von
M. Lemcke.
Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.SO.26. Elisabethufer.44.
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H. Berlin.
Druck P. Lehmann, G.m.b.H, Berlin SO 26
Es war neun Uhr vormittags. Draußen schien die Sonne. Die gelben Vorhänge des Schlafzimmers erfüllten dieses daher auch mit einem warmen, Behaglichkeit verbreitenden Licht.
Das Schlafzimmer war sehr eigenartig, wirkte wie ein Traum, geträumt inmitten alter orientalischer Paläste. Riesige Perserteppiche mit seidigem Glanz verhüllten die Wände. Die Zimmerdecke war mit großblumiger Seiden in straffen Falten strahlenförmig bespannt. Die Möbel, jede Kleinigkeit, herab bis zu dem diskreten Geschirr unter dem breiten, als Bett dienenden Diwan, – alles echt persisch. Selbst die Ampel an der Decke war einst ein kostbares Glasgefäß irgend eines Wesirs gewiesen und nur für diesen neuen Zweck sehr geschickt umgearbeitet worden.
Es war also neun Uhr, Schnuckis gewöhnliche Aufstehzeit.
Er erhob sich von seinem Lager. Er hatte seit Jahren im Sommer splitternackt, sogar ohne jedes Zudeck geschlafen. Das war fraglos naturgemäß und gesund. Der Körper konnte gut ausdünsten. Außerdem: Schnucki war abgehärtet.
Er erhob sich, reckte sich und schaute dann nach Lissi hinüber. Die schlief noch fest, hatte den Kopf auf den Arm gelegt und die seidene Steppdecke im Traum halb von sich geworfen.
Schnucki betrachtete Lissi heute mit einer gewissen Andacht. Das gelbliche Licht gab ihrer Haut einen besonderen Farbenton. Schnucki fand, daß alles an dieser Frau tadellos war, alles. Er konnte das beurteilen. So wie er Lissi sah, hatte sie noch niemand gesehen, nicht einmal ihre Zofe, die braune Kissa.
Er liebte Lissi; liebte jeden Teil ihres Körpers bis zum Tollwerden! Sowohl das köstliche, dunkelbraune Haar, das stets ein wenig nach einem feinen Kopfwaschmittel duftete, als auch die großen, fragenden, verträumten und etwas melancholischen Augen, die wie schwarze Perlen, in dünne, grünliche Schleier gehüllt, waren: ebenso die schmale, gerade Nase, den Mund mit der etwas stärkeren, kurzen Oberlippe, die die Musterzähnchen stets ein wenig durchschimmern ließ, den klassischen Halsansatz, die knospenden Brüste und den ganzen, ideal gebauten Leib mit den kleinen Füßchen und schmalen Händchen, deren Zehen- und Fingernägel stets lackiert waren und im Lichte der Deckenampel so reizend schillerten.
Lissi hatte die Steppdecke bis an die Knie geschoben. Sie mußte sehr unruhig geträumt haben, denn auch das spinnwebdünne, schwarze Nachthemd mit den breiten rosa Spitzen lag ihr zusammengerollt wie ein dickes Tau fast unter den Armen. Das rechte Bein hatte sie hochgezogen, das linke nur leicht gekrümmt von sich gestreckt.
Schnucki dachte an ein altes Gemälde, das er einmal in einem Dogenpalast in Venedig gesehen hatte. Er kannte ja so ziemlich die ganze Erde. Er selbst hatte in Japan das Licht dieser schönen Welt erblickt, und von seiner Geburt an hatte er das vollendetste Nichtstuerdasein geführt, das man sich nur vorstellen kann. – Arbeit?! – Er wußte nicht, was das war! Wenn er einmal sich so recht langweilte und dann diejenigen sah, die keuchend einen Wagen schleppten für armseligen Fraß, beneidete er sie fast. Er litt ja dauernd an Appetitlosigkeit. Und die, die arbeiteten, so hatte er beobachtet, mußten stets von einem wilden Hunger gepeinigt sein.
Also er hatte ein altes Bild gesehen, als er mit Lissi in Venedig gewesen auf der Durchreise aus dem fernen, schönen Paradiese Batavia, jener Zauberstadt der Insel Java, in der es so viel tausendmal schöner als hier in Berlin war. Und das Gemälde dort im Dogenpalast hatte ebenfalls ein Weib dargestellt in derselben Köperhaltung. Die Fremden hatten es angestaunt. Kein Mensch hatte etwas Unsittliches dabei gefunden. – Aber hier in Berlin war Lissi vor kurzem in einer Zeitung auf einen Artikel gestoßen, den sie halblaut dann in leichter Erregung gelesen. Da stand, daß die Lichtbildvervielfältigungen dieses Gemäldes polizeilich beschlagnahmt worden seiend auf Antrag des Vereins zur Verbreitung sittlich einwandfreien Wandschmucks. Und weiter stand da, die Photographien seien wieder freigegeben worden, weil sich herausgestellt hätte, daß jener moralische Verein nichts als ein Geschäftsunternehmen war, der die häßlichsten Öldrucke für teures Geld dummen Menschen aufzuschwatzen verstand.
Schnucki hatte zu alledem seinen kahlen Kopf geschüttelt. Er begriff so vieles nicht, was mit der sogenannten Moral zusammenhing. Und Lissi ging’s ähnlich so. Schnucki zum Beispiel wußte noch immer nicht, weshalb der Hauswart des Eckhauses der Helmburgerstraße[1] stets mit dem Besen nach ihm schlug, wenn er den kleinen Vorgarten betrat und aus Mangel eines hierzu geeigneten anderen Ortes ein kleines oder großes „Geschäft“ erledigte. Genau so unbegreiflich war ihm, weshalb Lissi letztens beim Spaziergang empört zu einem eleganten Herrn gesagt hatte, der ihr doch nur einige Worte zugeflüstert:
„Sie irren sich! Wenn Sie nicht sofort Ihrer Wege gehen, wende ich mich an einen Schutzmann!“
Überhaupt – Lissi! Wie oft wurde sie nicht von eleganten Kavalieren angesprochen, die auch oft ein paar freundliche Worte für ihn, Schnucki, übrig hatten. Aber – stets wurde Lissi sofort ungehalten, setzte ihre unnahbarste Miene auf und eilte nach einem vernichtenden Blick auf den Kavalier davon.
Als ob’s ein Wunder gewesen wäre, daß Lissi eine so starke Anziehungskraft ausübte! Ein solches Prachtweib!
Und Schnucki beschaute seine angebetete Herrin nochmals ganz eingehend. Dann sprang er mit einem Satz auf ihr Lager. Das war sein gutes Recht, obwohl er doch ein männlicher Hund war.
Lissi erwachte denn auch sofort, zog schnell die Steppdecke hoch und nahm ihn dann in die Arme, streichelte ihm den Kopf und meinte gähnend:
„Morgen, Schnuckimänne, guten Morgen. – Ach Schnucki, schade, daß die Nacht vorbei. Ich habe so schön geträumt. Und nun liegt wieder ein langweiliger Tag vor uns. – Wären wir lieber bei den Eltern in Batavia geblieben, Schnucki. Dort hatten wir doch so viel nette Bekannte. Nur die Eltern sind schuld daran, daß wir uns hier mopsen – so entsetzlich mopsen. Das heißt nämlich „langweilen“ dieses „mopsen“. Ob es von Mops abgeleitet ist, weiß ich nicht. Vielleicht ja, – weil Möpse eben immer alten Damen gehören und sich bei diesen fraglos gräßlich öden – genau wie wir beide! „Wenn die Eltern nicht jeder meiner Launen nachgegeben hätten, so auch dieser letzten, ein halbes Jahr allein in Deutschland zuzubringen, dann – dann –“ Und Lissi Schomburg machte ein trauriges Gesicht und gähnte wieder.
Schnucki aber dachte: „Ja, ja, – das ist die Folge der Verhätschelung eines einzigen Kindes! Einzige Kinder taugen meist nichts. Wir waren unserer acht daheim im Stalle des Lastträgers Simuruki. Mit uns machte unsere Mutter nicht viel Umstände. Den Vater haben wir überhaupt nicht gekannt. Der soll nur eine Stunde mit Mutter verheiratet gewesen sein. Dann trennten sie sich wieder. Die Menschen bleiben ihr lebelang zusammen, auch wenn eine Ehe noch so unglücklich. Sie sind ja in vieler Beziehung rückständig. Die wahre Intelligenz findet man nur beim Hundegeschlecht.“
Lissi begann sich anzukleiden. Schnucki lag zusammengerollt in ihrem Bett und sog voller Behagen den Duft von Frauchens schönem Weibesleib ein, beobachtete Lissi wieder und freute sich, daß sie sich vor ihm so gar nicht schämte, alles zu erledigen, was man nach dem Aufstehen zu tun pflegt.
Lissi frisierte sich nun und unterhielt sich mit ihm.
„Schnucki, zwei Monate sind wir nun bereits in Berlin und haben noch nicht eine einzige nette Herrenbekanntschaft gemacht. Denn die Frechlinge, die uns auf der Straße belästigen, die können uns gestohlen bleiben. Wenn man erst neunzehn zählt wie ich, dann muß man mit Bekanntschaften sehr vorsichtig sein. Das betet uns ja Mademoiselle Griglaux jeden Tag vor. Und die ist mit ihren 38 Jahren doch welterfahren genug. Die muß es wissen.“
Schnucki knurrte. Und Lissi dachte: „Aha, das soll heißen: Frauchen, sprich nicht von der Griglaux, Deiner Gesellschafterin. Die kann mir den Buckel runterrutschen und mir dabei gleich die paar Flöhe abkämmen, die ich leider stets habe. – So denkst Du, Schnucki, – mach’ nur nicht so ein harmloses Gesicht! Ich weiß Bescheid. – Aber – Himmel, da fallt mir ein: Schnucki, wir gehen heute ja zum ersten Male zu der Frau Major a. D. Baronin Glitzbein-Steckenrein, deren gastliches Haus sich uns dank der alten Bekanntschaft zwischen Madeleine Griglaux und dieser Baronin geöffnet hat. – Ach, Schnucki, dort sollen so entzückende vornehme Herren von uraltem Adel verkehren, die ihre Abstammung über das biblische Paradies hinaus bis zu unseren Voreltern, den Menschenaffen, nachweisen können – und mit Leichtigkeit! Aber – davon verstehst Du nichts! Das gehört in das Gebiet der natürlichen Schöpfungsgeschichte, die ich auch nicht so ganz begriffen habe. Trotzdem – auf diese Herren freue ich mich furchtbar, Schnucki. Ich habe ja in Batavia daheim als Kind deutscher Eltern so viel deutsche Romane gelesen. Und in den meisten kam immer ein Graf oder ein Baron vor, der ein armes bürgerliches Mädchen wahnsinnig liebte und nach mindestens zwanzig Kapiteln voller Ehehindernisse doch heiratete. Ach – das war immer so romantisch, Schnucki, und so etwas würde ich zu gern einmal selbst erleben, aber natürlich auch mit glücklichem Ausgang.“
Schnucki fand dieses Gespräch langweilig, kratzte sich am Halse mit der linken Hinterpfote und – flog plötzlich mit einem Satz gegen die nach dem Salon führende Tür, wobei er es verstand, die Klinke gleichzeitig herabzudrücken.
