Von Walther Kabel.
(Nachdruck verboten.)
Das furchtbare Unglück auf der Radbodzeche, dem nicht weniger als 303 Menschen zum Opfer gefallen sind, hat das öffentliche Interesse wieder in erhöhtem Maße auf die vielseitigen Gefahren gelenkt, von denen der tief im Schoße der Erde arbeitende Bergmann umgeben ist. Die tödlichen Unfälle im Bergbaubetrieb haben ihre Ursache nicht allein in den Grubenexplosionen, vielmehr entfällt ein großer Teil von ihnen auch auf den Einsturz von Gebirgsmassen, auf Abstürze der Förderkörbe infolge von Seilbrüchen und unvorsichtiger Handhabung von Sprengstoffen. Trotzdem erregen gewöhnlich nur die Grubenexplosionen die allgemeine Aufmerksamkeit, weil diese eben stets Massenunfälle hervorrufen.
Die Explosionen in Bergwerken werden durch das Auftreten Schlagender Wetter oder durch Kohlenstaub veranlaßt. Nur Steinkohlengruben sind diesen Explosionen ausgesetzt, während andere Bergwerke, z. B. Erzgruben, darunter fast gar nicht zu leiden haben, was an dem Fehlen der leicht entzündbaren Gase und des überaus feuergefährlichen Kohlenstaubes liegt. Unter Schlagenden Wettern versteht man im wesentlichen das Methangas (Grubengas CH4), welches sich überall da entwickelt, wo organische Stoffe unter Luftabschluß vermodern. Das Methan tritt nun besonders in Steinkohlenflözen auf, entwickelt sich hier bei der Zersetzung und Umwandlung der kohlebildenden Substanzen in großer Menge, wird aber durch die Dichtigkeit der überlagernden Erdschichten am Entweichen verhindert und daher unter mehr oder weniger großem Druck in der Kohle angesammelt und festgehalten. Werden nun die Steinkohlenflöze durch Bergbau aufgeschlossen, so entweicht auch das aufgespeicherte, bisher zurückgehaltene Grubengas. Gewöhnlich entgast die freigelegte Kohle ganz regelmäßig mit leise knisterndem Geräusch. Das Methan steigt, da es leichter als die Luft ist, in den Stollen bis an die Decke empor. Bei dieser regelmäßigen Entwicklung der Schlagwetter lassen sich nun leicht Vorkehrungen treffen, um eine Ansammlung von größeren Gasmengen in den Stollen und Gängen zu verhüten. Dies geschieht durch fortwährende sehr kräftige Ventilation des ganzen Bergwerks, wobei der starke Luftstrom auch die Gase mitreißt und an die Erdoberfläche führt. Eine Gefahr, die sich jedoch kaum vermeiden läßt, sind dagegen die plötzlichen Gasausbrüche. Oft bilden sich nämlich in Steinkohlenflözen in größeren Hohlräumen Schlagwetter, die dort unter starkem Druck wie in einem natürlichem Gasbehälter eingeschlossen sind. Werden diese Behälter durch den Bohrer, Spitzhacke oder Sprengschüsse angezapft, so entweicht das Methan mit furchtbarer Gewalt und reißt dabei häufig die ganze Kohlenwand auseinander. Gegen dieses plötzliche Freiwerden so ungeheurer Gasmengen gibt es kein Vorbeugungsmittel. Hier versagt dann auch die Ventilation, und es bedarf nur eines geringen Anlasses, um die Schlagwetter zur Entzündung zu bringen und damit ein neues Grubenunglück herbeizuführen.
Fast ebenso explosionsgefährlich wie das Grubengas ist der Steinkohlenstaub, der bei dem Abbau der Kohle entsteht und zwar in desto größerer Menge, je trockener und mürber sie ist. Dieser Staub wird durch den leisen Luftstrom der Ventilation mit emporgehoben und lagert an ruhigen Stellen, so an der rauhen Außenseite der Holzzimmerung der Stollen und auf vorspringenden Flächen in fingerdicken Lagen ab. Jede Erschütterung läßt ihn in dicken Wolken herabrieseln, und dieser in der Luft schwebende Kohlenstaub kann ebenfalls die schwersten Explosionen hervorrufen. Am gefährlichsten ist der feinste und trockenste Staub, doch spricht hier auch seine chemische Beschaffenheit mit. So erzeugt der Staub von Fettkohle die stärkste und schnellste Explosion, da sie bis zu 46 Prozent flüchtige Bestandteile enthält.
Die Vorbedingungen für die Entstehung von Grubenexplosionen sind nun überall da gegeben, wo sich in einem Stollen größere Mengen von Methangas angesammelt haben oder plötzlich auftreten und wo Kohlenstaub vorhanden ist und zwar in trockenem Zustande. Die Entzündung der Schlagwetter und des Kohlenstaubes geht ungefähr ebenso leicht vor sich wie die des Leuchtgases. Die unmittelbar zündende Ursache ist fast immer die Bergmannslampe, deren Flamme bei unvorsichtiger Handhabung nach außen durchschlägt. Die zweite große Gefahr bringt die Sprengarbeit mit sich, durch die man Kohle in bedeutenderen Massen freizulegen sucht. Zwar hat man durch Anwendung von Sicherheitssprengstoffen diese Gefahr etwas abgeschwächt, aber die Entstehung von Stichflammen bei Sprengschüssen läßt sich doch kaum vermeiden. Weiter ist es dann der elektrische Funke von Maschinen, die in den Gängen aufgestellt sind, der schon häufig eine Entzündung herbeigeführt hat. Danach sind also Flammen und stärkerer Funke stets imstande, eine Explosion in mit Schlagwettern oder Kohlenstaub angefüllten Gruben zu veranlassen. In den weitaus meisten Fällen kommen nun durch eine der angegebenen Ursachen zunächst die Gase zur Entzündung und diese bringen dann erst den durch den Explosionsstoß aufwirbelnden Kohlenstaub zum Aufflammen. Einmal eingeleitet, pflanzt sich die Explosion auf unbegrenzte Entfernungen hin fort, ebensolange sie Nahrung auf ihrem Wege findet. Je nach der Menge der Schlagwetter und des Kohlenstaubes huscht die entstandene Flamme bald langsam an der oberen Stollenwandung entlang, bald erfüllt sie den ganzen Gang mit Feuer und treibt dann mit ungeheurer Gewalt glühenden Staub in einem Feuerregen vor sich her. Die Luft wird dabei durch die plötzliche Erwärmung mit einem Male so stark ausgedehnt, daß sich ein Luftstoß bemerkbar macht, der sich mit sausendem Geräusch fortpflanzt, alles niederwirft, die Türen zu den Nachbarstollen sprengt und so der Explosion weitere Wege eröffnet. Ein Fluchtversuch endet bei größeren Grubenexplosionen in den seltensten Fällen erfolgreich, da die Gänge nach dem Vorübereilen der Flamme mit Rauchschwaden angefüllt sind, einem Gemenge von Stickstoff, Kohlensäure und Kohlenoxyd, das sofort vernichtend wirkt. Von den Bergleuten, die bei einer Grubenexplosion umkommen, finden nur etwa zehn Prozent unmittelbar den Tod durch den ungeheuren Luftdruck, der Rest erstickt in den Nachschwaden. Die Verletzungen der Geretteten bestehen meist nur aus oberflächlichen Verbrennungen der entblößten Körperteile und aus Beschädigungen durch fallendes Gestein.
Die einzigen Mittel zur Verhütung der Grubenexplosionen sind stete gute Luftzuführung, die die Ansammlung von Schlagwettern verhindert, weiter eine fortwährende Berieselung der mit Kohlenstaub angefüllten Stollen mit Wasser, wodurch das Aufwirbeln des Staubes unmöglich gemacht wird, und schließlich die äußerste Vorsicht beim Gebrauch der Lampen, Sprengkörper und Maschinen. Für die Zwecke der Berieselung wird durch sämtliche Grubenräume ein Wasserleitungsrohrsystem gelegt, an das Schläuche mit Brausen angeschraubt werden können. Diese Berieselungsanlagen sind ebenso wie der Gebrauch von Ventilatoren und Sicherheitslampen durch Verordnungen der Aufsichtsbehörden für alle preußischen Schlagwettergruben vorgeschrieben. Man kann nur annehmen, daß das furchtbare Unglück in der Grube Radbod durch einen jener plötzlichen Gasausbrüche im Zusammenhang mit anderen zufälligen, eine Explosion begünstigenden Ereignissen entstanden ist. Doch dürfte eine noch strengere Überwachung der Befolgung der von der Bergbehörde erlassenen Sicherheitsvorschriften durch die staatlichen Organe immerhin viel zur Beruhigung der öffentlichen Meinung beitragen.
Anmerkungen: