Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 5 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1929 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
Alles, was das Leben mir schenkte, waren nur Seifenblasen. Es schenkte mir Liebe, Glück, Freiheit. Von den dreien blieb mir nur die Freiheit. Es schenkte mir Coy Cala, den Treuesten der Treuen: Er starb – für mich.
Und jetzt hat dieses grausame Leben mir auch den einzigen Begleiter auf dieser Fahrt ins Ungewisse geraubt, meinen Hund …
Nur ein Hund.
Ja – ein Hund. – Vom Hunde, den du Köter nennst, lern’ eines, lern’ die Treue.
Eine heimtückische Woge trug meinen vierbeinigen Freund davon, ich hörte im Donnern und Toben der Wellen noch sein letztes schnell ersterbendes Heulen. Und nun bin ich ganz allein.
Die erhabene Einsamkeit des Meeres ist um mich her, und über mir leuchtet das Kreuz des Südens, funkeln Milliarden von Sternen. Millionen Menschen gibt es auf dieser Erde, die sich so unendlich wichtig tut, diese kleine Erde, doch nur ein mäßiger Planet, ein Nichts im Weltall. Aber die Menschen, die sie bewohnen, dünken sich noch weit wichtiger, blähen sich auf in rosaroten Hoffnungen, Wünschen und verdächtig selbstlosem Gehabe. Coy blähte sich niemals auf, und mein Hund war die Bescheidenheit selbst.
Die bitteren Gedanken fliegen mir zu wie die wilden, müden Seevögel, die sich auf den Bimssteinklippen meiner schwimmenden, künstlichen Insel zur Ruhe niederlassen und empört wieder davonflattern, wenn ich mein Eiland tauchen lasse, sobald etwa ein Dampfer in Sicht kommt.
Die Einsamkeit bedrückt mich.
Es ist Mitternacht, und fast drei Monate sind verstrichen seit jenem Tage, an dem der Orkan die Ankerketten meines seltsamen Heimes sprengte. Es war das Paradies der Enterbten, dieses Eiland aus Stahl und Bimsstein, diese Insel, die ich jederzeit verschwinden lassen kann. Dann treibt sie genau zwanzig Meter unter der Meeresoberfläche, und über mir gleiten Dampfer und Segler hinweg, und durch die dicken Fenster glotzen wunderbare Fische neugierig auf meinen Schreibtisch.
Es ist Mitternacht, und ich bin ganz allein.
Unruhe ist in meinem Blut.
Ich sehne mich nach Menschen, und ich belüge mich selbst und rede mir ein, daß ich mich nicht sehne. Wir sind uns selbst gegenüber die ärgsten Betrüger. –
Drei Monate …
Wohin mögen die unberechenbaren Strömungen mich entführt haben?! Ich habe ferne Inselgestade gesehen, ich habe dreimal nachts starke Stöße verspürt, – dann wird meine Insel mit einer echten Insel Billard gespielt haben. – Ich habe Schiffe gesehen, und ich habe sie genarrt. Sie haben den Kurs geändert, die Menschen auf ihnen hofften ein neues Eiland entdeckt zu haben, – – und das Eiland versank vor ihren Augen. – Einmal begegnete ich einem Wrack mit gekappten Masten. Es taumelte hin und her, und es war keine lebende Seele an Bord. Da habe ich mir aus der Kajüte des Kapitäns ein Paket englischer Zeitungen mitgenommen. Das war vor einer Woche. Ich habe die Zeitungen gelesen, und die Welt und das bunte Leben, das ich so gründlich verachte, – sie griffen nach mir mit gehässigen Fingern und haben mir die Sehnsucht ins Blut gegossen wie Gift.
Ich bin so allein. Und es ist Nacht, und über mir leuchten Milliarden Sterne, und von all den vielen Millionen Erdbewohnern ist nicht ein einziger so einsam wie ich. Was das Leben mir schenkte, waren Seifenblasen … Sie zerplatzten, sie zeigten mir schillernde Bilder … Und alles zerrann in nichts.
Der Dreimaster kam aus Melbourne, Australien, kleinster, fünfter Kontinent. Der Dreimaster wurde ein Wrack, und das Wrack brachte mir die Zeitungen. Und Zeitungen sind eng zusammengedrängtes Leben, sind wie ein Gigant, in dem das Dasein in schwarzen, bedruckten Adern und Arterien pulsiert. Menschenschicksale, Völkergeschicke enthüllen sie, und ich habe an alledem keinen Anteil, für mich ist alles, alles nur leeres Wortgeklapper wie das ferne, ferne Geräusch einer Schreibmaschine: Man hört die Tasten anschlagen, man weiß, daß sich dort Buchstabe an Buchstabe reiht und daß das Geschriebene wohl einen Sinn haben muß.
Ich stehe außerhalb dieser Welt. Ich stehe an einem der Bimssteinfelsen meiner Küste und blicke in die milchige Dämmerung der Nacht und bin allein mit meinem Sehnen.
Wenn mir nur der Hund geblieben wäre! Wenn ich nur einen der flüchtigen scheuen Vögel mir fangen und zähmen könnte mit unendlicher Geduld und Güte – wie die Zuchthäusler, die eine Spinne abrichten und diese Spinne lieben und hüten und pflegen, weil es doch immerhin ein lebendes Wesen ist.
Olaf Karl Abelsen, du hättest die Zeitungen verbrennen sollen – in die See werfen – oder sonstwie benutzen. Du warst ein Narr. Der gedruckte Gigant mit den schwarzen, gesprenkelten Adern hat dir das Blut vergiftet.
Ich werde schlafen gehen. Und morgen wird wieder die Sonne scheinen, und alles, alles wird sein wie immer, und die Einsamkeit wird mein Hirn zernagen …
Ich schreite über Bimsstein zur offenen Falltür und steige die Eisentreppe hinab und betrete mein Wohngemach. Der, der diese Insel baute, diese Zuflucht der Enterbten, war ein großer Geist. Auf meinem Schreibtisch, der vor Monaten der seine war, brennt die elektrische Lampe, und vor der Lampe liegen die weißen Bogen, die ich mit meinen lebendigen Erinnerungen gefüllt habe. Diese weißen Blätter, jetzt bedeckt mit den Spuren der eilenden Feder, reden von denen, die ich lieb gewann und die ich wieder verlor …
Seifenblasen.
Nachdenklich stehe ich da und schaue auf den Aschbecher.
Asche – ja.
Aber die Stummel der drei Zigarren, die ich heute abend rauchte?!
Das ist merkwürdig. Ich habe es noch nie erlebt, daß drei Zigarrenstummel, die noch vor einer Stunde in dieser Schale da tot und kalt und zerkaut lagen, sich in Luft auflösen oder spazieren gehen.
Ich sinne nach, und ich erinnere mich: Schon gestern fehlten die Stummel. Vielleicht auch vorgestern … Heute erst beachte ich dies.
Ich ziehe die eine Schieblade auf und nehme die kalte schwarze Pistole heraus.
Die Unruhe in meinem Blut hat eine Erklärung gefunden. Meine Sinne sind feiner als die eines Wilden geworden, und ich habe gefühlt, daß etwas Fremdes um mich war.
Ich nehme die Laterne und wandere durch die unterirdischen, unterseeischen Räume meines Heims.
In der großen Proviantkammer hinter sechs Säcken Mehl kauert ein Mensch.
„Komm’ hervor. Dir geschieht nichts.“
Meine Stimme zittert.
Ich bin nicht mehr allein.
Er kommt demütig hervorgekrochen, und seine phantastische Häßlichkeit und die Angst seiner glühenden Augen rührt mich.
So fand ich Bell Dingo oder Dingo-Bell, den Kajütwärter des Dreimasterwracks.
„Setz’ dich, Dingo …“
Er kauert nun auf einer Stuhlkante, und ich sitze im Schreibsessel und lächle ihn an.
„Also Bell Dingo heißt du …“
Seine linke Backe ist verdächtig geschwollen. Sicherlich sind die drei Zigarrenstummel die Ursache. Australneger in einem bescheidenen Stadium der „†††-Zivilisation“ lieben Kautabak mehr als den Tabakrauch.
„Ai ai!“ nickt Dingo eifrig und glotzt mich an wie Satanas in Person. Meine Insel muß ihm als Teufelsspuk erscheinen, und ich als Oberteufel, obwohl ich mich jeden Tag rasiert habe und einen weißen Leinenanzug trage.
Dingos englische Sprachkenntnisse genügen gerade zu gegenseitiger Verständigung.
„Als ich die Zeitungen holte, schlichst du dich hier ein, Dingo … – Weshalb?“
Er macht ein hilfloses Gesicht, sein Mund zieht sich plötzlich bis zu den Ohren hin und seine dicke kurze Nase macht diese Verbreiterung mit.
„Ai ai, Mussu, – so schon sein … Keine Trinkwasser auf Wrack, große Durst …“
„Ach so, deshalb auch die schnelle Abnahme im Wassertank!“
Bell Dingo hat Hände wie Bärenpranken, und diese Pranken reibt er verlegen aneinander und erklärt mit seiner tiefen, knarrenden Stimme:
„Ai ai, Mussu, – das schon so sein … Große Durst … sehr große.“
Seine Angst schwindet allgemach, und sein Ton wird freier, und in seinen klaren schwarzen Augen flackert die edle Flamme der Dankbarkeit. Ein Schluck Whisky besiegelt die Freundschaft, und Bell Dingo erzählt.
Ja – ein Mensch erzählt mir von seinem Leben.
Mir. – Ich bin nicht mehr allein.
„Bell Dingo“ – also so etwa „schöner Dingo“. – Der Witzbold, der ihm diesen Namen gegeben, hätte weniger sarkastisch sein sollen. Zunächst: Dingo ist die Bezeichnung für den australischen wilden Hund. – Der „Hund“ mag noch hingehen, denn Hund ist kein Schimpfwort, sondern ein Lob. Dingo-Bell verdiente Lob. Er war, was die Treue betraf, ein zweiter Coy Cala. Im übrigen hatte er mit Coy wenig gemein. Es sei denn die Bärenstärke und die feinen Sinne.
Bei einer männlichen Schönheitskonkurrenz hätte Dingo miserabel abgeschnitten. Nur seine vorbildliche Sauberkeit hätte vielleicht Anerkennung gefunden.
Man stelle sich einen reinblütigen Australneger im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren vor, man rasiere ihm den buschigen Bart bis auf einen kleinen borstigen, geckenhaften Schnurrbart weg, multipliziere seine naturnotwendige Häßlichkeit mit drei, und das Produkt ist „der schöne Dingo“.
Am liebreizendsten an ihm war ohne Frage sein Haupthaar. Ich kam immer wieder in Versuchung daran zu zupfen und zu prüfen, ob es nicht doch eine Krimmermütze sei, die sich tief in die Stirn gezogen hatte. Aber es war echt, genau so echt wie seine dicke kurze Nase mit den ungeheuren Nüstern und wie der Mund mit den fabelhaften Wulstlippen. Die Unterlippe streichelte beim Sprechen stets zärtlich das feste borstige Kinn, denn Dingo rasierte sich täglich, – täglich bügelte er auch die Beinkleider des weißen Anzugs, den ich ihm gespendet hatte, da sein blauer Kittel wenig zu seinen sauberen schwarzen Pfoten paßte.
Ich nehme hier so manches über Bell Dingo vorweg. Ganz sollte ich ihn erst später kennen lernen. Aber er hatte eins bestimmt vor sonstigen Bekanntschaften voraus: Die Menschen verlieren zumeist, je länger wir mit ihnen zusammen sind. Dingo gewann an inneren Werten von Tag zu Tag. Er trank nicht. Jede Whiskyflasche war vor ihm sicher. Er hatte keine Eingeweidewürmer wie Coy. Er kaute nur meine Zigarrenstummel und war ein Geck in seiner Art. Er log nie. Was er nicht sagen wollte, tat er mit einer großartigen Handbewegung und den von einem verlegenen Grinsen begleiteten Worten ab: „Ai ai, Mussu, – das nicht wissen …“
Sein „Ai ai“ konnte man je nach Wunsch und Gelegenheit deuten. Es besagte alles. Es konnte „Ja ja“, aber auch „Nein nein“ heißen, es konnte als „Vielleicht“ gelten, – – es war eben vielseitig wie der ganze Bell Dingo.
Er hatte seine Jugend im tiefsten Innern Australiens verbracht. Sein Alter war zweifelhaft.
Dort, wo er das Licht der Welt erblickt hatte, gab es keine Geburtsregister. Als halbwüchsiger Junge kam er auf eine Schaffarm und wurde hier von einem Missionar dem Christentum gewonnen. Trotzdem war er ein finsterer Heide geblieben. Als er später in Melbourne Hafenarbeiter spielte, ließ er sich zum zweiten Male taufen. Zuerst hatte er der anglikanischen Kirche angehört. Ein neuer Anzug machte ihm die lutherische Lehre begehrenswerter. In Sidney als Hoteldiener eines Hotels sechster Güte wechselte er zum dritten Male seine religiöse Überzeugung für einen abgelegten Smokinganzug und schwur Jehova und Moses unverbrüchliche Treue. Nach Melbourne zurückgekehrt, lockten ihn der Glaube an die Heilige Jungfrau und ein etwas blank gescheuerter Gehrock, den er als Rausschmeißer eines Matrosentingeltangels notwendig brauchte. Zur Zeit war er Freigeist. Nachdem er in dem Beruf eines Rausschmeißers verschiedentlich halb tot geschlagen worden war, heuerte er auf den Dreimaster als Kajütwärter an. Ein Orkan nahm dem Schiff die Masten, und die betrunkene Mannschaft ließ ihn einfach an Bord zurück. Was lag an einem Nigger?! So kam er zu mir. So saß er mir nun hier auf meiner Insel im Lampenlicht gegenüber und hustete nach dem Verbrüderungsschluck Whisky wie ein Säugling, dem die liebe Mama den Schnuller allzu stark mit süßem Alkohol getränkt hat.
„Du trinkst wohl selten, Dingo?“
„Ai ai, Mussu … Schnaps sein Teufel …“
„Sehr lobenswert, Dingo …“
Ich war ein wenig zerstreut. Ich glaubte irgendein Geräusch zu hören, das mir nicht gefiel. Die Türen bis zum Vorraum standen offen, und durch die hochgestützte Falltür drang nicht nur das eintönige Geräusch der Wogen an mein Ohr.
„Klingt das nicht wie das ferne Rattern eines Bootsmotors, Dingo?“
Er wandte den Kopf und lauschte.
„Ai ai, Mussu, – nicht wissen …“
Ich erhob mich. Ein Zusammenstoß mit einem Motorschiff hätte diesem und uns gefährlich werden können.
„Gehen wir nach oben, Dingo …“
Für alle Fälle behielt ich die Pistole in der Tasche.
Oben – – Nebel, dickster Nebel …
Meine Insel schwamm in grauem lauen Gebräu.
Wir horchten abermals.
„Es ist ein Schiffsmotor …!“
„Ai ai …“ grunzte der schöne Dingo. „Nichts zu sehen, Mussu … Schiff weit weg …“
Ich kannte nun mein Eiland besser als meine Westentasche. Ich wußte, daß es sich in der Strömung unaufhörlich um sich selbst drehte und daß daher die Brandung bald an dieser, bald an jener Seite der Küste schäumte.
Wir hatten Südwind. Meine treibende Insel drehte sich heute nicht. Die Brandung blieb an derselben Stelle. Waren wir etwa auf eine Untiefe aufgelaufen? Es mußte so sein. Ich wurde jedoch sofort wieder stutzig, denn das künstliche Gebilde aus Stahlkesseln, Stahl und Bimsstein schaukelte unmerklich. Es konnte nicht irgendwo auf einer Sandbank oder einem Korallenriff festliegen.
Ich kletterte zur Küste hinab. Ich begriff nicht recht, was hier vorging. Dingo blieb dicht hinter mir. Er war kein Seemann, es hatte keinen Zweck, mit ihm hierüber zu sprechen. Unten am Strande spülten uns die auslaufenden Wogen um die Füße. Dingo meinte, es sei schade um meine feinen weißen Schuhe. „Hat Mussu weißen Stein zum Säubern?“ erkundigte er sich bescheiden.
Ich war unhöflich genug, ihm nicht zu antworten, bückte mich und zog einen großen, noch grünen Ast aus dem Wasser. Das Holz war eigentümlich weißgrau, und die Blätter glichen denen des Weidenbaumes, waren jedoch hart und dick wie Leder. Es war ein Ast einer Eukalyptusart, die nur in Australien vorkommt. Sollte ich wirklich in diesen drei Monaten bis in die Nähe der australischen Küste gelangt sein?!
Bell Dingo redete noch immer über die Schuhe.
„Hör’ auf damit!“ Ich hatte wirklich an anderes zu denken.
„Paddon, Mussu,“ sagte er höflich. – Gott mochte wissen, wo er das Wort Pardon aufgeschnappt und in Paddon umgeformt hatte. Hinter das Geheimnis seines „Mussu“ war ich bereits gekommen. Es sollte Monsieur heißen. Der Rabbiner in Sidney, der den Smokinganzug gespendet hatte, war Franzose gewesen.
„Ich hören gar nichts,“ brummte Dingo als Nachsatz. „Nur Wellen und Vögel …“
„Dann hast du schlechte Ohren, Dingo, – ich höre deutlich den Bootsmotor.“
Ich starrte in den dicken Nebel hinein. Dann warf ich den langen Ast wie eine Lanze weit ins Wasser hinaus. Er kam überraschend schnell wieder zum Strande zurück. Das machte beinahe den Eindruck, als würde meine Insel von einer geheimnisvollen Kraft gen Süden getrieben. Hätte es sich nur um eine überraschend kräftige Strömung gehandelt, dann würde der Ast mit ihr davongetragen sein. Aber der Ast tat das Gegenteil, er machte eilends kehrt, als ob ihm mein Heim ausnehmend gut gefiele.
Mitunter versteht man später die eigene Begriffsstutzigkeit nicht. Mir altem vielerfahrenen Weltenbummler hätte dieses kleine Rätsel niemals auch nur ein Quäntchen Gehirnanstrengung kosten dürfen.
Und – wieder drängte sich mir eine neue Beobachtung auf: Wind und Wetter flauten ab, ebenfalls überraschend schnell.
„Bell Dingo, findest du nicht, daß die See ruhiger wird?“ wandte ich mich an den schwarzen Kameraden.
„Ai ai,“ – und er überließ es mir, diesen Zuruf zu deuten.
Wenn nur der Nebel nicht so infam dick gewesen wäre!
Waren wir etwa der australischen Küste so nahe, daß diese den Wind abfing?!
Es war nichts zu sehen. Zu hören übergenug. Das Brandungsgeräusch, bis zu sanftem Plätschern erstorben, ließ das gleichmäßige Rattern des fernen Motors verstärkt aufleben. Das Gekreisch der Seevögel, diese Jazzsinfonie eines nimmermüden beflügelten Orchesters, tobte sich in irren Kadenzen aus. Es mußten ganze Vogelschwärme sein, die hier in der grauen, feuchten Luft die Fittiche schwangen und sich empörten über den fremden Besuch eines schwimmenden Dinges, das nicht Schiff, nicht Insel war.
„Bell Dingo,“ fragte ich von neuem, „ob wir in eine Küstenbucht treiben?“
„Ai ai, Mussu, – schon Bucht sein, ich glauben … Ich riechen Land.“
Mit der Nase mußte er freilich jeden deutschen Bauernhof mit nützlichem Düngerhaufen auf eine Meile spüren. Bauernhöfe von der Art gab es hier nicht.
„Was riechst du?“
Er hatte seine blauen Leinenhosen hoch aufgekrempelt gehabt und entfaltete sie nun wieder, nachdem keine Woge mehr ihre gebügelte Schönheit bedrohte.
„Riechen Lagerfeuer, Mussu,“ erklärte er und richtete sich auf. „Werden gebraten am Feuer großes Gürteltier, Mussu …“
Ich konnte seine Züge nicht unterscheiden. Machte er sich über mich lustig?!
„Vielleicht ist es Hammelrippe am Spieß,“ warf ich ärgerlich hin und schritt ein Stück weiter nach rechts. Ich glaubte da ein eigentümlich knirschendes Geräusch gehört zu haben.
„Hammel anders duften,“ behauptete er prompt, – aber ich war bereits über die straff gespannte Stahltrosse gestolpert, die man an einer Bimssteinzacke vertäut hatte und die wie ein Schleppseil über dem Wasser schwebend im Nebel sich verlor.
Wie eine Sprungfeder schnellte ich wieder hoch.
Also das war’s! Meine Insel hatte Vorspann, meine Insel wurde von einem Motorkutter geschleppt …!
Nun, den Herrschaften, die dergestalt meine und meiner Insel Bewegungsfreiheit bedrohten, wollte ich das Geschäft gründlich versalzen. Ich rannte zur Falltür, kam mit einer Axt zurück …
„Dingo!!“
„Ai ai, Mussu …! Hier Dingo!“
Ich hatte die Richtung verfehlt, ich fand die Trosse nicht, aber Dingo fand ich noch an derselben Stelle, und zehn Schritt rechts von ihm mußte die Trosse sein.
Sie war nicht da.
„Mussu, was du tun?“ fragte Freund Dingo harmlos.
Ich betastete die Zacke. Ich fühlte die Stellen, wo die Trosse in den Bimsstein Rillen hineingescheuert hatte.
„Dingo!!“ Ich packte ihn mit der Linken bei den Jackenaufschlägen und schüttelte ihn. „Du hast die Trosse gelöst, du hast …“
Mit einem Male kam Leben in ihn. Seine Bärenpranken legten sich um meine Handgelenke. – Ich bin kein Schwächling, ich war einen Kopf größer als der Schwarze, aber seine Muskeln spotteten der meinen. Seine ganze Art, wie er diesen Angriff abwies, setzte mich in Erstaunen.
„Mussu, ich nicht sein Sack mit Schafwolle … Ich haben Trosse gelöst, ai ai, – ich dachten, das so gut sein …“
Die Schraubstöcke seiner Finger lockerten sich.
Ich habe ihn nie wieder wie einen Sack zu schütteln versucht.
„Entschuldige …“ Vielleicht hätte ich mich sogar zu einer längeren Versöhnungsrede aufgeschwungen, aber Bell Dingo sagte schon in gänzlich verwandeltem, fast demütigen Tone:
„Paddon, Mussu … Ich nur wollen zeigen, wie stark ich sein. Außerdem, Mussu: Trosse lag plötzlich schlaff, und Knoten waren leicht zu lockern … Du hören, kein Motor mehr tackt – alles still, nur Vögel …“
Er hatte auch darin recht. Der Motor war verstummt. Mein Verdacht gegen Dingo war übereilt gewesen.
Alles still?! Nur Vögel?! – Nur Sekunden traf das zu …
Vor uns im Nebelgebräu lebte wilder Lärm urplötzlich auf, eingeleitet durch eine Anzahl Schüsse, denen das Brüllen zahlreicher Stimmen, gellende Schreie, neue Schüsse folgten.
„Kampf,“ sagte Dingo sehr sachlich. „Keine gute Bucht das sein, Mussu …“
Der Lärm erlosch ebenso jäh.
Und diese Stille hatte etwas Unheimliches an sich. Die grauen Vorhänge des Nebels glichen undurchdringlichen Mauern eines verrufenen Hauses, in dem menschliche Leidenschaften sich ungehemmt austoben. Hüter der Ordnung versuchen sich Eingang zu verschaffen, zu retten, zu helfen … Sie stehen machtlos vor einer Zwingburg des Grauens.
Und grau der Nebel ringsum … Zäh und feucht und die Brust beklemmend mit seiner lauen Wärme – gleich dem Giftodem eines phantastischen Ungeheuers.
Bell Dingo flüsterte rauh: „Besser gehen hinab, Mussu … Ich hören Ruderschläge … Boot kommen …“
Ich beugte mich mit angespannten Sinnen weit vor.
„Komm’, Freund Dingo …“ – es war Zeit, die Insel tauchen zu lassen. „Komm’, – wer die Leute auch sein mögen, sie werden uns nicht finden.“
Aber seine Bärentatze – und doch die treueste Freundeshand, die ich je gedrückt habe – zwang mich zum Bleiben.
„Mussu, still sein …!!“
Auf seinen braunen Segeltuchschuhen, die er so sorgsam schonte, glitt er bis zum Wasser hinab. Seine Bewegungen waren in diesem Augenblick völlig die eines Wilden der weiten australischen Einöden, vielleicht die eines vierbeinigen Dingo von der großen Nachbarinsel Tasmanien.
Dann regte er kein Glied, schob den Kopf lauschend vor und verfolgte offenbar mit dem Gehör den Kurs des Bootes, von dem nichts als das Knarren der Dollen und das Plätschern der Ruderblätter zu vernehmen war.
Ich irrte mich abermals.
Bell Dingo eilte nach links davon, seine Gestalt wurde undeutlicher, ihre Umrisse zerflossen, – – er bückte sich ganz tief, und mit einem Male hob er aus der sanft brandenden Flut eine zweite Gestalt empor, trug sie im linken Arm die Steilküste hinan, winkte mir zu. Erst unten in meinem erleuchteten Wohngemach warf ich einen Blick auf den neuen Gast: Es war ein Weib! – Ihre bleiche Schönheit verwirrte mich … Ich bediente zerstreut die Hebel, und die Tauchbassins füllten sich. Meine Insel versank … Ein sanfter Stoß bewies mir, daß die Wassertiefe hier in der Bucht kaum genügte, die höchsten Bimssteinklippen des Eilandes zu überfluten.
Als ich zu meinen beiden Gefährten zurückkam, saß die blasse Frau im Schreibsessel, und Bell Dingo lehnte ihr gegenüber an der Wand. Ihre dunklen Augen schauten mir flehend entgegen …
„Dieser Schwarze da ist entsetzlich, mein Herr,“ sagte sie in fließendem Französisch und hob die Arme, als wollte sie meinen Schutz gegen Freund Dingo erbitten.
Es hat eine Zeit gegeben, da ich jedem Weibe mit so wundervollen Augen blindlings vertraut hätte. Meine Leichtgläubigkeit liegt dort irgendwo im Norden auf der anderen Seite der Erdkugel begraben in einer verwanzten Zuchthauszelle. Und diese Frau war fast zu schön, um nicht bis ins Mark hinein angefault zu sein. Schönheit ist das bequeme Sprungbrett zu Eitelkeit, Genußsucht, Lüge und Überschätzung des eigenen Ichs.
„Wer sind Sie?“ fragte ich absichtlich auf englisch, damit auch Bell Dingo alles verstände.
Von der Wand her kam die Antwort, und der Australier unterstrich seine Worte durch eine drohende Handbewegung:
„Das sein La Kruxa von große Wüste, Mussu, – sein größte Banditin Australiens …“
La Kruxa?! Was sollte das?!
Die Frau selbst gab die Erklärung, und ihre Stimme wurde von Tränen halb erstickt: „Bin ich verantwortlich dafür, daß meine Schwester „Das Kreuz der Wüste“ genannt wird?!“
Ich entsann mich. Ich hatte ja das Paket Zeitungen gelesen …: australische Blätter, und in jeder Nummer waren da neue Heldentaten dieser geheimnisvollen Straßenräuberin erwähnt worden. Auch ihr Bild, ihre Lebensbeschreibung und sogar ihre Handschrift waren zumeist in enger Verbindung mit einem Steckbrief und einer Belohnung von 1000 Pfund Sterling für ihre Ergreifung mit veröffentlicht worden. Sie besaß eine Schwester, diese fast märchenumwobene Brigantin, und diese Schwester war verheiratet mit einem braven Schiffskapitän.
„Ich bin Ethel Murray, geborene Ruxa,“ erklärte sie weiter, und ihre Tränen mischten sich mit den Wasserrinnsalen, die aus ihrem nassen Reitanzug aus Kordstoff auf den Bastteppich flossen.
„Retten Sie mich, wenn Sie ein Gentleman sind …! Die Polizei verfolgt mich. Ich habe mich für meine Schwester Paloma geopfert.“
Australische Räuberromantik war mir nichts Neues. Vor Jahren hatte ich als Ingenieur in Sidney gearbeitet, war dabei mehrmals bis tief hinein in die Wüsteneien des kleinen Kontinents gelangt, – ich kannte die riesigen Schaffarmen mit ihren meilenlangen Stacheldrahtzäunen, ich hatte Goldgräberlager besucht, ich war Schlafgast in entlegenen Polizeistationen gewesen. Australien ist noch heute wie einst Schauplatz toller Kämpfe zwischen Banditen und Polizei. Immer wieder werden Goldtransporte überfallen, immer wieder sammeln sich verzweifelte Elemente um einen besonders wagemutigen, intelligenten Anführer. Diese Buschklepperbanden sind kaum zu fassen. Dazu ist das Innere zu dünn besiedelt, die Entfernungen zu groß, die Verstecke zu zahlreich, die Wälder zu endlos, der Busch zu dicht und zu unwegsam.
Was ich über diese Paloma Ruxa, stets nur die Kruxa (als verstümmeltes Gebilde aus Krux: Kreuz und dem Familiennamen Ruxa) genannt, gelesen hatte, übertraf freilich alles bisher Dagewesene. Sie, zweite Tochter eines durch die Schafpest verarmten Farmers spanischer Abkunft, durfte sich rühmen, volle zwei Jahre ganz Australien in Atem gehalten zu haben. Man sagte ihr nach, sie habe in diesen zwei Jahren nicht weniger als fünfzigtausend Pfund Sterling in Gold zusammengeraubt. Man dichtete ihr einen reichen Liebhaber an, der, von ihrer blendenden Schönheit bezaubert, für sie insgeheim eine eigene Schutzwache halten sollte. Dieser Narr sollte ein englischer Lord sein, – – sollte, sollte, – niemand wußte Genaueres. Wahrscheinlich hatte ein phantasievoller Reporter diesen Lord sich aus den schreibfreudigen Fingern gesogen, – wahrscheinlich würden auch die fünfzigtausend Pfund Sterling später arg zusammenschrumpfen … Ich bin in allem so zweifelsüchtig gewesen, nachdem ich eine ganze Anzahl Monate allnächtlich Wanzenjäger gespielt habe.
Aber eins blieb bestehen: Paloma Ruxa mußte schön sein! – Steckbriefbilder schmeicheln niemandem. Sie sind Erzeugnisse nüchternster polizeilicher Maßnahmen. Kein Retoucheur, keine Retoucheuse bemühen sich bei diesen Konterfeis um Übermalung der Falten und um Korrekturen an Verfehlungen von Mutter Natur. Bell Dingo freilich hätte auch ein Retoucheußchen niemals die groteske Häßlichkeit genommen. Seine Krimmermütze von Perücke verdarb an sich schon alles. –
Sollte ich diesem Weibe Glauben schenken?! Hatte nicht Freund Dingo sofort verraten, daß die Frau ihm nicht fremd war?!
Ich blickte ihn an, und – das infame breite Grinsen aus seinem Mohrenantlitz war verschwunden. Er nickte mir flüchtig zu …
„Ai ai, Mussu, – kann schon sein, Mussu … Ich nicht kennen so genau Bilder von Schwestern Ruxa …“
Die Frau erhob sich jäh.
„Machen Sie Ihre Hilfeleistung von der Aussage eines Schwarzen abhängig, mein Herr?!“ Ihre Stimme klang verzweifelt wie vordem, aber ich spürte sehr wohl: Ethel Murray-Ruxa war tief verletzt!
„Behalten Sie Platz,“ sagte ich gemessen. „Sie dürfen es mir nicht verargen, daß ich vorsichtig bin … Bevor Bell Dingo Sie aus dem Wasser fischte, geschah hier auf meiner Insel so allerlei, das sehr der Aufklärung bedarf.“
Ich ging zum Schreibtisch, ich fand den Steckbrief in den Zeitungen bald heraus und verglich das Bild mit meinem weiblichen Gast. Paloma Ruxa, die Brigantin, war blond, hatte einen hellblonden Bubikopf und dunkle Augen, stark gewölbte dunkle Brauen und trug goldene Ohrringe. Diese Frau hier, die noch immer mit bleichem Gesicht in ihrem triefenden Anzug in ablehnend-kühler Haltung neben dem Schreibsessel stand, war dunkelhaarig, trug keine Ohrgehänge und hatte die blonden dünnen Brauen offenbar nachgetuscht. Im übrigen war die Ähnlichkeit verblüffend.
Ich schaute sie an und sie errötete vor Empörung. Ihre Stirn krauste sich, und noch ablehnender ward ihre Haltung.
„Mein Herr, lassen Sie mich hinaus,“ verlangte sie sehr bestimmt. „Mag die Polizei mich fangen, mag man mich vor Gericht stellen, weil ich für Paloma eintrat und … – aber das geht Sie nichts an.“
Ich mußte lächeln. Sie hatte keine Ahnung, daß über der Falltür mit den Gummileisten nun zwei bis drei Meter Wasser standen.
„Sie werden sich gedulden müssen,“ meinte ich nur. „Zur Zeit sind diese Räume das sicherste Versteck für jeden, der guten Grund hat, die Menschen zu meiden.“
Sie hob den Kopf. „Man wird hier gewaltsam eindringen …“
„Nein. Ich glaube kaum, daß die australische Buschpolizei Taucheranzüge und Luftpumpen mit sich führt. – Sie können in Ihren nassen Kleidern nicht gut bleiben. Bitte – dort die Tür … Im Schranke finden Sie Anzüge, Wäsche … Bedienen Sie sich. Nachher können Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Vorläufig betrachte ich Sie als meinen Gast.“
Sie zögerte. „Ihr Benehmen, mein Herr, ist nicht gerade einladend … Ich würde es wirklich vorziehen, wieder …“
„Ziehen Sie sich um. Was Sie vorziehen, spricht hier nicht mit.“
Sie schritt langsam auf die schmale eiserne Tür zu. Ich sah, daß sie den linken Fuß unmerklich nachschleppte. Sie war erschöpft, vielleicht gar verwundet. Mein Mißtrauen tat mir bereits leid.