Die Tür flog auf und – Mademoiselle Madeleine Griglaux gegen das tadellos frisierte Köpfchen. Sie prallte zurück, kreischte auf vor Schreck und stieß mit dem Lackschuh nach Schnucki, dem es nun ein leichtes gewesen wäre, ihr unter die Röcke zu fahren und in die Wade zu beißen. Da er aber – auch scheinbar als einziger – auch Madeleines Reize bereits heimlich mit Grauen und ungläubigem Ohrschlackern bewundert hatte, wobei er eben feststellen konnte, daß ihre tadellose Figur lediglich aus Wattepolstern bestand, selbst die anscheinend so prallen Waden, – daher also verzichtete er auf jeden Angriff, der ja doch nur den Wattestücken weh getan hätte.
„Ich wollte gerade kommen zu Ihnen, ma chere Lissi,“ sagte sie nun und log wieder mal. „Oh – wie diese schreckliche Köter mich haben erschrocken. – Pfui, Du miserable Viech, Du, pfui!“
Schnucki lag schon wieder in Frauchens Bett. Da – erspähte er am Wandkalender, dessen oberste Blatt das Datum des 2. Mai zeigte, einen Vers, der ihm sehr geeignet schien, seine Intelligenz wieder einmal zu beweisen. Er konnte ja lesen, dieser Überhund, und, hätte er noch sprechen können, wäre er fraglos sofort zum Universitätsprofessor für moderne Philosophie ernannt worden, da seine Ansichten über das Weltall, Menschen und alles andere sich durch eine verblüffende Unklarheit auszeichneten.
Er schoß mit einem Satz nach dem Wandteppich hin, an den der Kalender befestigt war, spreizte mit der Zunge, die lang wie ein Tintenwischer war, das oberste Blatt ein wenig ab, riß es los, eilte zu Frauchen hin, diente und winselte leise.
Lissi verstand sofort. Sie nahm ihm das Papierblättchen aus dem Maul und überflog den Vers:
Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand.
Sie lachte hell auf. „Schnuckimänne, Du bist wirklich ein seltenes Tier!“ Dann reichte sie der wunderbar schön gepuderten und geschminkten Madeleine das Blättchen.
Ahnungslos überflog diese den Reim. Blässe und Röte wechselten auf ihrem Gesicht. Dann kam’s über ihre Lippen wie ein Strahl giftigen Hasses:
„Du vafluchtes Vieh! Det Genicke dreh’ ick Dir bei jute Jelegenheit um, und Franz soll –“
Plötzlich stoppte sie ab, verzog die dünnen Lippen zu einem sehr gezwungenen Lächeln und fuhr fort:
„So wie ich soeben, hätte gesprochen eine geborene Berlinerin zu dieser abscheuliche Tier. Doch wir schweizerischen Französinnen großmütig sind. Ich ihm tue verzeihen den Scherz.“
Lissi war viel zu harmlos, um Verdacht zu schöpfen. Sie wußte freilich ohnedies, daß Madeleine eine Vorliebe für Schlüssellöcher als Aussichtspunkte und Horchstellen hatte. Nun – jeder Mensch besitzt seine Schwächen.
Madeleine nahm auf einem Hocker Platz. Sie beneidete Lissi glühend um Jugend und Schönheit, obwohl sie allen Grund gehabt hätte, nach ihren durchaus nicht liebesarmen Jugendjahren nunmehr freiwillig zum älteren Eisen sich zu rechnen. Und aus diesem Neid war in diesen vier Wochen, seit sie von Lissi als Gesellschafterin verpflichtet war, eine Abneigung geworden, die sie freilich sehr gut zu verheimlichen wußte.
Lissi legte jetzt ein Morgenkleid an, eines jener kostbaren Gewänder, wie sie sich eben nur die einzige Tochter des reichsten Plantagenbesitzers von Niederländisch-Indien leisten konnte.
Madeleine sah die plastisch schönen Arme, sah noch anderes, was unter den Miederspitzen sich vorwölbte und in ihrem Herzen fraß verzehrend der Neid. Doch ihr Mund redete anders.
„Nein – wie tadellos gebaut Sie sind, ma chere Lissi,“ rief sie, die Begeisterte spielend. „Der Mann, der Ihnen einmal Ihr Begatter wird –“
„Gatte!“ verbesserte Lissi errötend.
„Bon – bon, – also Ihr Gatte wird, muß schweben in sieben Himmeln bei Ihnen –“
Schnucki merkte, daß die ekle Person, die aus Lausanne zu stammen vorgab, ekelhaft heuchelte, bellte ärgerlich auf und dachte: „Diese Laus‑anna (anders nannte er sie nie) wird in ihrem Konkurrenzneid womöglich Frauchen noch irgendwie reinlegen wollen. Schnucki – also aufgepaßt – und gehörig.“
Madeleine war durch Schnuckis entrüstete Töne etwas außer Fassung geraten, warf ihm einen Blick unendlichen Hasses zu und begann von der heutigen Abendgesellschaft bei der Frau Major Glitzbein-Steckenrein zu sprechen, überredete Lissi dazu, gerade das Kleid zu wählen, das dieser am schlechtesten zu Gesichte stand und meinte auch, Lissi solle recht stark Puder auflegen und die Augenbrauen nachtuschen – das gehöre zum guten Ton.
Schnucki zerbiß gerade einen Floh, der sich in der Kehrseitengegend alles mausig gemacht hatte, als die Laus‑anna diese seines Erachtens durchaus unzutreffenden Ratschläge gab, überlegte verschiedenes und handelte nachher am Nachmittag nach einem wohlüberlegten Plan, indem er sowohl die Puderschachtel vom Frisiertisch stahl und im Badezimmer in einem modernen, stets etwas mit Wasser gefüllten Porzellanbecken mit Holzsitz schwimmen ließ, als auch das häßliche grüne Kleid „kurzer Pfote“ mit einigen langen Rissen schmückte.
So kam’s, daß Lissi in all ihrer natürlichen Frische, auch ohne getuschte Augenbrauen, und in einem duftigen, tief ausgeschnittenen Spitzenkleide den Weg zu der Plattbein-Stänkerfein, wie Schnucki den uralten Namen nach seinem Geschmack umgemodelt hatte, antrat – zum entsetzlichen Ärger der Laus‑anna, die heute offenbar zur Feier des Tages vorn und hinten noch je ein Pfund Watte mehr als sonst wohlproportioniert verteilt hatte.
* * *
Wenn Lissi Schomburg ein wenig den Anzeigenteil der Zeitungen studiert hätte, würde sie ohne Zweifel sehr bald auf den Namen Glitzbein-Steckenrein gestoßen sein. Alle drei Tage war nämlich zu lesen:
Vornehme Ehevermittlung.
Erste Empfehlungen. Millionärinnen, Witwen, Fürsten, Grafen usw. stets vorrätig.
Frau Majorin a. D. Ernesta von Glitzbein-Steckenrein.
Berlin W, Nymphenstraße 1a.
Sprechst. 9–12, 3–12.
Aber Lissi las nur die Romane und den Gerichtsteil. Daher ahnte sie nicht, mit wem die Laus–anna sie bekannt gemacht hatte. –
Der Major Tobias Baron von usw. war kein „richtiggehender“ Major. Nein, diesen militärischen Titel verdankte er lediglich der früheren Zugehörigkeit zu der Armee der glorreichen Negerrepublik Haiti, einer Armee, in der es zumeist mehr Generale als Soldaten gibt, da man sich dort den Generalsrang bei guten Beziehungen zu „allerhöchsten“ Stellen durch mehrere braune Lappen mühelos erkaufen kann. Tobias Glitzbein hatte diese Lappen nie besessen und es daher nur bis zum Tambourmajor gebracht. Er war nämlich von Hause aus Musiker, hatte mit 23 Jahren jedoch Deutschland wegen einiger Mißhelligkeiten mit der Staatsanwaltschaft schleunigst verlassen, in Haiti sich in die Armee einreihen, mit 40 Jahren wieder ausreihen lassen und das „Tambour“ dann in seinen Papieren sauber ausradiert, so daß er nun mit gutem Unrecht diesen Titel führte.
Genau so verhielt es sich mit dem Adel. Tobias hieß „eigentlich“ Balthasar Schimmel, und seine Mutter war Leichenwäscherin gewesen, sein Vater aber ein sehr säumiger Alimentezahler. Auf Haiti hatte er dann den letzten Sproß des alten Hauses Glitzbein-Steckenrein kennen gelernt, der dort in einem Hotel Kellner war, als Quartalssäufer langsam aber sicher dem Grabe zuschwankte und seine Papiere dann nach einem unseligen Ende – er ertrank in einem Flüßchen – ausgerechnet er! – im Wasser! – seinem Freunde Schimmel hinterließ, der sofort allen Schimmel von sich abstreifte und sich höchst eigenhändig in den Adelsstand erhob.
Mit vierzig Jahren kehrte er, nachdem es ihm geglückt war, bei einer der auf Haiti alle drei oder vier Jahre sich wiederholenden Revolutiönchen ein nettes Sümmchen zu ergaunern, nach Deutschland zurück, lernte hier in Berlin sehr bald eine fesche Hamburgerin kennen, die in ihrer Vaterstadt lange Zeit eines jener Damenpensionate besessen hatte, die nachts von zahlreichen Herren besucht zu werden pflegen und die bei ihren Damen mehr auf schnelles Eingehen auf dringende Wünsche als auf tadellosen Ruf sehen.
Diese Dame, angeblich 35 Jahre alt (vor dem Standesbeamten wurden’s nachher 13 Jahre mehr), sehr energisch, sehr schlau, erkannte in dem (Tambour-)Major sofort den Mann, der ihr gerade gefehlt hatte. Man heiratete, und da man noch zu jung war, Rentiers zu spielen, warf sich Ernesta von Glitzbein-Steckenrein, geb. Eierpunsch (ihre Wiege hatte in Russisch-Polen gestanden, wo man ja unter den schwarzgelockten Bewohnern die allerseltsamsten Namen findet) auf Grund ihrer Vorkenntnisse in Liebessachen auf die Ehevermittlung.
Wer war wohl geeigneter dazu als gerade sie, die doch in Hamburg so viele Männer für billiges Geld, wenn auch nur für eine Stunde höchstens, glücklich und zufrieden gemacht hatte. – Ernesta hatte sich nebenbei auch jene Scheinbildung und jene äußere Politur angeeignet, die, wenn man nur etwas Grips hat, durchaus genügt, eine „Baronin mit kleinen Eigenheiten“ vorzutäuschen.
Das Geschäft ging famos. Auch ihrem Herrn Gemahl hatte die geb. Eierpunsch die Haiti-Manieren schnell abgewöhnt. Er sah jetzt vom gelichteten Scheitel bis zu den Plattfüßen herab wie ein richtiggehender Major a. D. aus, näselte leicht, trug Monokel, dazu stets ein Ordensbändchen im Knopfloch, und wagte Ernesta gegenüber nicht mehr Zipp zu sagen. –
An demselben Tage gegen sieben Uhr abends.
Das Ehepaar Glitzbein-Steckenrein saß beim Abendessen im altdeutschen Speisezimmer. Ernesta erteilte ihrem Tobias Instruktionen, während sie an dem vierten Schweinskotelett kaute. Sie aß nämlich für drei und trank für sechs, vertrug aber mehr Alkohol als ein Verbindungsstudent an Freibierabenden.
„Tobias,“ sagte die Frau Baronin und langte nach dem Rotweinglas, „Tobias, Du hast also dafür zu sorgen, daß die Schomburg bis oben voll Sekt gepumpt wird. Sonst wird aus der Sache mit dem Grafen Rüdiger von Preszicki nischt. – Sie muß eben schon heute so eingewickelt werden, daß der Graf keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten braucht. Wir verdienen 100 000 Mark, Tobias, wenn’s glückt. Also: feste ran; Du verstehst ja den Rummel.“
Tobias nickte und fragte: „Ich darf dann doch auch ein wenig mitsaufen, nicht wahr? – Es ist janz ausjeschlossen, immer selbst nur zu nippen, wenn man jemand in Liebesfeuer versetzen soll.“
In diesem Augenblick trat das Stubenmädchen ein.
„Gnädige Frau, – ein Herr. Hier ist die Karte.“
Ernesta, geb. Eierpunsch, las:
Vicomte Hektor Alfio Trestio de la Rocka,
Marseille, Rue de la Libertee 19.
„Vicomte?! – Wie kommt dieser Vicomte hierher – ein Ausländer?“ meinte die frühere Pensionsvorsteherin kopfschüttelnd. – Dann zu der Zofe:
„In den Salon, Babette –“
Babette, die eigentlich Auguste hieß, verschwand.
„Donnerwetter,“ näsele Tobias, – „ein Vicomte. Das is noch mehr als Jraf. Und der Name: det klingt wie Haarschmalz: Hektor Alfio Trestio de la Rocka! – Du, det muß ’n janz feinet Luder mit unheimliche Schulden sein. Wenn man dem die Rosalie Karfunkelstein andrehen könnte. ’ne halbe Million deckt alles zu, auch die bereits sichtbare Tatsache, daß Rosalie ohne Heirat Mutterfreuden erwartet.“
„’n Gedanke von Schiller!“ nickte Ernesta und rauschte hinaus. Sie trug nur Seide. Und sie sah stets wie eine frischgebackene Kommerzienrätin aus – so aufgezäumt. –
Im Salon, der sehr groß und sehr überelegant war. saß der Vicomte de la Rocka in tadellosem Gehrock, hielt den Zylinder auf den Schenkel gestützt und betrachtete durch sein Monokel die Gemälde an der Wand, die sämtlich Liebesszenen darstellen, darunter einige, vor denen jede anständige Dame, schon um den Schein zu wahren, rot werden mußte.
Der Vicomte war ein blonder, schlanker Mann: vielleicht dreißig Jahre alt. Der kurze Spitzbart umrahmte ein mageres, rassiges Gesicht. Die leicht gebogene Nase war schmal; die Augen dunkelbraun und träumerisch; das gescheitelte Kopfhaar leicht gewellt, – kurz: die richtige Romanfigur.
Als die Baronin eintrat, machte er ihr eine tadellose Verbeugung, küßte ihr die parfümierte, fettgepolsterte Hand und sagte in leicht gebrochenem Deutsch:
„Gnädigste Baronin, ich habe in der Zeitung Ihre Annonce gelessen. Ich mich beffinde in einnigge Verleggenheit. Ich mechte heiraten eine reiche Mäddchen mit etwa eine Million Mitgift.“
Die Baronin lächelte. „Das möchte mancher, Herr Vicomte.“
„Oh – ich bin aus eine serr alte Familie – serr alte. Hier sein meine Papiere. Alles tadelloß in Ordnung. Ich tu bessitzen eine Schloß in die Normandie, serr scheene Schloß, nur schon serr Ruine –“
Ernesta prüfte die Papiere. – Hm – das war fraglos was für Rosalie Karfunkelstein, bei der es nur darauf ankam, daß die Heirat schleunigst perfekt wurde. Aber eine Million?! Ne – der alte Karfunkelstein wollte nur mit der Hälfte rausrücken. Na – vielleicht war der Vicomte auch dafür zu haben.
Die „gnädige Baronin“ begann also Rosalie in prächtigsten Farben zu schildern.
„Eine durchaus geachtete Familie, Herr Vicomte. Der Vater ist nur ein einziges Mal, unschuldig natürlich, wegen Wuchers und betrügerischen Bankerotts im Gefängnis gewesen. Ganz kurze Zeit. Zwei Jahre. Was will das heißen? – Die Mutter hat leider einen Bruder, der noch jetzt im Zuchthaus sitzt. Dafür ist aber Fräulein Rosaliens Bruder Student und hat sieben Schmisse auf der Backe –“
„Auf welche, gnädigste Baronin?“
„Natürlich Gesichtsbacke, Herr Vicomte. Sie als Franzose verstehen wohl nichts von Mensuren. – Die Schwester Rosalies ist mit einem österreichischen Grafen verheiratet –“
Der Vicomte machte eine kurze Handbewegung.
„Alles serr gleichgiltich, Gnäddigste, – serr! – Die Mitgift?“
„Allerdings nur eine halbe Million, aber später als Erbteil noch eine ganze.“
„Erbteil – hm! – Wie alt ist der Vatter von die Dame? Leidet er an die Verkalkung der Arterien? Ist vorhanden Aussicht auf baldige Erbschaft?“
„Ein Gemütsmensch!“ dachte jetzt sogar die geborene Eierpunsch und erwiderte aus Geschäftsinteresse: „Er hat schon sieben leichte Schlaganfälle gehabt, ist Trinker und außerdem im Vorstand des Fürsorgevereins für außereheliche Kinder, ein Posten, der ihn sehr anstrengt. Seine Frau ist herzleidend und asthmatisch, außerdem morphiumsüchtig und –“
„Geniegt mir. Danke,“ unterbrach der Vicomte sie. „Und die Dame selbst, wo hat sie zu sitzen ihre Feller?“
Ernesta hüstelte. „Oh – sie wird eine sehr bequeme Gattin sein, Herr Vicomte. Sie wird in den Flitterwochen keine Ansprüche stellen. Sie – hat nämlich Pech gehabt.“
„Ah – eine Buckel oder gebrochene Bein, zu kurze Fuß odder dergleichen.“
„Ne, – pardon, – nein, Herr Vicomte. – Rosalie ist äußerlich sogar sehr nett. Nur innerlich –“
„Also eine bißchen verrickt –“
„Jott behüte – keene Spur! – Das Leiden sitzt tiefer.“
„Also taubstumm, Gnäddigste –“
“Noch tiefer. –Sie – sie hatte eine Liebelei mit einem Kinoschauspieler, der verheiratet ist und – die süße Frucht dieser Leidenschaft wird in sechs Monaten reif sein –“
Der Vicomte ließ das Monokel in den Zylinder fallen.
„Wie?! Und bei solche dringliche Verrhältnisse nurr eine halbe Million?! Niemals!“
„Aber – aber die Erbschaft, Herr Vicomte –“
„Richtig –“ Der Vicomte überlegte, erklärte dann: „Ich will ihr erst besichtigen –“
„Gut. Dazu hätten Sie schon heute abend Gelegenheit. – Bevor wir aber hierüber reden, wollen Sie bitte diesen Schein unterschreiben –“
Der Vicomte las, rief dann: „Heilligerr Napoleon – 50 000 Mark Gebühr – nach der Hochzeit in bar! Gnäddigste, das – das –“
„Ist sehr wenig,“ ergänzte Ernesta würdevoll.
Der Vicomte unterschrieb, blieb auch gleich da, lernte Tobias kennen und biederte sich mit ihm schnell an. –
Die Wohnung von „Majors“ bestand aus sieben Zimmern. Außer Babette war noch ein Diener namens Karl und eine Köchen vorhanden. An der Flurtür glänzte ein Schild aus Messing:
Baron v. Glitzbein-Steckenrein,
Major a. D.
Daß hier Ehevermittlung das Gewerbe, verriet dem Unkundigen nichts, – kein Schild an der Haustür, kein Zusatz zu dem Major a. D.
Neben dem Salon lag das Musikzimmer. Weiter reihten sich ein Spiel- und ein Billardzimmer an. Damit waren die Gesellschaftsräume zu Ende.
* * *
Lissi kletterte in das Auto. Schnucki sprang hinterdrein. Madeleine saß schon drin.
Schnucki trug ebenfalls Gesellschaftstoilette: ein hellblauseidenes Deckchen mit aufgenähter Tasche, in der ein rotes Seidentüchlein steckte.
Schnucki sah jetzt anständiger, nicht mehr so ratzekahl aus. – Für seine absolute Haarlosigkeit konnte Schnucki nichts. Er hatte sich die Haare keineswegs wegamüsiert oder etwa in zu kurzen Betten abgescheuert, wie’s die Menschen tun. Nein – er war ein japanischer kahler Hund, also kahl geboren, stammte von kahlen Eltern ab.
Madeleine hatte umsonst versucht, Lissi zu überreden, den eklen Köter daheim zu lassen. Lissi fuhr nie ohne ihren Schnuckimänne aus. Nur ins Theater durfte er nicht mit. Dafür ging er in den Kientopp desto lieber. Seine Schwärmerei waren Aufklärungsfilme. Er lachte sich stets tot dabei. Meist saß ja vorn, hinten oder nebenbei ein Zuschauer oder ein weibliches Wesen, die während der Vorstellung immerzu „Pfui, pfui!“ riefen und doch dablieben und mit gespanntester Aufmerksamkeit nach den Flimmerbildern guckten. – Diese Menschen erschienen Schnucki etwa so wie die Laus‑anna, die doch auch, wenn er das Bein an einem Baum hob, pfui rief und doch für Schnuckis Bauchseite ein so auffälliges anatomisches Interesse zeigte. –
Also – Schnucki fuhr mit zu Barons. Oben im Flur nahm der Diener Karl den Damen die Mäntel ab und meinte dann zu Lissi:
„Gnädiges Fräulein, den Hund muß ich schon ins Badezimmer einsperren. Wir haben Gäste, die Hund absolut nicht vertragen können.“
Lissi sträubte sich. Aber – Schnucki mußte doch schließlich in den dunklen Raum hinein, der gleichzeitig ein W C enthielt und auch einen Waschständer mit parfümierten Seifen darauf.
Schnucki war noch nie in seinem Leben so wütend gewesen wie heute. Die Laus‑anna hatte noch so hämisch gegrinst und ihre Zähne gezeigt! Und – am schlimmsten! – jetzt konnte er Frauchen doch gar nicht schützen vor den Ränken der dürren Madeleine!
Zunächst ging er auf Entdeckungsreisen. Nun – hier war alles genau so eingerichtet, wie in der Helmburgerstraße. Nur geräumiger war’s hier. Und es roch sehr lästig nach Seife. Schnucki liebte keine Parfüms. Am liebsten waren ihm Bäume und Hausecken, wo es noch Spuren der entleerenden Tätigkeit seiner Stammesgenossen zu beschnuppern gab.
Eins versöhnte ihn bald mit diesem Gefängnis: ein Badelaken, das zwischen Wanne und Wand gefallen war und das ein weiches Lager abgab.
Schnucki war bisher nur einmal ein paar Minuten in so einem Badezimmer gewesen. Belauscht hatte er noch niemand darin. Als er nun zusammengerollt auf dem Bademantel lag, fiel ihm ein, daß dieser Raum doch wahrscheinlich sehr bald von den Gästen für kürzere oder längere Zeit abwechselnd in Anspruch genommen werden würde.
Hm – vielleicht wurde das ganz interessant. Und dann – natürlich schlüpfte er bei der ersten Gelegenheit hinaus und hinüber in die Gesellschaftsräume, wo er sich bequem unter ein Sofa verkriechen konnte. –
Nun – lange brauchte Schnucki nicht zu warten. Die Tür ging auf. Röcke rauschten. Das Licht wurde angedreht; die Tür verriegelt
Schnucki hatte von seinem Versteck freien Ausblick nach dem W C.
Aha – das war also die Zofe. Weißes Häubchen, weißes Schürzchen – sehr fesch!
Schnucki grinste. Die hätte ahnen sollen!
Da – es klopfte: poch poch – poch poch – poch poch.
Babette stand schnell auf, drehte das Licht aus, öffnete. Schnucki hörte eine Männerstimme, die etwas näselte:
„Rackerchen, hier hast de zehn Märker. Also – Deine Tür nicht abschließen. Die Olle is ja nach so ’n Jesellschaftsfez immer sternhagelvoll und schläft wie ’n Dutzend Murmeltiere.“
Da – jemand rüttelte an der Tür.
„Besetzt!“ rief der Herr dumpf.
Dann kreischte Babette auf.
„Nich doch, Tobiaschen, Du verknillst mir de Tändelschürze –“
Sie huschte hinaus. Und er folgte, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte.
„Nette Bande!“ dachte Schnucki. „Das muß der Hausherr gewesen sein. – Feiner Baron. Der stammt sicher nicht vom Affen, sondern vom Schwein ab!“
Zehn Minuten Pause.
Dann wieder eine Dame.
Aha – die Laus‑anna! – Na nu?! Die setzte sich nur zum Schein auf den Deckel des W C! Was bedeutete denn das?!
Schnucki ahnte Verwicklungen. Er ahnte richtig.
Es klopfte. – Poch poch poch – poch – poch poch poch!
„Richtige Signale! Hochanständiges Haus dies!“ kopfschüttelte Schnucki.
Die Laus‑anna ließ auch einen Herrn ein. – Aber sie war frech und drehte das Licht gleich wieder an.
Schnucki machte den Hals lang. – Der Herr sah tipp topp aus. Nichts dagegen zu sagen. Nur – die Visage behagte Schnucki nicht. Der Kerl hatte ein Gesicht wie ’n Zigeuner. Und Hände dazu – Hände! Handschuhnummer 14 mindestens.
Die Laus‑anna hatte dem Kerl die Hand gereicht und flüsterte nun:
„Du, Franz, fang’ die Sache bloß geschickt an, vastehst de! Wenn sie ordentlich in Stimmung is, bringst de sie nach Hause. Ich bleib’ hier. Und dann – dann mußt de eben Dein Heil versuchen. Nachher komm’ ich ins Schlafzimmer reinjeplatzt, und dann – is sie eben genügend kompromittiert. Sie wird Dich mit Kußhand nehmen – müssen –“
Franz machte ein etwas bedenkliches Gesicht.
„Wenn’s nur jlückt. Ick finde mir in den Jrafenton noch nich so richtig rin, weeßt de. Außerdem – dieser Viehkomt is hinter ihr her wie ’n Karnickelbock. Und äußerlich macht der mehr –“
„Quatsch – der heiratet doch die gefüllte Taube, die Rosalie. – Du bist ’n oller Angstmeier und Schlappjeh, vielgeliebter Bruder. Hab’ ich Dich deshalb mit den Papieren des Grafen Preszicki und mit ’ne feine Kluft ausgestattet, daß de det Anlagekapital nu in Gefahr bringst?! Mensch, Mut! Du wirst doch noch mit so ’n Schäfchen fertig werden! – Nu zieh’ Leine, Du, – und immer feste ran an die Kleene. Auf Wiedersehen –“
„Jestatte –: Hannemann, jeh’ Du voran, mir kommt noch ’n kleenet Jeschäftchen an!“
Laus‑anna verzog sich also als erste; und bald war Schnucki wieder allein.
Aber in welcher Stimmung befand er sich jetzt! Ah – er durchschaute ja alles! Frauchen sollte diesen Kerl heiraten müssen – müssen! – Oh – diese dreizehnmal verfluchte Laus‑anna! Das war ja eine reguläre Kupplerin wie letztens im Aufklärungsfilm.
Schnucki zermarterte sich sein Hirn. Wie – wie nur konnte er Frauchen warnen – wie nur?! Manches von seiner Sprache verstand sie ja. Aber lange nicht alles. Und hier in diesem Falle hätte er ihr doch einen ausführlichen Vortrag über dieses Kompott – nein Komplott! halten müssen. Zuweilen warf Schnucki die Fremdwörter doch noch durcheinander.
Und jetzt grübelte er, grübelte er mit solcher Anstrengung, daß seine Stirnhaut sich in Falten legte. Dann sah er urkomisch aus, nämlich wütend wie eine Exzellenz, den ein harmloses Gemüt mit „Herr Meier“ anspricht.
Aha – schon wieder ein Anwärter für das W C! Diesmal ein Herr, der ganz wie ein Romanheld ausschaute. – Donnerwetter – ein patenter, hübscher Kerl! Und – jetzt murmelte er so verschiedenes vor sich hin.
Schnucki verstand: „Reizendes Weib! Und dazu der Kerl mit der Gaunervisage! Hier ist irgend was nicht in Ordnung! Na – wir sind ja dazu da, hier mal diesen Augiasstall –“
Dann zog der Herr leider an dem Kettengriff der Spülung. Und brausend und zischend kam das Wasser herabgeschossen und übertönte den Rest des Selbstgesprächs. Mithin klang in Schnuckis spitz gestutzten Ohren immer noch als letztes das Wort Augiasstall nach
Augiasstall! Augiasstall?
Schnucki war ergrimmt auf sein miserables Gedächtnis. Er hatte diesen Ausdruck schon gehört – wiederholt sogar – von Frauchen. Und Frauchen hatte einmal auch zu ihm gesagt:
„Schnucki, –“ und dann war eben was gefolgt, worin dies Augiasstall vorkam.
Aha – endlich, endlich! – Schnucki war ein Licht aufgegangen. Na – Frauchen hatte ihn gescholten, als er noch ganz jung war, und zwar dann, wenn morgens im Zimmer auf dem Teppich oder auf den Dielen nasse Flecken sich zeigten und auch kleine Häufchen, die, wenn sie menschlicher Herkunft und größer sind, vielfach Nachtwächter genannt werden.
Ja und verschiedentlich war dann Frauchens reizenden Lippen der Satz entströmt:
„Pfui, Schnucki, Du hast das Zimmer ja zu einem Augiasstall gemacht. Das war nämlich mal der Kuhstall eines Königs, in dem der Mist den Tieren bis an den Bauch reichte, so daß niemand den Stall reinigen wollte. Da aber tat’s der berühmte Herkules, indem er einfach einen Bach durch das verunreinigte Gebäude leitete. Das Wasser nahm allen Schmutz mit. – So hatte Frauchen den Augiasstall erklärt. –
Hm – ob der „Romanheld“ da, der sich jetzt die Hände wusch, etwa die Wohnung der Plattbein-Stänkerfeins nur deshalb mit jenem berüchtigten Stalle verglich, weil hier doch auch, freilich nur im Badezimmer, das Wasser so allerlei wegspülte, was überflüssig war?! – Nein, sagte Schnucki sich, das kann nicht stimmen. Er muß es auf die Barons in übertragener Bedeutung angewandt haben, das heißt, er hält das feine Ehepaar für moralische Schmutzfinken.
Schade – der „Romanheld“ verließ den Raum bereits, so daß Schnucki nicht noch schnell einen Entschluß fassen konnte, wie er sich wohl mit diesem Herrn, der ihm sehr gefiel, ins Einvernehmen setzen sollte.
Augiasstall! Natürlich! Denn dieses Kompott – ne, Komplott gegen Frauchen war ja nur mit Wissen der Plattbein-Stänkerfeins möglich.
Aha – schon wieder jemand! Herr Gott, war die Dicke kurzatmig! Wie sie stöhnte und keuchte. Und – oh – das wurde spannend! – wieder poch poch – poch – poch poch –, also ein Signal.
Die Dicke öffnete und ließ die Laus‑anna ein.
Schau – schau! Die Laus‑anna.
Sofort legte die Dicke los, nachdem sie wieder Platz genommen und wieder etwas gestöhnt hatte:
„Du, daß Dein jeistig nich jrade hervorragend bejabter Bruder bloß keenen Blödsinn macht! Meechen, det Jeschäft darf nich vermasselt werden! Paß uff ihm jut uff, damit der olle Süffke nich zu ville auf die Lampe jießt. Sonst benimmt er sich nachher valeicht wie ’n besoffner Scharfrichtersknecht. So ’n Blümlein muß mit zarter Hand jeknickt werden, so peuhlapeuh, vastehst de, so wie wir in mein Pensionat in Hamburg immer die Neuen for unsre Zwecke ummodelten –“
„Oh, ich weiß schon! Mir ist’s ja selbst mal so gegangen. Damals hatten Sie mir irgend so ’n Teufelszeug in die Schokolade gegossen, Ernesta. Wär’ das nicht gewesen, so könnt’ ich noch heute anständig sein.“
„Quatsch, Meechen, – Du un anständig! – Aber wozu dies Rumrühren in ollem Kohl. Also – daß Dein Bruder ja den jradezu bleedsinnig Verliebten spielt. Tränen – das zieht meistens – und mit Selbstmord drohen –“
Schnucki fletschte die Zähne. Oh – wenn er gedurft hätte! Bei dieser Dicken – es mußte ja die Plattbein-Stänkerfein sein! –, da gab’s was zu beißen! Die Waden! So was hatte Schnucki noch nie gesehen!
Die Laus‑anna ging wieder. – Und dann bekam Schnucki etwas zu Gesicht – etwas, das ihn an Zauberkünstler und dergleichen denken ließ.
Die Dicke hatte nämlich vor dem Waschtisch in den Mund gefaßt und – all ihre Zähne herausgeholt.
Schnucki sah so zum ersten Mal ein falsches Gebiß.
Und – weil die Dicke jetzt nach einer Bürste hier vergeblich suchte, um all diese Hauer zu reinigen, und da sie ferner das Gebiß auf den Waschtisch legte, die Tür öffnete und leise „Babette – Babette!“, aber mit ganz veränderter Stimme, rief, entwarf Schnucki blitzschnell einen finsteren Racheplan.
Es gelang ihm dann auch wirklich, unbemerkt aus dem Badezimmer zu schlüpfen und in dem Salon unterm Sofa sich zu verbergen.
* * *
Im Musikzimmer saß Lissi am Flügel und sang ein harmloses Lied.
Hinter ihr stand der Graf Rüdiger Preszicki und füllte ihr Sektglas von neuem. Am Instrument lehnte der Herr (Tambour-)Major, dem bereits die Augen verdächtig wässerig waren.
„Bravo, bravo!“ brüllte er jetzt. „Großartig, Gnädigste, – großartig! Die reine Kaviarkursängerin!“
Der Graf zuckte hochmütig die Achseln. „Dieser Witz ist oberfaul, Herr Major, zumal Fräulein Schomburg gar keine Koloraturen gesungen hat. – Trotzdem mein verehrtestes gnädiges Fräulein, – alle Achtung vor Ihrer Stimme! Sie würde für jeden Konzertsaal genügen. Gestatten Sie: Ihr Wohl – dies volle Glas des Weines der Liebe Ihrem holden Munde, dem so göttliche Töne soeben entquollen sind –“
Lissi lachte etwas überlaut. „Sie sind ein gefährlicher Schmeichler, Herr Graf!“ Aber – sie freute sich doch über diese Lobhudeleien und leerte auch ihr Glas abermals.
Sie hatte bereits einen allerliebsten Schwips. Als ihr der Baron nun einen süßen Likör anbot, lehnte sie zunächst ab.
„Nein – nein, – ich bin so gar nicht an solche Getränke gewöhnt.“ – Aber schließlich schwatzte ihr Tobias den Likör doch auf.
In einer gemütlichen Ecke dicht dabei saßen Rosalie Karfunkelstein und der Vicomte de la Rocka.
Rosalie trug ein Kleid, das all ihre oberen Reize nicht nur ahnen, sondern auch sehen ließ, wenn sie sich etwas vorbeugte. Sie war alles in allem nicht übel, hatte sogar sehr schöne Augen. Nur – sie war so gar nicht in Stimmung, gar nicht. Dieser Vicomte zeigte ihr deutlich, daß er nicht derjenige sein wolle, der die süße Liebesfrucht als sein eigen durch eine Heirat anerkennen wolle.
Und – er gefiel Rosalie auch nicht! Nein – solche Männer, die so kühl-vornehm waren, behagten ihr nicht. Sie war an ein anderes Tönchen gewöhnt. Bei Karfunkelsteins ging’s zwanglos her. Da erzählte der Sigi Abrahamsohn ganz offen, daß er seine Susi (Tänzerin am Metropol) rausgeschmissen habe, weil sie mit ’m kleinen Leutnant noch nebenbei techtelmechtelte. – Ja, das war der moderne Ton in Berlin W. Aber – hier dieser französische Vicomte. So ein prüder Grasaffe! Der schaute ja nie hin, wenn sie die Aussicht freigab. Und – bei ihr war doch was zu sehen! Immer schielte dieser Mensch nur nach dem Weibe dort hinüber, mit der der Graf Preszicki sich unterhielt. – Netter Graf! Oh – Rosalie war schlau. Diesen Grafen hatte die Glitzbein erst ihr andrehen wollen! Na – da war sie bei ihr schön angekommen. Ne – diese Sorte von Grafen kannte Rosalie zur Genüge! Bei denen stand immer der Staatsanwalt schon zugriffbereit im Hintergrunde.
Rosalie erhob sich und ging auf Tobias zu, der im Salon Raum zum Tanzen schaffen ließ.
„Mit dem Vicomte wird’s nichts,“ meinte sie leise.
„So?! – Na – dann haben wir nur noch einen Bürgerlichen auf Lager. Meine Frau hat mir schon Bescheid gesagt. Der dort ist’s – ein Herr Erwin Hitzig –“
„Um Gottes willen – nur kein Itzig!“ fuhr Rosalie auf.
„Hitzig – Hitzig, nicht Itzig, nachweislich Christ seit der Geburt, seines Zeichens Assessor bei der Staatsanwaltschaft, Korpsstudent gewesen, elf Schmisse, etwa 50 000 Milli Schulden. – Tadellose Erscheinung, wie Sie sehen. Ein Onkel von ihm ist Ministerialdirektor, also Konnexionen, – Konnexionen, prima – prima! Soll ich den Hitzig mal ’n bißchen scharf machen?“
Hitzig wurde scharf gemacht. Die halbe Million genügte ihm. Rosalie war selig. Denn dieser Assessor fand sofort das richtige Tönchen. Nachdem er mit Rosalie in einem lauschigen Winkel eine Buddel Knallkümmel geleert hatte und dabei bereits zu zärtlichen Händedrücken und recht eindeutigen Witzen übergegangen war, schlug er ihr vor, die Wohnung genauer zu besichtigen. Er war hier gut bekannt, und so führte er Rosalie bis in das Glitzbeinsche eheliche Schlafgemach, setzte sich auf den Diwan am Fußende der Betten und zog Rosalie kurzer Hand beim trauten Schein der rosa Ampel und – bei verschlossener Tür auf den Schoß.
„Liebes Kind,“ begann er dann. „Wir beide wollen uns keinen blauen Dunst vormachen. Ich liebe die Offenheit nicht nur oben bei Damenkleidern. Also: ich weiß, Sie sind gezwungen, schleunigst zu heiraten. Ich wieder habe Schulden, die genügen, mir die Karriere zu verderben. Außerdem muß ich auch reich heiraten, weil ich stets gut gelebt habe und in einem sogenannten bescheidenem Haushalte einfach verrecken würde vor Sehnsucht nach Luxus. – Ich bin kein schlechter Kerl, liebes Kind. Wenn ich Sie zu meiner Frau mache, werde ich Sie anständig behandeln. Das ist bei mir selbstverständlich. Vielleicht werden wir beide in dieser Ehe sogar noch ganz glücklich. Das wird auf Sie ankommen. Ich heiße nicht umsonst Hitzig. Frauen haben in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Also: wenn Sie es verstehen, mich zu fesseln, werde ich Ihnen sogar vielleicht treu sein. Eine Bedingung stelle ich: Wenn die Hochzeit vorbei, lösen wir so langsam die Beziehungen zu den Ihrigen. In ein Karfunkelstein-Milieu passe ich nicht hinein. – So, Kind, nun wissen Sie Bescheid.“
Er drückte sie sanft an sich. Und Rosalie überlegte nicht lange. Diese Offenheit sagte ihr zu. Sie fühlte: das war ein anständiger Kerl.
Und sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn.
Er küßte wieder und dachte: „Welch weiche Lippen. Und – Temperament ist auch da!“
Rosalie hatte ebenfalls genügend Sekt getrunken. Sie war jung, gesund, und in ihren Adern floß das heiße Blut des Sonnenlandes Palästina.
Er wurde sehr hitzig, dieser erste Austausch der Verlobungszärtlichkeiten. Erwin machte seinem Namen alle Ehre, und Rosalie schwamm in Wonnen, die eigentlich einer späteren Nacht hätten vorbehalten werden müssen.
Plötzlich rüttelte jemand am Türschloß.
Das liebende Paar trennte sich. Rosalie flüchtete hinter den Kleiderschrank, und der Assessor öffnete.
Vor ihm stand die Baronin, hielt sich schnell die Hand vor den jetzt zahnlosen Mund und gurgelte hervor:
„Was – was tun Sie hier, Herr Assessor?“
„Oh – ich habe mich soeben nach eingehender Aussprache mit Fräulein Karfunkelstein, auch nach tieferem Eindringen in ihre Eigenart, verlobt –“
Die Baronin gratulierte. Auch Rosalie wagte sich hervor. Dann deutete die Glitzbein mit zusammengepreßten Lippen auf den Diwan, auf dessen Kissen der Haarpfeil Rosaliens lag, lächelte schalkhaft (wenigstens sollte es so aussehen) und drohte den beiden mit dem Finger.
Das Paar enteilte. Gleich darauf schoß Tobias zur Tür herein.
„Du, die Babette hat mir’s eben gemeldet, – Dein Gebiß –“
„Ja – is weg – futsch!“ brummte sie ärgerlich. „Spurlos aus dem Badezimmer verschwunden – spurlos! Was tu’ ich nur? Ohne Zähne kann ich mich nicht zeigen –“
„Hm – vielleicht ist’s Dir ins W C gefallen? Es saß ja überhaupt so lose –“
„Quatsch! Ich häng’ doch nich den Kopp ins W C hinein! – Ne – es muß einer aus Schabernack gemaust haben. Aber wer nur?! Ich war doch nur nach ner Bürste wenige Sekunden hier ins Schlafzimmer gelaufen. – Na – jedenfalls entschuldige mich zunächst bei den Gästen durch Kopfschmerzen. Babette sucht noch im Badezimmer.“
„Oh – ich werde ihr helfen –“
„Ne, Du alter Unterrockjäger. Ich kenn’ meine Pappenheimer. Det wär ’n feinet Suchen! – Noch eins. Laß man jleich den Assessor den Schein unterschreiben. Er hat die Sache mit der Rosalie hier perfekt gemacht –“
Tobias ging. – Das Gebiß fand auch er nicht. Denn als fürsorglicher Ehemann leistete er Babette doch noch ein paar Minuten Gesellschaft im Badezimmer.
Inzwischen hatte im Salon das Grammophon den ersten Walzer heruntergekratzt. Der Vicomte hatte mit Lissi getanzt. – Oh – und wie tanzte er! Ganz anders als der Graf, der sie so derb an sich gepreßt hatte.
Überhaupt: dieser Vicomte! – Lissi hatte noch keinen Mann gesehen, der so vollkommen den Idealgestalten ihrer Romane glich, – dieser Romane mit den zwanzig Kapiteln Ehehindernisse.
Ach – sie hätte dauernd mit ihm walzen mögen.
Sie hatte vorhin noch einen Likör getrunken, und jetzt raste das Blut wie Feuer durch ihre Adern.
Der Vicomte führte sie an ihren Platz zurück. Sie lachte ihn an, hielt seine Hand fest.
„Setzen Sie sich doch zu mir,“ bat sie.
Da kam schon der Graf Preszicki herbei. – Der Vicomte verbeugte sich, sagte leise: „Nachher!“
Lissi hörte erst kaum hin, als der Graf von seinen Gütern, seinen Schlössern, seinem Vetter, dem Herzog, (dieser „Herzog“ war das einzige wahre Wort bei alledem, nämlich Max Herzog, Produktenhändler, Berlin N., Borsigstraße!)[2] und anderem zu erzählen begann. Er hatte Phantasie, und er log mit Geschick. Vor Lissis Augen tauchten Szenen aus ihren vielgeliebten Romanen auf: Hoffestlichkeiten, Ordenssterne an Kavalierbrüsten, bunte Uniformen.
Sie lauschte jetzt voller Andacht. Und dicht dabei unter dem Brokatsofa lag Schnucki lang auf dem Bauch, hielt zwischen den Vorderbeinen das gestohlene Gebiß und lauschte auch, dachte aber:
„Dieser elende Schwindler! Was dieser Halunke sich nur alles aus den Pfoten saugt! Und Frauchen scheint ganz hin zu sein! – Wenn ich dem Kerl doch nur einen Streich spielen könnte! Aber wie – was? Ihn in die Wade beißen? – Nein – dann schmeißt man mich raus! – Halt, ein Gedanke von Schiller: ich werde ihm –“
Und es gelang auch. Schnucki war außerordentlich geschickt dabei. Der eine Rockschoß, gerade der, in dem die Tasche sich befand, hing herunter. Und die Tasche war so leicht zu öffnen, wenn man die Schnauze vorsichtig hineinschob.
Wieder kratzte das Grammophon einen Walzer. Und wieder kam der Roman-Vicomte, holte Lissi und tanzte mit ihr ganz langsam, so recht mit Gefühl, summte ihr den Text ins Ohr, und – Lissi stutzte plötzlich.
Was hatte er da soeben gesungen? – Ah – nun wiederholte sich die Stelle:
Komm’ herbei, o du lauschige Nacht,
Hast uns beide so glücklich gemacht,
Nur vor einem, da nimm Dich in acht,
Der hat sich den Adel alleine erdacht.
Lissi bog den Kopf zurück, lächelte den Vicomte an.
„Eifersüchtig?“ – Nur der Sekt trieb diese kurze Frage über ihre Lippen.
„Vielleicht !“ Und sie spürte den leisen Druck seiner Hand.
Dann dachte sie: Ein französischer Vicomte?! Ach – in Frankreich gilt der Adel gar nicht. Aber in Österreich, wo der Graf daheim, – dort in Wien die Hofburgbälle. Dort könntest Du eine Rolle spielen, glänzen.
Und weil ihr wirklich ein wenig schwindelig war, sagte sie etwas kühl: „Ich danke.“
Er reichte ihr den Arm, verneigte sich dann. Und Graf Preszicki erzählte wieder von seinem Vetter, dem Herzog (aus der Borsigstraße) und dessen erlauchter Gattin, einer Königstochter (ihr Vater war der Schuhmacher König, Invalidenstraße) und von so viel Schönem und Lockendem, daß Lissi die leise Abneigung gegen seine wässerigen, kalten Fischaugen überwand, abermals Sekt und Likör trank und dann – merkte, wie der Salon zuweilen zum Karussell wurde und in ihrem Kopf Gedanken auftauchten, die der Gegenwart weit vorauseilten, – wenn die Hochzeitsfeier vorüber und sie als Frau Gräfin in das wappengeschmückte Bett sich legte und wartete – wartete.
Da erschien der Herr Major im Salon, erklärte, die lieben Gäste sollten sich nicht stören lassen; seine Frau habe nur ein wenig Kopfschmerzen, würde sofort wieder an der allgemeinen Fröhlichkeit teilnehmen.
Er hatte mit der allgemeinen Fröhlichkeit recht. Hier bei Glitzbein-Steckenreins waren Verlobungen noch leichter als auf einem Maskenball – bei dem Sektverbrauch! Diese Ehen wurden nicht im Himmel, aber im seligen Dusel des Alkohols geschlossen. –
Lissi verlangte Eislimonade. Ihr Gesicht glühte.
Ihr Herz flog. – Der Graf eilte davon. Und im Flur schüttete er in die Limonade ein Pulver, grinste dabei.
Gleich darauf behauptete er, Lissi sehe so angegriffen aus.
„Sie müssen heim, Gnädigste. Ich bringe Sie gern nach Hause. Ihre Gesellschaftsdame scheint sich so gut zu amüsieren. Stören wir sie nicht –“
Er preßte Lissis Finger in seiner feuchtkalten Hand.
Aber Lissi war jetzt so weit, – war berauscht, liebestoll, kaum eines klaren Gedankens mehr fähig.
In aller Stille schlichen sie in den Flur.
Plötzlich erinnerte Lissi sich an Schnucki.
Aber – da sprang er schon an ihr hoch, winselte leise und – triumphierend!
So recht triumphierend! Gerade zur rechten Zeit war ihm noch eingefallen, sich einen Verbündeten zu werben. –
Der Graf hatte Lissi untergehakt. Schnucki trottete hinterdrein, dachte:
„Du wirst Dich wundern, Du elender Verführer!“
Dann bestieg man ein Auto. Als der Graf sich in die Polster sinken ließ, fuhr er hoch, tastete mit der Hand nach hinten.
Ein Fluch war ihm entschlüpft. Aber Lissi fragte schon mit süßem, sehnsüchtigem Stimmchen:
„Lieber Graf, haben Sie Hexenschuß?“
Da wurde er schnell zärtlich, kniete in dem geschlossenen Auto neben ihr, hatte ihre Hände erfaßt, stammelte etwas von heißer Liebe auf den ersten Blick, nie vergessen können – liebe kleine Frau Gräfin werden.
Lissi dachte gar nichts mehr. Eine seltsame, wohlige Müdigkeit schien ihre Glieder schwer zu machen.
Der Graf umarmte sie, reckte den Hals lang, wollte den taufrischen Mund küssen.
Aber Schnucki hatte aufgepaßt. Urplötzlich stieß er ein so gellendes Heulen aus, daß nicht nur der Graf zurückprallte, sondern auch Lissi entsetz ihr scheinbar schwer krankes Schnuckimännchen auf den Schoß nahm und der Chauffeur anhielt, abstieg, die Tür öffnete und den Grafen anbrüllte:
„Sie, man hier keene so ’ne Jeschichten in meenen Wagen – vastehn Sie! Det is hier keen Brautbett, Sie!“
Dann fuhr er weiter. Und es kostete den Grafen viele Worte und Händedrücke, ehe Lissi ihren Schnucki auf den anderen Sitz hob und wieder in den Zustand träumerischer Sehnsucht hinüberglitt.
Und abermals versuchte der Graf, Lissi den Verlobungskuß zu rauben.
Und abermals jaulte Schnucki los, daß es klang als würde ein Schwein abgestochen.
Und abermals sprang der Chauffeur ab, riß die Tür auf, rief:
„Raus – raus, sofort! Sie oller Lustgreis sollten det Meechen lieber in Ruhe lassen. Sie hören doch: Se will nich!“
„Aber – lieber Mann, det war ja doch bloß der lausige Köter da!“ fiel der Graf jählings aus der Rolle. „Ick mecht’ dem Aas am liebsten –“
Lissi hielt das alles für Scherz, lachte, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen und daß sie Mühe hatte, nicht noch mehr Wasserperlchen zu verlieren.
Aber der Chauffeur war unerbittlich.
„Ick weeß doch Bescheid, Sie! Der Hund soll so gekreischt haben! Blödsinn. – Raus – und bezahlen!“
Zum Glück war man bereits in der Bavariastraße und hatte nur noch wenige Schritte zu gehen.
Der Graf hakte Lissi zärtlich unter.
„Du meine Sonne, Du mein Glücksstern, Du Zierde meines alten Geschlechts, – Du meine Braut, bald mein süßes Weib. Oh, hab’ Erbarmen, laß mich noch ein paar Minuten oben in Deinem trauten Heim Deine süße Gegenwart genießen –“
So flehte er. Und – nicht umsonst. Lissi wußte ja: in der Wohnung war nur noch ihre Zofe, die braune Kissa, anwesend, und die kleine Malaiin schlief stets wie ein Bär im Winterbett – war nicht wach zu bekommen.
Schnucki fand es von Frauchen empörend, daß sie diesen Kerl mit in den Salon nahm, – diesen Kerl, der vorhin heimlich mit dem Spazierstock nach ihm geschlagen und gemurmelt hatte:
„Wart, Aas, morjen verkoof ick Dir an ’ne Serwehlaatwurstfabrik –“
Diese Drohung hatte Schnucki immerhin vorsichtig gemacht. Für Wurst schwärmte er, aber – selbst in die Wurst, – ne, der Gedanke war scheußlich.
Er kroch also im Salon unter den Diwan und rührte sich nicht, lugte aber unter der Decke hervor und paßte wieder sehr genau auf alles auf.
Der Graf nahm Frauchen den Spitzenschal vom Kopf, half ihr aus dem Mantel und warf diese Sachen achtlos auf den Teppich, um sofort einen neuen Kniefall vor Lissi machen und abermals mit Worten, deren blumenreiche Sprache stark nach dem „Briefsteller für Liebende“ duftete, um ihre Hand anhalten zu können.
Lissi aber verspürte gerade jetzt wenig Neigung, sich auf eine Liebesszene einzulassen. Ihr war mit einem Male so sterbenselend zu Mute. Ihr würgte etwas in der Kehle. Und kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, auf die zitternden Hände. Ganz bleich war sie geworden.
Er aber deutete diese Blässe als den höchsten Grad aufflammender Sinnenglut, sprang auf die Füße, zog sie nach dem Diwan hin.
* * *
Der Vicomte hatte das Paar sorgfältig weiter beobachtet. Als der Baron Lissi schon wieder einen Likör aufdrängte, dachte er: „Kein Zweifel – hier soll genau dieselbe Lumperei stattfinden wie mit der Waise des Geheimrats Rogalla. Erst Sektrausch, dann Verführung, dann Heirat –“
Das Paar stand auf. – „Aha – der zweite Teil des Programms – Heimfahrt,“ sagte sich der Vicomte de la Rocka.
Plötzlich fühlte er, wie etwas unten an seiner Hose zupfte.
Es war ein Hund, ein japanischer nackter Hund mit blauem Seidendeckchen.
Schnucki zupfte wieder, lief nach der Tür, zupfte abermals, schaute den Vicomte bittend an, lief wieder der Tür zu, kehrte zurück.
„Ich verstehe,“ nickte der Vicomte und streichelte ihn. „Ich weiß – es ist Dein Frauchen, die in Gefahr schwebt. Keine Sorge, kleiner Japs, – ich werde schon zur rechten Zeit eingreifen –“
So gewann Schnucki einen Verbündeten. –
Der Vicomte folgte dem Auto des Grafen in einem zweiten. Nachher in der Bavariastraße flüsterte er dem Chauffeur etwas zu. Dieser faßte an die Mütze: „Soll erledigt werden,“ und jagte davon, kehrte in fünf Minuten mit einem anderen Herrn zurück und setzte diesen vor Lissis Haus ab.
Dort hatte der Vicomte inzwischen den Hauswart herausgeklingelt. So kam es, daß der Vicomte und der zweite Herr die Treppen emporstiegen, vor Lissis Flurtür halt machten und diese mit Hilfe eines Nachschlüssels ganz leise öffneten. –
Der Graf zog die bleiche Lissi nach dem Diwan hin. Sie widerstrebte nicht.
Ihr war ja so schlecht, so übel – so übel! All der Sekt, die Liköre, all das war zu viel für einen zartbesaiteten Damenmagen, der sich derartige Alkoholüberschwemmung einfach nicht mehr gefallen ließ.
Der Graf setzte sich, suchte Lissi auf den Schoß zu nehmen.
Aber – ganz plötzlich schnellte er hoch, fuhr mit der Hand nach hinten – fluchte:
„Deibel noch eins, wat hab’ ick da nur in die Tasche! Das drückt sich ja ins Sitzfleisch ein wie zackiger Stein.“
Er griff zu, holte – das Gebiß hervor, das bereits halb durchgebrochen war.
„Nanu – ’ne künstliche Kaumaschine?! Wie kommt die –“
Er hatte Lissi losgelassen. Die drückte nun mit einem Male das Taschentuch fest auf den Mund und rannte in ihr Schlafzimmer.
Der Graf schleuderte Ernesta von Glitzbein-Steckenreins Gebiß auf den Boden, wollte hinter Lissi drein.
Wie ein Blitz schoß Schnucki ihm da zwischen die Beine. Der Graf stolperte, schlug lang hin.
Eine ganze Flut von Kernflüchen entströmte seinen Lippen. Im Nu war er wieder hoch, ergriff seinen schweren Spazierstock.
„Aas, Biest, – mach’ Dein Testament!“ zischte er und tat einen furchtbaren Hieb nach Schnucki, der sich schützend vor die Schlafzimmertür gestellt hatte.
Schnucki schlüpfte runter den Diwan. Der Graf kroch ihm nach. Als er gerade mit dem Oberkörper unter dem Ruhesofa lag, als er den Stock hier nicht benutzen konnte, als er im Dunkeln auch nichts sah, da – ein Satz – ein Biß – und Schnucki hatte ihm beinahe die Nasenspitze abgezwackt.
Der Graf brüllte vor Schmerz, hörte aber sofort wieder auf. Kräftige Arme zerrten ihn hervor unter dem Diwan.
Vor ihm standen der Vicomte und der andere Herr.
Der Vicomte winkte. Und blitzschnell umschlossen zierliche Stahlfesseln des Herrn Grafen Handgelenke.
Wieder winkte der Vicomte.
Und der andere Herr nahm den Grafen am Kragen und führte ihn davon. Der Besitzer so vieler Schlösser sträubte sich nicht. Er wußte: die Jeschichte war total vermasselt. –
Der Vicomte schaute sich im Salon um. Da kam Schnucki schweifwedelnd hervor, richtete sich an seinem Verbündeten hoch und bellte vor Freude.
„Braver Hund,“ lobte der Vicomte und streichelte ihn. „Bist ein kluges Tier. – Jetzt wollen wir aber mal sehen, wie’s Frauchen geht. Ich fürchte – nicht gut.“
Er klopfte leise. Aus dem Schlafzimmer keine Antwort.
Er klopfte stärker. – Wieder nichts.
Und Schnucki kratzte nun gleichfalls an der Tür, winselte.
Der Vicomte überlegte. „Wenn sie ohnmächtig geworden ist. Ihr kann weiß Gott was passiert sein. – Ich kann’s vor meinem Gewissen verantworten: Ich sehe nach!“
Er klinkte die Tür auf. Dunkelheit. Er fand bald den Lichtschalter. Die Deckenlampe flammte auf.
Staunend überflogen des Vicomte Blicke die kostbare Einrichtung. Aber – dann – ein anderes Bild!
Vor dem Frisiertisch auf dem Fell eines braunen Bären lag Lissi regungslos.
Der Vicomte erkannte, was vorgefallen. – Schade – das schöne Bärenfell! Das mußte gründlich gereinigt werden. – Nun – schlimm war Lissis Krankheit gerade nicht. Oh nein! Der Vicomte hatte diesen Zustand ja selbst des öfteren kennengelernt.
Schnucki schlackerte die Ohren. „Pfui Teufel!“ dachte er, „der reine Augiasstall!“ Dann packte ihn aber das Mitleid mit Frauchen. Er begann zu winseln. – Der Vicomte klopfte ihm beruhigend den Rücken. „Wir werden Frauchen schon wieder gesund machen, kleiner nackter Kerl.“
Dann hob er Lissi auf und legte sie aufs Bett. Sie schlug die Augen auf, stöhnte:
„Ich – werde – sterben. Mir ist so schlecht!“
Ihr kam gar nicht zum Bewußtsein, daß der Vicomte neben ihrem Lager stand. Ihr war auch alles so gleichgültig. Ihr war nur übel – so entsetzlich übel. Und immer wieder begann sich das Bett mit ihr wie ein Kreisel zu drehen. Dann riß sie stets die Augen weit auf, glaubte, es sei schon das Ende, das Sterben.
Der Vicomte spielte mit Geschick und rührender Sorgfalt den Samariter. Des öfteren mußte er, auf dem Bettrand sitzend, Lissi den Kopf halten, wenn der gefolterte Magen rebellisch wurde und auch den letzten Rest Alkohol loszuwerden suchte.
Inzwischen hatte er Lissi auch allmählich entkleidet. Er tat’s sozusagen mit geschlossenen Augen. Himmel! Sie war ja selbst in diesem Zustand ein so entzückendes Wesen. Doch – vermeiden ließ es sich nicht, daß er so allerlei sah, was er sonst nicht gesehen hätte. Er lockerte ihr nun auch das Mieder, zog ihr die Lackschuhe aus.
Weiter sie zu entkleiden – nein, das wäre ihm wie eine schamlose Ausnutzung dieser seltsamen Situation vorgekommen! –
Sie war eingeschlafen. Er wollte jetzt ihre Zofe wecken. Sie hatte ja fraglos auch eine Bedienung außer der Gesellschaftsdame.
Er fand auch die Tür des Mädchenzimmers. Aber die braune Malaiin, die erst mit einer weit späteren Heimkehr ihrer Herrin gerechnet hatte, war mit dem Sohne des Hauswarts nach einem Balllokal gegangen und noch nicht zurück.
Der Vicomte mußte also notgedrungen sich Lissis noch weiter annehmen. Leise schlich er in das Schlafzimmer zurück. Sie lag da, atmete unruhig, warf sich hin und her. Sie träumte. Aber nicht von dem Grafen, nein, – nur von dem schönen Vicomte träumte sie.
– Daß er auf ihrem Bettrand saß, daß er ihre rechte Hand in der seinen hielt.
Und da gingen die Traumbilder allmählich in die Wirklichkeit über. Lissi blinzelte durch die halb geöffneten Lider, sah ihn, sah, daß er sich tief über sie beugte. Und sie hörte seine angenehme Stimme, – jetzt in tadellosem Deutsch:
„Fühlen Sie sich etwas besser?“
Da – mit einem Schlage besann sie sich auf alles. Er – er hatte all dies miterlebt, hatte ihr beigestanden, hatte ihr den Kopf gehalten, wenn – der Spüleimer dicht vor dem Bett mitleidig aufnahm, was dem Magen zu lästig, – er hatte ihr das Kleid abgestreift, das Mieder aufgehakt, den seidenen Unterrock herabgezogen, die seidenen Höschen gelockert.
Oh – sie schämte sich plötzlich so furchtbar, begann zu weinen, verbarg den Kopf in den Kissen, schluchzt:
„Gehen Sie. – Gehen Sie! Ich – ich danke Ihnen. Ach – ich – ich bin – ja be … trunken gewesen. Niemandem kann ich mehr ins Gesicht sehen.“
Er erhob sich. „Darf ich mich morgen nach Ihrem Befinden erkundigen?“ bat er leise.
„Nein – nein! Ich schäme mich. Ich will Sie nicht mehr sehen –“
Er lächelte. Morgen würde sie milder über sich denken.
„Gute Nacht, Fräulein Lissi –“
Er wollte gerade die Tür nach dem Salon hinter sich ins Schloß drücken, als sie kläglich rief: „Oh – oh – mir – ist – schon wieder so schlecht. Bleiben Sie – bei – mir –“
Nun – es war dies aber auch das letzte Mal, daß er ihr den Kopf halten mußte. Dann ging er in die Küche, setzte Wasser zu Tee auf, beseitigte im Schlafzimmer alle Spuren des Augiasstalles mit dem Scheuertuch, wusch sich die Hände, brachte Lissi ein Täßchen Tee, brachte ihr ein paar Keks, zwang sie halb zum Essen und saß wieder auf dem Bettrand, streichelte ihre Hand, redete ihr liebreich zu, mischte ihr wiederholt Mundwasser in einem Glase, bediente sie in jeder Beziehung, und all das mit so viel Zartgefühl und heiterer Vertraulichkeit, daß Lissi bald recht vergnügt wurde, zumal das Migränepulver und das Weinglas voll warmen Rotweins, das er ihr zulegt als Medizin verschrieben, geradezu Wunder gewirkt hatte.
Lissi hatte sich unter der Steppdecke jetzt auch des Mieders, der Höschen und der Seidenstrümpfe entledigt, lag nun bis zum Halse zugedeckt da und beobachtete ihn, wie er ihr Kleid in den Schrank hing, die Schuhe wegstellte und das Teegeschirr in den Salon trug. Nun kam er und blieb dicht am Kopfende ihres Lagers stehen, meinte:
„Versuchen Sie jetzt zu schlafen, Fräulein Lissi. Es ist zwei Uhr morgens. Vorhin kam auch Ihre Zofe heim, schlich in ihr Stübchen. Soll ich sie herbeirufen? – Ich möchte mich verabschieden.“
Lissi schaute ihn forschend an. Ihre Gedanken waren jetzt wieder ganz klar.
„Wer sind Sie eigentlich? – Wirklich ein französischer Vicomte? – Ach, setzen Sie sich doch wieder zu mir. Mir wird schon wieder etwas schlecht –“ Aber sie wurde bei dieser kleinen Lüge doch blutrot.
Er gehorchte. – Lissi hatte jetzt auch ihre nackten Arme unter die Steppdecke gezogen. Sie hatte ja nur ihr Taghemd an, und das bestand oben nur aus zwei schmalen Achselträgern aus Spitzen.
„Ich bin kein Vicomte, Fräulein Lissi,“ begann er. „Ich bin bis vor kurzem Offizier gewesen, deutscher Offizier. Ich heiße sehr schlicht Edgar Meier mit ei. Seit sechs Wochen arbeite ich mich hier bei der Berliner Kriminalpolizei ein. Ich will Kommissar werden. Ich hatte mich mit meinen Vorgesetzten beim Militär überworfen. Der ganze Beruf sagte mir nicht zu. – Ich bin also als Beauftragter der Polizei zu der angeblichen Baronin Glitzbein geschickt worden. Diese ist gewerbsmäßige Heiratsvermittlerin. Aber – sie hat bereits des öfteren reiche, alleinstehende junge Mädchen an Bewerber von höchst fragwürdigen Charakter auf die Weise verkuppelt, daß sie die Mädchen bei sich – betrunken machte und der Bewerber dann – Nun, Sie haben ja selbst erlebt, wie dieser – Graf, der nebenbei ein Bruder Ihrer Gesellschafterin ist, Sie heimbegleitete und –“
Lissi zog schnell die Steppdecke über den Kopf. Ihre Tränen flossen. Und unter der Steppdecke hervor rief sie nun:
„Oh – wie soll ich Ihnen nur danken! Sie – haben mich vor diesem Scheusal gerettet –“
„Sie irren, Fräulein Lissi. Das tat Schnucki, der dort jetzt so fest und wie ein Igel zusammengerollt auf dem Bärenfell schläft.“
„Schnucki – Schnuckimänne!“ Lissis Kopf tauchte wieder auf. – Aber Schnucki hörte nicht. Er schlief den Schlaf des Siegers; er hatte Frauchen vor dem Kerl mit den wässerigen Fischaugen beschützt, und er träumte jetzt nochmals alles das in recht komischen Bildern, was er bei Barons im Badezimmer erlebt hatte.
Lissi streckte Edgar die Hand hin. Aber so, daß der Arm unter der Decke blieb.
„Sie – Sie sind ein so lieber Mensch,“ sagte sie, und ihre Augen wurden wieder feucht. „Also – der Graf ist ein Bruder der Mademoiselle Madeleine Griglaux. – Ach – und sie hat doch so gute Zeugnisse, die Griglaux –“
„– gestohlen!“ ergänzte er. „Sie heißt in Wahrheit Josefine Knitschke, ist eine waschechte Berlinerin und seit langem Hochstaplerin. Jetzt sitzt sie bereits genau so hinter Schloß und Riegel wie das Ehepaar Glitzbein-Steckenrein.“
Lissi merkte immer mehr, wovor der reizende „Vicomte“ [sie][3] bewahrt hatte. Ihre Augen leuchteten ihm jetzt mit warmer Zärtlichkeit entgegen. Sie wollte ihm zeigen, daß sie ihn nie vergessen würde – ihn, ihren Romanhelden, der dies ja auch als „Meier“ blieb. Ihre Hand wagte sich weiter hervor. Und – plötzlich warf sie die Decke halb von sich, schlang ihm die Arme um den Hals, legte ihr Köpfchen an seine Brust und flüsterte:
„Sie – Sie sollen nicht mehr von mir gehen. Ach – ich bin ja jetzt so einsam hier in Berlin. Und –“
Er drückte ihren Kopf etwas zurück, küßte sie.
„Süße kleine Lissi, – ob wir zwei es nicht für’s ganze Leben mit einander versuchen? – Lissi – willst Du mein liebes Frauchen werden?“
Da – mit einem Satz war Schnucki plötzlich auf dem Bett, machte: Wau – wau! wedelte mit dem kahlen Rattenschwanz und tanzte förmlich vor Freude.
Und Lissi lachte und weinte:
„Oh – der Schnucki hat ja schon Ja Ja gesagt“ Und nun küßte sie den falschen Vicomte, der unter all den stürmischen Zärtlichkeiten seiner Lissi immer weniger ernsthaft ans Weggehen dachte. Als ihm dann schließlich doch so seltsam frühlingsmäßig zumute wurde und er zögernd meinte. „Liebling, jetzt muß ich aber wirklich für heute Abschied nehmen,“ da sank Lissi mit einem jämmerlichen Stöhnen in die Kissen zurück: „Ach, Edgar, mir ist wieder so furchtbar schlecht –“
Da sah er ein, daß in Lissichens Köpfchen ein ganz besonders geartetes Tierchen rumrumorte, das oft die merkwürdigsten Wünsche in uns weckt oder aber ins ungemessene steigert, Wünsche nach einem Salzhering, nach einer Eiskompresse um die Schläfen oder – nach Liebe. Dieses Tierchen war nicht etwa Schnucki. Oh nein. Es war der weit berühmtere – Kater!
Schnucki lag jetzt zu Fußenden des Bettes auf der Steppdecke, wieder wie ein Igel. Und schlaftrunken nahm er wahr, daß sein Verbündeter nun das Licht ausschaltete.
Da wurde es ihm doch zu toll. Er sprang herab und legte sich auf das Bärenfell.
Und das letzte, was der nackte Schnucki aus Frauchens Munde hörte, bevor er wieder einschlief, waren die leise gehauchten Worte:
„Ach – Du – Du, wie lieb hab’ ich Dich!“
Schnucki lächelte selig.
Das konnte sich doch nur auf ihn beziehen, dachte er.
Und dann träumte er abermals davon, wie er dem Grafen das Gebiß in die Rocktasche geschoben hatte. –
Morgens lockte Frauchen ihn in ihr Bett, erzählte ihm: „Du, Schnuckimänne, nun wird sehr bald Hochzeitsfeier sein – sehr bald, – mit dem süßen Edgar, der erst vor anderthalb Stunden mich ganz gesund gepflegt hat und dann weggegangen ist. Dann bekommst Du eine Leberwurst – so lang!“
Und sie fuhr an ihren nackten linken Arm hinunter mit dem rechten Zeigefinger.
Schnucki machte wau wau. Das hieß: einverstanden mit Länge und Dicke. –
Der nackte Schnucki lebte noch viele, viele Jahre herrlich und in Freuden. Und wenn er inzwischen nicht an Fettleibigkeit eingegangen ist, lebt er vielleicht noch heute – der nackte, kluge Schnucki.
Ende!
Verlagswerbung:
Intimes
Skizzen aus dem Leben
Bisher sind folgende Bände erschienen resp.
befinden sich in Vorbereitung.
1. August Summers Ehe
2. Im blauen Affen
3. Asphaltblumen
4. Anders als die Andern
5. Hochstapler der Liebe
6. Die Gorilla-Bar
7. Das Junfernstift
8. Die Litzberger Mali
9. Der schöne Hektor
10. Das Lächeln der Venus
11. Kokottchen
12. Zwirns Badeabenteuer
13. Halbe Jungfrauen
14. Der nackte Schnucki
15. Sündige Triebe
16. Die schwarze Maske
Anmerkungen: