Von W. Kabel.
Über die geheimnisvolle Macht des Schlangenblicks ist schon viel geschrieben worden. Besonders in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die ersten bemerkenswerteren hypnotischen Versuche die Gemüter mächtig erregten und man überall nach geheimen Kräften zu fahnden begann, gab es nicht wenige Naturforscher, die dem Auge der Schlangen besondere Einwirkungen auf andere Tiere zuschreiben wollten. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand wurden jedoch recht flüchtig angestellt und lieferten keine sicheren Resultate. Jedenfalls geht aber aus Erlebnissen von Personen, deren Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhaben ist, hervor, daß den Schlangen eine unbekannte Kraft zur Verfügung stehen muß, mit deren Hilfe sie nicht nur Tiere, sondern auch Menschen an der freien Bewegung der Glieder hindern und sogar in einen Zustand völliger Betäubung versetzen, der des öfteren schon zum Tode geführt hat. Welcher Art dieser geheimnisvolle Einfluß der glatten Reptilien ist, ob diese bannende Kraft wirklich im Schlangenblick liegt oder ob ihre Quelle eine andere ist, mag vorläufig unerörtert bleiben. Die Wiedergabe einiger merkwürdiger Abenteuer mit Schlangen wird es dem Leser erleichtern, sich selbst ein Urteil über dieses interessante Thema zu bilden.
Der französische Naturforscher Levaillant bemerkte eines Tages auf einer seiner Reisen durch Südafrika auf einem Baume einen großen Vogel, der unter durchdringendem Geschrei krampfhaft mit den Flügeln schlug, ohne sich jedoch im übrigen vom Fleck zu rühren oder sich durch das Erscheinen Levaillants und seines Dieners verscheuchen zu lassen. Der Forscher näherte sich daher dem betreffenden Baume immer mehr, um die Ursache für das auffallende Benehmen des Vogels zu erkunden. Da machte ihn sein Begleiter, ein Hottentotte, auf eine grünbraungefleckte Schlange aufmerksam, die langausgestreckt auf demselben Aste lag, den auch der Vogel innehatte. Der Kopf der Schlange war kaum zwei Fuß von dem Kopfe des ängstlich kreischenden Vogels entfernt. Levaillant verhielt sich jetzt völlig ruhig, um den Ausgang dieses Dramas zu beobachten. Schon nach wenigen Minuten wurden die Bewegungen des Vogels matter und matter, bis er schließlich tot vom Baume herabfiel. Eine genaue Besichtigung seines Körpers zeigte jedoch, daß er nur infolge eines unerklärlichen Einflusses der Nähe der Schlange gestorben sein konnte, da jede äußere Verletzung fehlte.
Ein anderes Mal vernahm Levaillant in einem Schilfgebüsch ein durchdringendes Angstgeschrei. Er trat leise hinzu und erblickte eine Ratte, die sich in Zuckungen am Boden wand. Einen Schritt von ihr entfernt lag eine große Schlange, die das Tier ununterbrochen anzustieren schien. Der Forscher tötete das Reptil durch einen Schrotschuß, allein die Nähe der Schlange hatte schon gewirkt. Die Ratte krepierte in Levaillants Händen, ohne daß er durch die aufmerksamste Untersuchung die Ursache des Todes entdecken konnte.
Ein Herr Barton, der lange Jahre im Kongogebiet als Stationsleiter tätig war, beobachtete eines Tages in der Nähe eines Negerdorfes eine Szene, für die er nach seiner eigenen Angabe nie eine rechte Erklärung gefunden hat . – (Barton, Zehn Jahre im Dienste des Kongostaates, S. 145.) – Ein vielleicht neunjähriger Negerknabe saß unter einer Palme im Grase und schnitzte mit einem Messer am einem Holzstückchen herum. Barton, der den Jungen schon lange im Verdacht hatte, verschiedene Diebereien im Stationshause ausgeführt zu haben, schlich vorsichtig näher, um festzustellen, ob es nicht sein ihm vor kurzem abhanden gekommenes Taschenmesser sei, das der Negerknabe in der Hand hielt. Da plötzlich bemerkte er, wie der Junge Messer und Holzstückchen fallen ließ und mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin in das Gras starrte. Bei genauerem Hinsehen erblickte Barton dann eine Schlange, die vielleicht einen Meter von dem Kinde entfernt unter einer breitblättrigen Pflanze lag und ihre schillernden Augen stier auf den Knaben gerichtet hielt. Da der Stationsleiter, der keinerlei Waffe bei sich trug, erkannte, daß das Reptil zu einer der giftigsten Arten gehörte, und er sich daher nicht näher heranwagen konnte, so rief er dem Jungen mit unterdrückter Stimme zu, sich durch einen Sprung nach rückwärts in Sicherheit zu bringen. Jedoch zu Bartons Erstaunen blieb der Negerknabe ruhig sitzen, während nur sein Kopf ihm immer tiefer wie in einem Anfall von Schwäche auf die Brust herabsank. Nochmals rief Barton den Knaben an, um ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Und da die Schlange sich jeden Augenblick zum Angriff vorschnellen konnte, schrie er dem Kinde jetzt die Worte ganz laut zu. Aber der Junge rührte und regte sich nicht, schien die Stimme des Stationsleiters gar nicht zu hören. In dieser gefährlichen Lage kam Barton plötzlich ein glücklicher Gedanke. Schnell entschlossen warf er seine brennende, stark qualmende Zigarre nach der Schlange, die sich auch wirklich durch den jetzt dicht vor ihr aufsteigenden Tabaksrauch vertreiben ließ. Barton mußte dann den Negerknaben, der inzwischen nach der Seite hin bewußtlos ins Gras gesunken war, nach dem nahen Dorfe tragen. Dort starb das Kind bereits nach wenigen Stunden unter heftigen Krämpfen. Die Sektion, die der Stationsarzt an der kleinen Leiche vornahm, ergab nicht die geringsten Anhaltspunkte für die Todesursache. – Barton fügt diesem Erlebnis die Bemerkung zu, er könne nicht daran glauben, daß das Kind, wie die Neger behaupteten, infolge der giftigen Ausdünstung der Schlange verschieden sei, da er niemals an einer der vielen Schlangen, die er geschossen, einen besonders starken Geruch bemerkt habe.
Ein Farmer aus Deutsch-Südwestafrika legte sich an einem sehr heißen Tage im Schatten eines Gebüsches zu kurzem Ausruhen nieder und schlief fest ein. Als er erwachte, bemerkte er eine große, schwarze Schlange, die kaum einen Meter von seinem Kopf entfernt an einer sonnigen Stelle zusammengeringelt lag. Da ihm das Reptil als äußerst giftig bekannt war, suchte er sich unter Vermeidung jeden Geräusches davonzumachen. Merkwürdigerweise versagten ihm die Glieder aber fast völlig den Dienst. Er war wie gelähmt, und nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, sich aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen und mühsam kriechend sein Haus zu erreichen. Noch an demselben Tage zeigten sich dann bei ihm schwere Krankheitserscheinungen, die aber so eigentümlich waren, daß der aus Windhuk herbeigerufene Arzt keine sichere Diagnose zu stellen wußte. Häufiges Erbrechen, hohes Fieber, Lähmung des ganzen Körpers und vollständiges Versagen des Gedächtnisses hielten wochenlang an. Keine Medikamente halfen. Der Patient wurde schwächer und schwächer, bis zufällig eines Tages ein alter Hirte des Bastardstammes von der Erkrankung des Farmers hörte. Erst dieser vermochte den Arzt über die Ursache der Krankheit aufzuklären. Er behauptete, nur die Ausdünstung der großen Schlange, die die Eingeborenen „die schwarze Schlange“ nennen, rufe derartige Leiden hervor. Als Heilmittel empfahl er den Saft einer bestimmten Kakteenart. Und wirklich – nach einem Monat konnte der Farmer das Bett verlassen. Die Windhuker Zeitung, der das vorstehende Erlebnis entnommen ist, schweigt leider darüber, ob man jenen Bastardhirten nicht näher über die auffallende Eigenschaft der schwarzen Schlange ausgefragt hat.
Diese Lücke wird jedoch durch die Untersuchungen des amerikanischen Naturforschers Dr. Michaelis ausgefüllt. Dr. Michaelis ist es gelungen, mit dem Märchen von der geheimnisvollen Macht des Schlangenblickes vollkommen aufzuräumen. Seine Experimente hat er hauptsächlich mit Klapperschlangen angestellt und nach Tötung von unzähligen Exemplaren dieser Reptilienart herausgefunden, daß nicht nur die Klapperschlangen, sondern auch verschiedene andere Giftschlangen gleich nach der Häutung und bei völlig gefülltem Magen, d. h. in gesättigtem Zustande, einen äußerst giftigen Dunst ausströmen, der bei längerem Einatmen selbst erwachsene Menschen töten kann. Der amerikanische Gelehrte berichtet in seinem Werke über die Hautausdünstung der Giftschlangen, wie er beim Zerlegen einer Klapperschlange plötzlich von Schwindelanfällen gepackt wurde und sich nur mit Mühe auf einen Diwan habe schleppen können, wo er dann stundenlang bewußtlos lag, um nach dem Erwachen noch wochenlang an ständigem Zittern in den Gliedern und Gedankenschwäche zu leiden. Dr. Michaelis’ Erfahrungen sind jetzt durch die Untersuchungen anderer Naturforscher voll bestätigt worden, wenn es auch bisher noch nicht gelungen ist, die Giftstoffe in der Ausdünstung der Schlangen nachzuweisen. Hiermit haben dann auch all die unheimlichen Märchen von der Zauberkraft des Schlangenauges eine wissenschaftliche Erklärung gefunden.
Anmerkung: