Nic Pratt
Amerikas Meisterdetektiv
Band 1:
Preis 5 Mk.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1922 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Nic Pratt, Amerikas Meisterdetektiv.
Zu beziehen durch alle Buch- und Schreibwarenhandlungen, sowie vom
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26 Elisabeth-Ufer 44.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin
Die Uhr im Verwaltungsgebäude des Staatsgefängnisses in Neuyork schlug mit langsamen Schlagen die achte Morgenstunde. Draußen vor den hohen Fenstern lag ein dicker, bräunlicher Frühjahrsnebel. Es war ein unfreundlicher, naßkalter Aprilmorgen, und die sechs Herren, die soeben mit einem Auto eingetroffen waren und die Vorhalle betreten hatten, hüllten sich fester in ihre Mäntel.
Einer der Herren, der bekannte vielfache Millionär John Colling, gleichzeitig Senator des Staatsparlaments, sagte leise zu dem Oberrichter Macdal, mit dem er etwas abseits stand:
„Wissen Sie, Macdal, ich bringe wirklich ein großes Opfer, wenn ich der Hinrichtung meines früheren Privatsekretärs heute beiwohne. Pratt war mir stets sehr sympathisch als Mensch, und ich hätte es ihm nie zugetraut, daß er meinen Hausmeister Murphy nur deshalb ermorden würde, um seine kleinen Diebereien zu verheimlichen.“
John Colling starrte mit gerunzelter Stirn zu Boden, während er diese Sätze in seiner bedächtigen Art flüsternd sprach. Er war ein stattlicher Mann, dieser Colling, und sein bartloses, echt amerikanisches Gesicht mit dem stark vorgebauten Kinn und den dünnen Lippen verriet brutale Energie und überlegene Klugheit.
Oberrichter Macdal nickte zerstreut und meinte:
„Wer doch jetzt so in der Seele dieses sonderbaren Menschen lesen könnte, der nun nach einer Stunde die Schwelle des Jenseits überschritten haben wird! Weiß Gott, Colling, manchmal möchte ich mein Amt von mir werfen! Ich werde eben den Gedanken nicht los, daß Pratt unschuldig ist. Wenn er doch nur ein Geständnis abgelegt hätte! Aber noch gestern abend, als ich ihm mitteilte, daß er heute früh neun Uhr den elektrischen Hinrichtungsstuhl besteigen müsse, beteuerte er in seiner wortkargen Art seine Unschuld. Vielleicht vermag ihn sein Bruder James Pratt, dem ich die Erlaubnis erteilt habe, den Delinquenten heute früh zu besuchen, zu einem Geständnis zu bewegen.“
„Dann ist James Pratt wohl erst gestern von England eingetroffen?“ fragte Colling und schob den Zylinder mehr aus der Stirn.
„Nicht aus England – aus Südafrika, aus den Diamantminen, wo ihn die Nachricht von seines Bruders Verurteilung so spät erreichte. Er langte nachts mit dem Dampfer Aquitania hier im Hafen an und kam sofort zu mir. Ich konnte ihm die Erlaubnis, seinen Bruder noch zu sprechen, nicht verweigern.“
Colling blickte den Oberrichter zerstreut an.
„Das stimmt, Macdal, – das konnten Sie nicht. Dem armen Kerl, dem Nic, wird das Sterben nun vielleicht weniger schwer werden, nachdem er von seinem einzigen näheren Verwandten Abschied genommen hat.“
„Oh – Sie unterschätzen Nic Pratt!“ sagte der Oberrichter lebhafter. „Ein Mann von Nic Pratts Eigenart verlacht den Tod. Es ist wirklich jammerschade um diesen Menschen! Ein so intelligenter Kopf, ein so vielseitiger, praktischer Mann! Und – so jung! Erst achtundzwanzig Jahre!“
Der Gruppe der Herren näherte sich jetzt der Gefängnisdirektor. Mr. Tompkins, begrüßte Macdal und Colling und bat, sie möchten sich doch in das Vorzimmer des Hinrichtungsraumes begeben.
Während die Herren über den Hof dem Hauptgebäude zuschritten, fragte der Oberrichter den Direktor, ob James Pratt noch in der Zelle des Verurteilten weile.
Tompkins bejahte und fügte hinzu: „Ich brachte Mr. James Pratt persönlich zu dem Delinquenten. Er bat mich, den Wärter hinauszuschicken, da er mit seinem Bruder noch Familienangelegenheiten zu besprechen hätte. Der Wärter beobachtet die beiden durch das Guckloch der Zellentür.“
„Es ist gut,“ meinte Macdal nur. –
Inzwischen saßen in der kleinen Zelle neben dem Hinrichtungsraume, in der die zum Tode Verurteilten stets für die letzte Nacht untergebracht wurden, die beiden Brüder Pratt in leisem, hastigem Gespräch.
Nic Pratt, der angebliche Mörder des Hausmeisters Murphy, war ein schlanker, bartloser Mann mit blassem, düsterem Gesicht. Er trug die gestreifte Anstaltskleidung.
Sein Bruder James hätte ihm völlig ähnlich gesehen, wenn der Ingenieur Pratt ebenfalls bartlos gewesen wäre. Schon in der Jugend hatten die Brüder leicht miteinander verwechselt werden können, und diese Ähnlichkeit war mit den Jahren immer größer geworden.
Wie innig das Verhältnis zwischen ihnen war, ging schon daraus hervor, daß James auch nicht einen Augenblick an Nics Schuldlosigkeit gezweifelt und dann auch die weite Reise von Südafrika nicht gescheut hatte, um das Schicksal des Bruders womöglich noch zu ändern.
Als James gestern in Neuyork eingetroffen war, hatte er sich zunächst zu Frau Allison, der Besitzerin eines kleinen Papierladens, begeben, bei der Nic seit fünf Jahren gewohnt hatte.
Die brave Frau Allison liebte Nic wie ihren eigenen Sohn. Vor Gericht hatte sie ihm das allerbeste Zeugnis ausgestellt und immer wieder beteuert, Nic sei in der Nacht vom 17. zum 18. Februar, als Murphy ermordet wurde, bestimmt zu Hause gewesen. Man hatte ihr jedoch vorgehalten, daß sie dies gar nicht wissen könnte, da sie ja selbst geschlafen hätte. Ihr Einwand, sie habe einen sehr leisen Schlaf und würde gehört haben, wenn Nic sich nachts aus der Wohnung entfernt hätte, vermochte die anderen gegen Nic sprechenden Beweise nicht zu entkräften.
James hatte bei Frau Allison einen Brief Nics vorgefunden, eine Art Abschiedsbrief, den Nic aus dem Gefängnis mit Erlaubnis des Direktors geschrieben hatte.
Um diesen drehte sich jetzt die leise Unterhaltung zwischen den Brüdern.
„Ich habe natürlich sofort gemerkt,“ erklärte James, „daß Dein Brief einen doppelten Wortlaut hatte, lieber Nic. Und als ich dann jedes sechste Wort gelesen und festgestellt hatte, daß es nur die eine Möglichkeit gäbe, Dich zu retten, habe ich auch genau nach Deinen Anweisungen gehandelt. Mein blonder Spitzbart ist falsch, mein blonder Scheitel eine Perücke, und hier unter dem langen Gummimantel trage ich genau dieselbe Anstaltskleidung wie Du. Nur ein paar dunkle Beinkleider habe ich übergestreift. Ich bin also in allem bereit.“
Nic Pratt schaute nach der Tür flüchtig hin.
„Ich danke Dir, James,“ meinte er herzlich. „Ich weiß, daß ich den Mörder Murphys ermitteln werde, wenn ich nur erst frei bin. Du kennst ja meine Vorliebe für seltsame Vorgänge und deren Enträtselung. Dir kann nichts geschehen, wenn Du mir zur Flucht verhilfst. Du wirst lediglich so lange eingesperrt bleiben, bis der wahre Mörder von mir entdeckt ist. Alles kommt nun darauf an, daß wir den Wärter, der uns durch das Guckloch beobachtet, für ein paar Minuten entfernen. Auch dies wird hoffentlich gelingen. Geh’ jetzt zur Tür und sage dem Wärter, er solle rasch Papier, Tinte und Feder holen. Es sei Dir geglückt, mich zu einem Geständnis zu bewegen; er solle nur recht schnell das Schreibmaterial herbeischaffen, bevor ich wieder vielleicht meine Absicht geändert hätte. Außerdem dürfe er keinen der anderen Beamten herbeirufen, sondern solle erst kurz vor der Hinrichtung dem Oberrichter das Schriftstück aushändigen. Ich hoffe, der Beamte wird keinerlei Argwohn schöpfen. Er kennt mich ja als einen harmlosen, stets gehorsamen Gefangenen.“
James Pratt erhob sich sofort, ging zur Tür, rief den Wärter an und flüsterte ihm alles das zu, was Nic in jeder Einzelheit schlau berechnet hatte.
Der Wärter stutzte. „Wie – Nic Pratt also wirklich schuldig?!“ meinte er ungläubig. „Oh – das hätte ich nicht gedacht! – Gut – ich hole alles Nötige. In zwei Minuten bin ich wieder da –“
Er eilte den Flur entlang in das nächste Bürozimmer, griff hastig nach einem Bogen Papier, einem Tintenfaß und Federhalter und betrat nun damit die Mörderzelle, schloß hinter sich ab und sagte zu dem Delinquenten:
„So, Pratt, hier haben Sie Schreibmaterial –“
Nic Pratt stand am Fenster mit dem Rücken nach der Zelle hin und lachte nur ironisch auf.
„Ach – er hat sich’s wieder anders überlegt,“ sagte da der Ingenieur Pratt mit gedämpfter Stimme zu dem enttäuschten Wärter. „Er wollte, daß ich ihm mein Taschenmesser gab. Er hatte nur die Absicht, Selbstmord zu begehen. Bitte – lassen Sie mich hinaus! Nic und ich scheiden wie Fremde! Ich hielt ihn für schuldlos! Er ist es nicht – er ist Murphys Mörder!“
Der Wärter war so sprachlos, daß er gar nicht recht zur Besinnung kam, läutete nach einem Kollegen und befahl diesem, den Ingenieur auf die Straße zu geleiten.
Als James Pratt und der Gefängniswärter die Treppe hinabstiegen, kamen ihnen die sechs Herren und Direktor Tompkins entgegen.
Hier im Halbdunkel des Treppenhauses zog der Ingenieur jetzt ein Taschentuch und drückte es gegen die Augen.
Tompkins erkannte ihn, blieb stehen.
„Ah, Master Pratt, der Besuch ist schon beendet?“ fragte er.
Pratt schlug das Herz vor Erregung so laut und schnell, daß ihm das Blut in den Ohren summte.
Er erwiderte nichts, schluchzte nur leise auf, machte eine trostlose Handbewegung, zog den Hut und schritt weiter.
„Das war James Pratt,“ sagte der Oberrichter zu Senator Colling. „Der arme Mensch schien furchtbar erschüttert zu sein. Kein Wunder! So ein Abschied auf Nimmerwiedersehen muß jedem an die Nerven gehen!“
James Pratt gelangte wohlbehalten auf die Straße, stieg in das nächste Auto und fuhr dem Innern der Stadt zu.
Oberrichter Macdal sah nach der Uhr.
„Tompkins, es ist Zeit,“ sagte er und holte tief Atem.
Der Gefängnisdirektor ließ nun den Delinquenten vorführen.
Zwischen zwei Aufsehern, hinterher der Gefängnisgeistliche, – so betrat Nic Pratt straff und aufrecht das Vorzimmer des Hinrichtungsraumes.
Die sechs Zeugen, darunter Senator Colling, betrachteten den schlanken Mann nicht ohne Mitgefühl.
Die üblichen Formalitäten begannen. Macdal las das Todesurteil vor und fragte dann den Delinquenten, ob er noch etwas zu erklären hätte.
„Noch nicht,“ sagte Nic Pratt ganz leise. „Erst wenn man mich auf den Stuhl geschnallt hat, werde ich etwas zu Protokoll geben. Besorgen Sie also einen Protokollführer, Master Macdal.“
„Ah – ein Geständnis?!“ rief der Oberrichter. „Weshalb nicht hier – weshalb nicht sofort?“
„Ich habe meine Gründe. Ich will Zeit gewinnen,“ flüsterte Nic Pratt dumpf. „Jede Sekunde ist kostbar. Man muß sein Leben verlängern, wenn man es kann. Und wenn ich erst in letzter Sekunde reden will, müssen Sie mich anhören!“
„Das ist richtig,“ meinte Macdal. „Diese letzte Sekunde ist sofort da! Man bringe den Delinquenten auf den Stuhl!“
Die Tür zum Hinrichtungsraum flog auf.
Festen Schrittes betrat Nic Pratt das kahle Zimmer mit den beiden dicht verhängten Fenstern.
Nur in der Mitte stand ein großer Sessel mit Arm- und Rücklehnen, mit Riemen und einer Fußbank, auf die oben eine Kupferplatte geschraubt war.
Einer der Aufseher streifte dem Delinquenten die Schuhe und Strümpfe ab. Denn mit nackten Sohlen muß der Todeskandidat die kupferne Platte berühren, damit der elektrische Strom ungehindert den Körper durchdringe.
Nic Pratt setzte sich auf den Stuhl.
Im Nu hatte man ihm Arme, Beine und Kopf festgeschnallt, hatte auf den kahlgeschorenen Scheitel die kupferne Haube gedrückt, von der die Drähte ins Nebenzimmer liefen, wo sich der Kontakt auf einem Tische befand. Ein Druck auf diesen Kontakt, und der Strom von 800 Volt Stärke durchfloß den Körper des Verurteilten, der durch den elektrischen Schlag blitzartig getötet wurde.
Der Protokollführer und der Oberrichter traten jetzt an den Stuhl heran.
Die Zeugen und die Aufseher starrten mit bleichen Gesichtern auf Nic Pratt, über dem eine einzige elektrische Lampe brannte und sein schmales Antlitz hell bestrahlte.
Seltsam: der Delinquent lächelte plötzlich!
„Er – er hat den Verstand verloren!“ rief der Oberrichter entsetzt.
„Durchaus nicht,“ sagte Pratt gelassen. „Ich habe guten Grund zum Lächeln. Master Macdal, ich will nun also mein Geständnis zu Protokoll geben. Hören Sie gut hin –“
Eine kleine Pause.
Dann:
„Ich – bin gar nicht Nic Pratt, sondern der Ingenieur James Pratt!“
Tiefe Stille.
Nun Macdals Ruf:
„Ja – er hat den Verstand verloren!“
„Keineswegs!“ erklärte James Pratt. „Die Sache ist sehr einfach. Nic und ich hatten alles vorbereitet. Mein Bart, mein Scheitel waren falsch. Unter dem Gummimantel trug ich Sträflingskleidung. Wir entfernten den Wärter, tauschten schnell Bart, Perücke, Mantel, Beinkleider aus, und Nic verließ als James die Zelle. Daß ich wirklich James Pratt bin, können Sie leicht feststellen. Ich habe hinter dem linken Ohr ein Muttermal, das Nic fehlt.“
Macdal rang nach Luft, stammelte:
„Ja – jetzt sehe ich’s. Sie sind nicht Nic Pratt! Die Ähnlichkeit ist groß. Aber Ihr Gesicht ist voller als das Ihres Bruders!“
Dann hatte er sich schon gefaßt, fügte streng hinzu:
„Master James Pratt, im Namen des Gesetzes: ich verhafte Sie wegen Gefangenenbefreiung.“
„Damit rechnete ich,“ sagte der Ingenieur ruhig. „Mir kam es darauf an, die Entdeckung von Nics Flucht recht lange hinauszuschieben, damit er einen möglichst großen Vorsprung gewänne. Nic ist unschuldig. Das wird sich später schon irgendwie herausstellen.“
Die Aufregung der Anwesenden war schwer zu schildern. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im Gefängnis die Runde von Nic Pratts kühner Flucht. Beamte strömten in den Hinrichtungsraum, staunten den Ingenieur an, der bereits wieder losgeschnallt war und dem Protokollführer mit kühler Ruhe diktierte, wie die Flucht bewerkstelligt worden war.
Nur eins verschwieg er: daß der Brief, den er bei Frau Allison vorgefunden hatte, einen doppelten Wortlaut besaß. –
Dann wurde er in eine Zelle abgeführt.
Schon vorher hatte Macdal die Kriminalpolizei von Nic Pratts Entweichen verständigt und eifrigste Suche nach dem Flüchtling befohlen.
Es war zehn Uhr vormittags geworden, als Macdal und Senator Colling das Staatsgefängnis verließen und nach der Polizeidirektion fuhren.
„Nic Pratt hat genau vierzig Minuten Vorsprung. Das genügt für einen intelligenten Verbrecher, in dem Ameisenhaufen Neuyork spurlos unterzutauchen,“ sagte der Oberrichter unterwegs zu Colling.
Der Senator rauchte ein paar Züge aus seiner Zigarre und meinte dann:
„Dieser Plan zur Flucht ist ein Meisterstück von Nic Pratt. Seine Klugheit ist schon mehr satanische Schlauheit! Jetzt wird es ihm sehr zu statten kommen, daß er häufig zu seinem Vergnügen in allerlei Verkleidungen die verrufensten Viertel durchstreift hat, um Studien zu sammeln. Sie wissen ja, Macdal, er schrieb ein Buch über moderne Verbrechertypen. Ich habe das Manuskript teilweise gelesen. Wirklich: das schien ein Detektiv verfaßt zu haben! Der Mensch war ja geradezu unheimlich vielseitig!“
Das Auto hielt, und gleich darauf standen die Herren dem bekannten Detektivinspektor Stuart Grablay, einem kleinen, dürren Männchen, gegenüber.
Grablay erklärte, er würde persönlich Nic Pratts Verfolgung übernehmen.
„Vielleicht ist er zuerst zu Frau Allison, seiner langjährigen Wirtin, gefahren,“ sagte Senator Colling jetzt.
„Dann ist er bereits wieder weg,“ lachte der dürre Grablay. „Jetzt steckt er in irgend einer Verbrecherkneipe, wo er fraglos gute Freunde hat. Wir werden ihn schon aufstöbern. Das Auto, mit dem er davonfuhr, wird bald ermittelt sein.“
Der Oberrichter klopfte Grablay vertraulich auf die Schulter.
„Ja, Sie sind meine ganze Hoffnung, mein Lieber. Ich weiß, was Sie leisten!“
John Colling brannte sich eine neue Zigarre an.
„Und ich setze 1000 Dollar Belohnung für den aus, der Nic Pratt fängt!“ sagte er finster. „Mein armer Hausmeister Murphy soll gerächt werden! Nic ist sein Mörder, dabei bleibe ich!“
„Hm,“ brummte der berühmte Grablay. „Hm – es gibt viele Leute, die behaupten, Nic Pratt sei ein Gentleman und niemals ein Dieb und Mörder! Viele verlangen, man sollte erst beweisen, daß Murphy wirklich tot ist!“
„Geschwätz – nichts als Geschwätz!“ meinte der Millionär achselzuckend. „Ich denke, es genügt, daß man des Ermordeten Unterarm und Hand aufgefunden hat!“
„Ganz recht!“ nickte der Oberrichter. „Das genügt ohne Frage. Es hat ja auch den Geschworenen genügt, und die verurteilen doch nur, wenn der Fall ganz klar liegt. – Gehen wir, Colling! Alles weitere müssen wir Grablay überlassen.“
Nic Pratt hatte dem Chauffeur des Autos als Ziel das Warenhaus Wackermeyer angegeben.
Vor dem Warenhause stieg er aus, bezahlte die Taxe und betrat das Riesengebäude, um es durch den anderen Eingang sofort wieder zu verlassen. Zu Fuß eilte er jetzt weiter und verschwand zehn Minuten drauf, nachdem er sich vorsichtig umgeblickt hatte, in dem Papierladen der Frau Margrit Allison in der Jovellstraße.
Frau Allison, eine hagere, alte Dame mit einem Nickelkneifer auf der dicken roten Nase und mit stets entzündeten Augen, saß hinter dem Ladentisch und sprang bei Nics Eintritt sogleich auf, streckte ihm beide Hände entgegen und flüsterte:
„Oh – wie ich mich freue, mein Junge, – wie ich mich freue!“
Nic lächelte schmerzlich. „Freuen Sie sich nicht zu früh, Mutter Allison! Das Schwerste kommt erst: den Verfolgern zu entgehen und den wahren Mörder zu entdecken! – Sie sind also einverstanden, daß ich hier Ihre Rolle jetzt spiele, Mutter Allison? Gut, dann will ich schnell Toilette machen. Sobald ich fertig bin, verlassen Sie den Laden, reisen irgend wohin in die Nähe aufs Land, wo Sie als Mistreß Allina zur Erholung sich einmieten.“
„Ich weiß Bescheid,“ sagte die Frau schlicht. „Für Sie tue ich alles, Nic!“
Nic Pratt verschwand in dem Zimmer hinter dem Laden.
Nach einer Viertelstunde hatte er sich in Frau Allison verwandelt, in eine von Zahnweh geplagte Frau Allison mit einer dicken Backe und einem wollenen Schal um den Kopf.
Die echte Frau Allison ging mit einem kleinen Handkoffer gleich darauf zum nächsten Bahnhof und fuhr nach dem Dorfe Dickmarkett acht Meilen nordöstlich von Neuyork.
Nic Pratt aber saß nun hinter dem Ladentisch und las eine Zeitung, die seiner Zeit einen ganz genauen Bericht über den Mord an Ben Murphy, Hausmeister in der Villa John Collings, gebracht hatte.
Dieser Bericht lautete:
„Wir wollen hier unseren Lesern nochmals ein Bild der Vorgänge entrollen, die sich in der Nacht, als der Hausmeister Murphy ermordet wurde, abgespielt haben dürften. – Wohlverstanden: dürften! Denn der Mord selbst hat keinen Zeugen gehabt. Aber die Gerichtsverhandlung, die mit einer Verurteilung Nic Pratts dieses Drama vorläufig zum Abschluß gebracht hat, enthüllte doch eine solche Fülle von Einzelheiten, daß der öffentliche Ankläger in der Lage war, sozusagen jeden Schritt, jeden Gedanken des Mörders nachzuweisen. – Über Nic Pratts Persönlichkeit brauchen wir uns heute nicht mehr auszulassen. Alles in allem ein hochintelligenter Kopf, aber ein sehr widerspruchsvoller Charakter. Etwa vor einem Jahr wurde Pratt Privatsekretär bei Senator Colling, nachdem er vorher Schriftsteller, Reporter, Kinoschauspieler, Angestellter einer Menagerie und sogar Matrose gewesen. Daß Nic Pratt von Hause aus den bescheidensten Verhältnissen entstammt – sein Vater war Heizer auf einem Hafenschlepper, mag hier nochmals betont werden, ebenso wie die Energie des jungen Mannes, der sich von seinem zwölften Lebensjahre an sein Brot selbst verdiente und es doch fertig brachte, acht Semester die Universität zu besuchen.
Nun zu den Vorgängen jener Nacht vom 17. zum 18. Februar dieses Jahres.
Ben Murphy hatte gleichzeitig den Weinkeller des Senators zu versehen. Schon im Januar merkte er, daß von den auf Flaschen abgefüllten edlen europäischen Sorten gelegentlich größere Mengen verschwanden. Er teilte dies Senator Colling mit. Beide waren überzeugt, daß nur ein Hausdieb in Frage käme. Am 16. Februar meldete Murphy dann seinem Herrn, er hätte nun endlich ermittelt, daß nur Nic Pratt, der Privatsekretär, der Dieb sein könne. Master Colling hielt dies für ausgeschlossen, obwohl Murphy betonte, daß er Nic Pratt dreimal beim heimlichen Betreten des Weinkellers beobachtet habe, und daß Pratt sich also offenbar einen Nachschlüssel zu dem Keller besorgt haben müsse. Colling befahl Murphy, noch schärfer aufzupassen und Pratt wenn möglich beim Verlassen des Kellers zu stellen.
Dies bildet sozusagen das Vorspiel. Am 17. Februar meldete Pratt sich krank, indem er seine Wirtin Frau Allison zu Mr. Colling schickte und sich seines Ausbleibens wegen entschuldigen ließ. Am 18. Februar, vormittags wurde Ben Murphy dann vermißt. Man durchsuchte die ganze Villa nach ihm. Mr. Colling begab sich schließlich auch in die Keller hinab. Hier nun fand der Diener Graham in einem Raume, den Colling als Laboratorium gelegentlich benutzte, in einem großen Schmelzofen unter Papierasche den im Ellenbogengelenk abgetrennten, noch mit dem Ärmel bekleideten Unterarm Ben Murphys. Daß es Murphys Unterarm war, bewies schon die Tätowierung auf der Hand in Form eines Ankers. Murphy war früher Steuermann auf Mr. Collings Privatjacht gewesen. Die herbeigeholte Polizei, insbesondere Detektivinspektor Grablay durchsuchte das ganze Grundstück nochmals. In dem – stets unverschlossenen – Laboratorium entdeckte Grablay dann in einer Ecke Blutspuren, die darauf hindeuteten, daß hier ein Kampf stattgefunden hätte. Außerdem lagen an derselben Stelle ein Büschel grauer Kopfhaare, unzweifelhaft von Murphy herrührend, und zwei kleine Büschel blonder Haare, deren Untersuchung ergab, daß sie von einem Männerkopf stammten und daß sie leicht mit einer wohlriechenden Pomade durchfettet waren. Diese Pomade war’s, die den Verdacht, Murphy ermordet zu haben, auf Nic Pratt lenkte.
Schließlich fand Grablay auch am Abend des 18. Februar, nachdem man bisher umsonst nach Murphys Leiche gesucht hatte, in einem großen, zugedeckten Steinbottich, der mit einer scharfen Säure gefüllt war, winzige Reste von Metallknöpfen, die er mit einer Zange herausfischte. Es waren Reste von Hosenknöpfen. Ferner lagen noch in dem Bottich drei Platinstückchen, die offenbar zu einem falschen Gebiß gehört hatten. Und Murphy hatte ein solches getragen.
Senator Colling erklärte nun, daß er als Besitzer großer chemischer Fabriken diese Säure erst unlängst durch Experimentieren zusammengestellt habe und daß sie die Eigenschaft hätte, menschliche und tierische Leichen vollständig aufzulösen und verschwinden zu lassen. Er erklärte weiter, er habe gelegentlich über diese Säure mit Pratt gesprochen. Dies gab Nic Pratt später auch zu.
Ein Versuch, den Kadaver einer Katze in der Säure aufzulösen, zeigte, daß der Kadaver bereits nach einer Stunde spurlos verschwunden war. Mithin war es sehr gut möglich, auch eine menschliche Leiche in kurzem völlig zersetzen zu lassen.
Jetzt erst überwand Mr. Colling seine anfängliche Scheu, die Weindiebstähle zu erwähnen, und teilte Inspektor Grablay mit, daß Ben Murphy dem Privatsekretär habe auflauern sollen.
Eine genaue Durchsuchung des Arbeitszimmers Nic Pratts in Mr. Collings Villa förderte aus einem sehr schlau angelegten Versteck unter den Dielen vierzig leere und acht volle Weinflaschen zu Tage.
Inspektor Grablay begab sich nun gegen elf Uhr eilends zu Nic Pratt, der in dem kleinen Hause der Frau Allison im ersten Stock die beiden Vorderzimmer bewohnte, fand ihn mit leichtem Fieber im Bett liegen und erhielt von ihm auf seine Fragen zur Antwort, er – Pratt – habe seit dem vorigen Abend das Haus nicht verlassen.
Grablay sah, daß Pratt den Kopf ganz kahl geschoren trug. Pratt erklärte, er habe morgens einen Barbier kommen und sich das Haar mit der Maschine schneiden lassen, da er es im Sommer stets kurz trage. Der Barbier Mr. Jump bestätigte, daß er morgens 9 Uhr bei Pratt gewesen sei. Ob ein paar Haarbüschel ausgerissen gewesen, wußte er nicht.
Pratt wurde verhaftet und leugnete alles. Er blieb dabei, er sei seit dem 17. abends nicht mehr ausgegangen. Wein habe er niemals gestohlen, habe auch niemals heimlich den Weinkeller betreten und ebensowenig die Flaschen unter den Dielen verborgen.
Aber das Belastungsmaterial, das gegen ihn sprach, war zu groß. Man glaubte ihm nicht. Man hielt ihm vor, daß er in der Nacht vom 17. zum 18. fraglos wieder im Weinkeller gewesen und von Murphy überrascht worden sei, den er dann im Laboratorium ermordet und im Säurebottich habe verschwinden lassen.
Nun kommen wir zu dem in der Presse so viel erörterten einzigen dunklen Punkt dieser Mordtat, zu der Frage: weshalb hat Nic Pratt seines Opfers linken Unterarm nicht ebenfalls in dem Säurebottich verschwinden lassen?! Weshalb verbarg er ihn im Ofen?!
Der Vertreter der Anklage hat dies folgendermaßen erklärt. Pratt sei, als er die Leiche in den Bottich legte, durch ein Geräusch im Hause gestört worden und habe den Arm, der im Bottich nicht mehr Platz hatte, im Ellenbogengelenk hastig abgetrennt und in den Schmelzofen geworfen.
Tatsächlich sind vor dem Bottich Blutflecke und Zeugfetzchen, die von Murphys Jacke herrühren, gefunden worden.
Und doch: auch die Geschworenen hielten diesen Punkt noch für reichlich rätselhaft und unklar. Das merkte man während der Verhandlung an ihren Fragen.
Pratts Verteidiger hat diesen Punkt denn auch kräftig ausgenutzt, um seinem Klienten zu helfen. Allerdings hat er sich die Sympathien der Geschworenen dann dadurch verscherzt, daß er die Geschmacklosigkeit beging, Äußerungen zu tun, als ob auch Mr. John Colling Murphy beseitigt haben könne.
Diese unsinnige Verdächtigung des angesehenen Senators trug viel dazu bei, Nic Pratts Schicksal zu besiegeln. Er ist jetzt zum Tode verurteilt worden, und er wird wahrscheinlich bis zum letzten Moment leugnen. Ein Mann wie er gesteht nicht: ein Mann wie er wird den elektrischen Stuhl stumm besteigen und die Frage ungelöst lassen: Weshalb wurde Murphys Unterarm in den Schmelzofen geworfen?“
So schloß der Zeitungsartikel.
Nic Pratt lehnte sich jetzt in seinem Stuhl bequem zurück und starrte grübelnd vor sich hin.
Schon während seiner Untersuchungshaft hatte er sich immer wieder gefragt: Wer steckte als Urheber hinter dieser Schurkerei, deren Opfer er geworden? Wer hatte ein Interesse daran, ihn zu verderben? Wer hatte die Haarbüschel in das Laboratorium gebracht, wer die Weinflaschen unter den Dielen versteckt? Wer also hatte den Verdacht in so teuflischer Hinterlist auf ihn gelenkt – wer nur, wer?
John Colling etwa? – Doch – weshalb?! Er hatte ja mit Colling bis zuletzt auf freundschaftlichem Fuße gestanden! Weshalb sollte Colling ihn auf diese Weise aus dem Wege räumen wollen?! –
Ein paar Schulkinder kamen und kauften Kleinigkeiten. Sie merkten nicht, daß Mutter Allison hier nur einen Doppelgänger gefunden hatte. Sie bedauerten sogar die ihnen gut bekannte Mutter Allison ihrer Zahnschmerzen wegen.
Nic Pratt war zufrieden. Seine Maske mußte vorzüglich sein.
Abermals begann er angestrengt nachzudenken. Drei Fragen waren es, um die sich hauptsächlich seine Gedanken bemühten:
Wer hatte ihn verderben wollen?
Woher hatte dieser Schurke die blonden Haarbüschel erhalten, die Grablay fand?
Weshalb war Murphys Arm in den Ofen geworfen worden?
Die letzte Frage war am leichtesten zu beantworten.
Murphys Arm sollte eben gefunden werden, damit der Mord so entdeckt würde und er – Pratt – als Täter verhaftet werden könnte!
Aber die beiden anderen, nein, darauf ließ sich keine Antwort ausklügeln!
Nic Pratt sann und sann. Heute, wo er nun frei war, arbeitete sein Kopf jedoch schärfer als bisher in der engen Zelle: heute stieg plötzlich eine besondere Vermutung in ihm auf.
Pratts stahlgraue Augen flimmerten vor Erregung.
Da war eine Spur! Und diese Spur wollte er nun unverzüglich weiter verfolgen.
Er stand auf und wollte sich zum Ausgehen fertig machen.
In demselben Moment jedoch öffnete sich die Ladentür und ein kleiner, buckliger alter Mann trat ein und verlangte Schreibpapier.
Nic Pratts scharfe Augen erkannten sofort trotz der tadellosen Verkleidung Inspektor Grablay in diesem scheinbar so harmlosen Käufer.
Grablay hatte sich auf den Ladentisch gestützt und beobachtete die angebliche Frau Allison mit halb ironischen Blicken, wie sie jetzt einen Kasten mit Papier von dem Gestell nahm und auf den Tisch legte.
Nic Pratt war vorbereitet – auf alles! Auch darauf, daß die Polizei hier erscheinen und jemand seine Maske durchschauen könnte.
Grablay lachte jetzt leise.
„Man sagte mir im Gemüseladen gegenüber, daß Frau Allison mit einer Reisetasche das Haus verlassen habe,“ meinte er mit gutmütigem Spott und brachte gleichzeitig einen Revolver zum Vorschein. „Ihre Maske, Nic Pratt, ist ja ohne Frage recht gut. Nur – für Polizeiaugen ist sie nicht gut genug, besonders wenn die richtige Frau Allison noch nicht zurückgekehrt sein soll.“
Er hob den Revolver.
„Sie haben eben Pech gehabt, Nic Pratt,“ fügte er hinzu. „Wenn die Gemüsehändlerin mir diese Auskunft nicht gegeben hätte, wäre ich ohne Frage überzeugt gewesen, Frau Allison wirklich vor mir zu haben.“
Nic Pratt blieb vollkommen ruhig. Er wußte: wenn seine Nerven jetzt versagten, wenn Grablay ihn verhaftete, dann – dann würde er morgen früh auf dem elektrischen Stuhl sein Leben aushauchen!
Ja – ganz ruhig blieb er.
Seine rechte Hand lag unter dem Deckel des Pappkartons.
Es war nur scheinbar ein mit Schreibpapier gefüllter Karton. In diesen Karton hatte Nic Pratt vorhin den großen Gummiball mit dem Deckel des […]ten[1] Röhrchen gelegt, hatte die Spitze des Röhrchens etwas durch die Pappe gebohrt. Der Gummiball hatte innen zwei kleinere Bälle. Drückte man, so trat die Flüssigkeit aus dem einen in den vorderen, mit einem chemischen Pulver gefüllten ein und erzeugte jenes Gas, das schon in den letzten Kriegen zur Betäubung des Gegners verwendet worden war – völlig geruchloses, fast blitzartig wirkendes Gas.
Pratt spielte jetzt den zu Tode Erschrockenen, trat etwas zurück, hielt den Atem an.
Aber seine Hand blieb im Karton, drückte den Ball.
Inspektor Grablays Gesicht veränderte sich plötzlich. Eine fahle Blässe verfärbte die Wangen.
Dann sank der Arm mit dem Revolver herab.
Nic Pratt sprang zu, fing den Umsinkenden auf, trug ihn in das Zimmer hinter dem Laden.
Im Nu hatte er dann die Ladentür verschlossen, warf die Frauenkleider ab, legte Grablays Sachen an, klebte sich den falschen, struppigen Bart vor, stülpte die Perücke auf, steckte des Inspektors Ausweis zu sich, fesselte und knebelte den nur leicht bewußtlosen Beamten und trug ihn in den Keller des kleinen Hauses hinab.
Dann verließ er das Haus durch den anderen Eingang.
Auf der anderen Straßenseite standen zwei Arbeiter, die jetzt dem alten buckligen Manne verstohlen ein Zeichen gaben.
Nic Pratt wußte sofort: es waren Grablays Leute! Und – sie merkten nicht, daß der Bucklige nicht mehr ihr Vorgesetzter war!
Pratt winkte ihnen zu, winkte nochmals. Sie verstanden: sie sollten auf ihrem Posten bleiben und das Haus bewachen!
Pratt ging weiter, ging bis zur nächsten Querstraße, wo der Friseur Jump seinen Laden hatte.
Jump sah den Ausweis, lächelte verständnisinnig und führte Nic nach oben in seine Wohnung, fragte hier sehr höflich:
„Sie wünschen, Mr. Grablay?“
„Nur eine Frage, Mr. Jump,“ flüsterte Pratt hastig. „Sie haben doch am Morgen des 18. Februar Nic Pratt das Haar geschnitten. Sie fegten die Haare nachher zusammen und nahmen sie mit, da die Friseure das Haar an Filzfabriken zu verkaufen pflegen –“
„Das ist richtig, Mr. Grablay,“ nickte der Barbier.
„Was wurde mit Nic Pratts Haaren von damals?“ fragte der angebliche Inspektor weiter.
„Oh – die wurden mir gestohlen. Ich hatte sie in eine Papiertüte getan und legte die Tüte bei meiner Rückkehr auf einen Stuhl in meinem Laden. Es kam ein Mann gleich nach mir in den Laden und kaufte einen Kamm. Es war ein alter Matrose, dieser Mann. Er muß die Tüte mitgenommen haben.“
„Ein bärtiger Matrose?“
„Ja – anscheinend ein Irländer. Er hatte einen rötlichen Vollbart.“
„Danke, Mr. Jump. Auf Wiedersehen.“
Nic Pratt hinkte davon, ganz langsam. Aber desto schneller eilten seine Gedanken.
Seine Vermutung hatte sich bestätigt: Die im Laboratorium gefundenen Haarbüschel, sein blondes Haar war erst vormittags am 18. Februar dorthin gebracht worden! Sein geheimer Feind hatte die Tatsache, daß er, Pratt, sich hatte das Haar schneiden lassen, schlau ausgenutzt!
Wer war nun der rotbärtige Matrose gewesen?! Der geheime Feind selbst oder ein Helfershelfer?
Pratt blieb plötzlich stehen.
Ein neuer Gedanke bannte ihn minutenlang auf derselben Stelle.
Ein Matrose! Und – Ben Murphy war Steuermann gewesen, besaß fraglos noch von früher her Seemannstracht! – Gewiß – Murphy hatte keinen Bart gehabt! Aber – ein solcher ließ sich leicht vorkleben!
Pratt winkte jetzt ein Auto herbei und fuhr nach der Anatomie. Hier zeigte er dem Pförtner den Ausweis vor und verlangte den Anatomiediener zu sprechen, der die für Studienzwecke neu eingelieferten Leichen zu konservieren hatte.
Der Diener wurde gerufen.
„Ich bin Detektivinspektor Grablay,“ sagte Nic Pratt kurz. „Der Arm des ermordeten Hausmeisters Murphy ist doch der Anatomie überwiesen worden für das Museum –“
„Ja, Mr. Grablay. Er liegt in einem Glase in Spiritus.“
„Ich möchte ihn sehen –“
Der Diener brachte Pratt in das Anatomiemuseum, wo allerlei Raritäten, Mißgeburten, Köpfe von Mördern und anderes in großen Schränken aufbewahrt wurden.
Pratt nahm den Unterarm aus dem Glase und trat damit ans Fenster.
Der Arm war tadellos erhalten. Pratt kannte Murphy, mit dem er ja ein Jahr lang täglich zusammen gewesen war, sehr genau, kannte auch ebenso genau dessen breite, ausgearbeitete Hände mit den kurzen Fingern.
Dies hier war niemals Murphys Unterarm – niemals! Und John Colling hatte bewußt gelogen, wenn er der Polizei gegenüber behauptet hatte, es sei Murphys Arm, den der Diener Graham gefunden! Graham war erst kurze Zeit im Hause und hatte seinerseits lediglich der Anker-Tätowierung wegen angenommen, ein Glied des Hausmeisters vor sich zu haben.
Nic Pratt triumphierte. Endlich fiel ein Lichtstrahl in das unheimliche Dunkel dieses Schurkenstreichs: John Colling war daran beteiligt, und Ben Murphy lebte sehr wahrscheinlich noch, hatte offenbar den Matrosen gespielt, der den Kamm kaufte und die Haartüte stahl.
„Ich werde den Arm mitnehmen,“ sagte Nic Pratt nun zu dem Anatomiediener. „Aber – zu niemandem ein Wort hiervon! Sie wissen, wen Sie vor sich haben!“
Der Diener wickelte den Unterarm erst in Leinwand und dann in Papier.
Mit dem Paket bestieg Nic wieder das Auto, das er hatte warten lassen, und fuhr zu Mutter Allisons Geschäft zurück.
Die beiden als Arbeiter verkleideten Detektive standen noch auf der anderen Straßenseite. Pratt gab ihnen ein paar Zeichen, durch die er andeutete, daß sie sich entfernen sollten. Sie gehorchten ohne weiteres. Sie vermuteten auch nicht im geringsten, daß der Mörder Nic Pratt die Frechheit besitzen könnte, als ihr Vorgesetzter aufzutreten.
Pratt bezahlte den Chauffeur, schloß das hinter dem Laden gelegene Zimmer, dessen Flurtürschlüssel er mitgenommen hatte, auf und riegelte sich ein. Er beabsichtigte nichts anderes, als sich Grablay anzuvertrauen und sich die Hilfe des Inspektors zu sichern, der seiner Ansicht nach gegenüber den gegen Colling und Murphy sprechenden Beweisen darauf verzichten würde, ihn sofort zu verhaften, vielmehr geneigt sein müßte, mit ihm gemeinsam dieses in seiner Art geradezu ungeheuerliche Komplott aufzuklären.
Nic Pratt ahnte nicht, daß ein Mann von den vielfachen Erfahrungen Grablays imstande wäre, auch seine überaus sorgfältige Fesselung mit der Zeit zu lösen.
Und die Zeit hierzu hatte der Inspektor vollauf gehabt. Sehr bald nach Pratts Entfernung war er wieder zum Bewußtsein gekommen. Eine Stunde drauf hatte er die Stricke und den Knebel bereits abgestreift und sich mit Hilfe seiner Taschenlampe über die Beschaffenheit des leeren Kellerraumes, in den er eingesperrt war, genügend orientiert. Der Riegel, der von außen vor die Tür dieses Gelasses geschoben worden war, ließ sich mit der Taschenmesserklinge nach einiger Arbeit zurückdrücken.
Gerade als der Inspektor so die Freiheit wiedererlangt hatte, hörte er die obere Kellertür in den Angeln kreischen. Rasch verbarg er sich hinter ein paar leere Kisten, nachdem er den Riegel wieder vorgeschoben hatte, so daß es aussehen mußte, als befände er sich noch in dem dunklen Raume.
Dann vernahm Grablay auch schon leise Schritte. Im Halbdunkel des Kellerganges erkannte er Nic Pratt in der Verkleidung, die er selbst vorhin getragen hatte.
Grablay traute sich sehr wohl zu, mit dem durch die Untersuchungshaft geschwächten Pratt fertig zu werden.
Nic Pratt schlich bis zu der verriegelten Tür und lauschte. Drinnen regte sich nichts.
Da – mit einem Male legten sich von hinten zwei Hände um seinen Hals, rissen ihn nieder.
Nur einen Moment war er vor Schreck wie gelähmt: nur einen Moment gab er sich verloren.
Sein Hirn arbeitete blitzartig. Ohne Zweifel hatte Grablay sich befreit. Und – Grablays Körperstärke war berühmt. Der kleine Inspektor hatte schon manchen bösen Kampf gegen Neuyorker Verbrecher siegreich bestanden.
Und weiter sagte Nic Pratt sich, daß alles verloren sei, wenn er jetzt unterlag, denn Grablay als Sieger würde kaum darauf hinhören, was Pratt ihm über seine Ermittlungen vortrug. Nein – es war so gut wie gewiß, daß Grablay ihn wieder ins Gefängnis einlieferte und daß es dem einflußreichen Senator dann gelingen würde, den Dingen eine für Pratt ungünstige Wendung zu geben.
So begann denn jetzt zwischen den beiden Männern hier im Kellergang ein Ringen auf Leben und Tod.
Hin und her wälzten sie sich, hielten sich wie Schlangen umklammert. Ihr Atem flog. Schweiß lief ihnen über die Gesichter. Bald lag Grablay oben, bald hatte Nic Pratt scheinbar einen Vorteil errungen.
Lautlos fast spielte sich dieser verzweifelte Kampf ab. Pratt fühlte, wie seine Widerstandskraft erlahmte, wie ihm unter Grablays würgendem Griff die Sinne zu schwinden drohten.
Jetzt dachte er nicht mehr daran, den Inspektor zu überwältigen: jetzt hoffte er nur noch aus eins: daß er fliehen könne – irgendwie!
Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schüttelte er Grablay ab, schnellte empor, lief der Kellertreppe zu, warf die Tür des Kellerhalses ins Schloß, drehte den Schlüssel um.
Grablay war schon an der Tür, donnerte mit den Fäusten dagegen. Seine schrillen Hilferufe mußten bald selbst im zweiten Stock des Hauses wo zwei Familien wohnten, gehört werden.
Pratt mit zerrissenen Kleidern, ohne Perücke, ohne Bart rannte die Treppe empor in den ersten Stock, hatte noch schnell den Flurschlüssel vom Brett mitgenommen.
In seinem früheren Schlafzimmer packte er rasch einen Sportanzug, Schuhe, Mütze und anderes zusammen, horchte dann in den Flur hinaus, lief die Treppen hoch bis zum Boden.
Hier zog er sich um. In wenigen Minuten stand er in einem graubraunen Sportanzug da, eine weiche Mütze auf dem Kopf. Er steckte Grablays Revolver zu sich, nahm das Paket mit dem Unterarm auf und warf die zerfetzten Kleider in eine Kiste.,
Mittlerweile war es vier Uhr nachmittags geworden. Der dicke Nebel, der sich tagsüber gelichtet gehabt hatte, sank jetzt wieder in wallenden Schwaden auf die Millionenstadt herab.
Als Nic Pratt das flache Dach des Hauses betrat, konnte er die nächsten, höheren Gebände nur noch wie dunkle Schatten erkennen.
Das graue Nebelmeer ringsum gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Er wußte, daß all diese Dächer durch eiserne Feuerleitern miteinander verbunden waren und daß er seine Flucht von hier unbemerkt beliebig fortsetzen könne.
Dort drüben, drei Straßen weiter, lag die Villa John Collings. Pratt stopfte sich seine kurze Tabakpfeife. Oh – welch ein Genuß war’s, wieder einmal den kräftigen Rauch des Virginia-Tabaks riechen und schmecken zu dürfen! Wie hatte er diesen Genuß im Gefängnis entbehrt – zwei volle Monate – eine Ewigkeit!
Nic Pratt behielt die Pfeife zwischen den Zähnen und reckte und streckte sich. Ein berauschendes Kraftgefühl spürte er jetzt im ganzen Körper. Vielleicht war es gerade der furchtbare Ringkampf mit Grablay gewesen, der all seine Lebensgeister nun derart geweckt hatte.
Dann kletterte er auf das Dach des linken Nachbarhauses, kletterte weiter bis zu einem Geschäftspalast, wo er ungesehen in den Hof hinabgelangte. Bald war er auf der Straße und schlug nun die Richtung nach Collings Villa ein. Nur in dieser Villa, das sagte ihm eine innere Stimme, würde er das Rätsel dieses schändlichen Schurkenstreiches völlig lösen.
Immer dichter hüllte der vom Meere kommende Nebel die Riesenstadt ein. Die Straßenlaternen schimmerten nur wie milchige, hellere Flecke durch die feuchten, gelbgrauen Schleier. Wagen, Autos, Fußgänger – alles bewegte sich langsam und behutsam vorwärts. Der berüchtigte Atlanticnebel zwang das Hasten der Weltstadt in ein ruhigeres Tempo.
Nic Pratt kam diese Finsternis nur recht. Sein Plan war gefaßt: er wollte jetzt John Colling belauern, wollte als unheimlicher Geist geduldig warten, bis Colling sich irgendwie verriet und ihm von selbst den Schlüssel des Geheimnisses in die Hand gab! –
Nic schwang sich jetzt über das hohe, eiserne Gitter. Colling hielt sich drei Wolfshunde. Aber Pratt fürchtete die Tiere nicht, die stets mit Zärtlichkeit an ihm gehangen hatten.
So schritt er denn nun auf Umwegen durch den Garten der Villa zu. Plötzlich stolperte er. Er war gegen einen der schornsteinähnlichen Luftschächte gestoßen, die aus dem Weinkeller Collings nach oben führten. Dieser Weinkeller zog sich unterirdisch ein weites Stück vom Hause weg unter dem Garten hin.
Nic rieb sich das Schienbein, brummte ärgerlich:
„Das hätte ich nicht vergessen sollen, daß auf diesem Seitenwege sich die Luftschächte befinden!“
Mit einem Male horchte er auf.
Durch den Luftschacht waren dumpfe Stimmen aus der Tiefe zu ihm emporgedrungen.
Der Luftschacht hatte einen dachartigen Aufsatz. Nic konnte aber doch den Kopf so weit unter den Aufsatz zwängen, daß sein rechtes Ohr nun direkt über dem Schachtloche lag.
Da – ein Ruck ging durch seinen Körper.
Ein einziges Wort war aus der Tiefe klar und deutlich an sein Ohr gedrungen – ein Wort, das eine tiefe Baßstimme ausgesprochen hatte, die Ben Murphys, des angeblich Ermordeten, – ein Wort – ein Name:
Pirrwarl.
Doktor Hektor Pirrwarl – nur der konnte gemeint sein, nur der –!
Und – jetzt zerriß das Dunkel vollständig, das bisher noch über dem wahren Zweck dieser Schandtat zweier Bösewichter gelagert hatte. Das eine Wort hatte genügt, Nic Pratt jenen Februarabend ins Gedächtnis zurückzurufen, an dem er unbeabsichtigt im Nebenzimmer Zeuge einer erregten Aussprache zwischen dem jungen Erfinder Pirrwarl und John Colling gewesen, einer Aussprache, von der er freilich nur Bruchstücke verstanden hatte, die ihm aber doch bewiesen hatten, daß Colling irgendwie versucht haben mußte, Pirrwarl zu hintergehen. Und – Colling war dann zu spät gewahr geworden, daß sein Privatsekretär sich noch im Nebenzimmer befand, hatte Nic Pratt schnell weggeschickt und dabei eine solche Bestürzung gezeigt, als hätte Pratt ihn bei der ärgsten Verfehlung ertappt. –
Nic zog den Kopf wieder zwischen Rand und Aufsatz des Luftschachtes hervor und stand dann sekundenlang wie eine Statue da. Nur sein scharfer Geist arbeitete, prüfte die soeben aufgetauchte Vermutung nach.
„Es muß so sein!“ murmelte Pratt und näherte sich rasch der Villa, klomm am Weinspalier empor, stieg in ein nur angelehntes Fenster hinein und eilte über die Hintertreppe in den Keller. Nur der schmale Lichtkegel der halb bedeckten Taschenlampe leuchtete ihm. Im Hause war alles still. Den Haupteingang des Kellers fand er unverschlossen. Der Schlüssel steckte von außen. Er stieg die Treppe hinab. Er wußte auch hier Bescheid. Dort links führte ein langer Gang zur Eisentür des Weinkellers. Und – auch hier steckte der Schlüssel.
Nic Pratt schob den gespannten, entsicherten Revolver in die rechte Außentasche seiner Jacke. Dann legte er die Hand auf den Türdrücker.
Lautlos glitt der Drücker hinab, lautlos ging die Tür auf.
Und – im selben Moment in der Ferne aus den Gewölben ein kurzer, dumpfer Schrei – fast wie ein Stöhnen nur.
Schauerlich, nervenaufpeitschend kam dieser Schrei aus der tiefen Finsternis.
Pratt lauschte, den Finger am Druckknopf der ausgeschalteten Lampe.
Lauschte minutenlang.
Nichts mehr – nichts. Kein Ton – kein Geräusch.
Grabesstille hier unten. Nicht einmal der brausende Lärm der Millionenstadt drang bis hier hinab.
Nic Pratt tastete sich vorwärts – Schritt für Schritt.
Links fühlte er hohe Regale. An diesen Regalen ging er entlang – Schritt für Schritt – in der Finsternis.
Jetzt eine Biegung des Gewölbes. Jetzt zur Linken der Rand eines großen Fasses, eines der zwölf Riesenfässer, auf die John Colling so stolz war, die er jedem zeigte, obwohl die ersten sechs völlig leer waren.
Nic hielt plötzlich den Atem an, verharrte auf Fußspitzen in derselben Lage.
Aus dem ersten Fasse hier, vor dem er stand, waren ein paar hastige Atemzüge undeutlich hervorgedrungen.
In diesem Fasse steckte ein Mensch, der keuchend atmete, – derselbe Mensch, der soeben vielleicht einen neuen Mord begangen hatte – vielleicht! Die Angst, daß der Schrei gehört worden sein könnte, mochte ihn in das Faß getrieben haben. –
Pratt kam ein besonderer Gedanke.
Er wickelte den Unterarm aus den Hüllen, legte ihn ganz leise, stets vorsichtig mit den Fingern tastend, oben auf den Rand der Faßöffnung.
Und schlich weiter – dem zweiten Fasse zu, schwang sich empor, glitt durch den offenen Deckel hinein.
Dann ließ er nur den Bruchteil einer Sekunde den Lichtkegel über das andere Faß gleiten, wartete nun – wartete geduldig, nur den Kopf über den Rand der Deckelöffnung vorschiebend.
Endlose Minuten vergingen.
Ah – jetzt wurde drüben die Deckelöffnung hell.
Der im Fasse Versteckte hatte eine Lampe eingeschaltet. Er mochte jetzt annehmen, daß er sich heraus wagen dürfe.
Wirklich: nun ein Kopf – eine Hand mit der Lampe.
Es war – Ben Murphy, der Ermordete –!
Murphy hatte jetzt die Hand des Toten bemerkt – stierte mit wilden Augen auf diesen Unterarm, auf die Tätowierung des Handrückens. Seine Augen wurden immer größer. Wie Wahnsinn loderte es in diesem Blick, der von dem grausigen Stück Menschenleib nicht loskam.
Dann – wie ein Gurgeln die Worte von zitternden Lippen:
„Pirrwarls Hand, die – die ich tätowiert habe, damit sie für meine gehalten würde! Gott im Himmel – die Toten melden sich!“
Nic Pratt atmete tief auf, als er dies hörte. Was er vermutet, hatte Murphy ungewollt bestätigt.
Ein Satz nun, und Nic hatte des Hausmeisters Hand gepackt – rief drohend:
„Murphy – alles ist entdeckt! Wenn Sie Widerstand leisten, knalle ich Sie nieder!“ –
Inspektor Grablay traute seinen Augen nicht, als Nic Pratt eine Viertelstunde später mit dem gefesselten Murphy sein Dienstzimmer betrat.
„Guten Abend, Mr. Grablay,“ sagte Nic höflich. „Hier bringe ich Ihnen den Mann, den ich ermordet haben soll. Die Sache liegt etwas anders. Doktor Pirrwarl, der seit dem 17. Februar vermißt wird, hatte John Colling eine Erfindung verkaufen wollen, die überaus wertvoll war. Colling und Murphy ermordeten Pirrwarl am 16. Februar, nachdem der Erfinder gemerkt hatte, daß Colling ihn betrügen wollte und mit Anzeige drohte. Ich war Zeuge der erregten Aussprache, die am 15. Februar zwischen Pirrwarl und Colling stattfand. Deshalb sollte auch ich, weil man von mir Verrat fürchtete, verschwinden – aber auf andere Art: als Mörder Murphys sollte ich hingerichtet und für alle Zeit stumm gemacht werden! Heute kam es zwischen Murphy und Colling im Weinkeller, wo der Hausmeister sich verborgen hielt, zum Streit. Colling wollte Murphy das Geld nicht zahlen, das er ihm versprochen hatte, und suchte Murphy hinterrücks zu erdolchen, wurde aber von ihm niedergeschlagen. Er liegt gefesselt im ersten Fasse des Weinkellers.“
Dann schilderte Nic Pratt im einzelnen, wie er auf den Verdacht gekommen war, daß Murphy noch lebe. Als er seine geistvollen Ausführungen beendet hatte, streckte Grablay ihm die Hand hin.
„Mister Pratt – treten Sie bei uns als Detektiv ein!“ sagte er in ehrlicher Bewunderung. „Man wird Sie glänzend besolden!“
„Danke, Mr. Grablay. Ich werde fortan auf eigene Rechnung Detektiv spielen. Dieser Beruf hat mich seit langem gelockt. Mir fehlte bisher nur ein Fall, der mich mit einem Schlage bekannt macht. Der Fall ist jetzt gefunden, denn Nic Pratt, der als zum Tode Verurteilter ein Verbrechen aufklärt und sich selbst das Leben rettet, dürfte keine Reklame mehr nötig haben!“ –
Nic hatte recht. Er wurde in kurzem der gesuchteste Privatdetektiv Amerikas, dazu ein Detektiv von ausgesprochener Eigenart, geradezu ein Rätselwesen für viele! –
Seine Abenteuer sollen nun in den folgenden Bänden veröffentlicht werden.
Nächster Band:
Der große Eisenbahnraub.
Anmerkung: