Von W. K. Bell.
Von einem unfehlbaren Mittel gegen die verderblichen Folgen der Bisse von Giftschlangen, das bisher der Wissenschaft so gut wie unbekannt ist, berichtete kürzlich ein englischer Reisender in einer Londoner Zeitschrift, deren Ruf dafür bürgt, daß es sich hier um keine bloße Erfindung eines phantasiebegabten Reiseschriftstellers handeln kann. – Neben Indien ist hauptsächlich Südamerika die Heimat einer Unzahl gefährlicher Giftschlangen. Nichts ist natürlicher, als daß die Ureinwohner dieser Länder bereits seit alters her nach Mitteln gegen den Schlangenbiß gesucht haben. Und wirklich wußten die südamerikanischen Indianer seit langem, daß sie in der Guacopflanze, einer Weidenart mit dunkelgrünem Laub, ein sicheres Gegenmittel gegen die Giftzähne des schleichenden Gewürms besitzen. Diese Pflanze wächst in den höheren Regionen der Anden im Schatten von Bäumen, kommt aber äußerst selten vor. Über die Art und Weise, wie die heilbringenden Wirkungen des Guaco zur Kenntnis der Menschen gelangte, gibt eine indianische Sage folgendes an. Auf den Hochplateaus der Anden haust eine Geierart, der Gavilan, dessen Hauptnahrung aus Schlangen besteht. Vielfach wurde nun beobachtet, daß der Gavilan, bevor er eine Giftschlange angreift, regelmäßig die Blätter des Guacostrauches frißt, um sich dann unbeschadet in einen erbitterten Kampf mit seiner wütend um sich beißenden Beute einzulassen. Hierdurch aufmerksam gemacht, wurde der Saft der Guacoblätter auch von Menschen zuerst versuchsweise, bald aber ständig gegen Schlangenbisse angewendet.
Daß dieses Wunderkraut bisher nicht allgemein bekannt geworden ist, soll lediglich an der Gewinnsucht der Eingeweihten, die sich unter ihren Stammesgenossen als große Zauberer ausgaben, gelegen haben. Die medizinischen Vorzüge der betreffenden Pflanze dürften jetzt aber sehr bald überall zum Heile der Bewohner der von giftigen Reptilien heimgesuchten Gebiete ausgenutzt werden. Lassen wir jetzt aber den Reisenden von seinem Erlebnis mit einem der Schlangenzauberer selbst erzählen. „Nachdem ich schon mehrfach von dieser seltsamen Weidenart gehört hatte, wollte ich mich natürlich auch mit eigenen Augen von ihrer heilenden Kraft überzeugen. Endlich hörte ich in dem kleinen Orte Margarita auf den Ostausläufern der Anden in Peru von einem Manne, der sich in der ganzen Gegend als Schlangendoktor eines großen Rufes erfreuen sollte. Der Betreffende, ein Zambo (Mischling zwischen Indianern und Negern), arbeitete auf einer nahen Pflanzung, mit deren Besitzer ich gut bekannt geworden war. Auf meine Bitte hin schickte dieser den Zambo dann zu mir. Schon am nächsten Tage trat der Schlangendoktor, ein älterer grauhaariger Mann, in mein Zimmer. In seinen Händen hielt er zwei Korallenschlangen von jener Gattung, die man als die schönste, aber auch die giftigste bezeichnet. Seine Arme waren völlig nackt, und er wickelte sich die giftigen Reptilien anscheinend mit der größten Zuversicht um die Gelenke. Anfangs hegte ich Verdacht, daß man ihnen die Fangzähne vorher ausgebrochen haben könnte, bemerkte aber bald, daß ich mich getäuscht hatte. Der Mann öffnete beiden den Rachen und zeigte mir dessen Inneres. Alle Fang- und anderen Zähne waren vollständig vorhanden, und doch machten die Schlangen nicht den mindesten Versuch sie zu brauchen.
Um auch jeden Schatten von Zweifel zu verscheuchen, ließ ich einen großen Schäferhund in das Gemach bringen, und zwar auf eine Stelle, wo die Schlangen ihn erreichen konnten. Er war natürlich entsetzt, konnte aber nicht zurückweichen, weil man ihn angebunden hatte, und nach kurzem biß ihn eine der Schlangen rückwärts ins Genick; man ließ jetzt den Hund los, aber er schien die empfangene Wunde nicht zu beachten. Fünf Minuten später fiel er um und zuckte auf dem Boden in heftigen Konvulsionen, denen ähnlich, die die Tollwut verursacht. Blut und Schaum rannen ihm aus Maul und Nasenlöchern, und nach einer Viertelstunde war er tot.
Ich bot dem Zambo nun eine hohe Summe, falls er mir auch den Beweis der Heilwirkungen des Guacostrauches erbringen würde. Erst zögerte er noch. Aber das Gold war für ihn eine zu starke Lockung. Am folgenden Tage fand er sich wieder bei mir ein. Er brachte eine Handvoll dunkelgrüner Blätter mit sowie mehrere Korallen- und Cascabelschlangen. Die Blätter tat er in meinem Beisein in einen Topf, nachdem er sie zwischen zwei Steinen zerrieben hatte, und goß etwas Wasser dazu. In wenigen Minuten war der Extrakt fertig, von dem ich zwei kleine Löffel voll einnehmen mußte. Dann machte der Zambo drei Einschnitte in jede meiner Hände an den Fingerspalten und drei ähnliche an jedem Fuße zwischen den Zehen; durch diese Einschnitte impfte er mir den Guacoextrakt ein. Ferner punktierte er mir die Brust sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite und vollzog eine ähnliche Impfung.
Bei aller Lust, die Wirkungen des Guaco zu erproben, muß ich doch bekennen, daß mir beim Anblick des grausigen Gewürms der Mut sank. Der Zambo jedoch ließ nicht mit Beteuerungen nach, und als ich ihm versicherte, daß mein Tod ihm das Leben kosten würde und ihn doch im Zureden beharren sah, faßte ich endlich den Entschluß, das Wagnis zu bestehen. Mit etwas bebender Hand griff ich nach einer der Korallenschlangen und ließ sie durch meine Finger gleiten. Das Tier verriet keine Neigung zum Beißen, sondern ringelte sich durch meine Hände, wie mir schien verzagt und erschrocken. Ich wurde bald kühner und nahm eine andere und noch eine andere, bis ich drei auf einmal in den Händen hielt. Dann legte ich sie weg und fing eine Schlange von der Cascabelgattung, die Klapperschlange des Nordens. Diese war etwas lebhafter, zeigte aber nicht das geringste Symptom von Zorn. Nachdem ich einige Minuten mit dem Reptil gespielt hatte, ich hielt es gerade ungefähr in der Mitte seines Leibes, als ich zu meinem Entsetzen gewahrte, daß es plötzlich den Kopf erhob und nach meinem linken Arm fuhr. Ich fühlte, daß ich gebissen war, und, die Schlange von mir schleudernd, wandte ich mich mit einem Schauder des Entsetzens zu meinem Gefährten. Dieser, der mit verschlungenen Armen die ganze Zeit ruhig zugeschaut hatte, erwiderte auf meine bangen Fragen mit wiederholten Beteuerungen, daß durchaus keine Gefahr vorhanden sei. Er tat dies so ruhig und gemessen, als handle es sich um den Stich eines Moskitos. Zur doppelten Sicherheit jedoch nahm ich einen frischen Schluck Guacotee und erwartete zitternd den Erfolg. Ein leichtes entzündliches Anschwellen machte sich bald rings um die Wunde bemerkbar; aber nach Verlauf weniger Stunden ließ es gänzlich nach, und ich befand mich völlig wohl.
Später wiederholte ich bei vielen Gelegenheiten dieses Experiment mit Schlangen, die ich selbst in den Waldungen gefangen hatte. Bei solchen Anlässen bediente ich mich keiner weiteren Vorsicht, als eine Dosis des Guacosaftes zu schlürfen. Selbst Kauen der Blätter dieser Pflanze bewies sich als genügend.“