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Goldgräber-Gastfreundschaft

 

Goldgräber-Gastfreundschaft.

Ein wahres Geschichtchen aus Kalifornien[1]. Von W. Belka.

 

Es war im Mai des Jahres 1892. Der Generalgouverneur von Australien, Sir Rogher Shelling, näherte sich auf seiner großen Inspektionsreise durch die neuen Ansiedlungen dem vor kaum sechs Monaten aus dem Erdboden emporgeschossenen Goldgräberstädtchen Panjary. Nach einer Woche wollte er mit seinem Gefolge in Panjary feierlich Einzug halten, wie er einer Abordnung der dortigen Digger (Goldgräber) fest versprochen hatte. Darob gerieten die Bewohner der jungen Ortschaft vor Freude rein aus dem Häuschen. Das sollten Festtage werden, wie sie sich keines der anderen Goldfelder auch nur träumen ließ. Die Panjary-Digger hatten’s ja dazu. Da war keiner unter ihnen, der nicht wenigstens seine 60 bis 80 Tausender bereits erübrigt hatte.

Der lange Jack, der ungekrönte König von Panjary – er hatte bei der Suche nach dem edlen Metall bisher das meiste Glück gehabt, und zwar ein geradezu unverschämtes Glück – erklärte am Abend in Joe O’Briens Trinksalon patzigen Tones, er würde die Kosten des Empfanges und der Bewirtung seiner Exzellenz nebst Gefolge ganz allein auf sich nehmen. Darauf zu Jacks Erstaunen allgemeine Protestrufe. Bisher hatte man in Ermangelung einer anderen Obrigkeit doch stets auf ihn gehört. Und jetzt diese Widersetzlichkeit?

Da erhob sich der lahme Jim, ein früherer Matrose, einer von den „Kleinen“, den man auf kaum 60 Tausender schätzte.

„Ich meine, wir alle haben hier gleiches Recht,“ begann er bedächtig. „Wir alle wollen zu den Festlichkeiten daher das gleiche beisteuern. Bezahlt der lange Jack allein, so ist Sir Shelling sein Gast, und nicht der von ganz Panjary. Hier – ich lege fünf Tausender auf diesen Tisch. Mag jeder meinem Beispiel folgen. Dann losen wir. Und der Gewinner nimmt das ganze Geld und bereitet dafür alles zum Empfang Sr. Exzellenz vor.“

Das war der Spruch eines Salomo. Allgemeiner Beifall. An die hundert Hände streckten sich vor, und die Banknoten häuften sich auf der Tischplatte zu einem wahren Berge auf. Aber eifersüchtige Augen wachten darüber, daß keiner mehr gab als der andere. Wie der einäugige Billy statt der fünf acht Tausender auf den Tisch zu mogeln versuchte, erhob sich ein drohendes Murren stärksten Mißfallens. Da riskierte es keiner mehr.

Und nun ging der lahme Jim, der neue Salomo von Panjary, mit seinem Filz die Reihe rund und jeder warf einen zusammengefalteten Zettel mit seinem Namen darauf in die altehrwürdige Kopfbedeckung. Dann deckte man den Hut mit einem Tuche zu, schüttelte die Zettel gut durcheinander und rief Joe O’Briens, des Trinksalons Inhabers Frau, herbei – nebenbei das einzige weibliche Wesen in den Panjary-Feldern. Die sollte Schicksalsgöttin spielen. Sie griff unter das Tuch, nahm einen der Zettel heraus. Atemlose Stille. Sie entfaltete ihn, liest …

„… der lange Jack …“

Dieser Günstling des Schicksals lächelt nur verächtlich, holt aus der Hosentasche ein Schwefelholz hervor, streicht’s am Ärmel an und steckt damit den Haufen Tausender auf dem Tisch an mehreren Stellen in Brand.

Wortlos schauen alle zu, wie die Flamme immer weiter sprießt. Beizender Qualm des verbrannten Papiers sammelt sich in dichten Wolken unter der Leinwanddecke des großen Zeltes. Der Tisch fängt an einer Ecke Feuer. Niemand rührt eine Hand, bis die letzte Banknote eines Riesenvermögens verkohlt ist. Dann erst löscht man das brennende Holz des Tisches aus.

Die Digger hatten ja kein Anrecht mehr auf das Geld. Es gehörte dem langen Jack. Mochte dieser jetzt aus eigener Tasche die Unkosten der bevorstehenden Festlichkeiten tragen. Die Hauptsache blieb: jeder von ihnen hatte das Seinige in die gemeinsame Festkasse beigesteuert, jeder durfte sich nachher stolz sagen, daß Sir Shelling auch sein Gast gewesen sei.

 

 

Anmerkung:

  1. Hier müßte es eigentlich Australien heißen!