerknitterten Gesicht saß im Schatten seines weit entfernten Zeltes auf einem Steine, und Lortz stand vor ihm. –

„Schrecklich, daß Sie nun die Präparierwut bekommen haben, mein lieber Schniefke. Der Gestank Ihrer Präparate macht Ihre Nähe peinvoll. Übrigens hat sie soeben daran gedacht, daß sie nun schleunigst ihren Lettburgtempel finden müßte und wollte auf und davon. Auch das mit der Janusmünze stimmt. Rami schenkte sie ihr. Das Päckchen muß eine Öffnung gehabt haben, und die Münze fiel heraus, das Päckchen meine ich, das Lola aus dem alten Schreibtisch holen ließ. Wie gesagt, ich möchte nun auf und davon und ihren Tempel suchen, ihren, den des armen Oskar von Lettburg, der doch so schlau war, wie wir nun wissen, den Weg zu seinem Tempel als Irrweg in sein Tagebuch mit falschen Wegmarken einzutragen.“

Schniefke schaute zu dem Freunde mit einem zweifelnden Augenzwinkern auf. In den Händen hielt er eine soeben ihrer Haut beraubte tote Kleopatraschlange. Die Haut hatte er zum Trocknen ausgespannt, und er war gerade dabei gewesen, den Mageninhalt zu untersuchen.

„Sie frißt unschuldige kleine Mäuslein, Lortz. Auch ihresgleichen frißt sie, wie dies so üblich im Schlangenreich. Das findet man nur noch mit wenigen Ausnahmen beim Menschen, nämlich dieses Sich-selber-Auffressen, – die einen fressen sich vor Liebe auf, die anderen aus Hunger, – das sind die richtigen Menschenfresser –, die dritten fressen sich aus vermeintlicher Abneigung auf, das sind die Dummen, zu denen auch Sie gehören. Wissen Sie so absolut bestimmt, daß Jana ihres Tempels wegen auskneifen will?! Ich habe mir nämlich erlaubt, durch eines der Zeltlöcher hineinzuspähen, und auf mich machte es den Eindruck, daß Sie für Janas Münze reichlich viel Interesse zeigten und daß Jana ganz gern in Ihren Armen ruhte, ich kann mich täuschen, aber ich täusche mich selten, obwohl ich in Liebesdingen sehr wenig Erfahrungen besitze, dazu hat Mutter Natur mich zu winzig gemacht und meinen Kopf zu groß, aber es ist wenigstens etwas drin, und nicht nur Füllsel, sondern echtes Hirn!“

Bolko war sehr rot geworden, drehte sich auf dem Absatz wütend um und murmelte im Davongehen: „Sie sind das richtige Ekel, Freund Schniefke, ich möchte wohl wissen, weshalb es Jana mit einem Male so eilig haben sollte?!“

„Verliebter Idiot!“, schmunzelte der Kleine noch leiser – –

Und abermals zeigte sich hier die auffallende Ähnlichkeit der Schicksale und des Läuterungsprozesses der beiden blonden Janusköpfe am Djebel Fatireh. Genau wie die römische Jana von Armin mißverstanden wurde, als sie das Bad der Kleopatra nicht betreten mochte, und auch vorher, als sie das qualmende Feuer angezündet hatte – nicht anders erging es der blonden Jana, die nach zweitausend Jahren lebte: Sie sorgte sich um den Geliebten ihrer noch ungeläuterten Seele, und – ward falsch verstanden.

 

14. Kapitel.

Der alte weiße Flamingo.

Droben am Staubecken hauste ein alter Flamingo, der schon sehr weit in der Welt herumgekommen war. Seine eigentliche Heimat war ja Ägypten, aber wenn ihn zu Zeiten der Wandertrieb packte, besuchte er auch andere Länder. Sizilien und die einsamen Küstenstriche Sardiniens kannte er am besten. Dort blieb er dann so etwa von August bis April, ohne sich nach einem Weibchen umzutun, das der alte Genießer jedes Jahr wechselte. Gewiß, er besaß keinen Kalender, nach dem er seine Wanderungen vorher genau berechnete, nein, das lag ihm so im Blute – einen Kalender brauchten nur die Menschen. Er hatte das alles im Kopfe, und was war das für ein Kopf! Dieser Schädel erschien im Vergleich zu dem endlos dünnen Hals viel zu dick, und der nur vorn wirklich harte Schnabel mit den gezahnten Schneiden war schon ein wenig stumpf geworden. Auch das rosige Gefieder war stark verblaßt, dafür hatte der Alte aber ein Paar wundervolle rote Beine mit hauchdünnen Schwimmhäuten zwischen den drei Vorderzehen, besonders die karminroten Füße waren sein Stolz.

Und dann seine Klugheit, Welterfahrung und Gerissenheit!! Hatte er den Nachbarn hier oben am Staubecken nicht gleich vorausgesagt, daß es sehr bald mit der reinen Freude über diesen See ein Ende haben würde? Hatte er nicht recht behalten? Und kam nicht alles so, wie er prophezeit hatte?

War da nicht dieser üble Herr Chiliarch Avito auf den Gedanken gekommen, mal auszuprobieren, ob die Zungen von Flamingos nicht vielleicht ebenso gut schmeckten, wie die von Schwalben! Solche Schlemmer waren die Römer, Schwalbenzungenragout bevorzugten sie, und dann eben auch die Zungen von Flamingos, an sich wohl eine Ehre, aber diese ewigen Jagden und das andauernde Aufpassen, damit man nicht einen Pfeil in den Leib bekäme, das machte das Dasein doch ungemütlich.

Und zu allem Unheil fand dann noch der babylonische Koch des Herrn Avito heraus, daß das Hirn von Flamingos noch feiner schmeckte, als das von Lämmern. Da wurde es ganz schlimm, und die meisten der überlebenden Flamingos zogen ab und suchten wieder die Nilufer auf, obwohl es auch dort nicht ganz geheuer mehr war.

Nur er, der alte Weise, blieb. Er hatte gerade wieder Hochzeit gehabt, und aus den beiden großen weißen Eiern waren vor acht Wochen sehr niedliche Junge herausgeschlüpft, und weil Vater Flamingo die Eier mit bebrütet hatte, waren die Kinder einfach reizend, fand er.

Er blieb, ihm konnte keiner was. Er hatte das Nest sehr vorsichtig auf die einzige Klippe gebaut, die es im Staubecken gab. Und da um die Klippe herum recht hohe Strauchhaufen angeschwemmt waren, konnte niemand das Nest entdecken, zumal der alte Weise nie so leichtsinnig war, etwa neben dem Neste auf einem Bein im Wasser zu stehen und zu philosophieren. Er und auch seine Frau waren durch Schaden der anderen klug geworden. Schlimm wurde es nur, als die Jungen nun halb flügge waren und durchaus ins Freie wollten.

Heute nachmittag hatte sich dann über dem Gebirge die schwarze Wolkenschicht zusammengeballt, und da hatte er zu seiner Frau sofort gesagt: „Du, Flamingchen, das gibt was!“ Er fühlte das eben, er war schlauer als die Menschen, und es traf auch zu: Aus dem Regen wurde ein Wolkenbruch, und das Staubecken füllte sich derart schnell, daß Papa Flamingo sorgenvoll auf einem Beine im Regen stand und den Hals, damit dieser nicht naß würde, in vielen Windungen vor die Brust gelegt und den Kopf halb unter den linken Flügel geschoben hatte und sehr bedenklich murmelte: „Wenn das nur gut abläuft!“ Er meinte die Sache mit dem Regen, denn ablaufen tat hier nichts mehr, es lief alles über – alles.

Sogar die Klippe war schon fast verschwunden, und der weise alte Papa hatte auch bereits die Seinen umquartiert und auf das Ufer in eine Felsritze gebracht. Nun durfte er getrost abwarten, wie die Dinge sich weiter entwickeln würden. Er schielte von seinem Lieblingsplatz, der etwas oberhalb der Staumauer lag, mit aller Aufmerksamkeit in die Finsternis und vernahm das immer lautere Gurgeln und Schäumen der wütenden Wassermassen und das Brodeln zwischen den Steinen des Dammes und sagte ganz laut: „Der Staudamm ist Pfuscherkram, das habe ich schon immer gewußt, der hat undichte Stellen, und wo erst ein Loch ist, da wird bald ein noch größeres Loch und dann – Prosit Mahlzeit!“

Er behielt auch jetzt wieder recht, denn zunächst lockerte sich in dem Damme die eine verfängliche Stelle, und dann war nichts mehr zu retten. Mit einem Male kam der halbe Damm, gerade die Mitte, ins Rutschen und glitt wie ein Schiff beim Stapellauf ein paar Meter talab, das war das Zeichen zum Untergang. Urplötzlich löste sich das weggeschwemmte Stück in seine Bestandteile auf und die ganze ungeheure Wassermasse, die ein Gelehrter auf rund eine halbe Million Kubikmeter später geschätzt hat, sauste brüllend und tobend und brandend und schäumend auf das Kastell zu.

Der alte weise Flamingo nahm nun den Kopf unter dem Flügel hervor und wollte sich den Spaß da unten doch einmal ansehen, denn er hatte gegen die Römer, wie gesagt, eine Wut im Leibe, die war nicht von Pappe. Er flog mit ein paar heiseren Schreien davon, die seine Frau benachrichtigen sollten.

Er kam auch gerade noch zur rechten Zeit. Dort vor dem Viehhof hatten sich die zilizischen Reiter und die Damnati ein Gefecht geliefert, das jäh abbrach, als die Kämpfenden den Lärm droben in den Bergen vernahmen und sogleich ahnten, was geschehen war.

Rette sich, wer kann!!

Sie stoben auseinander, sie rannten dem noch unvollendeten Jupitertempel zu und schrien und heulten.

Der Mond tauchte gerade hinter den Wolken auf und beleuchtete die vielleicht sieben Meter hohe Wasserwand, die wie flüssiges Glas schillerte.

Papa Flamingo hatte sich auf eine Felszacke gesetzt und beobachtete, wie der Wasserberg die Mauern des Kastells zum Teil niederlegte wie dünne Erdhügel; er sah, wie die Gebäude einstürzten und die Riesenwoge über das Kastell hinwegflutete, als wäre es ein Puppenhaus. Er vernahm das schnell ersterbende Todesgeschrei der von den Fluten erfaßten Menschen und er erschauerte, als weiter drunten, wo das Wadi eine Krümmung machte und ein steiler Felsen wie eine Bühne dem verderblichen Strom sich entgegenstemmte, all die Menschen zerschmettert wurden und nachher am Fuße des Felsens in dichten Haufen übereinander lagen.

Er schüttelte sich vor Mitleid die Tropfen aus dem rosigen, etwas verblaßten Federkleid und schaute anklagend zum Monde nach oben und dachte, die Götter hätten doch wenigstens die Damnati verschonen können. Aber niemand war verschont, alles war tot, und Totenstille herrschte nun über der Stätte des Grauens, als der Flamingo langsam über die Bauten des Kastells hinwegflog und in die leeren oder nur mit Leichen gefüllten Häuser hineinblickte, deren Dächer verschwunden waren.

Da machte er plötzlich kehrt und beschrieb immer engere Kreise über dem Hause der Sklaven, wo auch Armin gewohnt hatte. Er ließ sich vorsichtig auf einer Mauer nieder und beschaute sich den armen blonden Liebhaber der Jana, der nun dort auf dem Steinboden lag und sich nicht mehr rührte. Wie sollte er auch? Er hatte ja am Sonnenfelsen gehangen, und noch keiner war am Leben geblieben, der von dem Wüterich Avito an den Granit geschmiedet worden war.

Der alte weise Vogel mit den roten Beinen weinte zwei Krokodilstränen, weil er dies für passend hielt. So sehr empfindlich war er nicht. Dazu war er zu alt.

Dann wischte er sich mit der winzig kleinen Hinterzehe, die eigentlich zu nichts anderem zu gebrauchen war, die Augen und flog heim und erzählte seiner jungen Frau von dem großen Unheil und Glück, denn nun hatte man ja Ruhe vor den üblen Wichten, den schlemmerhaften Römern, und konnte wieder in Ruhe in den Pfützen des Wadis nach Nahrung suchen. Mit dem Staubecken war’s allerdings auch vorbei, und man würde wieder zum Nil zurückkehren müssen oder sich eine andere Heimat suchen.

Dann aber flog er empor zum Sonnenlicht und nahm die Richtung nach dem zerstörten und nie wieder aufgebauten Fort am Mons Claudianus.

 

15. Kapitel.

Tims Kairo-Andenken.

Timchen hatte seinen Rasierspiegel an das Fensterkreuz gehängt und beschabte sich die eingeseiften Wangen, was alle Tage nötig war, da hier in dieser Hitze die Stoppeln hervorschossen wie Unkraut. Er freute sich, daß er unversehrt und ohne jede Belästigung aus Kairo wieder herausgekommen war, wo man zum Glück nur ganz kurzen Aufenthalt gehabt hatte, – das gnädige Fräulein wollte eben schleunigst die Ausreißerin wieder einholen.

Es war ja auch eine ganz vertrackte Geschichte damals nachts gewesen, als der Kerl mit den Löchern in der Kapuze am Springbrunnen so plötzlich ausgekniffen war, nachdem er erst wie eine ehrliche Leiche mucksstill dagelegen hatte. Ein anständiger Toter bleibt tot und überläßt einen Mann von Tims verdächtiger Vergangenheit doch nicht einer Dame, vor der Uhlenhut so etwa dasselbe Grauen empfand, wie vor des Teufels Oberteufelin. Schreckliche Augenblicke waren das für Tim gewesen, als er wie ein alter Sünder vor Lola de Degri gestanden und abgewartet hatte, ob sie ihn erkennen würde.

Seine Sorge war überflüssig gewesen, und hinterher überlegte er sich auch, daß er damals in Kairo wie ein leibhaftiger Lord sich herausstaffiert gehabt hatte, denn das Reisegeld des gnädigen Fräuleins war ja so hoch bemessen gewesen, daß er die Familie von Lettburg auch äußerlich würdig vertreten konnte.

Und was sich dann weiter in Kairo ereignet hatte, daran war nur der verfl… Absinth schuld. Doch um diese Episode machten Uhlenhuts Gedanken stets einen großen Bogen. Nur mit Schaudern erinnerte er sich an seine Rückkehr aus den Ruinen von Fatireh, wo er die Gräber und die Grabkreuze so tadellos in Ordnung gebracht und für das gnädige Fräulein mehrfach geknipst hatte. Die Bilder waren großartig geworden, aber Hanneken bekam sie nie zu Gesicht, der wurden immer nur die Mogelphotos aus Heluan gezeigt. Ja, die Rückkehr nach Kairo, die hatte es in sich gehabt. Fünf Wochen war er am Djebel Fatireh gewesen, und in dieser Zeit kann so manches süße Geheimnis ausreifen und war auch ausgereift, und das hatte Tim runde zehntausend Mark von seinen Ersparnissen gekostet – als einmalige Abfindung. Trotzdem war er schlau genug gewesen, seinen Namen nie zu nennen, er erledigte die Sache von Anfang bis zu Ende unter dem vornehmen Pseudonym Ulrich Thimoteus; denn das hätte gerade noch gefehlt, daß die kleine Kanaille nach Schloß Lettburg eine Postkarte geschrieben hätte, wo doch das Fräulein alle Postkarten las. Wäre das passiert, so würde Tim fernerhin nicht mehr als Pfefferminzliebhaber, sondern als Wüstling angepfiffen worden sein.

So, nun war auch die Oberlippe sauber, und bevor Uhlenhut sich das Gesicht abwusch, warf er noch einen Blick in den Garten des Hotels „Zum Chedive“ hinab und wollte gerade vom Fenster zurücktreten, als ihm das Rasiermesser aus der Hand fiel und ausgerechnet auf seine große Zehe. Er hatte nämlich der Wärme wegen sogar auf die Socken und die Morgenschuhe vorläufig verzichtet.

„Heiliger Moses!“, entfuhr es dem armen Tim. „Verdammt, das ist sie!“

Er war sehr kalkig im Gesicht geworden und entfernte sich vom Fenster und hinterließ auf dem Bastteppich eine Blutspur, warf sich total vernichtet in den nächsten Korbsessel und leckte sich die Lippen und leckte Seifenschaum und … spuckte wütend gegen die feine Tapete. – Dann sagte er nochmals: „Heiliger Moses!“, weil er dies hier am Nil für passender hielt, als jede andere Form der Herzenserleichterung, und starrte seine blutige Zehe an – –.

Tim kam angesichts dieser Wunde ein glorreicher Gedanke.

Er feixte plötzlich. Er würde es schon so einrichten, daß er der kleinen Kanaille nicht unter die Augen käme.

Vicky von Lettburg war sehr angenehm überrascht gewesen, als sie in dem kühlen Speisesaal beim Frühstück Lola de Degri bemerkte, die sie noch von jener Nacht her in bester Erinnerung hatte. Ihr Vorurteil gegen Filmdamen war damals, was Lolas Person betraf, gänzlich geschwunden, denn abgesehen davon, daß Lola unfehlbar ein tadelloses Benehmen besaß, hatte sie ihr auch Dinge mitgeteilt, die Vicky niemals geahnt hatte und bei deren Einzelheiten sich ihr die weißen Haare sträubten und ihr vornehmes, mageres Gesicht sehr lang wurde.

Da Tim immer noch nicht zum Frühstück erschien, nickte Viktoria der Diva freundlich zu und winkte sie an ihren Tisch.

„Wie kommen Sie denn hier nach Kenneh“, fragte sie nach den ersten allgemeinen Redensarten, da Lola nicht von selbst ihre Anwesenheit in Kenneh erklären zu wollen schien.

Das Fräulein Vicky von Lettburg hatte, wie alle Welt in Lettburg und Umgegend behauptete, Haare auf den Zähnen, nur seien ihr, sagte man weiter, gerade diejenigen Zähne stumpf geworden, die sie Jana rechtzeitig hätte zeigen sollen, und das stimmte, das hatte Vicky schon selbst eingesehen, leider zu spät.

Sie war durch eine überaus harte Lebensschule gegangen, die Mutter hatte sie sehr früh verloren, und als sie gerade ihren Jugendfreund heiraten wollte, war der Vater geisteskrank aus Ägypten zurückgekehrt – ein harmloser Kranker zwar, aber für Vicky doch das Ende ihrer Herzensträume und die harte Pflicht, sich dauernd mit dem armen Vater zu beschäftigen und nebenher noch die Verwaltung des Gutes fest in die ungeübten Hände zu nehmen.

Oskar von Lettburg mußte im Djebel Fatireh Fürchterliches erlebt haben; aus seinen wirren Reden ließ sich wenig schließen, wenig Positives. Tatsache war, daß seine damaligen Beduinen-Begleiter ihn im Stiche gelassen, und daß er nur zufällig, dem Verschmachten nahe, aufgefunden worden war. Seine Aufzeichnungen hatte Vicky nie gelesen, sondern so, wie sie eingesiegelt waren, in ein Geheimfach gelegt. Ihr Abscheu vor dem Lande der Pharaonen fand dann neue Nahrung, als sie nach dem Tode des Vaters in der Person der kleinen Hanni, der späteren Gattin Kertners, eine für ihre mütterliche Wesensart entsprechende Aufgabe und einen wahren Daseinsinhalt gefunden hatte.

Die große, selbstlose Liebe, die sie für Hanni empfunden, übertrug sie verstärkt auf die kleine Jana, und nur dieser übergroßen Liebe war es zuzuschreiben, daß sie, die doch sonst so hellsichtig, so klug und so energisch war, daß selbst Tim vor ihr einen heiligen Respekt hatte, bei der Erziehung Janas Fehler beging, die sich sehr bald bitter rächen sollten.

Ihr ganzes Leben war dergestalt nur eine Reihe schlimmster Enttäuschungen gewesen, und wenn sie sich trotzdem einen zuweilen recht derben Humor bewahrt hatte, so sprach auch dies nur für ihre Charakterstärke – sie hatte sich niemals unterkriegen lassen, wie sie oft stolz betonte, und nur eben bei Jana hatte sie gänzlich versagt.

Dies war die Frau, die nun hier im Hotel „Zum Chedive“ mit Lola zusammensaß und ihr freimütig erklärte:

„Sie müssen mich nicht unterschätzen, liebes Fräulein. Das ist schon manchem Getreidehändler schlecht bekommen, der mir das Fell über die Ohren ziehen zu können glaubte.“

Sie befand sich seit der Flucht Janas in sehr kriegerischer Stimmung, und dann nahm sie kein Blatt vor den Mund, vergaß alle natürliche Vornehmheit und redete zuweilen wie ein waschechter, knorriger Gutsinspektor sogar etwas Plattdütsch, denn sie hatte eine Vorliebe für den Verfasser von Onkel Bräsig und schätzte Fritz Reuter weit höher ein, als all die neueren Schriftsteller aller Schattierungen mit ihrem so oder so überspitzten Intellektualismus, selbst wenn der sich ein Mäntelchen von Volksverbundenheit umhängte.

Und nach kurzer, gedankenschwerer Pause fuhr sie fort, indem sie Lola einen Blick zuwarf, der von Tim sehr gefürchtet war.

„Sie haben mich damals nachts auf die Beziehungen zwischen Jana und diesem Paschasohn aufmerksam gemacht und mich vor Saud-Pascha gewarnt. Ich glaube es Ihnen nicht, daß Sie hier nur zu Ihrem Vergnügen in Kenneh weilen und gleichfalls nach dem Djebel Fatireh auch nur zum Vergnügen wollen. Da reist kein vernünftiger Mensch hin, es sei denn, es wäre ein Forscher oder“ – sie fixierte die Diva noch durchdringender – „oder jemand, der im Solde des Paschas steht. So, nun wissen Sie es, und nun werden Sie noch röter. Also stimmt mein Verdacht, den ich schon auf Schloß Lettburg hegte, da es mir hinterher doch recht sonderbar erschien, wie Sie so zufällig – angeblich zufällig – Janas Hilferuf gehört haben wollten. Raus mit der Sprache! Keine Faxen mehr, oder Sie lernen mich von der unangenehmsten Seite kennen, und die heißt: Hilf dir selbst und schere dich den Dübel wat um alle Behördens und Aktenschnüfflers!“

Das war deutlich und Lola war zunächst wirklich verblüfft über die Wandlung, die mit der feinen alten Dame vor sich gegangen war, dann aber empfand sie etwas wie eine Erleichterung infolge dieses energischen Auftretens der Adoptivmutter Janas, weil es sich nun weit leichter bewerkstelligen ließ, diejenigen wirksam zu schützen, die unbedingt des Schutzes bedurften, denn sie kannte den Mekka-Pascha und seine Methoden sehr genau.

Nach kurzem Überlegen entschloß sie sich, Vicky nun völlig reinen Wein einzuschenken und führte dies auch sofort in aller Ehrlichkeit aus, schon um sich eine Verbündete zu sichern, die von ihr nun ganz anders bewertet wurde. So hörte denn Vicky heute zum ersten Male etwas von Janas Beziehungen zu Bolko von Lortz – und sie erbleichte für Sekunden. Ausgerechnet Bolko mußte sich in Jana verliebt haben, ausgerechnet der Mann, den Kertner mit Neid und heimlichem Haß verfolgt und bestohlen hatte! Sie beruhigte sich wieder. Sie kannte nun ja die Gefahr, in der nicht nur die leichtfertige Jana schwebte, sondern auch Bolko. –

Loa Effim, deren Großvater ein Scheich der Maase-Beduinen gewesen, hatte in ihren Adern gerade genug orientalisches Blut, um trotz ihrer Jugend – sie war erst zweiundzwanzig –, das an Verschlagenheit, falls nötig, zu ersetzen, was Fräulein Vicky in dieser Hinsicht abging. Die beiden Frauen, die auf so eigentümliche Art zu Verbündeten geworden waren, einigten sich sehr bald und hielten es nunmehr für richtiger, nicht weiterhin eine zu große Vertrautheit sich anmerken zu lassen.

Loa Effim nahm also wieder an einem anderen Tische Platz und wartete auf das Erscheinen ihrer Zofe, die vormittags mit dem fälligen Nildampfer eingetroffen war und sich nur erst etwas erholen wollte und auch für ihren unzertrennlichen Begleiter sorgen mußte.

Als die Zofe nun eintrat und sich zu ihrer Herrin setzte, war Vicky überrascht über die blühende Schönheit dieser nicht mehr ganz jungen und sehr helläugigen Beduinin, die man leicht für eine Europäerin hätte halten können, zumal sie viele fellachische Ahnen besaß und die Fellachen den Ariern mit am meisten ähnlich sehen, was auf die frühere römische Zeit Ägyptens zurückzuführen sein mag, wo sehr viele Nordländer nicht nur als Sklaven in den Nilgegenden ansässig waren.

Loas Zofe hieß Mirjam und stand mit ihrer Herrin recht vertraut, obwohl die Diva so manches gegen diese ihre heimliche Aufpasserin einzuwenden hatte, die gleichfalls zu Mekka-Pascha in etwas abhängigem Verhältnis stand – kurz: Mirjam war die Spionin für Lola auf Saud-Paschas Befehl, denn nach altorientalischem Brauch hielt es der geriebene alte Herr für vorteilhaft, seine Agenten wieder von anderen Agenten bewachen zu lassen.

Loa war dies längst bekannt.

„Mirjam, schläft Ulrich bereits?“, fragte sie die etwas sehr stark geschminkte und recht üppige Zofe mit wirklichem und nicht erheucheltem Interesse, denn Ulrich war für Loa genauso sehr ein Gegenstand steter Fürsorge wie für Mirjam selbst.

„Ja, er schläft süß und hat beide Daumen im Mund – das wird er wohl von seinem Vater geerbt haben, der benutzte nämlich immer Kautabak“, – und Mirjam strahlte über das ganze Gesicht.

Ein Kellner mit einem ausgesprochenen Sudannegergesicht überreichte Vicky einen frisch zugeklebten Brief, der unverkennbar Tims Balkenhandschrift zeigte.

Das Fräulein von Lettburg las zu ihrem größten Ärger folgendes: Tim sei beim Rasieren das Messer auf die große Zehe gefallen und habe den halben Zehennagel abgeschnitten, so daß gar nicht daran zu denken sei, schon heute nachmittag zum Djebel Fatireh aufzubrechen. Seinetwegen solle das gnädige Fräulein jedoch nicht warten, er würde dann nachkommen.

Und dabei blieb es, nachdem Vicky den Patienten auf seinem Zimmer besucht und ihn mit einem dicken Verband im Sessel sitzend angetroffen und ihm noch ihre Teilnahme in einer Weise ausgedrückt hatte, die etwa lautete: „Er ist zu gar nichts mehr zu gebrauchen, Tim!! Wahrscheinlich hat er schon am frühen Morgen wieder Schnaps getrunken, er alter Säufer! Ich reite also voraus, mag er sehen, wie er nachkommt, besorge er sich selbst einen Führer und Kamele – selbst ein Kamel!“ Und dann wurde die Tür zugeschmettert, und Tim feixte wie ein Oktoberfuchs.

Er hatte zu früh gefeixt!

Gegen zehn Uhr abends bestieg er sein Dromedar, das ihm der Hotelportier in aller Heimlichkeit hatte besorgen müssen, dazu ein zweites als Lasttier, auf dem Tim genauso heimlich sein Gepäck verstaute.

Auf einen Führer verzichtete er, es war ja heller Mondschein, und der Weg zum Djebel war zwar keine Chaussee, immerhin eine Art Karawanenstraße und deutlich zu erkennen, das wußte er noch von seinem vorjährigen Besuche her. Er schlich wie ein Gauner zum Hotel hinaus und fand seine Tiere an der vereinbarten Stelle vor. Der Mond war schon aufgegangen und spiegelte sich im nahen Nil wieder, und auch die Nachtschwalben waren bereits aus ihren Löchern geschlüpft und fingen die hier recht zahlreichen Mücken; von der Missionsstation erscholl Glockengeläut, und im Kaffee Kairo spielte eine Jazzband mit allem Schmiß die vorjährigen Schlager.

Tim fühlte sich wie neugeboren oder wie einer großen Gefahr entronnen und trabte nun, sein Lasttier am Leitseil, in die mondhelle Nacht hinaus und ärgerte sich nur über den alten Schinder von Dromedar, den der Portier ihm da angedreht hatte, denn das Vieh war noch viel bockbeiniger, als zehn Janas zusammengenommen – was viel heißen wollte.

Es dauerte denn auch gar nicht sehr lange, als das störrische Tier einen jähen Satz machte. Tim flog im Bogen aus dem Sattel und landete irgendwo zwischen harten Gegenständen. Es war Steingeröll, und es war weniger empfindlich, als Tims perückenbedeckter Schädel – das heißt, Uhlenhut hatte sich den Tropenhelm verbeult und den Kopf mit dazu und war bewußtlos. Das Dromedar aber blieb nach dieser Glanzleistung stehen und schaute das Lasttier vielsagend an, und beide stießen ein Geschrei aus, das geradezu diabolisch klang.

Zehn Minuten später näherte sich von Kenneh her eine kleine Karawane, und fünfzehn Minuten später erwachte Tim und fand sich in einer Lage wieder, die ihn veranlaßte, die Augen schleunigst wieder zu schließen. Das Gesicht, das er da soeben bemerkt hatte, ließ ihn trotz der barbarischen Hitze dieser Nacht frösteln. Als er sich von dem ersten Schreck erholt hatte, blinzelte er durch die Wimpern und sah so im Mondlicht folgendes Bild:

Mirjam hatte einen Säugling auf dem Schoße und reichte ihm die Brust, während Loa Effim andächtig dabei stand und diese mütterliche Szene mit einigem Neide zu betrachten schien.

Was in Tim vorging, wäre nur durch sehr eingehende Schilderungen seiner diversen Gedankengänge wiederzugeben. Jedenfalls war das Baby zunächst kohlrabenschwarz und hatte so urechtes gedrehtes Negerhaar, daß schon allein diese Haare als Belastungsmaterial gegen Mirjam genügt hätten, denn sie selbst besaß durchaus glattes und nicht einmal schwarzes Haar, und die Haare, die Tim mal auf dem Schädel gehabt hatte, waren ausgesprochen strohblond gewesen. Mithin – mithin –, daran war nicht zu zweifeln, hatte er zehntausend Mark Abfindung für einen anderen bezahlt!!

Wut packte ihn. Er sprang auf, er brüllte Mirjam grimmig an, er sprach in der Erregung deutsch; die wenigen Brocken Englisch hätten ihm hier auch nicht genügt –, was er brüllte, mußte aber im Endergebnis sehr komisch sein, denn Loa Effim schüttelte sich vor Lachen aus, und Tim sah sich noch mehr blamiert, rannte zu seinen Tieren, kletterte auf sein Dromedar und trabte davon. Das heißt, mit dem Traben war es so eine Sache, denn nun ging die tückische Bestie mit ihm durch und sauste wie ein D-Zug von dannen. Da halfen keine Zügel, da half keine Reitgerte. Je mehr Tim die Kreatur verdrosch, desto wilder stürmte sie dahin. Das Lasttier machte schon aus Kameradschaftsgeist die Hetze mit, und die Geschichte endete nach einer Viertelstunde damit, daß Tim heilfroh war, als er vor sich ein Lagerfeuer und ein paar Strauchbesen von Palmen und eine ganze Menge Tiere und Menschen erblickte, die in einem schmalen Wadi lagerten, das keinen zweiten Ausgang hatte. Hier blieb das Rabenvieh von selbst stehen.

Von dem einen Feuer erhob sich ein mittelgroßer Mann mit grauweißem Bart, näherte sich Tim, legte ihm die Hand auf die Schulter und erklärte in einem Deutsch, das noch schlechter war als Mirjams Charakter:

„Du mir kommen wie gerufen, Spitzbube deutsches …! Ich dir kennen, du sein Vater von Kind von Mirjam von vor einem Jahr!“

Alles hätte Tim nun ja vielleicht hingenommen – aber ihn ausgerechnet jetzt an den größten Reinfall seines Daseins zu erinnern, das ging ihm denn doch über die Hutschnur, zumal der freche, alte Kerl einen schäbigen Haik und ein schmieriges Kopftuch trug. So kam es denn, daß Mekka-Pascha zum ersten und letzten Male in seinem reichbewegten Leben einen Hieb mit einer Reitgerte über den Rücken bekommen sollte, aber nicht bekam, da er rechtzeitig zurücksprang. So kam es weiter, daß Tim Uhlenhut gleich darauf, zu einem Bündel zusammengeschnürt, im Sande lag und es sich gefallen lassen mußte, daß Mekka-Pascha ihn als Zielscheibe für mündliche Schießübungen benutzte, wobei er zwischenein noch Drohungen ausstieß, von denen die ungefährlichste ungefähr „Geköpft werden“ lautete.

Tim verstand von diesen ihm zugedachten, sehr ausführlich und blumenreich ausgeschmückten Prozeduren kaum ein Viertel, aber auch das war genug, und als der alte Kerl von Beduine, der für Tim so etwas wie ein Räuberhauptmann zu sein schien, nun gar noch eine Anzahl Photos aus dem Haik hervorholte und eines der Amateurbilder ihm unter die Nase hielt und erklärte: „Also du sein Freund von Scheitan-Jana, die haben wollen verführen meinen Sohn Rami!“, da wird es Timchen denn doch äußerst plümerant zumute, denn zu seinem geheimen Entsetzen erfuhr er so, wen er hier vor sich hatte, und von Saud-Pascha hatte ja die Lola gerade genügend gesprochen!

Trotzdem bewahrte er nach außen hin Haltung, und als der Pascha nun gar noch für Jana ähnliche nette Prozeduren ankündete, lief Tim schließlich die Galle über und er besann sich rechtzeitig auf seine Würde als Europäer und auf seine tiefe väterliche Liebe für Hanneken und fauchte den Mekka-Pascha in einer Weise an, daß der verdutzte, gewalttätige alte Rebell und Freiheitskämpfer schweigend zuhörte.

Uhlenhut begann mit einer warmen Verteidigungsrede für Hanneken und geriet dabei immer mehr in Feuer, ging dann zu der Person Ramis über und meinte herausfordernd, wenn ein Mann wie Rami so dumm wäre, sich von einem übermütigen, aber im Grunde doch herzensguten Mädel an der Nase herumführen zu lassen, so sei der Rami schuld und nicht Jana, und dann schloß er seine lange Rede mit den drohenden Worten: „Ich gebe Ihnen einen freundschaftlichen Rat, Herr Padischah-Exzellenz. Sie haben da auch ein Bild von meinem gnädigen Fräulein. Nehmen Sie sich vor der in acht!! Richten Sie sich danach!!“

Auch der Mekka-Pascha verstand von alledem knapp die Hälfte, aber die Unerschrockenheit Tims machte doch Eindruck auf ihn, denn gerade er schätzte nichts so sehr wie persönlichen Mut. Außerdem war er zwar ein alter Hitzkopf, in der Hauptsache aber ein gerechter Mann. Er wurde nachdenklich, fragte nach diesem und jenem und wollte besonders über Jana und Bolko recht erschöpfend Auskunft haben. Hanneken schnitt dabei vorzüglich ab, nur Bolko erhielt die Note fünf, und der Pascha nickte dazu und sagte gähnend – ein sehr, sehr schlechtes Zeichen: „Die letzten Seiten des Lebensbuches werden ganz schwarz sein!“, worunter Tim sich nichts Rechtes vorstellen konnte, da er von Büchern ohnedies nicht viel hielt.

Der Endeffekt dieser Aussprache bestand darin, daß Uhlenhut die Fesseln wieder abgenommen wurden und der Mekka-Pascha ihm lediglich erklärte, falls er zu entfliehen versuche, würde er sein blaues Wunder erleben, – so ähnlich drückte Saud sich aus, und Tim erwiderte, er dächte gar nicht daran.

 

16. Kapitel.

Armins Weg nach Golgatha.

Als die ungeheure Flutwelle über das Kastell herniederbrauste und die Steindächer wie dünne Planken abhob und die Felssparren in die Innenräume fielen, entschied sich auch das Schicksal des bewußtlosen Mannes, dessen Haut durch die Glut an der Granitwand des Sonnenliedes rissig und versengt war, wie die eines Verdammten in der Hölle.

Der junge Teutone war kein Verdammter, das Geschick hatte ihn zu anderem ausersehen, als zu einem jämmerlichen Verrecken. Er hatte eine Mission zu erfüllen gehabt an der römischen Jana und an sich selbst – er mußte leben, damit die Vorsehung ihr Spiel mit Menschenseelen vollenden könnte zu frohem Ausgang.

Wären die Trümmer des Daches auf Armin herabgefallen, würde sich nie erfüllt haben, was der tiefere Sinn des Zauberspiegels der Kleopatra gewesen: Die zu läutern, die mit ihm irgendwie in Berührung kamen und ihn befragten – dann wäre auch nie das Leben der zweiten blonden Frau des weiblichen Januskopfes nach etwa zweitausend Jahren wie eine dornige Straße parallel der ersten verlaufen, ähnlich dem der ersten Jana.

Armin sollte nicht sterben. Die Götter wollten es nicht, und die Steine des Daches fielen um ihn herum, wie eine Schutzwand gegen die Sonnenstrahlen, die am nächsten Tage die Himmelsbläue des Sonnenlandes der Pharaonen wieder mit blendender Helle durchfluteten. Der alte weise Flamingo wurde noch Zeuge, wie der in mehlbestreutes Linnen gehüllte Mann sich mühsam erhob und sofort auf einem Steinhaufen wieder zusammensackte gleich einem kläglichen Krüppel.

Armin fühlte am ganzen Körper die wahnsinnigsten Schmerzen – das Linnen klebte an seinen offenen Wunden fest, und das Weizenmehl, das Frau Arminias sorgende Hände ausgestreut hatten, war hart geworden, da die Woge aus dem Staubecken es zunächst durchnäßt, die warme Luft es dann wieder getrocknet und hart gemacht hatte.

Trotzdem raffte sich der Halbtote mit aller Willensanspannung auf und stolperte ins Freie. Was er hier sah, war so grauenvoll, daß er sich an die Mauer lehnte und minutenlang stehen blieb und sich erst an den Gedanken gewöhnen mußte, daß er nun allein sei, ganz allein, ohne jede Hilfe, aber auch ohne die Folterknechte des Chiliarchen Avito, dessen Leiche dort draußen zwischen Felsbrocken sich festgeklemmt hatte und nun wie ein Beweis der Gerechtigkeit der Götter mit zahllosen Wunden in der Brust dalag und von derselben Sonne zu einem gräßlichen, verfärbten, gedunsenen Leichnam verunstaltet wurde, die er einst zu den Folterqualen für seine ihm anvertrauten Damnati schändlich benutzt hatte.

Ein Gedanke war es, der Armin die Kraft verlieh, seine Schmerzen zu überwinden und den Versuch zu wagen, zu Fuß den Tempel der Kleopatra zu erreichen, ein Unterfangen, das bei seinem Zustande von vornherein zur Aussichtslosigkeit verurteilt schien. Für ihn durfte es aber derartige Befürchtungen nicht geben; er wies sie von sich, er redete sich ein, es würde gelingen, denn Jana war ja eingesperrt, Jana konnte bereits tot, verhungert sein, was wußte er denn, wie lange er besinnungslos dagelegen und wann sich die Katastrophe hier im Kastell und im Wadi abgespielt haben mochte?

Er hatte jedes Schätzungsvermögen für die inzwischen verflossene Zeit verloren, er war wie ein neu in die Welt gesetzter Mensch, der nur aus einem früheren Dasein noch die schreckvolle Erinnerung an einen schweren begangenen Frevel bewahrt hatte: An Jana, an seine Gefangene, die vielleicht tot war durch seine Schuld und vielleicht unter Qualen verschieden war mit einem Fluche für ihn auf den Lippen!

Während er nun dahinstolperte und immer wieder zu Boden sank und sich aufraffte und sich die rissigen Lippen blutig biß, nur um über die Schwäche des Leibes zu siegen, die ihn wieder in das Reich der Finsternis und des Vorhofes zum Sterben, in die Machtlosigkeit des entschwundenen Bewußtseins, hinabzerren wollte – während er sich nach einer Lanze bückte, die ihm als Stecken dienen sollte –, während er abermals niedersank und vor seinen Augen blutige Nebel aufzuckten –, da schon erkannte er in seinem überhitzten Hirn die Einflüsse dieses Weges der unerhörten Qual und des unendlichen körperlichen und seelischen Leidens. Das Geschick hatte auch ihm dies alles aufgebürdet, damit er in sich ginge und sich klar würde über seine Empfindungen Jana gegenüber.

Er war als ein neuer Mensch erwacht in einer gänzlich verwandelten Umgebung, und er glich auch innerlich einem Manne, der aus tiefster Gläubigkeit und aus Vertrauen auf eine göttliche Allmacht den Weg der wahren Buße geht, wie zu derselben Zeit bereits die ersten Christen zur Schädelstätte von Golgatha pilgerten, um dort, wo Gottes Sohn gelitten und ausgelitten, ihre eigenen Sünden vor sich selber zu bekennen und in sich zu gehen und heimzukehren nach vollzogener Läuterung.

Und wie vor kaum damals zehn oder zwanzig Jahren dem Heiland mit der Lanze in die Seite gestochen wurde, um festzustellen, ob er wirklich tot sei, nicht viel anders, nur sich selber und Jana zum Heile, glitt der junge Teutone nun, da er sich mühte, mit Hilfe des Speeres sich aufzurichten, abermals aus und fiel in die Spitze der Lanze und brachte sich eine stark blutende Wunde an der Schulter bei und fühlte trotzdem den Blutverlust nur als Erleichterung und Entlastung seiner durch das fiebererhitzte Blut zum Bersten gefüllten Adern.

Der rote Lebenssaft überschwemmte auch die an der Haut festgeklebten Teile des Linnens und löste diese schmerzenden Pflaster von dem zerschundenen Leib, der sich nun freier bewegen konnte.

Armin stand aufrecht. Er empfand die rinnenden Fäden des eigenen Blutes wie ein erquickendes Bad. Er stützte sich auf den Speerschaft und blickte um sich wie ein Suchender. Er war nun doch zu der Einsicht gelangt, daß er allein in dieser Sonnenhitze mit seinem matten Leibe niemals das Ziel erreichen würde und es doch erreichen mußte. Er suchte nach seinem Pferde. Sollten alle Tiere mit zugrunde gegangen sein – alle?! Er schob zwei der verquollenen Finger in den Mund und wollte den Pfiff ausstoßen, an den sein Tier gewöhnt war, das er stets so gut behandelt hatte, weil es ihm als Germanen anerzogen war, in dem Streitroß einen Gefährten mit klugem Verstand und mit innigster Zusammengehörigkeit zum Reiter zu sehen.

Er wollte pfeifen. Sein Roß war seine letzte Hoffnung.

Seine Lunge hatte keine Kraft. Es wurde nur ein Zischen wie aus einem leeren Dampfkessel. Da versuchte er es aufs neue, indem er vorher ein paarmal tief und ruhig Atem holte. Diesmal gelang es schon besser.

Und dann vernahm er plötzlich Pferdegetrappel, das Geräusch dröhnender Hufe, – und um die Ecke bogen zwei Tiere, ein Schimmel und ein Brauner. Der Schimmel war Janas Lieblingspferd, denn die Römer bevorzugten Schimmel überall, bei ihren Wagenrennen, bei den Kampfspielen und bei den festlichen Einzügen siegreicher Feldherren.

Im Galopp kamen die Tiere aus einer nahen Schlucht herbei, als treue Freunde dicht nebeneinander, sie erkannten Armin und wieherten laut vor Eifer und Eile, dem Pfiffe zu gehorchen. Dann standen sie vor Armin still und scheuerten ihre Nüstern an seiner Schulter und wieherten wiederum vor Freude.

Der Germane horchte auf die einzelnen Töne der Freude und entnahm daraus nach der Sitte seines Volkes Gutes oder Ungünstiges, aber er hörte nur Gutes, und er war nun noch zuversichtlicher als vorhin, und mehr noch: Er begriff, weshalb der Lieblingsschimmel Janas so andauernd ihn umtänzelte und ihn geradezu zu bitten schien, schleunigst Jana aufzusuchen und ihm zu helfen, die Herrin wiederzufinden. Es lag etwas Rührendes in diesen Zeichen des Pferdes für eine Sehnsucht nach der Herrin, die gerade diesen Schimmel von ihren sechs Rossen am besten behandelt hatte.

Genau wie dem Tiere erging es ihm selbst. Nun, da die Gewißheit gegeben war, daß er schneller, als er erhofft, den Tempel erreichen würde, erwachte auch in ihm ein Gefühl reiner Sehnsucht und einer Liebe, die keine falschen Deutungen der Handlungsweise des anderen Teiles mehr kennt. Eine merkwürdige Klarheit kam über ihn, und er sah in Gedanken wiederum die Jana, die drunten im Bade der Kleopatra nicht verweilen wollte, und die deshalb so verzweifelt gewesen.

Und von dem Rückerinnern an diese Tränen und an die früheren und an die Rufe nach ihm, als er sich verborgen gehalten, war nur ein kleiner Schritt zu einer neuen Erkenntnis und Einsicht, zu der, daß er in Janas Tun absichtlich nur das Schlechte gesucht habe und nie mit Ernst und Gerechtigkeit das Gute.

Mit sich selber hatte er bereits Abrechnung gehalten, einmal am Felsen des Sonnenliedes, aber da erst zu einem Zeitpunkt, als seine Sinne nicht mehr fähig waren, alles innerliche Geschehen klar zu überschauen.

Jetzt machte er an sich selbst auch diese letzte Wegstrecke zur vollen Läuterung durch. Es war ihm gelungen, indem er einen Stein erstiegen hatte, sich auf den Rücken des Braunen zu schwingen.

Er hielt nun den Hals des Rosses umfaßt, wie eine Geliebte, und er fürchtete, es könnte ihm nicht gelingen, das Pferd dorthin zu lenken, wo er es hingeleiten wollte: Zu Jana! – Der Braune war ohne Sattel und ohne Zügel, er war nur auf seinen Instinkt angewiesen, doch seltsam: Der Schimmel lief voraus und nahm den kürzesten Weg zum versteckten Tale und zu seiner Herrin, als ahnte er, daß diese dort weile.

Armin umklammerte den Hals des Braunen noch fester, denn der Trab der beiden Tiere ging zuweilen in Galopp über, und öfters nahmen sie auch Hindernisse in flottem Sprunge, so daß der matte und sieche Reiter häufig genug in Gefahr schwebte, vom Rücken herabzugleiten. Doch gerade durch diese Anstrengungen wuchsen seine Kräfte, und anderseits wuchs mit seiner zunehmenden Frische seine grauenhafte Furcht, er könnte Jana nicht mehr lebend vorfinden. Sollte dem so sein, so war er entschlossen, auch sein eigenes Dasein zu beenden, da es für ihn wertlos wäre ohne die Geliebte seiner Seele – nicht nur mehr die Geliebte heißer Stunden, sondern das Weib, das sein war als Gattin und als – Mutter – des zu erwartenden Kindes –

Weg nach Golgatha.

Weg der Läuterung, Pfad der unendlichen Angst und der verzehrenden Ungewißheit, Weg der allerletzten Pein kurz vor dem Ziel: Hindernisse, wo er den Pferderücken verlassen mußte und sich auf eigene Kräfte angewiesen sah, und dann die neue Qual, als er mit den verschwollenen Händen das Kunstschloß nicht öffnen konnte, und als er sich die Haut von den Fingern riß – – und als auch das vorüber, das Erschütterndste: Er hatte die Belastung über der Falltür, alle diese Möbel und schweren Gegenstände, weggeräumt, er hatte die Falltür gedreht, das Mosaikbild mit der Liebesszene zwischen Isis und Osiris, war die Treppe hinabgeschlichen und sah unten Licht und atmete auf.

Die Öllampe beleuchtete Janas auf dem Ruhebett hockende Gestalt. Den Kopf hatte sie in die Hände gestützt, und sie schaute nicht auf, als Armin zärtlich ihren Namen rief. Sie schüttelte nur wie abwehrend das Haupt und flüsterte seltsam tonlos:

„Geh’ – geh’, wo ich weile, da weilt ein Fluch. Der Spiegel zeigte mir abermals beide Köpfe, den der Kleopatra und den Januskopf mit den zwei Gesichtern. Ich hielt mich für entsühnt, und ich täuschte mich – ich bin unrein – bin unrein geblieben!“

Für Armin sprach sie in Rätseln. Er fürchtete, ihr Geist hätte sich in dieser Einsamkeit verwirrt. Sein Mitleid trieb ihn zu ihr, er setzte sich neben sie und umfing sie und redete ihr so liebreich zu, daß sie zu weinen begann – daß sie dann auch, das Haupt an seiner Brust geborgen, über den Spiegel des persischen Magiers alles berichtete, was sie wußte.

Der Germane, der auch aus seiner Götterlehre irgend etwas von einem Spiegel wußte, der Zauberkraft besäße – freilich nur von einem Spiegel aus gefrorenem Wasser –, überlegte lange und tröstete sie dann und verhieß ihr, auch die Stunde würde kommen, wo von der Silberscheibe der Januskopf verschwinden dürfte, wenn die alten Sagen seines Volkes die Wahrheit sprächen.

Jana lauschte, und dann richtete sie sich plötzlich auf, und aus ihren Augen stürzten Tränen, und unter Tränen erklärte sie:

„Ich will es gerne hingeben, obwohl ich mich namenlos darauf freue, doch ich will rein sein!“

Er küßte sie sanft und zart wie ein trautes Schwesterlein, und in diesem Kuß war kein Begehren, nur innigste Zusammengehörigkeit von Hoffenden.

Dann ergriff auch er den Spiegel mit der ovalen Silberscheibe und meinte ernst, aber voller Zuversicht: „Ich weiß, daß er mir das Janushaupt zeigen wird, doch ich will es sehen, und sehe ich es, werden wir es später nicht mehr sehen.“ Wie er so sprach, sprach er wie ein weiser alter Priester seines Volkes am Opferfeste für Odin, den Göttervater, unter den deutschen Eichen.

Er hauchte den Spiegel an und er sah, was er sehen wollte: den Januskopf!! Aber er lächelte nur gläubig und küßte Jana abermals.

Dann begaben sie sich mit den Pferden nach dem Kastell, und als Armin genesen, was sehr bald geschah, warfen sie die in der trockenen Luft kaum verwesten, sondern mehr ausgedörrten halben Mumien der Toten in eine Schlucht, zu der man über eine schmale natürliche Felsenbrücke gelangte, und bauten sich droben hinter dem unvollendeten Jupitertempel Hütten aus den Matten, mit denen die Gassen des Kastells als Sonnenschutz überspannt gewesen, und wohnten jeder in einer Hütte und lebten nur wie Geschwister miteinander und erwarteten die traurige Stunde, die doch ihr großes Glück werden konnte und – auch der Tag kam, an dem Jana einem Knaben das Leben schenkte –, ein nur kurzes Leben.

Es war das Kind, das zu einer Zeit empfangen worden, als Jana noch gelacht hatte, wenn die Damnati unter der Last der Porphyrsäulen geächzt hatten.

Jetzt weinte sie, und Armin legte ihr das tote Kind mit einem frohen, geheimen Leuchten in den gütigen Augen, in den Schoß und küßte sie auf die Stirn. Ihre bitteren Zähren trafen die gebrochenen Augen des Säuglings, der nicht leben durfte, damit andere wahrhaft lebten.

Und als Jana eingeschlafen, nahm er die kleine Leiche und bestattete sie unter dem unfertigen Altar des Jupiter, denn auch das Kind war etwas Unfertiges und doch notwendig für die Erlösung zweier Menschen.

 

17. Kapitel.

Rami.

Bolko von Lortz hatte sich heute über seinen kleinen Freund und Sekretär ehrlich geärgert. In letzter Zeit war Schniefke stets so überheblich-ironisch ihm gegenüber aufgetreten, wie Bolko dies in seiner zwiespältigen Stimmung annahm, daß sein Geduldsfaden wiederholt dicht am Reißen gewesen war. Der philosophisch veranlagte Zwerg mit dem dicken Kopf, in dem wirkliche Hirnmasse enthalten sei, wie er immer schmunzelnd betonte, war anderseits ein solches Prachtkerlchen voller Gemüt und echter Herzensgüte und überragender Menschenkenntnis, daß auch seine scheinbar bissigen und aufreizenden Bevormundungsversuche seines Brotherrn von diesem bisher stets ohne scharfe Zurückweisung hingenommen worden waren.

Es war ja nur Schniefkes Verdienst gewesen, daß man Jana so schnell aufgefunden hatte. Der nächtliche Eilritt hinter Jana her fand sehr bald dadurch ein Ende, daß man aus einem Nebentale zwei Ababde-Beduinen hoch zu Dromedaren mit einem dritten Tiere am Leitseil hatte herauspreschen sehen, und zwar war es Schniefke gewesen, der die Leute erspäht und kurzer Hand, ohne ein Wort zu verlieren, ihnen den Weg versperrt hatte, da Bolko in seiner Sorge um Jana viel zu sehr in Gedanken war, um auf Dinge zu achten, von denen er nicht annehmen konnte, wenigstens nicht sofort, daß sie mit Jana zusammenhingen.

Die beiden Ababde hatten zunächst vor abergläubischer Furcht nicht recht mit der Sprache herausrücken wollen, sie fühlten sich schuldbewußt, da sie Jana noch in den mit Skeletteilen erfüllten Schlund hatten hinabstürzen sehen, jetzt jedoch griff Bolko selbst ein, und er war kein Mann von vielen Worten, wenn es darum ging, scharf durchzugreifen. Er kannte die Bewohner Afrikas aus allen Gegenden des dunklen Erdteils, er war nur nie wieder nach Ägypten gekommen, nachdem er als junger Student an den Gräbern des Ehepaars Kertner im Kastell gestanden hatte. Der Tod der beiden hatte einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen, der um so nachhaltiger war, als seine Jugend dabei mitsprach und seine leichtere Beeinflußbarkeit – das Land der Pharaonen schien auch für ihn eine verhängnisvolle Bedeutung zu haben –, er mied es fernerhin, und erst die Bekanntschaft mit Jana hatte die alte Sehnsucht nach den Geheimnissen des Tempels der Kleopatra wieder aufleben lassen.

Gegenüber einer schußfertigen Pistole und einem reichen Geldgeschenk, das ihnen mit der anderen Hand hingereicht wurde, nahmen die braunen Burschen nicht nur Vernunft an, sondern versprachen auch zu schweigen. Bolko wollte Fräulein Vicky, die nun sehr bald eintreffen mußte, nicht unnötig beunruhigen.

Die Schlucht war schnell gefunden, Bolko kletterte selbst hinab, und als er die Ohnmächtige, deren einer Arm gebrochen schlaff herunterhing, glücklich nach oben geschafft hatte, war es wieder Schniefke gewesen, der ihm riet, den Lagerplatz zu verlegen und Jana in dem neuen, noch auszuwählenden Tale gesund zu pflegen und dadurch das Mädchen noch fester an sich zu ketten und zu verhüten, daß nicht etwa die Herrin von Schloß Lettburg ihn völlig ausschaltete – und auch diese Vorschläge waren von Schniefke wieder in einem so aufreizend sarkastischen Tone vorgebracht worden, daß Bolko ihn anfauchte. Trotzdem tat er genau das, was sein schlauer Freund absichtlich in wenig zarte Worte gekleidet hatte.

Schniefke besorgte dann auch die Verlegung des Lagers und überließ Jana dem mit allerlei Wundbehandlungen weit vertrauteren Freunde. Auf die Maase-Beduinen Bolkos war Verlaß, sie hatten Weiber und Kinder mitnehmen dürfen und wurden so gut bezahlt und so anständig behandelt, daß sie Lortz sehr bald „den Effendi mit dem Sonnenherzen“ nannten – eine Bezeichnung, die Bolko nur ein bitteres Lächeln entlockte, denn mit dem sonnigen Lortz hatte es ja längst ein schlimmes Ende genommen, und ob sich das je wieder ändern würde, hing von einem siebzehnjährigen Mädel ab, das freilich an Reife des kühlen Verstandes einer um Jahrzehnte älteren Frau gleichkam.

Bolko betrat sein eigenes, in einem Talwinkel versteckt stehendes Zelt und stieß wütend mit dem Fuße nach den Frauenkleidungsstücken, die ihm zu seiner Maskerade gedient hatten. Doch der vorschnellende Fuß wurde wieder zurückgezogen, Lortz besann sich noch zur rechten Zeit auf den ernsten Zweck dieser Beduinenpracht und auf vieles andere, was auch nicht minder ernst gewesen. Die ganze Maskerade war kein irgendwie unbegründeter Einfall, nein, sogar vor Jana hätte er es jeder Zeit vertreten können, ihre Pflege und die intimsten Handreichungen niemandem sonst überlassen zu haben.

Er verweilte jedoch nur kurze Zeit in seinem Zelte und erstieg dann wie allabendlich eine der Randhöhen des Tales, das von den Ruinen des Kastells etwa eine Viertelstunde entfernt lag, wo selten auch Beduinen hinkamen, da sich der Vorhof zur Hölle, die Schlucht der Gebeine der toten Römer und Damnati, jenseits eines schroffen Bergsattels befand.

Bolko hatte hier oben auf der höchsten Terrasse, die nach Westen hin weite Fernsicht bot, sein Lieblingsplätzchen. Es gab da im Geröll einen bankähnlichen Stein, und auch heute ließ er sich darauf nieder und schaute gen Sonnenuntergang in die Ferne und wartete das wunderbare Schauspiel des Versinkens des Tagesgestirns im Dunste des Horizontes ab.

Vor ihm reihten sich die Kuppen der Vorberge wie bunte Zuckerhüte aneinander. Der Granit war hier noch wechselnder in den Farbschattierungen als anderswo, und sogar einige dürftige oasenähnliche grüne Flecke drunten in der Wüste erinnerten daran, daß das furchtbare Nilland nicht allzu weit entfernt sei.

Bolko von Lortz, in dem die Auslandsreisen die Liebe zur Natur nur verstärkt geweckt hatten, beobachtete mit derselben Andacht wie immer den Farbenprunk des Sonnenunterganges und fand das intensive Violett über dem rotgelben Horizontstreifen heute noch schöner als sonst. Trotzdem hatte er keine reine, ungetrübte Freude daran. Er war ein reifer Mann, er hatte seine Fehler und Schwächen wie jeder andere, nur daß diese Fehler unverhältnismäßig sich gesteigert, statt mit den Jahren abgenommen hatten.

Er wußte, wer daran die Schuld trug – Jana! Aber er hätte ihr nie mehr einen geringsten Vorwurf daraus gemacht, sie war nicht verantwortlich, sie war im Grunde zu bemitleiden. Die Tochter eines Menschen wie Kertner konnte nicht anders geraten wie sie eben geworden, dazu waren die moralischen Unzulänglichkeiten eines Kertner denn doch zu stark ausgeprägt gewesen.

Nur traurig war Bolko und verzagt und gar nicht mehr ärgerlich auf seinen kleinen Freund Schniefke, der ihm immer wieder predigte, daß eine Jana nur durch ganz aufwühlende Erlebnisse gebessert werden könnte, und Besserung hieße in diesem Falle: Einsicht, Erkennen und Begreifen der eigenen Schwächen! Er glaubte, daß nur wieder der tolle, unvernünftige Ehrgeiz und nebenher der Haß gegen ihn Janas Verlangen nach sofortiger Rückkehr in ihr Lager im Kastell hervorgerufen habe.

Er war allzu mißtrauisch und ahnte es nicht. Bitterkeit erfüllte ihn und nebenher die irrige Überzeugung, daß es ihm nie gelingen dürfte, diese holde Mädchenblüte von dem entstellenden frostigen Winterreif einer entfremdenden Wesensart zu befreien. Er war kleinmütig geworden, und aus dem Übermaß dieser Hoffnungslosigkeit stieg ein anderes Gefühl empor: Aus Bitterkeit wurde Erbitterung und damit die vielleicht berechtigte, doch vorwurfsvolle Frage, ob ein so reifer Mensch wie Jana nicht die Pflicht hätte, an der eigenen Vervollkommnung selbst zu arbeiten?! Er bejahte die Frage mit aller Entschiedenheit, und seine Augen bekamen dabei einen ungewöhnlichen Ausdruck von Härte und erschienen finster und drohend.

Es war derweil dunkel geworden – er merkte nichts davon – der Mond stieg auf – er sah es nicht, er war zu sehr in seine ungerechten Grübeleien vertieft, er starrte vor sich hin in das nun im Mondlicht schillernde Geröll mit den dicken Glimmeradern, die Gold oder Silber vortäuschten. Er hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt, und seine halb gefalteten Hände hingen zwanglos herab. – –

Seine Pupillen weiteten sich plötzlich schreckhaft, und er war sofort wieder der alte Bolko, der nie die Geistesgegenwart verlor und der sich nun nicht im geringsten bewegte, denn er wußte, um was es ging. Er hatte schon einmal drunten in Südafrika etwas Ähnliches erlebt und rührte auch nicht eine Fingerspitze, schloß sogar halb die Augen und blinzelte nur durch die Wimpern, um das Reptil nicht zu reizen – – denn vor ihm, zwischen seinen Stiefeln, lag eine Kleopatra-Natter[6] mit halb aufgerichtetem Leibe und langsam hin und her pendelndem Kopfe – –

Und dieser flache Giftschlangenkopf mit der mattgelben und schwarzgestrichelten Zeichnung gehörte gerade einer der gefährlichsten Arten der ägyptischen Brillenschlangen – ihr Biß wirkte genau wie der der Puffotter in fünf Minuten tödlich. Er wußte das. Die kleinste Bewegung von ihm würde das Reptil zum Zuschnappen veranlassen, und dann war es aus mit ihm.

Die krausesten Gedanken glitten durch sein Hirn.

Er kannte ja die Art des Todes Doktor Kertners. Sollte ihm selbst hier dasselbe Ende bestimmt sein, und sollte eine Jana wieder daran die Schuld tragen, daß er so unachtsam gewesen, seiner Umgebung keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken?! Wollte das Schicksal es so, daß er hier stürbe? Genau wie sein damaliger Rivale, der ihn hatte bestehlen lassen?!

Der Kleopatra-Tempel war Ursprungsursache all dieser wirren und häßlichen Verwicklungen und Verirrungen. Er haßte den Tempel jetzt, es war das Liebesnest einer königlichen Buhlerin gewesen, und wie sollte daraus wohl Gutes entspringen für die, die ihn suchten mit einer Besessenheit, die schon an das Krankhafte grenzte?! – Aber das wunderte ihn nicht weiter, er kannte den gegenseitigen Neid der Forscher, und es hatten sich gerade wegen ägyptischer Altertumsfunde in Gelehrtenkreisen schon Dinge abgespielt, die noch weit ärger gewesen, als dieser unselige Fall „Kleopatra-Tempel“.

Bolko saß hier dem Tode Auge in Auge gegenüber. Kaum hatte er in einer Anwandlung von Verbitterung Jana hierfür verantwortlich machen wollen, als er sofort in sich gegangen war und diese Gedankenwelt weit von sich gewiesen hatte. Er wollte nicht sterben mit dem geringsten Gefühl der Feindschaft gegen sie – er liebte ja, und Liebe verzeiht unendlich viel.

Er wartete darauf, daß das Reptil sich entfernen würde, wenn er ganz still säße, aber die Schlange dachte nicht daran. Ihr Kopf pendelte weiter in kurzen, langsamen Schwingungen, und ihre Zunge war in dauernder Bewegung, als freute sie sich über die Hilflosigkeit ihres Opfers.

Es war eine Nervenprobe für Lortz, wie er sie noch nie durchzumachen gehabt. Auch er war nur ein Mensch und er hing am Leben, und es überlief ihn bald siedend heiß, dann wieder eisig kalt. Der eiskalte Schweiß perlte ihm unter dem Tropenhelm hervor und fiel vor ihm und der Kleopatraschlange in den Sand und reizte das Reptil, das leise zu zischen begann. Bolko erwartete jeden Augenblick, daß sie zuschnappen würde. Er hätte sich nicht einmal mehr durch einen Sprung nach rückwärts retten können, die allergeringste Bewegung nur, und es war aus.

*

Der alte Saud-Pascha hatte seinen Lieblingssohn damals in der Nacht nach Loa Effims Besuch mit gemessener Freude begrüßt. Das, was er ihm vorzuhalten hatte als gläubiger Mohammedaner und Mekkapilger, endete mit den Sätzen: „Du bleibst hier, die letzten Seiten der Lebensbücher der Schuldigen schreibe ich.“ Und dann war er sofort nach Süden aufgebrochen, wo er überall Freunde unter den Stämmen der Maase-Araber hatte.

Rami gehorchte nicht. Rami war so voller Haß gegen Jana und Bolko, daß es ihn schwindelte, wenn er daran dachte, wie der Freund ihn betrogen und sogar niedergeschlagen und wie Jana ein noch falscheres Spiel mit ihm getrieben hatte, denn nie war vorher eine Silbe über ihre Lippen gekommen, daß sie Bolko kenne und daß er ihr erstes Opfer gewesen.

Der junge Rami war über dieser grausamen Enttäuschung, über dieser doppelten Enttäuschung und über seinen finsteren Racheplänen zum fertigen Manne geworden, der sich zu einem schnellen Entschluß aufraffte. Er mietete ein Flugzeug, war nachts in Kenneh, kaufte dort drei Dromedare und ritt allein gen Osten nach dem Djebel Fatireh, wo er kurz vor Jana eintraf und sich in den nahen Schluchten mit seinen Tieren verbarg und alles beobachtete, was sich hier abspielte.

Rami en Saud war als Jüngling auf Geheiß seines Vaters ein halbes Jahr bei einem Stamm der Maase-Beduinen gewesen, um dort alles zu lernen, was von einem echten Nomaden verlangt wurde: Reiten, Jagen, Zeltebauen und allerlei Kniffe, die sich von Generation zu Generation vererben. Seine Studienjahre in Europa hatten ihn nur wenig von alledem vergessen lassen, und weder die Wüste, noch das öde Gebirge besaßen für ihn irgendwelche Schrecken. Im Gegenteil, das, was er blutmäßig von seinem tollen Draufgänger von Vater geerbt hatte, erwachte sehr bald in dieser neuen, unkultivierten Umgebung zu neuem Leben, und er fand Gefallen daran, den Rächer seiner eigenen Ehre spielen zu dürfen.

So hatte er beobachtet, wie Bolko Jana am Grabe ihrer Eltern den Kranz hingereicht hatte, und ein Lächeln der Geringschätzung hatte dabei seine vollen Lippen umspielt. So sah er auch, wie Bolko die Geliebte verstohlen küßte, als er sie aus der Schlucht der Toten heraufholte. Auch da hatte er nur tiefste Verachtung für den Mann im Herzen, der, wie er selbst einst, ein blinder Sklave eines verderbten Geschöpfes geblieben, während er sich nun von Jana vollkommen frei gemacht hatte.

Daß er das neue Lager Bolkos dauernd umkreiste, wo Jana nun seit Tagen verwundet und krank in dem großen Zelte ruhte, daß er genau darüber unterrichtet war, daß Bolko bei Jana den Krankenpfleger und Arzt in der Verkleidung einer alten Beduinin spielte, und daß gerade dies ihm außerordentlich wichtig für seine Pläne schien, lag in den ganzen verworrenen Umständen und in den gegenseitigen Irrtümern, in denen die Mitwirkenden dieser großen Lebenstragödie befangen waren.

Er hatte längst den Entschluß gefaßt, Jana zu entführen und sie zur Strafe irgendwo eingesperrt zu halten, und dies lag ganz auf der Linie der Gepflogenheiten seiner Ahnen und seines Vaters, der auch so manchen Gegner einfach um die Ecke gebracht und über Gesetz und Recht nur immer gespottet hatte, obwohl er eines doch restlos anerkannte: Persönliche Unerschrockenheit!

Rami war eben in allem Sohn seines Vaters und Erbe auch des altorientalischen Brauches, die Wiederherstellung der verletzten eigenen Ehre keinem Fremden zu überlassen.

Als er aus verschiedenen Anzeichen entnommen hatte, daß Jana nun das Schlimmste überstanden habe, und als er Bolko aus dem Lager sich entfernen sah, glaubte er, seine Stunde sei nun gekommen. Er lag nach Dunkelwerden in der Nähe des Zeltes Janas im Geröll und war dann zunächst gänzlich verblüfft, als ein Zufall ihm zu Hilfe kam: Jana schlich allein von dannen, nachdem sie die Rückwand des Zeltes aufgeschlitzt hatte, um leichter entwischen zu können. Sie floh in ein Seitental hinein und erkletterte den Abhang, gelangte so in eine ihr völlig unbekannte Gegend und blieb stehen, um sich erst einmal zu orientieren.

Mit einem Male stand Rami vor ihr. Nicht mehr der Rami, der an der alten Thingstätte ihre Füße umklammert und vor ihr im Staube gelegen hatte, nein, ein neuer Rami, dessen Gesichtszüge im Mondlicht seltsam bedrohlich erschienen.

„Schweige!“, raunte er ihr zu. „Schweige, oder ich werde mit dir umspringen, wie du es noch nie erlebt hast!“

Daß es ihm bitterster Ernst war, das hörte Jana an seiner Stimme, das verriet ihr das Lodern in seinen Augen, aus denen sie ihr Geschick klar herauslesen konnte. Sie begriff, daß sie alle Macht über ihn verloren hatte, und sie stellte dies ohne Bedauern fest, denn die Zeiten waren vorbei, wo sie mit Männern wie mit Puppen freventlich gespielt hatte. Etwas ganz anderes ging ihr als größte Sorge durch den Sinn: Bolkos Sicherheit!

„Wo ist Bolko?“, fragte sie mit zitternder Stimme, in der die Angst um Lortz deutlich mitschwang. „Was hast du mit Lortz begonnen? – Antworte mir!“

Jetzt fand sie den herrischen Ton von einst wieder, aber nur im Interesse des Mannes, der ihr nun am allernächsten stand.

Rami musterte sie erstaunt, dieser Ton an ihr war ihm neu. Er betrachtete sie mit unsicheren Blicken und antwortete schließlich, doch wieder halb und halb in ihrem Bann, wenn auch von Liebe oder Begehren bei ihm keine Rede mehr war: „Hast du es denn wirklich nicht gemerkt, daß Bolko dich gesund gepflegt hat? Bolko war doch die alte Beduinin!“

Jana erstarrte. In ihrem Antlitz zeigte sich eine Röte der Scham, die ihr bis unter die blonden Stirnlöckchen stieg. In Sekunden wurde sie sich klar darüber, was diese Antwort besagte: Bolko hatte ihr alle Dienste einer Pflegerin geleistet, vor der man sich als Mädchen genau so wenig oder noch weniger zu schämen brauchte, wie vor einem Arzte! – Bolko als Pflegerin! Das war einfach unausdenkbar, das war eine Rücksichtslosigkeit von ihm, wie sie größer und unvornehmer gar nicht sein konnte, das war eine Verletzung ihrer Mädchenehre und eine schmachvolle Ausnutzung ihrer Hilflosigkeit!!

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann bitterlich zu weinen.

Rami stand verlegen dabei, und in ihm rührte sich ein neues Empfinden: Freundschaftliches Mitleid. Er suchte Jana zu trösten und berichtete schnell, daß es doch Bolko gewesen, der sie aus der Schlucht der Skelette herausgeholt hatte; er kam in Eifer und suchte Bolko zu verteidigen.

So wurde aus dem Hasser Rami der Verteidiger Rami, und Jana lauschte seinen Worten mit nur halbem Ohr und malte es sich immer wieder aus, daß sie bei dem kurzen Ringen auf ihrem Krankenlager mit der Beduinin jenes selbe seltsam erregende Empfinden gehabt hatte, daß sie damals in der Schonung neben der Chaussee zum ersten Male als Erwachen des Weibes richtig gedeutet hatte.

Aber ihre Tränen versiegten nicht, sie weinte still in sich hinein, und der Mann neben ihr fragte nun schüchtern, indem er ihre Hand ergriff und ganz sanft drückte: „Jana, liebst du ihn so sehr …?“

„Ich hasse ihn!“, stieß sie hervor. „Ich muß ihn ja hassen! Wie konnte er nur so an mir handeln!“

Rami war hellhörig geworden. In einem Punkte war er doch nicht der Sohn seines Vaters: Er hatte sich die Denkungsart der Europäer zu eigen gemacht, und die ging zartere Bahnen, als die der Orientalen, deren Achtung vor der Frau doch nur eine sehr bedingte ist. Er merkte, daß Jana ehrlich verliebt in Bolko war, und er sagte daher, nur damit ihre Tränen endlich versiegten: „Du fürchtest für ihn! Gestehe es nur ruhig ein – du fürchtest von meiner Seite Rachepläne!“ Er machte eine kurze Pause und überlegte. Dann sprach er wärmsten Tones weiter: „Jana, was zwischen uns gewesen, war nur, wie ich nun erkenne, auch für mich notwendiger Läuterungsprozeß. Ich war innerlich unreif, ich hätte als Mann rechtzeitig wissen müssen, daß du nur mit mir spieltest, ohne arge Absicht, denn ich kenne nun deine Vergangenheit und die näheren Umstände und den Charakter deines Vaters ganz genau. Jana, vielleicht ist es besser, daß ich als dein Freund dich darüber aufkläre, wie irrig deine übertriebene Anbetung der Erinnerungen an deinen Vater ist. Man soll von Toten nur Gutes reden – in diesem Falle ist dies unmöglich, schon deshalb unmöglich, weil nur die Wahrheit dich völlig heilen kann, und weil auch ich jetzt einzusehen beginne, daß Bolko doch wohl nicht aus schlechten Motiven heraus mir sein Verhältnis zu dir verschwiegen hat. Ich glaube auch nicht mehr daran, daß er mich im Parke niederschlug, wir können die Frage schnell klären: Was für einen Mantel trug Bolko damals nachts?“ Sie erwiderte völlig geistesabwesend, denn die Andeutungen über ihren Vater hielten ihre Gedanken in Bann: „Einen dunklen Regenmantel mit ganz großen Hornknöpfen.“

Rami nickte ernst. „Da sieht man wieder, wie vorsichtig man sein muß, wenn Verdächtigungen gegen jemanden ausgesprochen werden! Der Mann, der mich niederschlug, hatte eine Autokappe auf und eine Lederweste an.“

Jana schaute Rami flehend an. „Nun wirst du mir die Wahrheit über meinen Vater sagen, denn die Ungewißheit ist in diesem Falle schrecklicher, als die grausamste Wahrheit! Nimm keine Rücksicht auf mich! Bitte, sprich!“

Und er schilderte Kertner so, wie er gewesen, als einen Streber und Neidling ohne Hemmungen, als einen Ehemann, der nur das Geld des Fräulein von Lettburg für seine Pläne zur Gewinnung einer Professur hatte haben wollen, und den dann das Schicksal strafte – durch die Schlange der Kleopatra.

Jana stand gesenkten Kopfes da. Sie begriff nun unendlich vieles, was ihr bis dahin unbegreiflich: daß die Tarnte Vicky von ihr so angstvoll alles ferngehalten, was mit dem Lande der Pharaonen und mit den wahren Umständen des Todes ihrer Eltern zusammenhing. – Ihre Augen brannten von ungeweinten Tränen.

„Ich danke dir von Herzen, Rami!“, meinte sie leise. „Ich muß jetzt jedoch allein sein. Du wirst das begreifen. Wir sehen uns nachher im Kastell wieder. Zerstreue die Sorgen Tante Vickys und des lieben, alten Tim. Wir beide bleiben Freunde!“

„Und bessere denn je!“, und er beugte sich über ihre Hand und küßte sie und ging von dannen als ein neuer Mensch. –

Jana stieg aufs Geratewohl die Anhöhen hinan und wollte nur in dieser nächtlichen Einsamkeit mit sich und ihren Gedanken fertig werden, die nun schlimmer denn je ihrer Seele zusetzten. Es war unendlich schwer für sie, das Götzenbild des Vaters, das sie in ihrem Herzen stets angebetet hatte, all dessen zu entkleiden, was daran unwahrer Tand und Flitter gewesen. Ihr Vater war auch nur einer der Irrenden, unvollkommener als mancher andere.

Es war schwer, gewiß, aber Jana war gerecht, und nun vollendete sich auch an ihr jene notwendige Wandlung, die das Bild ihrer Mutter, dieser stillen Dulderin, in den Vordergrund rückte, wo es auch hingehörte.

Dann blieb sie plötzlich stehen.

Sie war von ungefähr auf eine mondhelle Terrasse mit weiter Fernsicht gelangt.

Dort saß Bolko im milden Mondeslicht. Alles von Scham und Empörung war vergessen. Dort saß jetzt für sie nur der Mann, den sie liebte. Sie flog auf ihn zu. An seinem Herzen war jetzt ihr Platz, dort konnte sie sich ausweinen, nur dort würde sie Trost finden.

„Bolko, Bolko, endlich!“ Doch da stutzte sie, da machte sie ebenso jäh halt.

„Zurück! Zurück!“

Seine Stimme klang ganz fremd, klang heiser und rauh!

Es lag etwas in dieser Stimme, das Jana wegscheuchte aus der Nähe dessen, der für sie noch vor Sekunden alles bedeutet hatte.

Sie wandte sich ab und entfloh wie gehetzt.

„Jana! Jana!“, Es war ein flehender, schnell ersterbender Zuruf …

Sie hörte nichts mehr.

Sie war zurückgewiesen von ihm in einer Stunde, als sie seiner mehr denn je bedurfte. Es war alles aus zwischen ihnen, alles – – für immer!

 

18. Kapitel.

Die Stunde der Erlösung.

Zwei Menschen lebten in der einsamen Schlucht hinter dem Kastell und führten ein Dasein, über dem noch immer wie eine düstere Wolke die Ungewißheit der Zukunft lagerte. Armin und Jana, die er als sein Weib betrachtet und die er doch nur als Schwester auch weiterhin behandelte, hielten sich voneinander fern, obwohl die Liebe sie zueinander drängte und sie beide heiße Sehnsucht empfanden, nunmehr als vielleicht doch Geläuterte nur eine Hütte zu beziehen und wieder wie einst unter der warmen ewigen Sonne dieses Landes als Liebende die Nächte herbeizusehnen und beim sanften Pfeifen der Erdschwalben und beim helleren Pfiff der Wüstenhasen und der Springmäuse sich aneinander zu schmiegen und in reiner Hingabe des Lebens Endzweck aller Gemeinsamkeit zwischen Weib und Mann zu erfüllen.

Sie wagten es nicht – zwischen ihnen stand als Scheidewand die Zukunft, und das hieß nichts anderes, als: die endgültige Befragung des Spiegels der Wahrheit!

Sie sprachen nie darüber, sie wichen diesem entscheidenden Augenblick selbst in Gedanken aus und verschanzten sich hinter all der Arbeit, die es zu leisten galt, um hier das nackte Leben zu fristen, nachdem die Wasserfluten des geborstenen Staudammes alles mit hinweggespült und verdorben hatten, was noch an Lebensmitteln vorhanden gewesen.

Jana härmte sich im stillen noch immer über den Verlust ihres Kindes und hatte täglich zwei Gräber zu schmücken, denn mehr durch einen Zufall hatte Armin in einer Felsritze an der Steilwand im Wadi drunten einmal die Leiche des Marius gefunden und dann auch die der Arminia, die durch die Schwere der Gesteinstrümmer in die Grotte hinabgeglitten war, die Armin bei seinen Befreiungsplänen hatte benutzen wollen. Das Ehepaar Marius und Arminia wurden gleichfalls in dem Jupitertempel beigesetzt und in einem gemeinsamen Grabe. Wenige Meter weiter ruhte das Kind, das nicht leben durfte, damit späterhin andere Kinder lebten, an denen kein Makel haftete.

Armin hatte stets damit gerechnet, daß einmal vom Nil her Römer erscheinen würden, um festzustellen, weshalb niemals mehr die Transporte der Porphyrsäulen und -blöcke an der Verladestelle für die Nilschiffe einträfen. Aus diesem Grunde hatte er die beiden Hütten so versteckt aufgebaut, daß Jana und er vor jeder Überraschung sicher wären.

Was er vorausgesehen, traf ein: Eines Tages hallte das Kastell von Waffengeklirr und von Menschenstimmen wieder, und eine neue Anzahl Sklaven war eingetroffen und auch neue Soldaten, – man suchte das Kastell wieder herzustellen und fand auch die geschmückten Gräber, und hielt Ausschau nach denen, die dies getan haben mochten.

Armin hatte festgestellt, daß die meisten der neuen Damnati Germanen waren, und daß man ihnen hier erst die Ketten und die Kugeln anschmieden wollte. Es waren ihm fremde blonde Männer von größerem Wuchs, als er selbst, mit dunkleren Augen und von sehr stolzer Haltung, die ihre Peiniger nur mit Verachtung straften.

Dann aber sah er ein, daß er mit Jana hier nicht länger bleiben könnte, weil die Römer unablässig nach denen suchten, die der Katastrophe des Kastells entronnen waren. Spät abends verlud er all ihre Habe auf die beiden Pferde und entfloh mit Jana zum einzigen sicheren und ganz versteckt gelegenen Platze, den es hier gab, zum Tempel der Kleopatra.

Jetzt, da eine zwingende Notwendigkeit vorlag, die Liebesstätte der letzten Königin aus dem Geschlecht der Ptolemäer wieder aufzusuchen, erblickte er darin eine Fügung der Götter und eine verheißungsvolle Vorbedeutung, jetzt nahte, das fühlte er selbst, die Stunde, wo es sich herausstellen sollte, ob die Sagen seines Volkes über die Wunderkraft der gefrorenen Eisspiegel zuträfen oder nicht. –

Er lud den beiden Pferden die Lasten wieder ab, und Jana richtete derweil die beiden Räume her, die dicht neben dem Eingang lagen.

Das Schlafzimmer der Kleopatra und das Bad vermieden sie beide, zumal Armin sofort wieder aufbrechen wollte, um seine Landsleute zu befreien, bevor ihnen die Fußketten angeschmiedet würden. Er küßte Jana zum Abschied und hielt sie länger und inbrünstiger als sonst in den Armen und konnte sich gar nicht von ihr trennen. Auch sie umschlang ihn mit einer Leidenschaft, wie seit langem nicht und flehte ihn an, sie nicht allein zu lassen, da sie Böses vorausahne.

Sie weinte an seiner Brust und winkte ihm lange nach, bis er auf seinem Braunen in der Finsternis der wolkigen, gewitterschwülen Nacht verschwunden war. Dann lehnte sie mit aufgelöstem Blondhaar an der Tür und schickte ihre heißen Gebete zum Gott Janus empor, auf daß er alles zum besten führe und ihren Gatten gesund und erfolgreich zurückkehren ließe.

Und wie sie so zu dem Gewölk emporschaute und das Leuchten gewahrte, das über die Schwärze des flatternden Wettermantels Odins hinglitt, faßte sie auch diese Lichterscheinung als günstiges Zeichen auf, und eine Zuversicht überkam sie, daß sie ohne Zaudern nun die brennende Öllampe ergriff und sich in das Schlafgemach der Königin begab und hier das Bett beiseite rückte und die Drehtür öffnete, nachdem sie sich das Mosaikbild des Liebespaares und Götterpaares Isis und Osiris nochmals angeschaut hatte – und dann stieg sie die Treppe hinab, vermied die letzte Stufe und hielt die Lampe ganz hoch und sah den Spiegel des Magiers. Sie nahm ihn in die Hand und zauderte nicht mehr – in ihr war eine Gewißheit, die sie mit Seligkeit erfüllte.

Sie hauchte den Spiegel an, und wartete ohne Herzklopfen, nur wieder mit dem leisen Gebet auf den Lippen, Gott Janus möge mit ihr, der ersten weiblichen Jana von Djebel Fatireh, Erbarmen haben.

Und der reine Hauch ihres reinen Leibes bildete nur noch das Bild des Kopfes der Kleopatra, und es schien Jana, als ob die unselige Königin schmerzlich lächelte, weil ihr ein so anderes Los beschieden gewesen.

Jana legte den Spiegel ganz zart beiseite und setzte sich auf das Ruhebett, das schon einmal ihre Verzweiflung gesehen hatte, und weinte leise, aber ihr Antlitz strahlte in einer überirdischen Freude.

Sie war entsühnt.

Die Vergangenheit war tot wie das Kind, das nicht leben durfte, damit andere wahrhaft lebten.

Armin schlich durch die Grotte vom Jupitertempel aus in das Kastell hinein und wartete, bis das Gewitter näher gekommen und der Regen die Wachtfeuer ausgelöscht hatte, und er es wagen durfte, an die Sklaven heranzukriechen. Diese waren immer zu zweien mit Stricken aneinander gefesselt, und zwar so grausam, daß sie nicht liegen und nicht stehen konnten. Viele von ihnen waren ohne Bewußtsein nach dem mühsamen Marsch durch die Wüste und von der sengenden Hitze.

Der Befehlshaber der Soldaten, ein Bruder jenes Avito, der hier durch die Wasserwoge den Tod gefunden hatte, war noch grausamer und hatte geschworen, wenn er die fände, die der Katastrophe entgangen und nun geflüchtet seien, würde er sie an den Sonnenfelsen schmieden und dort verrecken lassen, – und gerade als Armin nun zwischen dem Geröll neben den Sklaven lag, erschien der neue Chiliarch bei seinen Opfern und ließ durch die Wachen die niederstoßen, die in ihren Fesseln die Besinnung verloren hatten.

Armin war in dem Gedanken hierher gekommen, die Römer zu schonen und jedes Blutbad zu vermeiden. Sein Sinn wurde wieder hart, als er machtlos mitansehen mußte, wie die Unglücklichen niedergemetzelt wurden und wie die vertierten Soldaten sich mühten, ihre Opfer zu wecken und sie dann erst hinzumorden.

Der Regen strömte noch stärker herab, und die Blitze zuckten unaufhörlich über den Himmel hinweg. Armin zerschnitt die Stricke und flüsterte den Germanen zu, die an Zahl den Römern zehnfach überlegen waren, was sie nachher tun sollten.

Jana war wieder nach oben gegangen und hatte droben in dem zweiten Gemach, das sie mit ihrem Gatten bewohnen wollte, eine Bettstatt für sie beide hergerichtet und hatte dabei verträumt gelächelt und Armin herbeigesehnt, damit auch er vernähme, daß sie nun wieder Mann und Frau sein dürften und daß nichts mehr zwischen ihnen stünde als Hindernis zum neuen geläuterten Glück.

Sie schichtete die Decken aufeinander, und sie wußte mit aller Gewißheit, daß Armin nichts zustoßen würde. Sie bereitete nachher ein reiches Abendessen, denn ihr Gatte hatte unterwegs zwei Hasen mit dem Schleuderholz erlegt, das in ähnlicher Form, von den alten Ägyptern stammend, bei den wilden Stämmen des Innern Australiens noch heute benutzt wird.

Inzwischen hatte der Regen in diesem Teile des Gebirges völlig aufgehört, und die Mondsichel war erschienen und überstrahlte die feuchten Felsen und die Pfützen am Boden, und all diese Seltenheit, da hier einmal im Djebel Fatireh etwas Nässe das Gestein bedeckte, – doch auch das war von kürzester Dauer, und die in den Felsen und Steinen tagsüber angesammelte Hitze ließ die Feuchtigkeit im Umsehen wieder verdunsten, und nur die bescheidenen Pflänzchen dieser Einöden erfreuten sich einer Erquickung, die ihnen wieder vielleicht für Monate neue Lebenskraft geben mußte.

Jana wartete. Sie wartete mit aller Zuversicht und Sehnsucht und wurde nicht enttäuscht. Fackeln loderten auf und näherten sich, und der Hufschlag von Pferden kam näher. Armins Jagdruf ertönte und meldete ihr das Gelingen des Wagnisses. Zehn Reiter außer Armin waren es, und darunter vier Römer, die man auf ihre Rosse gebunden hatte. Armin sprengte nun voraus, und Jana flog ihm entgegen und sank ihm in die Arme und weinte und lachte in einem Atem, und dann flüsterte sie ihm schalkhaft zu, welche Vorbereitungen sie für die Nacht getroffen habe und was der Spiegel verkündete.

Armin aber drückte sie an sich und sagte nur: „Ich wußte es. Es mußte erst ein zwingender Anlaß vorhanden sein, den Spiegel zu befragen!“

Er wurde sehr ernst. „Der Spiegel soll nun auch über das Geschick der vier Römer entscheiden. Alle vier behaupten, sie befolgten bei all ihren Grausamkeiten nur die Befehle ihrer Vorgesetzten – wenn dem so wäre, dann würde der Spiegel sie freisprechen! Hole ihn herbei!“

Die Gefangenen bestanden die Probe nicht, – am deutlichsten zeigte sich der Januskopf bei dem Chiliarchen Avito, dem Bruder des ersten Avito, der sich so sehr um Janas Gunst bemüht hatte.

Die Germanen, die nun wieder frei waren, hörten schweigend und finster und stolz die weiteren Vorschläge Armins mit an. Es waren Westgoten von der Donau, und wenig später hatte ihr König Alarich Rom für die Germanen erobert und ward nachher feierlich bei Fackelschein im Flusse Busento begraben.

Als erster mußte Avito die Treppe zum Badegemach der Kleopatra hinabsteigen, denn Armin wollte nun feststellen, was geschehen würde, wenn jemand die Stufen hinabginge, ohne zu wissen, daß er die letzte Stufe vermeiden müßte. Sterben sollten die Römer auf jeden Fall, die Westgoten verlangten es so, und da war es gleichgültig, wie sie stürben, falls dort in der Tiefe der murmelnden Wasser wirklich das Verhängnis lauerte.

Avito schritt nur zögernd abwärts und machte auf der letzten Stufe halt oder wollte dort haltmachen – wollte! – Denn sobald er sie betreten hatte, versank die halbe Treppe, oder genauer, sie kippte um und schleuderte Avito in ein Wasserbecken, in dem, wie das Fackellicht den Zuschauern zeigte, die Leiche eines Ägypters ohne alle Spuren von Verwesung umherschwamm.

Avito stieß einen gellenden Schrei aus, und dann kippte die Treppe wieder zurück, und die Westgoten holten den zweiten Römer herbei …

Als alles vorüber, und als die Germanen wieder nach dem Kastell zurückgeritten waren, um sofort nach dem Nil zu eilen und die dort noch befindlichen Gefangenen zu befreien und die Römer zu verjagen und sich irgendwo als freie Männer anzusiedeln, da erklärte Jana, daß sie vor den Toten drunten im Wasserbecken ein namenloses Grauen empfände und daß man sofort ein Zelt errichten solle und darin übernachten – und so geschah es auch.

In diesem Zelte ward der Sohn des Armin und der Jana empfangen in einer Nacht heißer Liebe, der nachher Janus getauft wurde. Aber das geschah erst zu einer Zeit, als das Ehepaar bereits den Djebel Fatireh verlassen und gen Osten mit ihren Pferden gewandert war, wie dies Janas Wunsch gewesen am nächsten Morgen, denn Jana liebte diese Gegend nicht mehr und fürchtete auch, die Römer könnten hier nochmals auftauchen, eine Angst, die überflüssig war.

Armin jedoch erfüllte den Willen seines Weibes, und mit den beiden Pferden und allem Hausrat wandten sie sich gen Osten und wanderten wie einst Joseph und Maria immer nach Osten durch den Djebel Arabi viele Wochen und machten erst halt, als sie eines frühen Morgens in der Ferne das Rote Meer erblickten und tief unter sich eine Reihe fast weißer Felsen und mitten darin eine Oase und eine sprudelnde Quelle.

Es war ein wunderhübsches Landschaftsbild, und sie beschlossen, da nirgends etwas von Bewohnern zu merken war, hier in der einsamen Oase sich niederzulassen und erwarteten den Sonnenaufgang und ein Zeichen des Himmels, daß ihr Vorhaben den Göttern wohlgefällig sei.

Als die Sonne über den Fluten des Roten Meeres auftauchte, standen sie eng umschlungen da und harrten und hofften, und siehe da: In dieser Minute spürte Jana zum ersten Male, daß unter ihrem Herzen neues Leben sich rege und daß jene selige Nacht nach dem erlösenden Spruch des Zauberspiegels vom Gotte Janus, dem Schützer der Mütter, gesegnet worden.

Jana legte die Arme um ihres Mannes Hals und küßte ihn und vertraute ihm das zarte Geheimnis mit strahlenden Augen an.

Armin erwiderte ihre Liebkosungen mit der Behutsamkeit des innigen Gatten, der nun weiß, daß seines Weibes Leib neue Frucht trage, und dann stiegen sie hinab in die Täler und begaben sich frohgemut zur Oase und bauten neue Hütten und wohnten an derselben Stelle, an der etwa zwei Jahrhunderte später der heilige Antonius das erste christliche Kloster gründete.

Umgeben von einer Schar kräftiger Kinder lebten Jana und Armin an dieser Stelle noch viele glückliche Jahre, bis der älteste der Söhne, der ein Seefahrer geworden, sie mit sich nahm in die germanische Heimat und zur fernen Bernsteinküste, die heute ostpreußisches Samland heißt, – hier gründeten sie die erste Niederlassung dicht am Meere und beschlossen ihre Tage in Glück und Zufriedenheit.

Das waren die Schicksale der ersten blonden Jana von Djebel Fatireh, und –, was wurde aus dem Tempel der Kleopatra und aus dem Zauberspiegel?

Jahrhunderte lag der Liebestempel der Königin vergessen in der Bergwildnis. Niemand fand ihn, niemand suchte ihn, bis eines Tages Beduinen das versteckte Tal entdeckten und den Tempel völlig ausplünderten.

Nur eins fanden sie nicht: den Zugang zu dem Badegemach und den Spiegel, denn diesen hatte Jana unter einen Steinbalken des Daches geschoben, ohne daß der Spiegel von ihr, der Reinen, wieder angehaucht worden war, – mithin enthielt er noch das Janusbild, das der vierte der verurteilten Römer durch seinen verpesteten Odem darauf hervorgerufen hatte.

 

19. Kapitel.

Loa Effim und der andere Rami.

„Halt’ er das Maul, er alter Wüstling!!“, fauchte jemand im rosigen Lichte der scheidenden Sonne den armen Tim äußerst grob an.

Timchen war verzweifelt.

„Aber beim heiligen Moses, es ist ein Pascha!“, versicherte er nochmals und blickte scheu zu dem schmierigen Beduinen hinüber, der diesem Meinungsstreit über seine Person nicht folgen konnte. „Gnädiges Fräulein können mir glauben“, fügte Tim noch kleinlauter hinzu, „es ist der berühmte Mekka-Pascha, und er hat nur noch auf den Baron Bolko eine Wut im Leibe und …“

„Ich glaube ihm rein gar nichts mehr!“, fuhr ihm Vicky von Lettburg in die Parade. „Wer hier in Kairo als mein Beauftragter sich derart benimmt, daß dabei zum Schluß so ’n schwarzer Bankert herauskommt, der verdient Prügel!! Merk’ er sich das! Und was seinen Freund, den Mekka-Pascha angeht, so kann der meinetwegen auch Mazze-Pascha oder sonst was sein, aussehen tut er jedenfalls wie ein Strauchdieb oder sonst ein finsterer Halunke!!“

Mit einem Ruck wandte sie sich dem Schmierfink von Araber zu und musterte ihn von oben bis unten und fragte jetzt in englischer Sprache: „Also nun zum letzten Male, wer ist er? – Aber keine Schwindeleien! Ich bin schon mit ganz anderen Gaunern fertig geworden, wie er einer ist! Was hat er hier mit seinem braunen Lumpengesindel im Kastell zu suchen, – he?!“

Diesmal verstand der ehrwürdige Saud jedes Wort, und er war zunächst wieder nur verblüfft – genau wie damals über Timchens ungeheure Frechheit – –

Er starrte die weißhaarige Dame eine Weile entgeistert an und erwiderte dann mit einer bezeichnenden Handbewegung auf seine zahlreichen Begleiter, die noch nicht von den Dromedaren gestiegen waren und die zumindest merkwürdige Szene beobachteten: „Allah verdamme mich, weil ich gezwungen bin, die verhaßteste aller Sprachen zu gebrauchen!“ Er richtete sich höher auf, und sein Gesicht bekam einen Ausdruck, der seinen löcherigen Haik und seinen fleckigen Turban Lügen straften. In diesen Zügen lag nun etwas so eindrucksvoll Gebietendes, daß das Fräulein von Lettburg nicht gerade stutzig wurde, nein, das wäre zuviel gesagt gewesen, denn sie hatte in Wirklichkeit nie gezweifelt, den Pascha Saud vor sich zu haben, sie hätte sich nur eher die Zunge abgebissen, als zugegeben, was dieser alte verliebte und betrogene Narr von Uhlenhut schon bei dem Pascha erreicht hatte, daß Jana nämlich ganz aus dem Spiel bliebe. Das hätte nur noch gefehlt, daß Tim sich auf seine diplomatischen Künste etwas einbildete! Außerdem befand sie sich auch in einer Stimmung, die man nur als allgemeingefährlich bezeichnen konnte.

Jana war gestern abend mit zwei Ababde davongeritten, und von diesen Leuten war bisher keiner zurückgekehrt, und Jana ebensowenig. Sie sorgte sich nicht gerade um das Mädel, denn sie kannte ihr Adoptivkind ja, doch der Gedanke, der Pascha könne seine Drohungen gegen Bolko wahrmachen, war ihr höchst unsympathisch, da sie derweil Loa Effim hier wieder begegnet war und diese ihr weiter noch anvertraut hatte, daß nur Bolko der Mann sei, der Jana vollständig zu kurieren vermöge, und daß Lortz den kleinen Trotzkopf schon kirre bekommen würde. Wovon Vicky innerlich nun auch überzeugt war.

Die humorvolle Auseinandersetzung zwischen ihr und Seiner Padischah-Exzellenz nahm ihren Fortgang, indem der hohe Herr drohend erklärte: „Hier befehle ich, Miß! Hier befinden wir uns in einer Gegend, wo nur der Stärkere etwas zu sagen hat, und der bin ich, – ein Wink von mir, und meine Leute werden euch hinauswerfen oder euch …“ – wahrscheinlich wollte er mit Köpfen oder Aufhängen oder sonstigen Erinnerungen an seine glorreiche Zeit der Miß mit dem weißen Haar und dem braunen, frischen Gesicht imponieren.

Da kam er gründlich an die Unrechte …

Das Fräulein Vicky von Lettburg lachte so schallend, als hätte hier ein Possenreißer ausnahmsweise einen wirklich guten Witz gemacht –

„Wie – er und mich hinauswerfen, er alter spaßiger Kakadu!! Mich?! Er – – mich?! Da, lese er mal, was hier geschrieben und unterstempelt steht!!“

Sie zog aus ihrem hellgrauen Seidenstaubmantel eine Urkunde mit einem daran baumelnden Siegel hervor und hielt es Seiner Exzellenz so dicht unter die farbenfrohe Nase, daß das Siegel an dem blauen Seidenbande ihm hin und her schlenkernd an die Nasenspitze stieß und Exzellenz zurückweichen mußten.

Immerhin hatten Exzellenz doch sofort erkannt, daß es sich um das Siegel Seiner Majestät des Königs von Ägypten handele, und wenn der Mekka-Pascha auch nicht gerade vor Hochachtung vor seinem Monarchen erstarb, da dieser ihm viel zu schlapp vorging und es noch immer duldete, daß die verd… Engländer hier so eine Art geheime Kontrolle ausübten, so besaß er doch anderseits genügend Respekt vor dem Nachfolger des letzten energischen Chediven, um das Siegel durch eine allerdings sehr mäßige Verneigung zu grüßen und dann seine Brille hervorzuholen und die Urkunde zu lesen, die besagte, daß die Miß Vicky von Lettburg im vorigen Jahre die Ruinen des Kastells durch Vermittlung des deutschen Generalkonsulats für hunderttausend Piaster erworben habe und dazu einen Landstreifen rings um die Ruinen in einer Breite von fünfhundert Metern, mit der ausdrücklichen Erlaubnis, die beiden Gräber dort nach Belieben pflegen und ihre Eigentumsrechte jedem gegenüber geltend machen zu dürfen, der sie daran hinderte oder widerrechtlich sich dort gegen ihren Willen aufhielte.

Saud-Pascha rückte nach der ihm recht peinlichen Lektüre dieses unanfechtbaren Besitztitels die Brille etwas herab, schielte über den Brillenrand die Fremde grimmig an und überlegte dabei, ob er es trotzdem riskieren dürfe, gegen diese Urkunde zu handeln.

Seine Augen begegneten denen der streitbaren Dame, und er las in ihren Blicken eine so warnende Entschlossenheit, daß er es doch besser nicht auf eine Stichprobe ankommen lassen wollte, wer hier der Stärkere sei, denn mit einer Deutschen, die soviel Geld hatte, war das so eine Sache! Jedenfalls befand er sich in einem scheußlichen Dilemma, und dies um so mehr, weil seine alten Leute von ihm doch sicherlich irgendein Machtwort erwarteten, das die Ferengi von hier wegwiese. Ekelhafte Geschichte!!

Und dazu noch dieser neue Freund von ihm, dieser Tim, dem er versprochen hatte, dafür zu sorgen, daß die Mirjam mit den zehntausend Mark wieder herausrücke, weil nun doch einwandfrei feststand, daß der Vater des Bankerts ein pechschwarzer Steuermann eines der Nildampfer gewesen, was Mirjam unter Tränen zugegeben hatte. Ekelhafte Umstände, die man hier machen mußte! Was nur tun, um sein Ansehen vor seinen Beduinen zu bewahren?!

Und da kam ihm ein genialer Gedanke.

Er setzte ihn sofort in die Tat um und der Erfolg war geradezu haarsträubend.

*

Als Rami sich von Jana droben in den zerklüfteten Bergterrassen, die sich über Bolkos Lagerplatz allmählich bis zu den höchsten Kuppen auftürmten, nach der entscheidenden Aussprache getrennt hatte, war er für alle Fälle hinter der nächsten Felsengruppe stehen geblieben, da er es doch nicht für ratsam hielt, das Mädchen hier in der Bergeinsamkeit allein zu lassen.

Seine Beurteilung des Charakters Janas hatte sich in voller Übereinstimmung mit der eigenen geistigen Umstellung gänzlich geändert. Von seinem aufs genauste unterrichteten Vater war er ja über jede Kleinigkeit, die Janas Eltern betrafen, sorgfältig aufgeklärt worden, dies allerdings in einer Art, die ihn zunächst noch nicht zu der Erkenntnis führte, daß die Tochter eines Doktor Kertners an Unzulänglichkeiten und Mängeln leiden müsse, für die sie kaum die Verantwortung trüge.

Diese Einsicht über die verborgenen Zusammenhänge zwischen den Fehlern naher Blutsverwandter kam ihm erst vorhin, und aus Rami, dem Rächer, ward Rami, der warme Verteidiger des ehemaligen Freundes Bolko.

Rami selbst nahm dies ohne weiteres eigenes Nachdenken als etwas Schicksalgewolltes hin, dafür war er ja Mohammedaner, Fatalist, – nur ein Staubkorn also im Weltgeschehen, das vom Willen Allahs hierhin oder dorthin geweht wurde, ohne Selbstbestimmungsrecht. Und wie sehr er an dem Glauben der Väter hing, hatte er erfahren, als er Jana zuliebe sich einst dazu durchgerungen hatte, seine Religion zu wechseln – gegen seine Überzeugung, gegen sein tiefinnerstes Gefühl.

Heute sah er in dieser Verirrung nur noch eine gottgewollte Prüfung.

Wie sollte er, der fanatische Moslem und Nachkomme freier Beduinen und stolzer Araber, je zu einer geistigen Gemeinschaft mit einer Frau wie Jana gelangen, die doch auf ihr Europäerblut genauso stolz war wie er auf seine Ahnen aus jenen Zeiten, da seine Vorfahren bis Spanien vorgedrungen waren und das ganze Mittelmeer beherrscht hatten. Wie lange war es denn her, daß weiße Sklaven in den nordafrikanischen Barbareskenstaaten zu Abertausenden die niedersten Arbeiten hatten verrichten müssen? Kaum achtzig Jahre!

Nein, Weiß und Farbig ergab keine Mischung von Wert, wenn die Verhältnisse so lagen wie bei Jana und ihm, Weiß und Farbig, darauf schwor sein alter Vater, brachte nur die Grundfehler beider Farben zur stärkeren Entwicklung und hinderte eine Veredlung des Blutes.

Der Mond warf einen Schatten neben Ramis Schatten, und dann stand Loa Effim vor ihm.

„Allah sei mit dir, Freund Rami“, grüßte sie vertraulich und streckte ihm die Hand hin, und die war weich und warm und durchpulst von dem Feuer eines Blutes, das dem seinen verwandt. „Auch ich habe mich hier als Beschützerin derer eingefunden“, fügte sie freimütig hinzu, „die von uns Schutz verlangen dürfen. Was du dem Mädchen sagtest, hätte ich ihr nicht klarer vor Augen führen können – ich freute mich, daß du wie ein Weiser gesprochen hast, wie einer, der überwunden hat. Wir alle gehen einmal den falschen Weg, und auch ich hatte mein Herz mit Träumen erfüllt, die unerfüllbar blieben, denn – ich verschenke mich nicht für Stunden und habe es nie getan!

Sie blickte an ihm vorüber zur Mondsichel empor, und ihre Augen hatten den tiefen, geheimnisvollen Glanz und das Sehnsuchtsleuchten jener schwarzen Diamanten, die Saud-Pascha einst in den glorreichen Zeiten beschlagnahmt und dann ihr geschenkt hatte.

„Nein, ich verschenke mich nie!“, wiederholte sie leiser und warf den rassigen Kopf mit der herrischen Bewegung der bewußten Vollnatur in den Nacken, als ob sie etwas endgültig abschüttelte, das ihr nur noch als karge Überbleibsel eines von ihr selbst zerfaserten Gewandes anhaftete. „Ich spielte Dirnen und Intrigantinnen im Film und lächelte insgeheim, denn ich spielte mich nie selbst. Das war meine größte Kunst, mich nie selbst zu spielen, – hätte ich es getan, ich wäre nie berühmt geworden. Das alles liegt nun hinter mir, ich werde nie mehr nach Europa zurückkehren. Was Europa mir schenkte, bleibt unvergessen: Es gab mir den Anstoß zur Überprüfung meiner Anschauungen über Fragen, die mich als Frau etwas angehen. Unsere Vielweiberei ist rückständig und wirkt zersetzend auf das eigene Wertempfinden eines Weibes, das den Gatten mit anderen teilen soll. Ich bleibe hier, aber ich werde nie heiraten, mag das Blut mir auch noch so sehnsüchtig durch die Adern brausen. Das hat mir Europa geschenkt, mehr nicht, doch es ist genug, übergenug, es ist ein Gewinn für eine Frau, die auf sich selbst etwas hält!“

Rami lauschte, und es war ihm, als spräche er selber seine ureigensten Gedanken aus. Er betrachtete noch andächtiger ihr Gesicht, und ihn überkam es wie ein großes Staunen, daß er bisher, blind gemacht durch die unerreichbare Illusion, die da Jana hieß, niemals für Loa ein Auge gehabt hatte, die er doch bei Bolko so genau kennengelernt hatte, freilich ohne zu ahnen, daß sie seines Vaters Vertraute seit langer Zeit war und seine Wächterin.

Er beobachtete den tiefen Glanz ihrer zum Firmament emporgerichteten Augen und sah den halb geöffneten üppigen Mund und stellte sich vor, wie dieser nie geküßte Mund unter heißen Zärtlichkeiten erblühen müßte, und ein ganz flüchtiges Erinnern zog ihm durch den Sinn an die Lippen der deutschen Jana, denen die Kälte der Ablehnung und Verweigerung entströmt war.

Im Zauber dieser warmen Tropennacht, wo ringsum das nächtliche Leben seiner Heimat sich regte und in allerlei verschwommenen oder scharfen, jähen Tönen der jagenden Raubtiere sich kundtat und doch die sanfte Grundstimmung dieser mondhellen Einsamkeit nicht störte, die von dem dahinhuschenden zarten Pfeifen der Nachtschwalben zärtlich erfüllt war. In dieser seltenen Stunde der Einkehr und der wahren Erkenntnisse keimte in ihm ein neues Gefühl auf. Es überfiel ihn nicht mit dem Wesen des Sturmwindes einer vielleicht jäh aufflammenden Leidenschaft – es war ganz etwas anderes, es war ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit Loa, das den gleichen Anschauungen über die Ehe und deren wahren Sinn nach europäischen Begriffen zum Teil entsprang, zum größeren Teile aber der Sehnsucht nach einem ihm geistig nahestehenden Weibe, das ihm die Gewißheit der engsten Gemeinschaft in allen Dingen garantierte.

Ein kleiner hellgelber Fennek, ein Wüstenfüchslein, huschte vorüber, und hinterher jagte ein zweites dieser langohrigen, bescheidenen und zierlichen Geschöpfe. Liebesjagd, dachte Rami, und seine Hand tastete nach Loas Hand, und Loa duldete es, daß er ihre Finger in seine beiden Hände nahm und streichelte. Sie blieben stumm, alle beide, aber in diesem Schweigen lag bereits der Gleichklang zweier Herzen, die bisher aneinander vorüberirrten und doch – Fatum! – für einander bestimmt gewesen nach Allahs Willen.

*

Bolko hatte gerufen. Hatte gerufen, damit Jana der Schlange fernbliebe, er hatte gesehen, daß Jana ihn mit Augen anschaute, in denen die Verzweiflung vorwurfsvoll aufleuchtete, nachdem in den Gesichtszügen die Enttäuschung sehr schnell verebbt und von dem stärkeren und hoffnungsloseren Empfinden verdrängt war.

Bolko ahnte die Ursachen dieser Flucht Janas und dieses besinnungslosen Davonstürmens – Jana wußte ja nichts von der Kleopatra-Natter und von der Gefahr, in der er schwebte – geschwebt hatte, denn als er nun herniederblickte zu seinen Füßen, war die Stelle, wo das Reptil gelegen und ihn ständig bedroht hatte, leer. Janas Erscheinen war seine Rettung geworden.

Er sprang empor. Kostbare Minuten hatte er versäumt, Jana war längst außer Sicht, aber er mußte sie finden, er mußte sie aufklären, und es mußte nun endlich zur Entscheidung zwischen ihnen kommen.

Er eilte von dannen. Ein peinigendes Bild verließ ihn nicht: der Ausdruck in Janas Antlitz, dieser verstörte, enttäuschte und verzweifelte Ausdruck. Er hatte Jana scheinbar brüsk von sich gewiesen, und – – sie kannte die schwerwiegenden Gründe nicht, sie mußte sich da aus ihrer aufgescheuchten Gedankenflut gerade nur wieder das Ungünstigste als erkältende Wahrscheinlichkeit herausgesucht haben, und in dem Zustande traute er ihr alle Torheiten zu.

Angst packte ihn wie noch nie bisher. Er rief nach Jana mit der vollen Kraft seiner Lungen, aber er vernahm nur sein eigenes Echo in den Bergen als Antwort. Er erkletterte eine Kuppe und hielt Ausschau, er rief nochmals, und da bekam er Antwort: „Bolko, Bolko, hierher!!“

Aber es war so bestimmt Loas Stimme, daß er nur sehr zögernd hinabstieg zu den beiden, die ihn nun mit Fragen bestürmten. Er erklärte hastig, was geschehen, und er berichtete ehrlich und mit den Ausdrücken ernstester Selbstvorwürfe von Janas Verzweiflung über seinen zurückweisenden Anruf.

Rami preßte ihm mitfühlend die Hand. „Bolko, unter diesen Umständen darf ich nichts verhehlen. Ich habe Jana über den wahren Charakter ihres Vaters aufgeklärt, um Ihnen, mein Freund, zu nützen, und doch ist alles zum Nachteil ausgeschlagen. Suchen wir Jana zunächst im Kastell. Beeilen wir uns. Loa kann derweil mit Schniefke Ihre Maase-Leute in kleine Gruppen einteilen und diese für alle Fälle durch die Täler schicken!“

*

Saud-Pascha war ein einfach genialer Gedanke gekommen. Er setzte ihn auch sofort in die Tat um, und der Erfolg war haarsträubend.

Seine alten Verbündeten bei so manchem Willkürakt sollten nicht enttäuscht werden.

Er reckte sich noch stolzer empor, und sein Gesicht nahm den Ausdruck erhabener Würde an. Mit einer hoheitsvollen Handbewegung reichte er Vicky die Urkunde zurück, reckte dann den rechten Arm aus und beschrieb damit einen Kreis um das Kastell.

„Der Wille meines Königs ist mein Wille“, erklärte er mit einer erneuten, sehr mäßigen Verneigung. „Ihr tapferen Krieger der Maase-Araber, höret meine Entscheidung! Reitet zurück bis auf eine Entfernung von fünfhundert Metern von den Ruinen und schließt einen Kreis um sie!“ Dann hob er die Stimme und fügte so laut hinzu, daß sogar Mirjam drüben im Zelt ihn verstehen konnte, wo die raffinierte Zofe Loas sich aufhielt.

„Wer über diesen Kreis sich hinauswagt, wird erschossen, denn ich vertrete hier die Rechte meines neuen Freundes Mr. Tim Uhlenhut, der von Mirjam schändlich betrogen ist, da das Kind, das dort im Zelte greint und schreit, niemals das des alten Mr. Tim sein kann, und da ich dafür im Sinne der Gerechtigkeit zu sorgen habe, daß das Geld an Mr. Tim zurückgezahlt werde!!“

Der Pascha schwitzte förmlich nach dieser Glanzleistung im Englischen, anderseits schaute er Vicky nun herausfordernd an, denn nach seiner Meinung hatte er einen vorzüglichen Grund gefunden, sich hier doch so etwas als Tyrann aufzuspielen, obwohl er nachher seinen Leuten erst den Inhalt seiner erhabenen Entscheidung vortragen und übersetzen mußte, da sie nicht genügend Englisch verstanden, um seinen Geistesblitz voll würdigen zu können.

Das Fräulein von Lettburg, überall für äußerst schlagfertig bekannt, war nicht einen Augenblick außer Fassung geraten. Heimlich lachte sie über die Gerissenheit des Paschas, der sich auf diese Manier zum Hüter der Gerechtigkeit aufwerfen wollte. Die Idee an sich war nicht schlecht, das gab sie zu, aber es paßte ihr gar nicht, das der geknickte Ersatzvater des schwarzen Säuglings, der mit einer wahren Jammermiene dabei stand und dessen Englisch nur gerade hingereicht hatte, die Hauptpunkte des genialen Einfalls des Paschas zu verstehen, nun doch hier eine wichtige Rolle als Gläubiger der Zofe Loas spielen sollte.

Uhlenhut hatte zwar bei ihr völlig an Ansehen eingebüßt, denn ein über sechzig Jahre alter Mann, der plötzlich von dem harmlosen Pfefferminzschnaps abkommt und ausgerechnet durch Absinth seine Zurechnungsfähigkeit so weit gefährdet, daß er hinterher nicht einmal weiß, ob er diese Mirjam wirklich nach Hause begleitet, das war doch überhaupt kein Mann, das war ein ausgewachsenes Kamel. In dieser Weise hatte sie schon einmal zu Uhlenhut gesprochen, und Timchen hatte dabei ein unglaubliches Schafsgesicht gemacht und nur gestöhnt: „Ich schwöre beim heiligen Moses – ich weiß wirklich nicht, ob ich im Rinnstein oder bei Mirjam war –, aufgewacht bin ich im Rinnstein, das steht fest“, und dieser Tim sollte jetzt hier mit seinen Ersatzansprüchen im Mittelpunkt der Geschehnisse stehen – ausgeschlossen!

Was tat Vicky also? – Was mußte der Pascha zu seiner tiefinnersten Genugtuung beobachten?! Das Fräulein von Lettburg zog die schlimmste Waffe, die es je auf Erden gegeben hat, seit neben den eigentlichen Mordinstrumenten etwas Ähnliches die Bewohner der Welt zu den niederträchtigsten Gemeinheiten verführte …

Sie zog ihr Scheckbuch und fragte Tim mit einem vernichtenden Blick:

„Wieviel verlangt er alter Absinthsäufer?“

Dann schraubte sie ihren Füllfederhalter auf und wartete auf Uhlenhuts Antwort.

Der Pascha flüsterte seinem neuen Freunde Tim eiligst zu:

„Zwanzigtausend!!“

Und Tim, der sich nun gerade genug über seine verehrte Herrin geärgert hatte und der sich hier abermals vor all diesen braunen Kaffern gröblichst bloßgestellt sah, erwiderte frech und schadenfroh, denn auch er wollte einmal das Gefühl des Triumphes auskosten dürfen:

„Fünfundzwanzigtausend!! Zehntausend Mark Verlust, zehntausend Mark Schadensersatz wegen mir zugefügter Beleidigungen, und fünftausend Mark Kommissionsgebühr für meinen Freund, den Pascha!“

Was Tim bisher in seinem ganzen Leben noch nicht widerfahren, denn Vicky war mit ihren Anerkennungen weit sparsamer, als mit ihren Verweisen, dies geschah nun an dieser denkwürdigen Stätte uralter Kultur und römischer Barbarei und Grausamkeit.

Nur einen Moment war das Fräulein von Lettburg platt über Tims märchenhafte Frechheit. Im nächsten Augenblick erkannte sie seine Gerissenheit und auch sein Recht auf Entschädigung wegen der ihm zugefügten Injurien durchaus an, denn sie hatte dem treuen Alten wirklich etwas arg mitgespielt, sie zückte ihren Füllfederhalter und schrieb den Scheck aus und sagte dabei: „Er hat wieder in meiner Achtung gewonnen, Tim. Er ist doch kein Kamel, sondern ein ganz gerissener Lump!!“ Und dann wollte sie den Scheck ihrem braven Uhlenhut überreichen.

Da griff eine große, braune Hand zu, und eine tiefe Baßstimme erklärte:

„Im Namen des Königs, beschlagnahmt für die ägyptische Staatskasse als Kaution für die Außerhaftlassung der Betrügerin Mirjam …“

Der Scheck verschwand blitzschnell in der Tasche seines Haik, und dann lächelte er Vicky verbindlichst an und fügte als wahrer Pascha großmütig hinzu:

„Auch dem Mr. Bolko ist nunmehr verziehen. Allah segne ihn und euch alle!“

Das Fräulein von Lettburg und ihr treuer Tim vermochten vor Verblüffung nur die Augen aufzureißen.

Aber auch das half nichts. Den Scheck sahen sie niemals wieder, denn was der Mekka-Pascha einmal hatte, das hatte er.

 

Ausklang.

Des Zauberspiegels letzter Spruch.

Bolko und Rami jagten auf den besten Reitdromedaren zum Kastell, um nachzufragen, ob Jana dort eingetroffen sei. Sie fanden die ganze Reisegesellschaft in sehr trüber Stimmung um ein Lagerfeuer versammelt, und der neueste Freund des Fräuleins von Lettburg, der Mazze-Pascha, hatte diese soeben wärmstens getröstet und darauf erneut hingewiesen, daß Jana sich schon von selbst wieder einfinden würde, weiteres Suchen hätte keinen Zweck, da bereits alles Menschenmögliche getan sei, das Mädchen wiederzufinden.

In diesem Augenblick trafen zwei eilige Reiter ein. – –

Vicky flog sofort auf Bolko zu, als sie ihn erkannt hatte.

„Herr von Lortz, wo ist Jana? – Wie, auch Sie wissen nichts?! Aber Jana ist doch schon drei Tage abwesend, und …“

Bolko war aus dem Sattel geglitten und stand blaß und verstört vor ihr … „Ich bin an allem schuld – nur ich!!“ Er erzählte fliegenden Atems, und Rami gab dann einige ergänzende Erklärungen ab. Daß die beiden Ababde, die Jana damals nachts begleitet hatten, nicht zurückgekehrt waren, wollte nichts besagen, da sie ein so reichliches Trinkgeld für ihre Auskunft über Janas Sturz in den Vorhof der Hölle erhalten hatten, daß sie sicherlich in ihr Dorf zurückgekehrt waren, zumal sie noch drei Dromedare bei sich hatten – für sie ein Reichtum.

Nachdem nun alles, was inzwischen geschehen, gründlich geklärt worden, organisierte der Mekka-Pascha persönlich die neue Suche nach Jana, nur Bolko versteifte sich darauf, Jana könnte derweil an seinem Lagerplatz sich eingefunden haben und wollte, als alle anderen diese Möglichkeit verneinten, auf eigene Faust nach ihr suchen.

Insgeheim quälte ihn unablässig der Gedanke, Jana könnte beim Umherirren im Gebirge zufällig auf den Kleopatra-Tempel stoßen und dann die Treppe des Todes womöglich betreten und in der Tiefe versinken. Eine innere Stimme sagte ihm, daß ihr irgendwie Gefahr drohe und daß sie seiner bedürfe, und diese Angst verstärkte sich noch, als die nächtliche Schwüle nun immer drückender wurde und der bis dahin klare Himmel sich schwarz überzog und in der Ferne das erste Wetterleuchten und dumpfe Grollen ein schweres Gewitter ankündeten, und als auch auffallend zahlreiche Vogelschwärme dem Nil mit lautem Krächzen und Kreischen zustrebten. Sogar die Ababde- und die Maase-Beduinen verrieten eine gewisse Unruhe und sattelten ihre Tiere und wollten in die Wüste hinab, um nicht hier in den unheimlichen Bergen von einer Naturkatastrophe überrascht zu werden.

Bolko ritt davon. Er begriff selbst nicht recht, was in ihm vorging, er ließ sich doch durch plötzliche Stimmungen sonst nicht derart beeinflussen. Wie ein Träumender ritt er dahin, und nur dem trefflichen Bischarin-Dromedar war es zuzuschreiben, daß er wirklich in kürzester Zeit in seinem Lager anlangte, wo er den kleinen, emsigen Gelehrten Schniefke noch immer bei Lampenlicht bei der Arbeit antraf.

Der zwergenhafte Ägyptenliebhaber blickte von seiner Schreiberei auf. Vor ihm lagen die Aufzeichnungen des armen, in geistiger Umnachtung gestorbenen Oskar von Lettburg und eine Menge bekritzeltes Papier.

„Jana ist nicht im Kastell“, keuchte Bolko und ärgerte sich über die Gleichgültigkeit seines winzigen Freundes.

Es war nicht Gleichgültigkeit, es war etwas viel Ernsteres. Schniefke besaß eine so vielseitige Bildung, daß er die bedrohlichen Anzeichen des nahenden Unwetters richtiger deutete, als Lortz, der an ein einfaches Gewitter glaubte. Aber die Scharen von Vögeln aller Art, die fluchtartig die Berge verließen, und ebenso die Eile, mit der das vierfüßige Getier, sogar die Mäuse und Springmäuse der flachen Wüste gen Westen zueilten, und dies mit allen Anzeichen der panikartigen Furcht, hatten Schniefke längst an ähnliche Vorgänge erinnert, die er einmal in Südamerika erlebt hatte.

Südamerika ist das Land, wo die Erdrinde nie völlig zur Ruhe kommt und die Erdbeben mit am häufigsten sind, – er hütete sich aber, Bolko seine Befürchtungen mitzuteilen, um den verängstigten Mann nicht noch mehr zu beunruhigen. Im Gegenteil, er sprach ihm Mut zu und riet ihm, als Bolko von seinen ungewissen Vermutungen über Janas zufälliges Abirren zum Kleopatra-Tempel einige Andeutungen machte, dieser inneren Stimme zu gehorchen und sich dorthin zu begeben.

„Wollen Sie mich verhöhnen, wie soll ich den Weg finden?!“ rief Bolko gereizt.

Der kleine Weise erwiderte gelassen: „Wir haben bei Jana die Aufzeichnungen Oskar von Lettburgs gefunden, und ich habe soeben mir die kleine Mühe gemacht und die Stellen, die in Geheimschrift geschrieben sind, und die die echten, unverfälschten Wegmarken enthalten, zu entziffern.“ Dann reichte er Lortz einen Zettel und sagte nur noch: „Nehmen Sie Karbidlaternen und etwas Proviant mit, man kann nie wissen, was geschieht.“

Bolko beugte sich gerührt tief aus dem Sattel herab und drückte ihm stumm, aber mit einer Kraft die Hand zum Dank, daß der kleine Herr später noch eine ganze Weile seine zierlichen Finger massieren mußte, denn Bolko hatte sie ihm fast zerquetscht. Da war Lortz aber längst in dem finsterstem Talwinkel verschwunden und ließ sein Tier noch kräftiger ausgreifen.

*

Jana war zunächst blindlings davongestürmt, ohne Gedanken, ohne bestimmte Absicht, ohne eigenen Willen fast. Sie lief die Terrassen hinab, erkletterte eine neue Anhöhe, eilte einen schmalen Felsengrat entlang und sah sich plötzlich in einer ganz anderen Umgebung.

Vor ihr lag ein langes, flaches Tal mit einer Talsohle, so glatt wie eine Tenne, und auf dieser Tenne, deren Farbe genauso hell und fast weiß war wie die Granithöhen ringsum, wuchs spärliches, aber für den Djebel Fatireh doch beinahe üppiges Gras und dazu einige Dattelpalmen und Mimosen und Sträucher, deren Äste wie Weidenruten so dünn und so blattlos waren. Auch das nächtliche Tierleben war hier reichhaltiger, und Jana erblickte neben friedlich äsenden Hasen und nach Mäusen wühlenden Fenneks auch einige überschlanke Gazellen, die mit ihrem Fell vom Talboden am wenigsten sich abhoben. Gerade ein Gazellenpärchen war es, das Janas wirre oder unstete Gedanken wieder zwangsläufig zu logischer Übersichtlichkeit brachte, da die zierlichen Tiere bei ihren Spielen soviel Anmut entwickelten, daß Jana dadurch immer mehr gefesselt wurde und allmählich auf diese Weise auch sich selbst wieder in die Gegenwart gleichsam mit einschaltete.

Ihre Augen wandten sich von dem Bilde des Pärchens mit einem unmerklichen Seufzer ab und glitten bewußt in die jüngste Vergangenheit und riefen sich selbstquälerisch die Einzelheiten ihres Wiedersehens mit Bolko droben auf der einsamen Terrasse zurück.

Aber sie war nun, da sie ruhiger geworden, nicht mehr geneigt, ihrem vorschnellen Urteil über Bolkos Zuruf und dessen Bedeutung ohne strengste Prüfung zu trauen. Sie hatte mit ihrer Voreiligkeit doch schon zu schlechte Erfahrungen gemacht, sie war ja nicht mehr das Mädchen von einst, das so felsenfest von ihrer Unfehlbarkeit überzeugt war.

Die Jana von einst war nun doch tot. Sie überlegte alles, was geschehen und was ihr nun erst durch Ramis aufklärende Worte über ihren Vater in völlig verändertem Lichte erschien. Sie überlegte sehr genau und ohne jedes überflüssiges Gefühl mädchenhafter Scham auch Bolkos Pflegerdienste an ihrem Krankenlager, und sie gelangte auch hierüber zu einer ganz anderen Ansicht als bisher: Es unterlag für sie keinem Zweifel mehr, daß Bolko ihre Pflege niemandem sonst hatte überlassen wollen.

Mit einem Male setzte sie in aller Eile ihren Weg aufs Geratewohl fort. Jetzt trieb die Reue sie vorwärts. Unaufhaltsam stürmten die Erinnerungen an früher auf sie ein. Sie konnte und wollte diese endgültige Abrechnung mit sich selbst nicht verhindern, sie vergegenwärtigte sich den Beginn ihrer Bekanntschaft mit Bolko und ihres schamlosen Eigennutzes, der in dem reichen Herrn von Lortz nur ein Mittel gesehen hatte, ihre Nachforschungen nach der Wahrheit über ihre Eltern zu fördern. Sie sah auch Rami vor sich auf den Knien liegen und betteln um ein wenig Freundschaft, und sie hatte genau so wenig vergessen, daß Bolko sie aus dem Auto und aus der Gewalt der fremden Männer befreit und hinterher geküßt und … das Weib in ihr geweckt hatte, ohne alle Nebengedanken – aus Liebe, aus Leidenschaft … Und sie?! Wie schnitt sie bei diesem Vergleich zwischen ihren von einem so jungen Mädel wie sie genarrten und getäuschten Verehrern und ihr selbst ab?!

Auf ihrem Blatte der Schuld reihte sich eine Unbegreiflichkeit an die andere Unbegreiflichkeit, – war es wirklich nur das?! Wollte sie etwa in dieser Stunde sich selbst noch belügen und zu entschuldigen versuchen?! Durfte sie etwa für sich die Unzulänglichkeit im Charakterbilde des Vaters ins Treffen führen und damit auf einen Toten die Verantwortung feige abwälzen?!

„Niemals!“, rief sie ganz laut und blieb abermals stehen und schaute sich ganz verstört um.

Wie lange sie so, ohne auf ihre Umgebung zu achten und ohne sich um die auffallenden Vorgänge am Himmel und in den Tälern und Schluchten zu kümmern, dahingeeilt war, sie wußte es nicht. Zeit und Raum und Naturgeschehen waren für Jana zusammengeschmolzen zu einer grausamen inneren Erkenntnis:

Daß alles, was sie begangen, nur der Ausfluß ihres ureigensten Wesens und als Schuld so riesengroß war, daß sie es nie wagen durfte, etwa an Bolko als an den Mann zu denken, den sie liebte! – Sie war seiner nicht wert, sie war eine Ausgestoßene aus der Gemeinschaft derer, die ein Anrecht auf Leben und Liebe haben!

Es war ein grauenhaftes Erwachen für Jana und ein schreckvolles Sehen.

Sie stand mitten auf einer Felsenbrücke über einem Abgrunde, – um sie her war Finsternis, nur zuweilen zerteilt durch den Schein von feurigen Schlangen, die aus der Schwärze des Firmaments herabzuckten und wieder in dem Dunkel des Nichts dieser bedrückenden Finsternis verschwanden – wie verschlungen von einem noch stärkeren Drachen, der unten auf der Erde im Djebel Fatireh lauerte und sich sättigte an diesem leuchtenden Gewürm und triumphierend brüllte, wenn er wieder eine der zuckenden und eiligen Nattern erwischt hatte. Der Donner rollte in den Bergen mit unheimlicher Stärke, er war das Geheul des Untieres hier vor Jana, rund um Jana, das Untier war überall und … sie stand auf einer schmalen Felsenbrücke, ähnlich der, die im Bogen über den Vorhof zur Hölle führte.

Aber es war eine andere Umwelt und eine andere Landschaft und anders gestaltete Zacken. Jana atmete auf. Sie blickte zum Himmel empor und schloß geblendet die Augen, – – das war soeben kein einzelner Blitz gewesen, das war ein Bündel von Schlangen und ein Gebrüll des gefräßigen Drachens, als sollte das Firmament sich spalten und alle Sterne auf die Erde herabfallen.

Fielen sie nicht bereits wirklich…?!

Bebte nicht der Steinboden der natürlichen Brücke, als wäre ein schwerer Felsklotz aufgeprallt?

Jetzt spürte sie es ganz deutlich: die Brücke schwang hin und her wie – wie – eine Hängematte! Da stürzte sie vorwärts, rannte durch einen engen Kanon mit himmelhohen Wänden und wieder entlud sich eine neue Anzahl von Blitzen und zeigte ihr unmittelbar vor sich einen Bau aus Felsenquadern, die rot schimmerten wie der Porphyr aus den Steinbrüchen am ehemaligen Mons Porphyrites.

Jana stand gelähmt. Sie erkannte: Es war das, was sie gesucht hatte in freventlichem Ehrgeiz! Es war der Tempel der Kleopatra – da waren die schmalen Fensterschlitze, da war die einzige Türöffnung, das war …

Und da rissen ihre Gedanken jäh ab, zerschnitten mitten in der Erkenntnis, daß das Schicksal ihr nun so höhnisch das geschenkt habe als Zufallsgeschenk, das sie erjagt und erhofft und erkämpft hatte mit jedem nur erdenklichen Sinnen, Trachten und mit Plänen, die schamlos gewesen waren für ein so junges Weib wie sie.

Zerschnitten ward ihre Gedankenkette durch einen Riesenstein, der von droben herabsauste und dem andere folgten, weil die Bergkuppen zu wanken und zu taumeln begannen wie Trunkene.

Jana, gepackt von einer Todesangst, die den Trieb zum Leben in sich barg, den Selbsterhaltungstrieb als das Mächtigste neben der Liebe im Menschengemüt! Jana eilte in den Tempel hinein, und dicht hinter ihr schlug eine Steinlawine gegen das Gemäuer, aber es hielt, es war wie für die Ewigkeit gebaut.

Mit einem leisen, wehen Schrei sank Jana in das Geröll und suchte ihr jagendes Herz zu beruhigen, dabei stützte sie sich auf die Steine, um sich etwas aufzurichten, und ihre rechte Hand sank zwischen ein paar längliche Felsbalken, die vor endlosen Zeiten einmal beim Einsturz des Daches sich hier aufgeschichtet hatten, und ihre Finger berührten etwas Glattes und Kühles – wie Metall.

Sie holte den Gegenstand hervor …

Neue Lohe flammte vom Himmel …

Jana erkannte den Spiegel des persischen Magiers, von dem in den uralten Papyrusblättern die Rede gewesen …

Sie ließ mit einem gellenden Schrei den Spiegel fallen und sprang auf. Die Lohe war längst wieder erloschen …

Sie begann nachzusinnen. Eine ganz schwache Hoffnung regte sich in ihr. Sie bückte sich, suchte nach dem Spiegel und rieb die Metallseite mit einem Zipfel ihres Gewandes blank und wartete auf die nächste elektrische Entladung.

Aber wieder prasselte von den wankenden Bergen ein Steinhagel herab, unter dessen Stößen die dicken Mauern erbebten. Da überkam Jana abermals das Zagen und die Ungewißheit, ob ihre einfache Reue genüge, sie zu entsühnen. Sie legte mit einem schmerzlichen Seufzer des Verzichts den Spiegel auf den Vorsprung der einen Wandnische und blickte traurig hinaus in die Finsternis und lauschte den kläglichen Tönen der Tiere, die draußen irgendwo vor dem Steinhagel Deckung suchten.

Ein Füchslein huschte an ihr vorüber in den Tempel und schmiegte sich in seiner Todesangst an ihre Füße. Sie bückte sich und streichelte das Tierchen und freute sich, daß sie, gerade sie, hier einem Geschöpf Trost spenden konnte. Dann kam die nächste Folge feuriger Schlangen herniedergesaust, und Bolko stand vor ihr.

„Jana – endlich – Jana –, ich habe dich gefunden!!“

Sein Freudenruf wurde übertönt von dem Grollen des Donners und von dem Anprall neuer Lawinen der taumelnden Berge.

Jana war zurückgewichen. „Rühre mich nicht an! Rühre mich nicht an!!“

Was sie noch hinzufügte, entging ihm, da gerade eine ganze Geröllhalde herabrutschte und die Mauern wie unter Trommelwirbeln dröhnten.

Bolko zündete rasch die beiden Karbidlaternen an und stellte sie so, daß ihr Licht auch Jana traf, denn in der Finsternis konnte er ihr nicht das sagen, was gesagt sein mußte.

Das weiße, kalte Licht ergoß sich über die Gesichter zweier Menschen, die einen Weg nach Golgatha gegangen und nun an der Stätte der wahren Einkehr – wie vor zweitausend Jahren die römische Jana und der Teutone Armin! – die letzten trennenden Schranken niederreißen sollten.

Die Naturgewalten draußen schwiegen für Minuten. Es war, als hielten sogar die Dämonen der Tiefe für eine Weile den Atem an, um nicht störend einzugreifen in diese allerletzte Entscheidung über das fernere Geschick zweier Menschen.

Bolko schaute das Mädchen, das seine Schicksalsnorne geworden, stumm und in stillem Vorwurf an. –

„Jana, ich habe nicht verstanden, was du deinen ersten Sätzen noch hinzufügtest“, sagte er sehr weich und bittend. „Wiederhole, was du noch sprachst, denn in dieser Stunde kommt es auf jede Silbe an, jedes Wort kann, wenn wieder mißverstanden wie unsere Handlungen, zum beiderseitigen Verhängnis werden. Scheue dich nicht, so zu reden, wie dir im Herzen zumute, – daß ich dich liebe und daß ich selbst nur ein armer, irrender Mensch in vielem war, gestehe ich offen ein, ich, als der ältere, hätte mit dir weit mehr Verständnis haben sollen, – daß ich es nicht hatte, stellt meine größte Schuld dar.“

Jana lauschte gesenkten Kopfes und sog seine Worte in sich ein wie den Lufthauch einer erfrischenden Morgenbrise, die einen wundervollen Tag verheißt. Aber das Zagen in ihr war noch geblieben und hatte sich noch verstärkt. Es erschien ihr anmaßend und überhebend, etwa zu hoffen, ihr wäre wirklich bereits verziehen. Sie war kleinmütig und zu bescheiden, sie war in all ihrer Demut die neue Jana, und gerade dieses Zagen stellte den Beweis dar für die Wahrhaftigkeit ihrer Läuterung. Bolkos Worte hatten beglückend und doch auch so tief niederdrückend gewirkt – ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie horchte noch immer andächtig dem Widerhall dieser Worte in ihrer von Zweifeln und Ungewißheit zermürbten Seele. Dann raffte sie sich auf und entgegnete mit einem unmerklichen Seufzer, doch auch wieder laut und überzeugt von dem, was sie als Urteil über sich selbst fällte:

„Ich bin deiner nicht wert, Bolko, ich habe es in dieser Nacht erkannt. Ich bin eine Verfemte, Kind eines Mannes, der voller –“, Da schwieg sie, es erschien ihr unpassend und als neue Verirrung, etwa ihren Vater mithineinzuziehen in diese allerletzte Entscheidung, und hastiger schloß sie mit dem Hinweis auf eine ferne Vergangenheit:

„In Oskar von Lettburgs Aufzeichnungen finden sich Andeutungen auf Grund alter Handschriften über einen Zauberspiegel mit Elfenbeingriff, der, wenn er angehaucht wird, den untrüglichen Beweis erbringen soll, daß …“ –

„Ich weiß“, sagte Bolko fast zu ungläubig und gleichgültig. Jana aber war nun in Eifer geraten und nahm den Spiegel zur Hand …

… und warf einen scheuen und bangen und flüchtigen Blick auf ihren Gefährten …

„Glaubst du an Märchen, Jana?!“, sagte der Mann gedämpft, und doch hörte jeder heraus, daß auch er nunmehr hoffte.

Der nun von Janas Atem getrübte Spiegel formte den Hauch zu einem Kopfe einer Frau von verführerischer Schönheit.

Das Mädchen zitterte. Ihre Augen hafteten nicht auf dem Kopfe der Königin, sondern auf einem leeren Punkte über dem Zauberbilde, – doch die Stelle blieb leer, und das Mädchen wandte sich dem Manne zu und öffnete die Lippen mit einem Lächeln der Liebe und der Hingabe, und aus ihren Zügen war alles wie weggewischt, was bis vor kurzem noch äußeres Zeichen ihrer unseligen Wesensart geblieben.

Das Mädchen fühlte sich umfangen und ließ den Spiegel zu Boden gleiten und bot dem Manne willig die Lippen.

Dann machte sie sich frei aus seinen festen, schützenden Armen und behielt nur seine Hände in ihren schlanken Fingern und sagte sanft und doch triumphierend:

„Ich wußte es, – der Januskopf würde nicht erscheinen … Ich hatte es herbeigewünscht mit all der Kraft meiner Liebe, die mich längst zu dir hintrieb …!“

Sie hielten sich fest bei den Händen und horchten.

Draußen war alles still geworden. Die Natur hatte ihren Kampf gegen das Liebesnest der Kleopatra aufgegeben, und der Mond leuchtete friedlich vom ausgestirnten Firmament herab.

Als Bolko nun aber nach dem Zauberspiegel sich bückte, fand er ihn nicht mehr. Im Steinboden des Gemaches klaffte eine handbreite Spalte, und der Spiegel war hineingeglitten und kam nie wieder zum Vorschein.

Bolko nahm die eine Laterne und ließ sie durch die Spalte an einer Leine in die Finsternis hinab.

Drunten leuchtete Wasser auf. Er beugte sich noch tiefer hinab und erblickte zu seinem Schrecken das Schillern von Wasser und einige Tote, die auf der Oberfläche umherschwammen und so frisch aussahen, als wären sie soeben ertrunken. Da begriff er, worüber der Vater Vickys von Lettburg sich so entsetzt hatte, daß er den Verstand verloren hatte: der unterirdische Fluß, der dort ein Becken füllte und dann wieder irgendwo in den Tiefen des Erdinnern verschwand, war eines jener stark salzhaltigen Gewässer, wie sie im Djebel Fatireh hier und da zutage treten und die keinen Körper verwesen lassen.

Was er drunten an Toten geschaut, waren der Tracht nach Römer aus jener Epoche, in der am Mons Porphyrites die Steinbrüche für die Prunkbauten in dem bereits zum Zerfall verurteilten Rom das Material hatten liefern müssen.

Er erhob sich wieder, zog die Laterne empor und legte Jana den Arm um die Schultern und führte sie still hinaus in den grauenden Morgen und in das verwüstete Tal, wo am östlichen Ausgang hinter dem Kanon nun die natürliche Steinbrücke eingestürzt war und die Schlucht darunter sich mit Geröll bis obenan gefüllt hatte, so daß der Zugang zum Tale der Kleopatra sehr leicht zu finden war.

Es schien, als ob die Naturgewalten auch dies beabsichtigt hätten: der Tempel der Liebe war entsühnt, er sollte fernerhin jedem offenstehen als eine Stätte der inneren Einkehr und Läuterung. – –

*

Die Sonne stieg aus dem Dunst des Horizontes empor als matte Scheibe. Jana und Bolko standen eng umschlungen auf der höchsten Kuppe in der Nähe des Tales und sahen zu, wie das Tagesgestirn an Kraft gewann und seine erwärmenden Strahlen in den Äther hinausschossen und gen Westen sich ausbreiteten – dorthin, wo die ferne deutsche Heimat zu suchen war.

Sonnenschein des Sonnenlandes der Pharaonen lag auf den Gesichtern des glücklichen Paares und blinkte auf den Goldmünzen, auf ihren uralten Talismanen, die jedes von ihnen auf der Brust trug und nun hervorgezogen hatte und gleichfalls dem ersten Schimmer des neuen Tages und des neuen Daseins preisgab. Die bärtigen Gesichter der beiden Janusköpfe schienen zu lächeln, aber noch seliger leuchtete das Antlitz der deutschen Jana, des letzten der blonden Janushäupter vom Djebel Fatireh. –

Bolko nahm Jana abermals in die Arme und preßte sie an sich und küßte sie.

Auch die deutsche Jana, die zweitausend Jahre nach ihrer Vorgängerin und Schicksalsgefährtin lebte, war nun erlöst und fühlte unter des Geliebten heißen Zärtlichkeiten die ganze Seligkeit der neuen Jana, die nun Weib geworden und nicht mehr den Empfindungen nachspürte und sie kritisch zerfaserte wie einst … In berauschender Trunkenheit gab sie sich den Liebkosungen des Mannes hin, der nun auch selbst wieder der sonnige Bolko von einst geworden war.

 

Ende.

 

 

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Was den Arbeiteten dieses Autors den eigenen Reiz gibt, ist das einzigartige Erleben seiner handelnden Personen und die Schilderungen ihrer Umgebung. Ob die Handlungen auf tropischen Südsee-Inseln, ob im Inneren Afrikas oder an den Stätten der Zivilisation spielen, stets nehmen die Schilderungen von Land und Leuten den Leser gefangen und reißen ihn mitten hinein in ein wildes, abenteuerliches Erleben, um ihn aber bald wieder mit unendlich zartem Empfinden teilnehmen zu lassen an Freud und Leid.

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Anmerkung der Redaktion:

  1. ↑* Die hier angeführten Einzelheiten über die Steinbrüche am Porphyrites und über das Kastell sowie die rein wissenschaftlichen Angaben entstammen den Werken der Ägyptenforscher Prof. Dr. Georg Schweinfurth und G. Wilkinson sowie Ch. Floyer und anderer. Der Verfasser war bemüht, den Lesern ein geschichtlich echtes Bild des traurigen Loses der „Damnati in metallum“ und jener Epoche überhaupt zu liefern.

 

 

Anmerkungen:

  1. Siehe hierzu auch Eine verlassene Wüstenstadt von Georg Schweinfurth, erschienen in: Die Gartenlaube, 1885, Heft 40, S. 650–653 und Georg Schweinfurth: Afrikanisches Skizzenbuch – Kapitel 10: Eine römische Wüstenstadt und die Steinbrüche am Mons Claudianus.
  2. Siehe auch Wikipedia: Prokrustes.
  3. Absinth / Absynth – Beide Schreibweisen vorhanden, alles auf Absinth geändert.
  4. Kleopatra-Tempel / Kleopatratempel – Beide Schreibweisen vorhanden, alles auf Kleopatra-Tempel geändert.
  5. Georg Schweinfurth: Afrikanisches Skizzenbuch – Kapitel 9: Die Entdeckung des »Schweinfurth-Tempels« am Möris-See.
  6. Kleopatranatter / Kleopatra-Natter – Beide Schreibweisen vorhanden, alles auf Kleopatra-Natter geändert.