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Der Hauskauf

 

Der Hauskauf.

Eine romantische Schatzgeschichte von W. Kabel.

 

Über eine in ihrer Art wohl einzig dastehende Schatzgeschichte, an der man so recht sieht, daß die Romantik selbst heutigentags noch nicht ganz ausgestorben ist, berichtete unlängst eine französische Zeitung. – Der Advokat Laverne in Bordeaux erfreute sich schon seit langem eines recht zweifelhaften Rufes als Prozeßvertreter für die anrüchigsten Sachen, nicht minder aber auch als ebenso hartherziger wie geldgieriger Wucherer. Im Jahre 1910 hatte dieser Laverne zwei jungen, miteinander eng befreundeten Malern, Felix Bion und Gaston Mastaux, auf ein Jahr die Summe von dreitausend Frank zu einer Studienreise nach Italien vorgestreckt. Als Sicherheit ließ er sich beider Lebensversicherungspolicen im Gesamtbetrage von fünftausend Frank verpfänden. Die Künstler, die gehofft hatten, ihre während des Aufenthaltes in Italien angefertigten Kopien alter Meister schnell zu verkaufen und von dem Erlös das Darlehen zurückzuzahlen, fanden für die Bilder jedoch so schnell keine Abnehmer und sahen sich daher außerstande, Laverne am Fälligkeitstage im Frühjahr 1911 die Summe wiederzugeben. Als sie dies dem Advokaten mitteilten und ihn zugleich dringend baten, ihnen das Darlehen noch auf ein halbes Jahr zu verlängern, verhielt sich Laverne völlig ablehnend, machte aber Bion, der mit seinem Freunde in einem kleinen, von seinen Eltern vererbten Häuschen in der Rue de Nizza wohnte, den Vorschlag, ihm das Grundstück zu verkaufen und sich die dreitausend Frank von der Kaufsumme abziehen zu lassen. Das Bionsche Haus führte schon seit langen Jahren im Volksmunde den Namen „das Schatzhaus“. Unter dieser Bezeichnung war es in ganz Bordeaux bekannt. Der Großvater des jetzigen Eigentümers sollte, so berichtete die Fama, dort irgendwo sein gesamtes, nicht unbeträchtliches Vermögen während der großen französischen Revolution verborgen haben, kurz bevor er wegen seiner königstreuen Gesinnung verhaftet und hingerichtet wurde, und dieser Schatz sei nie wieder aufgefunden worden. Obwohl die Familie Bion bei jeder Gelegenheit erklärte, daß an der ganzen Sache kein wahres Wort sei, erhielt sich das Gerücht mit Hartnäckigkeit aufrecht. Man wußte sich zu erzählen, daß die Bions absichtlich das Vorhandensein des Schatzes ableugneten, in Wirklichkeit aber stets von neuem danach gesucht hätten, bisher allerdings ohne Erfolg.

Und dieses Haus nun wollte der Advokat seinem Schuldner abkaufen. Felix Bion ging jedoch auf diesen Handel nicht ein. Denn einmal wurde ihm von Laverne ein allzu geringer Preis für das Grundstück, zu dem noch ein hübscher Garten gehörte, geboten, dann aber mochte er den Besitz, der bereits über hundert Jahre seiner Familie gehörte, auch wohl aus Gründen der Pietät nicht veräußern. Doch der Advokat ließ sich nicht so leicht abschüttele und kam immer wieder auf die Sache zurück. Bion blieb jedoch fest. Da verlor Laverne schließlich die Geduld und klagte das Darlehen ein, offenbar in der Absicht, das Grundstück in der Zwangsversteigerung billig an sich zu bringen und es zu irgendwelchen Spekulationszwecken weiter zu verwerten. Als der Maler sah, daß der Advokat Ernst machte, bot er ihm als Abschlagszahlung eine Bibliothek alter Bücher an, die von seinem Vater stammte, der Lehrer an der Kunstschule in Bordeaux gewesen war. Diese Bibliothek hatten Sachverständige auf tausend Frank Wert abgeschätzt. Laverne fand sich auch wirklich in dem Häuschen in der Rue de Nizza ein, um die alten Werke in Augenschein zu nehmen. Aus seinem Verhalten ging aber deutlich hervor, daß er nur der Form halber bei Bion erschien und daß er keineswegs die Absicht hatte, die Klage zurückzunehmen und sich auf Teilzahlungen einzulassen. Die Büchersammlung war in mehreren Regalen in einer Bodenstube untergebracht, wo die beiden Freunde den Advokaten, nachdem sie ihn noch auf einige besonders wertvolle Werke aufmerksam gemacht hatten, allein ließen, damit er in Ruhe die vergilbten Schätze durchsehen könne. Als Laverne nach Ablauf einer Stunde wieder das Atelier im Erdgeschoß betrat, war er merkwürdig aufgeregt. Er suchte diese seine Erregung jedoch nach Möglichkeit zu verbergen und erklärte Bion, er wolle sich dessen Angebot hinsichtlich der Bibliothek noch überlegen. Dann fragte er, ob er sich Haus und Garten jetzt gleich einmal näher ansehen dürfe. Die Herren sollten sich jedoch in ihrer Arbeit nicht stören lassen. Er würde sich schon allein auf dem kleinen Besitz zurechtfinden. – Dies wurde ihm ohne weiteres gestattet. Laverne kam bei seinem Rundgang schließlich auch in den Garten, in dem halb verborgen unter alten Zypressen ein offenbar sehr alter geschlossener Pavillon stand. Auch diesen nahm der Advokat in Augenschein und verweilte auffallend lange im Innern des kleinen, aus bunten Steinen ausgeführten Baues. Als er mit der Besichtigung des Grundstückes fertig war, verabschiedete er sich von den beiden Künstlern mit dem Versprechen, ihnen baldigst über eine eventuelle Übernahme der Büchersammlung Bescheid zu schicken. Dieser traf schon am nächsten Morgen ein und lautete abschlägig. Als Grund gab Laverne an, daß er für die Bibliothek keine Verwendung habe. Um seinen Schuldnern jedoch entgegenzukommen, wolle er sein Angebot auf das Grundstück um zweitausend Frank erhöhen und achtzehntausend Frank dafür zahlen. Dies sei aber auch sein letztes Wort. Falls Bion nicht darauf einginge, würde er unnachsichtlich die bereits angestrengte Klage weiter betreiben.

Abermals lehnte Bion rundweg ab. Trotzdem sollte die Darlehensklage nie zu Ende geführt werden. Denn schon im Laufe der nächsten Woche zahlten die beiden Freunde ihre Schuld nebst Zinsen zurück, worüber Laverne offenbar sehr enttäuscht war. Das Geld hatte ihnen ein entfernter Verwandter Bions geliehen, wie sie dem Advokaten etwas schadenfroh erzählten.

Dies die Vorgeschichte. – Zwei Monate später erschien bei Felix Bion ein Grundstücksagent, der anfragte, ob dessen Haus nicht verkäuflich wäre, falls ein anständiger Preis dafür gezahlt würde. Bion erklärte eigentlich mehr im Scherz, daß der Besitz unter fünfzigtausend Frank nicht zu haben sei, eine Summe, die den wahren Wert des alten Gebäudes und des dazu gehörigen Gartens weit über das doppelte überstieg. Der Agent versuchte zu handeln, aber der Maler blieb fest. Schließlich wurde man – sehr zum Erstaunen Bions – aber doch einig, und dieser verpflichtete sich, sofort nach Zahlung des Kaufpreises von fünfzigtausend Frank auszuziehen.

Am folgenden Vormittag wurde der Kaufvertrag von den Parteien unterzeichnet und gleichzeitig auch der Kaufpreis erlegt, wobei es sich herausstellte, daß der Agent nur als Mittelsmann des Advokaten Laverne aufgetreten und daß dieser also jetzt Eigentümer des Häuschens in der Rue de Nizza geworden war. Die Freunde begannen bereits am Nachmittag mit dem Packen ihrer Sachen und zogen dann am nächsten Morgen in eine andere Wohnung.

Hier wurden sie aber bereits nach kaum zwei Stunden durch Laverne förmlich überfallen, der wütend hereinstürmte und Felix Bion mit heftigen Worten vorwarf, dieser hätte ihn bei dem Hausverkauf schamlos betrogen. Der Maler solle darein willigen, daß das Geschäft umgehend rückgängig gemacht würde, sonst würde er ihn bei Gericht wegen Betruges anzeigen. Worauf die Freunde, die gar nicht begriffen, was der sich wie toll Gebärdende eigentlich wollte, den Wucherer kurzer Hand gewaltsam hinausbeförderten. – Laverne rannte in seiner ersten blinden Wut wirklich sofort auf die Staatsanwaltschaft und gab folgendes zu Protokoll. Er habe bei der Besichtigung der Bibliothek Felix Bions in einem der Bücher zwischen den Pappschichten des Deckels zufällig ein anscheinend sehr altes, vergilbtes Papier gefunden, auf dem ein gewisser Jules Bion für seine Erben genau den Ort bezeichnete, wo er am 7. Mai 1794 sein aus gemünztem Golde bestehendes Vermögen im Werte von hundertundfünfzigtausend Frank verborgen habe, damit dieses den Revolutionären, die ihm nach dem Leben trachteten, nicht in die Hände fiele; und zwar liege das Geld in einem eisernen, verschlossenen Kasten in einer kleinen Nische des Gartenpavillons, deren versteckt angelegte Tür sich durch einen Druck auf eine bestimmte, mit einem Kreuz gezeichnete Rosette der hölzernen Wandverkleidung öffnen lasse. – Er – Laverne – sei nun bei dem Rundgang durch das Grundstück auch in den Pavillon gekommen und habe sich überzeugt, ob die Angaben des alten Papiers stimmten. Als er wirklich in der Nische einen eisernen verschlossenen Kasten, der so schwer war, daß er ihn kaum anzuheben vermochte, entdeckte, habe er das Grundstück käuflich erworben, da er keinen Augenblick zweifelte, daß sich der Schatz noch in dem Kasten befinde. Allerdings sei er so vorsichtig gewesen, sich vorher noch nach den früheren Schicksalen der Familie Bion genauer zu erkundigen. Und da habe er eben erfahren, daß ein gewisser Jules Bion tatsächlich im Jahre 1794, nachdem er seine Familie nach Spanien in Sicherheit gebracht hatte, in Bordeaux verhaftet und hingerichtet worden war. – Gleich nach dem Fortzug der beiden Maler habe er den Kasten aus seinem Versteck hervorgeholt und aufgesprengt, darin zu seinem Entsetzen jedoch nichts anderes gefunden als alte Hufeisen und Bleistücke. Da erst sei ihm klar geworden, daß man ihn in ganz raffinierter Weise hinters Licht geführt habe. Zweifellos habe ihm Bion die alte Büchersammlung nur deswegen angeboten und ihn dann noch besonders auf einige kostbare Werke hingewiesen – gerade unter diesen sei auch das Buch mit der alten Urkunde Jules Bions gewesen – um ihm das offenbar gefälschte Papier in die Hände zu spielen und ihn so zu veranlassen, das Haus in der Hoffnung auf den Schatz für einen unverhältnismäßig hohen Preis zu kaufen, worauf er denn auch wirklich hereingefallen sei, da man ihn durch das klug gewählte, geheimnisvolle Versteck für den eisernen Kasten in der Pavillonnische ganz sicher gemacht habe.

Als der Beamte, der die Anschuldigungen zu Protokoll nahm, die Laverne gegen die beiden Künstler erhob, den Advokaten darauf aufmerksam machte, daß dessen eigene Handlungsweise in dieser Sache ebenfalls nicht einwandfrei sei, da er doch den Maler habe um den Schatz bringen wollen, wußte Laverne sich sehr geschickt herauszureden, indem er halb entrüstet immer wieder beteuerte, er hätte selbstverständlich einen Teil des Schatzes an den jungen Maler abgetreten. Jedenfalls denke er unter diesen Umständen aber nicht daran, die Anklage gegen die beiden Künstler, die fraglos den Streich gemeinsam ausgeheckt hätten, zurückzunehmen.

So wurden denn Bion und Mastaux in den nächsten Tagen zum ersten Verhör geladen. Dieses verlief derart, daß das Verfahren gegen sie sofort niedergeschlagen werden mußte. Denn Felix Bion konnte an der Hand von Aufzeichnungen seines Vaters nachweisen, daß die Familie Bion tatsächlich – hier war die Fama also einmal recht berichtet gewesen – seit mehr als einem Jahrhundert nach der von dem Advokaten Laverne zufällig entdeckten Urkunde gesucht habe, um mit ihrer Hilfe das Versteck des Schatzes aufzufinden, an dessen Existenz der junge Maler bisher fest geglaubt hatte, wenn er dies auch stets abstritt. Und nur deswegen hatte er das Grundstück nicht so billig verkaufen wollen, weil ja doch immer noch die Möglichkeit vorlag, daß der neue Besitzer mehr als seine Vorgänger vom Glück begünstigt wurde und vielleicht durch einen Zufall auf das Versteck stieß. Auch alles andere, was Laverne für raffiniert ersonnene Hilfsmittel zu dem angeblichen Schwindelmanöver gehalten hatte, stellte sich bei näherer Untersuchung als ein ganz harmloses Zusammentreffen von Umständen heraus. So wurde insbesondere durch Sachverständige festgestellt, daß die in dem Buchdeckel aufgefundene Urkunde fraglos auf ein Alter von gut hundert Jahren zurückschauen und daß also von einer Fälschung keine Rede sein konnte.

Da Laverne in seinem Ärger sofort überall erzählt hatte, daß er die beiden Freunde als Betrüger entlarvt habe, strengten diese nun ihrerseits die Beleidigungsklage gegen den stadtbekannten Wucherer an. Der Advokat kam hierbei jedoch insofern recht glimpflich weg, als das Gericht annahm, er habe in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, und ihn nur zu einer mäßigen Geldstrafe verurteilte. Hierdurch kühn gemacht, suchte Laverne im Wege eines Zivilprozesses die Rückgängigmachung des Hauskaufes zu erzwingen, auf die Bion gutwillig nicht einging. Während dieser Prozeß noch schwebte, hatte der junge Maler durch einen ihm bekannten Privatdetektiv Ermittlungen nach dem Verbleib des Schatzes anstellen lassen, der doch offenbar von einem Fremden aufgefunden und geraubt worden war. Diese Nachforschungen hatten, so wenig aussichtsvoll sie auch zunächst erschienen, doch schließlich ein überraschendes Resultat. Von dem Vater Felix Bions war vor etwa zwanzig Jahren ein armer verkrüppelter Gärtnerbursche namens Rabinot des öfteren aus Barmherzigkeit beschäftigt worden. Dieser Rabinot zog dann plötzlich von Bordeaux fort – wohin, wußte niemand. Jetzt hatte ihn der Detektiv in Paris aufgestöbert, wo jener eine große Gärtnerei, eine wahre Musterwirtschaft, besaß. Nach anfänglichem Leugnen gab der inzwischen stark gealterte Rabinot zu, bei einer Reinigung des Pavilloninneren das Versteck und den eisernen Kasten gefunden und das Geld heimlich an sich genommen zu haben. – Der Schatz hatte ihm Glück gebracht und ihn zum wohlhabenden Manne gemacht. Daher zahlte er auch Felix Bion ohne Widerrede fünfundsiebzigtausend Frank aus, die diesem ja auch nur zustanden, da nach französischem Recht ebenso wie nach deutschem der Entdecker eines Schatzes Anspruch auf die Hälfte des Wertes hat. Bald darauf wurde der Zivilprozeß Laverne-Bion zugunsten des letzteren beendet. Der Verkauf des Grundstücks behalte seine Gültigkeit, obwohl der Advokat es in der Hoffnung auf den verborgenen Schatz weit über den Preis bezahlt habe, entschied das Gericht. Felix Bion mochte jedoch jetzt, wo er über genügend Barmittel verfügte, den alten Familienbesitz nicht in den Händen des Wucherers lassen und nahm im Wege des Vergleiches das Haus zurück, so daß der Advokat bei dem Handel nur fünftausend Frank einbüßte, eigentlich eine viel zu geringe Strafe für seine Hinterlist, die er bei dieser an Überraschungen so reichen Schatzgeschichte bewiesen hatte.