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Wenn Tiere verfolgt werden

 

Wenn Tiere verfolgt werden.

Von W. K. Bel.

 

Verfolgte Tiere greifen oft zu den merkwürdigsten Mitteln, um ihren Bedrängern zu entgehen. Am verbreitetsten ist wohl die Geschichte vom Strauß, der seinen Kopf in der Annahme in den Sand einwühlen soll, er könne dann von den Verfolgern ebensowenig gesehen werden, wie er diese nicht mehr zu erblicken vermag. Daß es sich hierbei nicht um eine bloße Fabel handelt, sondern diese tatsächlich ein Körnlein Wahrheit enthält, finden wir in den Reisebeschreibungen vieler Afrikaforscher bestätigt. Alle diese Beobachtungen stimmen darin überein, daß der von einer Reiterschar gehetzte Riesenvogel sich schließlich vor Ermattung regelmäßig auf den Boden niederläßt und Hals und Kopf fest auf die Erde drückt, fraglos in der Hoffnung, sich so leichter den Blicken der Verfolger entziehen zu können. Auf diese Weise mag das Märchen von dem „Kopf-in-den-Sand-Stecken“ entstanden sein.

Nicht minder bekannt ist die Tatsache, daß verfolgte Tiere sich als letztes Rettungsmittel tot stellen, d. h. die Beine an den Leib ziehen, die Augen schließen und sich selbst bei einer unsanften Berührung völlig regungslos verhalten. Jeder Käfersammler wird bei verschiedenen Arten von Insekten immer wieder diese Erfahrung machen. Von größeren Tieren sind es besonders die mit besonderer Intelligenz ausgestatteten, die es in höchster Not mit dieser kleinen Komödie versuchen. So kursieren in Jägerkreisen viele beglaubigte Geschichten, in denen Freund Reineke den Toten spielte und nachher in einem günstigen Augenblick entschlüpfte. Auch der Igel rollt sich ja, sobald er angegriffen wird, zu einer stachligen Kugel zusammen. Hier handelt es sich allerdings weniger um ein Sich-tot-Stellen, als vielmehr um die Ausnützung einer natürlichen Schutzrüstung. Der Herzog von Fife erzählt in seinen afrikanischen Jagderlebnissen, daß er einmal ein Pavianmännchen schoß, welches auf einem Felsvorsprung gesessen hatte und dann wie tot ihm vor die Füße rollte. Bei Besichtigung der Beute zeigte es sich, daß die Kugel den Affen nur leicht an der Schulter gestreift hatte. „Es waren kaum ein paar Tropfen Blut aus der Wunde ausgetreten. Jedenfalls merkte ich sofort, daß der Pavian nur den Leblosen spielte. Um zu sehen, was er tun würde, sobald wir uns entfernt hatten, zog ich mich mit meinen Begleitern hinter ein Dorndickicht zurück. Wohl fünf Minuten blieb der Affe auf demselben Fleck regungslos liegen. Dann hob er erst vorsichtig den Kopf, schaute sich um und … war plötzlich mit ein paar blitzschnellen Sätzen in den Felstrümmern verschwunden.“ – Ein ähnliches Erlebnis berichtet der Franzose Dallon von einem Schimpansen, der, durch einen Schrotschuß aus einer Baumkrone heruntergeholt, von Ast zu Ast fiel und schließlich schwer auf den Boden plumpste, ohne sich weiter zu rühren. Dallon, überzeugt, daß das Tier tot sei, stellte seine Büchse beiseite und holte seine Pfeife hervor, um durch ein Signal seine schwarzen Begleiter herbeizurufen. Plötzlich hörte er dicht hinter sich ein Geräusch. Als er sich umschaut, sieht er den Schimpansen, den linken, offenbar verletzten Hinterfuß nach sich ziehend, in einem für Menschen undurchdringlichen Gebüsch verschwinden. Die Nachsuche nach dem Tiere blieb erfolglos. „Sicherlich ist der krankgeschossene Fuß auch bald wieder ausgeheilt,“ schreibt Dallon. „Denn die Affen sind bekanntlich die besten Heilkünstler unter den Tieren, die ebensogut eine Wunde zu kühlen wie mit Hilfe von Grashalmen einen Verband herzustellen wissen.“ – Chénier wieder berichtet in seinem „Buch vom Hunde“ folgendes: „Ein plötzlich völlig verarmter Gutsbesitzer mußte seine in fremde Hände übergegangene Scholle verlassen und in die Stadt ziehen, wo er für seinen treuen Jagdhund „Barry“ hätte die Steuer bezahlen müssen, was ihm in seiner Lage nicht möglich war. So bat er denn einen Bekannten, den Hund zu erschießen, da er diesen einem Fremden nicht anvertrauen mochte. Der Freund führte Barry an einer Leine in einen unbenutzten Steinbruch, band ihn dort fest und feuerte, so schwer es ihm auch wurde, auf das mit eingekniffenem Schwanz traurig dastehende Tier eine Kugel ab, die den Hund sofort niederwarf und offenbar augenblicklich tödlich gewesen war, da Barry auch nicht das geringste Lebenszeichen mehr von sich gab. Zum Erstaunen des Gutsbesitzers, der seinen treuen vierbeinigen Gefährten bereits tot wähnte, fand der Hund sich jedoch einige Stunden später bei ihm mit Blut besudelt wieder ein. Den Strick, mit dem er an einen Felsblock gefesselt worden war, hatte er durchgenagt. Die Kugel war, wie sich herausstellte, schräg am Brustbein vorbei nur durch die Haut gegangen. Der Gutsbesitzer brachte es jetzt nicht mehr über sich, das kluge Tier, das sich fraglos in richtiger Erkenntnis des ihm drohenden Unheils nur tot gestellt hatte, fortzugeben und behielt es trotz aller Geldsorgen weiter bei sich.“

Andere Tiere wieder werfen sich, sobald ihnen die Verfolger nahegekommen sind, auf den Rücken und suchen mit Krallen und Gebiß den Feind von sich abzuwehren. Dies ist vielfach bei Kaninchen, Hasen, Hunden und Hamstern, ja selbst bei angeschossenen Vögeln beobachtet worden. Die Frage, weshalb die Tiere gerade diese Art von Verteidigungsstellung wählen, beantwortet ein Naturforscher folgendermaßen: „Nicht nur unser europäisches kleineres Raubzeug, Fuchs, Marder, Iltis und Wildkatze, sondern auch die großen Räuber, wie Löwe, Tiger, Leopard, Luchs usw., suchen stets ihren Beutetieren auf den Rücken zu springen und sie zunächst durch Bisse in die empfindlichste Stelle, das Genick, zu lähmen. Erwähnt sei hier, daß man z. B. in den Bauen von Iltissen Frösche vorgefunden hat, die zwar lebten, aber gelähmt waren. Stets fand man bei diesen Fröschen, die die Freßvorräte des Iltis ergänzen sollten, Bißverletzungen am Rückgrat vor. Ohne Zweifel waren die Frösche also absichtlich auf diese Weise des freien Gebrauchs ihrer Gliedmaßen beraubt worden. Auch bei der Hauskatze kann man ähnliches beobachten. Sperrt man eine Katze in einen größeren Käfig, in dem sich mehrere Mäuse befinden, so wird sie stets versuchen, möglichst schnell hintereinander sämtliche Mäuse zunächst durch Hiebe mit den Pfoten und durch Bisse zu lähmen, um sie nachher in aller Ruhe vollends abtun zu können. Mithin ist bei Tieren, die das Raubzeug zu fürchten haben, gerade der Rücken der dem Angriff am meisten ausgesetzte Körperteil. Es handelt sich demnach bei dem „Auf-den-Rücken-Werfen“ um eine vererbte und rein instinktiv gewordene besondere Schutzmaßregel gegen jede Art von Verfolgern. So hatte ein Bekannter einmal einen kräftigen Hamster und einen Fuchs zusammen in einen großen Hühnerkäfig eingesperrt. Der Fuchs ging sehr bald zum Angriff über, konnte dem Hamster aber nichts anhaben. Als diesem das Geplänkel einmal zu gefährlich wurde, warf er sich in einer Ecke auf den Rücken und hatte dann den Fuchs bei einem neuen Angriff blitzschnell bei der Kehle gepackt, die er erst fahren ließ, als wir beide Tiere mit einer Gartenspritze stark unter Wasser setzten. Der Fuchs zog es jetzt vor, seinen Feind weiterhin in Ruhe zu lassen.“

Schließlich sei hier auch noch eine weitere Eigentümlichkeit im Verhalten verfolgter Tiere erwähnt – das Irren im Kreise. Auch bei Menschen, die sich in einer Einöde verirrt haben, ist dieser Vorgang, daß sie nach stundenlangem Wandern an ihren Ausgangspunkt zurückkehrten, nachdem sie, wie an den Fußspuren zu erkennen war, unbewußt einen großen Kreis zurückgelegt hatten, häufig beobachtet worden. Von Hunden gehetzte Rehe und Hasen tun, wie unsere Jäger aus Erfahrung wissen, genau dasselbe. Auch das zu Pferde gejagte Wildschwein und der hart bedrängte Fuchs beschreiben einen weiten Kreis. Freiherr von Egloffstein, der mit Beduinen in der nördlichen Sahara Strauße und Hyänen hetzte, hat dieselbe Beobachtung bei diesen Tieren gemacht. In Nordargentinien, wo der Puma sehr zahlreich ist und ebenfalls zu Pferde verfolgt wird, haben europäische Reisende mit diesem silbergrauen scheuen Raubtiere ähnliches erlebt. – Eine einleuchtende Erklärung für dieses „Irren im Kreise“ ist erst neuerdings gefunden worden. Früher nahm man an, daß das verfolgte Tier das ihm bekannte Jagdgebiet nicht verlassen wolle und so unwillkürlich im Kreise laufe. Hiergegen sprach, daß bei den Fuchshetzen in England häufig aus ganz anderen Gegenden stammende Füchse ausgesetzt wurden, die dann trotzdem in großem Bogen flüchten, weiter auch, daß der verirrte Mensch selbst in wildfremder Gegend einen vollständigen Kreis beschreibt. Guldberg und Simroth haben nun unabhängig voneinander eine Theorie aufgestellt, mit der sie das Richtige getroffen haben dürften. Die Bewegung des Im-Kreise-Irrens ist eine mehr mechanische und vom Willen losgelöste und wird bedingt durch Ermüdung, Angst und geistige Ermattung. In diesem Zustande wird jedes Geschöpf, das nicht mehr ganz Herr seiner Glieder und seines Willens, also gewissermaßen kopflos ist, sich schließlich nur noch automatisch seiner Beine bedienen, wobei dann die ungleiche Ausbildung bzw. Belastung der Körperhälften es zu einem unbewußten regelmäßigen Abweichen nach links zwingt. Das „Irren im Kreise“ hat mithin seinen Grund in der stärkeren Belastung der linken Körperhälfte.