„Frau Murray, wäre Ihnen mit einem Schluck Wein gedient?“ fragte ich milder, und ich eilte zu ihr und öffnete ihr die Tür zu meinem Schlafgemach und schaltete dort das Licht ein.
„Danke,“ sagte sie stolz. „Ich werde Sie nicht länger belästigen, als es unbedingt nötig ist.“
Die Tür fiel zu, und ich wandte mich um und sah Bell Dingo am Schreibtisch über die Zeitung gebückt. Er blickte auf.
„Mussu, das doch sein die andere, nicht die Kruxa der Wüste,“ brummte er etwas scheu.
„Kennst du Paloma Ruxa?“
„Ich ihr wenig kennen, ai, ai, Mussu … Das lange her, sehr lange … Das waren im Busch, Mussu …“
Weitere Fragen waren zwecklos. Dingo schien in der Tat über Paloma nichts mehr zu wissen.
Ich hatte im Schreibsessel Platz genommen. So sehr ich mich auch anfänglich über Bell Dingos Erscheinen gefreut hatte, jetzt war selbst für mein Einsamkeitsgefühl allzu zahlreicher Besuch bei mir aufgetaucht. Eine Frau zählt für sechs. Eine Frau verlangt Rücksichten und bringt Unruhe. Meine Wege abseits vom Alltag hatten ihre Merksteine: Weibernamen, Liebe, die anderen galt, – wo Weiber, da Liebe. Und nun noch diese Frau!! Ethel Murray, Schwester einer Verfolgten, – pikant, verführerisch, eine Evatochter mit Märchenaugen! Was würde sie mir nachher erzählen – vorlügen?!
Sinnend blickte ich auf das dicke Glasfenster. Ich hatte versäumt, die Blende vorzuschieben, und der Lichtschein mußte hier im flachen Wasser der Bucht unbedingt auffallen.
Meerespflanzen wogten fahlgrün außen im Wasser, Schwärme kleiner Fische zogen im Bereich der erleuchteten Bahn vorüber, ein Kugelfisch stieß sich die Nase an dem Fenster und ruderte davon. Dann schoß ein helles Etwas heran.
Dingo war mit einem blitzschnellen Satz am Fenster.
„Mussu, ein Mann …“
Es war ein Mann, ein Europäer, nackt bis auf ein Hüfttuch. Er hielt sich mit der Linken außen am Fensterrande fest und preßte das Gesicht dicht an die Scheibe und machte uns allerlei Zeichen. Er war jung und kraftstrotzend, sein schmales Gesicht im Vergleich zu dem hellen Körper tiefbraun, das nasse blonde Haar wogte im Wasser, und die Grimassen, die er schnitt, weckten bei Dingo ein kindliches Kichern.
Dann tauchte er wieder empor, und Bell Dingo sagte kopfschlackernd:
„Das sein kein Polizist von Buschstation, Mussu … Polizist kurzes Haar – alle. Wer das sein?!“
„Fragen wir Frau Murray nachher …“ und ich packte den Hebel und wollte die Außenblende schließen.
Dingo widersprach hastig. „Ai ai, Mussu, – Mann wiederkommen, Mann was wollen von Mussu …“
„Ich traue dem Frieden nicht, schöner Dingo,“– doch seine Faust war stärker, und die Blende blieb, wo sie war.
Ich rückte den Schreibsessel näher an das Fenster. Im Grunde hatte Dingo nicht so unrecht: Vielleicht war der Mann ein Freund Ethel Murrays, vielleicht hatte er an dem Kampfe teilgenommen …
Der Schwarze lehnte neben mir. „Mussu, viel Geheimnis, dies alles,“ murmelte er, und in seinen Augen leuchtete das Licht spürenden Geistes. „Ai – ai, – wer nehmen Insel hier ins Schlepptau, wer kämpfen draußen im Nebel, wer siegen da: Polizei oder Freunde von Frau mit dunklem Haar …?“ Er zeigte auf die Eisentür. „Frau viel sagen müssen, Mussu … Kann viel Lüge sein. Ich merken, wenn einer lügen …“
Er schaute sehnsüchtig nach dem Aschbecher, in dem nun ein frischer Stummel lag. Seine Backe war inzwischen abgeschwollen und sehnte sich wohl nach Füllsel.
„Bitte, nimm nur …“
Er griff sofort zu, – der Stummel verschwand in einem Munde, der mehr ein Maul war, und Bell Dingo grunzte vor Wohlbehagen. Er war eine bescheidene Seele.
Weniger bescheiden war dagegen der blonde Taucher, der schon wieder vor dem Fenster erschien, jetzt aber auf Verständigung durch Zeichensprache verzichtet und lediglich ein Stück Leinwand gegen die Scheibe preßte, ein richtiges Plakat, das auf einen Holzdeckel genagelt war und in frischer schwarzer Ölfarbe die Inschrift uns vorwies:
Taucht auf, oder Dynamit!!
Lateinische Buchstaben von der Länge der Flosse Freund Dingos, englische Worte, – das Ganze eine lächerliche Drohung.
Meine Heiterkeit kam aus unbekümmerter Seele und als nun noch über dem Plakat die wütende Fratze des Fremden auftauchte, gab es für Sekunden ein höchst amüsantes Wechselspiel von tollen Grimassen zwischen Bell Dingo und dem Manne draußen im Wasser, – Dingo schnitt jedoch entschieden besser ab, und der Plakatträger zog es vor abermals zu verschwinden.
„Vielleicht haben die Herrschaften auch Bomben oder Handgranaten in Bereitschaft,“ meinte ich zu dem schwarzen Kameraden, der jetzt seiner Empörung darüber Ausdruck verlieh, daß die Ölfarbe auf der Außenseite der Scheibe sichtbare Andenken an diesen Zwischenfall zurückgelassen hatte. Zur Not ließen sich sogar noch die Worte entziffern.
Bell Dingos lautes Lamento über den Schmutzfink wurde durch den Eintritt Ethel Murrays unterbrochen. Für gewöhnlich pflegen Damen in etwas zu weiten weißen Tropenanzügen, die für einen Mann von Durchschnittsgröße bestimmt sind, nicht eben verführerisch zu wirken. Ich glaube, Ethel konnte anziehen, was sie wollte: Sie blieb schön! – Und hier in diesem Falle wirkte sie sogar noch verwirrender als vorhin. Sie wußte dies auch offenbar, denn um ihre frischen Lippen spielte ein flüchtiges zufriedenes Lächeln, als ich sie vielleicht allzu ehrlich begeistert eine Weile anstarrte und mir erst innerlich einen sanften Jagdhieb versetzen mußte, um mich wieder zum Herrn der Situation aufzuschwingen. Bell Dingo half mir dabei, denn dieser schwarze Gent mit dem ausgesprochenen Sinn für scharfe Bügelfalten und tadellosen Anzugsitz sagte nach kurzer Prüfung der in Weiß strahlenden Ethel:
„Ai ai, Mussu, – das sein zu lange Hosen, zu lange Ärmel, zu breite Schultern, – das nicht sein für Dame, sondern für Bell Dingo passend.“
Es war ein sanfter Wink mit dem Zaunpfahl. Er brauchte auch nicht weiter zu winken, ich wollte ohnedies gern mit Ethel allein sein.
„Geh’ nur … Ich schenke dir, was du brauchst … Zieh’ dich um … Deine blaue Kluft ist stark mitgenommen.“
Dingo strahlte. Wenn er strahlte, machte er den Mund auf und zeigte sein prachtvolles Panthergebiß, blendend weiße Zähne, – nein, Hauer waren’s, und daß sie böse schnappen konnten, sollte sehr bald offenbar werden.
Die Tür klappte hinter Dingo zu, und Ethel Murray setzte sich zwanglos in die eine Ecke des kleinen Glanzledersofas.
Ich blickte hin und blickte wieder weg.
Sie war barfuß. Sie hatte entzückend kleine rosige Füße, – Füßchen wie die eines Kindes.
Ich setzte mich gleichfalls, drehte jedoch den Schreibsessel so, daß ich das Fenster mit im Auge behalten konnte.
Sie dagegen, ihres Liebreizes sich voll bewußt, suchte mit echt weiblicher Diplomatie die große Beichte hinauszuschieben. In harmlosestem Tone fragte sie:
„Wo bin ich eigentlich? Ist dies ein Schiff oder ein Schwimmdock?“
„Beides nicht, Frau Murray … Die Art dieses Fahrzeugs ist unwichtig, genau wie mein Name,“ entgegnete ich mit übertrieben scharfer Hervorhebung der Anrede „Frau Murray“. – „Würden Sie mir nun vielleicht mitteilen, wodurch Sie gezwungen wurden, vor der Polizei zu fliehen …?“
Einen Moment erschienen Falten des Unmuts auf ihrer Stirn. „Sie sind nicht eben galant, mein Herr … Sie zweifeln an meinen Angaben. Für Sie bin ich vorläufig …“
„Erzählen Sie!“
Ihre Blicke glitten an mir vorüber und hafteten auf der dicken Glasscheibe.
„Was – – bedeuten die schwarzen Flecken?“ fragte sie hastig, und ihre Augen wurden noch starrer. „Ah – es sind Buchstaben, mein Herr, und vorhin war das Fenster sauber … Ich … ich entziffere das Wort Dynamit …“
„Sie entziffern richtig.“
Meine Kaltblütigkeit machte sie sichtlich nervös. „Unterschätzen Sie die australische Polizei nicht!“ warnte sie leise und geheimnisvoll. „Bedenken Sie, daß ich meiner Schwester zur Flucht verhalf und daß Paloma, die Unselige, nie wieder den Kerker …“
„Sprechen wir von Ihnen, Frau Murray!“ – Ich hatte in den verflossenen drei Monaten völliger Einsamkeit auf meinem treibenden Eiland die Linie meines eigenen Ichs eingebüßt gehabt. Jetzt ward mir dies klar. Schon meine Sehnsucht nach Menschen, nach einem Gefährten war Schwäche gewesen. Meine Gedanken hatten sich in sentimentalen Bahnen bewegt wie die eines Backfisches. Schwermut hatte meine Seele bedrückt. Hätte Coy Cala mich in dem Zustande gesehen, – sein verächtlichstes Lächeln wäre harte, wahre Kritik gewesen. Coy war tot, und ich mußte mich allein zu mir selbst zurückfinden. Ich hatte mich bereits wiedergefunden. Mit Bell Dingo hatte ein neuer Weg abseits des Alltags begonnen. Das Abenteuer war da, und ich, der Abenteurer, Mann ohne Vaterland, ohne Familie, ohne Freund, spürte das Fremde wieder von mir abfallen. Ich war ich, und Olaf Karl Abelsen kapituliert nicht vor dem melodischen Seufzen und dem koketten Augengeklapper eines Weibes.
„Sie sind sehr hart,“ meinte diese Frau merklich enttäuscht und musterte mich wenig freundlich.
„Sie scheinen in Ihrem Leben wenig Männern begegnet zu sein,“ lautete meine rücksichtslose Antwort. „Wie befreiten Sie Paloma Ruxa?“
Ihre fast geraden, getuschten Brauen hoben sich. Es war kennzeichnend für sie, dieses Zusammenziehen der Stirnhaut, das stets von einem fast hochmütigen Schürzen der roten vollen Lippen begleitet war. „Mein Herr, Sie sind schlimmer als der Kolonel von Polizeistation Marcadari!“ Ihre Augen wurden feucht, in den langen dunklen Wimpern glitzerte eine Träne, aber sie preßte die Lippen scharf zusammen und fügte atemlos vor Erregung hinzu: „Sie sperren mich hier ein … Ist das Gastfreundschaft?“
Ich griff in die Zigarrenkiste. „Sie haben viel Romane gelesen, schätze ich. Vielleicht Romane von Jane Grey oder Curwood, – amerikanischer Geschmack, Brutalität, Sentimentalität und Naturschilderung in vortrefflicher Dosierung, mit dem notwendigen „Happy End“ natürlich: In den Armen liegen sich beide! Mein Erleben, Frau Murray, hat nie ein Happy End gehabt. Ich ging immer leer aus, Gott sei Dank. Ich wuchs nur innerlich für mich selbst bei alledem.“
„Und wurden wie Stein,“ sagte sie leise und seufzte.
Ich rieb ein Zündholz an und rauchte.
„Nun – –?!“
Sie warf mir einen rätselvollen Blick zu. Glitzerte Spott darin?! – Sie begann recht eintönig, sie hatte sich gut in der Gewalt, und sie sprach wohl absichtlich so nüchtern im Depeschenstil: „Wir befinden uns hier in einer Bucht des Golfes von Carpentaria im nordwestlichen Zipfel von Queensland, also in einer Gegend, in der es auf hunderte von Meilen nur eine größere Ortschaft gibt, und das ist Settlement-Station. Zu ihr gehört unter anderen auch der Polizeiposten Marcadari, der erst eingerichtet wurde, als man im Bett des Mac Arthur-Flusses noch weiter westlich vor zwei Jahren reiche Goldfunde machte. Palomas Treiben kennen Sie aus den Zeitungen. Das Schiff meines Mannes hatte gerade im kleinen Hafen von Karumbo die landwirtschaftlichen Maschinen ausgeladen, als ich hörte, daß Paloma unweit von Marcadari durch Kolonel Bluß eingekreist und gefangen genommen war. Ich, von jeher gute Reiterin als Farmerskind, ritt in drei Tagen allein bis zu den drei Blockhäusern von Marcadari. Ich kam noch zur Zeit. Paloma und ihre acht Getreuen saßen noch im Keller hinter Eisengittern. Es war nacht, ich hatte Stahlsägen mit, und …“
„… Da waren Sie ja trefflich ausgerüstet,“ – – ich lächelte nachsichtig.
„In einer Stunde waren sie frei, – wir nahmen uns die Pferde der Station und jagten nach Norden in die Wüste hinein. Ich hatte meinen Mann überredet, mich mit seinem Schiff an einem bestimmten Punkt der Küste des Golfs zu erwarten. Leider versäumten wir es, die Telephonleitung nach Settlement-Station zu zerschneiden, und schon morgens spürten wir die Verfolger hinter uns. Vier Tage trieben wir die stolpernden Gäule vorwärts, kamen hier an die Bucht, fanden das Wrack eines Seglers, bauten ein Floß und wollten gerade abstoßen, als Bluß mit fünfzehn Leuten erschien. Der Kampf war kurz, – ich sprang ins Wasser und schwamm blindlings in die See hinaus. Ich war halbtot, als der Schwarze mich rettete. Was aus Paloma und ihren Getreuen geworden, weiß ich nicht. Wenn mein Mann rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre, würden wir alle glücklich davongekommen sein.“
Ich wehte den Rauch meiner Zigarre mit der Hand weg. „Eine schlechte Geschichte, Frau Murray, leider. Schlecht erfunden. Dieser Kolonel Bluß muß ein Idiot sein, daß er so wichtige Gefangene so miserabel bewachte. Hatte denn das Schiff Ihres Gatten … Stahlsägen als Fracht?!“
Sie schaute an mir vorbei. Ich hatte nicht mehr auf das Fenster geachtet. Ich sah in ihren Zügen eine blitzartige Veränderung, sah eine schnelle Bewegung ihrer Hand und drehte mich um.
Draußen vor der Scheibe funkelten die grauen Augen des blonden Fremden.
„Bluß!!“ stöhnte Ethel Murray und bedeckte das Gesicht mit den Händen. „Das ist Kolonel Bluß, Arthur Bluß, Palomas Todfeind!“
Der Mann draußen im Wasser drohte mit der Faust und verschwand wieder.
„Bell Dingo, mein schwarzer Kamerad, meinte, die Polizei hier in Nord-Queensland trüge kurzes Haar,“ sagte ich ironisch. „Vorläufig glaube ich Bell Dingo, Frau Murray. Es sei denn, Sie beantworten mir eine Frage: Hörten Sie im Nebel ein Motorboot? – Es muß ein sehr großer starker Kutter gewesen sein …“
Sie ließ die Hände sinken. Ein scheuer Blick streifte das Fenster.
„Es war der Polizeikutter von Burketown, einer Stadt am Burke-Fluß westlich von Karumbo, mein Herr,“ erwiderte sie ohne Zaudern. „Ich kenne diese Gegend ganz genau. Die Schaffarm meines Vaters lag achtzig Meilen von hier landeinwärts. Die Ruxa-Farm war einst die größte der Gegend. Dann kam die Pest, und unsere Schafe krepierten zu tausenden an der entsetzlichen Drehkrankheit …“
„Ja, – Drehwurm im Gehirn,“ nickte ich. – Ob sie doch nicht log?!
Bell Dingo trat ein. Der neue Bell, schöner denn je, ganz in Weiß, mit Hemd mit Schillerkragen, weißer Krawatte, weißen Schuhen.
Er grinste eitel.
„Wundervoll!“ lobte ich.
Ethel Murray verbiß ein Lachen.
Dingos enorme Häßlichkeit feierte in dieser Kluft unerhörte Triumphe.
„Sag mal, Bell Dingo, kennst du Burketown?“
„Ai ai, Mussu … Schöne Stadt, viel Polizei …“
„Hat die Polizei dort einen Motorkutter?“
Er kam näher. Er nickte. „Ai ai … feinen neuen Kutter mit Funkanlage, Mussu … Ich hier sein geboren in diese Gegend, wenn Stadt Burketown nahe sein.“ Seine Fratze verzog sich zu einem wonnigen Lächeln. „Ai ai, dann das hier meine Heimat sein, Mussu … Aber lange lange nicht hier gewesen … Viele Jahre weg, viel erleben ich …“
Er nahm einen Schemel, setzte sich und zog die Beinkleider hoch, um die Bügelfalten zu schonen. Ihn umwehte der Duft von Mundwasser … Seine Krimmermütze glänzte feucht.
„Hast du dich parfümiert, mein Sohn?“
„Ai ai … – Kopfwäsche, Mussu, – das erfrischen …“
Nachher fand ich die Flasche Mundwasser leer vor.
Ich hatte Ethel Murray schlafen geschickt. Sie war doch sehr erschöpft gewesen, und sicherlich hatte sie zumindest einen Streifschuß am linken Bein, wenn sie es auch abgeleugnet hatte. Sie konnte den Fuß kaum mehr heben.
Bell Dingo lag auf dem Sofa und schnarchte. Er hatte seinen wundervollen Anzug ausgezogen und lag in seidener Unterwäsche da, die einst einem vornehmen Engländer gehört hatte, dem Erbauer des Paradieses der Enterbten.
Ich hatte die Stahlblende vor das Fenster geschoben, saß im Schreibsessel und studierte nochmals die Zeitungen. Ethel Murray fand ich nur flüchtig erwähnt. Der Farmer Sebastian Ruxa, aus Spanien ausgewiesen und als politischer Flüchtling auch des Grafentitels entkleidet, hatte nur diese beiden Kinder gehabt. Seine Gattin, Engländerin, starb vor ihm. Er selbst erschoß sich aus Verzweiflung über den Verlust seiner Herden. Er mußte also ein schwacher Tor gewesen sein. Wer erschießt sich, weil er arm geworden?! Welcher Vater läßt zwei halberwachsene Töchter fast mittellos zurück?! – Wie Paloma dann Brigantin geworden, war nicht ganz geklärt. Wie Ethel diesen Kapitän Murray heiraten konnte, der doppelt so alt als wie sie, – eine zweite ungelöste Frage.
„La Kruxa und ihre Bande hat nie einen Menschen getötet,“ fand ich in einem der Artikel hervorgehoben. „Sie arbeiteten mit den modernsten Mitteln, sie besaßen Automobile, geheime Funkstationen, sogar zwei Flugzeuge. In allen Städten hatte die Bande Helfershelfer. Wo irgend nur neue Goldfunde die Schwärme der Abenteuerer herbeilockten: La Kruxa war sofort zur Stelle. Nie plünderte sie einzelne Goldsucher aus. Ihre Anschläge galten stets den großen Transporten der Weltfirmen, die die australische Goldausfuhr in der Hand haben.“
An anderer Stelle wieder:
„La Kruxas Verehrer soll ein englischer Lord sein. Erwiesen ist, daß sie seine Bewerbung ablehnte, daß dieser Unbekannte trotzdem treu zu ihr hielt und daß er eine eigene „Polizei“ organisierte, Paloma zu schützen. Dieser geheimnisvolle Fremde soll stets in Verkleidung auftreten. Gesehen hat ihn noch niemand. Aber er existiert.“
Was doch die Tintenfische so alles zusammenschmieren!! Sensationsmache!!
Ich glaubte an diesen „Lord“ ebensowenig wie an das sogenannte „Gute“ im Menschen. Das „Gute“ ist klug verschleierte Selbstsucht. Die Moral ist die Krücke der Schwachen, und die Strafgesetze sind das papierne Sieb, durch das sich die Starken, Gelenkigen hindurchwinden.
Ich sog an meiner Zigarre und blickte Bell Dingos schwarze Fratze an. Sein Mund stand offen. Und da sein Kopf tief lag, sah ich in der Reihe seiner Backenzähne zwei goldene Kronen.
Ein Australnigger mit Goldkronen?
Ich schlich zum Sofa.
Es stimmte.
Ich betrachtete Dingos Riesenflossen. Er hatte gepflegte Fingernägel. Auf dem linken kleinen Finger glänzte matt ein silberner Ring mit einem großen grünen Stein.
Silber?!
Nein, das war Platin, und der Stein konnte nur ein Smaragd sein. Ich nahm eine Taschenlampe und ließ den Lichtkegel auf den Edelstein fallen. Gerade in Smaragden findet man sehr häufig Trübungen, Blasen und Flecken.
Dieser Stein hatte in der Mitte im Innern eine schwärzliche Trübung in Form … eines Kreuzes.
Seltsam war das. – La Kruxa – Kreuz der Wüste – und hier ein Australnigger mit einem kostbaren Ring mit einem Kreuz und mit Goldkronen und so tadellosen Nägeln?! Hatte Bell Dingo mich belogen?! War er alles andere nur nicht Kajütwärter a. D.?! Flüchtig kam mir der Gedanke an den allzeit verkleideten „Lord“ … Doch nein, dieser Schwarze war echt. Solche Wulstlippen, solche Hände, Handschuhnummer fünfzehn, hat kein Lord. Immerhin, der gute Bell Dingo mit seinem famosen Ai Ai hatte wohl so manches verschwiegen.
Ich ging hinüber in den Vorraum und prüfte den Verschluß der Falltür. Ich überlegte: Vielleicht für zwölf Stunden würde die Luft hier im Unterbau der Insel für uns drei ausreichen. Dann mußten wir emportauchen. Und dann?!
Dingo hatte gemeint, es sei schon möglich, daß der Blonde vor dem Fenster Kolonel Bluß gewesen. Bluß war für Queensland eine Berühmtheit. Er hatte bereits an die zwei Dutzend Buschklepper baumeln lassen. Auch in den Zeitungen hatte ich ihn erwähnt gefunden. Wenn die Polizei wirklich draußen lauerte, konnte das zu peinlichen Verwicklungen führen. Ethel Murray ausliefern?! Niemals! Sie war mein Gast, und es gab immer noch Mittel, den Beamten zu entgehen.
Ich kehrte zu Bell Dingo zurück. Aber jetzt war er wach, saß aufrecht und hatte eine dick geschwollene Backe. Aus der Aschenschale fehlten die beiden Stummel.
„Na, wie heißt denn dein Zahnarzt, Bell Dingo?“ – ich pflanzte mich vor ihm auf.
„Ai ai, Doktor Bothwell, Sydney, Edward Kai 18 …“ Er grinste zufrieden. „Sehr gute Arzt, das …“
„Und dein Juwelier?!“
Er blickte auf seinen Ring. „Mussu, das sein Geschenk …“
„Was du nicht sagst! Der Stein ist wohl Glas?“
„Smaragd, Mussu …“ er streichelte den Stein zärtlich. Seine schwarzen Augen nahmen einen auffallend träumerischen Ausdruck an.
„Geschenk, – von wem …?“
„Ai ai … vergessen, Mussu …?!“ Er zuckte die breiten Schultern. „Schlecht Gedächtnis für manches, Mussu …“
„Sehr bedauerlich, lieber Dingo. Wenn nun zum Beispiel jemand behauptete, der Ring sei gestohlen.“
Er schaute mich klar und offen an. „Ai ai, – wer das behaupten, Lügner. Ich kein Dieb.“ Er hob die Faust. Der Ärmel des Seidenhemdes fiel zurück. Ich sah den Arm eines Athleten – nichts als Muskeln. „Wer das behaupten, muß dicke Hirnschale haben, ai ai … Meine Hand wie Schmiedehammer, Mussu … In Matrosenkneipe in Melbourne ich mußten tragen immer gepolsterte Handschuhe als Rausschmeißer … Rippen von Gäste zu schwach.“
„Das glaube ich,“ und ich konnte mir leicht vorstellen, wie Dingo dort gewütet haben mußte.
Er wechselte das Thema. „Mussu, du gar nicht schlafen?“
„Nein, mein Sohn … Schlafen ist Angewohnheit. – Hast du Hunger?“
„Ai ai, Essen sein Angewohnheit, Mussu. Erst reden über Kolonel Bluß und Polizei. – Was soll werden? Polizei warten draußen.“
Der intelligente Schimmer in seinen Augen setzte mich abermals in Erstaunen.
„…Polizei wollen Frau Murray fangen, Mussu. Du fangen lassen?“
„Nein.“
Da streckte er mir impulsiv die Hand hin. „Mussu, du anständiger Mussu sein …“
Sein Händedruck hätte getrost weniger zärtlich sein können. Ich lege keinen Wert auf halb zerquetschte Finger.
Er begann sich anzukleiden. „Ich kochen kann,“ meinte er mit der gewinnenden Selbstverständlichkeit seiner bescheidenen Natur. „Was kochen?“
„Mir gleichgültig.“
Er verduftete nach hinten zu, wo sich die Kammern befanden. Ob er mit den elektrischen Kochplatten fertig wurde, war seine Sache.
Ein Blick auf die Uhr: Fünf Uhr morgens. – Ich gähnte matt. – Schlafen?! Würde der nahende Tag nicht vielleicht größere Anforderungen an meine Kräfte stellen? –
Ich schlief in der Sofaecke. Ich schlief so, wie Coy mich das Schlafen gelehrt hat. Man lernt das nur in den Pampas bei den Araukanern, glaube ich: Schlafen und doch wach sein.
Eine Tür öffnete sich. Ich war munter.
„Habe ich gestört?“ fragte Ethel Murray, die frisch und rosig vor mir stand. Sie war verteufelt schön … Frauen zur Morgenstunde sind wie süße Babys, die blinzelnd und krähend ihr Erwachen ankünden.
Sie fragte etwas unsicher, und ihr Blick wanderte sofort zum abgeblendeten Fenster.
„Oh, das grüne Wasser wirkte so hübsch … Weshalb schlossen Sie die Blende, Herr Abelsen? Ist etwas geschehen?“
Ich verneigte mich. „Scheint so. Zunächst ist das eine geschehen: Sie kennen meinen Namen.“
„Wenn Sie in Ihrem Schlafzimmer Teile eines Manuskriptes liegen lassen, das nur Ihr Erleben behandeln kann …“
„Ach so – indiskret!“
„Ich wollte wissen, wo ich bin und mit wem ich es zu tun habe: Selbsterhaltungstrieb, Herr Abelsen.“
„Ganz recht. Vor dem eigenen Ich fallen die Rücksichten. – Nehmen Sie Platz … Bell Dingo wird das Frühstück sofort servieren, Gnädigste.“
Sie lachte. „Als Kavalier mag ich Sie nicht. Als Mann sind Sie mir lieber. – Ist nichts passiert!“
„Nichts … Das Dynamit scheint Mr. Bluß etwas feucht geworden zu sein. Wie geht es Ihrem Bein, – verzeihen Sie?“
Sie trug jetzt Strümpfe, Herrensocken, viel zu groß für ihre Füßchen.
„Es geht und ich gehe,“ erklärte sie leichthin.
Wir horchten gleichzeitig auf … Irgendwo ein Knall, – ein wildes Brüllen, das selbst durch die Eisentüren drang. Ich stürzte in die Küche … Hinter mir drein kam Ethel …
In der Küche lag Bell Dingo auf dem Rücken, und seines Anzugs weiße Pracht und sein Gesicht waren über und über mit einer grünlichen schaumigen Masse bedeckt. Neben ihm aber lagen ein Büchsenöffner und eine Vierpfundbüchse Apfelmus[1] – gegorenes Apfelmus, längst verdorben, und natürlich war die Büchse explodiert, als Bell Dingo kaum erst ein Löchlein in den Deckel gebohrt.
Unser unendliches Gelächter veranlaßte den armen Kerl, sich langsam aufzurichten. Seine Blicke hätten einen Tiger rühren können. Er schämte sich. Er hatte wohl noch nie die Kraft gegorener Konserven kennen gelernt.
„Ai ai – das großer Schreck,“ meinte er tief bekümmert und wischte sich die Augen aus.
In demselben Moment verspürte ich ein geringes Schwanken meines Heims. Die Ebbe war vorüber, und die Flut hatte das Wasser auch hier in der Bucht so weit steigen lassen, daß die Insel jetzt schwamm.
„Wir treiben,“ sagte ich zu Ethel. „Wenn Kolonel Bluß uns nicht gerade irgendwo und irgendwie vertäut hat, wird die Strömung uns wieder ins offene Meer führen. Kommen Sie … Öffnen wir die Blende, ich …“
Ethel Murrays bitter enttäuschter Miene war so wenig der Sachlage angemessen, daß ich sie erstaunt musterte. „Verstehen Sie doch, Frau Murray: Die Flut bedeutet für uns die Freiheit!“ wiederholte ich nochmals. „Ich habe darauf gehofft … Ich glaube kaum, daß Bluß an das Steigen des Wassers gedacht hat.“
Sie nickte schwach. „Nein, wohl nicht, Herr Abelsen …“ Und dann lächelte sie erfreut … „Ich bin eine Kapitänsfrau und stelle mich so töricht an …! Gehen wir … Öffnen wir die Blende.“
Sie war offen, ich hatte sie soeben zurückgeschoben, und Ethel preßte ihre Wange dicht an das Glas und beobachtete die Seepflanzen draußen. Wir sahen nur noch die höchsten dieser Vertreter der Unterseeflora, aber diese wenigen fahlen dünnen Stengel schwankten lediglich sanft hin und her, ohne vorüberzugleiten.
„Wir treiben leider nicht,“ erklärte ich achselzuckend. „Bluß hat uns doch vor Anker gelegt.“
Ethel seufzte fast zu nachdrücklich. „ Halten Sie das für gewiß, Herr Abelsen?“
Ihre Frage erschien mir überflüssig, und ich war unhöflich genug, nur mit einer schroffen Handbewegung zu antworten. Mir ging jetzt anderes durch den Kopf. Unsere Lage war keineswegs rosig. Im Gegenteil, – Coy Cala, der Unvergeßliche, hätte sicherlich ein übles Gesicht geschnitten und nach seinem Allheilmittel gegriffen. Die Eingeweidewürmer hatten ihm stets böse zugesetzt, und ein Wasserbecher voll Whisky half ihm sogar über die schwierigsten Sorgen hinweg.
Grübelnd schaute ich in das grüne Wasser hinaus. Es hatte zarte, helle Farben. Oben mußte die Sonne scheinen. Oben, wo der Feind lauerte. Was tun?! Ich war mit meiner Weisheit am Rande. Nur eins konnte ich noch versuchen: Die Insel bei diesem höheren Wasserstand noch mehr tauchen lassen. Vielleicht, daß dann die höchsten Bimssteinklippen unter Wasser verschwanden und Kolonel Bluß dem unheimlichen Eiland den Rücken kehrte und abzog.
„Wo wollen Sie hin?“ rief Ethel mir nach, als ich den Vorraum betrat und die Tür schon halb geschlossen hatte.
„Ein letzter Versuch in Ihrem Interesse,“ meinte ich nur.
Ihre Stirn krauste sich.
„Warten Sie doch damit,“ sagte sie in einem Tone, der mir an ihr neu war. Sie merkte wohl, daß ich diese ihre Einmischung falsch beurteilen könnte. „Man soll das Letzte erst dann versuchen, wenn die Not aufs höchste gestiegen ist,“ fügte sie rasch hinzu und lächelte mich verlegen an.
„Noch fünf Stunden, und wir ersticken hier, dann ist nämlich die Luft verbraucht,“ entgegnete ich nur und trat an die Schalttafel.
Sie stand neben mir. „Oh, das alles müssen Sie mir erklären, Herr Abelsen …“ und sie tippte auf die verschiedenen Hebel.
Ich wollte gerade nicht eben freundlich entgegnen, daß jeder Hebel sein Celluloidtäfelchen mit genauer Bezeichnung seiner Funktion hätte, als ich eine Entdeckung machte, die mich aufs äußerste überraschte.
Die Täfelchen fehlten, sogar die Richtungsanzeiger waren entfernt worden.
Ein mißtrauischer Blick traf die schöne Frau, aber sie hatte nur Interesse für die große Schalttafel.
„Ihre Insel ist ein technisches Wunder,“ flüsterte sie begeistert.
„Allerdings,“ sagte ich ironisch. „Und es geschehen immer mehr Zeichen und Wunder, Frau Murray …“
Nein, sie hatte die Täfelchen nicht losgeschraubt. Sie nicht. Wer sonst?! Bell Dingo etwa?!
Ich packte den einen Hebel, drückte ihn noch weiter nach links.
„Was bedeutet das, Herr Abelsen?“ wollte Ethel wissen.
„Die Tanks füllen sich noch mehr, und die Insel sinkt tiefer …“
Hinter uns eine rauhe, laute Stimme:
„Ai ai, Mussu, – das doch falsche Hebel sein …! Mussu sich irren …“
Ich wandte mich um. Bell Dingo schaute mich auffällig scharf an.
„Du hast recht,“ nickte ich und warf den Hebel nach der anderen Seite. „Frau Murray, vielleicht helfen Sie unserem Freunde ein wenig in der Küche. Sein Verbrauch an weißen Anzügen dürfte sonst meine Vorräte übersteigen … Er könnte noch eine gegorene Büchse öffnen.
Bell Dingo erstrahlte schon wieder in reinstem Weiß.
Die beiden entfernten sich. Ethel sehr zögernd.
Ich blickte lange auf die leeren Stellen, wo sich die Schildchen befunden hatten. Die Schrauben waren sauber in die Löcher eingefügt. – Bell Dingo etwa?! Und weshalb?! Wer war Ethel Murray?!
Wir hatten gefrühstückt. Freund Dingo hatte erneut bewiesen, daß seine sauberen Finger keine bloße Äußerlichkeit waren. Er benahm sich beim Essen durchaus gebildet, mehr noch, er spielte sogar Kavalier, bediente Ethel Murray mit Aufmerksamkeit und Geschick und heimste dafür ein paar anerkennende Worte und einen freundlichen Blick ein. Er war für Ethel kein verächtlicher Nigger mehr.
Es war jetzt zehn Uhr. Mein Versuch, die Insel von der Verankerung zu befreien, war fehlgeschlagen. Kolonel Bluß hatte wahrscheinlich Stahltrossen benutzt, und wir lagen bereits so gut wie in Eisen. Was Ethel über ihn beim Frühstück erzählt hatte, vervollständigte nur das Charakterbild eines rücksichtslosen Draufgängers, der unter der glühenden Sonne Australiens alle weichen Empfindungen von sich geworfen hatte wie höchst überflüssige Kleidungsstücke.
Und das Schlimmste: Ich merkte schon seit einer Stunde, daß die Luft, die wir atmeten, immer sauerstoffarmer wurde. Da halfen auch die überall geöffneten Türen nichts, – die Luft war verbraucht, und das Gefühl der Benommenheit und Müdigkeit steigerte sich immer mehr.
Ethel hatte matte Augen, Bell Dingo schlich müde mit dem Geschirr in die Küche, und ich zermarterte mir den Kopf, wie uns zu helfen sei. Als allerletzte Reserve war noch eine Stahlflasche Sauerstoff vorhanden. Aber ich wollte sie nicht öffnen, sie mußte unbedingt für die Stunde äußerster Not zurückgelegt werden.
Der Schwarze klapperte in der Küche mit den Tellern, ich stand vor dem Fenster und beobachtete die neugierigen Fische. Sie hatten es besser wie wir, sie waren frei, sie tummelten sich eifrig in ihrem Element und machten sich keine Sorgen Frau Ethels wegen.
Und Ethel war so still und bedrückt geworden.
„Würden Sie sich mit Bluß in Unterhandlungen einlassen?“ fragte sie leise.
„Vielleicht …“
„Und – mich preisgeben?“
„Niemals!“
Da trat sie neben mich, und der Duft ihres Leibes umwehte mich mit lockendem Zauber. Sie legte mir die Hand leicht auf die Schulter. „Sie sollen mich preisgeben,“ sagte sie fest. „Im schlimmsten Falle wird man mich ein paar Jahre wegen Gefangenenbefreiung einsperren. Was liegt daran?!“
Ihre Nähe war mir unbehaglich. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit Bell Dingo über das Schaltbrett zu sprechen, und ich traute ihr nicht.
„Aber an meiner Freiheit liegt mir sehr viel,“ meinte ich brüsk. „Ich habe Bluß’ Befehle bereits genügend mißachtet. Er wird auch mich nicht schonen, und auf eine Kerkerzelle und Handschellen lege ich keinerlei Wert.“
Sie war feinfühlig genug, zurückzutreten und wieder ihren Sofaplatz aufzusuchen. Ich ging zu Freund Dingo in die Küche und schloß die Tür. Er rieb einen Teller trocken, er hatte eine große Schürze vorgebunden und sein Gesicht verriet keinerlei Schuldbewußtsein.
„Weshalb hast du die Schilder abgeschraubt?“
Sein harmloser Augenaufschlag hätte einem Schauspieler Ehre gemacht.
„Ai ai, – wollten Schilder putzen,“ sagte er mit erstaunlicher Frechheit.
Ich war dicht vor ihm. Meine Blicke durchbohrten ihn.
„Sollte Ethel Murray die Schilder nicht sehen?“ fragte ich schärfsten Tones.
Er grinste beängstigend breit.
„Warum Frau nicht sollen sehen, ai ai, Mussu?! Warum nicht?! Sind schon geputzt … Da liegen … Ich nachher sie anschrauben.“
Auf dem Tische lagen die zehn in Messing gefaßten Schildchen und auch die zehn Richtungsanzeiger halb unter einem Handtuch. Sie waren blitzsauber.
„Bell Dingo, du bist entweder ein ganz geriebener Schwindler oder ein Sauberkeitsfanatiker,“ meinte ich, bereits überzeugt, daß mein Argwohn lächerlich gewesen sei. „Du glaubst also wirklich, daß unsere Kameradin Ethel Murray ist?“
„Ai ai, Mussu, – Bild in Zeitung beweisen alles … Warum sollten Frau so lügen?! Kein Grund, ich denken …!“
Er stellte den Teller weg, und ich begab mich in den Vorraum. Mein Entschluß war gefaßt. Ich würde die Insel nun emportauchen lassen und alles auf eine Karte setzen. So schnell wie möglich sollte sie emporsteigen, bevor noch der Polizeikutter vom Ufer heranschießen konnte.
Und sie stieg empor. Die Druckpumpen arbeiteten, – ich beobachtete den Tiefenmesser …
Jetzt mußte die Falltür bereits über dem Wasser liegen, jetzt war es Zeit. Ich sprang die Eisentreppe empor, löste die Schrauben, drückte die Tür hoch, war droben auf dem feuchten Gestein im gleißenden Sonnenlicht … Ein Blick rundum …
Vor mir nach Süden in zweihundert Meter Entfernung ein heller Sandstreifen, dahinter Sanddünen, vermischt mit nackten dunklen Felsen und einigen Streifen Gestrüpp …
Ich hatte das Fernglas mitgenommen, ich stellte es ein, suchte das Ufer ab …
Leer … Keine Menschenseele. Nur Vögel …
Doch halt: Dort an der einen Stelle, – ja, dort lagen zwei Leute im Schatten der Büsche. Und die schlichte Uniform kannte ich. Es waren Buschpolizisten. Aber sie schliefen. Sie hatten sich sogar zum Schutz gegen fliegendes Ungeziefer ihre bunten Taschentücher über die Gesichter gedeckt.
Nach einer Falle sah das nicht aus. Wenn Kolonel Bluß etwas gegen mich hätte unternehmen wollen, mußte er unbedingt ein Boot bereithalten. Es war kein Boot da.
Ich rief Dingo. Im Nu hatten wir das kleine Aluminiumboot nach oben geschafft. Ethel Murray war derweil unten am Inselstrand und empfing uns hier mit der Meldung, daß das Eiland mit zwei Stahltrossen verankert sei. Sie war glückselig, weil der Kolonel hier offenbar nur die beiden Wachen zurückgelassen hatte. Sie drückte mir die Hand, sie trieb Dingo zur Eile an, denn er wollte zunächst allein hinüberrudern und die beiden Gegner entwaffnen …
„Mussu, – ich das können,“ hatte er schlicht erklärt. „Ich sein zweibeiniger Dingo, ich schleichen, nehmen Karabiner weg, nehmen Pistolen weg, nehmen auch Pferde weg – alles …“
Er versprach viel, und wenn ihm auch nicht alles gelang: Wir beobachteten, wie er landete, wie er auf die Schläfer zukroch, wie er die Karabiner nach unten in den weichen Dünensand warf, – – aber dann hatte er Pech, der eine Mann erwachte, Dingo drohte mit meiner Pistole, und die beiden Leute rannten davon. Ich sah sie noch auf ihren Gäulen in einen Einschnitt der Küste davonjagen.
Ethel Murray fieberte vor Aufregung bei alledem. Sie wurde blaß und rot, – sie jubelte, winkte Dingo zu, schwenkte ihre Jacke …
„Oh, ich freue mich so, Herr Abelsen … Nun haben Sie durch mich keine Ungelegenheiten. Ich werde mich sofort von Ihnen trennen und landeinwärts wandern und zusehen, was ich für Paloma tun kann, die doch sicherlich wieder in Marcadari oder in Burketown eingekerkert ist …“
Das war sehr selbstlos von ihr. Aber wenig klug. Die australische Wildnis ist keine Kurpromenade, und ein Mensch ohne Pferd und ohne die nötige Ausrüstung ist in diesen wasserarmen Einöden verloren.
„Darüber sprechen wir später,“ sagte ich. „Dingo erklettert dort die Kuppe und hält Ausschau. Sehr verständig von ihm …“
Als der Schwarze dann wieder vor uns stand, meinte er kleinlaut: „Ai ai – keine Gefahr mehr … Nur …“ – und sein Kopf senkte sich noch mehr – „nur … fünf Gräber drüben, fünf Grabhügel und fünf Kreuze aus Kistenbrettern mit aufgepinselten Namen.“
Ethel schrie atemlos:
„Meine Schwester – tot?!“
„Ai ai, – nicht Schwester,“ beruhigte Dingo sie mit rauhem Mitgefühl. „Nur fünf tote Buschklepper da begraben sein … Tot aus nächtlichem Kampf von gestern …“
Ethel hatte sich matt an mich gelehnt. „Ich … war … so … in … Angst,“ flüsterte sie unter Tränen.
Bell Dingo schielte zu ihr empor. „Ai ai, – keine Angst … Schwester leben … Nur fünf Gräber … fünf Kreuze … Schwester gefangen oder entflohen, – das feststellen, – wenn gefangen, dann befreien, – Mussu doch auch so denken?“
„Genau so,“ versicherte ich und schüttelte ihm die Hand. „Bist ein braver Kerl, mein lieber schöner Dingo, bist eine echte schwarze Perle. Nur für Zigarren und Mundwasser hast du kein Verständnis.“
Wir ruderten hinüber, wie stiegen das Steilufer hinan bis zu der Mulde, wo die Polizisten ihre Pferde stehen gehabt hatten. Hier lagen die fünf Hügel in einer Reihe. Ich entzifferte die Namen, und schluchzend bestätigte Ethel, daß diese fünf Palomas treueste Verbündete gewesen.
Stehlen und rauben – vielleicht auch nur ein Sport, vielleicht auch nur ein Erwerb … abseits vom Alltagswege. Mein Coy hatte mit viel Geschick Pferde „eingetauscht“, mein Coy hatte sehr primitive Begriffe von Dein und Mein. Diese fünf Toten hatten gebüßt. Friede ihrer Asche.
Bell Dingo zeigte für die Gräber wenig Interesse. Er betrachtete den zertretenen Sandboden, er verfolgte die Fährten, er fand auch dicht am Ufer mehrere mit Blut getränkte Stellen.
Ethel hatte sich auf einen Felsblock gesetzt und den Kopf in die Hand gestützt. Sie ließ meine Fragen und Vorschläge unbeantwortet, sie war so in ihre trüben Gedanken versunken, daß selbst Dingos wildes Gebrüll und seine tollen Freudensprünge sie völlig kalt ließen. Er war ein Stück landeinwärts gelaufen bis zu einem Wäldchen, und dort vollführte er diesen Indianertanz, warf sich plötzlich zu Boden, schnellte wieder hoch und kam wie ein Pfeil herbeigeflogen, schwang in der Linken ein unförmiges Stück Holz, an dem grobe Schnitzereien angebracht waren.
„Mussu – – Mussu, – hier sein meine Heimat, – hier sein Dingo als Kind gewesen, – hier dies sein Totensäule von Grab von mein Vater …“
Er war wie von Sinnen. Seine Freude rührte mich. Aber Ethel Murray hob nicht einmal den Kopf. Nachdem Dingo sich wieder beruhigt hatte, nachdem er die Grabsäule an Ort und Stelle zurückgebracht und dann wieder bei uns erschien, suchte ich die Frau ihrem dumpfen Schmerz um das ungewisse Schicksal ihrer Schwester zu entreißen.
„Sie müssen sich aufraffen, Frau Murray!!“ Der energische Ton ließ sie zusammenschrecken. Sie blickte mich an, und ich las in ihren dunklen Augen etwas ganz anderes als Verzweiflung, ich möchte sagen: Schuldbewußtsein und Reue.
„Ich verdiene Ihre Güte nicht,“ murmelte sie beklommen. „Ich habe kein Anrecht auf irgendwelche Rücksichtnahme …“
Ich verstand sie nicht. Ihr sprunghaftes Denken entbehrte jeder Logik.
„Ich wüßte nicht, daß ich an Sie allzu viel Güte verschwendet hätte,“ meinte ich hart. „Was Sie mit Güte bezeichnen, liegt mir nicht. Ich bin so ziemlich der schamloseste Egoist, den ich kenne, freilich keiner von denen, die andere durch ihre Selbstsucht schädigen. Ich traue Ihnen immer noch nicht ganz. Ich vermute hinter Ihren bleichen Zügen irgendein Geheimnis besonderer Art. Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß ich dieses Geheimnis gegen Ihren Willen ergründe. – Folgen Sie uns … Die Insel muß anderswo versenkt werden.“
Sie zuckte merklich zusammen, und flammende Röte kam und ging auf ihrem schönen Gesicht. Ihr Blick wurde fast lauernd, und die Falten auf der Stirn und die geschürzten Lippen standen durchaus in Einklang mit ihren rasch und schroff hervorgestoßenen Worten: „Sie wollen dieses Wunderwerk versenken?! Das wäre Frevel, das … dulde ich nicht!“
Und sie erhob sich und schaute hinüber zu den grauen Bimssteinfelsen meines Heims, das da vor uns auf dem leicht bewegten Wasser schwamm. „Niemals, niemals!“ wiederholte sie und stampfte leicht mit dem rechten Fuße auf. Es war, als ob ein Vorhang von ihren Zügen herabglitte: Ihr Antlitz war wie aus Erz gegossen, jede Linie schien verändert, redete eine klare eindeutige Sprache von ungeheuerer Willenskraft. „Es wäre ein Frevel, auf ein so sicheres Versteck zu verzichten!“ fügte sie etwas beherrschter hinzu, und allmählich wandelte sich der Ausdruck ihres Gesichts wieder zu maskenhafter Undurchdringlichkeit. „Herr Abelsen, ich muß Sie mißverstanden haben,“ lautete ihr milder Nachsatz, und verwirrt wandte sie den Kopf zur Seite.
Seltsames Weib! Kind eines Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, Kind eines Kontinents, der in den weniger denn hundert Jahren den Kulturstaaten Europas Konkurrenz machte und doch weit mehr der dunkle Erdteil geblieben war, als es Afrika heute ist.
Ein stiller, aufmerksamer Zuschauer mischte sich ein: Bell Dingo, der sich etwas abseits gehalten hatte, weil er sich fraglos seines Rückfalls in den naturwüchsigen Freudentaumel beglückenden Heimatgefühls geschämt hatte. „Ai ai, – Mussu meinen mit Versenken ganz anders, – ich verstehen!“ Er kam näher, und er hielt die Augen im Sonnenglast halb geschlossen und blinzelte Ethel leicht grinsend zu. „Dort drüben sein Sandbarre und dahinter kreisende Strömung mit Treibholz und Seetang und andere Pflanzen… Dort Insel tauchen lassen, bis Falltür bei Ebbe freiliegt … Inselklippen mit Seetang bedecken, – sein dort auch natürliche Klippen, also niemandem auffallen …“
„Freund Dingo, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen …“ – und wiederum wunderte ich mich über die Klugheit dieses Schwarzen, der so viel Widersprüche in seinem Wesen vereinte.
Ethel lächelte mit einem Male. „Oh, wie töricht war ich nur! Ja – beeilen wir uns, verbergen wir die Insel …“ Sie lief zum Strande herab. Sie trug wieder ihre inzwischen getrockneten derben und doch zierlichen Schuhe. Sie war flink wie eine Gazelle, ihre Bewegungen blieben harmonisch selbst in der Hast langer Sprünge – ein Prachtweib!
Wir ruderten dorthin, wo die eine Stahltrosse schräg in die Tiefe tauchte. Wir holten einen mittelgroßen Anker vom sandigen Grunde hoch, – auch den zweiten, und dann begann die fast übermenschliche Arbeit, die Insel hinter die Sandbarre zu schleppen. Bell Dingo hatte alle Oberkleider bis zum Gürtel abgeworfen und ließ seine prachtvolle Muskulatur spielen. Unbarmherzig brannte die Sonne auf uns herab. Ethel stand am Inselrand und überwachte die beiden Schlepptaue. Es war eine Arbeit, die wir erst nach Stunden glücklich zu Ende führten. Meine Hände hatten dicke Blasen, die Arme schmerzten mich, ich war steif und wie gelähmt, als ich mich im Boote erhob.
Ein Blick auf die Flutmarken des Festlandstrandes zeigte mir, daß der tiefste Stand der Ebbe in einer halben Stunde zu erwarten war. Die Anker wurden versenkt, die Trossen gekürzt, und wieder eine Stunde darauf war mein Heim verschwunden. Wir hatten alles, was wir dringend brauchten, an Land geschafft und in einem nahen endlosen Busch verborgen. Der Kirchhof der fünf Buschklepper lag etwa eine Meile weiter nach Osten zu. Hier würde uns niemand suchen, hierher war niemand gekommen, der Boden war frei von Spuren. In der Lichtung neben unseren Vorräten errichteten wir ein Zelt mit zwei Abteilungen. Ich sank totmüde auf meine Wolldecke. Es war jetzt fünf Uhr nachmittags. Wenn ich gewußt hätte, was die nächsten Stunden bringen sollten, würde ich kaum so fest und traumlos geschlafen haben.
Auch Ethel Murray schlief, von mir durch ein Stück Segelleinwand getrennt. Bell Dingo hatte die erste Wache übernommen. „Ai ai, du müde, Mussu, – und Missu Ethel auch … Ihr ruhen, ich wachen und denken,“ hatte er erklärt, und gegen seine Selbstverständlichkeit war nicht aufzukommen.
Sein nachsichtiges Schmunzeln, als ich mir meine durch das Rudern so übel zugerichteten Hände angeschaut hatte, war eigentlich eine Beleidigung. Ich war verweichlicht in diesen drei Monaten Einsamkeit, ich hatte vieles eingebüßt in diesen endlosen Wochen, in denen nur das Meer und die Vögel und meine Insel meine Gefährten waren.
Ich schlief. Draußen im Busch, der von einzelnen Schopfbäumen überragt wurde, deren weißlicher haarähnlicher Behang sie zu morschen Greisengestalten machte, rauschte im Seewinde und sang Ethel und mir das Schlummerlied.
Stunden verrannen.
Ein Fußtritt gegen das Schienbein weckte mich. Ich schnellte hoch, stierte schlaftrunken in die Mündung einer klobigen Repetierpistole und in ein braunes Gesicht, das von einem hellen Schlapphut mit dem Abzeichen der berittenen Polizei von Queensland überschattet wurde. Hinter Bluß im Zelteingang standen noch drei Leute in fahlgrünen Anzügen aus Englischleder[2].
„Gut geruht?“ meinte der Kolonel mit einer Stimme, die wie eine Stahlsaite nachschwang. Der blutige Hohn trieb mir die Röte bis in die Stirn. Sein Fußtritt sollte ihm nicht vergessen werden.
„Aufstehen,“ kommandierte er grob. „Hände her! – Sergeant, die Handschellen!“
Ein Mischling war dieser Sergeant, ein baumlanger Kerl mit olivengrüner Visage, pockennarbig, finstere Augen. James Mistar hieß er.
Ich stand nicht auf. Mein Herz hämmerte ein wenig schneller. Ich zählte die Gegner. Fünf. Eine ungerade Zahl. Ich bin abergläubisch. Sechs wären mir angenehmer gewesen.
Arthur Bluß war unfehlbar das, was man äußerlich einen Prachtkerl nennt. Er hatte graue Augen von peinlicher Schärfe. Er belauerte meine Bewegungen. Er hielt mir die Pistole fast vor die Stirn.
„Los doch! Kerl, was zögerst du?!“
Und wieder hob er den Fuß.
Dieser brutale Gewaltmensch, wohl verwildert auf beständiger Menschenjagd, war einem Schüler Coy Calas niemals gewachsen. Hätte Coy hier an meiner Stelle auf der Wolldecke gesessen, würde ich für des Kolonels Leben keinen Pfifferling gegeben haben. Coy hätte einen Fußtritt mit einem Messerstich beantwortet, und Coys Stiche saßen stets gut.
Arthur Bluß flog plötzlich nach hinten, seine Kugel fegte über meinen Nacken weg, und er selbst warf seine Leute zu wirrem Knäuel übereinander. Mit fünf Sätzen hatte ich einen der abgesattelten Gäule erreicht, war oben, jagte in den Busch hinein …
Schüsse hinter mir her …
In meinen Adern brauste das Blut wie lang nicht.
Ich war erwacht. Der Winterschlaf dreier Monate war vergessen …
Coy Calas Schüler bearbeitete die Weichen des Pferdes mit den Hacken, lag eng angeschmiegt an dem berauschend duftenden Pferderücken …
Ich sog diesen Geruch ein wie etwas endlos Entbehrtes … Und in meinem Herzen lebten Erinnerungen auf an den besten Reiter, den ich je gesehen.
Mochten die da hinten brüllen …
Der Gaul war vortrefflich, war an solch’ wilde Hetzen gewöhnt, fand von selbst die freien Stellen im Busch …
Dann hinaus in das Sandfeld – nach rechts den felsigen Hügeln zu … hinein in ein steiles, kahles Tal, hinein in eine Seitenschlucht und hier hinan bis zu einer dünn bewaldeten Kuppe, die letzte Strecke zu Fuß, den Gaul nur an der Mähne führend.
Tief unter mir sah ich, lang im Geröll liegend, die sechs Verfolger, weit voraus Arthur Bluß auf einem hochbeinigen Fuchs. Sie preschten blindlinks an der Schlucht vorbei, und ich lachte still vor mich hin, nahm meinen Braunen beim Halfter, den ich rasch aus Streifen meines Bastseidenhemdes hergestellt hatte, und stieg gemächlich in die Ebene hinab. Am Fuße der Kuppe zog sich ein Wald von Kasuarien hin, jenen schachtelhalmähnlichen Riesengewächsen, die als ungeheure Stengel die wenigen dürren Nadelbäume hoch überwucherten. Das Schweigen dieses seltsamen Waldes aus braungrünen Stangen umfing mich mit nervenberuhigender Lautlosigkeit. Ein paar Tiere huschten entsetzt davon; wütend grunzte mich ein Ameisenigel an, der gerade seinen Rüssel tief in einen kribbelnden Hügel gebohrt hatte. Helmkakadus kreischten ebenso wütend auf. Sie hatten auf einem Bunga-Bunga gesessen und sich an den großen Nüssen gütlich getan.
Es war dies ein völlig anderes Land als meine verlorene Heimat dort am Gallegos-Fluß an der Grenze Patagoniens, – es war das Land der seltsamsten Tiere des Erdenrunds, der Beuteltiere, der Känguruhs, des Beutelwolfes und des Schnabeltieres, des einzigen Vierfüßlers, der ein Bindeglied zu der Familie der Vögel darstellt, da er Eier legt … Es war das Land der unendlichen Scrubs, jener Akazienwaldungen, die hier als Bäume ihre bläulichgrünen Blätter schattenspendend ausbreiten.
Das Gekreisch der Kakadus verstummte zum Glück sehr bald, es hätte mich verraten können. Am Fuße einer riesigen australischen Buche, deren Zweige dicht besät mit runden riesigen Nestern von Paradiesvögeln waren, stieß ich auf frische Spuren. Hier waren zwei Menschen vorbeigekommen, einer mit Schuhen mit Gummisohlen, der zweite mit nackten kleinen Füßen. Die enge Riffelung der Gummisohlen war noch neu. Sollte ich hier Freund Dingo vor mir haben?! Sollte seine Begleiterin Ethel Murray sein? War es ihm geglückt, sie zu befreien?
Ich schritt eiliger aus. Ich wollte Gewißheit haben. Ich kam über felsige, kahle Strecken und mußte mühsam nach den Fährten suchen. Coy wäre mit mir zufrieden gewesen.
Und dann senkte sich der Wald jäh in eine kleine enge Schlucht hinab. Zwischen den dünner stehenden Kasuarinen gewahrte ich auf dem Grunde des steilen Tales eine blinkende Wasserfläche. Frische Gräser bildeten dort einen grünen Teppich, die Felswände zeigten üppige Moospolster, kleinere Buchen und Schopfbäume (Grasbaum lautet die wissenschaftliche, aber weit weniger treffende Bezeichnung) gaben diesem grünen Fleckchen Erde ein noch behaglicheres Aussehen.
Ich band den Braunen fest und kletterte vorsichtig abwärts. Der Steilhang gebot mir Halt. Ich beugte mich vor und erblickte an einem winzigen Feuer zwei Gestalten.
Es war Bell Dingo, aber seine Begleiterin war nicht Ethel Murray, und mein Herz tat ein paar schnellere Schläge vor bitterer Enttäuschung.
Der schöne Dingo hockte auf einem Stein. Die weißen Beinkleider hatte er achtsam über den Knien hochgezogen, um sie nicht auszubeuteln. Er sprach eifrig auf eine uralte Australnegerin ein, die in einen bunten Kattunfetzen gehüllt war. Ihr wolliges Haar war ergraut, ihr schwarzes Gesicht tätowiert und von abschreckender Häßlichkeit. Trotzdem ging Dingo mit ihr aufs zärtlichste um, streichelte ihre Hände und reichte ihr die im Feuer gerösteten flachen Kuchen aus Nardumehl.
Umsonst suchte ich dann nach einer Stelle, die den Abstieg ermöglichte. Ich wollte Bell Dingo überraschen. Auch er spielte mit mir ein wenig Versteck, auch er hatte wie Ethel seine Geheimnisse. Die abgeschraubten Schilder, die noch immer nicht wieder befestigt waren, vergaß ich nicht.
Die Felswände fielen überall senkrecht ab, mindestens fünfzehn Meter, und vielleicht gab es nur einen Zugang zu dem Talkessel: Mit Hilfe einer Buche, deren Stamm sich in halber Höhe der Südwand auf einem Vorsprung angesiedelt hatte und deren Krone bis zum Rande des Südabhangs emporreichte. Hier stand ich und musterte den Boden ringsum. Ich sah keine Spuren. Vor mir war das dichte Grün der Zweige und Äste, und Coy hätte vielleicht eine Kasuarine gefällt und sie als Brücke zum Stamm des Baumes benutzt. Ich hatte kein Beil, ich hatte nur meine Pistole.
Es blieb mir nichts anderes übrig als zu rufen. Dabei hätte [ich][3] Bell Dingo so gern belauscht.
Ein anderer belauschte mich, einer, der die australische Wildnis besser kannte als ich.
Lautlos war Kolonel Bluß in meinen Rücken gelangt. Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter, fuhr herum, und die Pistolenmündung drohte und Arthur Bluß lächelte ironisch.
„Da wären wir,“ sagte er leise. Seine grauen Stahlaugen blickten in freundlichem Spott, sein Gesicht verriet mehr liebenswürdige Nachsicht als Triumph, mich überrascht zu haben. Es waren die edlen, offenen Züge eines Gentleman. Vorhin im Zelt hatte ich sie doch wohl unrichtig gedeutet.
Drei Monate Einsamkeit und Verweichlichung lagen hinter mir. Ein einziger Tag hatte all das wieder zum Leben erweckt, was mir Mutter Natur mitgegeben und Coy weiter ausgebildet hatte.
„Sie sind ein unleidlicher Schwätzer, Kolonel,“ sagte ich ebenso gedämpft. „Sie hätten heute lernen sollen …!“
Ich schwatzte selbst, aber mein blitzschneller Fausthieb von unten her und ein gut berechneter Tritt waren der erfolgreiche Nachsatz.
Oberst Arthur Bluß von der berittenen Polizei Nord-Queensland, flog meterweit in die Kasuarinen, und ich flog eine Sekunde darauf in die Krone der Buche, erwischte einen Ast, turnte abwärts und ließ mich dann auf gut Glück vom tiefsten Ast, der unter meinem Gewicht sich nach unten bog, auf den Grasboden der Schlucht fallen und nahm hinter einem überhängenden Steine Deckung.
Oben hörte ich Bluß’ kernige Flüche und andere laute Stimmen.
Das Lagerfeuer brannte noch. Bell Dingo und die Negerin waren verschwunden.
Vor mir im Grase bemerkte ich niedergedrückt Stellen. Ob es die Fährte eines Tieres war – vermutlich. Ich sah die Löcher von Krallen und die Eindrücke von Ballen.
Oben brüllte der Kolonel: „Ergeben Sie sich!! Ich verspreche Ihnen Straffreiheit, ich will nur Ethel Murray haben. – Sie sind mir gleichgültig!“
„Sie auch!! Und der erste, der das Tal betritt, – dem ist für alle Zeit alles gleichgültig!“ Ich entsicherte meine Pistole.
Hinter mir aber sagte da ein krächzender Baß mit kühlster Selbstverständlichkeit:
„Mussu fein springen … Hier gerade richtiger Platz …“
Mein lieber Ai Ai stand tief gebückt in einem Loche der Felswand, das vorher nicht vorhanden gewesen war. Er winkte grinsend. „Etwas eng sein, nachher breiter, Mussu … Sein Wohnhöhle von Eltern meinige …“ Er strahlte … „Mutter noch leben hier … Mussu, aber Mutter bleiben besser fern … Mutter haben böse Kamu-Beulen, sehr ansteckend das für Weißen …“
Oben brüllte Bluß abermals sein zweckloses Sprüchlein. Hier unten schob mein Ai Ai einen riesigen Stein vor das Loch und stützte einen Pfahl dagegen.
„Kolonel Bluß können lange suchen,“ sagte er. „Keine Spur im Gras verraten uns … Ich sein auf Händen hierhergegangen, und Mutter sitzen mir auf Bauch …“
Das also war die Tierfährte!! Bell Dingo war doch ein ganz gerissener Kunde.
Im schwachen Dämmerlicht, das durch einige Ritzen in den Höhlengang hineinfiel, folgte ich meinem Ai Ai ziemlich steil aufwärts, bis heller Sonnenschein mich eine geräumige Grotte erkennen ließ, in der eine Hütte aus Flechtwerk dicht am Eingang lehnte, vor dem sich undurchdringliches Gestrüpp erhob.
Ich drückte Dingo stumm die Hand.
„Wo ist Frau Murray?“
Er zog die Schultern bis zu den Ohren hoch. „Nicht wissen … Nachher erzählen …“
„Und deine Mutter?“
„In Hütte da, Mussu … Sehr krank, Mussu … Sein Gesicht wurde tieftraurig. „Mutter haben nur von Bunga-Bunga gelebt … Das sein schuld an Kamu-Beulen.“
Was die Eingeborenen mit Kamu bezeichnen, ist in der Tat ein böser Hautausschlag, dessen braune eitrige Borken einen fürchterlichen Gestank verbreiten.
Ich verzichtete darauf, Frau Dingo zu begrüßen.
Ai Ai schleppte einen Baumklotz herbei.
„Setzen, Mussu … Ich beobachten Polizei.“
Ich war nicht recht zur Besinnung gekommen in den letzten zehn Minuten. Drängt sich mannigfaches Erleben in einer so kurzen Zeitspanne zusammen, wird stets nur das Eindrucksvollste als besonders klare Erinnerung sich herausheben. Merkwürdigerweise war dies hier in meinem Falle ein prägnanter Männerkopf und ein feines, liebenswürdig-spöttisches Lächeln: Kolonel Arthur Bluß, der Menschenfänger!
Ich war noch etwas außer Atem, aber als ich nun hier allein im grellen Lichte des Höhleneingangs saß und zerstreut meinen arg ramponierten Anzug beobachtete, dem der Sprung in die Baumkrone herzlich schlecht bekommen war, sah ich noch immer dieses tiefgebräunte Gesicht vor mir, dem der breite Schlapphut etwas ungeheuer Verwegenes verlieh. Manch’ denkwürdige Menschenblüte wucherte an meinen entlegenen Wegen. Nur bei einem Manne hatte ich dieses Lächeln in den Augen wahrgenommen, und dieser Mann hatte seine Verachtung jeglicher Gefahr und seine zermürbte Seele hinter wohlfeilem Zynismus verborgen. Ich traf ihn dort unten im südlichsten Südamerika, wo die Natur sich den Scherz geleistet hat, ein Labyrinth wunderlicher Inseln zu schaffen und diese Inseln einmal mit eisigen Hagelschauern, dann wieder mit sengendem Glutatem des Pazifik zu überschütten.
Es war sonderbar, aber nicht wegzuleugnen: Arthur Bluß war mein Feind, und doch empfand ich Sympathie für ihn. Er redete nur zu viel, und er mochte ein guter Fährtenleser sein, ein Schüler Coys war er nicht.
Mein Blick streifte die Hütte aus Flechtwerk, und meine Gedanken sprangen auf Bell Dingos Mutter über. Ich hörte in der Hütte nicht das geringste Geräusch.
Die Pfosten der Hütte waren uralt, das sah ich. Sie waren reich geschnitzt, ganz nach Art der primitiven Bildhauerkunst der Australneger, und sie endeten oben in weißlichen, rundlichen Kugeln: Totenschädeln!
Sie maß etwa fünf Meter vorn, und mochte vier Meter tief sein und ebenso hoch. Die Tür, auch aus dichtem Flechtwerk, lag in der Mitte der Vorderseite. Das Dach war nach hinten leicht geneigt und hier eigentlich ganz überflüssig, da die Höhlendecke genügend Schutz gegen Regen bot.
Eins fiel mir auf: Das Flechtwerk war ganz neu. Die Schnittflächen der Zweige leuchteten noch hell. Aber ich machte mir hierüber weiter keine Gedanken.
Ich betrachtete die Umgebung. Ich sah eine Feuerstelle aus geschwärzten Steinen. Darüber hing an einem in den Fels gebohrten Eisenhaken ein fast blanker Aluminiumkessel. Die Kultur schien selbst bis zu Bell Dingos Mutter vorgedrungen zu sein. – In einer Wandnische standen noch verschiedene andere Gegenstände, die mich in Erstaunen setzten: Konservenbüchsen, eine kleine Kaffeemühle, Blechteller, Kannen und drei große Pakete. Diese in Segelleinen gehüllten Pakete kamen mir bekannt vor. Wenn ich mich nicht irrte, waren es die Proviantvorräte, die wir von meiner Insel mitgenommen hatten. Aber nicht hierher. Dingo schien also verschiedenes gerettet zu haben.
Mein Holzklotz war auf die Dauer kein Korbsessel. Ich erhob mich, um draußen einmal Umschau zu halten. Durch die grüne Hecke des unwegsamen Gestrüpps, das den Eingang verdeckte, lief ein schmaler gewundener Pfad. Auch hier hatte ein Messer allzu hinderliche Schößlinge frisch entfernt. Tief gebückt verfolgte ich diesen Pfad und sah mich plötzlich im Freien, warf mich schnell zu Boden, denn tief unter mir erblickte ich die Bucht und die lange Sandbank und gerade dort, wo meine Insel nun bei hohem Wasser in der Tiefe ruhte, auch ein Motorboot, das soeben dem Ufer zuhielt.
Ich lag hier auf einer Bergterrasse, dicht am Abhang, hinter mir waren der Busch und die Höhle und vor mir die Unendlichkeit des Meeres im letzten Schein der bereits dem Horizont sich zuneigenden Sonne. Die Terrasse wölbte sich im Bogen weit vor, und als ich im Schutz einiger Steine nach links spähte, hielt ich unwillkürlich den Atem an: Auf der benachbarten Kuppe lehnte an einer einzelnen dickstämmigen Buche Oberst Arthur Bluß und rauchte eine Zigarette und beobachtete das große Motorboot, auf dem sich vier Polizeibeamte befanden. Zu Füßen des schlanken Kolonels aber lag ein großer pechschwarzer Hund, ein Dobermann, den Kopf auf den Vorderpfoten, die spitzen Ohren spielten andauernd, und es machte ganz den Eindruck, als ob Bluß hin und wieder mit dem Hunde sprach.
Ich zog mich schleunigst in das Dickicht zurück. Hätte der Kolonel nur einmal den Kopf nach rechts gedreht, würde er mich gesehen haben. Mir lag vorläufig nichts daran. Wir würden uns wohl noch unter für mich günstigeren Umständen begegnen. Der Fußtritt zwischen uns war wettgemacht, und Ethel Murrays Befreiung sollte ihm beweisen, daß auch außerhalb Australiens die Romantik noch zu finden war.
Als ich die Höhle erreicht hatte, war Bell Dingo noch immer nicht zurückgekehrt. Was trieb er eigentlich da unten vor dem geheimen Eingang?! Die Berittenen hatten es doch offenbar aufgegeben, die Schlucht zu erobern. Sonst wäre Bluß wohl kaum so behaglich in den Anblick der Bucht und in den Genuß seiner Zigarette versenkt gewesen. – Ich schritt also tiefer in die Grotte hinein und den natürlichen Felsengang abwärts. Der Pfahl war noch fest gegen den riesigen Stein gestützt, aber mein schwarzer Ai Ai glänzte durch Abwesenheit. Das beunruhigte mich. Ich blickte durch die schmalen Spalten zwischen Felsloch und Verschlußloch in den Talkessel hinaus. Die beiden Leute, die dort am Feuer lagen, waren leider Polizisten. Die Schlucht war mithin doch schon vom Gegner besetzt.
Wo war Bell Dingo?!
Ich eilte nach oben vor die Hütte und rief seinen Namen.
Ich pochte gegen die Flechtwerktür, ich riß sie schließlich auf …
Die Hütte war leer.
Was bedeutete das?!
Ich trat ein, ich scherte mich den Teufel um den Kamu-Ausschlag, obwohl ich in Sydney Leute getroffen hatte, deren Gesichter dadurch grauenvoll entstellt waren.
Das Halbdunkel im Innern ließ mich die Gegenstände nur erraten. Da war ein Tisch, zwei Klappstühle, ein eisernes Klappbett mit blendend weißer Wäsche, – da waren ein Schränkchen, eine Hängelampe für Petroleum, ein zweites Schränkchen mit einem großen Stehspiegel und allerlei Toilettensachen, Bürsten, Kämmen, Zahnbürsten, Tuben, mit allerlei Kultursalben, Fläschchen mit Mundwasser, Parfüm, Haarwasser … Da lagen drei Taschenlampen mit frischen Batterien, Nagelfeilen, Puderdöschen – weiß Gott noch was alles.
Ich war starr. Dingos Mama schien doch außerordentlich anspruchsvoll zu sein. Die alte Dame mit der grauen Krimmermütze gab mir mehr Rätsel auf als Ethel, Dingo-Bell und der brutale Arthur Bluß, der so überlegen zwinkern konnte.
In einer Ecke lehnten sogar die beiden Karabiner, die Freund Ai Ai den schlafenden Hütern des Gesetzes abgeknöpft hatte.
Sehr merkwürdig war das alles.
Ich nahm den einen Karabiner mit mir. Der Patronenrahmen war gefüllt. Mit der Taschenlampe suchte ich nochmals die ganze Höhle ab.
Ich begriff nicht, wo Mutter und Sohn geblieben sein konnten. Wenn wenigstens noch die Alte vorhanden gewesen wäre! Dann hätte ich mir gesagt, Bell Dingo sei von ihr durch das Felsloch hinausgelassen worden und sie könnte den Pfahl wieder gegen den Stein gelehnt haben.
Behutsam wagte ich mich wieder durch das Dickicht auf die Terrasse hinaus, nachdem ich mir ein Bündel grüner Zweige abgeschnitten hatte, die ich am Rande des Abhangs vorsichtig festklemmte, um Deckung zu haben. Dann erst spähte ich zu der kahlen Kuppe mit der einzelnen Buche hinüber.
Mir fiel fast der Karabiner aus der Hand. Die Szene dort drüben hatte sich peinlich verändert. Kolonel Bluß und sein Hund waren nicht mehr allein. Vier der Leute in Englischleder standen abseits und hielten einen Strick in den Händen, und am anderen Ende dieses Strickes, der über einem Ast lag, befand sich eine Schlinge, in der zu meinem Entsetzen Bell Dingos Hals steckte. Arthur Bluß aber lehnte noch immer an dem Baume, rauchte noch immer Zigaretten, unterhielt sich jedoch nicht mit seinem Dobermann, sondern mit dem gefesselten Ai Ai, der ihm das von der Abendsonne vergoldete Gesicht zugekehrt hatte.
Diese Vorbereitungen, meinem armen Bell die Luft für immer abzuschnüren, mußten unbedingt Vorbereitungen bleiben. Viel Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. Ob der Karabiner etwas taugte, wußte ich nicht. Der erste Schuß würde das ja zeigen. Die Entfernung schätzte ich auf zweihundert Meter, ich brauchte also das Klappvisier nicht zu benutzen.
Ich schob die Büchse vor, zielte mit aller Sorgfalt auf den ruhig vom Ast herabhängenden hellen Strick und drückte ab, lud sofort wieder und feuerte diesmal – der Strick war unversehrt – auf den Unterschenkel des vordersten der Galgenknechte. Da die vier ziemlich in einer Reihe standen, schien diese Kugel mehrfach getroffen zu haben.
Die Kuppe war urplötzlich wie leer gefegt, nur Bell Dingo stand noch wie eine Statue, gegen den rötlichen Himmel scharf umrissen gleich einem Kinobilde.
Dritter – vierter Schuß, – nun war der Strick drei Handbreit über Dingos Kopf zerfetzt, und der schlaue Ai Ai tat das unter diesen Umständen einzig Richtige: Er warf sich zu Boden und rollte sich mit erstaunlicher Fixigkeit den Abhang hinab, tauchte in der Tiefe in den Büschen unter und war vorläufig geborgen. Ob seinem weißen Anzug diese neuartige Flucht sonderlich bekommen war, blieb fraglich.
Kolonel Bluß war zweifellos übelster Laune. Die ungeheure Verschwendung an Patronen, die er jetzt inszenierte, schadete ausschließlich dem Gestein ringsum. Die Queensländer schossen miserabel. Mochten sie. Wenn nur Dingo mit ein paar blauen Flecken davonkäme. Er war nur an den Armen gefesselt gewesen, und ein Kerl wie er, würde sich dort unten im Busch schon weiterhelfen.
Allmählich flaute der Kugelregen ab. Der Kolonel stand hinter der Buche, ich sah hin und wieder den Hutrand und den Stummelschwanz seines Hundes. Allmählich wurde es auch dunkler, und als ich mich nun gerade rückwärts verflüchtigen will, spüre ich eine Berührung.
„Mussu, sehr schönen Dank …“ sagt Bell Dingo und schiebt sich neben mich.
Ich stiere ihn sprachlos an. Der Strick hängt noch um seinen Hals, aber die Hände hat er frei.
„Ai ai, du dich wundern, Mussu,“ fügt er beneidenswert richtig hinzu.
„Allerdings, mein lieber Ai Ai, ich wundere mich beträchtlich … Wie bist du denn in diese scheußliche Lage geraten? Wie hast du die Höhle verlassen, und wo ist deine Frau Mama?!“
Aber er hat lediglich Augen und Ohr für die Kuppe drüben.
„Dumme Kerle das, Mussu,“ meint er wegwerfend. „Wollten mich gar nicht hängen, wollten nur Ethel Murray haben …Wollten mich machen in Angst, Mussu … Ich sagen zu Kolonel Bluß: „Mr. Kolonel, Frau sind entflohen, ich nicht wissen, wo sein.“ Und dann er fragen, wo Mr. Abelsen. Ich sagen: Mussu sein in Sicherheit. – Ich nie lügen. Und dann Mussu schießen, Kerle hüpften wie Känguruh und werfen sich hin, und das sein alles.“
„Also hast du keine Ahnung, wo Frau Murray ist?“
„Sein entflohen, – gut so,“ erklärt er hundeschnäuzig. „Ihr schon finden, Mussu, ai ai, und jetzt ich haben Hunger. Mutter schon kochen zwei Büchsen …“
Er kriecht davon, und ich muß wohl oder übel folgen. Ich werfe noch einen letzten Blick auf die Buche und des Dobermanns Stummelschwanz, und in der Höhle empfängt mich appetitlicher Duft …
Bell Dingo füllt mir einen Blechteller, holt den zweiten Klappstuhl aus der Hütte, und nun höre ich ihn dort drinnen mit seiner Mutter in seinem Heimatidiom schnattern … Ich kann genau alles hören, aber ich verstehe kein Wort, ich bin nur erstaunt, daß diese Niggersprache so zahlreiche helle Kehllaute hat, – und dann sitzt der schöne Dingo neben mir und ißt mit fast gezierten Bewegungen und lobt die dicke Suppe, ein unergründliches Gemisch von Fleisch, Pflaumen und Speckstücken.
„Wo also war deine Mutter,“ beginne ich wieder, „und wie verließest du die Höhle, da doch …“
Er gähnt diskret und meint: „Mussu, Höhle noch einen Zugang haben … Du das denken können. Zweites Loch dort sein, wo Hütte steht, Mussu … in Hinterwand Tür sein …“
„Das hättest du mir sofort mitteilen sollen,“ – aber an Bell Dingo prallen derartige Vorwürfe einfach ab. Bei all seiner Höflichkeit hat er ein ziemlich dickes Fell und Trommelfell.
Ich wechsele die Art des Angriffs. „Sage mal, mein schöner Dingo, – deine Frau Mama verfügt ja über …“
Er gähnt noch diskreter und fährt unbekümmert fort: „Tür in Hinterwand der Hütte durch Schrank verdeckt, Mussu … Als du waren zum ersten Mal auf Terrasse, ich mit liebe Mutter gehen durch Tür in andere Tal hinab und wollen Ethel Murray-Missu suchen. Da mich greifen Kolonel Bluß, und Mutter nicht greifen, aber Mutter große Angst um mich. Wir dir sehr danken, sehr …“ und aus treuen Augen blicke er mich an und reicht mir die Hand und zerquetscht mir wieder halb die Finger. Es ist wundervoll, einen solchen Kameraden wie ihn zu haben, nur bei Händedrücken muß man vorsichtig sein.
Aus der Hütte ertönt der lieben Mutter schrilles Schnattern, und Dingo läuft zu ihr, wirft die Tür hinter sich zu, und ich bin allein … Ich lehne am Höhleneingang und bewundere die Farbenpracht des Abendhimmels, ich schleiche durch die Büsche auf die Terrasse und will mich gerade aufrichten, als ein Tierkörper mich niederwirft und des Dobermanns Gebiß meine Kehle umfängt.
„Rühren Sie sich nicht!“ sagt Kolonel Bluß mahnend. „Mein Charlie schnappt zu, wenn Sie auch nur die große Zehe bewegen.“
Diesmal siegt Bluß. Seine vier Queensländer sind auch zur Stelle, aber zwei hinken arg, und der farbige Sergeant James Mistar fesselt mir die Hände und schiebt mir einen Knebel hinter die Zähne.
„Jetzt werden wir das Nest ausheben,“ meint der Kolonel. „Und dann sollen Sie mit zusehen, wie Bell Dingos Hals sich ziemlich lang reckt.“
Dingos Hals kam nicht in Gefahr, denn die Höhle und die Hütte sind ein leeres Nest, und das „Ausheben“ mußte Kolonel Bluß ein wenig verschieben.
Arthur Bluß trägt am linken kleinen Finger zwei kostbare Brillantringe.
Bell Dingo begnügt sich mit einem Platinring mit Smaragd.
Arthur Bluß hat Hände wie ein Kassierer in einem Schönheitssalon, polierte Nägel und dreht sich seine Zigaretten selbst. In diesen Punkten kann Dingo nicht mithalten.
Der Kolonel sagt zu mir, nachdem wir am Feuer auf den Klappstühlen Platz genommen haben: „Mr. Abelsen, wir haben uns natürlich an Tauen auf die Terrasse hinabgelassen.“
„Leider …“
„Ja, Sie fühlten sich hier zu sicher. – Wo ist der Neger?“
„Im Flugzeug nach Burketown zum Friseur, Kolonel,“ entgegnete ich toternst, denn Bluß hat Sinn für Humor.
Diesmal wirft er mir jedoch einen mißbilligenden Blick zu: „Vergessen Sie nicht, daß Sie der Polizei Widerstand geleistet und zwei Leute angeschossen haben.“
Diese zwei und ihre Kameraden durchsuchten immer noch die Grotte. Hoffentlich rücken sie nicht den Schrank von der Hüttenrückwand ab.
„Wo ist der Schwarze?“ wiederholt der Kolonel sehr überflüssig, und ich zucke nur die Achseln.
Arthur Bluß betrachtet mich prüfend. „Ich habe in den Zeitungen so allerlei von Ihrer Insel gelesen,“ meint er tastend.
„Mag sein, Kolonel. Schade um das künstliche Eiland.“
Er fährt vom Klappstuhl hoch. „Haben Sie es etwa versenkt?“
„Gewiß …“
Bluß starrt mich an. Auch Charlie, der Dobermann, starrt mich an und liegt wie sprungbereit.
„Dann …“ sagt Bluß nachdenklich und setzt sich wieder, „dann würde sich vieles ändern …“
„Inwiefern?“ gestattete ich mir zu fragen. „Ob mein Eiland auf dem Grunde des Meeres liegt, kann Ihnen doch sehr gleichgültig sein. Ihre Interessensphäre beginnt bei den Buschkleppern und endet am Galgen.“
Er lächelt eigentümlich. „Am Galgen wünschten mich viele, Mr. Abelsen …“ Dann wird er sehr ernst, ein nachdenklicher Zug tritt in sein Gesicht und er blickt mich wieder an. „Wenn man Ihnen trauen könnte,“ meint er scheinbar ohne jeden Zusammenhang.
Leider wird unser Gespräch hier durch das Erscheinen des Mestizen Mistar unterbrochen. Der lange unangenehme Kerl mit den Bläckzähnen hat es sehr eilig und flüstert dem Kolonel etwas zu … Ich verstehe lediglich ein paar Worte, und die besagen nichts. Aber meine Sorge, die Queensländer könnten etwa den zweiten Zugang entdeckt haben, erweist sich als überflüssig. Bluß und Mistar greifen nach ihren Karabinern und laufen durch den Pfad auf die Terrasse. Gleichzeitig höre ich aus dem Talkessel durch den Felsengang, der wie ein Schallrohr wirkt, eine förmliche Salve, – – dann knattert es auch draußen auf der Terrasse, und in den Lärm des Kampfes mischt sich das Aufheulen des Hundes, der seinem Herrn gefolgt ist: Paloma Ruxas Bande greift die Queensländer an, und der Anzahl der Schüsse nach sind die Banditen weit zahlreicher. – Ich beginne zu fiebern … Jeden Schuß verfolge ich, jeden Schrei … Ich vergesse meine eigene Lage, – ich hätte es so leicht, die Fußfesseln abzustreifen und durch die Hütte zu fliehen. Ich könnte den Schrank mit der Schulter wegrücken, ich könnte …
Die Hüttentür knarrt … Ein heller Schatten gleitet in den Lichtkreis, und Bell Dingo packt mich, nimmt mich in die Arme und trägt mich durch die Hütte in die enge Felsenkluft, zerschneidet meine Fesseln und befiehlt hastig: „Mussu, hier bleiben!!“
Ich sitze auf kaltem Gestein und reibe meine abgestorbenen Hände. Ich bin es nicht gewöhnt, mich mit einer Nebenrolle zu begnügen, – ich habe doch die kleine elektrische Lampe in der Tasche, ebenso meine Pistole, – ich taste mich vorwärts und renne gegen ein großes weißes Bündel, das Bell Dingo soeben vor dem Felsloche niederlegt. Dann schiebt er eine Steinplatte halb vor die Öffnung, kriecht nochmals hindurch, rückt den Schrank wieder zurecht.
Aber der Schrank wird ihm aus den Händen gerissen, – Kolonel Bluß taumelt Dingo in die Arme, und der Dobermann Charlie schleppt sich hinterdrein. Ich nehme Dingo den Bewußtlosen ab … Des Kolonels Rock ist voll frischer Blutflecken, und schwer wie Blei hängt mir Arthur Bluß in den Armen.
Blitzartig spielt sich das alles ab …
Blitzartig handelt der prächtige Schwarze, kriecht in die Hütte, wischt des Kolonels blutige Spuren aus, schiebt den Schrank vor, rollt die Steinplatte in die richtige Lage und stemmt die Holzstütze dagegen.
Meine elektrische Taschenlampe beleuchtet des Kolonels leichenhaftes Gesicht. Sein Kopf ist mir gegen die Schulter gefallen, er gleicht einem Sterbenden, und doch sind seine Züge in dieser schmerzlich-starrenden Blässe vielleicht noch anziehender und edler.
Hinter mir ein halblauter Aufschrei …
„Robb, – – er stirbt!!“
Es ist Ethels Stimme, es ist die Stimme der Frau, die mir, dem Einsamen, die Ruhe nahm.
Ich kann mich mit diesem Todwunden in den Armen in diesem engen Felsengang nicht umdrehen.
Ich sehe Ethel nicht, aber nochmals höre ich ihren verzweifelten Ruf: „Robb, – – er stirbt!!“
Wer ist Robb?! – Ethels Gatte heißt Kapitän John Murray, und Robb ist die Abkürzung von Robert. Wer ist Robert?!
Noch Seltsameres: Bell Dingo schnellt sich an mir vorüber, – er spricht irgend etwas in seiner Affensprache in toller Erregung, – jemand weint, – – das Weinen erstickt, Steine poltern hinter mir, und Dingo nimmt mir den Kolonel ab …
„Du Bündel tragen, Mussu!“
„Also haben die Buschklepper die Polizei zusammengeschossen, Dingo?“ – es ist eine Frage, die mir nur in der Aufregung über die Lippen kommt.
Des Schwarzen prächtige Zähne entblößen sich in schrecklichem Grinsen.
„Ich wünschen, es wär’ so!“ zischt er und eilt davon.
Ich hebe das Bündel auf, in dem es verdächtig klirrt und klappert. Es ist die weißbezogene Decke des blütenweißen Bettes aus der Hütte, und ihr Inhalt sind all die Toilettensachen und Fläschchen und Tuben. Eine Flasche Parfüm muß in die Brüche gegangen sein … Ich rieche es, aber ich habe keine Zeit so Nebensächliches zu beachten. Ich stolpere hinter Dingo drein, zuweilen sehe ich vor ihm den grauen Haarwust seiner Mutter und ihren bunten langen Kittel, zuweilen glaube ich noch eine fünfte Gestalt ganz vorn zu bemerken, aber ich habe mit dem abschüssigen Wege genug zu tun, – – ich stehe plötzlich im Freien im dichtesten Gestrüpp, und über mir blinken die Sterne des Südhimmels, und der Salzhauch des Meeres dringt erquickend in meine Lungen.
„Mussu, hier warten!“ kommandiert Dingo flüsternd …
Er entschwindet im Dunkel der Sträucher, kehrt erst nach zehn Minuten zurück …
Ich habe die Taschenlampe längst ausgeschaltet. Von oben her, von irgendwo höre ich schrille Rufe.
Dingo zieht mich vorwärts, hinab in ein schmales Tal, – wieder empor in dickstem grünen Unterholz, bis wir die Ebene erreichen. An einer einzelnen Kasuarine stehen drei gesattelte Pferde, am Boden liegt Kolonel Bluß mit nacktem Oberleib auf einer Wolldecke, – er ist bereits verbunden, auch sein Hund trägt am linken Hinterbein einen frischen Verband. Der scharfe Geruch von Jodoformgaze dringt mir in die Kehle, – Bell Dingo läßt mir keine Sekunde mich auf mich selbst zu besinnen. Ich muß helfen, – wir fertigen aus Ästen eine Schleife an, legen den Kolonel auf diesen improvisierten Wagen und traben in die Nacht hinaus.
Hier auf der Hochebene weht der Wind mit Stärke acht. Die elenden Salzkräuter der Wüste werden dauernd vom feinen Sandregen gepeitscht. – Sand bedeckt unsere verräterische Fährte, und so geht’s immer gen Norden mit kurzen Pausen – stundenlang. –
Wer Augen hat zu sehen, wer andere Steppen und Wüsten anderer Länder kennt, weiß genau: Auch hierin hat ein jeder Erdteil, eine jede Zone, ihr besonderes Gesicht. Als ich, gebürtiger Schwede mit deutschem Blut, von Mutterseite her in den Adern, in Deutschland meinen technischen Studien oblag, habe ich die Lüneburger Heide von Karthaus aus besucht. Das war lange vor der Riesenspekulation in Kolonien und Auslandsgeschäften, zumeist Weltkrieg genannt. Später führte mich mein Beruf nach Indien, Australien Südafrika, noch später ein blinder, aber gütiger Zufall nach dem südlichsten Südamerika.
Die inneraustralische Wüste, deren Ausläufer sich sowohl nordwärts wie südwärts bis in die Küstengebiete vorschieben, ist mit keiner der anderen fremden unfruchtbaren, unbebaubaren Steppen auch nur im geringsten zu vergleichen. Ihr Gesicht ist so typisch australisch, wie’s die ungeheuren Schafherden für diesen Erdteil sind. Die entsetzliche Eintönigkeit völlig kahler Sanddünen, wie sie die Sahara oder die Kalahari aufweisen, fehlt hier vollkommen. Die Pflanzen- und Tierwelt Australiens scheint darauf eingestellt zu sein, sich auf erbärmlichstem Boden weiterzuhelfen. Wo dieser auch nur eine Spur von Feuchtigkeit besitzt, verwandelt sich die mit Büscheln harter Salzkräuter bedeckte Steppe in „Baumsawannen“ mit freundlichen grünen Inseln, zwischen denen wie Verbindungsbrücken in dichteren oder loseren Reihen Grasbäume, Riesenschachtelhalme und Eukalyptusarten mit vier bis sechs Meter langen Stengeln auftreten. Das monotone Landschaftsbild Südaustraliens mit den unendlichen Mallee-Scrubs fehlt im Norden gänzlich. –
Wir hatten den Burke-Fluß mit Hilfe einer flachen Furt passiert. Bell Dingo hatte den Verwundeten in den Armen durch das nur hüfttiefe Wasser getragen. Der Kolonel war noch immer ohne Besinnung. Der Brustschuß saß schräg, und die Lunge war fraglos übel zugerichtet. Schaumiges Blut rann ihm immer wieder zum Kinn hinab. Der neue Tag war längst angebrochen. Freund Dingo hatte entschieden für seine Schweigsamkeit gute Gründe. Jeder Diplomat konnte von ihm lernen. Ich hatte das Fragen sehr bald aufgesteckt, denn Ai Ai’s Antworten waren so nichtssagend wie Parlamentsreden. Dafür biederte ich mich um so mehr mit Charlie an. Es war ein reinrassiger hochbeiniger Dobermann mit verblüffender Dressur. Das arme Tier hinkte stark, und meilenweit nahm ich ihn vor mich in den Sattel und freute mich, wenn er vor Blutverlust und Erschöpfung in meinen Armen einschlief.
Das Wenige, was Dingo mir mitzuteilen für gut befunden, mußte ich mir selbst ergänzen, um ein Gesamtbild über die Lage zu erhalten. – Dingos Mutter war vorausgeritten. Unser Ziel war ein „sicherer Ort“, wie Ai Ai sich ausgedrückt hatte. Ethel Murray würden wir dort vorfinden – sagte Dingo. Von Paloma Ruxa war nicht mehr die Rede. „Kruxa, große Räuberin, sein frei …“ hatte Dingo kurz erklärt. Er rechnete auch mit Verfolgern. „Polizei uns suchen werden, aber nie denken, wir so weit ins Innere reiten.“
Nun gut, das mochte sein. Aber weshalb schleppten wir den todwunden Oberst mit uns?! Etwa als Geisel?! War Paloma doch noch in den Händen der Polizei? Gedachte Ethel den Kolonel gesund zu pflegen und ihn dann gegen Paloma auszutauschen? – Mein Ai Ai grinste zu diesen meinen Vermutungen nur sehr fragwürdig. Überhaupt: Er erschien mir immer seltsamer, dieser Schwarze mit den tadellosen Manieren, der erstaunlichen Sauberkeit und der Vielseitigkeit seiner Kenntnisse, die trotz seines mangelhaften Englisch geradezu mustergültig waren. Wenn seine Häßlichkeit, seine Krimmermütze, seine Kartoffelnase und Wulstlippen nicht so über jeglichen Zweifel hinaus echt gewesen wären, hätte ich vielleicht auf den Gedanken kommen können, Bell Dingo sei lediglich der verkleidete Verehrer Palomas, jener sagenhafte Lord.
Morgens ein halb acht stießen wir auf die Reste einer Schmalspurbahn. Die Schienen und Schwellen waren zumeist vom Winde verweht, anderswo hatten Eingeborene die Eisenschienen „weggefunden“ und für ihren Hausbedarf benutzt.
„Zehn Jahre lange Zeit,“ meinte Dingo und folgte nun dem Schienenwege.
„Wer baute diese Bahn?“ erkundigte ich mich mäßig interessiert. Denn der Durst quälte mich. Das wenige Wasser unserer Feldflaschen hatten wir Arthur Bluß gespendet.
Dingos Antwort pulverte mich auf.
„Sennor Ruxa,“ sagte er gleichmütig.
„Der Vater der Schwestern?“
„Ai ai, Mussu: Sennor Alfonso[4] Rodrigo Graf Ruxa.“
Mir ging ein Licht auf.
„Sind wir etwa unterwegs nach der früheren Ruxa-Farm?“
„Ai ai, Mussu, – bald dort sein, noch eine Stunde …“
Aber diese Stunde wurde zur Ewigkeit. Der Kolonel hatte starkes Wundfieber, schrie, sang, brüllte. Immer wieder mußten wir aus dem Sattel und warten, bis er wieder ruhiger geworden. Von einem blaßblauen Himmel stach die Sonne unbarmherzig herab. Immer wieder schaute Dingo spähend umher, bis er endlich auf einen einzelnen schlanken Baum mit olivgrünen langen Blättern zujagte.
Der Gum-Tree, der Fieberbaum, ist in Nordaustralien selten. Im Süden trifft man ihn in ganzen Wäldern an.
Ich lenkte die Schleife, vor die das dritte Pferd gespannt war, in die Talmulde hinab. Dingo säbelte schon mit dem Messer saftige Rindenstücke ab und … zerkaute sie, spuckte den Brei in einen Becher, nahm nachher sein Taschentuch und drückte den Saft aus dem Brei heraus und gab ihn Kolonel Bluß zum Trinken. Die Wirkung war überraschend. Nach zehn Minuten schwitzte Bluß aus allen Poren und atmete freier.
Bell Dingo trennte sich hier von mir.
„Mussu, du meiner Fährte leicht folgen können, – ich vorausreiten zur Vorsicht …“ bestimmte er wieder einmal.
Er jagte davon. Er hatte es auffallend eilig. Reiten konnte er, – er konnte alles. Er schraubte Schildchen von einer Schalttafel ab, um sie zu putzen. Er fand sich hier in der Wildnis zurecht wie einer, der die Ruxa-Farm in all ihren Teilen kannte. Nur daß aufgebeulte Konservenbüchsen verdorben sind und spritzen, wußte er nicht.
Ich folgte im gemächlichen Schritt. Die Wüste war hier bereits in den tiefen Tälern der Kultur erschlossen gewesen. Ich stieß auf endlose Stacheldrahtzäune, frühere Hürden, jetzt leer bis auf ein paar Riesenkänguruhs, die kaum den Kopf nach mir hoben. Es waren die ersten, die ich in Freiheit sah.
Da mein Gaul bereits bedenklich schwitzte, stieg ich ab und wanderte zu Fuß weiter. Neben mir hinkte Charlie. Erinnerungen wurden mir wach an einen ähnlich traurigen Transport wie diesen: Als wir Coy Cala von den weißen Eishöhen der Anden zurück zum Gallegos brachten – auch mit einem bösen Lungenschuß! Jahre schien das zurückzuliegen, und es waren doch nur Monate … Und Coy war tot. Was mir lieb und wert geworden, hat mir das Leben stets wieder genommen.
Die Drahtzäune mehrten sich. Sie waren halb verschüttet, zum Teil waren die Pfähle umgefallen. Meine Phantasie bevölkerte diese Hürden mit tausenden und abertausenden von Schafen … Ich sah die Schafscherer mit den flinken elektrischen Scheren an der Arbeit … Ich sah noch die elektrischen Leitungen, an den Stangen die weißen Steckdosen. Die Schafe und die Scherer fehlten. Die Farm war tot. Der Drehwurm hatte alles vernichtet.
An einer Stelle, wo Bell Dingo den Zaun im Sprung genommen, mußte ich einen Umweg machen. So kam ich auf einen Sandberg und konnte durch eine schmale Lücke eines Waldstücks eine flache weite Lichtung überblicken. Ich stand wie angewurzelt. Ich rieb mir die Augen … Hier gab es doch kaum eine Luftspiegelung dieser Art … Nein, das war keine Fata Morgana, das war Wirklichkeit.
Dort drüben mitten in der Lichtung erhob sich ein riesiges Holzkreuz, an dem irgend etwas Weißes hing.
Die flimmernde Hitze über dem Boden verzerrte die Konturen, und ich erkannte nicht, was das Weiße war. Aber schon das Kreuz allein stimmte mich nachdenklich. Ob dort Graf Alfonso Ruxa begraben lag?! – Zu Füßen des Kreuzes im hellen Sande bemerkte ich Reihen großer dunkler Steine. Und oben auf dem Mittelbalken gewahrte ich noch etwas, und das war zweifellos ein verrosteter Schiffsanker.
Ich setzte meinen Weg fort, ich kam in einen dichten Wald, und hier stieß ich wieder auf die Schmalspurbahn.
Noch zehn Minuten, und dann vor mir ein grünes Tal, eine wundervolle Oase …
Rote Ziegeldächer in Grün gebettet, weiße Häuserfronten, ein Park mit sauberen Wegen … mit Terrassen, Springbrunnen, Treppen, Pavillons.
Ich bog in dem Hauptweg ein und schritt dem Wohnhause zu, – ich hatte viele Überraschungen hinter mir, traurige und freudige: Diese tote Farm verschlug mir den Atem!
Wohnhaus?!
Nein – ein schlichter, wuchtiger Palast war’s mit blinkenden Fenstern, freundlichen Fenstervorhängen … Vor der mächtigen Flügeltür auf der Terrasse stand Ethel Murray, neben ihr vier schwarze Diener. Zwei kamen mir entgegengelaufen mit einer Tragbahre. Der Oberst wurde von der Schleife gehoben. Man trug ihn ins Haus, man nahm mir die Pferde ab, und dann begrüßte mich Ethel mit einem lieben Lächeln …
„Seien Sie mir willkommen, Mr. Abelsen …
Ihre Hand lag in der meinen, und ich bracht kein Wort hervor.
Denn diese Frau hier war niemals Ethel Murray, mochte sie ihr auch noch so ähnlich sehen.
Ich war klug und verheimlichte meine Zweifel.
„Ich habe mich sehr um Sie gesorgt,“ sagte ich nur.
„Das war lieb von Ihnen, aber überflüssig,“ meinte sie herzlich und senkte den Blick.
Ihre Stimme war weicher als die Ethels … Ethel freilich war rassiger und schöner.
Was dies Paloma Ruxa?!
„Kanarra, führe Mr. Abelsen auf seine Zimmer,“ befahl sie einem der tadellos in Weiß gekleideten Nigger. „Wir sehen uns in einer Stunde beim Frühstück wieder, lieber Mr. Abelsen … Bis dahin können Sie auch das Bad hinter sich haben. Es ist alles bereit.“
Wir betraten die Vorhalle.
In demselben Moment erscholl drinnen irgendwo in dem großen Hause ein wahnwitziger Schrei. Ich hörte dieselbe Stimme noch verzweifelter gellen:
„Robb – – Robb, – – er stirbt!“
Mich überlief es kalt, ich schaute die Frau neben mir forschend an, und sie erklärte merklich unsicher:
„Es ist meine Zofe, Mr. Abelsen … Sie ist schwerkrank.“
Dann öffnete sie rasch eine Tür und verließ mich. Der Diener Kanarra deutete auf die breite Treppe.
„Bitte, Mr. Abelsen …“ –
So hielt ich meinen Einzug in den Ruxa-Palast.
Die tote Farm lebte noch …
Und doch war der Palast nur eine leere Attrappe. Pietätvolle Hände hatten hier nach dem Zusammenbruch eines Riesenvermögens zu erhalten gesucht, was den Gläubigern entgangen war. – Meine beiden Zimmer waren dürftig möbliert. Das Bad zeigte deutliche Spuren schlecht verhehlten Verfalls, – dieselbe Beobachtung machte ich überall. Trotzdem: für mich war dieses Quartier mit seiner weiten Fernsicht über das fruchtbare Tal Rückkehr zu alledem, was ich aufgegeben hatte, weil ich es aufgeben mußte. Hier vereinte sich außerdem die Unberührtheit der Wildnis mit modernen Kulturerrungenschaften in so überaus glücklicher Art, daß wenige hundert Meter mich bereits wieder vollkommen frei machten von den Anwandlungen des Überdrusses, die nicht ausbleiben konnten.
Kanarra, der Diener, kam und bat zu Tisch. Dieser Schwarze, ein älterer Mann, besaß das tadellose Benehmen eines Bediensteten aus vornehmem Hause. Er schritt mir voran über die Bastläufer der Flure und Treppen und öffnete im Erdgeschoß eine Tür, die in einen dreifenstrigen Speisesaal führte. Der große Raum lag nach der anderen Seite des Parkes zu, die ich noch nicht kannte. Ich sah durch die Fenster einen künstlichen Teich, von Palmen umrahmt, und jenseits des Wassers ein düsteres quadratisches Bauwerk mit einem goldenen Kreuz auf dem flachen Dach.
In diesem Saale standen nur ein mittelgroßer Tisch, darum drei Stühle und daneben ein zweiter Tisch als Anrichte.
Der Speisetisch war dafür um so kostbarer gedeckt. Uraltes Familiensilber, ein Tafelaufsatz mit Blumen und Früchten, – – aber all das bedeutete nichts gegenüber Ethel Murrays verwirrender Schönheit, – wenn diese Frau wirklich dieselbe war, die vorgestern als pudelnasser Flüchtling auf meine Insel kam. Vorhin, als sie mich vor dem Hause empfangen hatte, trug sie ein fußfreies Sportkostüm aus gelbem Leinen, das schon durch seinen unmodernen Schnitt den eigenartigen Liebreiz dieses jungen Weibes herabgesetzt haben mochte. Jetzt in diesem Stunde und Gelegenheit gut angepaßten fast überschicken, leicht seidenen Hauskleid in zartestem Lila mit einem schmalen Kragen fraglos echter Valenciennes-Spitzen erschien sie mir weit schöner als die andere, wenn sie eben eine andere sein sollte. Ganz sicher war ich mir meiner Sache nicht.
Olaf Karl Abelsen, bist du nach Australien gekommen, um wieder einmal für Tage die Hände sehnsuchtsvoll nach einem unerreichbaren Glücksphantom auszustrecken …?! – so schoß es mir durch den Kopf, als ich mich über ihre Hand beugte und …
Man verfällt zuweilen wieder in die entwürdigenden Narrheiten gesellschaftlicher Gebräuche.
Zum Glück hatte ich auch Bell Dingo mit einem aufnahmefreudigen Blick gestreift, und seine feierliche Würde in einem leidlich sitzenden und etwas speckigen Smoking (ausgerechnet geblümter Schleife dazu!) bog meinen Kopf noch rechtzeitig von einem zart duftenden Frauenhandrücken hoch und zauberte ein Abelsen-Lächeln um meine frisch rasierten Lippen.
„Frau Murray,“ sagte ich nur, „diese Überfülle von Kultur macht mich befangen … Ich bin das gar nicht mehr gewöhnt …“
„Meinen Sie Freund Bell?“ fragte sie schlagfertig, und ein schalkhaftes Zucken um den frischen Mund besagte alles Weitere.
Wir nehmen Platz. Dingo ließ sich von einem seiner schwarzen Landsleute bedienen, als wäre er selbst von unverfänglichster Hautfarbe.
All das, was ich vorhin in der Badewanne als Schlachtplan mir zurechtgelegt hatte, reservierte ich mir für später, denn sobald ich auch nur den Versuch machte, das Gespräch auf die Angelegenheiten zu bringen, die uns doch wohl am nächsten lagen, bog entweder Ethel oder Bell wie auf Verabredung in eine harmlosere Gasse ab. Ich wollte nicht ungezogen erscheinen, und daher wartete ich, bis der Schwarze Likör und Zigaretten reichte. Mein Ai Ai wich hier gänzlich von liebgewonnenen Unarten ab und … rauchte wie jeder normale Raucher. Auch das half nichts. Beim Nachtisch darf man getrost die Feindseligkeiten eröffnen.
„Frau Murray, weshalb haben Sie den Oberst hierher mitgenommen?“ – und gegenüber dieser Attacke gab es kein Ausweichen.
Sie errötete jäh. Dingo kam ihr sofort zu Hilfe.
„Mussu, du nicht Frau Ethel fragen, – mich fragen nachher …“ und er zog seinen Smoking zurecht, dessen Schulter offenbar nicht für derartige Muskelwülste gearbeitet waren und daher die Neigung hatten, immer bis an die Ohren zu rutschen.
Aber die beiden Verbündeten steckten jetzt in einer Sackgasse. „Ich habe mir allerlei überlegt,“ erklärte ich sehr nachdrücklich, „und ich mache dieses Spiel nicht mehr mit, falls mir nicht endlich die Wahrheit gesagt wird.“ Ich blickte Ethel an und fügte sehr eindeutig hinzu: „Sind Sie Frau Ethel Murray?!“
Ihr etwas hilfloses Gesicht wechselte jetzt nicht die Farbe.
„Ich bin Ethel Murray, geborene Ruxa,“ erwiderte sie, und ihre Augen wichen mir nicht aus. „Ich schwöre es Ihnen, Mr. Abelsen …“
Seltsam, – noch nicht ein einziges Mal hatte diese Ethel Murray das für die Ethel meiner Insel so charakteristische mißbilligende Stirnrunzeln und Schürzen der Mundwinkel sehen lassen!! Und dazu hatte die so oft abgebremste Unterhaltung bei Tisch reichlich Gelegenheit gegeben.
Sehr seltsam, in der Tat. Und weiter: Ich konnte mir nicht helfen: Auch die Stimme klang anders, – das hatte ich ja sofort bemerkt. Aber – dieser ehrliche Blick, diese feierliche Art der Beteuerung, – – weshalb wohl sollte man mich hier so grob irreführen wollen?!
Ich sagte ein wenig liebenswürdiger:
„Ich darf nicht zweifeln, Frau Murray … Nicht wahr, Sie besinnen sich doch noch auf die Szene in der Küche meines Eilandes, als Bell Dingo aus Versehen die gegorene Büchse Schoten geöffnet hatte …“
Einen Moment wurden ihre Augen kleiner, dann nickte sie …
„Natürlich … Es war sehr komisch …“
Jetzt hatte ich sie festgenagelt. Der englische Ausdruck für Schoten war Bell Dingo fremd, – er konnte ihr also keinen Wink geben, daß es Apfelmus gewesen … Sie selbst wußte nichts von Apfelmus … Sie hätte meinen Irrtum sonst korrigiert.
„Oder – war es Pflaumenkompott …“ meinte ich mit einem harten Auflachen. „Ja – war es noch etwas anderes …?! Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, Frau Murray … Sie waren nie auf meiner Insel – nie! Ich bin nicht der Mann, der sich so einfach an der Nase herumführen läßt. …!“
Sie verlor jede Spur von Farbe, sie beobachtete mich mit schlecht verhehltem Entsetzen, wie ich langsam in die Tasche griff und meine Pistole vor mich auf den Tisch legte.
„Frau Murray – oder wer Sie sonst sein mögen, – ich will klar sehen …! Bell Dingo und weiß Gott noch wer haben mich hier in eine Komödie als Mitspieler hineingestellt, – das paßt mir nicht, – ich hätte für Paloma Ruxa alles getan, denn ich pfeife auf Polizei und Gesetze, für mich ist ein Buschklepper, der ohne zu morden die gemästeten Pfeffersäcke, die Herren Großspekulanten in Gold, gründlich zur Ader läßt, noch lange kein Verbrecher, dem ich meine Hilfe verweigern würde! Doch dies … dies Theater hier, meine Gnädige, das ist … infam, das ist nicht nach meinem Geschmack, ganz und gar nicht. Entweder sagen Sie mir jetzt die volle Wahrheit, oder ich reite unverzüglich zur Küste zurück und bleibe lieber wieder allein als in Gesellschaft von … feigen, undankbaren Lügnern.“ Der Blick, der jetzt Freund Ai Ai traf, hätte einen Ziegenbock zum Erröten gebracht.
Bell Dingo konnte als Schwarzer nur schwer erröten, aber die Wirkung meiner Worte war trotzdem gleich Null oder vielmehr durchaus unbeabsichtigt. Denn eine Riesenflosse mit sauberen Nägeln legte sich gemächlich über meine Waffe, und dazu sagte Bell ohne jede Erregung:
„Mussu, du mich Lügner nennen … Du Frau Ethel Lügnerin nennen … Gut, – wir reines Gewissen haben, wir dir dankbar sein … Hier viele Geheimnisse, gut … – Besser, du sie nicht kennen … Wenn du wegreiten wollen, – schade, Mussu … Wir dich nicht können halten … Nur eins sagen ich, Mussu: Das hier sein Frau Ethel Murray, und ich nie lügen in schlechtem Sinn, – du mich verstehen …!“
„Und wer war die Frau auf der Insel?!“ platzte ich grollend heraus. „Wer ist Robb, – wo ist die angeblich kranke Zofe, die ich bereits in dem Höhlengang ungefähr dasselbe rufen hörte?!“
Ich wollte Dingos Hand zur Seite schieben, ich wollte nur meine Waffe von Freund Ai Ai nicht so einfach mit Beschlag belegen lassen …
Eher hätte ich einen Granitblock bewegt als diese Hand, deren Muskeln mich schon einmal gewarnt hatten.
Blitzschnell kamen und gingen mir die Gedanken …
War ich hier in eine Falle geraten?! Hatte dieser geriebene Schwarze, dessen Intelligenz für einen Australnigger turmhoch über dem Durchschnitt stand, sich vielleicht nur auf das Wrack geschlichen, um von dort mein künstliches Eiland erreichen zu können?! Hatte man mich durch eine schlau ausgeklügelte Komödie lediglich von meiner Insel entfernen wollen, um … sie mir entführen zu können?! Konnte nicht alles Schwindel sein, was „Ethel Murray“ (oder war es Paloma gewesen?!) mir über die Befreiung ihrer Schwester aufgetischt hatte?! Konnten die Schwestern nicht Hand in Hand mit Bell Dingo alles vorbereitet haben, nachdem jemand mich auf See mit meinem künstlichen Eiland erspäht hatte, von dessen wunderbaren Eigenschaften sicherlich alle Zeitungen voll gewesen?!
Was zweifelte ich noch. Gab es denn eine andere Erklärung für diese Zusammenhänge, die man mir blindem Tor so fein verschleiert hatte?! Und natürlich bei alledem wieder Weiber als Lockvögel, billige Tränen als Einschläferungsmittel für mißtrauische Regungen, melancholisches Lächeln als Mäntelchen für die innere Verfaultheit der Seelen! Der Teufel auch, – war ich denn wirklich in diesen drei Monaten, als ich, ein Spiel der Meeresströmungen, den Pazifik durchquert hatte, so gänzlich von der harten Linie des bisherigen Ichs abgewichen?! Hatte ich mich immer noch nicht zu mir selbst zurückgefunden?!
Es war bei Gott allerhöchste Zeit dazu!!
Aber – hier Gewalt anwenden?! Hier neben diesem Riesen an Kräften, der mit mir Fangball spielen konnte, Kraft gegen Kraft einsetzen?! Unsinn wäre das gewesen. Auch mein alter lieber Coy war in seiner Art ein Diplomat gewesen. Er schwindelte wie gedruckt, wenn es nötig war …
Ich fühlte jetzt ordentlich, wie in meiner Seele sich die letzten Klammern lösten, die noch das Fremde, Krankhafte, Schwächliche in mir festhielten.
Ich zog meine Hand weg und erhob mich.
„Frau Murray,“ sagte ich eisig, „ich habe kein Recht, mich in Ihre Geheimnisse einzudrängen. Ich werde sofort die Farm verlassen. Daß Sie von mir aus keinen Verrat zu fürchten haben, ist wohl selbstverständlich. Lassen Sie mir ein Pferd satteln. Mehr verlange ich nicht. Ich werde dann Ihre Wege nicht mehr kreuzen. – Und dir, Bell Dingo, – dir rate ich nachdrücklichst, mir aus dem Wege zu gehen. Jetzt weiß ich, daß du an Bord meiner Insel sofort erkanntest, wen du in jener Frau vor dir hattest. Und – es wird Paloma Ruxa, die Kruxa der Wüste gewesen sein. Daß du die Schildchen vom Schaltbrett entferntest: Stehlen wolltet und wollt ihr mein Eiland!! Manches ist mir noch dunkel bei alledem. Du bist ein Lügner und ein Lump, und …“
Er schnellte hoch.
Aschgrau war er geworden.
Seine Zähne entblößten sich, seine Fäuste fuhren hoch …
„Dingo!!“ rief das Weib mahnend.
Ich sprang zurück, aber ich hatte die Pistole, hatte die Sicherung zurückgeschoben, hatte den Finger am Abzug …
„Frau Murray, wenn Sie mir jetzt nicht versprechen, mir das Pferd sofort zu stellen, ist es um diesen schwarzen Halunken geschehen! Ich fackele nicht! Mit mir führt man kein Possenspiel auf …“
Der belebende Rausch des Kämpfers pochte in meinen Adern …
Ich war wieder ich selbst, und vielleicht verrieten meine Züge ihr, daß dies Spiel jetzt um Blut ging, – vielleicht hatte ich in diesem Moment das, was mir einst der Herr Anklagevertreter, mit feistem Bauch und spießigen Hängebacken und der rollenden Stimme des Strafrechtseiferers in das Gesicht gespuckt hatte – mir, dem angeblichen Totschläger: „Mörderaugen, – da sehen Sie, meine Herren Geschworenen, Mörderaugen hat der Angeklagte!“
Die Frau stierte mich aus totenbleichem Antlitz entsetzt an. Vielleicht hatte sie diese Eruption brutalen Mannestums doch nicht erwartet.
„Dingo!“ rief sie nochmals beschwörend.
Und der Nigger, in seiner Wut über meine Anwürfe mehr sprungbereite Bestie als Mensch, entspannte seine Muskelwülste und zog verlegen grinsend seinen lächerlichen Smoking herab.
„Ich werden Pferd fertig machen,“ sagte er fast demütig zu dem schönen Weibe. „Liebe Missu Ethel nicht brauchen Angst zu haben … Ich kennen Mussu Abelsen … Hier nur schlimme, schlimme Irrtümer … Ich gehen …“
Aber ich traute dem Kerl nicht mehr.
„Du bleibst! – Frau Murray, Sie schwören mir bei dem Andenken Ihrer Eltern, daß ich unbelästigt bleibe?“
Ich sah Tränen in ihren Augen. Ihre Miene drückte tiefsten Schmerz aus. Aber mein hartes Auflachen traf sie wie ein Peitschenhieb …
„Das alles sparen Sie sich, Frau Murray!
Das verfängt nicht mehr. Nur einmal fliegt der Vogel auf die Leimrute …!“
Sie richtete sich stolz auf. „Ich schwöre“ – und ihre Stimme zitterte merklich vor Empörung. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen die Wahrheit sagen, Mr. Abelsen, aber das hieße, Sie zum Mitschuldigen machen, und das wäre vielleicht der Tod für Sie! Kolonel Bluß und seine Leute werden die Schlappe rächen – an jedem! Seien Sie vorsichtig während des Rittes zur Küste.“
Das war das Letzte, was ich jetzt von ihr hörte.
„Dingo, – das Pferd, Proviant, Wasser, ein Karabiner und Wolldecken für Mr. Abelsen …“
Ai ai, Missu Ethel …“ und er trollte sich.
Sie trat an eins der Fenster und blickte über den künstlichen Teich mit seinen schönen Palmen zu dem düsteren Bauwerk mit dem vergoldeten Kreuz hinüber.
Ich sah ihre Schultern zucken, – sie weinte wieder.
Mochte sie … Ich hatte genug von alledem … Ich ging mit festen, hallenden Schritten im Saale auf und ab.
Die Zeit schlich.
Dann kam der Schwarze.
„Pferd stehen vor Terrasse, Mussu …“ meldete er höflich.
„Geh’ voran! Und sollte ich irgendwie Unrat wittern, kriegt dein Schädel ein Loch!“
Er schaute mir klar in die Augen.
„Wir weder Lügner noch Mörder, Mussu …“ meinte er leise. „Du vielleicht einmal zu besserer Einsicht kommen, Mussu.“
Wäre ich nicht so völlig verrannt in mein übertriebenes Mißtrauen gewesen, dann hätten mich sein schmerzlicher Ton, sein trauriger Blick entwaffnen müssen.
„Schwätzer!! – Vorwärts!“
Ich folgte ihm … Kein Wort hatte ich für Ethel Murray, und sie keins mehr für mich.
Als wir durch die Vorhalle schritten und in den Sonnenschein hinaustraten, atmete ich tief auf …
Dort stand der Braune, gesattelt und bepackt, – am Sattel hing der Karabiner …
Ich klopfte dem Pferde den Hals, die Pistole noch immer bereit.
Dingo trat zurück. Als ich mich hinaufschwang, hörte ich sein Gemurmel – vielleicht ein letzter Versuch, sich reinzuwaschen:
„Mussu, wir dir danken … Wir keine Lügner …“
Ich achtete nicht darauf. Mir war Kolonel Bluß’ Charlie eingefallen.
„Was wird aus dem Hunde?“ fragte ich scharf.
„Mussu, Charlie es nirgends besser haben als hier, – ich dir das schwören bei Liebe zu meiner Mutter!“
Ah – – die Alte mit der grauen Krimmermütze, die hatte ich ganz vergessen.
„Du kannst deine Mutter grüßen, – sehr stolz darf sie auf ihren Sprößling nicht sein! Wo steckt sie?“
„Sie ist tot,“ sagte er noch leiser.
„Tot?!“
Aber was ging mich die Niggerin an?! Weg von hier …
Mein Brauner trabte an, und nicht einen Blick warf ich zurück nach dem Palast des Grafen Ruxa.
Als ich vor vielen Jahren an der deutschen Hochschule Charlottenburg studiert hatte, wohnte mir gegenüber in einer der Seitengassen der Kantstraße ein jüngerer Mann, der sehr bald meine Aufmerksamkeit erregte. Da ich stets bis spät in die Nacht hinein arbeitete, und zuweilen zur Erholung auf den kleinen Balkon hinaustrat, bereitete es mir wohltuende Ablenkung, den eigentümlichen Menschen zu beobachten. Er hatte eine eigene Wohnung mit mir in einer Höhe im zweiten Stock und stand regelmäßig erst um Mitternacht auf. Dann telephonierte er stets eine Weile, kleidete sich an, und seine Fenster wurden dunkel. Wenn er aus dem Hause trat, erkannte ich ihn nur dank meiner scharfen Beobachtungsgabe an seinem eigentümlich knieweichen schleichenden Gang. Er trug dann eine Verkleidung, die sehr häufig wechselte. Vorsichtige Nachfragen ergaben, daß er Angestellter einer Detektivfirma war oder doch wenigstens als solcher gelegentlich gemeldet war. Als ich dann eines Morgens im Winter beobachtete, wie er nach seiner Heimkehr eine Anzahl Schmucksachen aus den Taschen nahm und in seinen Schreibtisch wegschloß, glaubte ich in meiner jugendlichen Überspanntheit, er habe einem Einbrecher die Beute abgejagt. Eine Woche darauf erzählte mir meine Wirtin, die Polizei habe ihn festnehmen wollen, – der Mann sei einer jener ganz geriebenen Gauner gewesen, auf dessen Konto ungezählte Einbrüche kämen, aber er sei entwischt. – Die Sache beschäftigte die Zeitungen einige Tage, und schließlich entschloß ich mich, der Polizei meine Beobachtungen mitzuteilen. Der Mann hatte hauptsächlich als beste seiner Masken die eines älteren Postbeamten gewählt. Meine Angaben brachten die Polizei auf seine Spur. Er hatte außer dieser einen Wohnung noch drei andere in anderen Stadtteilen gehabt. Vor Gericht sah ich ihn wieder: Ein eleganter junger Mann mit sympathischem Gesicht, bescheiden, liebenswürdig zu den Richtern, – und zu mir sagte er nach meiner ihn vernichtenden Aussage: „Sollten Sie einmal eigene Wege gehen, seien Sie vorsichtiger … Ich hielt Sie für zu harmlos!“ Dann nickte er mir zu und wanderte für lange Zeit ins Zuchthaus.
Damals hatte ich zum ersten Male mit den Gerichten und der Polizei etwas zu tun. Den Gentlemaneinbrecher vergaß ich nie, noch weniger seine Warnung. Als ich dann selbst vor den Richtern stand und Freiquartier in dem verwanzten Düsterburg mir winkte, begriff ich, was in ihm vorgegangen sein mußte, als meine Aussage sein Schicksal entschied, und ich empfand unbegrenzte Hochachtung für seine vornehme Art, mit der er sich von mir gleichsam verabschiedet hatte. Die Aussage eines verlogenen Weibes stieß mich in die Kerkerzelle, und ich war unschuldig und ich hätte vielleicht der meineidigen Zeugin anderes zugerufen, wenn nicht sein Bild vor mir aufgetaucht wäre, – ich beließ es bei einer verächtlichen Bemerkung.
An all das dachte ich, als ich zwischen den Stacheldrahtzäunen an den verwehten Geleisen entlang davontrabte.
„Sollten Sie einmal eigene Wege gehen, seien Sie vorsichtiger … Ich hielt Sie für zu harmlos…“
Auch Ethel und Dingo hatten mich gewarnt. Im Grunde war es überflüssig gewesen. Die Buschpolizei würde jetzt sehr rührig sein … –
Das Wäldchen lag hinter mir. Und hier stieß ich auf einen Neger, der in der Krone einer mächtigen Buche hockte. Ich hätte ihn vielleicht nicht bemerkt, aber ich hatte wieder mit Coys Augen sehen gelernt und mein Coy ritt unsichtbar neben mir. Ich hatte die Augen überall, und meine Sinne waren auf jede Gefahr eingestellt.
„Komm herab!!“
Der schwarze Fleck im Baumgrün schien eine Karabinerkugel nicht zu schätzen und kletterte abwärts.
Es war ein Nigger, nur mit einem Fetzen Stoff als Badehose bekleidet, aber trotzdem war es der Diener Kanarra.
„Was tust du hier?“
„Ich wache, Mr. Abelsen …“
„Also hat dich Frau Murray hierher geschickt …“
„Nein, Dingo tat’s. Er hat zu befehlen.“
„Ihr fürchtet die Polizei?“
Er nickte ernst. „Ich würde Ihnen raten, sich nicht zu weit zu entfernen, Mr. Abelsen. Es ist hier nicht alles so, wie es sein soll. Drüben fliegen die Papageien so unruhig …“ Er zeigte nach Nordost. Dort etwa mußte das große Kreuz stehen. – Kanarra wußte nicht, daß ich mich … recht weit entfernen wollte. Mochte er vorläufig des Glaubens bleiben.
„Weshalb hat gerade Dingo hier zu befehlen?“ fragte ich beiläufig.
Er schaute mich erstaunt an. „Dingo gehört doch die Farm, Mr. Abelsen …“
„Natürlich – ganz recht … – Dort, wohin du soeben zeigtest, erblickte ich auf dem Herritt ein Kreuz … Liegt dort Graf Ruxa begraben?“
„Nein,“ erklärte er zögernd …
Und dann entschuldigte er sich – er müsse seinen Baumposten wieder einnehmen.
„Warte noch … – Wann kaufte Dingo die Farm? Ist er denn so reich?“
Er schielte mich verlegen von unten an. „Mr. Abelsen, Bell Dingo ist der reichste Farbige Australiens …“
Er wollte weiteren Fragen entgehen und kletterte gewandt wie ein Affe wieder nach oben. Ich ritt in ein Tal hinab, übersprang zwei Zäune und galoppierte dann im Busch nach links. Das Kreuz mußte ich mir unbedingt aus der Nähe ansehen.
Dingo – neues Rätsel – so reich, Herr der Farm?! Das warf eigentlich all meine argen Vermutungen über den Haufen.
Weg mit den Gedanken, weg mit der leisen Reue, Ethel Murray so schlecht behandelt zu haben. Ein Pferderücken ist besser als tausend zärtliche Weiberarme, der Schweißdunst eines Gaules ist Kraftparfüm …
Coy ritt unsichtbar neben mir, und ich hörte seinen gellenden Jagdruf, hörte sein liebes Geschwätz und roch seinen Trandunst. Er war nur ein armer Fischer und Jäger und Dieb von der Gallegosbucht, aber er war ein ganzer Kerl und Enkel eines Königs und Besitzer unermeßlicher Schätze, die er nie anrührte und die niemand mehr finden wird.
Von Coy hatte ich alles gelernt: Reiten, Fährtenlesen, Sich-Orientieren, – jenen sechsten Sinn zu wecken, der auch in pechfinsterer Nacht ein fernes Ziel unfehlbar erreicht.
Ich durchritt einen dünnen Wald, verscheuchte grasende Känguruhs, und mit einem Male lag die weite flache Lichtung vor mir.
Ich sah das Kreuz von der Seite, und ich zügelte den Braunen so jäh, daß er vorn stieg und schnaubte.
Ich hatte Grund dazu:
Au dem Kreuz hing ein menschliches Skelett. Das war das Weiße, das ich vorher nicht erkannt hatte.
Davor stand neben einem Maultier mit riesigen Ohren ein Mann in einem grünlichen Reitanzug, über der Schulter ein Schmetterlingsnetz mit Bambusstock, auf dem Rücken eine knallgelbe große Botanisiertrommel.
Der Fremde zeichnete das Kreuz. Er hatte seinen Zeichenblock auf den Sattel des Maultieres gelegt, das wie eine Mauer stand und nur die Ohren spielen ließ. – Er hatte einen fuchsigen Vollbart, eine Hornbrille auf der Wippnase und am Filzhut einen Nackenschleier.
… Eigene Wege – Vorsicht!!
Dieser Gelehrte hier in Nordaustralien unweit des Golfes von Carpentaria gefiel mir nicht.
Ich stieg aus dem Sattel und beobachtete ihn. Er zeichnete …
Dann packte er den Block in die Satteltasche und schritt bis zum Fuße des Kreuzes, reckte sich hoch, befühlte das Skelett und schüttelte mehrmals den Kopf. Er kehrte um und betrachtete nun die Steinreihen im Sande. Wieder das Kopfschütteln.
Der Mann war harmlos. Immerhin, – ich nahm den Karabiner in den Arm und ritt im Schritt hinter ihn. Er kniete jetzt und schlug mit dem Netz nach einem bläulichen Falter. Sein Maultier wandte faul den Kopf. Es war ein hochbeiniges Geschöpf mit tadellosen Formen, sicherlich ein vorzügliches Reittier.
„Was tun Sie hier?“ fragte ich, und er, durchaus mit dem blauen Falter beschäftigt, blickte nur flüchtig auf …
„Ist Schmetterlingfangen hier verboten?“ meinte er belustigt. „Mein Name ist Lonnel, Professor Conny Lonnel von der Queens-Universität … – Sind Sie der Farmbesitzer?“
Er hatte seinen Falter in eine Blechschachtel getan, nachdem er ihn behutsam durch einen Tropfen Äther getötet hatte.
Er lachte vergnügt. „Wissen Sie, ich bin immer so ein wenig zerstreut … Meine Frage war Unsinn. Die drei Buschpolizisten, die ich morgens dort nach dem Burke-Fluß lagernd antraf, sagten mir ja, daß der neue Besitzer der Ruxa-Farm der schwarze Millionär Bell Dingo sei …“
Ich hatte neugierig die Steinreihen gemustert, ich sah erst jetzt, daß sie einen Namen bildeten, ein Monogramm:
R. B.
Aber auch diese seltsame Entdeckung zerrann in Nichts gegenüber Lonnels Bemerkung über die Polizei.
„So – Beamte trafen Sie …“
„Es war recht interessant …“ nickte er schmunzelnd. „Sie haben doch sicherlich schon von der Kruxa gehört. Das muß ein ganz verteufeltes Frauenzimmerchen sein …“
„Die Wegelagerin?!“
„Oh – sie hat Schneid, und es würde mir leid tun, wenn sie gefaßt würde. Aber das hat wohl seine Schwierigkeiten, sie ist überall und nirgends, und ihre Bande verfügt über ungezählte Spione … Die Polizei kommt immer zu spät, und Oberst Bluß – er war mit am Lagerfeuer – hat gewettert und geflucht und …“
„Wie – Kolonel Bluß, Mr. Lonnel?!“
„Na ja, wundert Sie das? Sind Sie hier fremd? Bluß ist doch Kommandeur der Polizei von Nordqueensland, und man redet so allerlei über ihn … Er soll in diese Paloma Ruxa verliebt sein und will sie trotzdem baumeln lassen … Auf Straßenraub steht hier noch immer der Strang, Mr. … – wie war doch Ihr Name?“
„Elsen, Mr. Lonnel … Meine Stahljacht ankert an der Küste. Ich befinde mich auf einer Tour um die Welt und wollte nur einmal einen kleinen Abstecher zu Pferde machen.“
„Beneidenswert! – Entschuldigen Sie …“ und er rannte hinter einem braunen Riesenfalter her. Ich vermißte ihn nicht. Was hieß das nun wieder? Kolonel Bluß an einem Lagerfeuer?! Bluß lag doch schwer verwundet auf der Ruxa-Farm!
Der Professor kehrte atemlos und freudestrahlend zurück. „Ich habe ihn!“ meinte er fast kindlich und zeigte mir den armen Falter. „Eine höchst seltene Art, Mr. Elsen … Die lateinische Bezeichnung lautet …“
„War es wirklich Bluß, mit dem Sie sprachen?“ fragte ich nachdenklich.
„Manula graziosa australis … erklärte er wichtig. „Diese braune Spielart des …“
„Zum Teufel mit Ihren Schmetterlingen! Der Polizeibeamte kann nicht Bluß gewesen sein …!“
Er blickte mich mißbilligend an. „Sie sind kein Engländer, Mr. Elsen … Engländer fluchen anders.“
„Ich bin Deutscher,“ log ich getrost.
„Natürlich …“ murmelte er. … Das war eine Frechheit, aber dieses ulkige Männchen war mir zu wertvoll, um gegen sein „Natürlich!“ energisch zu protestieren. „Oberst Bluß ist anderswo, sagte man mir …“
„Wo denn?! Ich muß den Kolonel wohl am besten kennen, wir sind innig befreundet. Es war Arthur Bluß, und er erzählte mir im Vertrauen, daß er …“
„Halt – lassen Sie doch die armen Viecher in Ruhe!“ Ich hatte ihn schnell beim Ärmel gepackt. „Was erzählte er Ihnen?“
„Daß Paloma Ruxa jetzt endlich eingekreist sei, – ich finde Ihren Eingriff in meine Bewegungsfreiheit ziemlich unverschämt, Mr. Elsen …“
„Finden Sie, was Sie wollen …! – Also eingekreist … Wo?“
Er lachte ohne jeden Grund. „Sind Sie aber unvorsichtig!! Mann, Ihre Teilnahme für die berüchtigte Kruxa wird Ihnen die Welt von oben zeigen, von einer Hanfschlinge aus!!“
Ehe ich mich’s versah, schlug er zu, und sein Hieb saß genau unter dem Herzen, und selbst Bell Dingo hätte nicht ärger seine Muskeln spielen lassen.
Als ich wieder meine fünf Sinne beieinander hatte, war ich sehr kunstvoll gefesselt, lag im Sande zwischen ein paar Sträuchern, und neben mir saßen Professor Lonnel und zwei von den Queensländern.
„Gebt ihm einen Schluck Whisky,“ befahl Lonnel. „Lehnt ihn gegen die Kasuarine und beobachtet dann das Gelände.“
Ich trank …
Aber Coy Calas Geist war nicht mehr neben mir. Coy hätte mich gründlich verhöhnt.
„Ich bin Oberst Bluß,“ sagte Lonnel zu mir. „Und Sie sind einer von Palomas Bande und werden in zehn Minuten baumeln, wenn Sie nicht jede Frage ehrlich beantworten.“
Ich betrachtete mir sein Gesicht jetzt erst genauer. Er hatte die Brille abgelegt, aber den falschen Bart umbehalten. Der Ausdruck kindlicher Pfiffigkeit, den er den Zügen des Schmetterlingsjägers so vollendet aufgeprägt gehabt, war weggewischt und der echte Arthur Bluß enthüllte sein Gladiatorenhaupt, einen Charakterkopf von so harten Linien und so überlegener kalter Zielsicherheit, daß sich selbst ein rosenroter Narr, der von Menschen und Dingen nur das Beste herausschürfen wollte, hier unbedingt gesagt hätte: Vorsicht, der schnappt, und zwar gründlich.
Er schnappte auch. „Ich habe Sie bereits durchsucht,“ fügte er mit wohlwollender Selbstverständlichkeit hinzu. „Viel war bei Ihnen nicht zu holen. Wo haben Sie den Ring?“
„Ring?!“
„Sie sind ein Dummkopf, mein Lieber. Ihr Hals war nie so unmittelbar in Gefahr wie jetzt. Ich habe Vollmacht vom Gouverneur, jeden Kruxa-Schuft sofort aufknüpfen zu dürfen. Sie wären dann Nummer neun. Vier wurden im Kampf erschossen. Das macht insgesamt zwölf bisher, und Sie hätten die Unglücksnummer dreizehn mithin, alles in allem … Wo ist der Ring?“
Ich zweifelte nicht, daß dies der echte Bluß war. Der andere war diesem so unähnlich, wie ein reinrassiger edler Windhund einem Bullenbeißer.
„Lassen Sie mich nachdenken, Kolonel,“ erwiderte ich ehrlich. „Obwohl ich kein Bandit bin, möchte ich mich mit Ihnen nicht über Schmuckstücke herumzanken. Ein Ring … Ich sah nur einen, der mir auffiel in diesen letzten Tagen, seit ich hier gelandet, und das war ein Platinreif mit Smaragd, der eine kreuzförmige Trübung hatte. Nachher machte ich noch die eigentümliche Entdeckung, daß dieser Ring unten aufgefeilt war und auseinandergebogen, – er schien einmal für einen weit dünneren Finger gearbeitet worden zu sein, sage ich mir jetzt. Auf meiner Jacht beachtete ich diese Kleinigkeit nicht.“
Bluß schoß einen spitzen Blick in meine kühlen Augen. Plötzlich fragte er in sehr mäßigem Deutsch, während ich die Sprache meiner Mutter vollkommen beherrschte: „Wo liegt denn Ihre famose Jacht, und wie heißen Sie in Wahrheit?“
„Meine Jacht ankert drüben an der Küste, und mein Name ist wie Kaugummi, Oberst: Jede Mundbewegung verändert ihn. Bleiben wir aber bei Elsen, Karl Elsen … Es klingt ganz nett.“
Wieder seinerseits der prüfende Polizeiblick. Ein Anflug von Lächeln zuckte um den Mund. „Einem Manne ohne Namen ist schwer zu glauben. – Wo sahen Sie den Ring, – an wessen Hand?“
„Hm, da ich mir jetzt sagen muß, daß der Ring mit der Kruxa etwas zu tun hat, schweige ich lieber. Ich mische mich nicht in interne australische Späße.“
„Späße, die einige Millionen wert sind!“ warf er etwas ungeduldig ein.
„Ja, das las ich in dem Paket Zeitungen, die ich von dem Wrack des Dreimasters „Falkland“ mitnahm … Sie waren da auch lobend erwähnt, damals hatten Sie erst zwanzig aufgeknüpft, aber Sie haben nun alle Aussicht, einen Rekord als Henker aufzustellen.“
„Scheint so … Sie waren also auf dem Falkland. Wann?“
„Das können vier Tage her sein … Es war zuletzt ziemlich langweilig auf meiner Jacht.“
Wir sprachen noch immer deutsch. Und ich wollte recht deutsch mit ihm reden. Dieser Mann war nur äußerlich ein Wüterich. Meine Menschenkenntnis ging hier kaum fehl.
„Faseln Sie nicht immer von Ihrer Jacht,“ lehnte Bluß meine Ehrlichkeit gereizt ab. „Die Falkland gehörte Mr. Dingo und wir nehmen an, daß La Kruxa sie kapern ließ. Dabei haben Sie wohl geholfen.“
„In diesem Falle nicht, Kolonel. Mein Wort darauf. Seeräuberstückchen habe ich schon mitgemacht, zugegeben, aber dann war immer das sogenannte gute Recht auf meiner Seite.“ Ich spann dies nicht weiter aus, um mein Inkognito nicht zu lüften. Mit dem Paradies der Sträflinge hing ja ein gut Teil Piraterei zusammen.
Bluß zog eine beschabte Zigarrentasche hervor und begann zu rauchen. Er sah etwas unzufrieden aus.
„Sie werden sich beeilen müssen,“ mahnte ich. „Die zehn Minuten sind bald um …“
„Da haben Sie recht. – Wo kommen Sie her?“
„Von der Ruxa-Farm. Ich hatte einen kleinen Ausflug zu Pferde gemacht.“
„Der kleine Ausflug wird in der Hölle enden.“
„Kaum, Oberst. Es sei denn, daß Sie ein Mörder werden wollen.“
„Nicht schlecht gesagt. – Gehört der Karabiner da Ihnen?“
„Nein. Ich fand ihn.“
„Wo?“
„Am Sattel des Pferdes, das ich reite.“
„Hm – Sie sind ziemlich abgebrüht.“
„Es geht, Oberst. Das Leben erzeugt heißen Dampf, das wirkliche Leben. Sie werden das wissen.“
Er beschaute mich lange. „Sie wollen also nichts verraten?“
„Ich verrate niemand, der mir Gastfreundschaft bot.“
„Schade …!!“ Er dehnte das Wort bedrohlich und blickte zur Seite. Durch das Gebüsch kam ein Zug Queensländer, zehn Mann in Englischleder, zehn prächtige Kerle. Der vorderste meldete militärisch: „Zur Stelle, Kolonel! Die Gebäude sind eingekreist. Wir haben vier Wachen abgefangen.“
„Tot?“
„Nein, Kolonel, waren nur Leute der Farm, Nigger.“
Bluß knurrte ärgerlich … „Das Frauenzimmer ist dort … Wer zu ihr hält, baumelt.“
„Das müßte erst erwiesen werden,“ meinte der Polizeioffizier etwas kleinlaut.
Bluß sprang auf. „Nehmt den da mit,“ befahl er, und ich wurde auf meinen Gaul gebunden.
Meine Kaltblütigkeit war nur Mache. Ich fieberte vor Sorge um Ethel Murray.
… Alles, was das Leben mir schenkte, waren nur Seifenblasen … alles, selbst jene Ereignisse, die das Blut gleich einem Lavastrom durch die Adern trieben und das Herz zu hüpfenden Sprüngen hetzten.
Verblichen – wie Tinte auf einem Papier, das der grellen Sonne ausgesetzt wird.
Und die Sonne, die unsere Erinnerungen auslöscht bis auf wehmütiges Gedenken an das, was am bleibendsten haftet: Menschen, die man lieb gewonnen, – diese Sonne ist doch wieder nur dasselbe Leben und Erleben, das uns das Frühere schenkte.
Ich lehne mich zurück in dem harten Bambusstuhl und blicke hinaus über grüne Hügel und Tiefen, über die Wildnis eines anderen Erdteils.
Wie war das doch damals, als ich über dem Buchenast lag, die Schlinge um den Hals, und der Wind die beiden Äste fast taktmäßig schwingen ließ?! Es war der Abendwind der australischen Nordküste, und dieser Wind war die Kraft, die mich langsam töten sollte, damit ich verriete, was ich selbst nur lückenhaft wußte.
Wie war das damals …?! – Auch das ist verwelkt … Ich werde es aufblühen lassen. Es ist ein böses Kapitel.
Am künstlichen Weiher stand da eine Buche mit ausgesprochen blauen Blättern. Zwei Äste hingen weit über dem Wasser, und Kolonel Bluß hatte eine Phantasie gezeigt, die durch die Instrumente der Folterkammern des finstersten Mittelalters kaum übertroffen werden konnte.
Der eine Ast trug mich bäuchlings, gefesselt, der andere die lange breite Blattsäge, die vorn beschwert war. Jeder Windstoß trieb die Säge tiefer in meinen Ast, und ich konnte ziemlich genau vorher berechnen, wann er unter meiner Last brechen würde und ich hinabgleiten mußte und am Halse aufgehängt werden, bis ich stürbe.
„Wenn Sie sich eines besseren besonnen haben, können Sie rufen,“ hat der Kolonel gesagt und war mit seinen Leuten zurückgekehrt in den Ruxa-Palast. Nur eine Wache blieb bei mir und langweilte sich und rauchte Pfeife. Drehte ich den Kopf nach links, dann sah ich die Säge arbeiten und die dunkle Holztür zu dem düsteren Grabmal der Eltern Ethels und Palomas. Rechts sah ich die Wasserfront des prächtigen Farmhauses … –
Manches war noch vordem geschehen.
Ich zitterte um Ethel, und als der Ring der etwa vierzig Queensländer sich immer enger um die Gebäude zog, fieberte ich wie ein Kranker und war doch nur ohnmächtiger Zuschauer.
Bluß gab ein letztes Signal, und wir ritten im Galopp durch den Park bis vor die Terrasse.
Plötzlich ging die Flügeltür auf, und Bell Dingo in einem weißen Anzug, den nur ein erster Schneider gefertigt haben konnte, in seidenem Hemd, koketter Krawatte und blendend zarten Schuhen trat dem erhitzten, verschwitzten Kolonel gegenüber.
„Ich heiße Sie willkommen, Oberst,“ sagte er in einem besseren Englisch, als ich es je gesprochen habe. „Befinden Sie sich auf einem Ausflug? Denn dienstlich hätten Sie hier im Nordterritorium nichts zu suchen. Hier ist nicht Queensland, und ich habe mir erlaubt, Ihren Kollegen aus Borraloola telephonisch herbeizurufen, damit Sie nicht Ungelegenheiten mit unserem Gouverneur haben, der den Queensländern nicht gerade gewogen ist.“
War das noch mein bescheidener Ai Ai, der dem gefürchteten Bluß so kühn unter die Nase rieb, daß er hier nichts zu suchen hätte?!
Bluß schien jedoch auf Ähnliches vorbereitet gewesen zu sein. Er stieg gelassen vom Pferde, zog ein Papier aus der Tasche … „Sie können ja lesen, Dingo …“
„Mr. Dingo,“ verbesserte der schwarze Farmer. „Immer noch Mr. Dingo … Nicht einmal der Herr Generalgouverneur würde mich so plump vertraulich anreden, und – was soll der Wisch da?“
Ich hielt den Atem an. Würde der Kolonel auch das einstecken?! Wer war Dingo?! Doch schließlich nur ein reich gewordener Australneger! Ich kannte ja den grenzenlosen Hochmut aller Engländer gegenüber Farbigen.
Arthur Bluß biß sich auf die Lippen. Und die lagen jetzt frei. Der falsche Bart war verschwunden, und dieser Mund, von dem sich zwei Falten wie Wülste zum Kinn verloren, verhieß nichts Gutes.
„Lesen Sie das, was Sie Wisch nennen,“ sagte der Kolonel unheimlich ruhig. „Lesen Sie, und dann …“
Bell Dingo hatte das Papier schon entfaltet. „Ach so – eine besondere Vollmacht für Sie, Mr. Bluß, ausgestellt vor einem Monat im Büro des Generalgouverneurs.“
„Ja – geltend auch für das Nordterritorium, Mr. Dingo!“
„Allerdings, nur nicht für den Bezirk meiner Farm …“ Und dieser verteufelte häßliche Schwarze faßte in die Brusttasche, holte eine Brieftasche mit Goldbeschlägen hervor und entnahm ihr möglichst umständlich ein Papier mit großem durchgedrückten Siegel. „Auch vom Generalgouverneur, Mr. Bluß,“ meinte Freund Ai Ai mit gleichbleibender höflicher Sachlichkeit, „aber ausgefertigt vor drei Wochen, also jünger als Ihre Vollmachten. Ich bin hier auf der Ruxa-Farm bereits viermal Palomas wegen ganz unnötig belästigt worden, und deshalb enthält dieses Schriftstück den ganz unzweideutigen Befehl an sämtliche Polizeibeamten des Landes, nur mit meiner Genehmigung hier irgendwelche Durchsuchungen oder sonstigen behördlichen Maßnahmen vorzunehmen. Lesen Sie, Mr. Bluß.“
Der Oberst riß ihm den dicken Bogen aus der Hand und gab ihn ihm schweigend zurück. Es war ein unheilverkündendes Schweigen, und ich glaubte allen Ernstes, Bluß würde sich den Teufel was um diese schriftliche Rückendeckung Dingos kümmern und verdammt kurzen Prozeß machen.
Ich irrte mich. Bluß war dunkelrot, und sein Unterkiefer hatte sich noch weiter vorgeschoben, die Kinnfalten waren wie Muskelstränge gespannt und in seinen Augen loderte es vor verhaltenem Grimm.
Er holte ganz tief Atem. Sein Atem pfiff wie ein Blasebalg, und seine Stimme klang ganz fremd, als er sagte:
„Sie, Mr. Dingo, sind der erste Neger im australischen Parlament, Sie sind Mitglied verschiedener Regierungskommissionen … Trotzdem würde ich die Ausnahmestellung, die Ihnen verbrieft ist, nicht im geringsten respektieren, wenn Sie mir die Erlaubnis zur Durchsuchung der Gebäude, des Parkes und der Umgebung verweigern wollten.“
„Keineswegs …“ nickte der schwarze Millionär. „Suchen Sie ganz nach Belieben … Aber – was suchen Sie?“
Der Kolonel, wirklich ein Prachtkerl und anderthalb Köpfe größer als der freilich breitschulterige Dingo brüllte jetzt los …
„Weil Paloma hier ist, wahrscheinlich auch Ethel Murray und der blonde Narr, der sich durchaus Palomas wegen hängen lassen will …!“
Bell Dingo lächelte sanft. „Wie kommen Sie auf diese geradezu alberne Vermutung?! Ich hätte wirklich Lust, meine Erlaubnis zurückzuziehen und Sie zu ersuchen, schleunigst wieder davonzureiten. Aber ich sehe zu meinem Bedauern, daß Sie einen Herrn, der heute ein paar Stunden mein Gast war, irrtümlicherweise verhaftet haben. – Wo geschah dies, Mr. Elsen?“ wandte er sich an mich.
Bluß fuhr dazwischen. „Weg von dem Manne, schwarze Kröte!!“ Er war jetzt fahl vor Erregung … „Der Mann ist mein und bleibt mein, und du, elender Nigger, sollst mich nun gleichfalls kennen lernen!!“
Der Kolonel hatte jede Selbstbeherrschung verloren. Er stieß Dingo zurück und versetzte meinem Gaul einen Hieb gegen die Nüstern, daß der Braune einen Satz rückwärts tat. Nur durch Schenkeldruck bekam ich das Pferd zur Ruhe. Ich blickte auf Bell Dingo, und ich sah in seinem Gesicht genau dieselbe Veränderung wie damals in meinem Arbeitsraum der Insel … In diesem Moment gab ich für Arthur Bluß’ Leben keinen Penny … Diese Beleidigungen würde er niemals ungerächt hinnehmen, – er, Mitglied des Parlaments und sicherlich Vertreter der gesamten Eingeborenen des Landes …
Zu meinem Erstaunen sprang er jedoch dem Kolonel nicht an den Hals, – seine Eisenfaust hätte Bluß für alle Zeit erledigen können. Er war der Beherrschtere, er sagte nur unnatürlich heiser: „Dies wird Sie Ihre Stellung kosten, Oberst Bluß!“
Der andere, nur noch ein Bündel zitternder Nerven, lachte schrill. „Das weiß ich, du schwarzer Hund … Aber dich wird es das Leben kosten …!!“ Und mit flinken bebenden Fingern zerriß er Dingos Urkunde in mehrere Stücke, schob sie in die Tasche und höhnte in billigem Triumph: „So – nun werden wir ja hier sehen, was wir hier finden … Ich werde finden, und dann baumelst du!!“
In gewissem Maße war dieser explosionsartige Wutanfall des Kolonels begreiflich. Er mochte wohl genügend Beweise dafür haben, daß die Schwestern hierher geflüchtet waren. Er hatte Paloma Ruxa seit zwei Jahren verfolgt, er hatte die Säuberung der Minendistrikte von räuberischem Gesindel als seine Lebensaufgabe betrachtet, er hatte Tom Smeet, Billy Frank, Smardy und andere Bandenführer an den Galgen gebracht, nur ausgerechnet die frechste, kühnste und erfolgreichste der „berühmten“ Desperados war ihm bisher stets entwischt: Das Kreuz der Wüste, Paloma Ruxa! Sollte er sich nun vielleicht um den Enderfolg monatelanger Bemühungen durch Dingo prellen lassen, mußte nicht die helle Wut mit ihm durchgehen, wo er doch im Recht war und sich auch im Recht fühlte? Ich wußte, daß er im Recht war, und im Grunde bedauerte ich ihn. Er würde hier natürlich umsonst suchen, – Dingo hatte die Bedrohten längst versteckt, daran zweifelte ich nicht. Und wenn er in seiner blinden Tollheit sich soweit vergaß, etwa Dingo wirklich aufzuknüpfen, dann würde man ihm den Prozeß machen, dann würde es zu einem Streik der farbigen Unionarbeiter kommen, die ohne Zweifel geschlossen hinter Dingo standen, – dann würde, wie ich’s hier einst selbst erlebt, der Farbige über den Europäer letzten Endes triumphieren …
Ich rief Bluß zu, und ich meinte es nur gut mit ihm: „Mäßigen Sie sich doch, Kolonel! Bedenken Sie, was Ihnen bevorsteht, wenn …“
Arthur Bluß schien nur rote Nebel zu sehen … Es ist schon etwas an dem allerdings vielfach übertriebenen Gerede vom Tropenkoller. Bluß war nicht mehr normal. Bluß riß die Pistole aus dem Lederfutteral …
Da sprang Dingo wirklich zu, – die Pistole flog in die Büsche, und der schwarze Millionär schleifte den bewußtlosen Kolonel wie einen schlappen Sack in die Vorhalle und warf die Tür zu.
Die Queensländer, noch immer zu Pferde, (vor der Terrasse hielten acht Mann, die anderen waren um die Baulichkeiten verteilt), rührten sonderbarerweise keine Hand, ihrem Chef beizustehen. Ob sie diese Wutausbrüche an ihm kannten, ob sie nicht mit ihm die Verantwortung für das tragen wollten, was hier an Gesetzwidrigkeiten geschah? Sie hatten gehört, daß Bell Dingos Farm durch einen klaren Befehl von höchster Stelle gegen polizeilichen Zugriff geschützt war, sie hatten mit angesehen, wie Bluß dieses Schriftstück zerriß.
Ich wandte mich um, und musterte ihre braunen Gesichter. Sie schauten völlig gleichgültig drein, horchten nur wie ich auf den infernalischen Lärm, der sich jetzt in der Vorhalle erhob. Es schien, als ob dort ein bestialischer Kampf tobte. Wilde Schreie, Schüsse, das Krachen umstürzender Möbel wurden übertönt von Bluß’ heller, messerscharfer Stimme. Mit einem Schlage trat wieder Ruhe ein. – Diese Szenen dort drinnen, meinen Augen verborgen, erinnerten mich an den nächtlichen Kampf in der Bucht, kurz bevor Dingo die Frau aus dem Wasser zog, die sich dann für Ethel Murray ausgegeben hatte und die doch nur Paloma gewesen sein konnte. Ich zweifelte kaum mehr daran, obwohl die Zusammenhänge der Ereignisse mir dunkel blieben.
Das Palasttor flog auf, und Bluß mit blutigem Gesicht trat heraus, gefolgt von fünf seiner Beamten, die den armen Dingo vor sich her schoben.
Dingos Kleider waren Fetzen. Aber auch seine Überwinder hatte er übel zugerichtet. Der Kolonel trat an die Rampe und rief hinab: „Jungens, nun hurtig … Das schwarze Schwein haben wir, und die übrigen finden wir auch … Sie müssen hier sein.“ Seine Unterlippe war nur noch eine bläuliche dicke Pflaume, seine Zähne schienen gleichfalls gelitten zu haben, und das Sprechen bereitete ihm Schwierigkeiten.
Die Reiter johlten ihm begeistert zu. Ich hatte sie doch falsch eingeschätzt. Kolonel Bluß konnte sich auf die Seinen verlassen. Kolonel Bluß war ihr Abgott, schonte sich nie, war ihnen mehr Freund als Vorgesetzter.
Bluß trat zu mir. Ich konnte meine Augen nicht losreißen von Dingos aschfarbenem Gesicht. Ein fürchterlicher Ausdruck lag darin. Es gibt keine Worte, diesen Ausdruck zu schildern.
„Jetzt kommen Sie an die Reihe!“ zischte Bluß mich an. „Wollen Sie reden? Wo sind die Weiber? Wo ist Lord Robert Battingham?“ Bluß’ blutunterlaufene Augen fraßen mich in elementarer Mordgier.
„Ich war hier Gast, und ich hab Ihnen gesagt, was ich zu sagen hatte,“ erklärte ich kalt. „Sie werden diese Stunde bereuen, Oberst! Hier geht es nicht um das, was man Pflicht nennt, sondern um das, was einem Manne das Hirn versengt: Um ein Weib!! Sie verstehen mich wohl.“
Sekundenlang senkte er den Blick. Der Vorwurf hatte getroffen. Es ging eben um die große Narrheit Liebe, und Bluß war vernarrt in sein Opfer, das er gehetzt und verfolgt und nun endlich eingekreist hatte.
„Schade um Sie, Oberst,“ fügte ich hinzu. „Ein Mann, der an einem Unterrock hängt, bleibt ein jämmerlicher Schwächling!“
Es war unklug, ihn noch mehr zu reizen. Sein grelles Lachen war die Einleitung dessen, was folgte. Ich wurde ins Haus geschleppt, zwei Stunden lag ich krumm geschnürt, daß mir fast das Rückgrat brach. Zwei Stunden durchstöberten die Queensländer die Gebäude, den Park, – jeden Winkel. Als die Sonne sank, trug man mich, der ich nicht mehr gehen konnte, zu der Buche am Weiher. Ich lernte Bluß’ teuflischen Galgen kennen. Bluß war in ohnmächtiger Wut erstarrt. Er hatte nichts gefunden … nichts. Und ich hatte Bell Dingo nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Australiens Zivilisation hört am Rande der Wüstenstriche des Inneren auf. Und diese Wildnis ist größer als die Hälfte des fünften Kontinents. Daß man dort Eisenbahnlinien hindurchgeführt hat, daß dort auch vereinzelte Siedlungen zu finden sind, will nichts besagen. Es bleibt ein halbkultiviertes Land.
Die Wildnis hatte ihre eigenen Gesetze. Ich war der letzte, dies nicht anzuerkennen. Dort, wo vielleicht alle fünfzig Meilen ein paar Wellblechbaracken und eine Polizeistation anzutreffen sind, wo in den Randminendistrikten tausende von Arbeitern aller Nationalitäten nur durch die unvermittelte Drohung eines Baumastes und einer Schlinge im Zaum gehalten werden können, wäre ein Strafgesetzvollzug, der die Besserung anstrebt, eine lächerliche Torheit. Ein wildes Land erfordert Kerle aus Stahl, die Gesetzesbrecher auszutilgen. – Man schaue in australische Zeitungen, … Zehn chinesische Minenarbeiter überfallen eine kleine Farm und kehlen den Farmer ab, vergewaltigen die Frauen, rauben Geld und Gold und zünden die Gebäude an. – Bluß ermittelt die Täter. Sieben fallen durch Kugeln, drei knüpft er auf … –
Oberst Bluß war für dieses wilde Land trotzdem nicht der richtige Mann. Ich hatte seine schwache Stelle bloßgelegt: Er liebte Paloma. Viermal hatte er sie in seiner Gewalt, viermal entfloh sie ihm. Sein Eifer, sie aufzuknüpfen, war blinde Eifersucht.
Ich lag bäuchlings auf meinem Ast und beobachtete die fressenden Stöße der Säge. Es war halb acht abends. Vielleicht hatte ich noch eine halbe Stunde zu leben. Meine Armbanduhr tickte auf meiner Brust, denn mir waren die Hände vorn festgeschnürt. Ich hing mit dem Kopf nach unten, und der Blutandrang zauberte mir blitzende Sterne vor die Augen. Meine Gedanken schlichen immer träger.
Manches, was Rätsel gewesen, war gelichtet. Nicht Ethel Murray, sondern bestimmt Paloma Ruxa war bei mir an Bord gewesen, und der blonde Taucher vor dem Fenster, war Lord Battingham. Er hatte sich für Bluß ausgegeben, und es war seine für Paloma geschaffene Schutzwache, die ich für Queensländer Polizei gehalten hatte. Aber die Rollen Dingos und Ethels bei alledem blieben undurchsichtig. Daß es sich um ganz besonderes gehandelt hatte, war gewiß. Sonst hätte man mich eingeweiht.
Wo steckten Ethel, Paloma, der Lord und Charlie?!
Sie mußten hier verborgen sein. Als ich die Farm mittags verließ, war sie bereits umzingelt.
Der Wind nahm zu, und das gräuliche Kratzen und Nagen der Blattsäge erklang härter als sonst. Ich schielte hin. Und ich atmete auf. Bluß’ feine Folter hatte Erbarmen. Die festgebundene Säge hatte sich gelockert und stand schief, und der Schnitt, den sie erzeugte, verlief so schräg, daß mir neue Frist geschenkt war.
Um das große Farmhaus lungerten des Kolonels Reiter herum, rauchend, schwatzend, lachend, unbekümmert … Aber sie hatten trotzdem die Augen überall … Sie suchten noch immer, wenn auch unauffällig. Bluß hatte sich nicht mehr blicken lassen. Es mochte ihm scheußlich unangenehm sein, hier wiederum einen Fehlschlag erlitten zu haben.
Als ich wieder einmal zum Hause hinüberschaute, wurde dort aus einem Fenster des zweiten Stockes ein langer Balken hinausgeschoben, an dessen Spitze ein Tau mit einer Schlinge hing. Am Fenster zeigte sich auch Bluß, er erteilte seinen Leuten Befehle, er schob den Balken noch weiter ins Freie, – ich hörte Hammerschläge, und dann zog einer der Queensländer das Tau mit einer Stange ins offene Fenster. Hinter dem Manne stand der gefesselte Dingo.
Er sah mich. Er nickte mir zu, und dann wanderte sein Blick nach Osten, wo die Sonne, bereits ein rötlicher Ball, sich dem Horizont zusenkte. Vielleicht nahm er Abschied von allem, was Leben und Licht bedeutete, bevor ihn die ewige Nacht umfing.
Er war einer jener Treuen, die zu sterben wissen. Bluß hatte mir es beim ergebnislosen Verhör ins Gesicht geschrien, daß Bell Dingo hier auf der Farm aufgewachsen war, daß er ein jämmerlicher armer Nigger gewesen, daß er alles versucht hatte, um sich emporzuarbeiten, besessen von einem Ehrgeiz, der seiner Intelligenz entsprach. Es stimmte schon, – er hatte den Glauben für einen halbwegs anständigen Anzug gewechselt, – alles stimmte, nur die Hauptsache hatte Freund Ai Ai mir verschwiegen: Daß er an den Nordabhängen des Mount Guide vor vier Jahren eine Goldader entdeckt hatte, die ihn über Nacht zum vielfachen Millionär machte. Nun besaß Dingo ein Dutzend Großfarmen, Bergwerke, eine Villa in Sydney, Autos, eine Jacht, Flugzeuge … Sein Generaldirektor war ein englischer Edelmann, seine Mitarbeiter waren Weiße, und er der Herr …
Schwarzes Schwein hatte Bluß ihn genannt.
Und nun sollte Bell Dingo sterben.
Mir gefror das Blut in den Adern.
Ich konnte nicht schweigen, ich durfte diesen infamen Mord nicht zulassen, Bluß war nicht zurechnungsfähig …
„Kolonel!“ brüllte ich über das Wasser …
Er hatte das andere Fenster geöffnet und antwortete mir nur mit einer Handbewegung. Sein Gesicht war grau und starr.
Man hob Dingo auf das Fensterbrett, man nahm ihm die Fußfesseln ab und legte ihm die Schlinge um den Hals.
Die Queensländer waren betrunken, merkte ich erst jetzt. Der Alkohol, wilde Erinnerungen machten sie zu Bestien.
Bluß stand mit verschränkten Armen im Abendsonnenschein. Er rauchte, aber die Zigarre in seinem Mundwinkel war erloschen.
Dingo schritt langsam auf dem Balken bis zur Spitze. Seine Augen waren seltsam stier auf die dunkle Pforte des düsteren Mausoleums gerichtet, in dem die Eltern der Schwestern in offener Gruft in schweren Särgen aus Teakholz ruhten.
Mein Herz setzte aus, jagte, setzte aus …
Und wieder versuchte ich ein Letztes. Meine Stimme fuhr hinüber über den von blanken Fischen belebten Weiher, der einen Ab- und Zufluß hatte und der jetzt rosig schimmerte und rosige Palmen wiederspiegelte.
„Oberst Bluß, Gott wird Sie strafen!!“
Ich wußte nicht, wie ich gerade auf Gott kam …
Bluß lachte verächtlich.
Dingos Augen hafteten auf dem Mausoleum der Ruxas. Er hatte glückliche Tage hier auf der Farm verlebt, und seine Liebe zu Ethel und seine Treue waren erhaben, wuchsen über Menschliches hinaus.
Dingo stand stolz da, Bluß den Rücken zugekehrt.
„Stoßt das Schwein hinab …!“ geiferte Bluß … „Schwarzer Lump, springe!! Wo sind die Weiber?“
„Suche Sie … Du wirst sie nicht finden, Kolonel … Sie sind längst bei den Toten.“
Bluß kreischte: „Stoßt ihn hinab!!“
Aber jetzt zögerten seine Leute …
Er riß die Stange hoch … Sein Gesicht war gräßliche Fratze …
Er stieß zu …
Dingo taumelte… Sauste in die Tiefe, und ich schloß die Augen, mein Herz stand still, für Sekunden verlor ich das Bewußtsein. Übelkeit würgte mir in der Kehle, – eine ohnmächtige Wut machte mich zittern, mein Leib flatterte wie im Fieber.
Meine Nerven hatten versagt. Ich hatte Nerven aus Eisen zu haben geglaubt, – dieser schändliche Mord spottete ihrer.
Die Wut wuchs, und diese Wut, gesteigert bis zur Ekstase, machte meine Hände frei. Hautfetzen blieben in den Schlingen – ich fühlte nichts, und die Nebel vor meinen Augen wichen.
Ich schaute hin.
Das Bild hatte sich verändert. Was ich zu sehen fürchtete, sah ich nicht. Ich sah unter den Fenstern des Galgens in denen des ersten Stocks gerade noch ein großes Bügelnetz verschwinden, in dessen Netzbeutel Dingo lag. An jenen Fenstern kribbelte es von schwarzen Leibern. Und Dingo lebte, – er sprang in das Zimmer hinein.
Das war nicht alles.
Unten im Park kribbelte es gleichfalls von Schwarzen …
Das waren nicht hundert, das waren hunderte.
Das war ein breiter Ring Bewaffneter, der den Palast umgab. Da waren kleinere Trupps, die die Türen besetzt hielten, – an allen Fenstern erschienen sie …
Bluß und die Queensländer waren verschwunden.
Unter mir Rufe, Geräusche … Drei Schwarze turnten empor. Mein Wächter stand waffenlos dabei. Die drei schafften mich behutsam hinab, und sie mußten mich stützen, meine Beine waren tot, mein Leib ein einziger Schmerz.
Man führte mich mit geradezu zärtlicher Sorgfalt um den Weiher, dessen Fische ich jetzt liebte. Nur das Fischnetz mit der starken Stange, dem starken Bügel und den derben Maschen hatten Dingo gerettet.
Die, die mich stützten, waren Leute in blauen Arbeitsanzügen, Leute von Dingos Nachbarfarm, aus Borraloola … – Das Telephon hätte Bluß vielleicht unbrauchbar gemacht beim Anmarsch, aber die Leitung lief unterirdisch. Das Telephon hatte die hunderte herbeigeholt, und die Queensländer wären in Fetzen zerfleischt worden, wenn Dingo schon tot gewesen.
Auf der Terrasse saß Bell Dingo, bereits wieder in sauberem neuen Anzug, mit zwei Weißen, die er mir als Kolonel Mallingrott aus der Stadt Borraloola und Leutnant Schell vorstellte…
… Ganz so, als ob wir uns etwa im Speisesaal des Astor-Hotel in Sydney begegnet wären.
„Mallingrott, dies ist Mr. Elsen, der heute kurze Zeit mein Gast war …“ sagte Dingo und bettete mich in einen Liegestuhl.
Der Oberst entschuldigte sich bei mir.
„Bluß ist zweifellos krank, irrsinnig geworden, Mr. Elsen … Wir haben ihn fesseln müssen, er tobt …“
Der Diener Kanarra brachte Wein, Zigarren, Zigaretten und bediente uns lautlos und gewandt.
Mallingrott trank Dingo zu. „Mr. Dingo, ich freue mich, daß wir noch zur rechten Zeit kamen …“
„Sie haben allen Grund sich zu freuen,“ meinte Bell kühl. „Mein Tod wäre furchtbar gerächt worden, – ich glaube, hier in hunderte Meilen Umkreis gäbe es keinen lebenden Europäer mehr, sobald … – doch lassen wir das. Sie nehmen Bluß’ Leute wohl mit nach Borraloola …“
„Natürlich,“ beeilte sich der Oberst zu versichern. „Die Burschen werden unter Anklage gestellt werden, und …“
„Das wünsche ich nicht. Bluß hat sie betrunken gemacht, und Bluß wird in einer Anstalt enden. Auch ihm trage ich nichts nach. Er ist auch nur ein Mensch …“
Der Oberst schnitt verlegen die Spitze seiner Zigarre ab. „Mr. Dingo, das ist sehr großmütig … Haben Sie sonst noch Befehle?“
„Nein … – Kanarra, wann können wir speisen?“
„Um halb neun wie immer, Mr. Dingo.“
„Es ist gut …“
Mallingrott wandte sich mir zu.
„Mr. Elsen, Sie werden recht peinliche Erinnerungen von diesem Ausflug mit an Bord Ihrer Jacht nehmen …“
„Ich pflege für derlei ein sehr schlechtes Gedächtnis zu haben …“ meinte ich höflich.
„Sie bleiben hoffentlich noch einige Tage bei mir,“ bat Dingo und betrachtete seine Fingernägel. – Der Ring am kleinen Finger fehlte.
„Sehr gern …“ und das kam mir von Herzen. –
Die Abendtafel dehnte sich bis gegen Zehn aus. Dann verabschiedeten sich der Oberst und sein Leutnant, und Dingo geleitete sie bis zur Terrasse. Die schwarzen Arbeiter zogen gleichfalls ab. Der lange Zug verschwand nach Nordwest in der sternklaren Nacht. Der Oberst hatte in meiner Gegenwart weder Paloma noch Ethel erwähnt. Wir hatten bei Tisch über Australiens neue Hauptstadt gesprochen, die dieses reiche Land aus einer romantischen Bergwildnis hervorzuzaubern gedachte.
Ich stand neben Dingo auf der Terrasse, wir schauten dem Zuge nach, und langsam schob Dingo seinen Arm in den meinen und sagte leise:
„Nun kennen Sie mich ganz, lieber Abelsen …“ Er blickte mich an und lächelte. „Ich habe meine Rolle als Ai Ai wohl recht gut gespielt, es fiel mir ja auch nicht weiter schwer, es sind ja erst vier Jahre her, da war ich noch das, was ich Ihnen vormachte: Kajütwärter, – aber dann kam der Erfolg, ein blinder Zufall warf mir Millionen in den Schoß …“ Er wurde ernst. „Ich bin Ihnen nun einige Aufklärungen schuldig, Abelsen. Meine Jugend wurde freundlich überstrahlt durch Ethels Güte, ich war ihr Boy, ich sorgte für ihre Pferde, ich war glücklich. Paloma liebte die Einsamkeit hier nicht und weilte zumeist in Sydney. Die Ruxas machten ein großes Haus, bis … bis eben Lord Robert Battingham, der Vater des Mannes, den Sie als „Bluß“ kannten, hier auftauchte. Die Gräfin Ruxa war blendend schön trotz der halb erwachsenen Töchter, Battingham ein gewissenloser Schurke, Spieler, Verschwender, Wüstling. Als die Gräfin ihn abwies und der Graf ihm das Haus verbot, schwor er Rache. Nun hängt dieser Elende als Skelett an dem Holzkreuz, und im Sande liegen die Steine und bilden seinen Namen – Steine, gefühllos wie er selbst es war.“ Dingos Stimme zermalmte diesen letzten Satz förmlich zwischen den Zähnen.
Mir war’s wie ein Schlag durch den Körper gegangen. – Ein Lord Battingham war der Tote dort am Kreuz, und sein Sohn war hier irgendwo totwund versteckt!
„Weiß der junge Lord …?“ – aber Dingo schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, niemand weiß … nur der, der ihn strafte.“
Ich trat unwillkürlich zurück.
„Sie, Dingo?“
Er wich meinen Augen nicht aus. „Hören Sie erst alles, Abelsen …“ Er lehnte sich an die Brüstung. „Ist Ihnen bekannt, daß man die Drehwurmkrankheit durch den Kot bereits kranker Tiere auf gesunde Herden übertragen kann?“
„Und das tat Robert Battingham …?!“
„Vor Gericht wäre ihm natürlich nichts nachzuweisen gewesen … Außerdem war er Lord. Aber er tat es, in einem Jahre bettelarm, denn eine Farm muß nach einer solchen Seuche erfahrungsgemäß zehn Jahre brach liegen, bevor die Infektionsgefahr aus dem Boden beseitigt ist. – Aber dies nicht allein, Abelsen: Die Ruxas hatten Barvermögen, aber die betreffende Bank verkrachte, da der von Battingham gegründete Goldexporttrust es wollte. Der Graf erschoß sich, seine Frau wurde … wahnsinnig und … vergiftete sich mit dem Saft des australischen Nachtschattens … Ethel und Paloma fristeten hier allein ihr jämmerliches Dasein, niemand kaufte die verseuchte Farm, Gläubiger nahmen die kostbaren Möbel, – nur einer schickte den Schwestern, was er sich absparen konnte …“
„Sie Dingo …“
„Hören Sie weiter … – Paloma, ein Mädchen, das den Teufel im Leibe hatte, hielt es nicht lange in diesem entleerten trostlosen Hause aus und ging in die Minendistrikte. Sie fand eine ertragreiche Stelle, aber der Trust strengte eine Besitzklage gegen sie an, und die Betrogene ward … Buschklepperin. Mit der Zeit sammelte sie eine eigene Bande um sich und begann den Rachefeldzug gegen den Trust und Battingham, was schließlich dasselbe war. Sie erfand immer neue Tricks, die Goldtransporte zu plündern. Inzwischen hatte Ethel, die sanftere, den alten Kapitän Murray geheiratet, der für den Grafen Ruxa einen Dreimaster lange Jahre als Frachtschiff für Wolle befehligt hatte und der Verarmten seine Staatspension als früherer Hafenlotse sichern wollte. Es war keine Ehe, Abelsen, es war ein Geschäft aus Dankbarkeit. Murray war ein Ehrenmann.“
Er schaute zum Nachthimmel empor … Das Kreuz des Südens, Milliarden von Sternen, flimmerten friedlich auf ihn herab.
„Inzwischen war noch anderes geschehen. Eines Tages verschwand der alte Lord Battingham – alt war er gerade nicht, erst fünfundfünfzig –, und hier auf der Farm genau an der Stelle, wo der Graf sich erschoß, ward ein Kreuz gefunden … Es trägt oben einen Anker und am Fuße des Hauptbalkens das eingeschnittene Bild eines wilden Hundes … Vielleicht soll der Anker als Symbol der Schiffahrt auf den anderen Rächer hindeuten …“
Mir lief es kalt über den Rücken …
„Lebte … er noch, Dingo?“
Er überhörte die Frage, aber seine Zähne zerbissen knirschend die Spitze seiner Meerschaumpfeife … „Ich war reich geworden. Meine Millionen arbeiteten, aber all meine Versuche, mit Paloma persönlich mich auszusprechen schlugen fehl … Auch Geld ist machtlos, Abelsen, wenn ein Weib besessen ist, und Paloma behagte das Spiel mit dem Tode. – Noch anderes geschah. Battinghams einziger Erbe kam von London und suchte den Vater, natürlich umsonst. Das Schicksal führte ihn mit Paloma zusammen, und das Leben, das böse Romane braut, brachte das Wahnwitzige fertig, daß Robb Battingham sich in die schöne Brigantin verliebte und in der Wildnis blieb – als ihr Verehrer, Beschützer und Freund. – Ethel, die seit Jahren nichts von Paloma gehört hatte, bestürmte mich mit Bitten, Paloma zu retten, da Oberst Bluß sie bestimmt aufknüpfen würde. Wir beschlossen, Paloma gewaltsam außer Landes zu schaffen. Meine Spione meldeten mir, daß sie irgendwo am Burke-Fluß ihren Schlupfwinkel habe. Wir rüsteten schnell den Dreimaster aus und segelten durch die Torres-Straße in den Golf von Carpentaria. Ein Taifun zerschlug das Schiff und alle unsere Pläne, Paloma mit dem Dreimaster nach Java zu schaffen. – Sie merken, Abelsen, ich nähere mich der Gegenwart.“
„Weiter …!!“ Die Spannung in mir war unerträglich geworden.
„Die Besatzung und Kapitän Murray ertranken … Nur Ethel und ich blieben am Leben. Ich trug ärmliche Kleidung, – das Parlamentsmitglied Bell Dingo durfte keine Räuberin der Gerechtigkeit entziehen. Wir sahen Ihre wunderbare Insel, das Wrack streifte sie, – Sie vertäuten es, kamen an Bord, und wir schlichen derweil in Ihr schwimmendes Heim hinab, – ich zeigte mich Ihnen, während Ethel im Vorratsraum verborgen blieb, – ich zog Paloma aus den Wellen, als Ihre Insel von Lord Robbs Motorkutter fast an Land geschleppt worden war …“
„Aber … der Kampf, den wir hörten,“ sagte ich ebenso erstaunt wie verwirrt.
Bell Dingo warf seine zerbissene Pfeife in die Büsche und erklärte: „Bedenken Sie, daß Paloma die Polizei schon hundertfach an der Nase herumgeführt hatte. Es war alles richtige Spiegelfechterei. Aber ich merkte das erst später. In der ersten Überraschung verriet ich Paloma, änderte dann jedoch mein Benehmen und schützte sie, natürlich schützte ich sie, denn Sie waren mir ein Fremder, Mr. Abelsen. Sie besinnen sich auf Robb Battinghams Erscheinen vor dem Unterseefenster: Paloma tat, als wäre es Kolonel Bluß, und ich mußte dazu schweigen, obwohl mir damals schon der Verdacht aufstieg, Paloma und Robb wollten Ihre Insel an sich bringen, um sie als treffliches Versteck zu benutzen. Ich argwöhnte das und entfernte die Schildchen von der Schalttafel, damit Paloma die Hebel nicht bedienen könnte …“
„Meine Hochachtung, Dingo! Ich sehe nun ziemlich klar …“
Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich fürchte, Sie sehen nicht klar … Ich ahnte die Wahrheit erst, als ich die fünf frischen Gräber am Strande heimlich geöffnet hatte und sie leer waren. Palomas Plan war damit entschleiert, und ich ließ Ethel fortan Palomas Rolle spielen, während Paloma schon gefesselt in der Höhle lag …“
„Erlauben Sie, bester Dingo, – die Einzelheiten gehen mir etwas durcheinander …“
„Mir nicht. Der erste Überfall auf uns erfolgte natürlich durch Robbs Leute, das wissen Sie … Robb wollte Paloma zurückerobern, nachdem wir den Anschlag auf die Insel vereitelt hatten …“
Ich griff nach seiner Hand. „Und – Ihre Mutter?! Es war Ethel …?!“
„Meine Mutter ist lange tot …“ Seine Augen schlossen sich halb. „Ethel war’s … – Dann faßten mich Robbs Leute draußen ab, und Robb, der mich nie vorher gesehen, wollte mich zwingen, Paloma auszuliefern … Da schossen Sie, schossen tadellos, lieber Abelsen, und das Weitere ist so einfach: Der echte Bluß tauchte auf, Robb erhielt den Brustschuß, ich schickte Ethel mit Paloma voraus zur Farm …“
„Oh – deshalb der Ruf im Höhlengang: „Robb, – – er stirbt!!“ – und derselbe Schrei hier im Hause … – Wo sind die drei jetzt?!“
„Ich sagte die Wahrheit: Bei den Toten. – Es wird Zeit, kommen Sie, Oberst Mallingrott ist nicht mehr zu fürchten. Er glaubt mir blindlings, er würde nie annehmen, daß ein vielfacher Millionär aus Treue und Dankbarkeit seine Haut für die Kruxa der Wüste zu Markte tragen könnte. Er denkt eben wie ein Weißer – entschuldigen Sie, Abelsen.“
„Bitte, ich pflichte Ihnen durchaus bei,“ – und mein Händedruck war genau so warm und kräftig, wie ich stets des braunen Coy’ Hand gedrückt hatte. „Dingo, ich hatte einmal einen Freund, und der war ein armer indianischer Jäger und Fischer, aber in seinem mächtigen braunen Brustkorb schlug ein Herz von so rührender Treue und Selbstlosigkeit, wie ich es nie wieder auf dieser miserablen Erde anzutreffen glaubte. Ich habe mich geirrt, Bell Dingo. Und kläglich genug ist es für das anmaßende Pharisäertum der weißen Rasse, daß dieses innere Ebenbild meines Coy auch wieder ein Mensch mit dunklem Hautpigment ist: Sie, Bell Dingo!“
Er schaute zur Seite und entzog mir seine Hand. „Kommen Sie, Abelsen, … Sie haben das Grabmal der Ruxas noch nicht gesehen. Als ich Besitzer der Farm geworden, die ich allerdings selten genug besucht habe, ließ ich die beiden Toten, die mir ebenfalls Gutes erwiesen hatten, sofort umbetten. Als das Mausoleum fertig war, hat der Bischof aus Sydney es eingeweiht und die Leichen neu eingesegnet. Ethel und ich suchten Paloma zu benachrichtigen, aber sie war wie stets unauffindbar. – Kommen Sie …“
Daß er die Grabkapelle hatte bauen lassen, daß er dies hier wie etwas Selbstverständliches erwähnte – und er wollte sich damit wahrlich nicht herausstreichen –, entsprach nur dem Gesamtbild seines Charakters. – Dieser Mann war ein Australneger von abschreckender Häßlichkeit. Blickte ich jedoch jetzt in sein kluges bescheidenes Gesicht, so entfiel das Äußere vollkommen und ich sah nur durch diese Züge hindurch den Wiederschein einer großen Seele.
Wir schritten zum Weiher, und da gerade lugte die Mondsichel silbern durch eine Lücke der hohen Palmen hindurch und streute goldene Flitter über das stille Wasser
„… Es ist seltsam,“ sagte Dingo und deutete auf drei leuchtende Fische, die in der Tiefe einer Schattenstelle wie lange matte Lichtstreifen dahinschwammen, „ – es ist seltsam, Abelsen, wie die Erfüllung eines kleinen Wunsches so Wichtiges nach sich ziehen kann. Ich will nicht behaupten, daß mir an meinem Leben viel gelegen ist. Hätte ich jedoch Ethels gelegentliche Bemerkung, sie würde den Teich hier so gern durch Fische belebt sehen, nicht erfüllt, so wäre ich jetzt drüben im dunklen Lande, von dem jede Religion den Gläubigen anderes verheißt. Bisher ist noch niemand „von drüben“ zurückgekehrt, und das mag gut sein, denn … – verzeihen Sie, man soll über Religion nicht sprechen. Hätte ich den Weiher also nicht mit Fischen besetzt, die ich in Riesenbottichen vom Arthur-Fluß herüberschaffen ließ, so würde mich heute Kanarra nicht mit dem Netz haben auffangen können, und das war die einzige Möglichkeit, mich zu retten, weil der tolle Kolonel mich mit Kugeln durchlöchert hätte, sobald meine schwarze Armee zu früh sich gezeigt haben würde.“ Er lächelte vor sich hin … „Ich glaubte kaum mehr, mit dem Leben davonzukommen, als ich auf dem Balken stand und zum Grabmal hinüberblickte, und … Abschied nahm von dem Einzigen, was mir Inhalt des Daseins bedeutete …“
Ich erschrak. Noch mehr – ich bedauerte diesen Mann, der sein Herz an Ethel verloren hatte. Aber ich hielt ihn auch für klug genug, seine heiligsten Gefühle weise zu verbergen. Ethel und er – –, nein, eine solche Verbindung war nicht auszudenken, war wider die Natur.
Er zog einen langen schmalen Schlüssel aus der Tasche. Wir standen vor der Flügeltür aus dunklem, reichgeschnitztem Holz. Er schloß auf, und gleichzeitig mit dem lautlosen Zurückschweben des einen Torflügels flammten drinnen mattblaue Lampen auf. Ich sah einen Altar im Hintergrund mit schweren silbernen Leuchtern. Über dem Altar hing ein großes Madonnenbild, und das hohe Kruzifix des Altars reichte bis zum breiten Goldrahmen des wertvollen Gemäldes. – Die Wände waren mit feinstem Mosaik bedeckt und zeigten Szenen aus der Leidensgeschichte Christi. Der Boden und die Kuppel waren mattgoldene Glimmersteine, und nur ein Ring in den Bodenplatten deutete auf die darunter befindliche Gruft hin.
Ethel, Paloma und Robb sowie der Hund waren bei den Toten, hatte Dingo gesagt. Als er nun an dem Ringe zog und mich etwas beiseite schob und langsam ein Viereck des Bodens bis zum Altar sich senkte, meinte er mit jener kühlen Sachlichkeit, die ihn zuweilen als nüchternen Verstandesmenschen erscheinen ließ:
„Wenn Sie im Park nur zwei Meter tief graben, stoßen Sie auf eine dicke Schicht mürben Kalksteins, durchsetzt mit locker geschichtetem Sandstein, und als ich diese Kapelle baute, versanken mir drei meiner Landsleute in die Tiefe, als der Boden ausgeschachtet wurde. Sie trugen schwere Brüche davon, genasen jedoch und schwiegen wie die übrigen. – Sie verstehen mich, Abelsen: Unter dieser Gruft liegt ein Höhlengebiet, und das klare kühle Wasser, das Sie heute hier tranken, stammt aus einem unterirdischen Bach …“
Er stieg die gemauerte Treppe hinab, – auch hier brannten matte Lampen.
Zwei Särge, verdorrte Kränze mit verwitterten Schleifen – sonst nichts. Die Luft eisig und feucht, aber rein.
„Bluß, den man nun mit drei Pulvern eines Schlafmittels im Leibe nach Borraloola bringt,“ sprach Dingo gleichmütig, „war auch hier unten und hatte die Mauern gründlich abgeklopft.“
Er trat nach links, wo ein dreiarmiger Leuchter hing, und nahm ihn vom Haken. Dann zog er den Haken wie einen Hebel nach unten, und eine der Steinplatten zwischen den Särgen senkte sich.
Auch hier eine Treppe, – unten aber tiefste Finsternis und Totenstille.
Dingo lauschte. Seine Haltung drückte Besorgnis aus. Er schüttelte den Kopf … „Vielleicht war es ihnen hier zu kalt … Die Höhle hat mehrere Ausgänge, einer davon liegt in der Nähe des Kreuzes, Abelsen. Es braucht Sie also nicht weiter zu wundern, daß ich Sie und Bluß heute belauschte und wußte, daß Sie Mr. Elsen mit der Jacht aus Stahl waren.“
Er eilte fünf Stufen tiefer und ein Licht blitzte auf und strahlte grell in das Dunkel. Es war eine Karbidlaterne.
Unweit der Treppe lag in Decken gehüllt eine mumienhafte Gestalt. Dingo riß die Decke auf, und Ethel Murrays bleiches Gesicht starrte mit geblendeten Augen zu uns empor.
Sie war mit breiten Stoffstreifen gefesselt, und sie war allein.
„Paloma war nicht zu halten und nicht zu belehren,“ klagte sie und stützte sich auf Bell Dingo, der mit schmalen, harten Falten um den Mund zuhörte.
Und ich?!
Ethel hatte mir nur zugenickt. Für sie war nur Dingo vorhanden.
„… Sie will Robb bis zur Küste schaffen und mit Robbs dort verborgenem Motorkutter fliehen … Sie hat mich schändlich behandelt, Dingo … Sie ist so stark, und ihre Verblendung ist ohnegleichen.“
„Sie lügt,“ sagte Bell, und er winkte mir. „Geben Sie mir dort die Weinflasche und ein Glas.“
Ein Tisch zeigte seine unsicheren Umrisse, – daneben Stühle, noch anderes.
Aus meiner Hand nahm Ethel das Glas entgegen, unsere Finger berührten sich und meine Augen verrieten vieles, als Ethel mir dankbar zulächelte.
„Sie lügt, Ethel,“ wiederholte Dingo. „Sie will Abelsens Insel suchen … Sie hat den Plan immer noch nicht fallen lassen, das heiße Blut in ihren Adern will auf das tolle Leben nicht verzichten, – der Reiz des Abenteuers hat sie vergiftet! Welch ein Wahnwitz, mit dem Schwerverwundeten solches zu wagen!“
„Robb ist nicht so krank wie Sie denken,“ meinte Ethel befangen. „Robb hat eine Natur wie Sie, – Sie hätten ihn hier unten nur reden hören sollen, Dingo, – auch er versuchte Paloma zu widersprechen, aber er ist Wachs in ihren Händen, und …“
Dingo senkte den Kopf … „Das ist verständlich …“ sagte er ganz schüchtern. „Robb Battingham liebt, und zu der Liebe kommt noch der Wunsch hinzu, die Verbrechen seines Vaters wieder gutzumachen … – Gehen wir, und falls Sie es körperlich leisten könnten, Ethel, müßten wir sofort zur Küste aufbrechen …“
„Ist das wirklich nötig?!“ wandte ich nur in Ethels Interesse ein. „Ich glaube kaum, daß Robb oder Paloma je meine Insel finden werden, ich sah den Kutter erfolglos suchen und …“
„Sie kennen Paloma schlecht!“ – und Dingo führte Ethel die Treppe hinan, – und wieder war ich nur … fünftes Rad am Wagen des Schicksals.
Und war das doch so wenig gewöhnt, hatte im Spiel der Menschengeschicke wohl stets in vorderster Linie gestanden.
Auch meine Stunde kam noch. – –
Die köstliche Frische der Nacht hier im Norden Australiens, der zauberhafte Lichtschein der Sterne und der Mondsichel, die Eigenart des Landschaftsbildes und der berauschende Genuß eines Rittes auf flinkem Pferde, neben mir Ethel Murray, entschädigte mich für vieles. Bell Dingo war mit zweien der Diener stets fünfzig Meter voraus.
Ethel ritt im Herrensattel. Selbst der anspruchsvolle Coy wäre mit ihr zufrieden gewesen.
„… Der gute Bell verheimlicht uns etwas, Mr. Abelsen…“
Wir trabten gerade an dem Kreuz vorüber, und Ethel warf einen scheuen Blick auf das Skelett. „Er verbirgt mir vieles,“ fügte sie leiser hinzu. „Zum Beispiel, – nie hat er mir gesagt, wer der Tote dort ist …“
Ich schwieg, und ich spürte ihren fragenden, prüfenden Blick. „Wissen Sie es vielleicht?“
„Ich darf nicht antworten …“ – und da umkrallte ihre Hand meinen Arm …
„Sie wissen es, und ich ahne es … Es ist Lord Battingham …“
Ihre Finger lösten sich, als ich stumm blieb und geradeaus starrte. Sie holte tief Atem …
„Nur Paloma ist noch solchen Hasses fähig,“ sprach sie bedrückt. „Paloma haßt alles, was diesen Namen trägt, und das Entsetzlichste ist, daß sie Robb Battingham wahrscheinlich nur … als weiteres Opfer auserkoren hat … Ich traue ihr alles zu … alles! Sie ist eine Besessene, sie kennt keine Hemmungen, – oh, Sie sollten sie gesehen haben, als man meinen Vater tot uns zurückbrachte! Keine Träne, kein Wort, – – aber die Nächte hat sie allein an seinem Sarge gewacht und wandelte am Tage wie eine Träumende umher … Ich fürchtete mich vor ihr, und sie war damals noch ein halbes Kind, aber ihr Herz war reif und ihr Geist uns allen überlegen … – Glauben Sie mir: Paloma wird auch Robb ihrer Rache opfern, genau so, wie sie den Goldtrust gesprengt hat, denn ihre Beute muß weit größer sein, als irgend jemand ahnt …“
Ich blickte Ethel ehrlich beklommen in die dunklen traurigen Augen. Ihr Argwohn war berechtigt. Es wäre ja auch unbegreiflich gewesen, wenn Paloma Ruxa die heißen Gefühle des Sohnes jenes Elenden erwidert hätte, der ihre Eltern vernichtet und sie selbst auf die Bahn des Verbrechens gedrängt hatte.
„Das wäre allerdings entsetzlich …“ – mehr wußte ich nicht zu sagen.
Dingo und seine Begleiter hatten halt gemacht.
Am Rande eines Gestrüpps, hinter dem ein Kasuarinenwald begann, suchte Dingo nach Fährten.
„Hier ist der eine Ausgang, Abelsen,“ erklärte er hastig. „Dort drüben nahm Bluß Sie ins Verhör, und ich lag hinter ihnen … – Ah – – dies ist Palomas Spur … Hier hat Robb im Sande gelegen, hier hat der Hund sich entleert … Palomas Fährte läuft nach Nordost … zur Farm … Zwei Pferde fehlen uns, Paloma hat sie geholt, – hier ist auch ihre Rückspur: Zwei Pferde … – Weiter!“
Ich ließ die anderen vorreiten, ich blickte nochmals nach dem großen Kreuz zurück … Ich würde es niemals wiedersehen, glaubte ich damals … Und dieses Dokument der Rache würde ich nie vergessen.
Ich wollte wenden, davonsprengen, – meine tadellosen Augen, geschärft in den klaren Weiten der Pampas, geübt in blitzschnellem Erfassen jeder Einzelheit, hielten mich zurück.
Es konnten Riesenkänguruhs sein – dort jenseits der Lichtung, aber es konnten auch Reiter sein …
Mein Brauner tänzelte ungeduldig. Mein Fernglas schwankte hin und her, und als ich die verdächtige Stelle gefunden, war sie leer.
Reiter?! Woher?! – Ich dachte flüchtig an den überhöflichen Kolonel Mallingrott aus Borraloola. War ihm zu trauen? Sein bereitwilliger Abzug von der Farm hatte mich sofort mit unklarem Unbehagen erfüllt.
Ich blieb, drängte aber mein Pferd in die hohen Stengel der Schachtelhalmbäume hinein und beäugte nochmals den verdächtigen Platz.
Meine Sinne waren wach wie nie. Coy war unsichtbar neben mir, und eine Stimme wehte mich an: „Es sind Reiter …!“
Ein Schwarm Papageien stieg drüben kreischend hoch. Die schrillen Vogelstimmen kamen durch das Schweigen der Nacht wie das Piepsen eines Zuges Wandermäuse.
In der Nähe klagte irgendwo ein Eulenpapagei mit schauerlich langgezogenen Tönen.
Die Wildnis war um mich her, und ich war ihr Sohn geworden in endlosen Ritten mit Coy, Chubur und Chico. Die Wildnis redete zu mir in ihrer Sprache und warnte mich. Papageien stieben nicht ohne Grund empor. Raubtiere, die ihr Leben bedrohen, fehlten hier. Nur die schlimmste Bestie konnte sie hochgescheucht haben: Ein Mensch, der einen Baum erklettert, um weiteren Fernblick zu gewinnen!
Kein verdächtiges Anzeichen mehr …
Und als ich Dingo und Ethel eingeholt und ihnen berichtet hatte, zerstreute Freund Bell meine Gedanken. „Mallingrott würde das nie wagen, Abelsen, bestimmt nicht …“ Und Ethel pflichtete ihm bei.
Die Nacht zerrann in fahle Dämmerung. Wir rasteten.
„Ich werde im Bogen rückwärts unsere Fährten anreiten,“ erklärte ich nach schnellem Imbiß. Dingo widersprach. „Ruhen Sie … Wir sind sicher.“
„Und der Tee ist sofort fertig,“ lockte Ethel und schaute in das flackernde Feuer.
Ich schwang mich in den Sattel und galoppierte davon. Ich brachte eine Kulisse von Büschen zwischen mich und die breite Spur, lenkte in ein flaches Tal ein und jagte nach Südwest. Ich war allein, und die Wüste redete zu mir in ihrer Sprache und zeigte mir fern auf kahlem endlosen Gefilde die hüpfenden Punkte großer Beuteltiere, die rechts aus dem Walde hervorgebrochen waren.
Ich schwenkte nach Norden ein, und in einer Mulde, die wir vor einer halben Stunde durchquert hatten, drückte ich mich in die Büsche und stellte das Glas ein. Vierhundert Meter vor mir lief der Strich unserer Spur durch gelbzarten Sand. Aber ich wartete umsonst. Und ich hatte mein Tier unnötig angestrengt. Dingo empfing mich leicht gereizt … „Wir haben nur Zeit vergeudet, Abelsen …“
Ethel zur Seite trabte ich an, und die Sonne durchbrach den dunstigen Horizont und überstreute das junge Weib neben mir mit dem Zauber des Lichtes und machte dunkle Augen noch unergründlicher.
„Sie sorgen sich meinetwegen, Mr. Abelsen.“
Ihr Blick streichelte mich dankbar. Dann errötete sie …
„Ich sorge mich noch mehr Robb Battinghams wegen,“ wich ich aus. „Wüßte er, wer das Kreuz der Wüste mit bleichen Knochen ziert, – wüßte er, daß Ihrer Meinung nach Palomas Haß so ungeheuerlich ist, dann würde er wie ein Verfluchter diese Liebe aus seinem Herzen reißen und mit seinem Hunde in die Einsamkeit flüchten … Ich bedauere ihn.“
Ethel seufzte schwer. „Er ist gut … Er verdient Liebe … Ich habe ihn erst jetzt kennen gelernt, und ich habe seinem Blute verziehen.“
„… Wenn er den am Fuße des Kreuzes eingekerbten Wildhund gesehen hätte,“ sagte ich aus düsteren Vorahnungen heraus.
„Wildhund?!“ Ethel warf mir einen eigentümlichen Blick zu … „Am Fuße des Kreuzes ist ein Kreuz eingeschnitten, rechts weiter, ein kleines Kreuz, das auf einem länglichen Oval steht … Ein Hund?! Nein. Ich habe über dieses Zeichen, das wie ein persönliches Signum des Erbauers sich ausnimmt, schon so oft nachgedacht. Was halten Sie davon, Mr. Abelsen?“
Ich hielt schon etwas davon, aber ich hielt es auch für richtig, meine Meinung für eine bessere Gelegenheit und für jemand anders aufzuheben.
„Ich weiß nicht recht …“ – aber die Gedanken, die hinter diesem Satz unterwegs waren, beschäftigten sich mit Robb Battingham, und ich bedauerte ihn mehr denn je. – Bell Dingo hatte in diesem Falle abermals eine Selbstverleugnung bewiesen, die um so höher zu bewerten war, weil ihm das Lügen so schwer wurde. Er hatte mich belogen. Kein Dingo war im Mittelbalken eingekerbt, der sein Signum hätte sein können, sondern ein Kreuz auf einem Oval. Ich ahnte, wessen Signum das war.
„Ich weiß nicht recht …“ und ich fügte hinzu:
„Sind Sie sich über die Bedeutung des Ankers auf dem Balken oben im klaren, Frau Murray?“
Sie errötete. „Bell trägt am linken Unterarm einen Anker als Tätowierung,“ meinte sie widerstrebend. „Und doch: Dingo wäre eines solchen Hasses nicht fähig, Dingo findet für alles eine Entschuldigung … Man wird schwer aus ihm klug, – – wenn man ihn nicht so genau kennt, wie ich …“ Ein milder Glanz durchleuchtete ihre Züge. „Ich … ich wünschte, er hätte nichts damit zu tun, Mr. Abelsen. Es würde nur sein Bild entstellen, in dem auch nicht ein einziges Fleckchen ist …“ schloß sie mit einer Wärme, die mich enttäuschte und beunruhigte. Mein Herz hing an dieser Frau, die so viel echt frauliche Weichheit und Güte mit dem edelsten Zug einer großen Seele in sich vereinte: Der unbedingten Anerkennung von Treue, Dankbarkeit und Selbstlosigkeit.
Bell Dingo und die beiden Diener waren soeben jenseits einer Bodenwelle verschwunden. Ethel beugte sich über den Hals ihres Pferdes, kämmte mit den Fingern die lange Mähne und fragte ohne jeden Zusammenhang: „Wie denken Sie über die Rassenfrage?“ Sie setzte sich wieder aufrecht. „Sind Farbige für Sie Menschen zweiter Sorte?“
Ich erschrak. Sollte es möglich sein, daß diese Frau … – nein, ich wies den Gedanken von mir, obwohl ich fühlte, daß ich mich selbst betrog.
„Für mich gibt es keine Rassenfrage,“ erklärte ich hart. „Der bessere Teil meines Ichs blieb an einem Grabe zurück, in dem ein schlichter südamerikanischer Indianer ruht … Die Zeit ist nicht fern, wo die Schranken zwischen Weiß und Farbig restlos niedergerissen werden müssen. Jene Länder, die mit den freiheitlichsten Verfassungen prahlen, sind die unduldsamsten gegenüber dunkel getönten Gesichtern. Das wird sich bitter rächen …“
… Im Augenblick rächte sich etwas anderes mit blutiger Mahnung. Vor uns, vom Morgenwind uns zugetragen, der klare drohende Knall dreier Schüsse, die blitzschnell aufeinander folgten…
Wie ein Unwetter fegte dann über den Hügelkamm ein Reiter auf uns zu: Kolonel Arthur Bluß, den Karabiner halb im Anschlag, halb in den Bügeln stehend … Am linken Handgelenk baumelte ihm am Riemen eine Repetierpistole mit langem Lauf.
„Hände hoch!!“ – Der alte Schlachtruf aller Buschklepper, aller Hüter der Ordnung hallte mir entgegen …
Bluß’ Gaul stand plötzlich wie angegossen, und sein Karabiner flog empor – nie hatte ich solchen Schützen gesehen! – – Die Kugel schlug mir den eigenen Karabiner aus der Hand, und Kolonel Bluß lachte schrill …
„Absteigen – – hinlegen, Gesicht – nach unten!!“
… Die Stimme der Wüste hatte mich nicht eindringlich genug gewarnt.
Arthur Bluß’ verfallenes, graues Gesicht, die flackernden Augen, seine halblauten Selbstgespräche, sein nervöses, zweckloses Hin und Her: Er war krank, wir waren in der Gewalt eines Irrsinnigen!
Die beiden toten Diener hatte er im Sande verscharrt und über der Stelle dreimal in die Luft gefeuert.
„Ehrensalven!“ kicherte er …
Die Kugel, die Dingo niedergeworfen, war nur ein Prellschuß gewesen. Sie steckte in Dingos goldener Uhr, deren Gehäuse auf seiner Brust dicht über dem Herzen eine kreisrunde Schwellung hervorgerufen hatte.
„Dann wirst du Biest eben gehängt,“ war des Verrückten höhnischer Entscheid gewesen.
Wir drei saßen gefesselt im Sande, jeder mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und doppelt und dreifach an diesen festgebunden. Uns gegenüber lehnte jetzt der arme Kolonel an seinem Pferde.
„… An euch dreien liegt mir nicht viel … Aber die Kruxa will ich haben und ihren Galan … Hätte ich ihn nur erst, eigenhändig knüpfte ich ihn auf … ich habe weitgehendste Vollmachten … – Mallingrott wird schön fluchen, daß ich ihm ausgerückt bin,“ sprangen seine Gedanken rückwärts. „Mallingrott ist ein neidischer Narr … Wir waren schon immer Rivalen …“ Er stierte Ethel grimmig an. „Wo hat deine Schwester das Gold, du Weibsbild? Du mußt es wissen … Ich schätze, es sind vier Zentner mindestens, denn fünf Packpferde hatte sie bei sich, als sie mit ihrer Bande die Morgan-Berge verließ und ich hinter ihr blieb bis zur Küste. Wo ist das Gold?! Von der Bande sind nur noch die zwei übrig – – und das Gold … Rede!!“ Er fuchtelte mit seiner Pistole umher … „Rede!!“ brüllte er … „Ich habe nicht lange Zeit … Ich weiß, sie sind vor uns, sie und der Hund, und der verliebte blonde Robb umgirrt die Mörderin seines Vaters … Schwarzes Dingo-Schwein, hast du ihr geholfen, den alten Giftmischer ans Kreuz zu bringen …? Dein Schafsgesicht hilft dir gar nichts, ich bin durchaus im Bilde … Paloma hat den Lord gekreuzigt, und sie tat recht daran, und den Sohn wird sie nun wohl auch erledigen, und ich werde nur den Zuschauer spielen und dann mit ihr Hochzeit halten – vielleicht auf den Goldsäcken …! – Wo ist das Gold?“
Ethel Murrays geisterhafte Blässe war mitleiderregend.
„Das – ist nicht wahr!“ keuchte sie, – „das kann nicht wahr sein! Paloma – nein, es wäre entsetzlich … Dingo, reden Sie!! Sie müssen diese gräßliche Verdächtigung aus der Welt schaffen!“
Bell schaute geradeaus. Seine Augen waren leer und tot. „ Ich tat es,“ sagte er. „Ich habe den Anker oben festgenagelt. Der Anker ist meines Vaters Zeichen gewesen, denn er war ein Fischer, das wissen Sie, Ethel …“
Aber des Kolonel Hohngelächter zerstörte die fromme Lüge. „Willst dich wohl damit noch brüsten, Lump?! Bist viel zu feige dazu … Paloma tat’s, mir ist’s seit langem bekannt, und Paloma wird mein und keiner erfährt davon …“
Dingo hatte den Blick auf Bluß gerichtet, und unter diesem Blick wurde der Oberst rasend …
„Schuft, Schwein, – – wühlst du in meiner Seele mit deinem verfluchten Blick …?! Siehst du, daß Arthur Bluß nur immer nach diesem einen Weibe gezittert hat und seine Pflicht vergaß und alle belog und betrog und alles daran setzte, nur sie zu erringen und mit ihr zu fliehen?! Bluß – ein Schurke wie du, – sich selbst zum Ekel, zermürbt, verfault bis ins Mark – – durch die Kruxa!!“
Er hob die Pistole …
„Schwein, du hast meine Gedanken, mein Inneres entblößt … Stirb, – – und …“
Dingo warf den Kopf zur Seite, und die Kugel riß nur ein Stück Baumrinde weg.
Dingo sagte mit einem fürchterlichen Blick, der sogar den Wahnsinnigen etwas zur Vernunft brachte: „Ich werde dir die fünf Ledersäcke zeigen, Bluß … Ich kenne das Versteck … Binde jetzt Frau Ethel los, sie ist ohnmächtig, und soweit wirst du wohl noch Gentleman sein, diese Frau nicht unnötig zu quälen.“
Der Kolonel grinste blöde … „Ich finde das Gold auch so … Ich finde Paloma, und Paloma ist Gold … Paloma ist das Kreuz der Wüste, ist mein Kreuz, ist … ist … – ich werde euch drei hier verhungern lassen … Ich nehme die Pferde mit … Eure und meine Fährte habe ich ausgelöscht, hofft nicht auf Mallingrott … hofft auf nichts, – was Oberst Bluß verwischt und was der Wind noch mit Sand bestreut, ist keine Spur mehr … Ich weiß alles … Der blonde Robb hat einen schönen Motorkutter …“
Er schaute mich plötzlich am „Wo ist Ihre Jacht, Mr. Elsen?“
„Versunken …“
Er nickte. „Es muß so sein … Ich sah keine Jacht … Aber auch der Kutter genügt für Paloma und mich … und für das Gold … – Der Trust ist kräftig zur Ader gelassen worden … Ich hätte die Hälfte dieser Überfälle verhindern können … Oh, ich bin verteufelt schlau … Ich habe aller Welt Sand in die Augen gestäubt …“
„Sie sind sehr schlau,“ sagte ich laut, und dieses Eingehen auf seine Gedanken ließ ihn geschmeichelt lächeln … „Deshalb beeilen Sie sich, Oberst, bevor Paloma Ihnen entgeht … Robb Battingham ist schon wieder bei Kräften, und die beiden reiten schneller, als Sie es glauben, Bluß … Beeilen Sie sich, und nehmen Sie die Pferde nur mit zum Transport Ihrer Goldsäcke. Ich würde an Ihrer Stelle keine Sekunde zögern …“
Er nickte übertrieben … „Sie brauchen mir keine guten Lehren zu geben … Ich reite schon.“
Er hatte es plötzlich sehr eilig, der arme Narr, – meine plumpe List, ihn schleunigst aus unserer Nähe zu bringen, bevor er noch irgendein Unheil anrichtete, war geglückt. Sein krankes Hirn war nicht mehr fähig, irgend etwas kritisch abzuwägen, er folgte der Eingebung des Augenblicks wie ein Kind, und lachend und vor sich hin redend knotete er die Zügel der Pferde aneinander und jagte davon.
Bell Dingo betrachtete mitleidig die schlaff in den Fesseln hängende Ethel. Dann sagte er zu mir: „Abelsen, das war unsere Rettung … So hat er vergessen, uns die Pistolen und Messer abzunehmen, – wir werden sehr bald frei sein. – Abelsen, helfen Sie mir aber nachher … Ethel darf nie die Überzeugung gewinnen, daß Paloma den Lord tötete … Ich will Ihnen die Wahrheit gestehen, so entsetzlich sie auch ist: Paloma brachte den Lord dorthin, wo ihr Vater sich erschoß … Sie hatte alles vorbereitet, sie band ihn nachts mit Eisendraht an das Kreuz … Er … lebte …“ Dingo flüsterte … „Er lebte, und ich, der gerade damals endlich Palomas Fährte gefunden hatte, – – ich … kam zu spät, Abelsen … Die Angst hatte den … Giftmischer schon getötet. – Das ist die Wahrheit. – Ich habe geschwiegen, denn Paloma … hätte mich niedergeknallt …“ Sein Gesicht hatte sich verfärbt. „Abelsen, sie ist besessen von ihrer Rachgier … Sie wird Robb töten … irgendwie auf nicht minder gräßliche Art … Wir müssen dies verhindern.“
Er schwenkte mit den gefesselten Füßen herum und hielt sie hoch. „Knoten Sie mir die Stricke auf und reißen Sie mir auch mit den Zähnen Schuhe und Strümpfe ab … Schnell …“
Dingos große Zehe war lang und schmal und stand etwas ab. Niemals hätte ich geglaubt, daß ein Mann – es sei denn ein Armloser – seine Zehen so als Greifwerkzeuge ausgebildet haben könnte.
Die Schlingen über meiner Brust fielen herab, ich warf mich neben Dingo in den Sand, und seine Zähne vollendeten das Werk.
Wir waren frei.
„Bleiben Sie bei Ethel … schlug ich vor. „Ich bin ein guter Läufer … Ich werde noch rechtzeitig die Küste erreichen. – Wo liegt das Gold?“
„In den fünf Gräbern, ziemlich tief, Abelsen …“ Er bemühte sich schon um Ethel … „Rechts neben den Gräbern im Gestrüpp liegt ein Spaten … Ich folge Ihnen, ich werde Ethel tragen, mir macht das nichts aus … Im Laufen dürfte ich Ihnen über sein …“
„Wiedersehen, Dingo …“ Ich streckte ihm die Hand hin. „ Sollte uns etwas zustoßen, Freund Bell, und sollte dieses Wiedersehen erst dort stattfinden, woher es keine Heimkehr gibt, so lassen Sie sich schon jetzt sagen: Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben, Dingo! Sie sind mir Freund geworden … – Grüßen Sie Ethel von mir … Euch beiden alles Gute!“
Ich trabte davon. Ich sparte meine Kräfte … Und es war nötig. Drei Monate Einsamkeit auf einer schwimmenden Insel lassen die Muskeln schlaff werden. Ich war körperlich nicht mehr genügend trainiert, und der lose Sand war kein Boden für ein Wettlauf mit einem Reiter, der eine halbe Stunde Vorsprung hatte. Wenn ich wenigstens genügend Ortskenntnis besessen hätte, den Weg abkürzen zu können! Ich war hier fremd und auf die Spuren derer angewiesen, die einem grausigen Ende entgegeneilten.
Die Sonne kroch höher, und sie war unbarmherzig und dörrte mir Kehle und Mund.
Kein Tropfen Wasser, keine Pfütze, kein Bächlein. Den Fluß hatten wir längst hinter uns gelassen.
Über den Salzkräutern flimmerte die heiße Luft und verzerrte die Konturen von Busch und Baum …
Und doch – irgend etwas trieb mich vorwärts … irgend etwas, das vielleicht bange Ahnung war. Der Schweiß brannte mir in den Augen, meine Schritte wurden unsicher … Ich stolperte … Ich durfte nicht stolpern … Es war ein Wettlauf mit dem Schicksal, dem ich in den Arm fallen wollte … Es war die Sorge um Ethels Seelenruhe, – damit Paloma nicht abermals den Namen Ruxa mit neuen Verbrechen belastete …
Ich hoffte …
Man hofft, man malt sich in solchen Stunden tausend günstige Möglichkeiten aus … Eins der Pferde könnte dem Kolonel entflohen sein … Ich würde es fangen und … reiten … – Ich sah ein einzelnes Känguruh … Wenn man es im Nu zähmen könnte … als Reittier … – Wenn Bluß gestürzt wäre und mit gebrochenem Genick neben den Pferden läge …!
Aber mir blieb nichts erspart, nichts.
Aufwärts gings … Die Wüste erhob sich zu den Randbergen der Küste, und der Odem des Meeres wehte mich an.
„Wasser – – Wasser!!“ schrie mein umnebeltes Hirn verzweifelt.
Ich schlich nur noch … Meine Beine zitterten, in meinen Schläfen klopfte das Blut …
Wenn ich wenigstens einen Bunya-Bunya-Baum angetroffen hätte!! Die großen Nüsse hätten mich erfrischt.
Mir wurde es schwarz vor den Augen, und als ich mich wieder erhob, flitzten ein paar wilde Kaninchen davon, die mich vielleicht neugierig beschnuppert hatten.
Ich taumelte weiter. Kahles Gestein zwang mich, schärfer auf die Fährte zu achten … In einer Schlucht wandelte ich wie durch eine Hölle … Ich fühlte einen Hitzschlag nahen, meine Hand sonderte keinen Schweiß mehr ab …
Plötzlich schoß ich vorwärts: Ein weit überhängender Block, darunter ein Loch, gefüllt mit klarem Wasser, – eine natürliche Zisterne …
Ich trank schluckweise, vorsichtig. Ich wusch mir Gesicht, Nacken, Arme, feuchtete mein Hemd an …
Wohltat war das.
Ich hielt die bloßen Füße in das kühle Naß, und ich wußte: Das Meer war nahe.
Weiter dann – als ein neuer Mensch … Als einer, der die Wildnis besiegt hatte.
Sechs Stunden war ich unterwegs. Meine Uhr zeigte genau halb vier nachmittags, als ich durch die Büsche, die entsicherte Pistole in der Hand, auf die fünf Gräber zukroch und unter mir am Strande die Brandung schäumte.
Wüste Sandhaufen und Löcher, keine falschen Grabhügel mehr!
Paloma hatte das Gold bereits weggeschafft. Wohin?
Ich schob mich bis zum Rande der Düne und schaute hinab.
Ich zerbiß den Schrei, der mir über die Lippen wollte und nur ein Röcheln ward. Dieser Schrei hätte die Brandung, das Gekreisch der Vögel und das Knattern eines Benzinmotors übertönt …
Denn dort draußen, schon jenseits der Sandbank, hinter der mein Eiland in der Tiefe geschlummert und seines Herrn gewartet hatte, schleppte der Kutter es hinaus in den unendlichen Golf von Carpentaria, in dieses buchtartige Meer mit trügerischen Untiefen und unterseeischen Schlünden … in dieses nie gelöste Rätsel für jedes Vermessungsschiff: An einer Stelle nur drei Meter, dicht daneben zeigt das Lot vielleicht tausend Meter …
Meine Insel war geraubt, und La Kruxa steuerte den Kutter, während auf einer der flachen Bimssteinklippen des Eilandes Robb Battingham auf den Polstern jetzt getrockneten Seetangs ruhte, mit denen wir diese verräterischen Zacken bedeckt hatten, – und neben Robb saß Charlie, der Dobermann.
Nicht alles war’s …
Was Robb, Charlie und Paloma entging, erspähte ich von hier oben mit Leichtigkeit: Hinter dem durch die mäßig bewegten Wogen schleichenden künstlichen Bimssteingestade durchschnitt ein splitternackter Schwimmer mit kraftvollen Stößen die Wellen und rückte immer mehr auf, denn die Zugkraft des Kutters genügte gerade, meine Stahlinsel mit der Oberschicht schwimmenden Bimssteins vom Fleck zu befördern, – sie schlich nur, und Oberst Arthur Bluß mußte in wenigen Minuten sein Ziel erreicht haben, – der irrsinnige Bluß, der sich mit einem Tuche seine Pistole mitten auf dem Kopf festgebunden hatte.
Hier drohte Mord …
Ich flog empor, ich hielt die Hände als Trichter vor den Mund, – ich brüllte …
„Hallo – – Hallo!!“
Charlies Ohren spielten …
Wieder gellte mein Warnungsruf …
Lord Battingham sah mich.
Meine Handbewegungen mußten ihm auffallen.
Aber er deutete sie falsch, er hielt für Drohung, was doch nur Warnung war.
Er wandte den Kopf, und Paloma erblickte mich auf seine Rufe hin.
Palomas Geste spottete meiner …
Arthur Bluß watete bereits über den flachen Strand und war nun völlig in Deckung, schlich nach links am Steilufer hin und nahm die Pistole vom Kopfe.
Ich sah keine Möglichkeit, den unglücklichen Robb zu warnen … Daß der Kolonel ihn ohne weiteres niederknallen würde, – daß dieser liebestolle und jetzt noch vollständig unzurechnungsfähige Mann kaltblütig den Wehrlosen ermorden würde, war gewiß.
Ich rannte nach links … Ich hatte dort soeben über den Büschen einen Pferdekopf bemerkt …
Wenn ich des Kolonels Karabiner fände – unsere Karabiner …
Ich rannte wie gehetzt …
Battinghams Leben hing an Sekunden, – nicht nur das: Palomas Schicksal war vielleicht noch fürchterlicher …
Ich fand die vier Pferde, – ich riß einen Karabiner vom Sattel, – der Patronenrahmen war gefüllt, – ich lief zum Dünenrand, warf mich nieder …
Es war zu spät …
Meine Hände flatterten, – wie sollte ich da einen sicheren Schuß abgeben?!
Bluß kletterte das Steilufer hinan, und keine fünf Meter saß der junge Lord und streichelte Charlies Kopf und war ohne jede Ahnung der nahen Gefahr.
Ich wollte mich zur Ruhe zwingen, ich hatte das Visier hochgeklappt, – ich schätzte auf fünfhundert Meter, stets schon ein unsicherer Schuß.
Ich krallte die Finger um Lauf und Schaft, – ich wollte diesen Mord verhüten …
Um Sekunden ging’s …
Des Kolonel bloßer Kopf schob sich über den Uferrand, sein Arm streckte sich vor …
Ich schoß nicht.
Der Karabiner entglitt mir …
Drüben war Charlie herumgeschnellt, hatte den Mann gewittert, wußte, was das dunkle Ding bedeutete mit dem einen schwarzen tückischen Auge.
Und sprang zu …
Im selben Moment knallte der Schuß, aber Charlies Hinterbeine hatten Robb Battingham halb umgestoßen, und die Kugel pfiff ins Nichts.
Charlie hatte den Feind bei der Kehle, Charlie und Bluß rollten die Bimssteinfelsen hinab und kugelten ins Wasser … Mensch und Tier ließen in wildem Ringen bald dies, bald jenes Glied aus dem Wasser gleiten …
Und rutschten und rollten tiefer und tiefer …
– –
Und dann – –
– – war alles still.
Mensch und Tier verschwunden …
Die See hatte sie verschluckt.
Charlie gab sein Leben für seinen Herrn, und Charlie war nur ein Hund, war ein Hund, und das ist niemals ein Schimpfwort, das ist ein Ehrentitel für die Treuesten der Treuen.
Peng …
Ich beobachtete den Geschoßaufschlag … Die Kugel riß in den weißen Anstrich des Kutterdecks eine dunkle Rinne.
Peng …
Diese Kugel saß schon besser. Der Karabiner war gut.
Die dritte und vierte zwangen Paloma zum Stoppen, und das wollte ich. Sie rief Robb etwas zu, winkte wiederholt, wendete, warf die Trossen los und ließ das große Boot dann mit offenbar festgebundenem Steuer herrenlos ins offene Meer schießen.
Der junge Lord schien hiermit wenig einverstanden, denn er bewegte sich jetzt vorsichtig an einem Stock (für einen frischen Lungenschuß nach einem solchen Ritt und nach der soeben überstandenen Aufregung Charlies wegen ein wunderbarer Beweis für seine zähe Natur) der offenen Falltür der Insel zu. – Sie war hochgeklappt, und mein Stahlheim war fremder Besitz.
Vor der Falltür trafen Paloma und Robb zusammen. Sie gestikulierte heftig und er wieder schaute wiederholt nach mir aus, und es machte den Eindruck, als ob die Kruxa und er böse aneinander geraten wären.
Meine Teilnahme für die beiden war geringer geworden, – ich verfolgte den Kutter, und ich setzte all meine Hoffnung nur auf ihn, da ich bestimmt wußte, daß er sehr bald im Bogen irgendwo auflaufen müßte. Sein Bug hatte sich bereits nach Osten gewandt, und eine stärkere Woge drängte ihn noch mehr zur Seite: Kein Fahrzeug mit starrem Steuer hält den Kurs!
Es kam, wie ich erwartet hatte. Gerade als die Kruxa dem Lord die Treppe in die Innenräume hinabhalf, war das große Boot vollständig aus der Richtung gekommen und würde nach meiner Berechnung etwa tausend Meter westlich wieder den Buchtstrand berühren. Ich lief hin und gab genau acht, damit es sich nicht im flachen Wasser festrenne. Ich watete in Kleidern ihm entgegen, schwang mich hinein, hatte das Messer schon bereit und zerschnitt die Leine, die das Steuer hielt. Als der Kutter meiner Insel sich zuwandte, war es bereits wieder meine Insel, und Paloma und Robb würden nun wohl auf alle weiteren Absichten, mochten diese geartet sein wie sie wollten, verzichten müssen.
Zu spät.
Da die steilen Ufer, die das Innere zur Schüssel formten, mir nun die Aussicht auf die Falltür verwehrten, sah ich erst, daß sie zugeklappt war, als ich den Kutter vertäut und den Inselrand erstiegen hatte.
Der Zugang zu den stählernen Räumen war versperrt.
Ein Schuß vom hohen Festlandstrand meldete mir Bell Dingos Ankunft. Er stand genau vor den leeren Gräbern, die niemals fünf Tote, sondern nur fünf Ledersäcke mit Goldkörnern enthalten hatten, und neben ihm saß Ethel Murray, seit einiger Zeit Witwe eines Mannes, der nur ihr väterlicher Freund gewesen, und ihr Kopf lehnte an Dingos Hüfte, und seine Hand ruhte auf ihrem Haar …
Ein leiser Schmerz durchzuckte mich. Nur für Sekunden …
– Also doch: Ethel und Dingo!! So unmöglich es schien, es war Tatsache geworden.
Die Stellung der beiden sagte genug und Ethels Frage nach meiner Ansicht über die Rassenfrage war ja bereits vielsagend genug gewesen.
Und – war es im Grunde so wunderbar, daß Ethel, eine tiefe Natur und jeglichem Äußerlichen abhold, einen Mann erwählte, der trotz seiner Hautfarbe der besten, der allerbesten einer war?!
Es war nur natürlich. Gerade sie wußte seinen Wert zu schätzen, – er hatte sie mit Beweisen einer Treue und demütigen Anhänglichkeit überhäuft, daß nur ein Wesen oberflächlichsten Charakters diese Selbstverleugnung nicht richtig bewerten konnte.
Ethel war ein zartrosa Blatt meines Lebensbuches – – gewesen, und ich schlug die Seite um; blätterte nie mehr zurück. Noch andere Seiten von derselben Farbe hätte ich angetroffen …: Seifenblasen … Namen nur noch, deren Glück anderswo blühte. –
Ich winkte hinüber …
Dingo verstand. Und Dingo verstand alles. Ethel und er klommen zum Strande hinab, wo übergenug Treibholz lag. Ethel holte dann von der Stelle, wo die Pferde standen, Stricke und Leinen, und ein plumpes Floß trieb auf meine Insel zu, die ich nicht verlassen wollte, weil Paloma Ruxa sie dann so leicht hätte verteidigen können. Ich gab mein Eigentum nicht mehr preis.
Sie landeten, Dingo half Ethel aufs Trockene, und sein Gesicht war abermals durchleuchtet von jener inneren Glückseligkeit, die dieser seltene, seltsame Mann kraftvoller als jeder andere zu empfinden imstande war, weil an ihm alles nur Kraft, Treue und Selbstlosigkeit bedeutete.
Ethel lächelte mir zu, und als sie mir die Hand reichte und etwas scheu das kahle Innere der Insel überschaute, sagte ich nur: „Paloma und Robb haben das Gold hierhergeschafft, haben das Eiland ganz emportauchen lassen und sind nun in meinen Gemächern. Bluß aber und Charlie sind tot, und der Hund starb für Robb; die Kugel ging fehl.“
Ethel preßte die Lippen zusammen. Sie wurde einen Schein bleicher.
„Wir … werden die beiden nie mehr sehen … Mein Gott, – Paloma weiß die Hebel zu bedienen …“
Dingo hielt ihre Hand. „Sei unbesorgt … Abelsen, wir schleppen die Insel in flaches Wasser.“ Er sprach dumpf und voller Angst, und diesmal war er ein schlechter Komödiant. „Sollte Paloma etwa die Absicht haben, sich, Robb und das Gold zu versenken, so werden wir dies vereiteln.“
Er hatte nicht mehr den Glücksschimmer in den Augen … Er drängte zur Eile.
Wir machten die Trossen fest. Ethel bewachte die Falltür. „Wird sie hochgeklappt, halten Sie sich hinter ihr und schieben Sie diesen Balken in die Spalte,“ hatte ich ihr gesagt.
Dingo ließ den Motor an. Die Trossen spannten sich straff, und die Insel wurde langsam so weit gedreht, daß wir wieder auf die große Sandbank zuhalten konnten.
Bell stand neben mir, seine gespannte Miene und die Unruhe in seinen Augen machte mich jedoch nicht so bestürzt wie ein Zug von Härte um den leider so breiten Mund.
„Abelsen,“ sagte er mit zurückgewandtem Kopf und behielt das Eiland dauernd im Auge, „man sollte niemals Vorsehung spielen, wenn die Verhältnisse so trostlos liegen wie hier. Gewiß, wir müssen es tun, es ist sogenannte Nächstenpflicht … Aber – wie denken Sie sich das Weitere, falls Paloma und Robb lebend aus den stählernen Räumen wieder emporsteigen? Haben Sie es sich ausgemalt, wie Robb die Wahrheit hinnehmen wird?! Und diese Wahrheit kann nicht länger verschwiegen werden, sobald Robb das Kreuz sieht, und er würde es sehen, denn wo böte sich den beiden anders eine sichere Zuflucht als auf der Farm?! Ich könnte das Kreuz beseitigen, – Paloma würde rasen, Paloma kennt keine Rücksicht, keine Hemmungen, sie ist völlig unbeherrscht, wenn es um ihre fixe Idee geht: ihre Rache!“ Und nach kurzer Pause kam der Kern seiner Gedanken: „Den beiden wäre besser, daß der Tod sie jäh dahinraffte, denn beider Dasein ist verpfuscht und nie wieder neu aufzubauen! Was hinter ihnen liegt, läßt sich nicht tilgen. Liebe, Haß, Heuchelei von Palomas Seite mit dem Endziel, den Mann zu vernichten, der sie vergöttert und sie schützte und der gutzumachen suchte, was sein Vater gefehlt hat … – das sind Dinge, Abelsen, über die niemand hinwegkommt. Wohl ihnen, sie stürben!“
Es klang hart, aber es war der Weisheit letzter Schluß.
Er schwieg, ich schwieg, und unser Schleppzug schlich der Sandbank zu.
Dingo behielt den Kopf rückwärts gedreht, und dann sagte er leise: „Es wird Zeit, Ethel aufzunehmen.“ Seine Stimme klang rauh. Ich wandte mich jäh um.
„Bell, – die Insel sinkt ja!“ – und mir schoß das Blut zu Kopfe.
„Können wir es hindern?!“ meinte er nur. „Ich beobachte es schon eine geraume Zeit … Geradeaus ist helles Wasser, also eine Untiefe … Vielleicht erreichen wir sie noch …“
Es war höchste Zeit, Ethel auf den Kutter zu holen, denn mein Eiland versank bedrohlich schnell. Paloma mußte sämtliche Ventile der Schwimmkörper geöffnet haben.
Der kalte Schweiß trat mir auf die Stirn. Wollte Paloma etwa wirklich sich, Robb und das Gold für alle Zeit in ein nasses Grab betten?! War das vielleicht von vornherein ihre Absicht gewesen, Robb im letzten Augenblick, wenn es keine Rettung mehr gab, all ihren Haß ins Gesicht zu schreien?!
Ich spürte eine Erschütterung des Kutters: Dingo mit seinen Riesenkräften bewältigte selbst die Kraft des Motors und zog eine Trosse ein und brachte das Boot so der Insel näher.
„Wir vermeiden auf diese Weise Zeitverlust,“ meinte er nur. „Zurren Sie die Trosse fest, Abelsen, ich springe hinüber …“
Er kletterte hastig das Steilufer hinan, das bereits bis zur halben Höhe im Wasser lag.
Als er dann mit Ethel wieder erschien, hatte er sie wie ein krankes Kind in den Armen. Sie weinte fassungslos, und ihr jämmerliches Schluchzen schnitt mir ins Herz und trieb mich zu verzweifelten Anstrengungen an, irgendeinen Weg der Rettung zu finden, – denn das, was sich vielleicht da unten hinter dem dicken Glasfenster abspielte, mußte mehr als grauenvoll sein.
Dingo trug Ethel in die kleine Kajüte, und ich hörte, wie er die Weinende tröstete, wie er ihr Mut zusprach und Worte fand, die mir kaum zur Verfügung gestanden hätten.
Ich beugte mich vorwärts … Ich spähte nach dem hellen Strich im Wasser aus …
Wie Fieberfrost schüttelte mich die Erregung … Würden wir die dreißig Meter bis dorthin noch schaffen?!
Ich lockerte die Trosse wieder … Die Zugkraft des Kutters wirkte besser, wenn beide Trossen beträchtliche Länge hatten.
Dingo kam. Er fragte nichts … Er blickte nur vorwärts und zuckte unmerklich die Schultern. Auch er hatte keine Hoffnung.
Diese Minuten damals, dieses Hangen und Bangen, dieses verzweifelte Herbeisehnen einer Entscheidung so oder so zermürbte die Nerven.
Und – – die Insel sank …
Und weil sie sank und ihre Wasserverdrängung dadurch größer wurde, verlangsamte sich unsere Fahrt immer mehr …
Die Falltür mußte bereits überflutet sein … Das Innere war ein See, die Schüssel war gefüllt, – einen [Teppich aus getrocknetem Seetang darin],[5] es war ein riesiger, wunderbarer, entsetzlicher Topf, in dem zwei armselige Menschlein vielleicht schon jetzt ihren Haß und ihre Liebe und ihre Heuchelei und Treue in die verzerrten Gesichter keiften …
Die … Insel … sank …
Nur noch der Kranz ihrer höchsten Gestade lag über den Wogen …
Gott im Himmel, – zwei Menschen dort unten, und keine Hilfe …!! Ohnmächtig zusehen müssen, wie das Letzte sich vorbereitete …
Dann – – schrie Dingo hell auf …
„Abelsen …, … sie hat Grund gefunden, da – die Nordseite hebt sich … sie liegt fest!“
Ich schaute hin …
„Dingo, sie liegt so lange fest, wie die Zugkraft des Kutters sie in der Schwebe hält! Lockern sich die Trossen, rutscht sie in die Tiefe.“
Ich warf die Kleider ab …
„Abelsen, was wollen Sie?!“ Bell starrte mich an, und sein Gesicht war grau.
„Ich werde tauchen, Dingo … Was Robb fertig brachte, werde auch ich wohl schaffen: Ich will hinab vor das Fenster und ein Letztes versuchen … Sorgen Sie, daß der Kutter das Eiland in der Schwebe hält …! Mag Ethel ein Plakat für die beiden schreiben – rasch – irgend etwas, das Paloma zur Vernunft bringt, wenige Worte, – – aber rasch …!“
Dingo stürmte in die Kajüte …
… All das ist vorüber.
Wochen sind darüber hingegangen …
Ich bin allein auf der Ruxa-Farm mit sechs schwarzen Dienern, einem chinesischen Koch und einem Niggerboy, der für die Pferde sorgt.
Gestern sind Ethel und Dingo nach Sydney abgereist. Dort werden sie heiraten, und ganz Australien wird sich empören über diese „seelische Verwirrung“ einer Europäerin … Ganz Australien mit Ausnahme der Farbigen, deren Abgott Bell Dingo ist. Gestern noch hatte ich mit Bell eine lange Aussprache, als wir das Kreuz der Wüste an Ort und Stelle verbrannt und die Gebeine R. B.’s in aller Stille im Mausoleum beigesetzt hatten. Da hatte Bell unter anderem gesagt: „Abelsen, wenn die Weißen gewünscht hätten, daß sie ihr Übergewicht über die farbigen Völker für immer behielten, dann hätten sie niemals Neger, Inder, Siamesen, Indianer am Weltkriege aktiv teilnehmen lassen sollen. All diese hunderttausende, die das große Morden mitgemacht haben und lebend heimkehrten, hatten den lächerlichen Respekt vor den Europäern verloren und wurden zu Aposteln der neuen Zeit, wo es keine Farbenunterschiede mehr geben wird … Gebe Gott, daß niemals die dunkle Farbe sich gegen die helle blutig empört …! Wer dabei unterliegen würde, wissen Sie!“
Er, Bell Dingo, Apostel der Schwarzen des fünften Erdteils, wird nächste Woche Ehemann sein …
Ich bin allein auf der Ruxa-Farm, und ich lebe, wie es mir gefällt … Ich werde die Schmalspurbahn wieder herstellen, ich werde … nein, – ob ich es so lange hier aushalte, ist doch fraglich. Es ist zu viel Kultur ringsum …
Wenn ich diese Zivilisation plötzlich hasse, dann gehe ich in das Tal hinab hinter dem Parke, wo das Negerdorf liegt und nackte schwarze Rangen mit prallen Bäuchlein wie die Trommeln mir entgegen rennen und … um Süßigkeiten bitten … Kinder sind überall gleich, auch was die Bäuche betrifft. Und aus den Hütten des Dorfes dringt Gestank hervor, und Weiber und Männer in äußerst spärlicher Bekleidung grüßen mich und fragen in unglaublichem Kauderwelsch nach Bell Dingo.
… Ich sitze am Ufer des Weihers, in dessen Tiefen wundervolle Leuchtfische hin und her huschen wie ruhelose Seelen …
Aber Robb und Paloma haben den Frieden gefunden, – meine Insel ward ihnen ein Sarg, wie ihn kein Liebespaar mehr besitzt, und dieser Sarg liegt in zweihundert Meter Tiefe in einer Bucht des trügerischen Golfes von Carpentaria.
Wochen sind verstrichen …
Wochen, seit ich mit der Papptafel, die Ethels bebende Hand bemalt hatte, in die Tiefe fuhr.
Paloma sei gnädig!!
Nichts weiter stand auf dem mit Fett getränkten Pappstück. Ich fand das Fenster, und die Blende stand offen. Lichtschein drang mir entgegen, ich drückte die Tafel und mein Gesicht an das Glas und sah mitten im erleuchteten Raume zwei innig umschlungene Gestalten stehen …
Sie küßten sich, und meine Faustschläge gegen die Scheibe blieben unbeachtet.
Die Luft ward mir knapp, ich mußte wieder empor zum Licht, und kaum hatte Dingo mich an Bord des Kutter gezogen, als …
… ja, als beide Trossen gleichzeitig rissen und der Sarg mit den liebenden Lebenden hinabfuhr in die grüne Dämmerung …
Ungeheure Blasen stiegen dann auf …: Der Wasserdruck hatte sicherlich das Fenster zerstört, und – – das Ende war da, und das Meer beruhigte sich über der Gruft.
Ethel hatte das Furchtbare dank Dingos zarter Fürsorge überwunden. Immer wieder habe ich ihr beteuern müssen, daß es auch wirklich wahr sei, wie ich Robb und Paloma geschaut hatte: Eng umschlungen – zwei Liebende – ohne Haß, ohne Todesfurcht …
Und das hat Ethel aufgerichtet, und bald konnte sie einsehen, daß das Schicksal hier vielleicht die beste Lösung gefunden hatte.
… Im Weiher gleiten helle Schatten – ruhelose Seelen …
Ruhelos wie ich …
Alles, was das Leben mir schenkte, waren nur Seifenblasen.
Eines Tages wird auch dieses Idyll auf der Ruxa-Farm vorüber sein, und ich werde neue Pfade suchen, die wieder in die Straße abseits des Alltags münden … –
Mein schwarzer Boy kommt und erzählt mir schlotternd eine seltsame Geschichte …
Man müßte der Sache eigentlich auf den Grund gehen …
Ich werde es tun.
Anmerkungen: