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Tiere als Verschwörer

 

Tiere als Verschwörer.

Von W. Kabel.

 

Verschwörungen unter Tieren zu irgendwelchen Zwecken sind von einwandfreien Zeugen mehrfach beobachtet worden. Der französische Naturforscher Blaze erzählt in seiner „Geschichte des Hundes“ einige Beispiele.

Auf einem Pachthofe in der Nähe von Paris wurden zwei Neufundländer gehalten. Außerdem besaß die Hausfrau einen kleinen Zwergspitz, mit dem die beiden großen Hunde sehr gern spielten und dem sie offenbar sehr zugetan waren. Eines Tages kam der Spitz nun blutend und arg zerzaust von einem Ausfluge nach dem nahen Dorfe heim. Die Neufundländer leckten unermüdlich die Wunden ihres kleinen Spielgefährten, bis dieser wieder ganz hergestellt war. Bald darauf fand sich der Krämer des Dorfes auf dem Hofe ein, um von dem Pächter Schadenersatz für seinen Pudel zu verlangen, den die beiden Neufundländer zerrissen hätten. Diese wären in Begleitung des Zwergspitzes plötzlich vor seinem Hause erschienen und hätten sich sofort wütend auf seinen Pudel, der friedlich in der Sonne lag, gestürzt und ihn derart zugerichtet, daß er in kurzem eingegangen wäre. – Der Pachthofbesitzer stellte darauf weitere Nachforschungen an, die ergaben, daß der Spitz damals von dem Pudel angegriffen und gebissen worden war. Das Auffallende bei der Sache war, daß die Neufundländer bis dahin mit dem Pudel in bester Eintracht gelebt hatten. Zweifellos hatte also der Zwergspitz seinen großen Freunden verständlich gemacht, wer ihm so übel mitgespielt hatte, und die drei Hunde waren darauf wie regelrechte Verschwörer ausgezogen, um den Pudel zu bestrafen.

Professor Blenox besaß in einer Villenkolonie bei Rouen ein Landhaus, wo er sich zwei wertvolle Pintscher hielt, die die treuesten Kameraden waren. Eines Tages fand man den einen der Pintscher auf dem Felde dicht am Hause tot auf. Die Untersuchung durch einen Tierarzt zeigte, daß der Hund von einem anderen durch Bisse in das Genick getötet worden war. Der Professor gab sich alle Mühe, den vierbeinigen Mörder, den er unter den zahlreichen Hunden der Villenkolonie vermutete, herauszufinden. Dies war jedoch unmöglich. Er konnte nur feststellen, daß der überlebende Pintscher seit dem Tode seines Gefährten einen geradezu grimmigen Haß auf eine als bösartig bekannte Bulldogge geworfen hatte, die freilich bei ihrer Körperstärke der Feindschaft des kleinen Pintschers spottete. – Im Laufe der nächsten Wochen beobachtet Blenox nun folgendes. Der Pintscher brachte fast täglich zwei Doggen aus einer Nachbarvilla mit auf den Hof und traktierte diese sozusagen mit Knochen und Fleischstücken, die er aufsparte und hinter einem Bretterhäuschen zu verbergen pflegte. Die drei Hunde wurden bald die besten Freunde. Dann trat eines Tages die Katastrophe ein: die Doggen fielen in Gemeinschaft mit dem Pintscher die Bulldogge an und zerrissen sie. Auch in diesem Fall war früher von einer Feindschaft zwischen den Doggen und ihrem jetzigen Opfer nichts zu merken gewesen.

Der Naturforscher Blaze hebt hervor, daß diese Geschichte, so merkwürdig sie auch klingen mag, völlig verbürgt ist, und daß es sich hier dem Tatbestande nach geradezu um ein Anwerben von Genossen zur Ausübung eines Rachewerkes handelte.

Ein weiteres Beispiel von einer Tierverschwörung berichtet der französische Schriftsteller Pierre Lotti in seinem Werke: „Meine Jagdzüge durch den nördlichen Sudan“. „Ich hatte mich,“ so schreibt er, „einer Handelskarawane angeschlossen, die von Wadi Halfa aus nach Abu Hammed zog. Bei der damaligen Unsicherheit im Lande war es nicht ratsam, nur allein mit einem oder zwei bewaffneten Dienern zu reisen. Und zur Anwerbung einer stärkeren Begleitmannschaft fehlte mir das nötigte Geld. Die Mitglieder der Karawane, zumeist arabische und ägyptische Kaufleute, hielten mich ebenso wie mein Diener Mansur ben Laid für einen türkischen Offizier und guten Moslem. Wir hatten bei der Karawane gegen dreihundert Last- und achtzig Reitkamele. Fünfzig von den letzteren, natürlich die besten, gehörten den Leuten des Scheiks Burmassan vom Beni-Fular-Stamme, die wir als Schutzwache mitgenommen hatten. Abends im Lager mußten die Last- und wertvolleren und stolzen Reittiere stets sorgsam getrennt werden, da diese ihre zottigen und unansehnlichen Artgenossen durchaus nicht in ihrer Nähe sehen mochten und es sonst zu folgenschweren Beißereien zwischen den beiden Gruppen gekommen wäre. Unter den Lastkamelen gab es nun zwei bestimmte Tiere, die sich durch ihre Bösartigkeit geradezu auszeichneten. Mit ihren langen Vorderzähnen schnappten sie nach jedem lebenden Wesen, das in ihre Nähe kam. Nur ihre Arbeitskollegen, die übrigen Lastkamele, verschonten sie merkwürdigerweise. Dabei war ihr Instinkt so fein ausgebildet, daß sie stets sofort wußten, ob sie eines der Reit- oder der ihnen sympathischen Lastkamele vor sich hatten, und dies auch, wenn die Tiere abgeschirrt waren und daher nur dem Äußeren nach nicht ganz leicht zu erkennen war, ob es sich um ein Exemplar dieser oder jener Gruppe handelte. Alles Getier der Karawane – denn auch Esel, Ziegen und Hunde waren vorhanden – wich den beiden beißwütigen Geschöpfen ängstlich aus, nachdem gleich in den ersten Tagen ein paar Esel und Hunde durch die Zähne jener Kamele empfindliche Wunden davongetragen hatten. Dann passierte es einigemal, daß Reittiere der Beni-Fular im Vorbeijagen heimtückische Bisse in die Lenden erhielten, worauf der Scheik von dem Eigentümer der gefährlichen Bestien verlangte, dieser solle ihnen ledergeflochtene Maulkörbe anlegen. Das geschah auch. Aber der Charakter dieser beiden Tiere war ein so schlechter, daß sie nun ihre Wut an allem, was sich in ihre Nähe wagte, durch Umsichschlagen mit den Hinterbeinen ausließen. Zu den übel zugerichteten Opfern dieser gelegentlichen Attacken gehörten wiederum ein paar der edlen Reitkamele der Beni-Fular.

In der Oase Bual-bani war es, wo ich dann Gelegenheit hatte, einen Vorgang zu beobachten, den ich nie für möglich gehalten hätte. Wieder wurden die Reit- und Lasttiere wie immer in getrennten Gruppen, von Wächtern behütet, auf die spärliche Weide getrieben. Die beiden bissigen Kamele hatte man zur Vorsicht etwas abseits an langen Riemen an eine Palme gefesselt. Kurz nach Sonnenuntergang – ich saß gerade vor meinem Zelt und reinigte meine Büchse – hörte ich mit einem Male die ängstlichen Rufe der Kamelwächter. In der Annahme, daß sich irgendein Raubtier, vielleicht ein Löwe, gezeigt hätte, rannte ich schleunigst vorwärts. Hinter mir her jagte mein Diener, der gleichfalls seine Flinte in der Hand schwang. Kaum hatten wir den Palmengürtel durchquert und waren auf den von kümmerlichem Grase bestandenen äußeren Oasenkranz gelangt, als sich unseren Augen das grausige Bild eines wilden Rachekampfes darbot. Gegen den schwefelgelben westlichen Abendhimmel, an dem nur noch an einigen Stellen der Widerschein der hinter dem Horizont verschwundenen Sonne wie blaßrosa Streifen zu sehen war, zeichnete sich ein wildes Chaos von hin- und herrennenden Kamelleibern scharf wie Silhouetten ab. Aus diesem Gewühl hörte ich bald die kreischenden Angstschreie einzelner Tiere hervorgellen. Ahnungslos, was eigentlich vorging, stand ich noch unschlüssig da, als sich der Scheik der Beni-Fular zu mir gesellte und mit seiner gewohnten Ruhe und Würde nach vorwärts zeigend in dem verdorbenen Sudan-Dialekt, diesem Gemisch aller möglichen Sprachen, sagte: „Es sind die beiden Bali-bir (Besessenen), die von unseren Reittieren aus Rache abgetan werden.“ Im ersten Augenblick verstand ich gar nicht, was er meinte. Dann dämmerte mir das Richtige auf.

Ich rannte eilends weiter auf die kämpfenden Tiere zu, die jetzt an der einsam stehenden Palme einen dichten, stampfenden Knäuel bildeten, um den die Wächter, ihre Lanzen schwingend, brüllend umhersprangen. In der fast von Sekunde zu Sekunde stärker werdenden Dämmerung vermochte ich Einzelheiten dieser Hinrichtung – treffender kann man den Vorgang kaum bezeichnen – nicht zu unterscheiden. Offenbar befanden sich die Reitkamele sämtlich in grimmigster Wut. Die außen Befindlichen suchten mit aller Macht in die Mitte des Kreises zu gelangen, wo ich undeutlich am Fuße der Palme zwei graue Körper erblickte.

Endlich trieben die Wächter die Tiere auseinander. Ich trat näher. Auf dem zerstampften, blutbedeckten Boden lagen die beiden so übel berüchtigten bösartigen Kamele, aus unzähligen Wunden blutend. Sie lebten noch. Doch daran, sie am Leben zu erhalten, war nicht zu denken. Zwei Schüsse beendeten ihre Qualen. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß Kamelzähne so furchtbare Verletzungen verursachen könnten. Ganze Streifen Haut mit anhaftenden Fleischstücken waren den Opfern dieses Überfalls vom Körper gerissen.

Nachher ließ ich mir von den Wächtern die Geschehnisse im einzelnen erzählen. Danach waren die Reitkamele, ohne vorher irgendwelche Zeichen von Unruhe zu verraten, urplötzlich wie auf eine gemeinsame Verabredung hin sämtlich auf die etwa dreihundert Meter entfernte Palme zugestürmt, wo man die beiden bissigen Tiere angebunden hatte. Die Wächter waren dabei einfach überrannt worden. Die Exekution selbst hatte dann nur wenige Minuten gedauert.

Ich scheue mich nicht, nach dem hier eben geschilderten Vorgang von einer „Verschwörung der Reittiere“ zu sprechen, die ihre heimtückischen, den Frieden der Karawane störenden Feinde beseitigen wollten. Ähnliche Vorfälle, wo Kamele, die ich persönlich zu den intelligentesten vierbeinigen Geschöpfen rechne, gemeinsam ihren Rachedurst an einem ihnen verhaßt gewordenen Tiere befriedigten, berichtete mir wenige Monate später ein englischer Major, der sich Jahrzehnte im Sudan aufgehalten hat und an dessen Glaubwürdigkeit ich um so weniger zweifeln darf, als ich ja selbst Zeuge einer solchen Exekution bin.“

Soweit Pierre Lotti. – In gewissem Sinne wird man auch die sogenannten „Storchgerichte“ zu den Tierverschwörungen rechnen können. Daß die Störche eines bestimmten Bezirks vor der großen Herbstreise nach dem Süden gewissermaßen ein Tribunal bilden, sich auf dem Felde versammeln und Gericht über zu schwächliche Artgenossen halten, die voraussichtlich nicht imstande sind, die Reise mitzumachen, ist von vielen glaubwürdigen Leuten beobachtet worden. Ein Oberförster D. aus Vorpommern veröffentlichte vor einigen Jahren in einer Jagdzeitung eine Schilderung eines derartigen Vorgangs, den er mit einem guten Fernglase genau verfolgte und bei dem nicht weniger als drei junge Störche von den übrigen durch Schnabelhiebe getötet wurden.