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Der Arm der Germania

 

Der Arm der Germania.

Von Walther Kabel.

(Nachdruck verboten.)

Zu jener Zeit war es, als der unlängst in Dresden verstorbene Bildhauer Professor Schillings an der Figur der Germania, für das Niederwalddenkmal arbeitete. Schillings saß eines Abends mit mehreren Bekannten im Hoftheater zu Dresden. Es wurde Iphigenie mit der berühmten Tragödin Anna Haverland in der Titelrolle gegeben. Da im zweiten Akt, als die Haverland in wunderbar harmonischer Pose ihren selten schön gebauten Arm beschwörend emporhebt, schnellt Schillings mit einem halblauten, freudigen „Endlich, endlich ein Arm!“ von seinem Sitze empor und beugt sich weit über die Logenbrüstung vor, ohne sich um die ärgerlichen Ausrufe der umsitzenden Zuschauer auch nur im geringsten zu kümmern. Schließlich zieht ihn einer seiner Freunde energisch auf seinen Sessel zurück. Doch Schillings’ hat sich eine ganz eigentümliche Aufregung bemächtigt. Eiligst verläßt er die Loge, um erst zurückzukehren, nach dem der dritte Akt bereits begonnen hat. Vergebens fragen ihn seine Bekannten, wo er denn in der Zwischenzeit gesteckt habe. „Nachher Kinder, nachher“, meinte er offenbar in bester Laune. „Ihr seid heute meine Gäste. Der Arm muß mit Sekt begossen werden, unbedingt!“ Weiter ist vorläufig nichts aus ihm herauszubekommen. Erst nach der Vorstellung, als man bei einem Glase perlenden Schaumweins beisammensitzt, klärt Schillings seine Freunde auf.

„Wißt Ihr, was ich heute gefunden habe, endlich nach monatelangem Suchen gefunden habe! Den Arm für die Germania des Niederwalddenkmals, jenen Arm, dessen Hand die Kaiserkrone tragen soll. Kein Modell, das mir bisher zu Gebote stand, genügte meinen Ansprüchen in dieser Beziehung! Nun erst, da ich den Arm der Haverland gesehen und sie in der Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt dazu bewogen habe, mir für diesen Arm Modell zu stehen, kann ich die Statue vollenden.“

So kam es, daß Anna Haverlands rechter Arm für alle Zeiten in der Statue der Germania verewigt wurde.